Strafprozessordnung (StPO) - Kölner Anwaltverein
Strafprozessordnung (StPO) - Kölner Anwaltverein
Strafprozessordnung (StPO) - Kölner Anwaltverein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 1<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
<strong>Strafprozessordnung</strong> (<strong>StPO</strong>)<br />
§§ 261, 267 <strong>StPO</strong><br />
Identifizierung des Fahrers aufgrund eines Messfotos<br />
SenE v. 28.01.2005 - 8 Ss-OWi 40/04 -<br />
Bereits die Identifizierung des Betroffenen als Fahrer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Hinsichtlich<br />
der Anforderungen an die Urteilsausführungen zur Identifizierung eines Betroffenen<br />
anhand des bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit gefertigten Lichtbildes sind nach<br />
höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGHSt. 41, 376 ff.) folgende Grundsätze zu beachten:<br />
Die Urteilsgründe müssen so abgefasst sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die<br />
Prüfung möglich ist, ob ein Radarfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer<br />
Person zu ermöglichen. Hierzu ist es ausreichend, dass in den Urteilsgründen auf das in<br />
der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 <strong>StPO</strong> i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG<br />
Bezug genommen wird. Dies ermöglicht dem Rechtsbeschwerdegericht die Inaugenscheinnahme<br />
des Fotos zur Überprüfung, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich<br />
ist.<br />
Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung<br />
uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung<br />
des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. BayObLG, DAR 1999, 370;<br />
OLG Brandenburg, NStZ-RR 1998, 240; OLG Dresden, DAR 2000, 279 f.; OLG Koblenz<br />
NStZ-RR 2001, 110 f.; SenE vom 07.05.2004 – Ss 179/04 B – m.w.N.).<br />
Eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 <strong>StPO</strong> muss aber deutlich und zweifelsfrei<br />
sein (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 238; OLG Dresden, DAR 2000, 279 f.; SenE vom<br />
02.08.2002 – Ss 336/02 B -). Hierzu reicht nach ständiger Senatsrechtsprechung und fast<br />
einhelliger Meinung die Angabe der Fundstelle und die bloße Mitteilung, das Foto sei in<br />
Augenschein genommen worden, nicht aus (vgl. zuletzt: SenE vom 17.08.2004 – Ss<br />
358/04 = VRS 107, 304 ff. m.w.N.; so auch: OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 238 f.; OLG<br />
Brandenburg, NStZ-RR 1998, 240; anders für die Angabe der Blattzahl ohne nähere Begründung<br />
wohl OLG Frankfurt am Main, NZV 2002, 135).<br />
Sieht der Tatrichter von der Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 <strong>StPO</strong> ab, so genügt<br />
es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er die<br />
von ihm herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. In diesem Fall muss das Urteil<br />
Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete<br />
Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen<br />
Eigenschaften) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise<br />
wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird<br />
(vgl. BGHSt. 41, 376 ff.; BayObLG 61, 41 f.; OLG Dresden, DAR 2000, 279 ff.; OLG Koblenz,<br />
NStZ-RR 2001, 110f.; SenE vom 07.05.2004 – Ss 179/04 B – m.w.N.).<br />
Im vorliegenden Fall ist weder eine ausdrückliche Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3<br />
<strong>StPO</strong> erfolgt, noch lässt sich diese aus dem Inbegriff des Urteils entnehmen. Insbesondere<br />
gibt die bloße Angabe der Blattzahl, auf der sich die Radarfotos des Betroffenen befinden<br />
sollen, hierfür nichts her. Die Urteilsgründe geben lediglich den Beweisvorgang wieder,<br />
dass das Radarfoto Bl. 14 d VV den Betroffenen eindeutig zugeordnet werden konn-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 2<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
te. Sie enthalten daher keine prozessordnungsgemäße Verweisung gemäß § 267 Abs. 1<br />
Satz 3 <strong>StPO</strong> in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG auf die vom Verkehrsverstoß gefertigten<br />
Lichtbilder.<br />
Das Amtsgericht hat keine Ausführungen zur Art und Qualität des in Augenschein<br />
genommenen Lichtbildes gemacht. Bereits dies ist erforderlich, da bei einem bestreitenden<br />
Betroffenen grundsätzlich nur scharfe Hochglanzfotos mit ausreichendem<br />
Kontrast, nicht aber (schlechte) kontrastarme Papierausdrucke oder (unbrauchbare)<br />
Computerausdruck eine rechtsfehlerfreie Identifizierung ermöglichen<br />
(vgl. OLG Hamm, Verkehrsrecht aktuell 2004, 119).<br />
§ 267 <strong>StPO</strong><br />
Urteilsgründe; Beweiswürdigung<br />
SenE v. 21.12.2004 - 8 Ss 471/04 -<br />
Im Urteil ist eine Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen<br />
vorzunehmen. Sie kann durch die bloße Wiedergabe des Inhalts der Aussage nicht<br />
ersetzt werden. Aufgabe des Tatrichters ist es, im Rahmen der Beweiswürdigung eine<br />
Begründung dafür zu geben, auf welchem Weg er zu den Feststellungen gelangt ist, die<br />
Grundlage der Verurteilung geworden ist. Er ist deshalb gehalten, die in der Hauptverhandlung<br />
verwendeten Beweismittel im Urteil erschöpfend zu würdigen, soweit sich aus<br />
ihnen bestimmte Schlüsse zuungunsten oder zugunsten des Angeklagten herleiten lassen<br />
(BGH, NStZ 85, 184).<br />
Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil entspricht nicht diesen Anforderungen.<br />
Dem Urteil kann nicht entnommen werden, welchen der unterschiedlichen Angaben sowohl<br />
des Angeklagten als auch der vernommenen Zeugen das Gericht im Ergebnis gefolgt<br />
ist und welchen tatsächlichen Sachverhalt es der Verurteilung zugrunde gelegt hat.<br />
Das Urteil erschöpft sich insoweit in einer Darstellung der Aussagen des Angeklagten,<br />
des Geschädigten und der übrigen Zeugen und lässt besorgen, dass das Gericht rechtsirrtümlich<br />
davon ausgegangen ist, eine umfangreiche Darstellung erhobener Beweise<br />
könne eine eigenverantwortliche Würdigung ersetzen.<br />
Gerade aber weil sowohl die Aussage des Angeklagten als auch die der vernommenen<br />
Zeugen inhaltlich voneinander abweichen und sich teilweise widersprechen, hätte es einer<br />
näheren Auseinandersetzung mit ihnen bedurft.<br />
§§ 300, 335 <strong>StPO</strong><br />
Wahl zwischen Berufung und Revision<br />
SenE v. 21.12.2004 – 8 Ss 472/04 -<br />
Entgegen der Annahme des Amtsgerichts ist das Rechtsmittel des Angeklagten nicht als<br />
Revision, sondern als Berufung zu behandeln.<br />
Zwar hat der Angeklagte sein unbestimmt eingelegtes Rechtsmittel innerhalb der Revisionsbegründungsfrist<br />
(§ 345 Abs. 1 <strong>StPO</strong>) als Revision bezeichnet. Sind aber mehrere
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 3<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Rechtsmittel zulässig – hier: Berufung (§ 312 <strong>StPO</strong>) und Sprungrevision (§ 335 <strong>StPO</strong>) –<br />
und bleibt nach dem Gesamtinhalt der Verfahrenserklärungen unklar, welches Rechtsmittel<br />
eingelegt werden sollte, dann ist trotz eindeutigen Wortlauts der Rechtsmittelbezeichnung<br />
die Rechtsmittelerklärung bzw. die Erklärung zur Wahl des Rechtsmittels (§ 335<br />
Abs. 1 <strong>StPO</strong>) auszulegen (vgl. Senatsentscheidung vom 25.3.2003 – Ss 107/03; OLG<br />
Hamm NJW 2003, 1469 = VRS 104, 143; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47. Aufl., § 335 Rn. 5; §<br />
300 Rn. 3).<br />
Bei der Auslegung gilt der Grundsatz, dass das Rechtsmittel so zu deuten ist, dass der<br />
erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist; im Zweifel gilt das Rechtsmittel als eingelegt,<br />
das die umfassendere Nachprüfung erlaubt (Senatsentscheidung a.a.O.; Meyer-Goßner<br />
a.a.O., § 300 Rn. 3). Lässt die Erklärung des Rechtsmittelführers nicht deutlich erkennen,<br />
ob Revision oder Berufung gewählt ist, muss das Rechtsmittel als Berufung behandelt<br />
werden, weil nur dieses Rechtsmittel zu einer Neuverhandlung der Sache führt (Senatsentscheidung<br />
a.a.O.).<br />
Hier macht der Angeklagte ausweislich der oben wiedergegebenen Textpassagen seines<br />
Schreibens mit Datum 11.6.2004 Tatsachen geltend, mit denen er nur in einer zweiten<br />
Tatsacheninstanz Gehör finden könnte. Er erstrebt ersichtlich eine erneute tatrichterliche<br />
Prüfung des Sachverhalts. Eine „Revision“, mit der dieses Ziel verfolgt wird, ist als Berufung<br />
zu behandeln (Senatsentscheidung a.a.O.).<br />
Der Angeklagte hat sein Schreiben mit Datum 11.6.2004 offensichtlich in der Vorstellung<br />
verfasst, das umfassende Rechtsmittel gegen das amtsgerichtliche Urteil sei die Revision<br />
(vgl. auch die oben wiedergegebene Textstelle seines Schreibens vom 29.10.2004).<br />
Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten auch aus einem anderen Grunde als<br />
Berufung anzusehen. Wird nach zunächst unbestimmter Anfechtung eines amtsgerichtlichen<br />
Urteils innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 <strong>StPO</strong> das Rechtsmittel als Revision bezeichnet<br />
und mit Rügen begründet, ohne dass die Form des § 345 Abs. 2 <strong>StPO</strong> eingehalten<br />
wird, ist die Anfechtung als Berufung zu behandeln (BGHSt 2, 63; 5, 338; 13, 388;<br />
OLG Hamm VRS 97, 181 = StrFo 1999, 382).<br />
Da somit das Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts als Berufung<br />
anzusehen ist, durfte das Amtsgericht dieses Rechtsmittel nicht nach § 346 Abs. 1<br />
<strong>StPO</strong> wegen einer im Sinne des § 345 Abs. 2 <strong>StPO</strong> nicht formgerechten Begründung verwerfen.<br />
Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das<br />
Landgericht zur Entscheidung über die Berufung abzugeben (vgl. Senatsentscheidung<br />
a.a.O.).<br />
§ 329 <strong>StPO</strong><br />
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />
SenE v. 07.12.2004 – 1 Ws 24/04 -<br />
Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet. Der Angeklagte hat im Beschwerdeverfahren<br />
(vgl. § 45 Abs. 2 <strong>StPO</strong>) hinreichend glaubhaft gemacht, dass er wegen einer Erkrankung<br />
nicht zur Hauptverhandlung erscheinen konnte.<br />
Es ist allgemein anerkannt, dass eine Krankheit das Fernbleiben im Termin entschuldigt,<br />
wenn sie nach Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumut-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 4<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
bar macht, selbst wenn keine Verhandlungsunfähigkeit besteht (ständige Senatsrechtsprechung,<br />
vgl. nur Senat VRS 96, 451; VRS 98, 150; vom 25.04.2002 – Ss 38/02). Zur<br />
Glaubhaftmachung der Krankheit genügt in der Regel die Vorlage eines privatärztlichen<br />
Attestes (OLG Düsseldorf VRS 71, 292; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE<br />
vom 25.04.2002 – Ss 38/02). Dem ärztlichen Attest vom 17.08.2004 ist zu entnehmen,<br />
dass bei dem Angeklagten in dem Zeitraum, in den die Berufungshauptverhandlung fiel,<br />
eine Magen- und Darmerkrankung vorlag. Die Diagnose des Arztes ist mit dem Entschuldigungsvorbringen<br />
des Angeklagten ohne weiteres in Einklang zu bringen. Anhaltspunkte<br />
für die Annahme, es handele sich um ein durch Täuschung der Arztes erschlichenes oder<br />
ein erbetenes „Gefälligkeitsattest“ (vgl. SenE VRS 97, 362, 365; vom 16.10.2001 – Ss<br />
416/01 und vom 25.04.2002 – Ss 38/02), sind nicht ersichtlich.<br />
Damit hat der Angeklagte die Unzumutbarkeit einer Teilnahme an der Hauptverhandlung<br />
