Strafprozessordnung (StPO) - Kölner Anwaltverein
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Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 1<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
<strong>Strafprozessordnung</strong> (<strong>StPO</strong>)<br />
§ 37 <strong>StPO</strong>, §§ 182, 418 ZPO<br />
Beweiskraft der Zustellungsurkunde<br />
SenE v. 01.03.2006 - 83 Ss-OWi 70/05 -<br />
Der Senat verbleibt bei seiner schon mit Verfügung vom 23. Januar 2006 gegenüber dem<br />
Verteidiger geäußerten Rechtsansicht, dass vorliegend § 177 ZPO einschlägig ist, wonach<br />
die Zustellung an jedem Ort erfolgen kann, an dem die Person, der zugestellt werden<br />
soll, angetroffen wird.<br />
Die Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG vom 3. Dezember 2003, die gem. §§<br />
418, 182 Abs. 1 S. 2 ZPO die Beweiskraft öffentlicher Urkunden hat, erbringt Beweis dafür,<br />
dass der Bußgeldbescheid dem Betroffenen durch persönliche Übergabe zugestellt<br />
worden ist. Dieser Beweis wird auch nicht durch die Argumentation aus dem Schriftsatz<br />
der Verteidigung vom 15. Februar 2006 entkräftet. Die Zustellungsurkunde, die als<br />
Adressaten „Herrn Dieter Z.“ persönlich (c/o Firma S... B...) ausweist, benennt als Zustellungsart<br />
in Zeile 3 und Zeile 5.1 die persönliche Übergabe unter der (Zeile 4.1) Zustellanschrift<br />
der Firma. Das Vorbringen, eine persönliche Übergabe an den Beschwerdeführer<br />
habe zu keiner Zeit stattgefunden, vermag die Beweiskraft der Zustellungsurkunde nicht<br />
zu entkräften. Selbst wenn es sich bei der Firma S... B... um eine GmbH und bei dem<br />
Betroffenen um deren Mit-Gesellschafter handelt, zu dessen Aufgaben „regelmäßig“ nicht<br />
die Entgegennahme der Tagespost gehört (wobei das weitere Vorbringen zu einer Quittierung<br />
eingehender Einschreiben ohnehin nicht einschlägig ist), so schließt dies doch<br />
nicht aus, dass einmal, und sei es auch zufällig, der Betroffene in den Eingangsräumen<br />
von dem Postzusteller persönlich angetroffen wurde und dabei die Übergabe der zuzustellenden<br />
Sendung an ihn erfolgt ist. Das Vorbringen der ansonsten üblichen Abläufe<br />
erschüttert daher die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde nicht. Die Spekulationen,<br />
dass die Postbediensteten üblicherweise „die erste Variante“ ankreuzen, liegen neben der<br />
Sache, dies insbesondere deswegen, weil schon im Adressatenfeld der Zustellungsurkunde<br />
nicht etwa die Firma S... B..., sondern eben Herr Dieter Z. persönlich als der Zustellungsadressat<br />
benannt ist.<br />
Die unter dem 15. Februar 2006 angekündigte Glaubhaftmachung durch eidesstattliche<br />
Versicherung des Bürovorstehers ist nicht eingegangen. Sie hätte aber der Rechtsbeschwerde<br />
ebenso wenig zum Erfolg zu helfen vermocht wie die benannten Zeuginnen,<br />
weil die übliche Vorgehensweise bei Zustellungen in der Firma S... B... nichts darüber<br />
besagt, dass nicht doch am 3. Dezember 2003 eine Übergabe an den Betroffenen persönlich<br />
erfolgt ist; eine solche Einzelfallgestaltung, wie beurkundet, wird durch den Regelgeschäftsablauf<br />
nicht ausgeschlossen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 2<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
§ 45 <strong>StPO</strong><br />
Begründung des Wiedereinsetzungsantrags<br />
SenE v. 14.03.2006 - 82 Ss 20/06 -<br />
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unzulässig, weil ihm<br />
nicht entnommen werden kann, dass die einwöchige Frist zur Antragstellung gemäß § 45<br />
Abs. 1 S. 1 <strong>StPO</strong> gewahrt worden ist.<br />
Das Wiedereinsetzungsgesuch bedarf gemäß § 45 Abs. 2 <strong>StPO</strong> der Begründung. Seine<br />
Zulässigkeit ist davon abhängig, dass alle Tatsachen, die für die Entscheidung über seine<br />
Zulässigkeit und Begründetheit von Bedeutung sind, innerhalb der Antragsfrist dargelegt<br />
werden (SenE v. 14.03.2000 - Ss 10/00 = VRS 99, 270; SenE v. 07.08.2001 – Ss 325/01<br />
= StraFo 2001, 386 = VRS 101, 286; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47. Aufl., § 45 Rdnr. 5). Es<br />
sind demnach nicht nur Angaben über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund,<br />
sondern auch über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses erforderlich, so dass die<br />
Einhaltung der Antragsfrist dargetan ist (BGH NStZ 1991, 295; SenE v. 07.08.2001 – Ss<br />
325/01 - = StraFo 2001, 386 = VRS 101, 286). Dies gilt auch, wenn der Verteidiger eigenes<br />
Verschulden darlegt (Meyer-Goßner a.a.O.). Diese Angaben sind Zulässigkeitsvoraussetzung<br />
für den Antrag und innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 <strong>StPO</strong> geltend<br />
zu machen (SenE a.a.O.; Meyer-Goßner a.a.O.). Nach Ablauf der Wochenfrist können<br />
die Angaben zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses nicht mehr nachgeholt<br />
werden (SenE a.a.O.). Die Wochenfrist beginnt mit der Beseitigung des Hindernisses, z.<br />
B. der Unkenntnis, auf der die Fristversäumung beruht. Maßgebend ist die Kenntnis des<br />
Angeklagten selbst (SenE v. 26.04.2005 – 8 Ss 33/05; Meyer-Goßner a. a. O., § 45 Rn. 3<br />
m. w. N.).<br />
Dem Vorbringen des Angeklagten kann die Wahrung der Antragsfrist nicht entnommen<br />
werden.<br />
Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der<br />
Revisionsbegründungsfrist am 23.12.2005 bei Gericht eingegangen ist, wäre er nur dann<br />
rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist gestellt worden, wenn der Angeklagte nicht schon<br />
vor dem 16.12.2005 von der Versäumung der Frist des § 345 Abs. 1 <strong>StPO</strong> Kenntnis erlangt<br />
hätte. Denn ab dem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte davon erfuhr, dass die Revision<br />
noch nicht begründet worden war, war er in der Lage und auch gehalten, innerhalb<br />
einer Woche um Wiedereinsetzung gegen die Fristversäumung nachzusuchen.<br />
Ob und ggf. wann und wodurch der Angeklagte von der unterbliebenen Revisionsbegründung<br />
Kenntnis erlangt hat, lässt sich dem Vorbringen indes nicht entnehmen.<br />
Es kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass dem Angeklagten<br />
die Versäumung der Begründungsfristfrist nicht schon vor dem 16.12.2005 bekannt geworden<br />
ist. Zum einen hatte Rechtsanwalt Hofmann für ihn Anfang des Monats September<br />
2005, als die angegebene Revisionsbegründung bereits abgegeben worden sein soll,<br />
Akteneinsicht und hätte das Fehlen der Begründung dem Angeklagten mitteilen können,<br />
zum anderen ist dem Angeklagten jedenfalls der die Revision verwerfende Beschluss des<br />
Landgerichts vom 08.12.2005, aus der sich das Fehlen der Revisionsbegründung ergibt,<br />
am 15.12.2005 zugestellt worden.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 3<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
§ 140 <strong>StPO</strong><br />
Schwere der Tat; Bewährungswiderruf in anderer Sache<br />
SenE v. 20.01.2006 - 81 Ss 4/06 -<br />
Das zulässige Rechtsmittel erweist sich als begründet.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 11. Januar 2006<br />
ausgeführt:<br />
„Die gemäß § 335 Abs. 1 <strong>StPO</strong> zulässige Sprungrevision hat insofern vorläufigen<br />
Erfolg, als sie gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 <strong>StPO</strong> zur Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts<br />
führt.<br />
Die formelle Rüge der §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 <strong>StPO</strong> entspricht den Formerfordernissen<br />
des § 344 Abs. 2 <strong>StPO</strong> und ist daher zulässig. Nach dieser Vorschrift<br />
müssen bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß<br />
enthaltenen Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht auf<br />
Grund dieser Darlegung das Vorhandensein – oder Fehlen – eines Verfahrensmangels<br />
feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder<br />
bewiesen werden (KK-Kuckein, <strong>StPO</strong>, 5. Aufl. § 344 Rn. 38).<br />
Die Revision hat neben der Rechtsfolgenentscheidung des vorgenannten Urteils<br />
mitgeteilt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in drei namentlich<br />
benannten Verfahren unter Bewährung stand und wegen der erneuten<br />
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung<br />
ausgesetzt worden ist, nunmehr in diesen drei Verfahren der Bewährungswiderruf<br />
und in der Folge zusätzlich die Vollstreckung von zweimal drei und einmal<br />
fünf Monaten Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Die Abwesenheit des Verteidigers ergibt<br />
sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, das insoweit gemäß § 274 Satz 1<br />
<strong>StPO</strong> negative Beweiskraft besitzt.<br />
