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Neue Szene Augsburg 2014-03

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Zoom 37<br />

Name: Malin Lilienthal<br />

Alter: 19<br />

Studentin<br />

Name: Maximilian Rauh<br />

Alter: 20<br />

Student (Soziologie)<br />

Was ist heute in deinen Augen spießig?<br />

Das, was seit dem Biedermeier als solches gilt:<br />

überkorrekte Gesetzeskonformität, striktes Einhalten<br />

sozialer Regeln und Normen. Man fügt sich in die<br />

Gesellschaft widerstandslos ein und ist Spielball<br />

der Konsensdiktatur in Sachen Meinung, Habitus<br />

und Kultur. Man arbeitet in einem gesellschaftlich<br />

akzeptierten Job, verhält sich gesellschaftlich akzeptiert,<br />

verurteilt gesellschaftlich nicht akzeptiertes<br />

Verhalten. Skateboarden stört Menschen, ausfallende<br />

Kleidung ist eine Zumutung und Radikalismus das<br />

Gegenteil von guten Manieren.<br />

Würdest du dich selbst als spießig bezeichnen?<br />

Ja, ich bin Teil der Schafsmenge. Ich würde meinen,<br />

ab und zu Ausflüge ins Rabaukentum zu unternehmen<br />

– aber ich will, was ich wollen soll, wie alle<br />

anderen auch. Auf einer Spießigkeitsskala von 1 bis<br />

10 erreich ich wohl schon eine 5.<br />

Hat sich das gesellschaftliche Bild des Spießers<br />

in den letzten Jahren verändert?<br />

Nein, außer der Akzeptanz. Spießer ist heute wieder<br />

sexy geworden. Der reiche Bankier mit BMW ist<br />

attraktiver als der Surfer mit langen Haaren, Fuck-<br />

You-Attitüde und ohne Job. In den 70ern war Zweiter<br />

jedoch quasi Sexsymbol. Jim Morrison von The Doors<br />

würde man heute als jämmerlich abstrafen.<br />

Was ist heute in deinen Augen spießig?<br />

Bausparverträge, Reihenhaus, tägliches Rasensprengen,<br />

Schrebergarten, Nichtraucherhaltestellen,<br />

Homophobie, wenn der Nagellack zu den Schuhen<br />

passt und natürlich das Patriarchat.<br />

Würdest du dich selbst als spießig bezeichnen?<br />

Ganz sicher nicht.<br />

Hat sich das gesellschaftliche Bild des Spießers<br />

in den letzten Jahren verändert?<br />

Früher galt man als Spießer, wenn man Rücklagen,<br />

Aktien und ein nettes Haus am Stadtrand mit Garten<br />

besaß und zu gleichen Teilen sparsam und geizig<br />

war. Heute hat fast jeder ein Bedürfnis, sich selbst<br />

abzusichern, weswegen man kaum noch als spießig,<br />

sondern eher als zukunftsorientiert bezeichnet wird.<br />

Ich glaube generell, dass meine Generation das<br />

Spießertum auf ein neues Level bringen wird. Eine<br />

neue Biedermeierzeit bricht an. Die Menschen fühlen<br />

sich erdrückt von der Globalisierung, als Ausgleich<br />

ziehen sie sich immer weite ins Private zurück und<br />

konzentrieren sich auf das persönliche Glück.<br />

Was hältst du von Polygamie?<br />

In der Liebe gibt es kein Richtig und kein Falsch.<br />

Viele glauben, dass nichts ewig hält, daher ist es nur<br />

logisch, sich „zu öffnen“ und eine Art Gemeinschaft<br />

zu bilden, in der keine Langeweile entsteht. Doch<br />

wie so oft sind Theorie und Praxis zwei Paar Schuhe.<br />

Eine funktionierende polygame Beziehung wird die<br />

Ausnahme und Monogamie immer die Regel bleiben.<br />

Optimal wäre natürlich eine Gesellschaft, in der jeder<br />

