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Vom Redner. De Oratore

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hervorragendes und blühendes Glück aber der Gegenstand des Neides zu sein pflegt, so<br />

muß man überhaupt sich eifrig bemühen, diese Meinung hiervon den Leuten auszureden<br />

und zu zeigen, daß jenes dem Schein nach so glänzende Glück durch Mühseligkeiten und<br />

Kümmernisse verbittert werde. 211. Das Mitleid ferner wird erregt, wenn der Zuhörer in die<br />

Gemütsstimmung versetzt werden kann, daß er das Traurige, was an einem andern<br />

beklagt wird, nach den eigenen bitteren Schicksalen, die er entweder erduldet hat oder<br />

befürchtet, bemißt oder bei der Betrachtung eines andern häufig auf sich selbst<br />

zurückblickt. So wie nun alle Zufälle des menschlichen Elendes schmerzlich empfunden<br />

werden, wenn man sie mit teilnehmender Rührung schildert, so ist es besonders die<br />

mißhandelte und mit Füßen getretene Tugend, die tiefe Betrübnis hervorruft; und so wie<br />

die eine Art der Beredsamkeit, die den Charakter eines Menschen durch die Empfehlung<br />

seiner Rechtschaffenheit in einem vorteilhaften Licht zeigen soll, einen sanften und<br />

gelassenen Vortrag, wie ich schon oft bemerkte, erfordert, so muß die andere, deren sich<br />

der <strong>Redner</strong> bedient, um die Gemüter umzustimmen und auf jede Weise zu lenken, mit<br />

gespannter Kraft und mit Feuer vorgetragen werden.<br />

LIII. 212. Aber zwischen diesen beiden Arten, von denen wir die eine sanft, die andere<br />

feurig wissen wollen, findet eine gewisse, schwer zu unterscheidende Ähnlichkeit statt.<br />

<strong>De</strong>nn so wie von jener Sanftheit, durch die wir uns bei den Zuhörern beliebt machen,<br />

etwas in diesen leidenschaftlichen Nachdruck, durch den wir sie erregen, einfließen muß,<br />

so müssen wir hingegen von diesem Nachdruck zuweilen etwas Belebendes in jene<br />

Sanftheit hineinbringen, und keine Rede hat eine bessere Mischung als die, in der die<br />

Rauheit des leidenschaftlichen Vortrags durch die Freundlichkeit des <strong>Redner</strong>s selbst<br />

gemildert und die Schlaffheit der Sanftmut durch Ernst und Nachdruck gekräftigt wird. 213.<br />

Bei beiden Arten des Vortrags aber, sowohl bei jener, in der Kraft und Nachdruck<br />

erforderlich ist, als auch bei dieser, deren man sich bei der Schilderung des Lebens und<br />

Charakters bedient 366 , müssen die Eingänge langsam sein, aber auch die Ausgänge sich<br />

Zeit nehmen 367 und gedehnt sein. Man darf nämlich weder sogleich zu jener Art des<br />

Vortrags überspringen – denn sie geht ganz von dem Streitpunkt ab, und die Menschen<br />

wünschen zuerst den eigentlichen Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung zu<br />

366Siehe Kap. 52, 211.<br />

367spissi. Vgl. Cicero, Briefe an Atticus X 18, 2: Sed hoc quoque timide scribo; ita omnia tarda et spissa. –<br />

Plautus, Poenulus III 1, 3: hos duco homines spissigradissimos, tardiores, quam corbitae sunt in<br />

tranquillo mari.<br />

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