Strafprozessordnung (StPO) - Kölner Anwaltverein
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Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 1<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
<strong>Strafprozessordnung</strong> (<strong>StPO</strong>)<br />
§ 37 <strong>StPO</strong><br />
Auslandszustellung mit Einschreiben gegen Rückschein<br />
SenE v. 30.06.2009 - 83 Ss-OWi 14/09 -<br />
Der gesetzliche Vertreter der Betroffenen, ihr Geschäftsführer W., ist zur Hauptverhandlung<br />
nicht ordnungsgemäß geladen worden.<br />
Zwar durfte er mit Einschreiben gegen Rückschein geladen werden (§§ 71 OWiG, 37<br />
<strong>StPO</strong>, 183 Nr. 1 ZPO, Artikel 52 Abs. 1 SDÜ; vgl. OLG Brandenburg StV 2003, 324; OLG<br />
Köln, 2. Strafsenat, NStZ-RR 2006, 22).<br />
Eine solche Zustellung setzt für ihre Wirksamkeit aber voraus, dass der vom Empfänger<br />
unterschriebene Rückschein zu den Gerichtsakten gelangt (OLG Brandenburg a.a.O.;<br />
OLG Oldenburg StV 2005, 432). Bei dieser Form der Zustellung ist der Rückschein der<br />
Nachweis über den tatsächlichen Erhalt der zugestellten Sendung, weil er ein schriftliches<br />
Empfangsbekenntnis des Empfängers hierüber enthält (OLG Oldenburg a.a.O.).<br />
Ein von dem Geschäftsführer der Betroffenen unterschriebener Rückschein ist jedoch<br />
nicht zu den Gerichtsakten gelangt. Im Gegenteil steht durch die in Rücklauf gelangte<br />
Briefsendung mit dem Postvermerk „nicht abgeholt“ sogar fest, dass ihn das Ladungsschreiben<br />
nicht erreicht hat.<br />
Der Vermerk der niederländischen Post gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass - vor<br />
der Rücksendung - eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (vgl. § 182 ZPO) stattgefunden<br />
hat. Abgesehen davon, kommt eine solche Zustellung bei einer Auslandszustellung<br />
nicht in Betracht (OLG Brandenburg a.a.O.; OLG Oldenburg a.a.O.; Meyer-Goßner,<br />
<strong>StPO</strong>, 51. Auflage, § 37 Rn. 25).<br />
Das Amtsgericht durfte die Verwerfung auch nicht auf die Erwägung stützen, die Betroffene<br />
habe - trotz der Rücksendung des Ladungsschreibens - Kenntnis vom<br />
Hauptverhandlungstermin gehabt.<br />
Zum einen könnte hier - wenn überhaupt - nur auf die Kenntnis des Geschäftsführers<br />
abgestellt werden. Dass dieser dem Zeugen H. dessen Ladungsschreiben ausgehändigt<br />
und Kenntnis von dem Inhalt genommen hat, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Zum<br />
anderen ergäbe sich für den Geschäftsführer aus einer Kenntnis vom Hauptverhandlungstermin<br />
noch nicht das Wissen, selbst zu diesem Termin erscheinen zu müssen, und<br />
schon gar nicht das Wissen über die Folgen eigenen Nichterscheinens (vgl. § 74 Abs. 3<br />
OWiG).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 2<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 261 <strong>StPO</strong><br />
Beweiswürdigung<br />
SenE v. 19.06.2009 - 81 Ss 34/09 -<br />
Auch der Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer<br />
Menge im Fall 1 (…) kann keinen Bestand haben. Die Feststellungen des Amtsgerichts<br />
werden (insgesamt) nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen.<br />
Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch<br />
das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen<br />
sind.<br />
Um eine entsprechende Überprüfung zu ermöglichen, muss er für das Revisionsgericht<br />
nachvollziehbar darlegen, dass seine Überzeugung auf tragfähigen, verstandesmäßig<br />
einsehbaren Erwägungen beruht (Senat VRS 80, 34 ; VRS 82, 358 ; SenE v. 02.02.2007<br />
- 81 Ss 5/07 -; SenE v. 09.02.2007 - 83 Ss 12/07 -; SenE v. 25.05.2007 - 82 Ss 64/07 -).<br />
In diesem Zusammenhang muss das Vorbringen der Prozessbeteiligten zwar nicht in allen<br />
Einzelheiten wiedergegeben werden. Die Urteilsgründe müssen aber klar, geschlossen,<br />
erschöpfend und aus sich heraus verständlich sein (vgl. Engelhardt in: Karlsruher<br />
Kommentar, <strong>StPO</strong>, 6. Aufl., § 267 Rdnr. 3 m.w.N.). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen<br />
oder Würdigungen dürfen - außer in den Fällen des § 267 Abs. 1 S. 3 <strong>StPO</strong> - nicht durch<br />
Bezugnahmen ersetzt werden, weil sonst eine revisionsgerichtliche Kontrolle nicht möglich<br />
ist (vgl. BGH NStZ 2007, 478).<br />
Sachlich-rechtlich unvollständig ist die Beweiswürdigung, wenn sie den genannten Anforderungen<br />
nicht genügt. Fehlerhaft ist sie ferner, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft<br />
oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH<br />
NStZ-RR 2004, 110; SenE v. 22.01.2002 - Ss 551/01 - = VRS 102, 97 [98] = NJW 2002,<br />
1059 = StraFo 2002, 137 [138] = DAR 2002, 177; SenE v. 17.09.2002 - Ss 340/02 -; SenE<br />
v. 06.05.2003 - Ss 168/03 -; SenE v. 22.08.2006 - 81 Ss 101/06 -).<br />
Die Darstellung der Beweiserwägungen im angefochtenen Urteil erschöpft sich im Wesentlichen<br />
in einer Aneinanderreihung von Beweisergebnissen, die nicht frei von Lücken<br />
und Widersprüchen und insgesamt nicht nachvollziehbar ist.…<br />
§ 267 <strong>StPO</strong><br />
Feststellungen zum Schuldspruch<br />
SenE v. 24.04.2009 - 83 Ss 27/09 -<br />
Die Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen Widerstands<br />
gegen Vollstreckungsbeamte nicht.<br />
Gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 <strong>StPO</strong> hat der Tatrichter die Urteilsgründe auf Grundlage einer<br />
vorausgegangenen Subsumtion so abzufassen, dass sie erkennen lassen, welche der<br />
festgestellten Tatsachen den einzelnen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen<br />
zuzuordnen sind und sie ausfüllen können sowie welchen gesetzlichen Tatbestand<br />
das Gericht daher als erfüllt angesehen und bei der Bemessung der Rechtsfolgen
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 3<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2007 - 4 StR 386/07 -, NStZ-RR 2008,<br />
83 ff.; Beschluss vom 29.06.2000 - 4 StR 190/00 -, NStZ 2000, 607 f; SenE vom<br />
20.03.2007 - 82 Ss 30/07 -; SenE vom 24.04.2007 - 81 Ss 60/07 -). Feststellungen, die<br />
den gesetzlichen Wortlaut lediglich wiederholen oder mit gleichbedeutenden Worten und<br />
Redewendungen umschreiben, reichen nicht aus. Rechtsbegriffe müssen durch die ihnen<br />
zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgänge „aufgelöst“ werden, sofern sie nicht allgemein<br />
geläufig sind oder die ihnen zugrunde liegenden Tatsachen sich aus dem Urteilszusammenhang<br />
ergänzen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2000 - 4 StR 190/00 -,<br />
NStZ 2000, 607 f; Löwe Rosenberg, <strong>StPO</strong>, 25. Auflage, § 267 Rdnrn. 32-35; Karlsruher<br />
Kommentar, <strong>StPO</strong>, 6. Auflage, § 267 Rn. 9).<br />
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zur Tathandlung hat<br />
das Amtsgericht lediglich folgendes ausgeführt:<br />
“Der Angeklagte widersetzte sich seiner Festnahme. Er wurde vom Polizeibeamten Q.,<br />
teilweise unter Mithilfe eines Kollegen, in einen Hauseingang gezogen. Dort wurde er zu<br />
Boden gebracht und fixiert sowie anschließend gefesselt. Dies geschah, da der Angeklagte<br />
sich weiter sehr aggressiv verhielt und sich seiner Festnahme widersetzte. Auch auf<br />
der anschließenden Verbringung zum Gefangenentransport widersetzte er sich den Polizeibeamten“.<br />
Mit diesen Angaben lässt die Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils eine<br />
Subsumtion unter die durch § 113 StGB strafbewehrten Verhaltensweisen nicht zu. Die<br />
Sachdarstellung beschränkt sich auf die Mitteilung, der Angeklagte habe sich seiner polizeilichen<br />
Festnahme „widersetzt“, mithin auf eine Wiedergabe der gesetzlichen Beschreibung<br />
des Tatverhaltens. Eine Darlegung der dieser rechtlichen Wertung zugrunde liegenden<br />
tatsächlichen Vorgänge fehlt gänzlich. Insoweit wird weder deutlich, welche<br />
Tatbestandsalternative - die Leistung von Widerstand mit Gewalt oder durch Drohung mit<br />
Gewalt oder gar einen tätlichen Angriff im Sinne von § 113 StGB - das Gericht<br />
angenommen hat, noch welche tatsächlichen Handlungen des Angeklagten als<br />
tatbestandsmäßig angesehen worden sind.<br />
§ 271 <strong>StPO</strong><br />
Beschwerde gegen Protokollberichtigung<br />
SenE v. 29.05.2009 - 81 Ss 26/09 -<br />
Das Beschwerdegericht kann die Entscheidung über eine Protokollberichtigung nur darauf<br />
überprüfen, ob sie in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist; die inhaltliche<br />
Richtigkeit der Änderung ist nicht Gegenstand seiner Überprüfung (vgl. OLG Düsseldorf<br />
StV 1985, 359; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 51. Auflage, § 271 Rn. 29 mit weiteren Nachweisen;<br />
vgl. auch BGH NJW 2007, 2419, 2424).<br />
Die Berichtigung ist von beiden Urkundspersonen vorgenommen worden. Dass der Verteidiger<br />
zuvor nur die dienstliche Erklärung der Strafkammervorsitzenden und der Sitzungsvertreterin<br />
der Staatsanwaltschaft erhalten hatte, ist im Hinblick auf den Detailreichtum<br />
der Erklärungen und den Umstand, dass der Erklärung der Staatsanwältin vorliegend<br />
besondere Authentizität zugemessen werden durfte, unschädlich.<br />
Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist letztlich auch die Tatsache, dass die von der Strafkammervorsitzenden<br />
dem Verteidiger zuvor zur Stellungnahme gesetzte Frist von 2 Ta-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 4<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
gen kurz bemessen war. Denn der Verteidiger hat trotz dieser Frist ausführlich Stellung<br />
genommen.<br />
§ 318 <strong>StPO</strong><br />
Berufungsbeschränkung in BtM-Sache<br />