glaubhaft gemacht.<br />
…<br />
Durch die Gewährung der Wiedereinsetzung, über die gemäß § 342 Abs. 2 Satz 2 <strong>StPO</strong><br />
vorab zu befinden ist, ist das Verwerfungsurteil vom 18.08.2004 beseitigt und die Revision<br />
gegenstandslos (SenE vom 16.10.2001 – Ss 416/01; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47. Auflage,<br />
§ 329 Rn. 44, § 342 Rn 2 m. w. N.).<br />
§ 345 <strong>StPO</strong><br />
Revisionsbegründung; Unterschrift des Verteidigers<br />
SenE v. 14.12.2004- 8 Ss 433/04 -<br />
Nach § 345 Abs. 2 <strong>StPO</strong> kann die Revision u.a. durch eine von dem Verteidiger unterzeichnete<br />
Schrift begründet werden. Insoweit ist zur wirksamen Unterzeichnung ein die<br />
Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug erforderlich,<br />
der sich nicht als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische<br />
Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen<br />
Dritten zumindest erschwert (BGH NJW 88, 713; OLG Düsseldorf NStZ – RR 2000, 371 =<br />
VRS 99, 438; OLG Düsseldorf JMBl NW 02, 54 [55]; SenE vom 23.02.2001 – Ss 47/01 –<br />
B; SenE v. 09.11.2004 - 8 Ss 440/04 -).<br />
Dazu bedarf es zwar nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr,<br />
dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den<br />
Namen aus dem Schriftbild heraus lesen kann (OLG Düsseldorf JMBl. NW 02 5455). Das<br />
setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es<br />
sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt (BGH NJW 85, 1227; ständige Rechtsprechung<br />
auch des Senats, zuletzt SenE vom 07.12.2004 – 8 Ss 427/04 -, vgl. auch<br />
Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47. Aufl., Einleitung Rdnr. 129 und Kukein in Karlsruher Kommentar,<br />
<strong>StPO</strong>, 5. Aufl., § 345 Rdnr. 12, jeweils mit weiteren Nachweisen).<br />
Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist der Verteidigerschriftsatz vom<br />
16. Juni 2004 nicht auf. Er ist handschriftlich lediglich mit Zeichen versehen, die keinerlei<br />
Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder mit einer Buchstabenfolge aus dem Namen<br />
„G“ aufweisen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 5<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
§ 473 <strong>StPO</strong><br />
Teilerfolg<br />
SenE v. 07.01.2005 - 8 Ss 479/04 -<br />
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 <strong>StPO</strong>.<br />
Die bloße Schuldspruchänderung begründet keinen Teilerfolg im Sinne von § 473 Abs. 4<br />
<strong>StPO</strong>, der es rechtfertigen würde, die Staatskasse mit einem Teil der Kosten und notwendigen<br />
Auslagen des Angeklagten zu belasten (vgl. Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47. Auflage,<br />
§ 473 Rnr. 25).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 6<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Strafgesetzbuch<br />
§§ 20, 21 StGB<br />
langjährige Drogenabhängigkeit<br />
SenE v. 04.01.2005 - 8 Ss 478/04 -<br />
Das angefochtene Urteil hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Feststellungen<br />
zum Schuldspruch sind unvollständig.<br />
Das Amtsgericht hat die Frage der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der eingeschränkten<br />
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht geprüft, obwohl die Feststellungen Anlass zu dieser<br />
Prüfung boten. Eine solche Prüfung war veranlasst, weil die Angeklagte ausweislich der<br />
tatsächlichen Feststellungen seit 13 Jahren heroinabhängig und inzwischen polytoxikoman<br />
ist, seit 1 ½ Jahren mit Methadon substituiert wird und zudem gerade am Tattag<br />
zusätzlich zu dem ihr ärztlich verordneten Methadon auch Diazepam und Alkohol konsumiert<br />
hat. Schon zu Art und Umfang der Drogenabhängigkeit sind nähere Feststellungen<br />
nicht getroffen worden; auch zum Umfang des (auch: Ersatz-) Drogenkonsums und der<br />
Alkoholeinnahme am Tattag fehlen Feststellungen. Andererseits ergibt sich aus dem<br />
vom Amtsgericht mitgeteilten Vorstrafenregister, dass die Angeklagte wenigstens einmal<br />
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bestraft wurde. Weiteren Vorverurteilungen<br />
könnte Beschaffungskriminalität zugrunde liegen. Dies gilt insbesondere für die<br />
Eintragungen zu Ziffer 3 und Ziffer 6 in dem Erziehungs- und Strafregister, bei denen es<br />
jeweils zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung und zu deren Widerruf kam.<br />
Zwar liegt auch bei langjähriger Drogenabhängigkeit eine völlige Schuldunfähigkeit nach<br />
§ 20 StGB nicht ohne weiteres nahe (vgl. BGH NJW 89, 2337; SenE vom 01. April 1997 –<br />
Ss 134/97 - ; SenE vom 15.09.2000 – Ss 375/00 -; Lenckner- Perron in Schönke/Schröder,<br />
StGB, 26. Aufl., § 20 Rdnr. 17). Gleichwohl kann aufgrund einer auf Drogenabhängigkeit<br />
zurückzuführenden Persönlichkeitsveränderung und/oder akuter Beeinträchtigungen<br />
zur Tatzeit eine vollständige Exkulpation im Einzelfall durchaus in Betracht<br />
kommen (Senat a.a.O. und SenE vom 30. März 2004 – Ss 113/04 -). Ein sicherer Ausschluss<br />
der Schuldunfähigkeit durch das Revisionsgericht ist vorliegend aufgrund der<br />
unvollständigen Feststellungen zum Drogen- und Beikonsum jedenfalls nicht möglich.<br />
Erst recht kommt wenigstens eine Einschränkung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB in<br />
Betracht. Eine solche ist bei Drogenabhängigen stets zu prüfen, selbst wenn keine Anhaltspunkte<br />
für eine Tatbegehung unter akuter Drogenbeeinflussung bestehen (vgl. BGH<br />
NJW 89, 2336; StV 88, 198; Senat NStZ 89, 90; Senatsentscheidungen vom 21. Oktober<br />
2003 – Ss 346/03 – und vom 30. März 2004 – Ss 113/04 -). Es ist bei gegebener Betäubungsmittelabhängigkeit<br />
zu prüfen, ob langjähriger Konsum zu einer Persönlichkeitsveränderung<br />
im Sinne einer schweren anderen Abartigkeit geführt hat oder der Täter unter<br />
starken Entzugserscheinungen gelitten hat und dadurch dazu getrieben worden ist, sich<br />
mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, schließlich ferner, ob er die Tat in einem<br />
Zustand eines akuten Rausches verübt hat.<br />
Zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit kann schließlich auch die<br />
Angst des Drogenabhängigen vor Entzugserscheinungen führen, die er schon als äußerst<br />
unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt (vgl. zu alledem BGH NStZ<br />
99, 448; NStZ 01, 83; NStZ 01, 85; zusammenfassend die weiteren Rechtsprechungsnachweise<br />
in SenE vom 21. Oktober 2003 – Ss 346/03 -).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 7<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
§ 27 StGB<br />
Berufstypische "neutrale" Handlung<br />
SenE v. 28.12.2004 - 8 Ss 395/04 -<br />
Zum Schuldspruch ist die Revision des Angeklagten dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft<br />
entsprechend gemäß § 349 Abs. 2 <strong>StPO</strong> als unbegründet zu verwerfen, da die<br />
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler<br />
zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.<br />
Auf der Grundlage der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellungen begegnet seine Verurteilung<br />
wegen Beihilfe zum Handel des gesondert verfolgten Ö. mit jeweils ca. 2 kg Marihuana<br />
keinen rechtlichen Bedenken.<br />
Der Strafbarkeit seines Verhaltens steht insbesondere der Gesichtspunkt der berufstypischen<br />
"neutralen" Handlung nicht entgegen. Danach liegt eine strafbare Mitwirkung an<br />
fremder Tat nicht vor, wenn sich die Handlung des Hilfeleistenden zwar objektiv tatfördernd<br />
ausgewirkt hat, aber im Sinne einer bewertenden Betrachtung lediglich eine berufstypische<br />
und damit sozialadäquate Handlung darstellt (BGHSt 46, 107 [113] = NJW<br />
2000, 3010 = StV 2000, 492; Weber, BtMG, 2. Aufl., vor §§ 29 ff. Rdnr. 210 ff. m. w.<br />
Nachw.). Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare<br />
Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung<br />
zu werten (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 – Hilfeleisten 3, 20). In diesem Fall<br />
verliert sein Tun stets den "Alltagscharakter" der Berufsausübung; es ist als "Solidarisierung"<br />
mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.<br />
Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter<br />
verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zu Begehung einer Straftat<br />
genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu<br />
beurteilen, es sei denn ,das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm<br />
Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung "die Förderung eines<br />
erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein" ließ (BGHR StGB § 266 Abs. 1 – Beihilfe<br />
3; BGHR StGB § 27 Abs. 1 – Hilfeleisten 20).<br />
Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen sichere Kenntnis<br />
davon, dass sein Fahrgast sich in Köln-Mülheim Betäubungsmittel verschaffen wollte.<br />
In Bezug auf die Begehung eines Betäubungsmitteldelikts nach § 29 Abs. 1 BtMG und<br />
dessen Förderung durch sein Zutun handelte der Angeklagte demnach mit direktem Vorsatz.<br />
Damit verlor sein Tun den Alltagscharakter der Berufsausübung eines Taxifahrers;<br />
es war als Solidarisierung mit dem Täter zu deuten und nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.<br />
Kein sicheres Wissen, aber immerhin bedingten Vorsatz hatte er hinsichtlich der<br />
durch die geförderte Haupttat verwirklichten Tatbestandsalternative des § 29 Abs. 1<br />
BtMG – das Handeltreiben – und hinsichtlich der Qualifizierung der Haupttat – durch den<br />
Handel mit einer nicht geringen Menge -. Dazu wird festgestellt, der Angeklagte sei davon<br />
ausgegangen und habe billigend in Kauf genommen, "dass Ö. mittels seiner Taxe jeweils<br />
eine größere Menge Marihuana von Köln-Mülheim nach Köln-Kalk transportierte, die zum<br />
gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war" (S. 6 UA).<br />
§§ 28, 266 StGB<br />
Beihilfe zur Untreue; doppelte Strafrahmenverschiebung<br />
SenE v. 30.11.2004 - 8 Ss 453/04 -
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 8<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Im Strafausspruch kann das Urteil hingegen keinen Bestand haben, weil nach den Urteilsgründen<br />
nicht ausgeschlossen werden kann, dass die erkannte Strafe auf rechtsfehlerhaften<br />
Erwägungen beruht.<br />
Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt:<br />
„Aufgrund dieser Feststellungen in der Hauptverhandlung ist die Angeklagte überführt der<br />
Beihilfe der von dem gesondert verfolgten A. begangenen schweren Untreue.<br />
Die Angeklagte hat sich in insgesamt 28 Fällen strafbar gemacht.<br />
Zur Einwirkung auf die Angeklagte und zur Verteidigung der Rechtsordnung erscheint<br />
eine Freiheitsstrafe unerläßlich.<br />
Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Angeklagte den Sozialstaat gemeinschaftlich<br />
mit dem A. hemmungslos ausgenutzt hat. Strafmildernd kann allerdings<br />
das von der Angeklagten abgelegte Geständnis gewertet werden.<br />
Zwar hat sich die Angeklagte der Beihilfe zur Untreue im besonders schweren Fall strafbar<br />
gemacht, die besonderen Erschwerungsgründe der Untreue im besonders schweren<br />
Fall können der Angeklagten jedoch nicht zugerechnet werden, da sie von dem tatsächlichen<br />
Ausmaß der vom A. begangenen Untreue nichts wußte. Der Strafrahmen bezüglich<br />
der Angeklagten bewegt sich daher im Bereich des § 266 Abs. 1 StGB.<br />
