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Bundestags- wahlkampf - Zahnärztekammer Niedersachsen

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Jürgen<br />

Gansäuer<br />

FOTO: PRIVAT<br />

DIE DEUTSCHE<br />

VERGANGENHEIT<br />

HINRICH<br />

WILHELM KOPF<br />

Die Sozialdemo -<br />

kra tie in Deutschland<br />

hat viele<br />

Gründe, auf ihre<br />

Geschichte stolz zu<br />

sein. Der Kampf um<br />

die Rechte der Arbeiter,<br />

das Ringen um die Gleichstellung von<br />

Mann und Frau und der Widerstand gegen<br />

die Nationalsozialisten sind Marksteine,<br />

deren Bedeutung von keinem Demokraten<br />

bestritten werden sollte. Die Rede des<br />

SPD-Fraktionsvorsitzenden im Reichstag,<br />

Otto Wels, vom 23. März 1933, in der er an<br />

Hitler gewandt erklärte: »Freiheit und Leben<br />

kann man uns nehmen, die Ehre nicht«,<br />

bleibt über alle Parteigrenzen hinweg ein<br />

beeindruckendes Zeugnis für Demokratie<br />

und Freiheit. Vor dem Hintergrund dieser<br />

Vergangenheit neigen nicht ganz wenige<br />

Sozialdemokraten dazu, die Diskussion um<br />

die Enthüllungen über den ersten Ministerpräsidenten<br />

<strong>Niedersachsen</strong>s, Hinrich Wilhelm<br />

Kopf, möglichst tief zu hängen. Sie<br />

sollten eigentlich wissen, dass man vor der<br />

Geschichte nicht davonlaufen kann, und<br />

zwar gerade dann nicht, wenn deren Erkenntnisse<br />

schmerzhaft sind.<br />

Hinrich Wilhelm Kopf, ein niedersächsisches<br />

Idol, ist von einer jungen Doktorandin<br />

aus Göttingen vom Sockel gestürzt<br />

worden, und Ministerpräsident Stephan<br />

Weil sah sich veranlasst zu erklären, dass<br />

Kopf gelogen hat. Nach allem was bisher<br />

bekannt geworden ist, hat er insbesondere<br />

zu Lasten von Juden mehr getan, als die Nationalsozialisten<br />

von ihm erwartet haben,<br />

persönliche Bereicherung eingeschlossen.<br />

Auch wenn man davon absieht, dass SPD<br />

und Grüne in der Vergangenheit in ähnlichen<br />

Fällen über andere immer außerordentlich<br />

stringent geurteilt haben, was<br />

im Kern nicht zu beanstanden ist, steht die<br />

Frage nach den Konsequenzen im Raum,<br />

und diese kann nicht ausgesessen, sondern<br />

sie muss beantwortet werden. Das<br />

sind wir weniger der Vergangenheit, sondern<br />

vielmehr unserer Zukunft schuldig.<br />

Denn die Frage, wie wir mit einem solchen<br />

Problem umgehen, wird zugleich auch ei-<br />

ne Antwort darauf sein, welche geistige<br />

Tiefenschärfe die demokratischen Strukturen<br />

im heutigen Deutschland besitzen.<br />

Dabei sollten gerade in der sogenannten<br />

Wahlkampfzeit die Zeigefinger unserer politischen<br />

Protagonisten untätig bleiben,<br />

denn es gibt nur wenig Unschuldige. Aus<br />

fast allen politischen Lagern hatte die NS-<br />

DAP Zulauf, und den tatsächlich Unschuldigen<br />

von heute ist vor allem ihr Geburtsdatum<br />

hilfreich.<br />

In den USA werden Straßen durch Ziffern<br />

und in Europa fast durchgängig durch<br />

Namen bezeichnet. Das hat seinen guten<br />

Grund, denn sie sollen uns an bedeutende<br />

Ereignisse und an verdiente Persönlichkeiten<br />

erinnern. Vor allem aber sollen sie<br />

den Lebenden als Vorbilder dienen. Die Frage,<br />

ob Hinrich Wilhelm Kopf vor dem Hintergrund<br />

dieser Enthüllungen auch künftig<br />

noch Vorbild gerade für die junge Generation<br />

sein kann, muss deshalb leider<br />

mit »nein« beantwortet werden. Da helfen<br />

auch alle unbestrittenen Verdienste nicht,<br />

denn zu welchem Kurs sollten diese mit<br />

dem Blick auf sein Versagen auf- und gegengerechnet<br />

werden? Und wenn wir sie<br />

bei ihm aufrechnen, warum nicht auch bei<br />