SenE v. 05.05.2009 - 83 Ss 24/09 -<br />
Soweit es die Entscheidung des Berufungsgerichts zu den Fällen 1. bis 8. betrifft, kann<br />
das Urteil schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht zu Unrecht von<br />
einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgegangen ist und deshalb keine eigenen<br />
Schuldfeststellungen getroffen hat; die Gründe des Berufungsurteils sind deshalb in<br />
dieser Hinsicht materiell-rechtlich unvollständig (vgl. Senat VRS 73, 385 ff.; Senat VRS<br />
98, 140 [142]).<br />
a)<br />
Das Revisionsgericht prüft von Amts wegen, ob das Berufungsgericht zu Recht und im<br />
richtigen Umfang von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen ist (BGHSt<br />
27, 70 [72] = NJW 1977, 442 = VRS 52, 265 [266]; BayObLG NStZ 1999, 514 m. w.<br />
Nachw.; BayObLG NStZ 2000, 210; VRS 73,3 856 = VM 1988, 62; Senat NStZ 1989, 90<br />
= MDR 1989, 284; Senat VRS 96, 35; Senat NStZ-RR 2000, 49; Paul, in: Karlsruher Kommentar,<br />
<strong>StPO</strong>, 6. Aufl., § 318 Rn 11); denn es handelt sich um die Frage der Rechtskraft<br />
der angefochtenen Entscheidung und damit einer von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzung<br />
(SenE v. 10.10.2003 - Ss 420/03 -; Paul a. a. O. § 318 Rn. 11 m. w.<br />
Nachw.; Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 51. Aufl., § 318 Rn 33 u. § 352 Rn 3).<br />
Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch kommt nur bei ausreichenden Feststellungen<br />
zur Tat in Betracht. Sind die Feststellungen dagegen derart knapp und unvollständig,<br />
dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und damit<br />
keine hinreichende Grundlage für die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung<br />
bilden, ist die Berufungsbeschränkung unwirksam (BGH NStZ 1994, 130; BayObLG VRS<br />
93, 108; BayObLG NStZ 2000, 210 [211] und NStZ-RR 2002, 89 [90]; OLG Frankfurt<br />
NStZ-RR 1998, 341 [342]; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 307 = VRS 99, 206 [207] und<br />
VRS 100, 187 [188]; OLG Hamm DAR 2002, 227 [228] = VRS 102, 206 = NZV 2002, 383;<br />
SenE v. 22.01.1999 - Ss 616/98 - = NStZ-RR 2000, 49; SenE v. 20.08.1999 - Ss 374/99 -<br />
= VRS 98, 140 [142 f.]; SenE v. 28.09.1999 - Ss 390/99 - = VRS 98, 122 [123]; SenE v.<br />
25.01.2002 - Ss 16/02 B - = VRS 102, 212 [214]).<br />
b)<br />
Davon ausgehend muss In vorliegender Sache der Berufungsbeschränkung auf das<br />
Strafmaß die rechtliche Anerkennung versagt bleiben, weil die Feststellungen des Amtsgerichts<br />
keine tragfähige Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung bilden.<br />
Bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind für die<br />
zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs grundsätzlich auch Feststellungen zum Wirkstoffgehalt<br />
des Rauschgifts erforderlich (BGH NStZ-RR 2002, 52 [53]: BGH NStZ 2008,<br />
471; BayObLG StraFo 2000, 230 = NStZ-RR 2001, 76 [K/R]; OLG Frankfurt NStZ-RR<br />
2003, 23 [24]; SenE v. 04.04.2003 - Ss 94-95/03 -; SenE v. 10.10.2003 - Ss 344/03 -;<br />
SenE v. 16.03.2007 - 81 Ss 35/07 -; SenE v. 19.06.2007 - 82 Ss 52/07 -; SenE v.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 5<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
18.09.2007 - 82 Ss 135/07 -; SenE v. 02.09.2008 - 83 Ss 64/08 -; SenE v. 31.10.2008 -<br />
81 Ss 93/08 -). Die Qualität des Betäubungsmittels ist für die Strafzumessung von erheblicher<br />
Bedeutung (SenE v. 12.01.1999 - Ss 2/99 - = StV 1999, 440). Ohne Feststellungen<br />
dazu lässt sich nicht abschätzen, welche Mindestzahl an Konsumeinheiten aus der dem<br />
Täter angelasteten Menge hergestellt werden kann (BayObLG a.a.O.). Bei fehlenden<br />
Qualitätsangaben erschließen sich in der Regel weder der objektive Unrechtsgehalt der<br />
Tat noch das Maß der persönlichen Schuld des Täters (BayObLG a.a.O.). Der Strafzumessung<br />
fehlen damit die wesentlichen Grundlagen (vgl. SenE v. 12.01.1999 - Ss 2/99 -<br />
= StV 1999, 440; SenE v. 16.03.2007 - 81 Ss 35/07 -; BayObLG BayObLGSt 1999, 105 =<br />
NStZ-RR 2000, 22 L. = NStZ-RR 2000, 76 [K/R]; BayObLG NStZ 2000, 210 [211]; OLG<br />
Düsseldorf VRS 100, 187 [189]).<br />
Angaben zu der Qualität des Betäubungsmittels sind selbst dann notwendig, wenn eine<br />
Untersuchung des Rauschmittels nicht möglich war. Der Tatrichter muss in diesem Fall<br />
unter Berücksichtigung der anderen, hinreichend sicher festgestellten Tatumstände - wie<br />
Preis und Herkunft des Rauschmittels, Beurteilung durch Tatbeteiligte - und des Grundsatzes<br />
„in dubio pro reo“ angeben, von welcher Mindestqualität er ausgegangen ist BGH<br />
NStZ 2002, 135 [D]; SenE v. 04.04.2003 - Ss 94-95/03 -; SenE v. 16.12.2003 - Ss 499/03<br />
- m. w. Nachw.; SenE v. 14.05.2004 - Ss 161/04 -; SenE v. 01.02.2005 - 8 Ss 484/04 -).<br />
Unbestimmte Qualitätsbezeichnungen (wie z.B. das Rauschgift sei von "durchschnittlicher<br />
" oder "mittlerer" Qualität) reichen in der Regel nicht aus (BGH NStZ 1985, 59 [Schoreit];<br />
SenE v. 30.04.1993 - Ss 93/93 -; SenE v. 15.02.2000 - Ss 537/99 -; SenE v. 08.10.2004 -<br />
8 Ss 393/04 -).<br />
In Bezug auf die in den Fällen 1. - 8. gehandelten Betäubungsmittel hat das Amtsgericht<br />
lediglich festgestellt, dass es sich um solche „durchschnittlicher Art und Güte“ gehandelt<br />
habe, die geeignet gewesen seien, „entsprechende Rauschzustände zu verursachen“.<br />
Dabei bleibt offen, bei welchem Wirkstoffgehalt das Amtsgericht von durchschnittlicher<br />
Art und Güte ausgeht und ob das Landgericht seiner Entscheidung dieselbe Vorstellung<br />
zugrunde gelegt hat. Die Untersuchung der im Fall 9. sichergestellten Betäubungsmittel<br />
hat nach den Feststellungen des Amtsgerichts ergeben, dass die Wirkstoffanteile der<br />
Teilmengen zwischen 6,5 % und 11,5 % THC schwankten, also deutliche Unterschiede<br />
aufwiesen.<br />
…<br />
Soweit es den Fall 9. betrifft, erweist sich die Berufungsbeschränkung als wirksam mit der<br />
Folge, dass in dieser Hinsicht der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils mit den<br />
zugrunde liegenden Feststellungen in Rechtskraft erwachsen ist. Die darauf gestützte<br />
Rechtsfolgenentscheidung des Landgerichts ist jedoch materiell-rechtlich fehlerhaft.<br />
Die Schuldfeststellungen des Amtsgerichts genügen den vorstehend dargestellten Anforderungen.<br />
Insbesondere geben sie Aufschluss darüber, welchen Wirkstoffgehalt das zum<br />
Handel bestimmte Marihuana aufwies.<br />
Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt,<br />
dass nach den Feststellungen eine Teilmenge der erworbenen Betäubungsmittel zum<br />
Eigenkonsum - und nicht zum gewinnbringenden Weiterverkauf - bestimmt waren, also<br />
nicht Gegenstand der vom Schuldspruch erfassten Tat waren. Zwar ist in Fällen des Erwerbs<br />
Erwerb teils zum Eigenkonsum und teils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung<br />
grundsätzlich zu klären, mit welcher Mindestmenge Handel getrieben und welche<br />
Höchstmenge zum Eigenkonsum erworben wurde (Schoreit NStZ 1993, 326 unter Hinweis<br />
auf BGH B. v. 22.10.1992 - 1 StR 694/92; BayObLG StraFo 2000, 230 = NStZ-RR
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 6<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
2001, 76 [K/R]; SenE v. 15.06.1999 - Ss 240/99 -; SenE v. 02.11.2000 - Ss 434/00 -; vgl.<br />
a. SenE v. 02.02.2000 - Ss 10/01 - m. w. Nachw.; SenE v. 16.03.2007 - 81 Ss 35/07 -;<br />
SenE v. 12.12.2008 - 83 Ss 93/08 -). Hier ergibt sich indessen aus den Urteilsfeststellungen<br />
zum Umfang des Cannabiskonsums des Angeklagten („etwa 1-2 Gramm Haschisch<br />
täglich“) und zu den zeitlichen Abständen zwischen den einzelnen Beschaffungstaten,<br />
dass die Eigenkonsummenge nur einen verschwindend geringen Anteil an der gesamten<br />
Erwerbsmenge ausmachte, der nicht geeignet ist, den Unrechts- und Schuldgehalt der<br />
abgeurteilten Tat zu beeinflussen.<br />
§ 318 <strong>StPO</strong><br />
Berufungsbeschränkung bei fehlerhafter Subsumtion<br />
SenE v. 12.05.2009 - 82 Ss 30/09 -<br />
Das Landgericht hat die auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Berufung<br />
der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt für wirksam gehalten und daher wegen der vermeintlichen<br />
Bindungswirkung zu den Schuldfeststellungen, zu den verhängten Einzelstrafen<br />
und der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe keine eigenen Feststellungen getroffen.<br />
Dies erweist sich vorliegend als teilweise materiell-rechtlich unvollständig und damit<br />
rechtsfehlerhaft.<br />
Das Amtsgericht hat zwar seinerseits ausreichende Feststellungen zu den Taten getroffen,<br />
die den Unrechts- und Schuldgehalt der Taten hinreichend erkennen lassen und insofern<br />
eine hinreichende Grundlage für die Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung<br />
bilden (vgl. BGH, NStZ 1994, 130). Die getroffenen Feststellungen tragen zwar im Fall 3<br />
(Tat zum Nachteil des Zeugen B.) die Verurteilung wegen Verleumdung, hingegen nicht<br />
wegen tateinheitlich begangener falscher Verdächtigung oder eines anderen Delikts mit<br />
ebenso hoher Strafandrohung. Das Amtsgericht - und insoweit auch das Landgericht - ist<br />
dabei offensichtlich von der in § 164 StGB genannten Tatbestandsalternative der öffentlichen<br />
falschen Verdächtigung ausgegangen. Die falsche Verdächtigung ist dann öffentlich,<br />
wenn sie einen größeren, durch persönliche Beziehung nicht zusammengehaltenen<br />
Personenkreis zugeht (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage, § 164 Rdnr. 10; § 111 Rdnr. 5).<br />