Gleichwohl hält das Gericht es für erforderlich, die Angeklagte in eine kurze Freiheitsstrafe<br />
für jede der einzelnen Taten zu nehmen.“<br />
Diese Ausführungen sind materiell-rechtlich unvollständig, weil das Amtsgericht die gemäß<br />
§ 27 Abs. 2 Satz 2, § 28 Abs. 1 StGB vorgeschriebene doppelte Strafrahmenverschiebung<br />
nach § 49 Abs. 1 StGB außer acht gelassen hat (vgl. hierzu BGH, wistra 2004,<br />
227; BGHR StGB § 28 Abs. 1 Merkmal 2). Der vom Amtsgericht zugrunde gelegte<br />
Strafrahmen des § 266 Abs. 1 StGB hätte gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemildert<br />
werden müssen. Das Treueverhältnis nach § 266 Abs. 1 StGB ist ein strafbegründendes<br />
persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB (vgl. BGH StV 1995, 73;<br />
BGHSt 26, 53 f.; BGHR StGB § 28 Abs. 1 Merkmal 1). Dieses Merkmal fehlt bei der Angeklagten.<br />
Sind die Handlungen der Angeklagten darüber hinaus lediglich als Beihilfehandlungen<br />
zur Untreue zu werten, so wird der (gemilderte) Strafrahmen zusätzlich gem.<br />
§§ 27 Abs 2, 49 Abs 1 StGB zugunsten des Angeklagten verschoben (BGHR StGB § 26<br />
Gehilfe 1 (Gründe)). Bei diesem Mangel kann der Senat nicht ausschließen, dass der<br />
Tatrichter bei richtiger Bestimmung des Strafrahmens eine niedrigere Strafe verhängt<br />
hätte.<br />
§ 46 StGB<br />
Urteilsgründe<br />
SenE v. 16.11.2004 - 8 Ss 413/04 -<br />
Es ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks,<br />
den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen<br />
hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu<br />
bewerten und gegeneinander abzuwägen (Gribbohm in Leipziger Kommentar StGB, 11.<br />
Auflage, § 46 Rn. 326 mit Nachweisen; vgl. BGH NStZ 1990, 334; NJW 2000, 3010; SenE<br />
v. 28.12.2000 – Ss 529/00 -). Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler<br />
vorliegen, insbesondere wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen<br />
ist, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich<br />
anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen haben oder wenn sich die Strafe von ihrer
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 9<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten inhaltlich<br />
löst, dass ein grober Missgriff zwischen Schuld und Strafe besteht (BGH NStZ 1990, 334;<br />
Gribbohm, a.a.O.). Ein Rechtsfehler liegt erst vor, wenn ein wesentlicher, die Tat prägender<br />
Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (BGH NStZ-RR 2002, 329; SenE<br />
v. 02.12.2003 - Ss 413-414/03 -). Die Höhe der vom Tatrichter für den konkreten Fall bestimmten<br />
Strafe kann vom Revisionsgericht anhand der im Urteil dargelegten Umstände<br />
nicht ohne weiteres nachgeprüft werden. Bei der Gewichtung der einzelnen Umstände<br />
spielen vielmehr die aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und dem Eindruck von der<br />
Persönlichkeit des Angeklagten gewonnenen Momente eine Rolle, die sich einer exakten<br />
Richtigkeitskontrolle entziehen und schon deshalb eine volle Nachprüfung des Strafausspruchs<br />
durch den Revisionsrichter ausschließen (BGH NStZ 1990, 334). In Zweifelsfällen<br />
ist daher die Wertung des Tatrichters zu respektieren und bis an die Grenze des Vertretbaren<br />
hinzunehmen (BGH NStZ 1984, 360; Senatsentscheidung a.a.O.; Gribbohm<br />
a.a.O.). …<br />
Die von der Staatsanwaltschaft als nicht ausdrücklich erörtert angeführten Gesichtspunkte<br />
des Tatzeitraums und der Höhe des Vorteils führen nicht zu einer rechtlich beachtlichen<br />
Lücke der Erwägungen. Ist der Tatrichter nicht auf weitere zu Gunsten oder zu Lasten<br />
des Angeklagten sprechende Gesichtspunkte ausdrücklich eingegangen, bedeutet<br />
dies nicht, dass er sie übersehen hätte, sondern nur, dass er ihnen keine bestimmende<br />
Bedeutung i.S. von § 267 Abs. 3 S.1 <strong>StPO</strong> beigemessen hat (BGH NStZ-RR 1998, 347;<br />
BGH NStZ-RR 2002, 329; SenE v. 02.12.2003 - Ss 413-414/03 -). Dabei kann dahinstehen,<br />
ob die Bewertung dieser beiden Aspekte als taterheblich zwingend geboten ist. Jedenfalls<br />
kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden, dass die Strafkammer sich<br />
damit in den Urteilsgründen nicht befasst hat. Eine Verpflichtung zur Erörterung in den<br />
Urteilsgründen besteht nämlich nur für solche Gesichtspunkte, die materiell-rechtlich bestimmend<br />
gewesen sind (§ 267 Abs. 3 S. 1 <strong>StPO</strong>). …<br />
§ 46 StGB<br />
Strafrahmenwahl: vertypter Strafmilderungsgrund und minder<br />
schwerer Fall<br />
SenE v. 28.12.2004 - 8 Ss 395/04 -<br />
Der vom Landgericht zur Anwendung gebrachte Strafrahmen wäre allenfalls durch eine<br />
doppelte Strafmilderung erreichbar gewesen, nämlich wenn zum einen ein minder schwerer<br />
Fall nach § 29 a Abs. 2 BtMG angenommen und danach zum anderen zusätzlich die<br />
Strafmilderung nach §§ 27, 49 StGB vorgenommen worden wäre. Die Strafkammer hat<br />
es indessen versäumt, vorab zu prüfen, ob das Tatgeschehen als ein minder schwerer<br />
Fall nach § 29 a Abs. 2 StGB gelten kann. Sieht das Gesetz – wie hier in § 29 a Abs. 2<br />
StGB – einen minder schweren Fall vor und ist zusätzlich ein gesetzlicher Milderungsgrund<br />
– hier nach §§ 27, 49 StGB – gegeben, so stehen grundsätzlich zwei verschiedene<br />
Strafrahmen zur Verfügung. Es ist daher zunächst zu entscheiden, welcher Strafrahmen<br />
zur Anwendung gelangt. Dabei ist vorrangig zu prüfen, ob und ggf. aufgrund welcher<br />
Umstände ein minder schwerer Fall gegeben ist (BGH NStZ 99, 610; vgl. auch Weber,<br />
a.a.O., vor §§ 29 ff. Rn. 589 und § 29 a Rn. 39). Ist dies der Fall, ist weiter zu prüfen, ob<br />
der Strafrahmen des minder schweren Falles ohne Verletzung des § 50 StGB nochmals<br />
gemildert werden kann (vgl. zum Ganzen SenE vom 16. April 2004 – Ss 132/04 – und<br />
Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 50 Rn. 3, 4 m.w.N.). Jedenfalls dann, wenn der<br />
Tatrichter einen minder schweren Fall annimmt, ohne dabei auf einen vertypten Milde-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 10<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
rungsgrund zurückgreifen zu müssen, steht § 50 StGB einer doppelten Strafrahmenherabsetzung<br />
nicht entgegen (BGH NStZ 01, 642; BGH NStZ 00, 578 bei Detter; KG<br />
NStZ-RR 00, 68 K/R).<br />
Weil Feststellungen zum Vorliegen eines minder schweren Falles (gänzlich) fehlen, unterliegt<br />
das angefochtene Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft der Aufhebung. Für<br />
den Fall, dass ein minder schwerer Fall nach § 29 a Abs. 2 StGB nicht gegeben ist, hat<br />
sich dies nämlich bei der Wahl eines dann zu niedrigen Strafrahmens zu Unrecht zugunsten<br />
des Angeklagten ausgewirkt.<br />
§ 46 StGB<br />
Ausländereigenschaft; Bestreiten der Tat<br />
SenE v. 04.01.2005 - 8 Ss 474/04 -<br />
Das Amtsgericht hat in den Strafzumessungsgründen und zur Einziehung ausgeführt:<br />
„Der Angeklagte hat sich als Gast in der Bundesrepublik und in Köln aufgehalten. Er hat<br />
das Gastrecht zur Begehung von Straftaten missbraucht. Der Schaden, den er angerichtet<br />
hatte, ist nicht unerheblich. Es hätte ihm gut angestanden, hätte er auch im ersten Fall<br />
ein Geständnis abgelegt. Unter Abwägung sämtlicher für und wider den Angeklagten<br />
sprechenden Umstände erschienen Geldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen tat- und<br />
schuldangemessen. Aus diesen beiden Einsatzstrafen hat das Gericht unter nochmaliger<br />
Abwägung sämtlicher Umstände eine Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen gebildet.<br />
Diese erschien zur Einwirkung auf ihn und zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich<br />
aber auch ausreichend.<br />
Bei der Bemessung der Höhe eines Tagessatzes wurde der Sozialhilfesatz zugrundegelegt.<br />
Die sichergestellten Handies, die Telefonkarte und das sichergestellte Geld waren als<br />
Beute einzuziehen.“<br />
…<br />
Soweit das Amtsgericht auf den Missbrauch des Gastrechts abstellt, ist zu besorgen,<br />
dass es in der Sache zum Nachteil des Angeklagten in unzulässiger Weise berücksichtigt<br />
hat, dass er Ausländer ist. Die Ausländereigenschaft als solche darf nicht strafschärfend<br />
berücksichtigt werden. Die Staatsangehörigkeit des Täters ist grundsätzlich für die<br />
Bewertung seiner Schuld, die Grundlage für die Strafzumessung ist (§ 46 Abs. 1 S. 1<br />
StGB), ohne Bedeutung. Insbesondere wird auch das Maß der Pflichtwidrigkeit (§ 46 Abs.<br />
2 Satz 2 StGB) durch sie nicht beeinflusst. Eine gesteigerte Pflicht, sich im Gastland<br />
straffrei zu führen, trifft den Ausländer nicht (so BGH NStZ-RR 1993, 337 f. = StV 1993,<br />
358 f., vgl. a. KG NStZ – RR 2000, 68 [KIR]; SenE v. 28.10.2003 – Ss 464/03 –<br />
m.w.Nachw.).<br />
Des Weiteren ergibt sich aus der Formulierung „Es hätte ihm gut angestanden, hätte er<br />
auch im ersten Fall ein Geständnis abgelegt“, dass das Amtsgericht dem Angeklagten<br />
Uneinsichtigkeit angelastet hat. Das ist hier rechtsfehlerhaft. Uneinsichtigkeit eines Angeklagten<br />
darf zu seinem Nachteil – sanktionsbegründend bzw. sanktionsverschärfend –<br />
nur dann berücksichtigt werden, wenn sie nach der Tat des Betroffenen und seiner Persönlichkeit<br />
darauf schließen lässt, dass er sich durch eine mildere Sanktion nicht hinreichend<br />
beeindrucken lassen wird, die Rechtsordnung künftig zu beachten (ständige Senatsrechtssprechung,<br />
vgl. nur Senatsentscheidung VRS 81, 200; NZV 1995, 327, 328 am<br />
Ende; SenE v. 14.02.2000 – Ss 26/01 B; Steindorf in KK – OWiG, 2. Auflage, § 17 Rdnr.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 11<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
69 bis 71 m. w. N.; Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 17 Rdnr. 26 a m. w. N.). Denn ansonsten<br />
würde das Recht, sich uneingeschränkt gegenüber dem erhobenen Strafvorwurf<br />
verteidigen zu können, durch eine Verfahrenssanktion unzulässig beeinträchtigt. Das<br />
Leugnen eines Angeklagten ist für sich betrachtet wertungsneutral, weil das Strafverfahren<br />
weder einen Geständniszwang noch eine Pflicht des Angeklagten kennt, bei der Aufklärung<br />
des Sachverhalts mitzuwirken (BGH wistra 1988, 303 [304]; NStZ 1983, 453; StV<br />
1983, 501). Daher darf die Wahrnehmung des Rechts auf Bestreiten des Tatvorwurfs<br />
nicht dadurch vereitelt werden, dass das Nichtvorliegen eines Geständnisses als negativer<br />
Gesichtspunkt in die Strafzumessung einfließt.<br />
Hier hat das Amtsgericht nicht ausdrücklich ausgeführt, worin es die fehlende Einsicht<br />
des Betroffenen sieht. Die Beweiswürdigung lässt aber erkennen, dass es den Einsichtsmangel<br />
in der Einlassung des Betroffenen erblickt, er bestreite den Diebstahl der Geldbörse.<br />
Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, darf es einem Betroffenen aber nicht<br />
zu seinem Nachteil gereichen, dass er den Tatvorwurf bestreitet oder nicht in vollem Umfange<br />
einräumt (vgl. OLG Hamm VRS 8, 137; Senat NZV 1995, 327, 328).<br />
§ 46 StGB<br />
fehlendes "Unrechtsbewusstsein" als Strafschärfungsgrund<br />
SenE v. 28.12.2004 - 8 Ss 395/04 -<br />
Andererseits ist auch die Revision des Angeklagten zum Rechtsfolgenausspruch begründet,<br />
weil sich die Strafzumessungserwägungen im Einzelnen in zweifacher Hinsicht als<br />
rechtsfehlerhaft … erweisen.<br />
Soweit das Landgericht zu seinen Lasten berücksichtigt hat, dass ihm „bis heute jegliches<br />
Unrechtbewusstsein abgeht“, hält dies der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.<br />
Dem Angeklagten darf nicht zum Nachteil gereichen, dass er die Tat bestreitet und infolge<br />