Die Rüge ist auch begründet. Da zur Beurteilung der Schwere der Tat im Sinne<br />
des § 140 Abs. 2 <strong>StPO</strong> auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte<br />
infolge seiner Verurteilung hinzunehmen hat, zu berücksichtigen sind (vgl.<br />
Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 48. Auflage, § 140 Rn. 25 m. w. N.), kann im Einzelfall auch<br />
bei Verurteilung zu einer ein Jahr unterschreitenden Freiheitsstrafe Anlass zur<br />
Beiordnung eines Verteidigers bestanden haben. Hängt – wie im vorliegenden Fall<br />
– voraussichtlich der Widerruf mehrerer Strafaussetzungen zur Bewährung wegen<br />
erneuter Straffälligkeit davon ab, ob die neuerlich zu verhängende Freiheitsstrafe<br />
zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht, liegt ein Fall notwendiger Verteidigung<br />
vor, auch wenn die neue Freiheitsstrafe nur fünf Monate beträgt (zu vgl. SenE,<br />
StV 1993, 402)“.<br />
Dem tritt der Senat unter ergänzender Verweisung auf seine ständige entsprechende<br />
Rechtsprechung bei (vgl. auch Senat StrafFo 2000, 20, 21). Auch die Rechtsprechung<br />
des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Köln ist gleichlautend (vgl. Beschl. v.<br />
29.10.1996, 2 Ws 587/96).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 4<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
§ 267 <strong>StPO</strong><br />
Urteilsgründe; Konkretisierung der abgeurteilten Taten<br />
SenE v. 21.03.2006 - 81 Ss 21/06 -<br />
Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:<br />
„In der Zeit von November 2004 bis zum 11.03.2005 verkaufte der Angeklagte in mindestens<br />
21 Fällen Marihuana im Werte von jeweils 10,00 € an die gesondert verfolgten M Ay<br />
und C Ak, wobei er an letztere in vier Fällen gleichzeitig auch Amphetamin verkaufte. Am<br />
11.03.2005 war der Angeklagte zudem in seiner Wohnung in Köln im Besitz von netto<br />
16,215 Gramm Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von 16,5 % THC = 2,67 Gramm.<br />
Diese Feststellungen beruhen auf dem Geständnis des Angeklagten und dem in der<br />
Hauptverhandlung verlesenen Untersuchungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin der<br />
Universität Köln vom 24.11.2005.“<br />
Zum Schuldspruch heißt es:<br />
„Entsprechend diesen Feststellungen ist der Angeklagte mit dem angefochtenen Urteil zu<br />
Recht wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in 21 Fällen gemäß §§ 29<br />
Abs. 1 Nr. 1 BtMG, 53 StGB verurteilt worden.“<br />
Diese Art der Sachdarstellung entspricht nicht mehr den Anforderungen an eine vom Revisionsgericht<br />
überprüfbare Urteilsbegründung. Wie sich auch aus § 267 Abs. 1 <strong>StPO</strong><br />
ergibt, müssen die schriftlichen Urteilsgründe eine in sich geschlossene Darstellung der<br />
äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazu gehörenden inneren Tatsachen<br />
geben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden (vgl.<br />
BGHR <strong>StPO</strong> § 267 Abs. 1 Nr. 1 Sachdarstellung 2, 3, 4; BGH, Urteil vom 12. November<br />
1991 - 5 StR 404/91; Hürxthal, in: Karlsruher Kommentar, <strong>StPO</strong>, 5. Aufl., § 267 Rdnr. 8<br />
m.w.N.). Die Urteilsdarstellung muss insbesondere so eingehend sein, dass dem Revisionsgericht<br />
die Prüfung möglich ist, ob der tatsächliche Geschehensablauf einwandfrei<br />
festgestellt ist und die rechtliche Würdigung des Tatrichters von dem tatsächlichen Geschehensablauf<br />
getragen wird.<br />
Demgemäß ist eine Verurteilung nur zulässig, wenn das strafbare Verhalten des Angeklagten<br />
so konkret bezeichnet wird, dass erkennbar ist, welche bestimmten Taten von der<br />
Verurteilung erfasst werden (vgl. BGH NStZ 1986, 275; BGHR <strong>StPO</strong> § 267 Abs. 1 S 1<br />
Mindestfeststellungen 1 = StV 1991, 245). Die Taten müssen sich von anderen gleichartigen,<br />
die der Angeklagte begangen haben kann, genügend unterscheiden lassen. Sind die<br />
dafür erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte nicht zu ermitteln, dann darf eine Verurteilung<br />
insoweit nicht erfolgen. Anderenfalls bliebe der Umfang der Rechtskraft des Urteils<br />
zweifelhaft. Die Verurteilung wegen einer oder gar mehrerer Taten, die insgesamt nur<br />
vage umschrieben sind, ist insbesondere mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren.<br />
Bei unbestimmten Feststellungen zum Tatvorwurf besteht die Gefahr, dass der<br />
Richter für die Bestimmung des Schuldumfangs keine objektive Grundlage gewinnen<br />
konnte und sich von einer in ihren Grenzen unklaren Gesamtvorstellung leiten ließ. Je<br />
weniger konkrete Tatsachen über den Schuldvorwurf bekannt sind, desto fraglicher wird<br />
es, ob der Richter von der Tat im Sinne des § 261 <strong>StPO</strong> überhaupt überzeugt sein kann<br />
(vgl. BGHSt 10, 137 [139]; BGHR <strong>StPO</strong> § 267 Abs. 1 S 1 Mindestfeststellungen 1 = StV<br />
1991, 245; BGHR <strong>StPO</strong> § 267 Abs. 1 S 1 Mindestfeststellung 4).<br />
Demgegenüber lässt sich den Feststellungen des Landgerichts schon nicht entnehmen,<br />
welche der in der Anklage aufgeführten 46 Taten von der Verurteilung (und welche von
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 5<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
der Einstellung) umfasst sind und wie sich die abgeurteilten Taten hinsichtlich Anzahl und<br />
Tatzeit auf die beiden Abnehmerinnen verteilen. Auch kann von einer gleichartigen Begehensweise<br />
keine Rede sein, weil das Handeltreiben mit verschiedenen Abnehmerinnen<br />
erfolgt und zudem, wie das Landgericht festgestellt hat, an eine der beiden auch gleichzeitig<br />
in vier Fällen Amphetamin verkauft worden ist. Schließlich ist die Angabe der genauen<br />
Tatzeiten hier auch deshalb unentbehrlich, weil die Frage einer Gesamtstrafenbildung<br />
im Raum steht (vgl. SenE v. 03.01.2003 – Ss 536/02; Sene v. 15. 6. 2001 – Ss<br />
206/01). Ausweislich der Urteilsgründe hat das Amtsgericht Köln nämlich am 02.12.2004<br />
einen Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Fahren ohne Versicherungsschutz<br />
und Urkundenfälschung (Tatzeit: 25.03.2004) erlassen, so dass gemäß<br />
§ 55 StGB mit einem Teil der hier abgeurteilten Taten möglicherweise eine Gesamtstrafe<br />
zu bilden wäre, da die Verurteilung vom 27.10.2004 eine Tat zum Gegenstand hatte, die<br />
vor der Verurteilung vom 14.01.2004 begangen wurde.<br />
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine neue tatrichterliche Verhandlung zu<br />
Feststellungen führen wird, die eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch des<br />
Amtsgerichts wegen unerlaubten Handeltreibens in 21 Fällen bilden würden. Soweit es<br />
den Umfang der Verfahrenseinstellung durch den Beschluss des Amtsgerichts vom<br />
26.10.2005 betrifft, könnte - im Wege des Freibewieses - zu klären sein, welche der in<br />
der Anklage bezeichneten Fälle von der weiteren Strafverfolgung ausgenommen werden<br />
sollten. Insoweit deuten schon die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils darauf hin, dass<br />
neben den dort erwähnten 20 Verkaufsfällen auch die - in der Sachverhaltsfeststellungen<br />
freilich nicht angesprochene - Tat vom 11.03.2005 (Fall 46 d. Anklage) als 21. Fall des<br />
Handeltreibens Gegenstand des Schuldspruchs sein sollte. Welche der angeklagten 20<br />
Verkaufsfälle an Ay und der 25 Verkaufsfälle an Ak ausgeschieden wurden, erschließt<br />
sich daraus allerdings auch nicht ansatzweise. Da der Angeklagte bislang geständig war<br />
und die Abnehmerinnen als Zeuginnen zur Verfügung stehen, ist zudem die Erwartung<br />
gerechtfertigt, dass auch im Strengbeweisverfahren hinreichend konkrete Feststellungen<br />
zu den Tatvorwürfen getroffen werden können.<br />
§ 329 <strong>StPO</strong><br />
Wiedereinsetzung nur aus neuen Gründen; Haft im Ausland<br />
SenE v. 14.03.2006 - 82 Ss 23/06 -<br />
1.<br />
Das gegen den Beschluss vom 02.12.2005 eingelegte Rechtsmittel ist gem. §§ 329 Abs.<br />
3, 46 Abs. 3, 300 <strong>StPO</strong> als sofortige Beschwerde zu behandeln. Es begegnet als solche<br />
auch hinsichtlich der Zulässigkeit im Übrigen keinen Bedenken, ist jedoch im Ergebnis<br />
nicht begründet.<br />
Die Wiedereinsetzung nach § 329 Abs. 3 <strong>StPO</strong> setzt voraus, dass zur Entschuldigung<br />
geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die dem Berufungsgericht<br />
nicht bekannt waren (vgl. Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 48 Aufl., § 329 Rn 42 m.w.N.). Das ist<br />
hier hinsichtlich der als Entschuldigungsgrund geltend gemachten Inhaftierung nicht der<br />
Fall, ihre Beurteilung war bereits Gegenstand des landgerichtlichen Urteils.<br />
Soweit der Angeklagte darüber hinaus geltend macht, er habe keine Kenntnis von der<br />
