Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Editorial<br />
Franz Bludorf, Chefredakteur<br />
„Mein Sohn, sei mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber<br />
mache nur solche, daß wir bei Nacht ruhig schlafen können.“<br />
Diesen Satz ließ Thomas Mann eine seiner Romanfiguren<br />
sagen, den alten Konsul Buddenbrook. Thomas Mann entstammte<br />
selbst einer alten Lübecker Kaufmannsfamilie, und<br />
der Satz stammte ursprünglich von seinem Urgroßvater. Die<br />
Ethik des ehrbaren Kaufmanns war ihm in Fleisch und Blut<br />
übergegangen.<br />
Und wie ist es heute? Nachdem die marode Hypo Real Estate<br />
Bank im vorigen Jahr bereits mit Staatsbürgschaften von 100<br />
Milliarden Euro gerettet werden mußte, ergab sich jetzt, daß<br />
noch katastrophaler gewirtschaftet worden war. Für weitere<br />
40 Milliarden muß der Steuerzahler geradestehen. Zeitgleich<br />
zahlten die HRE-Banker, die den ganzen Schlamassel mit<br />
ihrer Gier und Inkompetenz angerichtet hatten, sich selbst<br />
Prämien in Millionenhöhe. Vermutlich konnten sie trotzdem<br />
bei Nacht ruhig schlafen. Unser Finanzminister fand <strong>das</strong> auch<br />
in Ordnung. Es hätte ja sonst die Gefahr bestanden, daß die<br />
Banker in Steueroasen abgewandert wären. Hätte ihnen eigentlich<br />
jemand eine Träne nachgeweint?<br />
Die Karstadt-Warenhauskette konnte ohne Staatsgelder gerettet<br />
werden mit Hilfe eines neuen Investors. Bekamen die<br />
Karstadt-Mitarbeiter dann auch Bonuszahlungen? Im Gegenteil<br />
– sie waren zur Rettung des Konzerns in die Pflicht<br />
genommen worden, hatten Lohnverzicht leisten und um ihre<br />
Arbeitsplätze zittern müssen. Wie viele ihn auf Dauer behalten<br />
werden, ist noch unklar. Einen Massenexodus von Verkäufern<br />
nach Monte Carlo befürchtete offenbar niemand.<br />
Jahrhundertelang hatten Kaufleute in aller Welt ihren Profit<br />
gesucht und dabei dennoch streng darauf geachtet, vertrauenswürdig<br />
zu sein. Ein Konkurs kostete nicht nur <strong>das</strong> eigene<br />
Vermögen, sondern auch die Ehre. Heute ist er ein lukratives<br />
Sprungbrett ins nächste Finanzabenteuer.<br />
Die Globalisierung hat uns fest im Griff, und irgendwo auf dem<br />
Weg dahin muß der „ehrbare Kaufmann“ verlorengegangen<br />
sein. Dies ist auch Wirtschaftswissenschaftlern aufgefallen.<br />
Joachim Schwalbach, Professor an der Humboldt-Universität<br />
Berlin, hat die Erforschung dieses Phänomens zu seiner Lebensaufgabe<br />
gemacht. Eine wichtige Ursache ist es seiner<br />
Meinung nach, daß große Unternehmen heute nicht mehr von<br />
Eigentümern geführt werden, sondern von angestellten Managern<br />
und anonymen Konsortien, von denen niemand mehr<br />
persönlich für <strong>das</strong> Schicksal der Firma haften muß. Zwischen<br />
der Vergütung eines Managers und seinen Leistungen gebe es<br />
keinerlei Korrelation mehr.<br />
Bald ist Weihnachten, und ich hätte Ihnen gern etwas Besinnlicheres<br />
erzählt. Doch der kommende Jahreswechsel<br />
ist ein Termin, an dem wir aufpassen müssen. Griechenland<br />
beschränkt als erstes EU-Land die Geschäftsabwicklung mit<br />
<strong>Bargeld</strong>. Möglicherweise ein erster Schritt, <strong>das</strong> <strong>Bargeld</strong> vollends<br />
abzuschaffen, <strong>das</strong> einzige wirkliche Zahlungsmittel, <strong>das</strong><br />
wir je hatten. Wenn dies gelingt, könnten unsere Finanzjongleure<br />
endgültig verschleiern, daß sie mit Summen hantieren,<br />
die sie nie zuvor eingenommen haben, denn sie werden nie<br />
mehr in die Verlegenheit kommen, dafür wirklich in bar aufkommen<br />
zu müssen. Sie könnten also wieder ruhig schlafen.<br />
Die restliche Gesellschaft aber sollte äußerst wachsam sein.<br />
Ich wünsche Ihnen ein frohes Fest und einen guten Rutsch<br />
ins neue Jahr.<br />
Band <strong>60</strong> / November/Dezember 2010 MATRIX 3000 3