dessen auch keine Schuldeinsicht und Reue zeigt. „Uneinsichtigkeit“ darf zu Lasten<br />
des Angeklagten nur berücksichtigt werden, wenn er bei seiner Verteidigung ein Verhalten<br />
zeigt, das im Hinblick auf die Tat und die Persönlichkeit auf besondere Rechtsfeindschaft<br />
und Gefährlichkeit schließen lässt (BGH NStZ 87, 171; ständige Rechtsprechung<br />
auch des Senats, vgl. etwa SenE vom 28. Oktober 2003 – Ss 438/03 – mit ausführlichen<br />
weiteren Nachweisen). Im Hinblick hierauf enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen,<br />
die es rechtfertigen könnten, eine Uneinsichtigkeit des die Tat überhaupt bestreitenden<br />
Angeklagten strafschärfend zu berücksichtigen.<br />
Ähnliches gilt für die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe „bewusst die Augen<br />
vor der Erkenntnis aus den ihm offenkundigen Tatumständen verschlossen, nämlich,<br />
dass er unerlaubt Betäubungsmittel mit seinem Mietwagen transportierte“. Hiermit wird<br />
dem Angeklagten letztlich die Tatbegehung als solche vorgehalten. Denn bei einer vorsätzlich<br />
begangenen Tat versteht es sich von selbst, dass sich der Täter der Erkenntnis,<br />
eine unerlaubte Tat zu begehen, verschließt.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 12<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
§ 47 StGB<br />
Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe bei einer Tatserie<br />
SenE v. 30.11.2004 - 8 Ss 453/04 -<br />
Die Begründung des Amtsgericht zu den Einzelstrafen gibt dem Senat darüber hinaus<br />
Veranlassung, für das nachfolgende Verfahren auf folgendes hinzuweisen:<br />
Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung<br />
kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise<br />
unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen (vgl. BGHSt 24, 40,<br />
42 f.; OLG Hamm VRS 97, 410 [411]). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter 6 Monaten<br />
hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung<br />
aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist<br />
(BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH StV 1994, 370; OLG<br />
Hamm VRS 97, 410 [411] m. w. Nachw.). Damit die Anwendung des § 47 StGB auf<br />
Rechtsfehler geprüft werden kann, bedarf es einer eingehenden und nachprüfbaren Begründung<br />
(BGH StV 1982, 366; StV 1994, 370; OLG Schleswig StV 1982, 367; StV 1993,<br />
29, 30; Senat NJW 1981, 411; SenE v. 03.01.2003 - Ss 536/02 -; SenE v. 29.08.2003 -<br />
Ss 336-337/03 -; SenE v. 16.04.2004 - Ss 130/04 -; vgl. a. Dahs/Dahs, Die Revision im<br />
Strafrecht, 5. Aufl., Rdnr. 394). Das Urteil muss dazu eine auf den Einzelfall bezogene,<br />
die Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten,<br />
warum eine kurzfristige Freiheitsstrafe unerläßlich ist. Formelhafte Wendungen genügen<br />
nicht (BGH StV 1982, 366; OLG Köln DAR 1971, 301; Hanack, in: Löwe-Rosenberg,<br />
<strong>StPO</strong>, 25. Aufl., § 337 Rdnr. 225; OLG Hamm VRS 101, 120 [121]). Der Tatrichter hat<br />
vielmehr für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, welche besonderen Umstände<br />
in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten die Verhängung der kurzzeitigen<br />
Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der<br />
Rechtsordnung unerlässlich gemacht haben (SenE v. 15.06.1999 - Ss 219/99 -; SenE v.<br />
22.01.2002 - Ss 442/01 -; SenE v. 16.04.2004 - Ss 130/04 -;). Dabei ist zu beachten,<br />
dass die hohe Anzahl verwirklichter Taten nicht stets Zeichen einer zu Lasten des Täters<br />
zu berücksichtigenden starken kriminellen Energie sein muss. Die wiederholte Verwirklichung<br />
gleichartiger, in engem Zusammenhang stehender Taten können auch Ausdruck<br />
einer von Tat zu Tat geringer werdenden Hemmschwelle sein (SenE v. 04.11.1997 - Ss<br />
607/97 -).<br />
§ 55 StGB<br />
Nachträgliche Gesamtstrafenbildung<br />
SenE v. 07.12.2004 - 8 Ss 459/04 -<br />
Demgegenüber hält die nachträgliche Gesamtsstrafenbildung (§ 55 Abs. 1 StGB) rechtlicher<br />
Überprüfung nicht stand.<br />
Das Landgericht hat zu den einbezogenen Verurteilungen lediglich die zu Grunde liegenden<br />
Lebenssachverhalte mitgeteilt, die mögliche - soweit es sich um Urteile handelt - Mitteilung<br />
der jeweiligen Strafzumessungserwägungen ist indes unterblieben. Zwar ist der<br />
Tatrichter bei der Bildung der Gesamtstrafe unter Einbeziehung früherer Strafen nur an<br />
die Feststellungen der früheren Verurteilungen zu den Einzelstrafen gebunden (BGH StV<br />
2003, 555 = StraFo 2003, 97 = NStZ-RR 2003, 9). Gleichwohl hat er auch deren Strafzumessungserwägungen<br />
zu berücksichtigen (BGH a.a.O.; Senatsentscheidung vom
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 13<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
15.12.2000-Ss 505/00), wenn er auch in der eigentlichen Bemessung der Gesamtstrafe<br />
frei ist (BGH a.a.O.).<br />
Einer ausführlichen Mitteilung der früheren Strafzumessungserwägung bedarf es insbesondere<br />
dann, wenn die in die Gesamtstrafenbildung eingeflossene höchste verhängte<br />
Einzelstrafe (Einsatzstrafe) der einbezogenen Verurteilung entnommen wird (hier: 9 Monate<br />
Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgericht Wipperfürth vom 09.12.2002); dann<br />
kommt den dortigen Strafzumessungserwägungen eine besondere Bedeutung zu (vgl.<br />
Senat a.a.O.).<br />
Der beschriebene Darlegungsmangel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im Gesamtstrafenausspruch.<br />
Der Senat kann nicht ausschließen, dass dieser Ausspruch auf<br />
dem beschriebenen Fehler beruht. Der Fehler ermöglicht es dem Senat auch nicht, die<br />
Frage der Angemessenheit der Gesamtstrafe in eigener Wertung zu beurteilen, so dass<br />
ein Absehen von der Aufhebung in Anwendung des § 354 Abs. 1 b <strong>StPO</strong> n. F. nicht in<br />
Betracht kommt.<br />
§§ 53, 54 StGB<br />
Gesamtstrafenbildung<br />
SenE v. 16.11.2004 - 8 Ss 413/04 -<br />
Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft kann auch nicht festgestellt werden, dass<br />
bei der Gesamtstrafenbildung die von der Kammer vorgenommene Erhöhung der höchsten<br />
verwirkten Einsatzstrafe zu gering und deshalb rechtsfehlerhaft ist. Der Summe der<br />
Einzelstrafen kommt in der Regel nur ein geringes Gewicht zu (BGH NStZ-RR 2003, 295;<br />
Tröndle/Fischer, a. a. O. § 54 Rn 7); es kommt auf die angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe<br />
unter Berücksichtigung der Person des Täters und seiner Taten an (BGH<br />
NStZ-RR 1997, 131).<br />
Bei einer Reihe gleichartiger Taten hat die Erhöhung der Einsatzstrafe in der Regel niedriger<br />
auszufallen, wenn zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und<br />
situativer Zusammenhang bestanden hat (BGH NStZ 2000, 580 [Detter]; BGH NStZ<br />
2001, 135 [Detter]; BGH NStZ 2001, 365 [366]; BGH NStZ-RR 2004, 37 [Pfister]; SenE v.<br />
08.06.2001 - Ss 221/01 -; SenE v. 04.11.2003 - Ss 445/03 -). Ein enger zeitlicher und<br />
sachlicher Zusammenhang zwischen den Straftaten legt im Regelfall ein enges Zusammenziehen<br />
der Gesamtstrafe nahe (BGH StV 2003, 555 = NStZ-RR 2003, 9 [10]; SenE v.<br />
04.11.2003 - Ss 445/03 -). Dass die Kammer von diesen Grundsätzen in unvertretbarer<br />
Weise zugunsten des Angeklagten abgewichen wäre, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen.<br />
§§ 73, 74 StGB<br />
Diebesbeute<br />
SenE v. 04.01.2005 - 8 Ss 474/04 -<br />
Auch die Anordnung der Einziehung von sichergestellten Gegenständen (Telefon, Telefonkarte[n]<br />
und Geld), den das Amtsgericht in keiner Weise begründet hat, hält materiellrechtlicher<br />
Überprüfung nicht Stand.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 14<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Die Voraussetzungen für eine Einziehung gemäß § 74 StGB liegen ersichtlich nicht vor.<br />
Sichergestellt wurden ersichtlich Sachen, die als Beutestücke angesehen wurden. Die<br />
Tatbeute unterliegt aber nicht der Einziehung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 74<br />
Rdnr.5). In Betracht kommt insoweit nur die Anordnung des Verfalls.<br />
Der Verfall (§ 73 StGB) kann nur gegen den Täter oder Teilnehmer angeordnet werden,<br />
soweit dieser unmittelbar aus der abgeurteilten Tat wirtschaftlich etwas in eigener Verfügungsgewalt<br />
erlangt hat (SenE v. 19.04.2002 - Ss 154-155/02 -; BGH [21.03.02] BGHSt<br />
47, 260 [269] = NJW 2002, 2257 [2259] = NStZ 2002, 477 [479]). Vorauszusetzen ist eine<br />
unmittelbare Kausalbeziehung zwischen Tat und Vorteil (BGHSt 47, 260 [269] = NJW<br />
2002, 2257 [2259] = NStZ 2002, 477 [479]). Insoweit fehlen aber jegliche Feststellungen<br />
zur Spezifizierung der sichergestellten Gegenstände sowie dazu, dass der Angeklagte<br />
diese durch die beiden hier abgeurteilten Diebstähle erlangt hat.<br />
Soweit das Amtsgericht gemeint haben sollte, die Voraussetzungen eines erweiterten<br />
Verfalls gem. § 73 d Abs. 1 StGB lägen vor, fehlen auch dazu die eine solche Annahme<br />
rechtfertigenden Feststellungen. Als Gesetz, „das auf diese Vorschrift verweist“, käme<br />
insoweit denkbar § 244 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB in Betracht. Das setzte u.a. voraus,<br />
dass der Angeklagte einen Diebstahl als Mitglied einer zur fortgesetzten Begehung<br />
von Raub oder Diebstahl verbundenen Bande und unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds<br />
begangen hätte (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 244 Rn 16). Derartiges ist<br />
bisher nicht festgestellt.<br />
§ 164 StGB<br />
falsche Verdächtigung<br />
SenE v. 07.01.2005 - 8 Ss 479/04 -<br />
Hinsichtlich der Tat vom 14.01.2002 muss die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener<br />
falscher Verdächtigung entfallen, weil die Feststellungen im Berufungsurteil die innere<br />
Tatseite dieses Straftatbestandes nicht belegen und auszuschließen ist, dass eine Neuverhandlung<br />
dazu weitere Erkenntnisse liefern würde.<br />
Der subjektive Tatbestand des § 164 StGB erfordert u. a., dass der Täter weiß und will,<br />
dass ein behördliches Verfahren gegen den Verdächtigten die notwendige Folge seiner<br />
Handlung ist; bedingter Vorsatz genügt nicht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage, §<br />
164 Rnr. 13 mit Nachweisen).<br />
Die Feststellungen der Strafkammer belegen nicht, dass der Angeklagte bei seinen Äußerungen<br />
zu Protokoll der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Aachen in dieser Vorstellung<br />
gehandelt hat.<br />
§ 252 StGB<br />
räuberischer Diebstahl<br />
Beutesicherungsabsicht<br />
SenE v. 18.01.2005 - 8 Ss 446/04 -<br />
Der subjektive Tatbestand des § 252 StGB setzt Vorsatz voraus, der sich auf den Diebstahl<br />
und die Nötigungshandlung bezieht; ferner muss der Täter in Besitzerhaltungsabsicht<br />
handeln, was bedeutet, dass die Gewaltanwendung oder Drohung zum Ziel haben
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 15<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
muss, sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten (vgl. Eser in Schönke/Schröder,<br />
StGB, 26. Aufl., § 252 Rn 7; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 252 Rn 9).<br />
Dafür reicht es nicht aus, dass der Täter sich nur der Ergreifung entziehen will, während<br />
es andererseits allgemeiner Auffassung entspricht, dass die in dieser Vorschrift geforderte<br />
Absicht, "sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten", nicht der einzige Beweggrund<br />