Ladung vom 16.09.2005 zum Hauptverhandlungstermin vom 26.10.2005 gehabt, ist nicht<br />
glaubhaft gemacht, dass er hiervon nicht auf andere Weise, etwa durch seinen Verteidiger,<br />
in Kenntnis gesetzt worden ist.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 6<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 <strong>StPO</strong>.<br />
2.<br />
Die Revision hat auf die in zulässiger Weise ausgeführte Verfahrensrüge insofern (vorläufigen)<br />
Erfolg, als sie gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 <strong>StPO</strong> zur Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts<br />
führt. Denn die Gründe des angefochtenen Urteils weisen nicht aus, dass es auf<br />
einer rechtsfehlerfreien Anwendung des § 329 Abs. 1 <strong>StPO</strong> beruht.<br />
Eine Verletzung der Norm des § 329 <strong>StPO</strong> kann sowohl dadurch begründet sein, dass<br />
das Gericht hinsichtlich des Entschuldigtseins des Angeklagten bekannte Umstände nicht<br />
oder rechtsfehlerhaft gewürdigt hat, als auch durch die pflichtwidrig versäumte Feststellung<br />
der tatsächlichen Grundlagen eines gegebenen Entschuldigungsgrundes. Gegenstand<br />
einer den Vorschriften des § 344 Abs. 2 Satz 2 <strong>StPO</strong> entsprechenden Verfahrensrüge<br />
(OLG Düsseldorf VRS 80, 465, 466; NStZ 1983, 513 Ls u. NStZ 1983, 270; vgl. a.<br />
OLG Saarbrücken NStZ 1991, 147 f.) kann demnach entweder die fehlerhafte Anwendung<br />
des § 329 Abs. 1 Satz 1 <strong>StPO</strong> durch Verkennung seines Regelungsgehalts, also<br />
durch einen Subsumtionsfehler, oder die unzureichende Aufklärung des entscheidungserheblichen<br />
Sachverhalts sein (SenE v. 25.06.1999 - Ss 255/99 - 1 Ws 15/99 = VRS 97,<br />
362 [364]; zu § 74 II OWiG: SenE v. 04.06.1999 - Ss 217/99 (B) - = NStZ-RR 1999, 337 =<br />
VRS 97, 370 [371]; SenE v. 14.03.2000 - Ss 10/00 - = VRS 99, 270 [276] = StraFo 2001,<br />
266 [269]; SenE v. 04.05.2001 - Ss 167/01 Z -; SenE v. 17.06.2005 - 8 Ss 78/05 -).<br />
Das Landgericht verneint eine genügende Entschuldigung für das Ausbleiben des Angeklagten<br />
in der Berufungshauptverhandlung wegen fehlender Angaben dazu, seit wann der<br />
Angeklagte sich in Haft befindet, wo er einsitzt und was ihm vorgeworfen wird; es lägen<br />
auch keine Unterlagen über die angebliche Inhaftierung vor. Die entsprechenden Formulierungen<br />
in dem angefochtenen Urteil lassen befürchten, dass das Landgericht verkannt<br />
hat, dass es im Rahmen des § 329 Abs. 1 <strong>StPO</strong> nicht entscheidend ist, ob ein Angeklagter<br />
sich entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (vgl. BGHSt 17, 391 =<br />
NJW 1962, 2020; OLG Düsseldorf StV 1987, 9; Senatsentscheidung VRS 75, 113, 116;<br />
SenE v. 04.06.1999 - Ss 217/99 (B) - = NStZ-RR 1999, 337 = VRS 97, 370 [371]; SenE v.<br />
13.10.2000 - Ss 410/00 -; SenE v. 03.04.2001 - Ss 92/01 -; SenE v. 11.01.2002 - Ss<br />
533/01 B - = DAR 2002, 180), und dass das Landgericht deshalb die erforderliche Aufklärung<br />
unterlassen hat. Der Angeklagte ist nicht zu einer Glaubhaftmachung oder gar zu<br />
einem Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet (Ruß, in Karlsruher<br />
Kommentar, <strong>StPO</strong>, 5. Aufl., § 329, Rdnr. 8; OLG Düsseldorf a.a.O.; KG VRS 108, 110<br />
[111]); er hat nur die Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht kennen kann, mitzuteilen<br />
und dem Gericht die Überprüfung zu ermöglichen (OLG Celle StV 1987, 192). Sind<br />
dem Gericht Tatsachen bekannt, die das Ausbleiben des Angeklagten als genügend entschuldigt<br />
erscheinen lassen können, so hat das Gericht solche Entschuldigungsgründe<br />
auf Grund seiner Aufklärungspflicht von Amts wegen nachzuprüfen (vgl. Senatsentscheidung,<br />
a.a.O.; KG a.a.O.) und im Wege des Freibeweises zu klären, ob das Vorbringen<br />
des Angeklagten zutrifft und damit das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung<br />
auf seinem Verschulden beruht. Bleibt dabei zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend<br />
entschuldigt ist, sind die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung nicht gegeben<br />
(KG a.a.O.).<br />
Die danach gebotene Aufklärung hätte hier etwa durch einen Anruf bei dem Verbindungsbeamten<br />
des BKA in Spanien (vgl. hierzu KG a.a.O.) oder, wie später geschehen,<br />
bei Eurojus (Bl. 275 d.A.) geschehen können. Gründe, die das Landgericht an derartigen
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 7<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Erkundigungen gehindert haben könnten oder keine Aussicht auf Erfolg versprachen,<br />
sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.<br />
Dieser Verpflichtung war das Landgericht auch nicht deshalb enthoben, weil der Angeklagte<br />
nach Auskunft seines Verteidigers in Spanien inhaftiert war, da eine Inhaftierung<br />
dem Angeklagten nicht von vornherein als Verschulden an der Säumnis angerechnet<br />
werden kann. Ob dies der Fall ist, wenn ein Angeklagter nach Erhalt der Terminsladung<br />
erneut eine Straftat begeht und deswegen im Ausland inhaftiert wird (so OLG Frankfurt<br />
NStZ-RR 1999, 144), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn ausweislich des<br />
dem Senat auf die Verfahrensrüge hin zugänglichen Akteninhalts befand sich der Angeklagte<br />
seit dem 16.08.2005 in Haft, während die Ladung zur Hauptverhandlung vom<br />
26.10.2005 ihm erst am 26.09.2005, also nach seiner Inhaftierung, durch Einwurf in den<br />
zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung (Bl. 241 R) zugestellt<br />
worden ist.<br />
§ 344 <strong>StPO</strong><br />
Anforderungen an die Erhebung der Sachrüge<br />
SenE v. 28.03.2005 - 82 Ss-OWi 11/06 -<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu<br />
verwerfen und hierzu ausgeführt:<br />
„Eine Sachrüge ist nicht erhoben. Diese setzt voraus, dass die Rechtsbeschwerde zweifelsfrei<br />
erkennbar auf die Verletzung sachlichen Rechts bei der Anwendung auf den festgestellten<br />
Sachverhalt gestützt wird (BGH NStZ 1991, 597; OLG Hamm DAR 2000, 83 =<br />
VRS 98, 146 [147]; OLG Hamm DAR 1999, 276 = VRS 97, 49). Grundlage der rechtlichen<br />
Überprüfung sind allein die Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Urteils;<br />
dem Beschwerdegericht ist es versagt, tatsächliche Feststellungen nachzuprüfen (SenE<br />
v. 12.03.2001 - Ss 73/01 Z - = VRS 100, 388 [390]). Eine Rechtsbeschwerde, die sich<br />
darin erschöpft, die getroffenen tatsächlichen Feststellungen anzugreifen, ist unzulässig.<br />
So verhält es sich indes im vorliegenden Fall. Den Ausführungen des Betroffenen ist zu<br />
entnehmen, dass nur die Beweiswürdigung und die Richtigkeit der tatsächlichen Urteilsfeststellungen<br />
beanstandet werden, weil sie auf unzureichender Beweiserhebung beruhen<br />
und daher falsch sein sollen. Sie erschöpfen sich in unzulässigen Angriffen auf die<br />
Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung.<br />
Materiellrechtliche Mängel werden dabei nicht aufgezeigt.<br />
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben.<br />
Soweit der Betroffene rügt, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt,<br />
handelte es sich seinen Ausführungen nach um einen solchen, den<br />
er in der Hauptverhandlung gestellt hatte, die dem ersten, von Senat aufgehobenen Urteil<br />
vorausgegangen war. Dass er diesen Beweisantrag in der neuen Hauptverhandlung erneut<br />
gestellt hat, wird nicht vorgetragen.<br />
Soweit hiermit eine Aufklärungsrüge verbunden sein könnte, weil das Gericht der ehemaligen<br />
Anregung nicht von Amts wegen nachgegangen ist, fehlt es an dem entsprechenden,<br />
gemäß § 344 Abs. 2 <strong>StPO</strong> erforderlichen Vortrag. Hierzu hätte es nämlich<br />
Ausführungen zu der Frage bedurft, woraus sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen,
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 8<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
dass der Betroffene trotz seines jetzigen diesbezüglichen Schweigens an seinem ehemals<br />
gestellten Beweisantrag festhalten will.“<br />
II.<br />
1.<br />
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen<br />
zulässig.<br />
Der vorgenannten Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft ist zwar zur Unzulässigkeit<br />
der erhobenen Verfahrensrügen beizutreten.<br />
Hingegen ist die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts in zulässiger Weise erhoben<br />
und die Rechtsbeschwerde mithin nicht insgesamt unzulässig.<br />
Zwar können Einzelausführungen zur Sachrüge die Revision insgesamt unzulässig machen,<br />
wenn sie ergeben, dass der Beschwerdeführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung<br />
beanstanden, sondern nur die Beweiswürdigung und die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen<br />