anderen? Natürlich ist das Durchwurschteln<br />

auf den ersten Blick bequemer; man<br />

braucht nichts zu ändern und sich nicht<br />

über neue Namen zu streiten. Aber ist es<br />

das, was die unselige Vergangenheit als<br />

Konsequenz von uns abfordert? Es hilft<br />

nichts: Nachsicht ist ein essentieller Bestandteil<br />

des demokratischen Umgangs<br />

miteinander, aber wo sollten ihre Grenzen<br />

markiert werden, wenn nicht in der Zeit<br />

zwischen 1933 und 1945?<br />

Der Hinweis, dass man im Falle einer<br />

Namensänderung im Zusammenhang mit<br />

Hinrich Wilhelm Kopf noch viele andere<br />

Straßennamen ändern müsse, ist inakzeptabel,<br />

denn er setzt die deutsche Geschichte<br />

im Allgemeinen mit der Geschichte des Nationalsozialismus<br />

gleich. Allein aber der Holocaust<br />

verbietet einen solchen Vergleich.<br />

Das, was in den zwölf Jahren des tausendjährigen<br />

Reiches an Unrecht und Grauen<br />

verübt wurde, ist singulär und deshalb mit<br />

nichts vergleichbar. Ja, das Problem ist unbequem,<br />

ja, wir müssen wieder über Zeiten<br />

reden, an die sich viele Deutsche ungern<br />

erinnern, ja, wir lassen uns als <strong>Niedersachsen</strong><br />

ungern einen bedeutenden Mann<br />

DIES & DAS<br />

»rauben«, den wir über alle Parteischattierungen<br />

hinweg bisher geschätzt und völlig<br />

anders beurteilt haben. Es hilft aber nichts,<br />

denn die Demokratie ist keine Wellnessveranstaltung.<br />

Es kann auch schon einmal eiskalt<br />

und ungemütlich werden. Wir müssen<br />

da durch und zwar mit Würde und Anstand.<br />

(Unser Gastkommentator war von 2003<br />

bis 2008 Präsident des Niedersächsischen<br />

Landtags)<br />

_JÜRGEN GANSÄUER<br />

BUNDESTAGSWAHL<br />

ZWISCHEN GEWISSHEIT<br />

UND FRAGEZEICHEN<br />

RUNDBLICK, 1.7.2013<br />

Alle Meinungsumfragen zeigen ein<br />

fast erschreckend konstantes Bild:<br />

Die Union hat eine Spitzenposi tion,<br />

die sich recht stark verfestigt hat. Die Sozialdemokraten<br />

sind in einem Abwärtstrend,<br />

der darauf aus zu sein scheint, den Nachweis<br />

zu führen, dass Peer Steinbrück der<br />

falsche Kandidat für seine Partei ist, die<br />

nicht die Seine zu sein scheint. Was der<br />

SPD fehlt, können die Grünen nicht wettmachen.<br />

Die Freien Demokraten sind auf<br />

dem Weg zur Erholung, was zusammen<br />

mit der Union für eine Mehrheit reichen<br />

könnte. Die Linke hat ihre Stabilität vor allem<br />

mit Hilfe der ostdeutschen Wähler. Ihr<br />

Programm schließt es aus, sie als Partner<br />

für ein Linksbündnis betrachten zu können.<br />

Aber längst ist nicht aller Tage Abend.<br />

Viele wissen nicht, ob sie wählen gehen<br />

und wen sie wählen sollten. Nicht absehbar<br />

in ihren Wirkungen auf die Wählerschaft<br />

sind Ereignisse, die noch bevorstehen<br />

könnten. Zur einzigen Konstanten, die<br />

einigermaßen gesichert ist, ist die Erkenntnis<br />

geworden, dass der Wahlkampf Peer<br />

Steinbrück zunehmend zu einer eher tragischen<br />

Figur macht, die sich nicht lösen<br />

kann aus der Summe der Urteile und Vorurteile,<br />

die sich geradezu klettenhaft an ihm<br />

festgemacht haben. Wenn Sigmar Gabriel<br />

geglaubt hat, ihm den Vortritt lassen zu<br />

sollen, weil er die Zeit für sich noch nicht<br />

gekommen gesehen hat, dann kann auch<br />

diese Rechnung zum Fehler werden; ein<br />

Misserfolg Steinbrücks könnte zum Menetekel<br />

für den Parteivorsitzenden werden.<br />

Schon jetzt erleidet er dadurch Schaden,<br />

dass er Steinbrück eher zusätzlich Abbruch<br />

ZKN MITTEILUNGEN 8 | 2013 · 445

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