des Täters für die Gewaltanwendung oder den Einsatz des Nötigungsmittels sein<br />
muss (vgl. BGHSt 13, 64, 65; 16, 1, 4; 26, 95, 97; BGH NStZ 1984, 454, 455; Eser a.a.O.;<br />
Tröndle/Fischer a.a.O.). Tatbestandsmäßig im Sinne des § 252 StGB handelt daher auch,<br />
wer gleichzeitig das Diebesgut verteidigen und sich der Strafverfolgung entziehen will<br />
(vgl. BGH NStZ 2000, 530 = StraFo 2000, 417; SenE v. 09.08.2002 –Ss 310/02; SenE v.<br />
25.05.2004 – Ss 200/04- = NStZ-RR 2004, 299). Allerdings kann aus einer Flucht unter<br />
Mitnahme der Beute nicht ohne weiteres auf eine Beuteerhaltungsabsicht geschlossen<br />
werden (vgl. OLG Zweibrücken JR 1991, 383 f.; SenE v. 25.05.2004 – Ss 200/04 - =<br />
NStZ-RR 2004, 299).<br />
Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer sich davon überzeugt hat, dass es dem<br />
Angeklagten auch darauf ankam, sich im Besitz der Beute zu erhalten, sind aus Rechtsgründen<br />
nicht zu beanstanden. Sie sind weder lückenhaft, in sich widersprüchlich oder<br />
unklar noch beinhalten sie Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. …<br />
Schließlich hat die Kammer als Argument für die Beuteerhaltungsabsicht des Angeklagten<br />
angeführt, dass er andernfalls genug Zeit gehabt hätte, sich ihrer vor dem Hausstürmen<br />
aus dem Zimmer zu entledigen und sich so seine Flucht zu erleichtern.<br />
Insbesondere die letzte Erwägung ist rechtlich nicht zu beanstanden.<br />
Soweit in der Rechtsprechung der tatrichterliche Rückschluss aus der Mitnahme der Beute<br />
bei der Flucht auf die Beuteerhaltungsabsicht als rechtsfehlerhaft beanstandet worden<br />
ist, handelte es sich immer um Fälle, in denen der Täter nicht die Möglichkeit hatte, sich<br />
ohne Gefährdung seiner Fluchtchancen der Beute zu entledigen. So etwa in dem Fall<br />
BGH MDR 1987, 154, wo sich die Beute in dem Pkw befand, mit dem die Täter in großer<br />
Eile die Flucht ergriffen, nachdem sie sich gewaltsam gegen den Polizeibeamten zur<br />
Wehr gesetzt hatten, der sie als Diebe erkannt hatte und festhalten wollte. Auch in den<br />
Fällen der Senatsentscheidungen vom 25.05.2004 (NStZ-RR 2004, 299) und 08.10.2004<br />
(8 Ss 393/04) verhielt es sich so, dass die Angeklagten jeweils keine Möglichkeit hatten,<br />
die gestohlenen Sachen aus der Kleidung hervorzuholen und wegzulegen, ohne dadurch<br />
die Fluchtchancen zu schmälern, weil sie schon festgehalten wurden und sich nur unter<br />
Überwindung eines bereits geleisteten Widerstands die Flucht ermöglichen konnten (vgl.<br />
weiter OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Naumburg, B. v. 12.06.1999 – 2 Ss 155/99 -). Eine<br />
entsprechende Situation lag im vorliegenden Fall erst vor, als der Angeklagte gestolpert<br />
war, von zwei Schwestern festgehalten wurde und sich unter Fuchteln mit den Armen aus<br />
deren Griff lösen konnte. Darauf hat die Strafkammer aber nicht abgestellt und daraus<br />
nichts bzgl. der Beuteerhaltungsabsicht hergeleitet.<br />
Andererseits ist der Rückschluss von der Flucht mit Beute auf die Absicht der Beuteerhaltung<br />
immer dann revisionsgerichtlich unbeanstandet geblieben, wenn der Täter ohne Gefährdung<br />
seiner Flucht die Möglichkeit hatte, die Beute zurückzulassen (so in BGHSt 13,<br />
64, wo der Angeklagte in einem Personalraum 2 Geldbörsen entwendet hatte, als er von<br />
einer Angestellten überrascht wurde. Oder in der SenE v. 09.08.2002 - Ss 310/02 -, wo<br />
der Angeklagte ein gestohlenes Hemd nur lose unter der offenen Jacke eingeklemmt<br />
versteckt hielt und es ohne weiteres fallen lassen konnte).<br />
Hier ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass der Angeklagte vor dem Herausstürmen<br />
aus dem Zimmer, in dem er noch nicht entdeckt worden war, die 5 Geldbörsen ablegen<br />
konnte. Das ist nach allem, was dem Urteil zu dieser Situation zu entnehmen ist,
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 16<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ihm das den geplanten Überraschungscoup<br />
erschwert oder unmöglich gemacht hätte. Denn es spricht nichts dafür,<br />
dass das Ablegen der 5 Geldbörsen einen erheblichen Zeitaufwand erfordert hätte. Ob es<br />
ihm die Flucht sogar erleichtert hätte, wie die Strafkammer meint, kann daneben dahinstehen.<br />
Entscheidend ist, dass die gegebene Möglichkeit zur Beuteentledigung nicht genutzt<br />
wurde.<br />
§ 353 b StGB<br />
Verletzung des Dienstgeheimnisses durch Bruch des richterlichen<br />
Beratungsgeheimnisses<br />
SenE v. 11.01.2005 - 8 Ss 460/04 -<br />
Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu Recht vom Vorwurf der Verletzung<br />
des Dienstgeheimnisses nach § 353 b Abs. 1 StGB freigesprochen.<br />
Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen ist die Strafkammer (allerdings) zu der Überzeugung<br />
gelangt, dass der Angeklagte Verfasser der beiden anonymen Schreiben war, die am<br />
14.03.2000 und 16.03.2000 den Rechtsanwalt Franz erreicht haben.<br />
Es spricht auch vieles dafür, dass er damit unbefugt ein Geheimnis offenbart hat, das ihm<br />
als Amtsträger anvertraut war.<br />
Der Senat sieht – anders als das OLG Düsseldorf (NStZ 1981, 25; sich anschließend: KG<br />
GA 87, 227; NStZ 1999, 427) – keinen Anlass, das richterliche Beratungsgeheimnis aus<br />
dem Anwendungsbereich des § 353 b Abs. 1 BGB herauszunehmen. Der Gesetzeswortlaut<br />
bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Vorschrift auf Verwaltungsgeheimnisse<br />
beschränkt sein soll. Geschützt sind durch sie diejenigen staatlichen Bereiche, in denen<br />
die aufgeführten Personen tätig sind. Amtsträger im Sinne der Nr. 1 sind auch Richter<br />
einschließlich der Schöffen (§§ 11 Abs. 1 Nr. 2 a StGB, 44, 45, 45 a DRiG; wie hier u.a.:<br />
Träger in LK, StGB, 11. Aufl., § 353 b Rn. 11; Hoyer SK, StGB, 5. Aufl., § 353 b Rn. 4;<br />
Kuhlen NK, StGB, § 353 b Rn. 12; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 353 b Rn. 6; anderer<br />
Ansicht: Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 353 b Rn. 5).<br />
…<br />
Eine Verurteilung des Angeklagten scheidet jedenfalls deshalb aus, weil es nach den<br />
rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts an einer Gefährdung<br />
wichtiger öffentlicher Interessen als Folge der Vorgehensweise des Angeklagten<br />
fehlt.<br />
Die Strafbarkeit nach § 353 b Abs. 1 StGB setzt neben der Verletzung des Dienstgeheimnisses<br />
als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraus, dass gerade durch die Tathandlung<br />
wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Daran fehlt es hier.<br />
Der Gegenstand des festgestellten Geheimnisbruchs – nämlich die Tatsache, dass die<br />
Strafkammer weitere Beweiserhebungen nicht einstimmig, sondern gegen das Votum<br />
mindestens eines Mitglieds beschlossen hat – lässt eine unmittelbare Gefährdung öffentlicher<br />
Belange nicht besorgen. Denn es ist weder für die Entscheidung als solche noch für<br />
ihre Auswirkungen auf den Verfahrensfortgang von Bedeutung, ob sie einstimmig oder<br />
mehrheitlich getroffen worden ist. Anders als etwa die Offenbarung von Ermittlungsergebnissen,<br />
des Erlasses eines Haftbefehls oder der Themen von Prüfungsarbeiten (vgl.<br />
Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 353 b Rn.13, 13 a, b m. N.) führt die Preisgabe einer<br />
Abstimmungsquote nicht zu einer Gefährdung des Verfahrenszwecks.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 17<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Allerdings können nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Auffassung<br />
wichtige öffentliche Interessen im Sinne von § 353 b Abs. 1 StGB mittelbar auch dadurch<br />
gefährdet werden, dass die Tatsache des Geheimnisbruchs aufgedeckt und allgemein<br />
bekannt wird, und dass sodann als mittelbare Folge der Tat das Vertrauen der Öffentlichkeit<br />
in das Ansehen und die Verschwiegenheit der Verwaltung erschüttert wird (BGH<br />
NStZ 2000, 596; BGHSt 48, 126 = NJW 2003, 979; Senatsentscheidung NJW 1988,<br />
2489; vgl. u.a. Träger in LK, § 353 b Rn. 26; Tröndle/Fischer a.a.O. , § 353 b Rn. 13 a).<br />
Ob in diesem Sinne wichtige öffentliche Interessen gefährdet worden sind, kann nicht<br />
allgemein beurteilt werden, sondern ist Tatfrage des Einzelfalls. Der Tatrichter hat dies in<br />
eigener Verantwortung zu prüfen und darf nicht die Gefährdung bereits aus dem Umstand<br />
folgern, dass die vorgesetzte Behörde – wie hier der Justizminister des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen – die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353 b Abs. 4 Nr. 3<br />
StGB erteilt hat. Immer ist darauf abzustellen, ob konkret eine Gefahr entstanden ist. Die<br />
Gefährdung liegt nicht schon dann vor, wenn mit ihr nur nach allgemeinen Erfahrungssätzen<br />
(abstrakt) zu rechnen ist (BGHSt 20, 342; ähnlich: BGH MDR 1963, 426; OLG Köln<br />
GA 1973, 57; Träger in LK, § 353 b Rn. 27).<br />
Es müssen vielmehr konkrete Feststellungen dazu getroffen werden, ob und inwieweit<br />
das Ansehen – hier: der Aachener Justiz – bzw. das Vertrauen in die Verschwiegenheit<br />
der fraglichen Behörde in der Öffentlichkeit durch das Aufdecken und Bekanntwerden des<br />
Vorfalls erschüttert worden ist oder ob dieser Vorgang als Einzelfall gewertet worden ist.<br />
Es müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, eine konkrete Gefährdung<br />
durch Erschütterung des Ansehens oder Vertrauens zu untermauern (z.B. Reaktion in der<br />
seriösen Presse, zahlreiche schriftliche oder mündliche Proteste aus der Bevölkerung<br />
etc.; vgl. SenE NJW 1988, 2489, 2491).<br />
Daran fehlt es hier. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich die örtliche Presse lediglich in<br />
drei Artikeln mit dem Vorgang befasst. Inhaltlich beschränken sich die Veröffentlichungen<br />
im Wesentlichen auf eine Darstellung des Geschehensablaufs. Der Bruch des Beratungsgeheimnisses<br />
wird dabei nicht einmal als schlagzeilentauglich empfunden. Kritik an den<br />
beteiligten Richtern oder dem Justizapparat generell wird nicht geäußert. Insgesamt erscheint<br />
die Handlungsweise des Angeklagten vielmehr als das, was sie auch tatsächlich<br />
ist: nämlich als – nicht alltägliche – Entgleisung eines Laienrichters, als außergewöhnliche<br />
Absonderlichkeit in einem seltenen Einzelfall, hervorgerufen durch einen Schöffen, dem<br />
es offenbar an der persönlichen Eignung zur Wahrnehmung dieses Ehrenamtes fehlt.<br />
Weitere Reaktionen – namentlich in den Leserbriefen der Lokalpresse – hat es nach den<br />
Urteilsfeststellungen nicht gegeben. Dafür war auch der Gegenstand des Geheimnisverrats<br />
für die Öffentlichkeit ersichtlich zu uninteressant. Ob eine Strafkammer über weitere<br />
Beweiserhebungen einstimmig oder mehrheitlich entscheidet, ist offensichtlich nicht von<br />
öffentlichem Interesse. Dass „das Scheitern des ersten Prozesses und der Neubeginn vor<br />
einer anderen großen Strafkammer... großes Interesse in der Aachener Presse gefunden<br />
und in der Öffentlichkeit zu erheblichen Diskussionen geführt haben“, – wie es in dem in<br />
vorliegender Sache auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2<br />
<strong>StPO</strong>) ergangenen Beschluss des Landgerichts Aachen vom 26.05.2003 heißt – belegen<br />
die Urteilsfeststellungen nicht. Eine Vertrauenskrise oder ein Ansehensverlust der Aachener<br />
Justiz als Folge der Tat des Angeklagten ist nicht ersichtlich.<br />
Eine Verurteilung wegen der Offenbarung des Wertes des Colliers der Zeugin L. hat das<br />