angreifen will (BGH NStZ 91, 597; BGHR <strong>StPO</strong> § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung<br />
2; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 48. Aufl., § 344 Rn. 19 unter Bezugnahme auch<br />
auf die – etwas anders gelagerte – Entscheidung BGHSt 25, 272, 275). Die zu solchen<br />
Fallgestaltungen ergangenen und teilweise auch von der Generalstaatsanwaltschaft angeführten<br />
Entscheidungen sind aber solche, in denen sich nach dem zugrunde liegenden<br />
Sachverhalt die Angriffe der Revisionsbegründung – wie auch hier – nicht nur gegen die<br />
Beweiswürdigung und das Beweisergebnis richten, sondern auch ansonsten eine ausdrückliche<br />
Rüge der Verletzung sachlichen Rechts vermissen lassen. Der Entscheidung<br />
BGH NStZ 91, 597 liegt ein Fall zugrunde, in dem nicht erkennbar ist, ob das Urteil wegen<br />
Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder Verletzung einer materiellen<br />
Rechtsnorm angegriffen wird. Die Entscheidung OLG Hamm DAR 00, 83 = VRS 98,146,<br />
147 ist darauf gestützt, dass neben den Angriffen allein gegen die Beweiswürdigung eine<br />
ausdrückliche Rüge der Verletzung sachlichen Rechts fehlt. In der Entscheidung OLG<br />
Hamm DAR 99, 276 = VRS 97, 49 wird in Übereinstimmung mit BGH Anw.Bl. 94, 92, 93<br />
mit der Formulierung „... noch rügt er ausdrücklich die Verletzung sachlichen Rechts“ auf<br />
den selben Aspekt abgestellt. Auch in BGHR <strong>StPO</strong> § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung<br />
2 wird die Verwerfung der Revision als unzulässig damit begründet, dass die den<br />
Inhalt der Sachrüge ausmachende schlüssige Behauptung, dass auf den im Urteil festgestellten<br />
Sachverhalt materielles Recht falsch angewendet worden sei, dem Vorbringen<br />
des Beschwerdeführers selbst bei großzügiger Auslegung auch nicht andeutungsweise<br />
zu entnehmen sei und es an einer ausdrücklichen oder schlüssigen Erklärung dazu mangele,<br />
ob die Verletzung sachlichen oder formellen Rechts gerügt werden soll.<br />
Vorliegend hingegen wird nicht nur einleitend die Verletzung (formellen und) materiellen<br />
Rechts gerügt. Vielmehr ist auch (S. 4 der Rechtsbeschwerdebegründung) räumlich getrennt<br />
von den Ausführungen zum Beweisergebnis und ungeachtet dieser Ausführungen<br />
die Sachrüge „allgemein erhoben“. Es wird somit die Verletzung sachlichen Rechts ausdrücklich<br />
gerügt. Damit liegt nicht eine Fallgestaltung derart vor, dass die unzulässigen<br />
Einzelausführungen zur Beweiswürdigung mit der materiellen Sachrüge untrennbar verknüpft<br />
sind (dazu OLG Düsseldorf NStZ 93, 99). Auf diese allgemein erhobene Sachrüge<br />
hin ist nicht nur der Schuldspruch, sondern auch der Rechtsfolgenausspruch (auch zum<br />
Fahrverbot) der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterzogen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 9<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
§ 356 a <strong>StPO</strong><br />
Gehörsrüge: Richterablehnung; Kostenentscheidung<br />
SenE v. 28.03.2006 - 85 Ss 1/06 -<br />
Der Senat hat mit Beschluss vom 14.03.2006 die Revision des Verurteilten gegen das<br />
Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom 23.09.2005 als unbegründet<br />
verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen<br />
Rechtsfehler zum Nachteil des Verurteilten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 <strong>StPO</strong>). Diese<br />
Entscheidung ist unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht A<br />
sowie der Richter am Oberlandesgericht B und C ergangen, wobei Richter B – der Geschäftsverteilung<br />
des Senats entsprechend – als (Urlaubs-)Vertreter des Richters am<br />
Oberlandesgericht D mitgewirkt hat.<br />
Gegen die Verwerfung der Revision hat der Verurteilte mit einem am 20.03.2006 durch<br />
Telefax beim Oberlandesgericht eingegangen Schriftsatz vom 19.03.2006 die „Gehörsrüge<br />
nach § 356 a <strong>StPO</strong>“ erhoben. Gleichzeitig hat er die Richter, die an dem Verwerfungsbeschluss<br />
beteiligt waren, wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.<br />
B.<br />
I.<br />
Der Befangenheitsantrag ist unzulässig.<br />
Der den Richter am Oberlandesgericht B betreffende Antrag ist schon deshalb unzulässig,<br />
weil dieser Richter infolge der Urlaubsrückkehr des Richters am Oberlandesgericht D<br />
am Verfahren nach § 356 a <strong>StPO</strong> nicht mitwirkt und ein Richter nachträglich - hier bezogen<br />
auf den Verwerfungsbeschluss – nicht abgelehnt werden kann (vgl. Meyer-Goßner,<br />
<strong>StPO</strong>, 48. Auflage, § 25 Rn. 10).<br />
Soweit sich das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht<br />
A und den Richter am Oberlandesgericht C richtet, gilt Folgendes:<br />
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob Ablehnungsgesuche, die nach Erlass eines Verwerfungsbeschlusses<br />
nach § 349 Abs. 2 <strong>StPO</strong> im Verfahren nach § 356 a <strong>StPO</strong> gestellt<br />
werden, als verspätet und damit als unzulässig nach § 26 a Abs. 1 Nr. 1 <strong>StPO</strong> anzusehen<br />
sind, wenn der (behauptete) Gehörsverstoß nicht festgestellt werden kann (BGH Beschluss<br />
vom 01.02.2005 – 4 StR 486/04; vgl. auch BGH NStZ-NStZ-RR 2001, 333)).<br />
Der Ablehnungsantrag des Verurteilten ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil in ihm entgegen<br />
§ 26 a Abs. 1 Nr. 2 <strong>StPO</strong> kein Grund zur Ablehnung angegeben ist.<br />
Eine völlig ungeeignete Begründung steht dabei rechtlich einer fehlenden Begründung<br />
gleich (BGHR <strong>StPO</strong> § 26 a Unzulässigkeit 2, 7; BGH NStZ-RR 1999, 311; BGH, Beschluss<br />
vom 01.02.2005 – 4 StR 486/04).<br />
So verhält es sich hier. Der Befangenheitsantrag wird maßgeblich darauf gestützt, die<br />
abgelehnten Richter seien nicht „volkslegitimiert“, hätten mit der Verwerfung der Revision<br />
„vermutlich“ eine „strafbare Irrationalentscheidung“ getroffen, hätten „irrational = begründungslos<br />
= verfassungswidrig“ entschieden. Dieses Vorbringen ist zur Begründung eines<br />
Ablehnungsgesuchs ersichtlich völlig ungeeignet. Es ist rational nicht nachvollziehbar und<br />
abwegig.<br />
Wegen der Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs bedurfte es nicht - nach § 26 Abs. 3<br />
<strong>StPO</strong> - der Abgabe dienstlicher Äußerungen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 10<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
II.<br />
Der Antrag nach § 356 a <strong>StPO</strong> ist unbegründet.<br />
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Der Senat hat bei seiner Entscheidung<br />
weder Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Verurteilte nicht<br />
gehört worden wäre, noch zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen.<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 <strong>StPO</strong> analog. Während das Verfahren<br />
auf Nachholen des rechtlichen Gehörs nach §§ 33a, 311a <strong>StPO</strong> a. F. noch kostenfrei<br />
gewesen war, hat sich die Rechtslage seit Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes<br />
vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220) geändert, das die Gehörsrüge zwar nicht als<br />
Rechtsmittel, aber als eigenständigen Rechtsbehelf (Begründung in BT-Drucksache<br />
15/3706 S. 13) ausgestaltet hat.<br />
Die Entscheidung, durch die ein Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs nach §§<br />
33 a, 311 a Abs. 1 S. 1, 356 a <strong>StPO</strong> in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen<br />
wird, löst im Strafverfahren den Gebührentatbestand Nr. 3900 in dem durch das Anhörungsrügengesetz<br />
(BGBl. 2004 I S. 3226) eingeführten Hauptabschnitt 9 zu Teil 3 des<br />
Kostenverzeichnisses (= Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) und damit eine Gebühr in Höhe<br />
von 50,00 Euro aus (so insgesamt SenE v. 10.10.2005 – 81 Ss-OWi 41/05 = VRS 109,<br />
346 = NStZ 2006, 181 = wistra 2006, 75 = StraFo 2005, 484 = DAR 2006, 32).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 11<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Strafgesetzbuch<br />
§ 240 StGB<br />
Nötigung im Straßenverkehr<br />
SenE v. 14.03.2006 - 83 Ss 6/06 -<br />
Zum Schuldspruch hat das Berufungsgericht Folgendes festgestellt:<br />
„Am 10.02.2004 gegen 8.45 Uhr befuhr der Zeuge Sch. ... mit einem Mercedes A 160 in<br />
Köln von der Straße am Duffesbach kommend in den Kreisverkehr Eifelplatz ein. Der<br />
Zeuge fuhr langsam, weil sich am Rande des Kreisverkehrs auf dem Fahrradstreifen<br />
Radfahrer befanden und der Zeuge nach rechts in die Eifelstraße einbiegen wollte. Bereits<br />
auf dem Eifelplatz kurz vor der Ausfahrt Eifelstraße fuhr der Angeklagte mit seinem<br />