bisexuell wäre, aber das ist ein anderes Thema….<br />

Abgesehen davon entsteht Langweile im Kopf und<br />

nicht im Bett.<br />

Name: Anil Aslan<br />

Alter: 21<br />

Student (Maschinenbau)<br />

Was ist heute in deinen Augen spießig?<br />

Spießer sind meiner Ansicht nach Leute, die bei gesellschaftlichen<br />

Fragen nicht bereit sind, über deren<br />

Tellerrand zu blicken und auf ihren oft altmodischen<br />

Meinungen beharren. Die Akzeptanz und die Konformität<br />

ihres konservativen Lebensstils hindert sie an<br />

Veränderung und der Auseinandersetzung mit sich<br />

selbst. Auch Intoleranz ist meiner Meinung nach ein<br />

Zeichen für Spießigkeit. Bestes Erkennungsmerkmal:<br />

Gartenzwerg im Vorgarten.<br />

Würdest du dich selbst als spießig bezeichnen?<br />

Es gibt viele, die mich als spießig bezeichnen. Ich<br />

selber würde es aber nicht behaupten.<br />

Hat sich das gesellschaftliche Bild des Spießers<br />

in den letzten Jahren verändert?<br />

Nein nicht wirklich. Der inhaltliche Kern ist derselbe,<br />

aber ich denke, dass das Spießertum bei Weitem<br />

nicht mehr so negativ bewertet wird.<br />

Was hältst du von Polygamie?<br />

Ich persönlich finde Monogamie keinesfalls falsch. Es<br />

ist schön, sich mit einer Person zu binden und auch<br />

die Intimität nur auf diese einzuschränken. Daher<br />

denke ich, dass diese Frage nur subjektiv beantwortet<br />

werden kann. Trotzdem behaupte ich, es ist<br />

falsch, über Menschen, die polygam leben, negativ<br />

zu urteilen. Ich persönlich kenne einige Leute, die<br />

diesen Beziehungsstil ausleben und es funktioniert<br />

oft gut. Dennoch möchte ich betonen, dass ich nicht<br />

der Mensch für eine solche Beziehung wäre.<br />

Was hältst du von Polygamie?<br />

Monogamie ist salonfähig, Polygamie nicht. Den<br />

Erfolg der Monogamie an der sexuellen Lustsensation<br />

zu fixieren, ist gar beziehungsverachtend.<br />

Ich finde, dass Romantik ein dehnbarer Begriff ist.<br />

Polygamie geht in Ordnung, solange man sie „richtig“<br />

macht. Richtig wäre, Romantik im hohen Maße<br />

zu investieren, und zwar so viel, dass jeder ein Stück<br />

abbekommt. Monogamie ist deswegen interessanter,<br />

weil sie ja unserem Paarungsdrang widerspricht.<br />

Romantischer Anspruch jedoch ist es, diesen Trieb zu<br />

unterdrücken und die stumpfe Naturgewalt in uns zu<br />

besiegen. Das ist ein wunderbarer Gedanke. „Freie<br />

Liebe“ ist für mich Ausfließen der Triebe, Fokus auf<br />

einen Partner hingegen Disziplin. Das hat nichts mit<br />

Spießer oder Nichtspießer zu tun, auch Rockstars<br />

hatten Groupies, verloren aber ihr Herz immer mal an<br />

eine Dame, die besser war als alle anderen.<br />

Vielleicht wollen wir monogam leben, weil sich Liebe eben doch nicht aufteilen<br />

lässt. Und vielleicht wollen wir einfach nach Schweden, weil es dort<br />

schön ist und ich mich nicht am Ballermann mit tausend anderen Deutschen<br />

krankenhausreif trinken will. Und vielleicht fahren wir einfach Passat, weil<br />

es ein gutes und preiswertes Auto ist. Manchmal sind wir eben schnell zu<br />

begeistern. Vielleicht weil wir alle so spießig sind? (mw)

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