Landgericht mit zutreffenden Gründen abgelehnt. Da die Zeugin L. keinen Strafantrag<br />
gestellt hat, ist auch nicht etwa § 203 Abs. 2 StGB anwendbar.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 18<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)<br />
§ 66 OWiG<br />
Zuständigkeitsmangel und Wirksamkeit des Bußgeldbescheids<br />
SenE v. 25.01.2005 - 8 Ss-OWi 98/04 -<br />
Es fehlt auch nicht im Hinblick auf die Zuständigkeitsfrage an der Verfahrensvoraussetzung<br />
eines wirksamen Bußgeldbescheids.<br />
Die fehlende Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde für den Erlass des Bußgeldbescheides<br />
führt nur bei evidentem Verstoß gegen die gesetzlichen Kompetenzregelungen,<br />
der sich für den Betroffenen als staatlicher Willkürakt darstellt, zur<br />
Nichtigkeit (OLG Düsseldorf JMBl NW 2002, 235 = wistra 2002, 439 = VRS 103,<br />
437 = GewArch 2003, 330; vgl. auch BayObLG DAR 2004, 709 f.). So liegt es hier<br />
aber nicht. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hat die Firma<br />
Frank R. Bibow ihren Hauptsitz in Großbritannien, also im Ausland, so dass sich<br />
schon eine originäre Zuständigkeit des Bundesamtes nach § 23 Abs. 2 GüKG ergeben<br />
könnte, sofern ihm die Zuständigkeit nicht nach § 21 Abs. 1 GüKG übertragen<br />
worden ist.<br />
§ 68 OWiG<br />
Zuständigkeit des Amtsgerichts<br />
SenE v. 25.01.2005 - 8 Ss-OWi 98/04 -<br />
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war das Amtsgericht Köln gem. §<br />
68 Abs. 1 OWiG zur Entscheidung berufen. Das gilt unabhängig davon, ob zuständige<br />
Bußgeldbehörde der Landrat des Erftkreises – wie die Rechtsbeschwerde<br />
meint – oder das Bundesamt mit Sitz in Köln ist. Denn örtlich zuständig ist das<br />
Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid<br />
erlassen hat, ihren Sitz hat. Dabei kommt es in der Regel nicht darauf an, ob die<br />
Verwaltungsbehörde örtlich oder sachlich für die Ahndung zuständig war (vgl.<br />
hierzu Göhler, OWiG, 13. Aufl. § 68 Rn 3; KK OWiG-Senge, 2. Aufl., § 71 Rn 10;<br />
OLG Düsseldorf VRS 61, 275; OLG Koblenz VRS 52, 365).<br />
§ 71 OWiG, § 267 <strong>StPO</strong><br />
Urteilsgründe im Bußgeldverfahren<br />
SenE v. 25.01.2005 - 8 Ss-OWi 98/04 -<br />
Dagegen tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht.<br />
Es fehlt an einer ausreichenden Konkretisierung der dem Betroffenen vorgeworfenen<br />
Verstöße. Weder wird mitgeteilt, durch welche Einzelhandlungen der Betroffene die zahlenmäßig<br />
angeführten Beförderungen veranlasst hat, noch welche konkreten Beförderungen<br />
erfolgt sind.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 19<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
a.<br />
Bei mehreren Verstößen sind grundsätzlich hinsichtlich jedes Verstoßes Zeit und Ort der<br />
Begehung anzuführen. Zusammenfassungen einer größeren Anzahl gleichgelagerter<br />
Verstöße sind nur insoweit zulässig, als dadurch jede einzelne Tat in ihrer Konkretisierung<br />
nicht in Frage gestellt wird (vgl. OLG Düsseldorf VRS 74, 204, 206). Demgegenüber<br />
wird im Urteil lediglich ausgeführt, dass eine Fa. T. 18 Beförderungen vom 02.06. bis zum<br />
26.06.2003, eine Fa. R. 21 Beförderungen vom 02.06. bis zum 30.06.2003, eine Fa. S. 14<br />
Beförderungen vom 28.05. bis zum 27.06.2003 und eine Fa. Sch. 12 Beförderungen vom<br />
02.06. bis zum 01.07.2003 durchgeführt hat, während wegen der Einzelheiten auf vier<br />
Listen verwiesen wird, die Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen seien. Eine derartige<br />
Bezugnahme ist unzulässig.<br />
Grundsätzlich muss jedes Urteil aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGHSt. 41, 376<br />
[380]; 33, 59 [60]; BGH NStZ 1994, 400; NStZ-RR 1996, 109). Bezugnahmen sind, und<br />
dies auch nur wegen der Einzelheiten, nach § 267 Abs. 1 Satz 3 <strong>StPO</strong> i.V.m. § 71 Abs. 1<br />
OWiG lediglich auf in den Akten befindliche Abbildungen zulässig, worunter unmittelbar<br />
durch den Gesichtssinn wahrnehmbare Wiedergaben der Außenwelt, wie z.B. Fotos, Abzüge<br />
von anderen Bildträgern, Zeichnungen, Landkarten oder technische Diagramme zu<br />
verstehen sind (KK-Engelhardt, <strong>StPO</strong> 5. Aufl., § 267 Rn. 6; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 47.<br />
Aufl., § 267 Rn 9). Bezugnahmen außerhalb der Verwiesungserlaubnis des § 267 Abs. 1<br />
S. 3 <strong>StPO</strong> (und des hier nicht einschlägigen § 267 Abs. 4 S. 1 2. Halbsatz <strong>StPO</strong> 2. Halbsatz)<br />
sind unzulässig, sofern dadurch die gebotene eigene Sachdarstellung ersetzt werden<br />
soll, so auch die Bezugnahme auf Aktenteile oder ein schriftliches Sachverständigengutachten<br />
(vgl. BGH NStZ 1987, 347; NStZ-RR 1996, 109; Senatsentscheidung vom<br />
05.08.1997 –Ss 312/97-; SenE v. 05.04.2001 – Ss 95/01 B -; KK-Engelhardt, a.a.O., §<br />
267 Rn 3; Meyer-Goßner, a.a.O., § 267 Rn 1). Soweit gebotene eigene Feststellungen<br />
und Würdigungen durch Bezugnahmen ersetzt werden, fehlt es verfahrensrechtlich an<br />
einer Urteilsbegründung und materiell-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch<br />
das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 304; OLG<br />
Hamm NStZ-RR 2002, 147; SenE v. 19.12.2003 – Ss 529/03 -).<br />
Schon wegen der dargelegten materiell-rechtlichen Mängel muss das Urteil insgesamt<br />
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung unter Beachtung der<br />
oben angeführten Grundsätze zurückverwiesen werden.<br />
b.<br />
Darüber hinaus sind auch die Feststellungen zur Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen<br />
zwischen dem Betroffenen und den LKW-Betreibern nicht ausreichend, um abschließend<br />
beurteilen zu können, ob sie rechtlich als Subunternehmer-Verträge einzuordnen sind,<br />
wie auch nicht festgestellt ist, ob die zur Beförderung eingesetzten LKW im Hinblick auf §<br />
1 Abs. 1 GüKG (Gesamtgewicht über 3,5 Tonnen) überhaupt einer Erlaubnis bedurften.<br />
Auch fehlen Erwägungen zum Konkurrenzverhältnis der dem Betroffenen vorgeworfenen<br />
Verstöße; so kann die Durchführung einer Vielzahl von Transporten als eine Zuwiderhandlung<br />
angesehen werden, weil die einzelnen Handlungen zu einer Bewertungseinheit<br />
des gewerblichen Betriebs verbunden sind (vgl. KG VRS 101, 461 [463]).<br />
c.<br />
Materiell-rechtlich unvollständig sind ferner die Urteilsgründe in Bezug auf die Bemessung<br />
der Geldbuße, die gemäß § 19 OWiG im Fall der Tateinheit nur einmal und gemäß § 20<br />
OWiG für jede tatmehrheitlich begangene Ordnungswidrigkeit einzeln und gesondert festzusetzen<br />
ist. Insoweit wird lediglich auf den Bußgeldbescheid Bezug genommen, der<br />
nach den mitgeteilten Zahlen offensichtlich von einer tatmehrheitlichen Berechnungsweise<br />
ausgeht, während das Amtsgericht – wenn auch, wie ausgeführt, ohne jede Begrün-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 20<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
dung – lediglich eine Tat annimmt. Dadurch kann eine für das Rechtsbeschwerdegericht<br />
nachprüfbare Darstellung der Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht,<br />
- ebenso wie bei einem Berufungsurteil (vgl. dazu BGH VRS 75, 202; OLG Stuttgart<br />
MDR 1979, 780 = Justiz 1979, 270 = OLGSt zu § 267 <strong>StPO</strong>; SenE v. 25.02.1986 - Ss<br />
20/86 -; SenE v. 04.04.1986 - Ss 143/86 -; SenE v. 20.10.1987 - Ss 495/87 -; SenE v.<br />
12.04.1988 - Ss 162/88 -; SenE v. 08.12.2000 - Ss 497/00 -) - nicht ersetzt werden (SenE<br />
v. 24.07.2001 – Ss 129/01 B -; OLG Hamm VRS 104, 370 [372] = NZV 2003, 295 [296]).<br />
§ 80 OWiG<br />
Zulassungsantrag; Begründung<br />
SenE v. 05.01.2005 - 8 Ss-OWi 129/04 -<br />
Nach § 80 Abs. 3 S. 3 OWiG sind bei dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />
die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§<br />
344, 345 <strong>StPO</strong>) zu beachten. Aufgrund dieser Bestimmung muss die Rechtsbeschwerde<br />
noch vor ihrer Zulassung ordnungsgemäß begründet werden. Jeder Mangel der Rechtsbeschwerdebegründung<br />
ist dem Zulassungsantrag anzulasten (Steindorf a.a.O. § 80<br />
Rdnr. 50). Die Tatsache, dass es sich nur um einen Zulassungsantrag handelt, erleichtert<br />
die strengen Voraussetzungen für die Rechtsbeschwerdebegründung nicht (vgl. OLG<br />
Düsseldorf VRS 75, 221 [222]; st. Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 23.01.1990 - Ss<br />
9/90 Z - = VRS 78, 467; zuletzt: SenE v. 27.03.2000 - Ss 126/00 Z -; SenE v. 11.04.2000<br />
- Ss 170/00 Z -; SenE v. 04.10.2000 - Ss 411/00 Z -; SenE v. 27.06.2001 - Ss 255/01 Z -;<br />
SenE v. 10.07.2001 - Ss 276/01 Z -). Ein Antrag, mit dem weder eine Sachrüge noch eine<br />
zulässige Verfahrensrüge erhoben wird, ist als unzulässig zu verwerfen (Senatsentscheidungen<br />
a.a.O.).<br />
§§ 73, 74, 80 OWiG<br />
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Verwerfungsurteil nach<br />
Entpflichtungsantrag<br />
Rügevorbringen<br />
SenE v. 05.01.2005 - 8 Ss-OWi 129/04 -<br />
Eine Verfahrensrüge ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben.<br />
Für sie gilt auch im Rahmen eines Zulassungsantrags die strenge Formvorschrift des §<br />
344 Abs. 2 S. 2 <strong>StPO</strong> (OLG Düsseldorf [16.02.99] VRS 97, 53, 54 = NZV 1999, 437 L.; st.<br />
Senatsrechtsprechung, zuletzt SenE v. 23.12.1999 - Ss 596/99 Z -; SenE v. 08.03.2000 -<br />
Ss 111/00 Z -; SenE v. 10.03.2000 - Ss 72/00 Z -; SenE v. 24.03.2000 - Ss 134/00 -; SenE<br />
v. 05.07.2000 - Ss 280/00 Z; vgl. a. Steindorf a.a.O.). Danach müssen die den Mangel<br />
enthaltenden Tatsachen in der Rechtsbeschwerdebegründung so genau bezeichnet und<br />
vollständig angegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht schon anhand der<br />
Begründung abschließend prüfen und beurteilen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt,<br />
falls die behaupteten Tatsachen zutreffen (BGHSt 3, 213 = NJW 1952, 1386; BGHSt 21,<br />
334 = NJW 1968, 710; BGHSt 29, 203 = NJW 1986, 1292; OLG Karlsruhe NStZ-RR<br />
1996, 245 = VRS 90, 438 [439]; SenE v. 24.03.2000 - Ss 134/00 -).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 21<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
(aa)<br />
Soll - wie im vorliegenden Fall - gerügt werden, die Verwerfung des Einspruchs nach § 74<br />
Abs. 2 OWiG sei rechtsfehlerhaft gewesen und dadurch sei rechtliches Gehör versagt<br />
worden, muss in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 <strong>StPO</strong> genügenden Form<br />
dargelegt werden, dass die Einspruchsverwerfung unzulässig war und welcher Sachvortrag<br />
infolge der Einspruchsverwerfung unberücksichtigt geblieben ist oder was der Betroffene<br />
im Falle der Anhörung geltend gemacht hätte (SenE v. 24.03.1994 - Ss 114/94 Z - =<br />
VRS 87, 207 [208]; SenE v. 22.08.1997 - Ss 483/97 Z - = VRS 94, 123 [124 f.]; SenE v.<br />
04.10.2000 - Ss 412/00 Z -; SenE v. 14.02.2001 - Ss 523/00 Z -; SenE v. 16.03.2001 - Ss<br />
77/01 Z -; SenE v. 17.09.2003 - Ss 403/03 Z -; SenE v. 23.10.2003 - Ss 436/03 Z -; SenE<br />
v. 05.02.2004 - Ss 456/03 Z-; SenE v. 27.09.2004 - 8 Ss-OWi 18/04 -). In einer unzulässigen<br />
Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG liegt nämlich noch nicht ohne weiteres<br />
ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (BayObLG DAR 1988, 371<br />
[bei Bär]; SenE v. 03.01.1989 - Ss 677/88 -; SenE v. 24.10.1989 - Ss 367/89 Z -). Das ist<br />
vielmehr nur dann der Fall, wenn die Einspruchsverwerfung gerade deshalb fehlerhaft<br />
war, weil wesentliche Entschuldigungsgründe nicht gewürdigt wurden (vgl. BayObLG NZV<br />