PKW der Marke BMW 5er Reihe dicht auf das Fahrzeug des Zeugen Sch. auf und betätigte<br />
die Lichthupe sowie das Signalhorn. Der Zeuge Sch. bog – weiter langsam fahrend –<br />
in die Eifelstraße ein und beschleunigte sein Fahrzeug auf ca. 40 km/h bis 50 km/h. Der<br />
Angeklagte bog – weiter dicht hinter dem Fahrzeug des Zeugen Sch. fahrend – ebenfalls<br />
in die Eifelstraße ein. Bis zur Ampelanlage Kreuzung Eifelstraße/Eifelwall, mithin über<br />
eine Strecke von knapp 300 m fuhr der Angeklagte so dicht auf das Fahrzeug des Zeugen<br />
Sch. auf, dass dieser das Nummernschild sowie den Kühlergrill des Fahrzeugs des<br />
Angeklagten durch den Rückspiegel nicht mehr sehen konnte. Während der gesamten<br />
Strecke bis zur Kreuzung Eifelstraße/Eifelwall betätigte der Angeklagte permanent die<br />
Lichthupe und ein- bis zweimal auch das Signalhorn, um den Zeugen Sch. zu veranlassen,<br />
sein Fahrzeug auf die rechte Seite der breiten, aber nicht in Fahrspuren unterteilten<br />
Fahrbahn zu lenken. Trotz des dichten Auffahrens konnte der Zeuge Sch. das Betätigen<br />
der Lichthupe durch den Seitenspiegel wahrnehmen, weil der Angeklagte leicht nach links<br />
versetzt hinter ihm fuhr und mindestens dreimal versuchte, das Fahrzeug zu überholen.<br />
Dies war jedoch wegen des herrschenden Gegenverkehrs nicht möglich.<br />
Wegen auf der rechten Seite parkender Fahrzeuge konnte der Zeuge Sch. sein Fahrzeug<br />
nicht auf die rechte Seite lenken. Vielmehr beschleunigte der Zeuge sein Fahrzeug leicht,<br />
um sich von dem Angeklagten abzusetzen. Der Angeklagte fuhr aber weiterhin in der<br />
beschriebenen Weise dicht auf. Der Zeuge traute sich nicht zu bremsen, weil er befürchtete,<br />
dass der Angeklagte aufgrund des geringen Abstandes mit seinem Fahrzeug auffahren<br />
könnte.<br />
Vor der Kreuzung Eifelstraße/Eifelwall, deren Lichtzeichenanlage Rot zeigte, ordnete sich<br />
der Zeuge Sch. rechts ein, um in die Straße Eifelwall einzubiegen.<br />
Der Angeklagte, der geradeaus in den Hönniger Weg einfahren wollte, setzte sich links<br />
neben das Fahrzeug des Zeugen. Beide drehten die Fenster herunter und beschimpften<br />
sich gegenseitig. Insoweit ist das Verfahren gegen den Angeklagten beim Amtsgericht<br />
eingestellt worden... .“<br />
Zur rechtlichen Wertung hat das Landgericht ausgeführt:<br />
„Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte zumindest einer versuchten<br />
Nötigung gemäß § 22, 23, 240 StGB strafbar gemacht.<br />
Entgegen der Ansicht der Verteidigung kann auch eine bedrängende Fahrweise gegenüber<br />
dem Vorausfahrenden unter wesentlicher Unterschreitung des Sicherheitsabstandes<br />
im Stadtverkehr Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB sein. Ebenso wie auf Autobahn<br />
oder Bundesstraßen sind entscheidend immer die Umstände des Einzelfalles. Hierbei<br />
sind Dauer und Intensität der Zwangseinwirkung und das Maß der dadurch bewirkten<br />
Gefährdung des Vorausfahrenden von entscheidender Bedeutung, wobei insbesondere<br />
die Örtlichkeit, die Annäherungsgeschwindigkeit und Intensität der Einwirkung auf den
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 12<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Willen des Vorausfahrenden (Kürze des Abstandes, Betätigen von Hupe, Lichthupe,<br />
Fahrtrichtungsanzeiger etc.) zu beurteilen sind. Unter Berücksichtigung der vorgenannten<br />
Kriterien hat der Angeklagte vorliegend Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB eingesetzt,<br />
um den Zeugen Sch. zu bewegen, sein Fahrzeug auf die rechte Seite der Fahrbahn<br />
zu lenken, um dem Angeklagten das Überholen und ein zügigeres Fortkommen zu ermöglichen.<br />
Der Angeklagte hat den Zeugen Sch. als Vorausfahrenden von dem Kreisverkehr<br />
Eifelplatz bis zur Kreuzung Eifelstraße/Eifelwall massiv bedrängt. Er ist über eine<br />
Strecke von knapp 300 m so dicht auf das Fahrzeug des Zeugen aufgefahren, dass dieser<br />
durch den Rückspiegel weder das Nummernschild noch den Kühlergrill des von dem<br />
Angeklagten gefahrenen PKW sehen konnte. Er hat permanent die Lichthupe betätigt<br />
und hat darüber hinaus einmal im Kreisverkehr und auch später noch ein- bis zweimal auf<br />
der Eifelstraße das Signalhorn betätigt. Ein derartiges Verhalten stellt sowohl von Dauer<br />
und Intensität der Zwangseinwirkung als auch vom Maß der dadurch bewirkten Gefährdung<br />
des Vorausfahrenden eine Gewalteinwirkung im Sinne des § 240 Abs.1 StGB dar,<br />
da es einen besonnenen Kraftfahrer auch im Stadtverkehr bei einer Geschwindigkeit von<br />
40 km/h bis 50 km/h in Furcht und Sorge zu versetzen vermag.“<br />
Die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts hat keinen<br />
Erfolg.<br />
Das Rechtsmittel ist entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet<br />
im Sinne des § 349 Abs. 2 <strong>StPO</strong> zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund<br />
der Revisionsrechtfertigung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.<br />
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags im Wesentlichen Folgendes<br />
ausgeführt:<br />
„Die Revision kann in der Sache keinen Erfolg haben.<br />
Die Urteilsfeststellungen und die Beweiswürdigung tragen den Schuldspruch rechtsbedenkenfrei.<br />
Sie sind weder unvollständig oder widersprüchlich noch verstoßen sie gegen die Denkgesetze.<br />
Entgegen den Ausführungen der Revision liegen nach den Urteilsgründen die Voraussetzungen<br />
für eine Verurteilung wegen versuchter Nötigung durch Anwendung von Gewalt<br />
gemäß §§ 240 Abs. 1, 22, 23 StGB vor.<br />
Nach einheitlicher Rechtsprechung liegt Gewalt nicht nur bei Anwendung körperlicher<br />
Kraft gegenüber dem Opfer vor, durch die ein tatsächlicher oder erwarteter Widerstand<br />
gebrochen werden soll, sondern umfasst auch solche Einwirkungen auf den Willen eines<br />
anderen, die auf psychischer Kraftentfaltung beruhen, das Opfer körperlich unfähig machen<br />
und mithin von diesem nicht nur als seelischer, sondern auch als körperlicher<br />
Zwang empfunden werden (OLG Köln, VRS 67, 224).<br />
Für die Gewaltanwendung im Straßenverkehr durch zu dichtes Auffahren wird in der<br />
Rechtsprechung zudem verlangt, dass durch das dichte Auffahren der besonnene, vorausfahrende<br />
Autofahrer in Furcht und Schrecken versetzt und hierdurch zu ungewollten,<br />
unfallträchtigen Situationen veranlasst wird. Entsprechend kann nicht jede geringfügige<br />
Beeinträchtigung als Gewalt gewertet werden. Vielmehr wird eine gewisse Intensität der<br />
Einwirkung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls vorausgesetzt.<br />
Wesentliche Faktoren sind unter anderem die Dauer der bedrängten Fahrweise, die gefahrene<br />
Geschwindigkeit, Abstandsgröße, Annäherungsgeschwindigkeit, der Gebrauch<br />
der Lichthupe und des Signalhorns und die örtlichen Verhältnisse.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 13<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Die Urteilsfeststellungen erfüllen entgegen der Ausführungen der Revision in ihrem Zusammenwirken<br />
und in der Gesamtbetrachtung den Gewaltbegriff im Sinne des Nötigungstatbestandes.<br />
Nach den Feststellungen der Strafkammer steht fest, dass der Angeklagte bereits mit<br />
Betätigung der Lichthupe und des Signalhorns dicht auf das zunächst im Kreisverkehr<br />
langsam fahrende Fahrzeug des Zeugen Sch. auffuhr und die dichte Fahrweise für ca.<br />
300 Meter beibehielt. Durch das Betätigen des Signalhorns und der Lichthupe wollte der<br />
Angeklagte den Zeugen Sch. veranlassen, sein Fahrzeug auf die rechte Fahrbahn zu<br />
lenken. Da ein Fahrspurwechsel nicht möglich war, versuchte der Angeklagte mehrfach<br />
links an dem Fahrzeug des Zeugen Sch. vorbeizufahren, was jedoch aufgrund des starken<br />
Gegenverkehrs nicht möglich war.<br />
Soweit die Revision darauf abstellt, eine Nötigung durch dichtes Auffahren könne lediglich<br />
bei Autobahnverkehr erfolgen, geht dies schon deswegen fehl, weil die jeweilige konkrete<br />
Verkehrssituation der Beurteilung unterliegt und im Übrigen die Gefahrenquellen im<br />
Stadtverkehr in der Regel erheblich vielfältiger sind als im Autobahnverkehr. Dies folgt<br />
schon aus der Vielzahl der Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer, Fußgänger sowie parkende<br />
Fahrzeuge. Der Stadtverkehr verlangt daher nicht weniger die Aufmerksamkeit der<br />
Fahrzeugführer als auf Autobahnen. Auch hieraus folgt, dass ein zu dichtes Auffahren im<br />
Zusammenspiel mit Lichthupe und dem Betätigen des Signalhorns und den wiederholten<br />
riskanten Überholversuchen trotz Gegenverkehrs eine massive Beeinträchtigung des<br />
Vorausfahrenden begründet, so dass diese Handlungen geeignet sind, Gefahrensituationen<br />