Den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ist jedoch zu entnehmen, dass der Angeklagte<br />
die in Rede stehende "Mitteilung" ausschließlich der Mutter und der Tante des<br />
Zeugen B. zugänglich gemacht hat. Damit scheidet die allein in Betracht kommende Tatbestandsalternative<br />
der öffentlichen Verdächtigung aus.<br />
Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen daher lediglich den Schuldspruch der Verleumdung<br />
gemäß § 187 StGB.<br />
Grundsätzlich ist zwar eine wirksame Berufungsbeschränkung nicht schon dann ausgeschlossen,<br />
wenn geltendes Recht falsch angewendet worden sein sollte (vgl. BGH,<br />
NStZ 1996, 352). Eine fehlerhafte Subsumtion hindert die Wirksamkeit der Beschränkung<br />
daher grundsätzlich nicht (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2004, 336).<br />
Dieser Grundsatz gilt aber dann nicht, wenn - wie vorliegend - der fehlerhafte Schuldspruch<br />
einen höheren Strafrahmen vorgibt (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2000, 49). Bei einem<br />
fehlerhaften Schuldspruch, der zu Lasten des Angeklagten für die Strafzumessung einen<br />
höheren Strafrahmen vorgibt, als er nach der festgestellten Tat bei zutreffender rechtli-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 7<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
cher Würdigung zur Anwendung käme, ist die Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß<br />
unwirksam (vgl. OLG Köln, a. a. O.; OLG Saarbrücken, NStZ 1997, 149).<br />
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß<br />
für den Fall 3 der Verurteilung (…) nicht für wirksam erachtet werden durfte, soweit<br />
der Schuldspruch der (tateinheitlich verwirklichten) falschen Verdächtigung betroffen ist.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 8<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Strafgesetzbuch<br />
§ 21 StGB<br />
Drogenabhängigkeit; unzureichende Feststellungen<br />
SenE v. 07.04.2009 - 81 Ss 15/09 -<br />
Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil<br />
die Urteilsgründe zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten materiell-rechtlich unvollständig<br />
sind. Sie lassen nicht erkennen, ob das Tatgericht die Voraussetzungen des §<br />
20 StGB (Schuldunfähigkeit) zu Recht nicht erörtert/angenommen hat.<br />
Einschränkungen der Schuldfähigkeit sind bei Drogenabhängigen stets zu prüfen, selbst<br />
wenn keine Anhaltspunkte für eine Tatbegehung unter akuter Drogenbeeinflussung bestehen<br />
(vgl. BGH NJW 1989, 2336; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senat NJW<br />
1976, 1801; Senat NStZ 1989, 90; SenE v. 10.10.2008 – 83 Ss 71/08 -). Wenn auch eine<br />
langjährige Drogenabhängigkeit für sich genommen die Annahme einer völligen Schuldunfähigkeit<br />
nicht ohne weiteres begründet (vgl. BGH a.a.O.; Senat a.a.O. ), kann doch im<br />
Einzelfall namentlich aufgrund einer - durch die Verwendung harter Drogen eingetretenen<br />
- schweren Persönlichkeitsveränderung und/oder einer akuten Beeinträchtigung zur Tatzeit<br />
infolge eines akuten Rausches oder starker Entzugserscheinungen eine vollständige<br />
Exkulpation durchaus in Betracht kommen (vgl. BGH a.a.O.; BGH, Urteil v. 10.09.2003 - 1<br />
StR 147/03 - = BeckRS 2003 08715; OLG Celle NStZ 1987, 407; ständige Senatsrechtsprechung,<br />
vgl. nur Senat NJW 1976, 1801; SenE v. 10.10.2008 – 83 Ss 71/08 -;<br />
Lenckner/Perron, in Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 20 Rn. 17 mit weiteren<br />
Nachweisen; Körner, BtMG, 6. Auflage, § 29 Rn. 1434; Theune NStZ 1997, 57, 58; vgl.<br />
auch Streng, in Münchener Kommentar zum StGB, 1. Auflage, § 20 Rn. 105 mit Nachweisen).<br />
Es bedarf daher der Erörterung auch der Voraussetzungen des § 20 StGB (Schuldunfähigkeit<br />
wegen seelischer Störungen) in den Urteilsgründen insbesondere dann, wenn<br />
eine langandauernde Abhängigkeit von „harten“ Drogen festgestellt wird (ständige Senatsrechtsprechung,<br />
vgl. nur SenE v. 22.08.2008 - 82 Ss 71/08 -; SenE v. 10.10.2008 -<br />
83 Ss 71/08 -), vor allem wenn dieser eine Vielfachabhängigkeit (Polytoxikomanie, vgl.<br />
Körner a.a.O. § 29 Rn. 1454) zugrunde liegt oder sie mit psychischen Erkrankungen zusammentrifft<br />
(SenE v. 10.10.2008 - 83 Ss 71/08 -; SenE v. 23.01.2009 - 82 Ss 95/08 -;<br />
vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2007 - 5 StR 364/07 - = RuP 2008, 53; vgl. zu Betäubungsmittelabhängigkeit/§<br />
21 StGB auch BGH NStZ-RR 2006, 88).<br />
Die Gründe des angefochtenen Urteils ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob das<br />
Amtsgericht diese Grundsätze beachtet hat. Sie enthalten keine hinreichend genaue und<br />
aussagekräftige Darstellung der Einzelheiten der „Drogensucht“ des Angeklagten. So<br />
lässt sich ihnen zur Art der von ihm konsumierten Drogen, seinem Konsumverhalten im<br />
Einzelnen und zur Frage, ob es seit 1998 auch drogenfreie Zeiträume ( z. B. durch Therapie-<br />
und Haftzeiten) gegeben hat, nichts entnehmen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 9<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 21 StGB<br />
Drogenabhängigkeit<br />
SenE v. 21.04.2009 - 83 Ss 30/09 -<br />
Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht<br />
die Frage der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der erheblichen Verminderung der<br />
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht geprüft hat, obwohl der Sachverhalt Anlass zu dieser<br />
Prüfung bot.<br />
Es ist allgemein anerkannt, dass Einschränkungen der Schuldfähigkeit bei Drogenabhängigen<br />
stets zu prüfen sind, selbst wenn keine Anhaltspunkte für eine Tatbegehung unter<br />
akuter Drogenbeeinflussung bestehen (vgl. BGH NJW 1989, 2336; ständige Senatsrechtsprechung,<br />
vgl. nur Senat NJW 1976, 1801; Senat NStZ 1989, 90; SenE v. 15.08.2006 -<br />
81 Ss 106/06 -; SenE v. 18.09.2007 - 83 Ss 110/07 -; SenE v. 04.07.2008 -). Wenn auch<br />
eine langjährige Drogenabhängigkeit für sich genommen die Annahme einer völligen<br />
Schuldunfähigkeit nicht ohne weiteres begründet (vgl. BGH a.a.O.; Senat a.a.O.), kann<br />
doch im Einzelfall namentlich aufgrund einer auf der Verwendung harter Drogen zurückzuführenden<br />
schweren Persönlichkeitsveränderung und/oder einer akuten Beeinträchtigung<br />
zur Tatzeit infolge eines akuten Rausches oder starker Entzugserscheinungen eine<br />
vollständige Exkulpation durchaus in Betracht kommen (vgl. BGH a.a.O.; BGH, Urteil v.<br />
10.09.2003 – 1 StR 147/03 - = BeckRS 2003 08715; OLG Celle NStZ 1987, 407; ständige<br />
Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senat NJW 1976, 1801; SenE v. 04.02.1992 – Ss 14/92 -<br />
; SenE v. 15.08.2006 – 81 Ss 106/06 -; SenE v. 04.07.2008 – 81 Ss 59/08;<br />
Lenckner/Perron, in Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 20 Rn. 17 mit weiteren<br />
Nachweisen; Körner, BtMG, 6. Auflage, § 29 Rn. 1434; Theune NStZ 1997, 57, 58; vgl.<br />
auch Streng, in Münchener Kommentar zum StGB, 1. Auflage, § 20 Rn. 105 mit Nachweisen).<br />
Es bedarf daher der Erörterung in den Urteilsgründen, wenn eine langjährige<br />
Drogensucht festgestellt wird (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 04.07.2008 -<br />
81 Ss 59/08 -).<br />
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte das Amtsgericht wegen der langjährigen<br />
Drogenabhängigkeit des Angeklagten und seiner Vielfachabhängigkeit (Polytoxikomanie,<br />
vgl. Körner a.a.O. § 29 Rn. 1454) - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (ständige<br />
Senatsrechtsprechung, SenE v. 14.08.2007 - 81 Ss 37/07 -; Fischer, StGB, 55. Auflage, §<br />
20 Rn. 60, 61) - eingehend prüfen müssen, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur<br />
Tatzeit aufgehoben war.<br />
Das Amtsgericht hat hingegen trotz seiner Feststellung, der Angeklagte sei seit vielen<br />
Jahren verschiedene Drogen zu sich und habe bis zu seiner Festnahme täglich 1 bis 2<br />
Gramm Heroin konsumiert, keinen Anlass gesehen, einen Ausschluss der Schuldfähigkeit<br />
oder zumindest deren erhebliche Verminderung auch nur zu erwägen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 10<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 46 StGB<br />
Prüfungsabfolge<br />
SenE v. 30.04.2009 - 83 Ss 32/09 -<br />
Das Tatgericht ist - im Strafverfahren gegen Erwachsene - grundsätzlich gehalten, zunächst<br />
die Frage zu entscheiden, von welchem Strafrahmen es im konkreten Einzelfall<br />
ausgeht (BGH NStZ 1983, 407; Fischer, StGB, 56. Auflage, § 46 Rn. 16; Schäfer, Praxis<br />
der Strafzumessung, 4. Auflage, Rn. 487).<br />
Erst danach hat es - innerhalb des so festgelegten Strafrahmens - die Strafzumessung im<br />
engeren Sinne vorzunehmen (BGH a.a.O.), das heißt die Strafe auf der Grundlage der<br />
individuellen Schuld des Täters unter Berücksichtigung der Strafzwecke und des Schutzzwecks<br />
des verwirklichten Tatbestandes zu bestimmen (Fischer a.a.O. § 46 Rn. 20;<br />
Schäfer a.a.O. Rn. 490).<br />
Der nächste Schritt betrifft dann insbesondere die Strafartwahl (u. a.: Freiheitsstrafe oder<br />
Geldstrafe? Strafaussetzung zur Bewährung?) und berücksichtigt vor allem präventive<br />
Aspekte (Schäfer a.a.O. Rn. 491).<br />
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass diese drei Schritte gedanklich<br />
nacheinander vollzogen worden sind (Schäfer a.a.O. Rn. 493).<br />
Hier hat die Strafkammer - von dieser Reihenfolge abweichend - zunächst die Strafzumessung<br />
im engeren Sinne vorgenommen und erst danach den anzuwendenden Strafrahmen<br />
bestimmt.<br />
Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Rechtsfehler die Strafzumessung zu Ungunsten<br />