1992, 288 = VRS 83, 180; SenE v. 06.05.1997 - Ss 214/97 -) oder weil infolge der Einspruchsverwerfung<br />
eine sachliche Einlassung des Betroffenen unberücksichtigt blieb<br />
(Senat NStZ 1988, 31; SenE v. 19.11.1996 - Ss 576/96 -; SenE v. 06.05.1997 - Ss 214/97<br />
-; SenE v. 22.08.1997 - Ss 483/97 Z = VRS 94, 123 [125]; SenE v. 28.09.2000 - Ss<br />
326/00 Z -; SenE v. 14.02.2001 - Ss 523/00 Z -; SenE v. 15.10.2001 - Ss 418/01 Z -; SenE<br />
v. 17.09.2003 - Ss 403/03 Z -).<br />
Eine entsprechende Gehörsverletzung ist dem Antragsvorbringen nicht zu entnehmen.<br />
Darin wird ausgeführt, der Verteidiger habe am 23.06.2004 beantragt, den Betroffenen<br />
vom persönlichen Erscheinen zur Hauptverhandlung zu entbinden; hilfsweise sei Terminsverlegung<br />
beantragt worden, "da arbeitgeberseitig keine Freistellung für den Hauptverhandlungstag<br />
zu erlangen war". Weder das eine noch das andere habe das Amtsgericht<br />
gewährt. Ausweislich Blatt 9 der Akte (Telefonat zwischen dem Verteidiger und<br />
Herrn Richter am Amtsgericht T) solle die Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte<br />
des Sachverhalts erforderlich gewesen sein. Das sei unzutreffend. Der Betroffene<br />
habe "als Tatverdächtiger der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit" festgestanden;<br />
der Verteidiger habe am 23.06.2004 mitgeteilt, dass der Betroffene sich zur Sache nicht<br />
äußern werde.<br />
Dieses Rügevorbringen weist eine Versagung des rechtlichen Gehörs nicht aus.<br />
Zwar ist der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch dann verletzt, wenn das<br />
Gericht über den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen<br />
Erscheinen in der Hauptverhandlung überhaupt nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2<br />
OWiG zurückführbare Begründung ablehnend entscheidet und sich auch im Urteil mit den<br />
Gründen, die zur Rechtfertigung des Antrags geltend gemacht wurden, nicht befasst (SenE<br />
v. 31.03.2001 - Ss 227/01 Z -; SenE v. 08.05.2001 - Ss 170/01 Z -; SenE v.<br />
28.05.2001 - Ss 163/01 Z -; SenE v. 11.07.2001 - Ss 273/01 - = zfs 2002, 254 m. w.<br />
Nachw.; SenE v. 24.01.2003 - Ss 538/02 B -; SenE v. 18.03.2003 - Ss 70/03 Z -; SenE v.<br />
11.04.2003 - Ss 119/03 Z -; SenE v. 28.04.2003 - Ss 134/03 Z -; SenE v. 22.05.2003 - Ss<br />
169/03 Z - = VRS 105, 207 [208], SenE v. 29.09.2003 - Ss 400/03 Z -; BayObLG DAR<br />
2000, 578; OLG Brandenburg NZV 2003, 432; OLG Hamm zfs 2003, 425 = DAR 2003,<br />
430 = VRS 105, 228 [229] = NZV 2003, 588; Göhler a.a.O. § 80 Rdnr. 16 b). Das Vorbringen<br />
des Betroffenen genügt jedoch nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2<br />
<strong>StPO</strong> (vgl. zur Notwendigkeit entsprechenden Rügevorbringens: SenE 04.02.1999 - Ss
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 22<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
45/99 Z - = NZV 1999, 264 = VRS 96, 451; SenE v. 15.04.1999 - Ss 144/99 Z - = VRS<br />
97, 187 = NZV 1999, 436; SenE v. 08.01.2001 - Ss 545/00 Z - = DAR 2001, 179 = VRS<br />
100, 189 [190]; SenE v. 11.01.2001 - Ss 532/00 Z - = VRS 100, 204; OLG Düsseldorf<br />
VRS 97, 55 = NZV 1999, 437 L.; OLG Hamm VRS 98, 117 f.).<br />
Ihm ist schon nicht zu entnehmen, dass die formellen Voraussetzungen erfüllt<br />
waren, die das Amtsgericht zu einer (positiven) Bescheidung des Entbindungsantrags vor<br />
Erlass des Verwerfungsurteils verpflichteten.<br />
Der Verteidiger benötigt für den Entpflichtungsantrag eine (schriftliche) Vertretungsvollmacht<br />
(BayObLG VRS 98, 376 [377 f.] = DAR 2000, 324 = NStZ-RR 2000, 247 = NZV<br />
2001, 221; SenE v. 21.12.2001 - Ss 507/01 B - NStZ 2002, 268 [269] = VRS 102, 112<br />
[114] = StraFo 2002, 134 [135] = DAR 2002, 178 [179] = NZV 2002, 241 [242]; SenE v.<br />
11.01.2002 - Ss 533/01 B - = VRS 102, 106 [110] = DAR 2002, 180 [181] = NStZ-RR<br />
2002, 114 [116] = NZV 2002, 466 [468] = NJW 2002, 3790 L. = NStZ 2004, 22 [K]; SenE<br />
v. 22.03.2002 - Ss 82/02 B -; SenE v. 14.01.2003 - Ss 414/02 B -; vgl. a. OLG Hamm zfs<br />
2004, 42). Die fehlende Vertretungsvollmacht des Verteidigers bei der Antragstellung<br />
lässt das Erfordernis der Antragsbescheidung vor Erlass des Verwerfungsurteils entfallen<br />
(SenE v. 21.12.2001 - Ss 507/01 B - NStZ 2002, 268 [269] = VRS 102, 112 [115] = Stra-<br />
Fo 2002, 134 [135] = DAR 2002, 178 [179] = NZV 2002, 241 [242]; SenE v. 11.01.2002 -<br />
Ss 533/01 B - = VRS 102, 106 [111] = DAR 2002, 180 [181] = NStZ-RR 2002, 114 [116] =<br />
NZV 2002, 466 [469]; SenE v. 22.03.2002 - Ss 82/02 B -). Der Anspruch auf eine Entpflichtungsentscheidung<br />
besteht nur, wenn bei der Antragstellung durch einen Verteidiger<br />
nachgewiesen wird, dass die Vollmacht erteilt ist, und zwar in der gesetzlich geforderten<br />
Schriftform (SenE v. 11.01.2002 - Ss 533/01 B - = VRS 102, 106 [111 f.] = DAR 2002,<br />
180 [181] = NStZ-RR 2002, 114 [116] = NZV 2002, 466 [468] = NJW 2002, 3790 L.; OLG<br />
Hamm zfs 2004, 42). Dass dem Amtsgericht im vorliegenden Fall vor oder mit dem Entpflichtungsantrag<br />
vom 23.06.2004 die Erteilung einer schriftlichen Vertretungsvollmacht<br />
an den antragstellenden Verteidiger nachgewiesen worden ist, geht aus der Begründung<br />
des Zulassungsantrags nicht hervor.<br />
Darüber hinaus ist aus dem Rügevorbringen nicht zu ersehen, dass die sachlichen<br />
Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Gerichts zur Entbindung von der Anwesenheitspflicht<br />
des Betroffenen gegeben waren.<br />
Nach § 73 Abs. 2 OWiG ist die Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der<br />
Hauptverhandlung davon abhängig, dass der Betroffene sich zur Sache geäußert oder<br />
aber erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und<br />
zudem seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts<br />
nicht erforderlich ist. Insoweit wird zwar vorgetragen, dass dem Entbindungsantrag erklärt<br />
worden ist, der Betroffene werde sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern.<br />
Die Rüge, das Gericht habe den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen gemäß<br />
§ 73 Abs. 2 OWiG entbinden müssen, verlangt aber auch die Darlegung, dass das<br />
Amtsgericht von der (bloßen) Anwesenheit des Betroffenen keinen Beitrag zur Aufklärung<br />
wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erwarten durfte (Göhler a.a.O. § 74 Rdnr.<br />
48 c; Senge, in Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 73 Rdnr. 56 m. w. Nachw.).<br />
Hierzu ist der im Bußgeldbescheid erhobene Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im<br />
einzelnen vorzutragen (SenE v. 15.04.1999 - Ss 144/99 Z - = NZV 1999, 436 = VRS 97,<br />
187; SenE v. 23.12.1999 - Ss 601/99 B -; SenE v. 16.03.2001 - Ss 77/01 Z -; SenE v.<br />
28.05.2001 - Ss 163/01 Z -; SenE v. 31.03.2001 - Ss 227/01 Z -; BayObLG NStZ-RR<br />
1998, 211 = VRS 95, 103; Göhler a.a.O.; Senge a.a.O. u. § 80 Rdnr. 41). Daran fehlt es<br />
in vorliegender Sache. Es wird nicht mitgeteilt, was dem Betroffenen vorgeworfen worden
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 23<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
ist. Vor allem aber geht aus der Rechtsbeschwerdebegründung nicht hervor, ob und ggfs.<br />
in welcher Weise sich der Betroffene zu dem Vorwurf geäußert hatte, insbesondere ob er<br />
eingeräumt hatte, der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein, oder ob dies<br />
durch andere Beweismittel - über einen Tatverdacht hinaus - als hinreichend nachweisbar<br />
gelten musste. Ansonsten konnte das Amtsgericht rechtsfehlerfrei seine Anwesenheit zur<br />
Sachaufklärung - etwa zur Identifizierung - für erforderlich erachten (vgl. dazu OLG Zweibrücken<br />
DAR 2000, 86 = VRS 98, 215 [216] = NZV 2000, 304; a. Korte NStZ 2000, 412;<br />
ferner OLG Stuttgart zfs 2002, 254; vgl. a. SenE v. 11.04.2003 - Ss 119/03 Z -; SenE v.<br />
31.03.2003 - Ss 82/03 Z -; SenE v. 28.04.2003 - Ss 134/03 Z -; SenE v. 22.05.2003 - Ss<br />
169/03 Z - = VRS 105, 207 [210] m. w. Nachw.).<br />
Schließlich wird nicht vorgetragen, mit welcher Begründung das Amtsgericht den<br />
Entpflichtungsantrag abgelehnt hat. Der Hinweis auf "Blatt 9 der Akte (Telefonat zwischen<br />
dem Verteidiger und Herrn Richter am Amtsgericht T)" vermag die gemäß § 344<br />
Abs. 2 S. 2 <strong>StPO</strong> erforderliche inhaltliche Mitteilung nicht zu ersetzen.<br />
(bb)<br />
Auch soweit die Rechtsfehlerhaftigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG<br />
daraus hergeleitet werden soll, dass die hilfsweise beantragte Terminsverlegung nicht<br />
gewährt worden ist, weist das Vorbringen nicht aus, dass das angefochtene Urteil auf<br />
einer Versagung des rechtlichen Gehörs beruhen kann. Denn es wird schon nicht dargetan,<br />
dass das Amtsgericht zur Ablehnung der Terminsverlegung und zur Einspruchsverwerfung<br />
nach § 74 Abs. 2 OWiG nur gelangen konnte, indem es das Vorbringen des Betroffenen<br />
zur Begründung seiner Verhinderung außer Acht ließ. Ob der Betroffene durch<br />
berufliche Belange gehindert war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, wird nämlich<br />
nicht hinreichend ausgeführt. Insoweit ist von dem Grundsatz auszugehen, dass berufliche<br />
Angelegenheiten das Ausbleiben nur in besonderen Einzelfällen entschuldigen können,<br />
wenn sie unaufschiebbar oder unter Berücksichtigung des gegen den Betroffenen<br />
erhobenen Schuldvorwurfs von solcher Bedeutung sind, dass dem Betroffenen das Erscheinen<br />
vor Gericht billigerweise nicht zugemutet werden kann und die öffentlichrechtliche<br />
Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise zurücktreten<br />
muss (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 22.10.1996 - Ss 531/96 -; SenE v.<br />
11.01.2002 - Ss 533/01 B - = VRS 102, 106 [109] = DAR 2002, 180 f. = NStZ-RR 2002,<br />
114 [115] = NZV 2002, 466 [467]; Göhler a.a.O. § 74 Rdnr. 29 u. 32 m. w. N.; BayObLG<br />
DAR 2003, 567 [568] und NStZ 2003, 98; OLG Hamm VRS 105, 143 = NZV 2003, 348 =<br />
NZV 2003, 396 = zfs 2004, 383; OLG Jena VRS 105, 137 [140]; KG VRS 101, 377 [378]<br />
= NZV 2002, 47 [48]). Die Einzelheiten, aus denen sich das besondere Gewicht und die<br />
Unaufschiebbarkeit der Angelegenheit ergeben, muss der Betroffene dem Gericht darlegen<br />
(SenE v. 11.01.2002 - Ss 533/01 B - = VRS 102, 106 [109] = DAR 2002, 180 [181] =<br />
NStZ-RR 2002, 114 [115] = NZV 2002, 466 [468]; vgl. a. BayObLG DAR 2003, 567 [568]).<br />
Es ist erforderlich, die Art der Geschäfte selbst, deren Wichtigkeit und unaufschiebbare<br />
Dringlichkeit darzutun, damit das Gericht beurteilen kann, ob das Vorbringen als Entschuldigung<br />
genügen könnte, wenn es zutrifft (BayObLG NStZ 2003, 98). Dazu verhält<br />
sich das Rügevorbringen indessen nicht.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 24<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
§ 77 b OWiG<br />
Irrtümliches Absehen von Urteilsgründen<br />
SenE v. 20.12.2004 - 8 Ss-OWi 90/04 -<br />
Das Urteil des Amtsgerichts ist schon auf die Sachrüge aufzuheben, weil es nicht (mehr<br />
in zulässiger Weise) mit Gründen versehen worden ist und daher keine Grundlage für<br />
eine sachlich-rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht bietet. Die<br />
nachträglich zu den Akten gelangten Urteilsgründe sind im Rechtsbeschwerdeverfahren<br />
nicht beachtlich (vgl. OLG Brandenburg VRS 106, 61 [62] = NStZ-RR 2004, 121 m. w.<br />
Nachw.; BayObLG zfs 2004, 382).<br />
Denn das Amtsgericht hatte sich zuvor für ein Urteil in der Fassung des Protokolls, also<br />