herbeizuführen. Dies muss auch gelten, soweit im Stadtverkehr mit geringeren Geschwindigkeiten<br />
gefahren wird als auf Autobahnen, zumal eine besondere Unfallgefahr<br />
allein aus der Höhe der Geschwindigkeit nicht herzuleiten ist. ...<br />
Die Revision kann auch nicht mit der Argumentation durchdringen, bei den Urteilsfeststellungen<br />
fehle es an der Darlegung der Auswirkungen der Gewaltanwendung auf<br />
den Geschädigten, weil dieser weder nervös gewesen sei und Fahrunsicherheiten nicht<br />
gezeigt habe. Auf den tatbestandlichen Erfolg der Nötigungshandlung kann es hier nicht<br />
ankommen, da lediglich eine Verurteilung wegen versuchter Nötigung erfolgt ist. Nach<br />
den Feststellungen des Gerichts war die Tathandlung jedenfalls objektiv geeignet, einen<br />
entsprechenden Erfolg herbeizuführen.<br />
Die Überprüfung des Urteils hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs deckt ebenfalls<br />
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.“<br />
Diesen Ausführungen stimmt der Senat zu.<br />
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bedrängende Fahrweise, Gewaltanwendung<br />
im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB ist, wenn durch dieses Fahrverhalten eine Gefahrenlage<br />
geschaffen wird, die geeignet ist, einen durchschnittlichen (besonnenen) Fahrer in Sorge<br />
und Furcht zu versetzen, und von ihm als körperlicher (nicht bloß seelischer) Zwang empfunden<br />
wird, seinen Willen dem des Täters unterzuordnen (vgl. BGHSt 19, 263; ständige<br />
Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senat VRS 76, 361 = NZV 1989, 157; VRS 83, 339 =<br />
NZV 1992, 371; VRS 93, 338 = NZV 1997, 318; VRS 98, 124 = NZV 2000, 99 = DAR<br />
2000, 84 – jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Danach ist – wie auch das Berufungsgericht<br />
zutreffend ausgeführt hat – für die Annahme willensbeugender Gewalt im Straßenverkehr<br />
entscheidend die Intensität der Einwirkung des beanstandeten Fahrverhaltens im<br />
Einzelfall (vgl. nur OLG Karlsruhe VRS 94, 262 = NStZ-RR 1998, 58 = StraFo 1998, 97;<br />
OLG Frankfurt NZV 2004, 158; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senat VRS 83,<br />
339 = NZV 1992, 371), wobei für die Beurteilung auf die Sicht eines objektiven Beobachters<br />
abzustellen ist (vgl.<br />
BayObLG NJW 1993, 2882).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 14<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Die in Betracht kommenden Einzelfälle beschränken sich nicht etwa auf Verkehrssituationen<br />
im Schnellverkehr wie auf Autobahnen und Bundesstraßen außerorts. Insbesondere<br />
auch der innerstädtische Straßenverkehr ist von einer Vielzahl von Gefahren geprägt,<br />
deren Realisierung trotz der niedrigeren Geschwindigkeiten durch bedrängendes Fahrverhalten<br />
im Sinne der vom Berufungsgericht getroffenen Festsstellungen erheblich vergrößert<br />
wird. Der Fahrzeugführer im (fließenden) innerstädtischen Straßenverkehr gerät<br />
häufig - etwa durch Fußgänger oder Fahrzeugführer, die sich mit ihren Fahrzeugen aus<br />
dem ruhenden Verkehr in den fließenden einordnen – in Situationen, die ihn zum plötzlichen<br />
und starken Bremsen veranlassen müssen. Auf diese Gegebenheiten will und muss<br />
sich ein besonnener Fahrzeugführer konzentrieren können. Eine bedrängende Fahrweise<br />
wie die des Angeklagten ist daher geeignet, einen solchen Fahrzeugführer in Furcht und<br />
Sorge zu versetzen, sieht er sich doch durch den Drängler in seiner Konzentration auf<br />
das Verkehrsgeschehen vor ihm beeinträchtigt und der konkreten Möglichkeit ausgesetzt,<br />
auf Gefahrensituationen nicht angemessen reagieren zu können, nicht zuletzt aus Sorge<br />
vor einem Auffahren des Dränglers. Daher kann auch im innerstädtischen Straßenverkehr<br />
ein dichtes und bedrängendes Auffahren von solcher Intensität sein, dass sich die Fahrweise<br />
des Dränglers als Gewaltanwendung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB darstellt.<br />
Dass das Fahrverhalten des Angeklagten von dieser Intensität war, hat das Landgericht<br />
rechtsfehlerfrei gewürdigt, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat.<br />
§ 259 StGB<br />
Sich-Verschaffen und/oder Absatz<br />
SenE v. 17.02.2006 - 82 Ss 16/06 -<br />
Das Landgericht hat zum Schuldspruch u.a. festgestellt:<br />
„Vom 16.12.2004, 18:30 Uhr, bis zum 17.12.2004, 0:10 Uhr, wurden aus einem … Pkw<br />
BMW … verschiedene Gegenstände entwendet … Der Angeklagte hat den Aufbruchdiebstahl<br />
aus dem Pkw entweder selbst durchgeführt oder jedenfalls Teile der entwendeten<br />
Gegenstände in Kenntnis des Diebstahls sich verschafft und abgesetzt, um sich zu<br />
bereichern. Folgende Gegenstände, die aus dem Pkw bei der vorgenannten Gelegenheit<br />
entwendet worden waren, hat der Angeklagte nämlich anschließend bei ebay angeboten<br />
und verkauft. …“<br />
Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung materiellen Rechts.<br />
Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.<br />
Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand.<br />
Die wahlweise Verurteilung des Angeklagten „wegen Diebstahls oder Hehlerei“ begegnet<br />
schon wegen der widersprüchlichen Feststellungen zu den Tatbestandsalternativen des §<br />
259 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts<br />
zum Tatbestand der Hehlerei hat der Angeklagte „Teile der entwendeten<br />
Gegenstände in Kenntnis des Diebstahls sich verschafft und abgesetzt“. Die Begehungsformen<br />
des Sich-Verschaffens und Absetzens können vom Täter indes nicht gleichzeitig<br />
erfüllt werden, sie schließen sich insoweit gegenseitig aus.<br />
Sich-Verschaffen ist die Herstellung tatsächlicher eigener Herrschaftsgewalt über die Sa-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 15<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
che im Einverständnis mit dem Vortäter, und zwar in dem Sinne, dass der Hehler über die<br />
Sache als eigene oder zu eigenen Zwecken verfügen kann und dies auch will (Tröndle/Fischer,<br />
StGB, 53. Auflage, § 259 Rn.14 m.N.).<br />
Demgegenüber setzt das Absetzen ein Handeln für einen anderen voraus. Der Täter<br />
steht im Lager des Vortäters, er wird bei der wirtschaftlichen Verwertung der vom Vortäter<br />
erlangten Sache in dessen Interesse und mit dessen Einverständnis tätig (SenE v.<br />
21.03.2000 – Ss 84-85/00 = StraFo 2000, 233; Tröndle/Fischer a.a.O., § 259 Rn. 28<br />
m.w.N.).<br />
Der aufgezeigte Widerspruch betrifft nicht nur die wahlweise Verurteilung, sondern führt<br />
wegen seiner Auswirkungen auf die Konkurrenzfrage zur Aufhebung auch des Schuldspruchs<br />
wegen Betruges (in zwei Fällen).<br />
Die Strafkammer hat zwischen den Tatbeständen der wahlweisen Verurteilung und des<br />
Betruges das Konkurrenzverhältnis der Realkonkurrenz (§ 53 StGB) für gegeben erachtet.<br />
Sollte der Angeklagte den Tatbestand der Hehlerei indes nicht in der Begehungsform<br />
des Sich-Verschaffens, sondern in der des Absetzens verwirklicht haben, würde die Konkurrenzfrage<br />
– wegen dann gegebener Identität wesentlicher Teile der Ausführungshandlung<br />
- dahin zu beantworten sein, dass die Tatbestände „Diebstahl oder Hehlerei“ und Betrug<br />
im Konkurrenzverhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander stehen.<br />
§ 263 StGB<br />
Betrug bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs<br />
SenE v. 21.03.2006 - 81 Ss 19/06 -<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen<br />
zu je 40 € verurteilt. Es hat zum Schuldspruch Folgendes festgestellt:<br />
„Der Angeklagte war Arbeitgeber des geschädigten Zeugen J.. Der Zeuge J. hatte vor<br />
dem Arbeitsgericht Bonn im Jahre 2004 den Angeklagten auf Zahlung von Arbeitsvergütung<br />
verklagt. Nach der Güteverhandlung vom 03.08.2004 kam es im selben Monat zu<br />
einer vergleichsweise Regelung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen J., wonach<br />
der Angeklagte sich verpflichtete, eine Zahlung von 1600 € in vier Raten zu je 400 € an<br />
den Zeugen J. ab 15.09.2004 zu zahlen.<br />
Der Angeklagte kam dieser Verpflichtung nicht nach, er leistete bis März 2005 keinerlei<br />
Zahlungen. Er war bereits bei Vertragsabschluss davon ausgegangen, nicht zahlen zu<br />
können bzw. zu wollen.“<br />
Die (Sprung-)Revision des Angeklagten rügt Verletzung materiellen Rechts.<br />
Die Revision hat (vorläufigen) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils<br />
und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.<br />
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist bereits der objektive Tatbestand des Betruges<br />
(§ 263 StGB) nicht erfüllt, da sie einen Vermögensschaden nicht belegen.<br />
Ein Vermögensschaden liegt nur dann vor, wenn sich bei einem Vergleich des Vermögens<br />