der Angeklagten beeinflusst hat, etwa in dem Sinne, dass das Tatgericht die Strafzumessung<br />
gedanklich zunächst im Regelstrafrahmen des § 242 StGB vorgenommen und das<br />
auf diese Weise gewonnene Ergebnis ganz oder im Wesentlichen - unbewusst - in den<br />
gemilderten Strafrahmen übertragen hat.<br />
§ 46 StGB<br />
Geständnis<br />
SenE v. 23.06.2009 - 82 Ss 39/09 -<br />
Das Amtsgericht legt dar, dass die Angeklagte den Anklagevorwurf zugestanden habe.<br />
Ein Geständnis ist in der Regel - als (positives) Nachtatverhalten - mildernd zu berücksichtigen<br />
(SenE v. 29.12.2006 - 81 Ss 174/06 - m. w. Nachw.). Eine eingeschränkte Gewichtung<br />
des Geständnisses ist nur dann rechtlich unbedenklich, wenn die geständige<br />
Einlassung in erster Linie auf der "erdrückenden Beweislage" beruhte, ersichtlich aber<br />
nicht auf echtem Reue- und Schuldgefühl. Im Zweifel ist von der für den Angeklagten<br />
günstigeren Möglichkeit auszugehen (BGH DAR 1999, 195; SenE v. 13.06.2007 - 81 Ss<br />
90/07 -).<br />
Die Gründe des angefochtenen Urteils weisen nicht aus, dass der Angeklagten das von<br />
ihr abgelegte Geständnis strafmildernd zugute gehalten worden bzw. warum das nicht<br />
geschehen ist. Sie sind insoweit materiell-rechtlich unvollständig<br />
§ 46 StGB
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 11<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Verfahrensverzögerungen<br />
SenE v. 21.04.2009 - 82 Ss 8/09 -<br />
Soweit es den vom Beschwerdeführer gerügten Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz<br />
des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK betrifft, ist das Berufungsurteil auf die Sachrüge<br />
wegen materiell-rechtlicher Unvollständigkeit aufzuheben, weil das Landgericht eine Erörterung<br />
und Entscheidung über eine Kompensation nach den Grundsätzen des Beschlusses<br />
des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 -<br />
GSSt 1/07 (BGHSt 52, 124 = NJW 2008, 860; sog. Vollstreckungsmodell) unterlassen<br />
hat.<br />
Den Gründen des angefochtenen Berufungsurteils ist zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft<br />
das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten bereits 2002 – in der zweiten<br />
Jahreshälfte – eingeleitet hat. Zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung im zweiten<br />
Rechtsgang dauerte das Verfahren mithin bereits 6 Jahre. Eine nachvollziehbare Erklärung<br />
für diese gemessen am Anklagevorwurf und der den Urteilsgründen zu entnehmenden<br />
Sach- und Rechtslage ungewöhnlich lange Verfahrensdauer lässt sich dem Berufungsurteil<br />
nicht entnehmen. Zur Verfahrensdauer heißt es darin allerdings (U.A. S. 25):<br />
„Im Rahmen der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten zunächst zu<br />
berücksichtigen, dass dessen Tat bereits mehrere Jahre zurückliegt. Es liegt auf<br />
der Hand, dass die lange Verfahrensdauer, die dem Angeklagten nicht zugerechnet<br />
werden kann (Unterstreichung durch den Senat), diesen nicht unerheblich belastet.“<br />
Bereits danach musste sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit aufdrängen, die<br />
Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung<br />
(Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zu<br />
prüfen. Die bloße Hervorhebung der langen Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessungsbegründung<br />
machte Ausführungen dazu nicht entbehrlich (eingehend zum<br />
Verhältnis einer Kompensation von Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot durch<br />
Strafzumessung und Vollstreckungslösung: BGH NJW 2009, 307 = NStZ 2009,108 =<br />
StraFo 2009, 115; vgl. auch Meyer-Goßner, <strong>StPO</strong>, 51. Auflage, Art. 6 MRK Rn. 9 b).<br />
Dass es diese Prüfung nicht vorgenommen hat, obwohl nach den Urteilsgründen Anhaltspunkte<br />
für dem Angeklagten nicht anzulastende Verfahrensverzögerungen bestehen,<br />
begründet einen sachlichrechtlich zu beanstandenden Erörterungsmangel des Urteils<br />
(BGHSt 49, 342 = NJW 2005, 518; Meyer-Goßner a.a.O. Art. 6 MRK Rn. 9 e mit weiteren<br />
Nachweisen).<br />
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:<br />
Ein Kompensationsanspruch im Rahmen der Vollstreckungslösung kann auch dadurch<br />
begründet werden, dass im selben Verfahren mehrmals Urteile aufgehoben werden (vgl.<br />
BGH, Beschluss vom 15.01.2009 – 4 StR 537/08 -; vgl. insbesondere auch Meyer-<br />
Goßner a.a.O. Art. 6 MRK Rn. 7 a, zur Rechtsprechung BVerfG/BGH; aber a. BGH NStZ<br />
2009, 104).<br />
§ 46 StGB<br />
Berücksichtigung von Vorbelastungen
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 12<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
SenE v. 24.04.2009 - 82 Ss 4/09 -<br />
Soweit im Rahmen der Strafzumessung Vorbelastungen mitberücksichtigt werden sollen,<br />
hat der Tatrichter sie im Urteil so genau mitzuteilen, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung<br />
ermöglicht wird, ob sie im Hinblick auf ihre Bedeutung und Schwere für die Strafzumessung<br />
richtig bewertet worden sind. Neben dem Zeitpunkt der Verurteilung und der<br />
Art und Höhe der Strafen sind daher regelmäßig die als belastend zugrundeliegenden<br />
Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer aussagekräftigen Form zu umreißen (st.<br />
Senatsrechtsprechung, vgl. SenE vom 20.04.2007 - 81 Ss 52/07 -; SenE vom 26.06.2007<br />
- 81 Ss 61/07 - m. w. N.; vgl. a. KG, NStZ-RR 2000, 68 [K/R]; OLG Frankfurt, StV 1995,<br />
27 und StV 1989, 155; OLG Koblenz, StV 1994, 291). Das gilt insbesondere dann, wenn<br />
eine kurze Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB festgesetzt wird (SenE vom 19.01.1996 - Ss<br />
616/95 -; SenE vom 17.09.2004 - 8 Ss 372/04 -; SenE vom 18.01.2005 - 8 Ss 476/04 -;<br />
SenE vom 18.09.2007 - 82 Ss 135/07 -252-).<br />
§ 46 StGB<br />
Berücksichtigung nicht verfolgter Taten; Härteausgleich<br />
SenE v. 09.06.2009 - 82 Ss 34/09 -<br />
Soweit die Strafkammer dem Angeklagten anlastet, er habe „gleich an zwei Abnehmer“<br />
veräußert, hält diese Erwägung der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.<br />
Zwar begegnet es im Grundsatz keinen Bedenken, eine weitere Straftat des Angeklagten<br />
im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen, auch wenn diese<br />
nicht angeklagt ist (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 207). Für diese Fallgestaltung kann nichts<br />
anderen gelten als für die Berücksichtigung von Taten, hinsichtlich derer das Verfahren<br />
gemäß § 154 Abs. 2 <strong>StPO</strong> eingestellt worden ist (vgl. dazu BGH NStZ 2000, 187). Voraussetzung<br />
ist jedoch, dass diese Taten prozessordnungsgemäß - also im Strengbeweisverfahren<br />
- festgestellt sind (BGH NStZ-RR 2001, 15 [16]; BGH NStZ 2000, 594; BGH<br />
StV 1995, 132 u. 520; vgl. a. Grillmeister NStZ 2000, 344 ff.). Voraussetzung ist demnach,<br />
dass die Beweiswürdigung hinsichtlich der (weiteren) Taten keine Rechtsfehler aufweist.<br />
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte<br />
habe an einen zweiten Abnehmer (wohl den Zeugen Klingenberg) Drogen veräußert, findet<br />
in den Ausführungen zur Beweiswürdigung keine tragfähige Grundlage.<br />
Der Tatrichter muss für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, dass seine Überzeugung<br />
auf tragfähigen Erwägungen beruht. In diesem Zusammenhang ist zwar eine<br />
breite Darstellung des Inhalts von Zeugenaussagen regelmäßig weder erforderlich noch<br />
ausreichend (BGH NStZ-RR 1999, 272). Es genügt (und ist erforderlich), die Aussageinhalte<br />
insoweit mitzuteilen, als es sich aufdrängt, um die Beweiswürdigung nachvollziehbar<br />
zu gestalten (BGH NStZ 1985, 184; BGH NStZ 1983, 133; vgl. auch: Meyer-Goßner,<br />
<strong>StPO</strong>, 51. Aufl., § 267 Rdnr. 12, 12 a m.w.N.).<br />
Diesen Anforderungen genügt die Darstellung im angefochtenen Urteil zu den (weiteren)<br />
Drogenverkäufen des Angeklagten nicht.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 13<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Die Kammer hat ihre Erkenntnisse auch insoweit allein auf die Bekundungen des Ankäufers<br />
Sturm zu Vehlingen gestützt, ohne indes mitzuteilen, was der Zeuge zur Veräußerung<br />
von Drogen durch den Angeklagten an Klingenberg bekundet hat. Es bleibt nach<br />
den Urteilsgründen bereits offen, ob der Zeuge bei diesen Geschäften überhaupt zugegen<br />
gewesen ist und inwiefern er insoweit verlässliche Angaben machen konnte. Nähere<br />
Ausführungen waren aber schon deswegen nicht entbehrlich, weil der Angeklagte sämtliche<br />
Betäubungsmittelgeschäfte bestritten und der Zeuge Klingenberg bezüglich eigener<br />
Drogenerwerbsgeschäfte von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 <strong>StPO</strong><br />
Gebrauch gemacht hat (UA S. 15).<br />
Das angefochtene Urteil weist in der Begründung der Strafbemessung noch eine weitere<br />
materiell-rechtliche Unvollständigkeit auf.<br />
Die Kammer hat - im Unterschied zum Amtsgericht - den Angeklagten nicht wegen Handeltreibens<br />
mit Betäubungsmitteln verurteilt, sondern die Taten in rechtlicher Hinsicht jeweils<br />
nur als Veräußerung von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 BtMG gewertet.<br />
Diese Begehungsform weist indes gegenüber dem von Gewinnstreben geprägten Handeltreiben<br />
einen deutlich niedrigeren Schuldgehalt auf. Gleichwohl hat es das Landgericht<br />
in allen Fällen bei den vom Amtsgericht verhängten Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten<br />
sowie bei der Gesamtstrafe von einem Jahr und vier Monaten belassen.<br />
Geht das Berufungsgericht aber von einem niedrigeren Strafrahmen oder einem geringeren<br />