ohne Gründe, entschieden (a), obwohl die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für<br />
ein Absehen von Urteilsgründen nicht gegeben waren (b) und auch eine nachträgliche<br />
Urteilsbegründung nicht möglich war (c) .<br />
(a)<br />
Es kann dahinstehen, ob es bereits ein Absehen von der schriftlichen Begründung des<br />
Urteils nach § 77 b Abs. 1 S. 1 OWiG darstellt, wenn der Bußgeldrichter - wie hier - die<br />
Akten zwar mit dem Verhandlungsprotokoll, aber noch ohne gefertigtes Urteil der Staatsanwaltschaft<br />
mit der Frage vorlegt, ob auf Rechtsmittel verzichtet wird (dagegen: OLG<br />
Celle VRS 97, 436 = NZV 1999, 524; KG a.a.O.; vgl. a. KG NZV 1992, 332; SenE v.<br />
01.04.1997 - Ss 500/96 - = NZV 1997, 371 = VRS 93, 452 = DAR 1997, 286).<br />
Jedenfalls mit der Verfügung vom 30. April 2004 ("Urteil in Reinschrift fertigen … Leseabschrift<br />
z. d. A. …Geschäftsstelle z.w.V.") hat der Richter zu erkennen gegeben, dass<br />
er - in der irrigen Annahme bereits eingetretener Rechtskraft - von einer schriftlichen Begründung<br />
des Urteils absehen und das im Protokoll der Hauptverhandlung enthaltene,<br />
allein aus der verkündeten Urteilsformel bestehende Urteil als endgültige Fassung verstanden<br />
wissen wollte. Seiner Anordnung entsprechend sind im Anschluss Urteilsausfertigungen<br />
(mit Rechtskraftvermerk) der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung zugeleitet<br />
worden.<br />
Das Protokoll enthält (hier) auch die für das Urteilsrubrum erforderlichen Angaben sowie<br />
die Urteilsformel und beinhaltet damit sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils in<br />
Bußgeldsachen (vgl. KG, NZV 1992, 332 = VRS 92,135; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 77b<br />
Rdnr. 8; Senge, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 77b Rdnrn. 1, 3).<br />
(b)<br />
Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für das zulässige Absehen von einer<br />
schriftlichen Begründung des Urteils lagen indessen nicht vor. Der Betroffene hatte weder<br />
auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet, noch war die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels<br />
für ihn gegen das in seiner Abwesenheit ergangene Urteil abgelaufen; sie hatte<br />
noch nicht einmal begonnen (§ 79 Abs. 4 OWiG; vgl. SenE v. 05.09.1995 - Ss 449/95 Z -;<br />
BayObLG NStZ 1991, 342; Göhler a.a.O. § 79 Rdnr. 30a m. Nachw.), als die Ausfertigung<br />
des abgekürzten Urteils auf Veranlassung des Richters an die Staatsanwaltschaft<br />
zur Vollstreckung des vermeintlich rechtskräftigen Urteils herausgegeben wurde. Denn da<br />
die Urteilsverkündung in Abwesenheit des Betroffenen stattfand, konnte die Frist nur<br />
durch Zustellung des Urteils in Gang gesetzt werden. Ob dazu die Zustellung eines unzulässiger<br />
Weise nicht mit Gründen versehenen Urteils ausreicht (so BGH NJW 2004,
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 25<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
3643), bedarf hier keiner Erörterung, da es dazu vor Einlegung der Rechtsbeschwerde<br />
nicht gekommen ist.<br />
Schließlich waren auch die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 S. 3 OWiG nicht erfüllt,<br />
wonach selbst ohne eine Verzichtserklärung des Betroffenen von der schriftlichen Begründung<br />
eines Urteils abgesehen werden kann, wenn der Betroffene von der Verpflichtung<br />
zur Teilnahme an der Hauptverhandlung entbunden war, im Verlauf der Hauptverhandlung<br />
von einem Verteidiger vertreten worden ist und im Urteil lediglich eine Geldbuße<br />
von nicht mehr 250 € festgesetzt worden ist. Denn die verhängten Sanktionen gehen über<br />
die gesetzliche Grenze hinaus.<br />
(c)<br />
Die Abfassung, Änderung und Ergänzung der schriftlichen Urteilsgründe ist nur so lange<br />
möglich, wie die Frist des § 275 Abs. 1 <strong>StPO</strong> noch nicht abgelaufen und das schriftliche<br />
Urteil aus dem internen Dienstbereich des Gerichts nicht herausgegeben worden ist. Hat<br />
sich der Richter für ein Urteil in der Fassung des Protokolls (§ 77 b OWiG) entschieden<br />
und hat dieses den internen Dienstbereich des Gerichts auf seine Veranlassung verlassen,<br />
darf es nicht mehr ergänzt werden (SenE v. 24.08.1999 - Ss 312/99 B -; SenE v.<br />
12.03.2001 - Ss 76/01 B -; SenE v. 25.07.2003 - Ss 292/03 B -; vgl. a. KG DAR 2001, 228<br />
= VRS 100, 362).<br />
Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 2 OWiG, wonach bei einer Wiedereinsetzung in<br />
den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist die Urteilsgründe<br />
noch innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 <strong>StPO</strong> zu den Akten gebracht werden können,<br />
liegen ersichtlich nicht vor. Eine sinngemäße Anwendung der Bestimmung auf den<br />
hier vorliegenden Fall, dass der Tatrichter irrtümlich die Voraussetzungen des § 77 b Abs.<br />
1 OWiG angenommen hat, kommt nicht in Betracht (SenE v. 05.09.1995 - Ss 449/95 Z -;<br />
SenE v. 01.04.1997 - Ss 500/96 - = NZV 1997, 371 = VRS 93, 452 = DAR 1997, 286;<br />
OLG Hamm zfs 2003, 521 = VRS 105, 363 m. w. Nachw.; BayObLG NZV 1992, 125 =<br />
NStZ1992, 136; BayObLG zfs 2004, 382 [383]; OLG Brandenburg VRS 106, 61 [62] =<br />
NStZ-RR 2004, 121 [122]; KG NZV 1992, 332 = VRS 82, 135; KG DAR 2001, 228 = VRS<br />
100, 362; OLG Karlsruhe Justiz 1999, 33 = VRS 95, 419; Lemke, in: Heidelberger Kommentar,<br />
OWiG, § 77 b Rdnr. 14; zweifelnd: Göhler a.a.O. § 77 b Rdnr. 8; Senge a.a.O. §<br />
77 b Rdnr. 13). Abgesehen davon wäre die Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 <strong>StPO</strong> hier ohnehin<br />
nicht gewahrt worden. Sie hätte mit Einlegung der Rechtsbeschwerde am 19. Mai 2004<br />
begonnen (vgl. dazu OLG Brandenburg VRS 94, 279; Senge a.a.O. § 77 b Rdnr. 14;<br />
Lemke a.a.O. Rdnr. 12) und mit Ablauf des 23. Juni 2004 geendet. Das mit Gründen und<br />
der Unterschrift des Richters versehene Urteil ist allerdings erst mit dessen Verfügung<br />
vom 28. Juni 2004 zu den Akten gelangt (Bl. 121 ff., .125R).<br />
§ 79 OWiG<br />
Verfassungsmäßigkeit der eingeschränkten Statthaftigkeit der<br />
Rechtsbeschwerde<br />
SenE v. 25.01.2004 - 8 Ss-OWi 125/04 -<br />
Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG liegen nicht vor. Eine Senatsentscheidung<br />
ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung<br />
erforderlich; auch ist nicht etwa die Aufhebung des Urteils wegen Versagung rechtlichen<br />
Gehörs geboten.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 26<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Eine Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
zur Frage der Vereinbarkeit des § 79 OWiG mit dem Grundgesetz ist<br />
nicht veranlasst. Eine Verfassungswidrigkeit des § 79 OWiG ist nicht zu erkennen. Insoweit<br />
kommt auch nicht etwa das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Die von<br />
dem Betroffenen nach dem Punktsystem gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG befürchtete<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis würde ihn nicht rechtlos stellen; ihm blieben die Möglichkeit<br />
des Widerspruchs und der Anfechtungsklage. Dass hierbei keine aufschiebende Wirkung<br />
eintritt (§ 4 Abs. 7 Satz 2 StVG). liegt an den Differenzierungen der Rechtsmittelsysteme.<br />
Es besagt dies aber nicht zugleich, dass die Einschränkung der Zulässigkeit der<br />
Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 OWiG ihrerseits verfassungswidrig wäre.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 27<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
Straßenverkehrsordnung (StVO)<br />
§ 3, 41 Abs. 2 Nr. 7 (VZ 274) StVO<br />
Urteilsfeststellungen bei Geschwindigkeitsmessung<br />
SenE v. 28.01.2005 - 8 Ss-OWi 40/04 -<br />
Weiterhin sind auch die Feststellungen zur angenommenen Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
materiell-rechtlich unvollständig. Insoweit lässt sich dem in das Urteil hineinkopierten<br />
Bußgeldbescheid lediglich entnehmen, die festgestellte Geschwindigkeit habe (abzüglich<br />
Toleranz) 152 km/h betragen. Der Toleranzwert wird nicht angegeben, was grundsätzlich<br />
zu fordern ist (vgl. BGH NJW 1993, 3081, 3083 f.). Dies war vorliegend auch nicht ausnahmsweise<br />
entbehrlich, da bei einem (weiteren) Abzug von "nur" zwei Kilometer pro<br />
Stunde die Regelgeldbuße nach Nr. 11.3.7 BKat 100,-- Euro statt der verhängten 150,--<br />
Euro betragen würde.<br />
Schließlich genügen auch die Feststellungen zum Messverfahren den an sie zu stellenden<br />
Anforderungen nicht. Das Gericht stellt hierzu lediglich fest: "Es liegt ein Regelmessverfahren<br />
vor. Angriffe hiergegen sind nicht vorgetragen worden."<br />
Will das Tatgericht die Feststellungen auf ein "Regelmessverfahren" stützen, so sollte<br />
das Urteil, auch wenn Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung nicht geltend<br />
gemacht werden, Ausführungen jedenfalls zur Eichung des Gerätes sowie zur (ordnungsgemäßen)<br />
Aufstellung und Bedienung enthalten (vgl. OLG Frankfurt, ZfS 2001, 233 f.).<br />
Selbst bei einem geständigen Betroffenen ist jedenfalls die Feststellung zu fordern, welches<br />
Messverfahren (Stationäres Gerät, Laserpistole, Radarmesswagen pp.) angewendet<br />
worden ist (vgl. BGH, NJW 1993, 3081, 3083 f.). Dem angefochtenen Urteil lässt sich aus<br />
dem "hineinkopierten" Bußgeldbescheid lediglich entnehmen, dass es sich um ein „Radarmessgerät<br />
Multinova 6 F" gehandelt hat, so dass nicht einmal erkennbar ist, welches<br />
Messverfahren angewendet worden ist.<br />
------------------<br />
vgl. dazu allerdings:<br />
Ohne konkreten Anlaß sind im Urteil auch Feststellungen darüber, dass das Gerät geeicht<br />
war, entbehrlich.<br />
OLG Hamm [17.02.88] DAR 1998, 244; OLG Hamm [19.04.99] DAR 1999, 416 = VRS 97,<br />
185 [186] = NZV 2000, 95; OLG Düsseldorf NZV 1994, 41; BayObLG [17.06.04] DAR 2004,<br />
533; SenE v. 16.05.2000 - Ss 185/00 B -:<br />
vgl. ferner:<br />
Näherer Angaben bedarf es nicht, wenn der Betr. die Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
durch ein uneingeschränktes, nachvollziehbares Geständnis einräumt und das Gericht<br />
von der Richtigkeit der Angaben überzeugt ist. Gesteht der Betr. uneingeschränkt und<br />
glaubhaft ein, die vorgeworfene Geschwindigkeit - mindestens - gefahren zu sein, so bedarf<br />
es nicht einmal der Angabe des Meßverfahrens und der Toleranzwerte.<br />
BGHSt 39, 291, 303 = NJW 1993, 3081, 3084 = VRS 86, 287; OLG Jena [26.02.02] DAR<br />
2002, 325 [326]; OLG Jena [24.05.04] zfs 2004, 479 [480]; OLG Jena [07.06.04] DAR 2004,<br />
664 = VRS 107, 301; OLG Karlsruhe [10.11.04] DAR 2005, 46 = NZV 2005, 54 [55]; OLG<br />
Koblenz [10.09.03] zfs 2003, 615 [616]; OLG Kobelnz [09.12.03] NStZ 2004, 396 [397]; OLG<br />
Jena [17.06.04] VRS 107, 296 [300]; OLG Rostock [16.08.01] VRS 101, 380 [384 f.] = NZV<br />
2002, 137 [138]; OLG Schleswig [26.02.03] NZV 2003, 394; OLG Zweibrücken [04.06.03]<br />
DAR 2003, 531 = VRS 105, 352; wohl auch OLG Hamm [13.03.03] NZV 2003, 494 [495] =<br />
VRS 105, 229 [231] = NStZ-RR 2004, 26;
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 28<br />
Dezember 2004 - Januar 2005<br />
SenE v. 13.08.1999 - Ss 363/99 B -; SenE v. 29.10.2001 - Ss 437/01 Z - = VRS 101, 373<br />
[376]; SenE v. 15.11.2002 - Ss 426/02 B -; SenE v. 22.05.2003 - Ss 194/03 B - = VRS<br />
105, 296 [297]; SenE v. 15.11.2002 - Ss 458/02 B - = DAR 2003, 87 = NZV 2003, 100<br />
[101] = zfs 2003, 261 [262] = VRS 104, 308 [309] = NStZ 2004, 22 [K]