vor und nach der täuschungsbedingten Vermögensverfügung eine Minderung des<br />
Vermögenswertes ergibt (BayObLG NStZ 2004, 503; SenE vom 08.02.2000 – Ss 40/00 =<br />
NStZ 2000, 481;Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 263 Rn. 70 ff.). Beim täuschungsbedingten<br />
Abschluss eines Prozessvergleichs liegt auf Seiten des Klägers nur dann ein
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 16<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Vermögensschaden vor, wenn sich durch die Nichtgeltendmachung des Klageanspruchs<br />
dessen Realisierungsmöglichkeit verschlechtert hat (BayObLG a.a.O.; Tröndle/Fischer<br />
a.a.O., § 263 Rn. 77). Voraussetzung für die Annahme eines durch den Vergleichsabschluss<br />
eingetretenen Vermögensschadens ist daher, dass der klageweise geltend gemachte<br />
Anspruch überhaupt werthaltig war. Für den Vermögensschaden ist nur das zu<br />
berücksichtigen, was der Getäuschte – wirtschaftlich werthaltig – aufgegeben hat<br />
(BayObLG a.a.O. – mit näherer Begründung).<br />
Hier lässt sich dem angefochtenen Urteil zur Werthaltigkeit (materiell-rechtlichen Begründetheit<br />
der Kageforderung des Zeugen J.) nichts entnehmen.<br />
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />
Wird der Betrugsvorwurf in subjektiver Hinsicht auf fehlenden Zahlungswillen gestützt, hat<br />
der Tatrichter nahe liegende andere Vorstellungen des Angeklagten, die keine Täuschung<br />
beinhalten, zu prüfen und auszuschließen, insbesondere die stets in Betracht<br />
kommende Möglichkeit, dass sich der Wille, die versprochene Leistung nicht zu entrichten,<br />
erst nach Vertragsabschluss gebildet hat. Wird der Betrugsvorwurf auf Zahlungsunfähigkeit<br />
gestützt, sind dazu ebenfalls sie belegende Feststellungen zu treffen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 17<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)<br />
§§ 74 II, 80 OWiG<br />
Verwerfungsurteil nach Rücknahme des Einspruchs<br />
SenE v. 08.03.2006 - 81 Ss-OWi 21/06 -<br />
Der Landrat des Rhein-Erft-Kreises hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid<br />
vom 31.08.2005 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 50,00 €<br />
festgesetzt. Nachdem der Betroffene Einspruch eingelegt hat, ist das Verfahren dem<br />
Amtsgericht vorgelegt worden, das am 20.10.2005 Termin zur Hauptverhandlung auf den<br />
08.12.2005 bestimmt hat. In der Hauptverhandlung vom 08.12.2005 ist für den Betroffenen<br />
niemand erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin durch Urteil den Einspruch des<br />
Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.<br />
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde, hilfsweise Wiedereinsetzung<br />
in den vorigen Stand und sofortige Beschwerde gegen die Verpflichtung zur Kostentragung<br />
eingelegt, mit der gerügt wird, durch Schriftsatz vom 27.10.2005 – gerichtet an den<br />
Rhein-Erft-Kreis - sei der Einspruch zurückgenommen worden.<br />
Die Rechtsbeschwerde ist als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde anzusehen,<br />
da die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG auch für das Verwerfungsurteil<br />
nach § 74 Abs. 2 OWiG gilt (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdnr. 48 m.w.N.). Der<br />
Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Im zugrunde<br />
liegenden Bußgeldbescheid ist lediglich eine Geldbuße von 50,-- € festgesetzt<br />
worden. Nach § 80 Abs. 1 und 2 OWiG kann daher die Rechtsbeschwerde nur zugelassen<br />
werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung<br />
des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen<br />
Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.<br />
Mit der Rüge, der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid sei vor dessen Verwerfung<br />
durch das angefochtene Urteil zurückgenommen worden, macht der Betroffene ein Verfahrenshindernis<br />
geltend, das nach § 80 Abs. 5 OWiG vor Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />
grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann (vgl. BGHSt 36, 59; Senatsentscheidung<br />
vom 22.10.1996 – Ss 461/96). Die Vorschrift des § 80 Abs. 5 OWiG hindert<br />
zwar nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn die Voraussetzungen des § 80<br />
Abs. 1 OWiG gerade für die Rechtsfragen vorliegen, die mit dem geltend gemachten Verfahrenshindernis<br />
zusammenhängen (vgl. BayObLG VRS 74, 375; Senatsentscheidungen<br />
VRS 73, 140 und Beschluss vom 22.10.1996 – Ss 461/96). Ein solcher Zulassungsgrund<br />
ist hier aber nicht gegeben.<br />
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass mit wirksamer Rücknahme des Einspruchs gegen<br />
den Bußgeldbescheid Rechtskraft eintritt und damit ein Verfahrenshindernis der Fortsetzung<br />
des gerichtlichen Bußgeldverfahrens entgegensteht (vgl. BGHSt 27, 271; 36, 59;<br />
Senatsentscheidung VRS 73, 140).<br />
Ebenfalls geklärt ist, dass die Erklärung der Rücknahme nach Eingang der Akten bei dem<br />
nach § 68 OWiG zuständigen Gericht diesem gegenüber abzugeben ist und dass die<br />
Rücknahmeerklärung erst mit dem Eingang bei der Stelle, bei der das Verfahren zur Zeit<br />
der Rücknahme anhängig ist, wirksam wird (vgl. BayObLG VRS 63, 221; 91, 289; Göhler,<br />
OWiG, 14. Aufl. § 67 Rn 38 m.w.N.).<br />
Aber selbst wenn das Amtsgericht eine Einspruchsrücknahme rechtzeitig hätte zur<br />
Kenntnis nehmen können, aber nicht zur Kenntnis nimmt und den Einspruch gleichwohl
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 18<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
nach § 74 Abs. 2 OWiG verwirft, rechtfertigte dies nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde.<br />
Zwar läge darin eine Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. OLG Koblenz VRS<br />
85, 100, 103; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsentscheidungen vom<br />
22.10.1996 – Ss 461/96 Z – und vom 01.04.1997 – Ss 112/97 Z). Dabei bedarf es hier<br />
keiner Entscheidung, ob die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt worden ist. Dieser<br />
Rechtsfehler könnte nämlich auch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen,<br />
da der Betroffene dadurch, dass der Einspruch trotz der Rechtskraft des Bußgeldbescheids<br />
verworfen worden ist, lediglich einen Kostennachteil erlitten hat, nicht aber in<br />
der Hauptsache beschwert ist (vgl. Senatsentscheidung vom 22.10.1996 – Ss 461/96 Z;<br />
SenE vom 01.04.1997 – Ss 112/97 Z-; SenE v. 17.08.2000 – Ss 356/00-; SenE v.<br />
21.05.2003 – Ss 210/03 Z = NZV 2004, 52).<br />
§ 33 III OWiG<br />
absolute Verjährung<br />
SenE v. 06.03.2006 - 83 Ss-OWi 8/06 -<br />
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet auch<br />
hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen im übrigen keinen Bedenken.<br />
Die vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung des Vorliegens<br />
der Verfahrensvoraussetzungen (Kuckein in KK, 5. Aufl., § 337 <strong>StPO</strong> Rn 25; Steindorf<br />
in KK-OWiG, 2. Aufl., § 79 Rn 98) hat ergeben, dass gemäß § 31 Abs. 2 Nr.4, 33<br />
Abs. 3 S. 2 OWiG vor Erlass des amtsgerichtlichen Urteils Verfolgungsverjährung (absolute<br />
Verjährung) eingetreten ist.<br />
Das Amtsgericht hat das Vorliegen der Verjährung verneint, dabei jedoch übersehen,<br />
dass nach § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG die Möglichkeit, die Verjährung durch eine der Im Katalog<br />
der Unterbrechungshandlungen des § 33 Abs. 1 S. 1 OWiG vorgesehenen Maßnahmen<br />
zu unterbrechen, zeitlich dahin begrenzt ist, dass unabhängig von der Vornahme<br />
einer Unterbrechungshandlung Verjährung spätestens dann eintritt, wenn seit der Tat das<br />
Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 31 Abs. 1 Nr. 1-4), mindestens jedoch zwei<br />
Jahre vergangen sind.<br />
Nach § 31 Abs. 3 S. 1 OWiG begann die Verfolgungsverjährung am Tattag, dem<br />
08.11.2003 und lief nach der die Frist ausmachenden Anzahl von Jahren oder Monaten<br />
mit Ende des Tages ab, der im Kalender dem Anfangstag vorangeht (Weller in KK-<br />
OWiG, a.a.O., § 31 Rn 35). Für die Bestimmung der Verjährungsfristen ist die abstrakte<br />
Höhe der Bußgeldandrohung und nicht der Betrag eines Bußgeldkatalogs maßgeblich<br />
(SenE v. 01.06.2005 - 8 Ss-OWi 155/05 -). Sie beträgt hier nach § 24a Abs. 4 StVG in<br />
Verbindung mit § 17 Abs. 2 OWiG maximal 750,-- €, so dass gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4<br />
OWiG von einer Verjährungsfrist von 6 Monaten auszugehen ist. Dementsprechend ist<br />
gem. § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG nach Ablauf von 2 Jahren, mithin mit Ablauf des 07.11.2005<br />
und damit vor dem 10.11.2005, Verfolgungsverjährung eingetreten. Anhaltspunkte dafür,<br />