Schuldgehalt aus als das Amtsgericht, bedarf die Verhängung einer gleich hohen<br />
Strafe wie in erster Instanz näherer Begründung (SenE v. 18.04.2006 - Ss 34/06 -;<br />
Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 46 Rdnr. 65 m.w.N.). Dem Erfordernis dieser<br />
besonderen Begründung steht nicht entgegen, dass die Strafzumessung in der aufgehobenen<br />
erstinstanzlichen Entscheidung kein Maßstab für die Bemessung der Strafe in dem<br />
neuen Urteil ist (BGH StV 1989, 341). Auch ungeachtet dessen hat nämlich der Angeklagte<br />
einen Anspruch darauf zu erfahren, weshalb er für ein wesentlich geringeres Vergehen<br />
nun gleich hoch bestraft wird (BGH NJW 1983, 54).<br />
Ausführungen hierzu fehlen in dem angefochtenen Urteil.<br />
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:<br />
Den Urteilgründen ist zu entnehmen, dass hinsichtlich der vorliegend abgeurteilten Taten,<br />
die sämtlich im April/Mai 2006 begangen worden sind, die Bildung einer nachträglichen<br />
Gesamtstrafe mit der durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Bonn vom 11. Februar<br />
2008 verhängten Geldstrafe nur deswegen ausgeschlossen ist, weil der Angeklagte letztere<br />
Strafe bereits vor der Berufungshauptverhandlung vollständig bezahlt hatte. In diesem<br />
Fall muss sich der Tatrichter mit der Frage auseinandersetzen, ob infolge der verloren<br />
gegangenen Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung ein Härteausgleich zu gewähren<br />
ist (vgl. SenE v. 04.11.2002 - Ss 111/03 -; SenE v. 25.04.2002 - Ss 200/04 -).<br />
§ 46 StGB<br />
Berücksichtigung eines eingestellten Verfahrens<br />
SenE v. 08.05.2009 - 81 Ss 18/09 -
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 14<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils hält hingegen materiellrechtlicher<br />
Nachprüfung nicht stand, weil dort ein gemäß § 153 Abs. 1 <strong>StPO</strong> eingestelltes<br />
Verfahren strafschärfend berücksichtigt worden ist, ohne dass hierzu Zureichendes mitgeteilt<br />
wird. Insoweit führt die Revision daher zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung<br />
der Sache an die Vorinstanz.<br />
Das Amtsgericht hat u.a. festgestellt:<br />
„Unter dem Aktenzeichen (…) StA Köln wurde gegen den Angeklagten ein strafrechtliches<br />
Ermittlungsverfahren geführt, welches eine Diebstahlstat vom (…)<br />
zum Nachteil der (…) zum Gegenstand hatte. Der Angeklagte soll in jenem Verfahren<br />
aus einem Personenzug (…) Dieselkraftstoff entwendet haben.<br />
Das Verfahren wurde seitens der Staatsanwaltschaft Köln am 20. Februar 2007<br />
gemäß § 153 Abs. 1 <strong>StPO</strong> eingestellt“<br />
Im Rahmen der Strafzumessung wird daran anknüpfend ausgeführt:<br />
„(…) Auch ist das Verhalten des Angeklagten, gegen den unlängst wegen eines<br />
nahezu identischen Vorfalls ermittelt wurde, und der daher gewarnt hätte sein<br />
müssen, als besonders dreist anzusehen (…)“<br />
Zwar darf im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend gewertet werden, dass der Täter<br />
durch ein früheren Verfahren, das nach § 153 <strong>StPO</strong> eingestellt wurde, gewarnt war<br />
(BGHSt 25, 64; BGH NJW 1987, 2243 [2244]; Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 46 Rz.<br />
40). Voraussetzung ist allerdings, dass Grundlagen, Umstände und Auswirkungen der<br />
Strafverfolgung soweit geklärt sind, dass der Rückschluss auf die Warnfunktion ohne<br />
weiteres möglich ist (BGH NJW 1987, 2243 [2244]; BGH StV 1991, 64; BGH StV 1995,<br />
520; BGH NStZ 1995, 227; Fischer, a.a.O.). Daran fehlt es hier, da dem angefochtenen<br />
Urteil nicht zu entnehmen ist, ob der Angeklagte von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren<br />
und der erfolgten Einstellung überhaupt Kenntnis hatte. Der Senat vermag<br />
auch nicht auszuschließen, dass die Rechtsfolgenentscheidung in dem angefochtenen<br />
Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§337 Abs. 1 <strong>StPO</strong>).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 15<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 46 StGB<br />
minder schwerer Fall<br />
SenE v. 05.05.2009 - 83 Ss 24/09 -<br />
Die Revision rügt zu Recht, dass die Erwägungen, auf denen die Bewertung aller abgeurteilten<br />
Taten als minder schwere Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln<br />
beruht, unvollständig und damit rechtsfehlerhaft sind.<br />
Für die Annahme eines minder schweren Falles ist entscheidend, ob das gesamte Tatbild<br />
einschließlich aller subjektiven Momente sowie der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt<br />
der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass<br />
die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser<br />
Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und<br />
zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig,<br />
ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen BGH<br />
NJW 2000, 3580; BGH NStZ 2000, 184 [D]; BGH NStZ 2000, 254; BGH NStZ-RR 2000,<br />
329; BGH NStZ-RR 2001, 215; BGH NStZ-RR 2002, 329; SenE v. 26.02.2002 - Ss<br />
543/01 -; SenE v. 17.09.2002 - Ss 277/02 -; SenE v. 18.11.2003 - Ss 482/03 -; SenE v.<br />
14.10.2005 - 83 Ss 54/05 -). Zwar obliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters,<br />
welches Gewicht er den einzelnen Milderungsgründen im Verhältnis zu den Erschwerungsgründen<br />
beimisst (BGH NStZ 2002, 132 [D]), indessen wird den Anforderungen<br />
für die Annahme eines minder schweren Falles nicht Genüge getan, wenn die Begründung<br />
einseitig auf die Angabe der Milderungsgründe beschränkt wird und die erforderliche<br />
umfassende Darstellung und Gesamtabwägung der für die Strafrahmenwahl<br />
maßgeblichen Umstände unterbleibt (BGH NStZ 2000, 578 [Detter]).<br />
Das Landgericht hat vorliegend strafschärfende Umstände entweder nicht gewürdigt oder<br />
als nicht bestimmend eingeschätzt, obwohl sich ihre Berücksichtigung als gewichtiger<br />
Bemessungsfaktor aufdrängte: So trägt das Tatbild - im Hinblick auf die gehandelten<br />
Mengen im Kilobereich, die dabei eingesetzten Geldbeträge, die enge zeitliche Abfolge<br />
der Taten und die Bewaffnung des Angeklagten im letzten Fall - professionelle Züge. Der<br />
Handel des Angeklagten geht weit über die Tätigkeit eines Gelegenheits- oder Konsumentendealers<br />
hinaus, der sich auf diesem Weg seinen Eigenkonsum finanzieren muss.<br />
Dementsprechend hat auch bereits das Amtsgericht die Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit,<br />
nämlich ein Handeln in der Absicht, sich durch den Verkauf von Rauschgift<br />
eine fortlaufende Einnahmequelle aufzubauen, festgestellt. Diesen Gesichtspunkt hat das<br />
Landgericht bei der Erörterung des minder schweren Falles entweder übergangen oder<br />
als nicht wesentlich bewertet und deshalb unerwähnt gelassen. Beides wäre gleichermaßen<br />
rechtsfehlerhaft. Denn die Gewerbsmäßigkeit des Handelns ist ein Umstand, der als<br />
vertypter Strafschärfungsgrund bei einer Vielzahl von Straftatbeständen - und so auch<br />
nach § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG - regelmäßig zur Annahme eines besonders schweren Falles<br />
führt.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 16<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 46 StGB<br />
Übermaßverbot<br />
SenE v. 23.06.2009 - 82 Ss 37/09 -<br />
… Der Senat … weist bezüglich der Tat vom 23. April 2008 (Diebstahl von Vitaminpulver<br />
im Wert von 1,45 Euro) für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:<br />
Das Übermaßverbot schließt die Verhängung von Freiheitsstrafe bei geringfügigen Straftaten<br />
oder Bagatelldelikten nicht generell aus (SenE v. 07.03.2008 - 82 Ss 15/08 -; so<br />
auch OLG Oldenburg StraFo 2008, 297; OLG Stuttgart NStZ 2007, 37; BayObLG NJW<br />
2003, 2926; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; anders<br />
für den Diebstahl einer Milchschnitte im Wert von 0,26 €: OLG Stuttgart NJW 2002,<br />
3188). Auch bei Straftaten mit geringer Schadenshöhe kann die Verhängung einer kurzen<br />
Freiheitsstrafe jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn der Täter<br />
mehrfach und zudem einschlägig vorbestraft ist (BayObLG NJW 2003, 2926; OLG Hamm<br />
VRS 106, 189). In einem solchen Fall kann es aber unter dem Gesichtspunkt eines gerechten<br />
Schuldausgleichs und aus der Beachtung des Übermaßverbots geboten sein, auf<br />
die Mindeststrafe gemäß § 38 Abs. 2 StGB zu erkennen (SenE v. 11.02.2009 - 83 Ss<br />
2/09 -; SenE v. 03.03.2009 - 81 Ss 8/09 -; OLG Oldenburg StraFo 2008, 297; OLG Stuttgart<br />
NStZ 2007, 37; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Celle NStZ-RR 2004,<br />
142).<br />
§ 47 StGB<br />
Urteilsgründe<br />
SenE v. 24.04.2009 - 82 Ss 4/09 -<br />
Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung<br />
kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise<br />
unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen (vgl. BGHSt 24, 40,<br />
42 f.; OLG Hamm, VRS 97, 410 [411]). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs<br />
Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung<br />
aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar<br />
erweist (vgl. BGHR, StGB, § 47 Abs. 1 Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH, StV 1994,<br />
370; OLG Hamm, VRS 97, 410 [411] m. w. N.). In den Fällen, in denen die Bildung einer<br />
Gesamtstrafe in Betracht kommt, ist § 47 StGB für jede verhängte Einzelstrafe zu prüfen<br />
(vgl. BGHSt 24, 164, 165; VRS 39, 95, 96). Damit die Anwendung des § 47 StGB auf<br />
Rechtsfehler geprüft werden kann, bedarf es einer eingehenden und nachprüfbaren Begründung<br />