dass zwischenzeitlich ein Ruhen der Verfolgungsverjährung (§ 32 OWiG) eingetreten ist,<br />
liegen nicht vor.<br />
In der Sache führt das Rechtsmittel zur Einstellung des Verfahrens gemäß §§ 79 Abs. 3<br />
Satz 1 OWiG, 206a Abs. 1, 354 Abs. 1 <strong>StPO</strong>. Einer förmlichen Aufhebung des angefochtenen<br />
Urteils bedarf es insoweit nicht (vgl. SenE v. 9. 4. 1997 – Ss 105/97; SenE v. 17. 4.<br />
1988 – Ss 135/98 = StraFo 1998, 417; SenE v. 13. 10. 2000 – Ss 398/00; SenE v. 23. 10.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 19<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
2001 – Ss 406/01; SenE v. 3. 1. 2003 – Ss 536/02; SenE v. 25. 4. 2003 – Ss 157/03; SenE<br />
v. 20.04.2003 – Ss 156/03; Göhler-Seitz, OWiG, 14. Aufl. § 79 Rn 47a m. w. N).<br />
III.<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 <strong>StPO</strong>.<br />
Gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 <strong>StPO</strong> war davon abzusehen, die notwenigen Auslagen<br />
des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, weil seine Verurteilung bei Hinwegdenken<br />
des Verfahrenshindernisses als sicher erscheint (vgl. Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 48 Aufl., §<br />
467 Rn 16).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 20<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Straßenverkehrsgesetz (StVG)<br />
§ 21 StVG<br />
Notwendige Urteilsfeststellungen<br />
SenE v. 17.02.2006 - 82 Ss 21/06 -<br />
Die Feststellungen tragen schon den Schuldspruch wegen eines Vergehens nach § 21<br />
Abs. 1 Nr. 1 StVG nicht.<br />
Das Amtsgericht hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte am 5. Mai 2005 mit einem<br />
Mofa gefahren ist, das aufgrund technischer Veränderung eine Geschwindigkeit von ca.<br />
50 km/h fuhr und dass er hierfür die „erforderliche Fahrerlaubnis“ nicht besaß. Damit wird<br />
schon nicht festgestellt, dass der Angeklagte dieses Mofa auf öffentlichen Straßen geführt<br />
hat. Das aber ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 FeV Voraussetzung dafür, dass der Angeklagte<br />
für die Fahrt einer Fahrerlaubnis bedurfte.<br />
Zudem wären die Feststellungen des Tatgerichts zum Schuldspruch auch insoweit materiell-rechtlich<br />
unvollständig, als sie den Schuldumfang der Tat nicht hinreichend erkennen<br />
lassen:<br />
Im Falle einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist der Tatrichter gehalten,<br />
über die Individualisierung (Rechtskraftfrage) und die für den äußeren und inneren Tatbestand<br />
notwendigen Feststellungen hinaus Feststellungen zu Umständen zu treffen, die<br />
geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen. Wichtige Kriterien<br />
sind dabei Dauer und Länge der bereits zurückgelegten und beabsichtigten Fahrstrecke,<br />
Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der Anlass der Fahrt (ständige<br />
Senatsrechtsprechung, vgl. SenE vom 21. Oktober 2003 – Ss 434/03 -, vom 2. Dezember<br />
2003 – Ss 497/03 – und vom 19. Juli 2005 – 82 Ss 16/05 -). Insoweit gelten die<br />
von der Rechtsprechung zu § 316 StGB und § 318 <strong>StPO</strong> entwickelten Grundsätze entsprechend<br />
(vgl. zu diesen OLG Karlsruhe VRS 79, 199; BayObLG VRS 93, 108; Senat<br />
VRS 98, 140). Das Fehlen solcher Feststellungen zum Schuldumfang ist nur dann nicht<br />
rechtsfehlerhaft, wenn sie nicht möglich sind, weil der Angeklagte zu den Tatumständen<br />
schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem<br />
Aufwand zu beschaffen wären (zuletzt SenE vom 19. Juli 2005 – 82<br />
Ss 16/05 -). So liegt es hier nicht, weil der Angeklagte geständig war.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 21<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
Autobahnmautgesetz (ABMG)<br />
§ 1 MautHV<br />
Tandemachse<br />
SenE v. 29.03.2006 - 83 Ss-OWi 22/06 -<br />
Gegen den Betroffenen ist durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 6. September 2005<br />
wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1, 2<br />
ABMG i.V.m. § 1 MautHV eine Geldbuße von 75,00 € verhängt worden. Mit Schriftsatz<br />
seines Verteidigers vom 13. September 2005 hat er die Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />
beantragt und diesen Antrag mit weiterem Schriftsatz vom 2. November 2005 begründet.<br />
Darin wird geltend gemacht, das Gericht habe rechtsfehlerhaft einen unvermeidbaren<br />
Verbotsirrtum verneint. Es liege eine offensichtlich falsche Tatsachenfeststellung - hinsichtlich<br />
der im Fahrzeugschein eingetragenen Anzahl der Achsen - vor. Der Berufskraftfahrer<br />
müsse sich auf die Eintragungen im Fahrzeugschein verlassen können, wo die<br />
Doppelachse als eine Achse gewertet werde. Zudem sei es schwierig, über das Internet<br />
Informationen zur vorliegenden Problematik zu erhalten. Schließlich verschweige das<br />
Gericht, inwieweit die Rechtsprechung zum Autobahnbenutzungsgebührengesetz (ABBG)<br />
auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden sei.<br />
II.<br />
Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.<br />
…<br />
(aa)<br />
Es liegt auf der Hand, dass der Begriff der Achse als Anknüpfungspunkt für die Bemessung<br />
von Autobahnbenutzungsgebühren in § 1 MautHV nicht anders zu verstehen ist als<br />
zur Zeit der vorangegangenen Geltung des Autobahnbenutzungsgebührengesetzes<br />
(ABBG). Seinerzeit hat der Senat entschieden, dass für die Gebührenberechnung nach<br />
Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung<br />
bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen vom 9.2.1994 (BGBl. II S. 1768) auch<br />
bei einer Tandemachse, bei der der Abstand zwischen zwei Achsen unter 1 m liegt, jede<br />
vorhandene Achse zählt (SenE v. 19.02.1999 - Ss 188/98 (B) - = NZV 1999, 305 L = VRS<br />
97, 74; SenE v. 01.07.1999 - Ss 290/99 (Z) -; SenE v. 23.03.1999 - Ss 369/98 (Z)- = NZV<br />
1999, 481). § 1 Abs.1 ABBG bestimmte, dass nach dem Übereinkommen über die Erhebung<br />
von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen<br />
vom 9.2.1994 für die Benutzung von Bundesautobahnen mit Kraftfahrzeugen im Sinne<br />
des Art. 2 der Richtlinie 93/89 EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom<br />
25.10.1993 (über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie<br />
die Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege) eine<br />
Gebühr erhoben wird. Art. 8 des Übereinkommens vom 9.2.1994 bestimmte die Höhe der<br />
Gebühren und unterschied bei der Jahresgebühr und der Gebühr für einen Monat zwischen<br />
Kraftfahrzeugen mit bis zu drei Achsen und Kraftfahrzeugen mit vier oder mehr<br />
Achsen. Daran anschließend hat der Senat ausgeführt, dass ohne eine abweichende<br />
Legaldefinition in den für die Erhebung der Gebühr maßgeblichen Bestimmungen nur der<br />
technische Begriff der Achse maßgebend sein kann. Dieser beinhalte, dass es sich bei
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 22<br />
Januar 2006 - März 2006<br />
der Konstruktion, an der die Räder befestigt sind, jeweils um eine Achse handelt. Tandemachsen<br />
in dem für die Gebührenberechnung nach Art. 8 des Übereinkommens vom<br />
9.2.1994 maßgeblichen Sinne bestünden daher ungeachtet des zwischen ihnen bestehenden<br />
geringen Abstandes von weniger als einem Meter aus zwei Achsen. Es besteht<br />
kein Anlass, diese Erwägungen auf die nunmehr geltenden Bestimmungen nicht zu übertragen.<br />
Der Einwand des Betroffenen, dass im Fahrzeugsschein nur eine Achse eingetragen sei,<br />
gebietet eine Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung des Senats ebenfalls nicht. Sie<br />
wird nicht etwa dadurch in Frage gestellt, dass in anderen rechtlichen Zusammenhängen<br />
eine abweichende Betrachtung geboten sein mag (vgl. in Bezug auf § 5 Abs. 1 StVZO<br />
a.F.: SenE v. 19.02.1999 - Ss 188/98 (B) - = NZV 1999, 305 L = VRS 97, 74; zur Einordnung<br />
eines Fahrzeugs als Pkw oder Lkw ["Mercedes Sprinter"]: BayObLG DAR 2003, 469<br />
= NJW 2004, 306 m. Anm. Blümel DAR 2004, 39 = VRS 105, 451 = VM 2004, 12 [Nr. 12]<br />
= NZV 2004, 263; OLG Karlsruhe DAR 2004, 715 [717] = VRS 107, 390 = NZV 2005,<br />
380; OLG Hamm NJW 2006, 241; OLG Hamm NJW 2006, 245; OLG Jena NJW 2004,<br />
3579 = DAR 2005, 102 = VRS 108, 49).<br />
(bb)<br />
Die Anforderungen an die Erkundigungspflicht des Autobahnbenutzers zur Vermeidung<br />
eines Irrtums über Entstehung und Umfang von Benutzungsgebühren sind ebenfalls geklärt.<br />
Gerade in Bezug auf die hier in Rede stehende Fragestellung - bezogen freilich auf<br />
das ABBG - hat der Senat bereits entschieden, dass ein Verbotsirrtum nicht unvermeidbar<br />
ist, wenn sich der Betroffene nicht bei der zuständigen Behörde erkundigt hat (SenE<br />
v. 01.07.1999 - Ss 290/99 B -).