(vgl. BGH, StV 1982, 366; StV 1994, 370; OLG Schleswig, StV 1982, 367; StV<br />
1993, 29, 30; Senat, NJW 1981, 411; SenE vom 03.01.2003 - Ss 536/02 -; SenE vom<br />
29.08.2003 - Ss 336-337/03 -; SenE vom 16.04.2004 - Ss 130/04 -; SenE vom<br />
14.02.2007 - 81 Ss 14/07 -; vgl. a. Dahs/Dahs, Die Revision im Strafrecht, 6. Auflage,<br />
Rdnr. 394). Das Urteil muss dazu eine auf den Einzelfall bezogene, die Würdigung von<br />
Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten, warum eine kurzfristige<br />
Freiheitsstrafe unerlässlich ist. Formelhafte Wendungen genügen nicht (vgl. BGH,<br />
StV 1982, 366; OLG Köln, DAR 1971, 301; Hanack, in Löwe-Rosenberg, <strong>StPO</strong>, 25. Auflage,<br />
§ 337 Rdnr. 225; OLG Hamm, [28.06.01] VRS 101, 120 [121]). Der Tatrichter hat
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 17<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
vielmehr für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, welche besonderen Umstände<br />
in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten die Verhängung der kurzzeitigen<br />
Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der<br />
Rechtsordnung unerlässlich gemacht haben (vgl. SenE vom 15.06.1999 - Ss 219/99 -;<br />
SenE vom 22.01.2002 - Ss 442/01 -; SenE vom 16.04.2004 - Ss 130/04 -; SenE vom<br />
08.09.2006 - 83 Ss 64/06 -; SenE vom 02.03.2007 - 82 Ss 23/07 -; SenE vom 21.12.<br />
2007 - 82 Ss OWi 161-162/07 – 317-318).<br />
§ 64 StGB<br />
Versäumte tatrichterliche Prüfung<br />
SenE v. 21.04.2009 - 82 Ss 17/09 -<br />
Das Revisionsgericht hat allerdings auch in dem Fall, dass lediglich der Angeklagte das<br />
erstinstanzliche Urteil angefochten hat, das Erfordernis einer Maßregel nach § 64 StGB<br />
zu prüfen (§ 358 Abs. 2 S. 2 <strong>StPO</strong>; BGH NStZ-RR 2001, 12; BGHSt 37, 5 = NJW 1990,<br />
2143; BGH NStZ 1992, 539; BGH NStZ 1993, 97; BGH NZV 1996, 458, BGH NStZ 2002,<br />
136 [D]; BGH NStZ-RR 2003, 12; SenE vom 12.02.1997 - Ss 46/97 -).<br />
a)<br />
Das Landgericht hat folgende, in dieser Hinsicht bedeutsame Feststellungen getroffen:<br />
„Der Angeklagte trinkt seit Jahren im Übermaß Alkohol; nach eigenen Angaben<br />
trank er früher Alkohol bis zur Bewußtlosigkeit. Im Jahr 1997 sowie bis Februar<br />
2004 wurde er jeweils wegen seines Alkoholproblems auf gerichtliche Anordnung<br />
nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht, was keinen bleibenden<br />
Erfolg brachte. Seit etwa einem ¾ Jahr hat er nach seinen Angaben seinen Alkoholkonsum<br />
besser im Griff und trinkt nicht täglich, insbesondere nicht, wenn er eine<br />
Arbeit hat oder zu Behörden muss, sondern hauptsächlich an Wochenenden;<br />
dann trinkt er Bier und Schnaps. Der Angeklagte schätzt sich selbst nicht als alkoholkrank<br />
ein, sondern als alkoholgefährdet. Er will irgendwann mal eine Therapie<br />
machen, hat hierfür aber noch nichts Konkretes unternommen.“<br />
Nach den weiteren tatrichterlichen Feststellungen war der Angeklagte auch bei der hier<br />
abgeurteilten Tat, der Streitigkeiten mit der Lebensgefährtin vorangegangen waren, mit<br />
maximal 2,17 o / oo erheblich alkoholisiert.<br />
b)<br />
Diese Erkenntnisse hätten das Berufungsgericht veranlassen müssen, das Vorliegen der<br />
Voraussetzungen des § 64 StGB zu erörtern.<br />
Der Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, liegt hier nahe. Der Tatrichter<br />
hat dem Angeklagten wegen seiner Alkoholisierung zur Tatzeit auch das Vorliegen<br />
einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zugebilligt; die Tat ist also<br />
im Rausch begangen worden. Vor dem Hintergrund der tatrichterlichen Feststellung, dass<br />
der Angeklagte einen Streit mit seiner Lebensgefährtin zum Anlass genommen hat, (wiederum)<br />
Alkohol im Übermaß zu konsumieren und dann die hier in Rede stehende Straftat<br />
begangen hat, liegt auch die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen<br />
Hang, Anlasstat und weiter zu besorgenden Straftaten nahe (BGH NStZ 2005,
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 18<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
210). Ein entsprechender Zusammenhang ist nämlich auch dann gegeben, wenn der<br />
Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche<br />
rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten für die<br />
Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ 2001, 136 [Detter]).<br />
Zwar setzt die Anordnung der Maßregel weiter voraus, dass die konkrete Erfolgsaussicht<br />
besteht, einen Süchtigen vor einem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (BVerfG 91,<br />
1 = NJW 1995, 1077 = NStZ 1994, 578; BGH NStZ-RR 2002, 298 [299] = NStZ 2002,<br />
647 [648]). Hieran bestehen für den vorliegenden Fall aber nicht etwa deswegen durchgreifende<br />
Zweifel, weil gegen den Angeklagten bereits zweimal die Maßregel des § 64<br />
StGB angeordnet worden ist, ohne dass ihn dies augenscheinlich vor Rückfällen in süchtiges<br />
Verhalten hat bewahren können. Einer solchen Annahme steht bereits entgegen,<br />
dass der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 14. April 2009 mitgeteilt hat,<br />
der Angeklagte besitze Krankheitseinsicht und sei mit einer Maßregel, „die ihn in geeigneter<br />
Weise dabei unterstützt, sein Suchtproblem zu bekämpfen“ einverstanden.<br />
Der neue Tatrichter wird daher unter Zuziehung eines Sachverständigen (§ 246a <strong>StPO</strong>)<br />
das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen für eine Maßregel gemäß § 64 StGB zu<br />
prüfen haben.<br />
§ 69 StGB<br />
Nachschulung<br />
SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/09 -<br />
Die Teilnahme des Betroffenen an einer Nachschulung kann grundsätzlich als eine Maßnahme<br />
angesehen werden, die in besonderer Weise dazu beitragen kann, den in der Tat<br />
offenbar gewordenen Eignungsmangel zu beseitigen mit der Folge, dass sie im Rahmen<br />
der Prüfung der Frage, ob die Indizwirkung der Tat gemäß § 69 Abs. 2 StGB durch besondere<br />
Umstände ausgeräumt ist, berücksichtigt werden muss (vgl. OLG Düsseldorf<br />
VRS 66, 347). Ob diese Wirkung durch die Kursteilnahme eingetreten ist, unterliegt allein<br />
tatrichterlicher Würdigung (vgl. OLG Köln, B. v. 18.04.1980 - 3 Ss 206/80 - = VRS 59, 25;<br />
SenE v. 31.03.1981 - 1 Ss 1085/80 - = VRS 61, 118; OLG Düsseldorf DAR 1982, 26), ist<br />
also Tatfrage, zu deren Beantwortung das Gericht als geeignetes Beweismittel auch die<br />
Vernehmung des Kursmoderators heranziehen kann. Allerdings bewirkt die Nachschulungsteilnahme<br />
weder stets noch auch nur regelmäßig ohne weiteres eine Durchbrechung<br />
des Grundsatzes nach § 69 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 StGB (SenE v. 16.12.1980 - 1 Ss 748/80 - =<br />
VRS 60, 375; OLG Koblenz VRS 66, 40). Vielmehr muss die Wirksamkeit dieser Maßnahme,<br />
also der Wegfall des Eignungsmangels aufgrund der Nachschulung in Verbindung<br />
mit der regelmäßig wirksam gewesenen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis<br />
für den konkreten Fall festgestellt werden (OLG Hamburg VRS 60, 192; OLG Koblenz<br />
VRS 66, 40; vgl. zu allem auch: Himmelreich/Hentschel, Fahrverbot und Führerscheinentzug,<br />
Bd. I, 8. Aufl., Rdnr. 57 c).<br />
§§ 177, 184 f StGB<br />
Zungenkuss
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 19<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
SenE v. 26.05.2009 - 81 Ss 25/09 -<br />
Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu<br />
Recht den Tatbestand der sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB, dabei in einem<br />
Fall in der Form des Versuchs, als erfüllt angesehen. Insbesondere ist die Annahme der<br />
Strafkammer, der - im zweiten Fall nur versuchte - Zungenkuss habe vorliegend die Erheblichkeitsschwelle<br />
im Sinne des § 184 f Nr. 1 StGB überschritten, aus Rechtsgründen<br />
nicht zu beanstanden. Ein Zungenkuss ist zwar nicht stets als sexuelle Handlung von einiger<br />
Erheblichkeit zu werten (vgl. SenE v. 17.09.2002 – Ss 277/02 -; BGHSt 18, 169 ff.;<br />
BGH StV 1983, 415 [416]; vgl. auch: Fischer, StGB, 56. Aufl., § 184 Rdn. 7, 8 m.w.N.). Es<br />
kommt vielmehr auf die Umstände im Einzelfall, insbesondere auf die Dauer und Intensität<br />
der Handlung, die Beziehung zwischen Täter und Tatopfer sowie auf dessen Alter und<br />
Verhalten an (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 12 [13]).<br />
Davon ausgehend kann die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne der §§ 177 Abs. 1, 184 f<br />
StGB unter den Umständen des vorliegenden Falles aber keinem ernsthaften Zweifel<br />
unterliegen. Zwischen dem zur Tatzeit 65 Jahre alten Angeklagten und der erst 15 Jahre<br />
alten Geschädigten bestand nach den Urteilsfeststellungen lediglich eine lockere Bekanntschaft<br />
aus zufälligen Begegnungen. Ohne dass die Zeugin ihm durch ihr Verhalten<br />
einen Anlass dazu gegeben hatte, hat der Angeklagte sich ihr völlig überraschend in der<br />
festgestellten, von ihr als ekelhaft empfundenen Weise genähert. Dass die Handlungen<br />
des Angeklagten von der Geschädigten als gewichtige sexuelle Übergriffe erlebt worden<br />
sind, belegen die tatrichterlich festgestellten psychischen und physischen Folgen der Taten,<br />
nicht zuletzt für die Beziehung zu ihrem damaligen Freund.<br />
§ 242 StGB<br />
Vollendung der Wegnahme<br />
SenE v. 03.04.2009 - 82 Ss 12/09 -<br />
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen<br />
zu je 5,00 Euro verurteilt.<br />
Zum Schuldspruch hat es festgestellt:<br />
„Am 21.7.2008 entwendete der Angeklagte Schrott und Altmetall von einer Baustelle<br />
in der M-straße in Köln, indem er einen mitgeführten Einkaufswagen hoch<br />
voll mit Schrott belud, um anschließend das Gelände zu verlassen, wobei er vorhatte,<br />
das Altmetall zu veräußern, um den Erlös für sich zu behalten.“<br />
…<br />
Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen (vollendeten)<br />
Diebstahls nicht. Sie belegen nicht, dass eine für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes<br />
nach § 242 Abs. 1 StGB erforderliche vollendete Wegnahmehandlung vorgelegen<br />
hat.<br />
Die zur Vollendung des Diebstahls führende Wegnahme ist dann vollzogen, wenn<br />
fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Für die Frage<br />
des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter die<br />
Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 20<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann, und dieser über die Sache nicht mehr verfügen<br />
kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob das<br />
der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens (BGH<br />
NStZ 2008, 624 = StraFo 2008, 478; SenE v. 24.09.2004 - 8 Ss 391/04 -).<br />
Die Beobachtung des Täters durch den Gewahrsamsinhaber oder Dritte schließt die<br />
Gewahrsamserlangung nicht aus. Denn weder ist der Diebstahl eine heimliche Tat<br />
noch setzt er die Vollziehung des Gewahrsamswechsels derart voraus, dass der Täter<br />
endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt (BGH NStZ 1987, 71; Fischer,<br />
StGB, 56. Auflage, § 242 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen). Ob bei Beobachtung des<br />
Diebstahls durch den Eigentümer oder durch andere, die zu seinen Gunsten einzuschreiten<br />
gewillt sind, die Begründung eigenen Gewahrsams möglich ist, hängt von<br />
den konkreten Umständen ab. Wesentlich sind zum Beispiel die mehr oder weniger<br />
große räumliche Nähe des Beobachtenden und die Schnelligkeit seines Eingreifens<br />
sowie Umfang und Gewicht des Diebesgutes (BGH StV 1985, 323). Hat der bei dem<br />
Ansichnehmen der Ware beobachtete Dieb von vornherein keine Chance hat, die<br />
Beute zu bergen, liegt mangels Begründung neuen Gewahrsams kein vollendeter<br />
Diebstahl vor (SenE a.a.O.; vgl. BGH StV 1985, 323; Fischer a.a.O.).<br />
Hier lässt sich den Gründen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen, dass der<br />
Angeklagte an dem „Schrott und Altmetall“ bereits neuen, eigenen Gewahrsam begründet<br />
hatte. Das Amtsgericht hat - was nach dem vorstehend Ausgeführten unter<br />
anderem erforderlich gewesen wäre - keine Feststellungen dazu getroffen, wo genau<br />
- in welcher Entfernung zum Ort des Beladens des Einkaufswagens - der Angeklagte<br />
mit seiner Beute gestellt worden ist, in welcher Entfernung zum jeweiligen Standort<br />
des Angeklagten sich der die Tat beobachtende Zeuge G. aufgehalten hat, ob er bereit<br />
gewesen wäre, einen endgültigen Abtransport der Beute durch den Angeklagten<br />
zu verhindern, und schließlich zu welchem Zeitpunkt des Tatgeschehens er die Polizei<br />
verständigt hat und diese dann eingetroffen ist. Die entscheidende Frage, ob der<br />
Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt des Geschehens eine reale Chance hatte, die<br />
Beute zu bergen, bleibt nach den Urteilsgründen daher offen.<br />
§§ 315c, 316 StGB<br />
Trunkenheitsfahrt; Feststellungen zu Tatumständen<br />
SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/09 -<br />
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es materiell-rechtlich unvollständig<br />
ist.<br />
Schon im Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter<br />
regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der<br />
Schuldform weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher<br />
zu bestimmen und einzugrenzen (BayObLG VRS 93, 108 = NZV 1997, 244 = NStZ 1997,<br />
359 = MDR 1997, 486; OLG Karlsruhe VRS 79, 199 [200]; SenE v. 19.12.2000 - Ss<br />
488/00 - = StV 2001, 355; SenE v. 29.02.2008 - 83 Ss 14/08). Dazu zählen insbesondere<br />
die Umstände der Alkoholaufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft) sowie der Anlass und<br />
die Gegebenheiten der Fahrt (BayObLG VRS 97, 359 [360] = NZV 1999, 483; SenE v.<br />
27.10.2006 - 82 Ss 123/06 -).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 21<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Für das Ausmaß der abstrakten Gefahr und den Schuldumfang kommt es weniger auf die<br />
Höhe der Blutalkoholkonzentration (den Grad der Fahruntüchtigkeit) als auf die Fahrweise,<br />
die Art (Verkehrsverhältnisse) und Länge der zurückgelegten Strecke an (BayObLG<br />
NZV 1997, 244; OLG Karlsruhe VRS 81, 19 [20] und VRS 79, 199 [200]; Fischer, StGB,<br />
56. Aufl., § 316 Rdnr. 54). Wichtige Kriterien sind mithin Dauer und Länge der bereits<br />
zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen<br />
Straßen sowie der private oder beruflich bedingte Anlass der Fahrt. Bedeutsam kann<br />
ferner sein, ob der Angeklagte aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten verleitet<br />
wurde, ob ihm bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit anzulasten ist und ob er sich in<br />
ausgeglichener Gemütsverfassung oder einer Ausnahmesituation befand (BayObLG VRS<br />
93, 108; SenE v. 04.11.1997 - Ss 547/97 -; SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001,<br />
355). Auch polizeilich festgestellte Auffälligkeiten des Angeklagten am Kontrollort oder bei<br />
der Blutentnahme können von Bedeutung sein (BayObLG DAR 2004, 282).<br />
Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalles besonders<br />
bedeutsamen Umständen sind im Allgemeinen zur näheren Bestimmung des Schuldgehalts<br />
der Tat als Grundlage für eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich.<br />
Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine weiteren, für den<br />
Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte schweigt<br />
und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem<br />
Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies im Urteil hinreichend klarzustellen. In<br />
einem solchen Fall ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer Schuldumfang<br />
ohne wesentliche Besonderheiten zugrunde zu legen (SenE v. 04.11.1997 - Ss 547/97 -;<br />
SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001, 355).<br />
Die genannten Grundsätze gelten erst recht, wenn es - wie hier - infolge der trunkenheitsbedingten<br />
Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall gekommen ist.<br />
Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene Urteil revisionsrechtlich beachtliche<br />
Unvollständigkeiten auf. Den Feststellungen können die Umstände, die geeignet<br />
sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen, nicht hinreichend entnommen<br />
werden. So bleibt nicht nur offen, unter welchen näheren Umständen (Anlass<br />
und Dauer der Fahrt sowie Fahrstrecke) der Angeklagte das Fahrzeug geführt hat. Es<br />
wird aber auch nicht ausgeführt, unter welchen Umständen es zur Alkoholaufnahme gekommen<br />
ist, insbesondere ob der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet<br />
hat, später noch ein Fahrzeug zu führen.<br />
Die in einer solchen Weise lückenhaften Feststellungen stellen keine hinreichende<br />
Grundlage für die Bemessung einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar. Darüber<br />
hinaus ist eine weitere Aufklärung vorliegend aber auch deshalb geboten, weil das Amtsgericht<br />
trotz der zwischenzeitlichen Teilnahme des Angeklagten an einem Kurs zur Förderung<br />
der Fahreignung die Führerscheinmaßnahmen weiterhin als notwendig erachtet und<br />
dies u.a. mit den „Tatumständen“ und der „Persönlichkeit“ des Angeklagten begründet<br />
hat. Worin diese Umstände bestehen und inwiefern die Persönlichkeit des Angeklagten<br />
der Annahme der Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr entgegensteht, bleibt indes<br />
offen.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 22<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Betäubungsmittelgesetz (BtMG)<br />
§ 29 BtMG<br />
Feststellung des Wirkstoffgehalts<br />
SenE v. 07.04.2009 - 81 Ss 3/09 -<br />
Das angefochtene Urteil ist allerdings insoweit materiell-rechtlich unvollständig, als es den<br />
Schuldumfang der abgeurteilten Tat nicht hinreichend erkennen lässt. Es fehlen - vorliegend<br />
nicht entbehrliche - Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels (vgl.<br />
dazu nur SenE v. 19.06.2007 - 82 Ss 52/07 -).<br />
Grundsätzlich setzt bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz<br />
die zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs auch Feststellungen<br />
zum Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels voraus (BGH NStZ 1990, 395; SenE<br />
a.a.O.). Die Qualität des Betäubungsmittels ist für die Bemessung des Unrechts- und<br />
Schuldgehalts von erheblicher Bedeutung. Ohne Feststellungen dazu lässt sich nicht abschätzen,<br />
welche Mindestzahl an Konsumeinheiten aus der dem Täter angelasteten Menge<br />
hergestellt werden kann. Bei fehlenden Qualitätsangaben erschließen sich daher in<br />
der Regel weder der objektive Unrechtsgehalt der Tat noch das Maß der persönlichen<br />
Schuld des Täters. Von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt kann daher nur ausnahmsweise<br />
abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffs<br />
geeignet ist, den Unrechts- und Schuldgehalt zu beeinflussen.<br />
Diesen Grundsätzen entspricht das amtsgerichtliche Urteil nicht; es enthält keine Angaben<br />
zum Wirkstoffgehalt. Dabei bewegt sich die Rauschgiftmenge von insgesamt annähernd<br />
24 Gramm Amphetamin in einem Bereich, in dem der Wirkstoffanteil nicht mehr als<br />
unerheblich für die Bemessung von Schuld und Strafmaß angesehen werden kann. Vielmehr<br />
kommt bei der Feststellung einer Wirkstoffmenge von mindestens 10 Gramm Amphetaminbase<br />
(vgl. zum Grenzwert: Weber, BtMG, 2. Aufl., § 29 a Rdnr. 104 m.w.N.) die<br />
Verwirklichung eines Qualifikationstatbestands, nämlich eine Verurteilung wegen Handeltreibens<br />
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG<br />
in Betracht. Einer dahingehenden Abänderung des Schuldspruchs zu Lasten des Angeklagten<br />
stünde das Verschlechterungsverbot gem. § 358 Abs. 2 <strong>StPO</strong> nicht entgegen<br />
(vgl. SenE v. 10.05.2001 - Ss 154/01 B -; BGH VRS 101, 113 [114] = DAR 2001, 513<br />
[514]).<br />
§ 29 BtMG<br />
Feststellungen zum Schuldumfang<br />
SenE v. 26.05.2009 - 82 Ss 28/09 -<br />
Zum Schuldspruch wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erweisen<br />
sich die Urteilsgründe in mehreren Beziehungen als materiell-rechtlich unvollständig. Es<br />
ist daher nicht auszuschließen, dass die angefochtene Entscheidung von rechtsfehlerhaften<br />
Erwägungen beeinflusst ist.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 23<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
(aa)<br />
Erwirbt der Täter - wie hier - Betäubungsmittel teils zum Eigenkonsum und teils zur gewinnbringenden<br />
Weiterveräußerung, ist im Urteil anzugeben, mit welcher Mindestmenge<br />
Handel getrieben und welche Höchstmenge zum Eigenkonsum erworben wurde (Bay-<br />
ObLG StraFo 2000, 230 = NStZ-RR 2001, 76 [K/R]; SenE v. 16.03.2007 - 81 Ss 35/07 -;<br />
SenE v. 12.12.2008 - 83 Ss 93/08 -). Diese Feststellung ist erforderlich, um den Schuldumfang<br />
der Tat zu bestimmen; denn soweit die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum bestimmt<br />
waren, ist lediglich eine Strafbarkeit wegen Erwerbs bzw. Besitzes von Betäubungsmitteln<br />
gemäß § 29 Abs. 1 BtMG begründet, der indes gegenüber dem Vorwurf des<br />
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein geringerer Unrechts- und Schuldgehalt zukommt.<br />
Entsprechende Ausführungen enthält das angefochtene Urteil nicht.<br />
(bb)<br />
Es entspricht zudem ständiger Rechtsprechung, dass bei einer Verurteilung wegen Verstoßes<br />
gegen das Betäubungsmittelgesetz für die zutreffende Beurteilung des Schuldumfangs<br />
grundsätzlich auch Feststellungen zur Menge der tatgegenständlichen Betäubungsmittel<br />
- und weitergehend auch zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts - erforderlich<br />
sind. Der (Mindest-)Umfang der Schuld kann nicht bemessen werden, wenn nicht die<br />
Menge des Betäubungsmittels, mit dem der illegale Verkehr stattgefunden hat, festgestellt<br />
wird (BGH NStZ 1982, 65 [Schoreit]; BGH NJW 1992, 380 = NStZ 1992, 591; Weber,<br />
BtMG, 2. Aufl., Vor § 29 Rdnr. 732 ff.; zum Wirkstoffgehalt: vgl. BGH NJW 1985,<br />
273, 1406; BGH NStZ 2001, 134 [Detter]; BGH NStZ-RR 2002, 52 [53]; SenE v.<br />
12.01.1999 - Ss 2/99 - = StV 1999, 440 = NStZ-RR 2000, 67 f. [K/R]; SenE v. 16.03.2007<br />
- 81 Ss 35/07 -). Angaben zu der Qualität des Betäubungsmittels sind auch dann notwendig,<br />
wenn eine Untersuchung des Rauschmittels nicht möglich war. Der Tatrichter<br />
muss in diesem Fall unter Berücksichtigung der hinreichend sicher festgestellten Tatumstände<br />
- wie Preis und Herkunft des Rauschmittels, Beurteilung durch Tatbeteiligte - und<br />
des Grundsatzes „in dubio pro reo“ angeben, von welcher Mindestqualität er ausgegangen<br />
ist (BGH [25.07.01] NStZ 2002, 135 [D]; BGH NStZ 1985, 273; BGH NStZ 1986, 56<br />
[Schoreit]; BayObLG StraFo 2000, 230 = NStZ-RR 2001, 76 [K/R]; OLG Frankfurt NStZ-<br />
RR 2003, 23 [24]; SenE v. 01.02.2005 - 8 Ss 484/04 -). Von genaueren Feststellungen<br />
zur Qualität des Betäubungsmittels darf nur abgesehen werden, wenn ausgeschlossen<br />
ist, dass eine genauere Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß zugunsten des Angeklagten<br />
beeinflussen kann (BGH NStZ 1990, 395; OLG Frankfurt a.a.O.; SenE vom<br />
29.03.1996 - Ss 107/96 -; SenE v. 31.10.2008 - 81 Ss 93/08 -).<br />
Auch insoweit enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen, obgleich diese angesichts<br />
der in Rede stehenden Rauschgiftmengen nicht entbehrlich waren.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 24<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Jugendgerichtsgesetz (JGG)<br />
§§ 17, 18 JGG<br />
Grundsätze<br />
SenE v. 26.05.2009 - 82 Ss 28/09 -<br />
a)<br />
Unter schädlichen Neigungen sind erhebliche - seien es anlagebedingte, seien es durch<br />
unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte - Mängel zu verstehen, die ohne<br />
längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten in sich bergen,<br />
die nicht nur gemeinlästig sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben (BGH<br />
NStZ-RR 2002, 20 = NStZ 2002, 89). Die Anlage- oder Erziehungsmängel müssen noch<br />
zum Urteilszeitpunkt bestehen (SenE v. 05.11.2002 - Ss 435-436/02 - = StraFo 2003, 62).<br />
Wenn die Festsetzung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen mit früheren<br />
Straftaten des Angeklagten begründet wird, müssen zu diesen konkrete tatsächliche<br />
Feststellungen getroffen werden (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 377 = StV 1999, 659; SenE<br />
v. 11.08.2000 - Ss 316/00 -; SenE v. 30.03.2001 - Ss 55/01 -)<br />
Der Tatrichter muss sich zudem damit auseinandersetzen, warum gerade die abgeurteilte<br />
Tat die Verhängung einer Jugendstrafe erfordert (OLG Hamm a.a.O.; SenE v. 11.08.2000<br />
- Ss 316/00 -).<br />
b)<br />
Beherrschender Strafzweck des Jugendstrafrechts ist der Erziehungsgedanke. Bei der<br />
Bemessung der Jugendstrafe darf daher nicht in erster Linie auf das Gewicht des Tatunrechts<br />
abgestellt werden (BGH StV 1996, 269). Maßgebend sind vielmehr in erster Linie<br />
erzieherische Gesichtspunkte, und zwar auch dann, wenn eine Jugendstrafe wegen der<br />
Schwere der Schuld in Betracht kommt (BGHSt 15, 224 [226]; BGHSt 16, 261 [263]; BGH<br />
NStZ 1982, 332 m. w. Nachw.; BGH NStZ-RR 1998, 285; BGH NStZ-RR 1996, 120; BGH<br />
NJW 2005, 765 [766]; Senat StV 1991, 426 f.; SenE v. 07.05.1999 - Ss 177/99 - = StV<br />
1999, 667 = NStZ-RR 2000, 70 [K/R] = StV 2001, 178; SenE v. 03.09.2004 - 8 Ss 375/04<br />
-; vgl. a. Dölling NStZ 1998, 39). Es ist daher rechtsfehlerhaft, stattdessen in erster Linie<br />
auf das Gewicht des Tatunrechts abzustellen und sich dabei an den nach allgemeinem<br />
Strafrecht zu verhängenden Strafen zu orientieren (BGH NStZ-RR 1997, 281). Wird die<br />
Jugendstrafe ausschließlich mit Umständen begründet, die auch bei einem Erwachsenen<br />
Erwähnung hätten finden müssen, obwohl sich die Erörterung erzieherischer Belange<br />
aufdrängt, ist die Strafzumessung rechtsfehlerhaft (BGH NStZ-RR 1998, 86; vgl. a. SenE<br />
v. 03.09.2004 - 8 Ss 375/04 -).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 25<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
§ 31 JGG<br />
Einheitsjugendstrafe, Tenorierung<br />
SenE v. 26.05.2009 - 82 Ss 28/09 -<br />
c)<br />
Die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe unter Einbeziehung eines auf Freiheitsstrafe<br />
lautenden Urteils erfordert eine Neubeurteilung der früheren Taten, ob aufgrund neuer<br />
Erkenntnisse für sie Jugendstrafe anwendbar ist. Diese Neubeurteilung muss aufgrund<br />
einer Gesamtbewertung der bereits abgeurteilten und der neuen Taten erfolgen (BGHSt<br />
37, 35, 37; BGH NStZ 2009, 43). Aus diesem Grund sind die dem einbezogenen Urteil<br />
zugrunde liegenden Sachverhalte und Zumessungserwägungen mitzuteilen (BGH NStZ<br />
2009, 43; SenE v. 28.12.2000 - Ss 536/00 - = VRS 100, 64 [65]; SenE v. 25.10.2005 - 82<br />
Ss 48-49/05 -).<br />
d)<br />
Bei der Einbeziehung eines früheren Urteils gemäß § 31 JGG ist auch ein bereits in jenes<br />
Urteil einbezogenes Urteil im Tenor des neuen Urteils aufzuführen (BGH NJW 1998, 465<br />
[467]; BGH NStZ 1997, 482 [Böhm]; BGH StV 1989, 308; SenE v. 28.12.2000 - Ss 536/00<br />
- = VRS 100, 64 [66]; SenE v. 25.10.2005 - 82 Ss 48-49/05 -; Eisenberg, JGG, 12. Aufl.,<br />
§ 54 Rdnr. 20).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 26<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Straßenverkehrsgesetz (StVG)<br />
§ 21 StVG<br />
Entziehung der Fahrerlaubnis; Zugangsvereitelung<br />
SenE v. 09.06.2009 - 83 Ss 40/09 -<br />
Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen fahrlässigen Fahrens<br />
ohne Fahrerlaubnis nicht. Es fehlt nämlich eine tragfähige Grundlage für die Annahme<br />
der Strafkammer, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei bereits vor den beiden verfahrensgegenständlichen<br />
Fahrten wirksam geworden, weil der Angeklagte sich so behandeln<br />
lassen müsse, als wäre ihm die Ordnungsverfügung der Straßenverkehrsbehörde vom<br />
28. März 2008 zuvor zugegangen. Der Vorwurf eines pflichtwidrig und vorwerfbar verursachten<br />
Scheiterns der Bekanntgabe des Bescheids ist nicht in rechtsfehlerfreier Weise<br />
festgestellt.<br />
a)<br />
Nach § 43 VwVfG wird ein Verwaltungsakt mit seiner Bekanntgabe an den Betroffenen<br />
wirksam. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei der Übermittlung durch die Post im Inland<br />
am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 41 Abs. 2 S. 1<br />
VwVfG). Diese Zugangsfiktion gilt aber nicht, wenn die Sendung überhaupt nicht zugegangen<br />
ist (§ 41 Abs. 2 S. 2 VwVfG). Sie greift daher auch im vorliegenden Fall nicht, weil<br />
der Bescheid der Straßenverkehrsbehörde nicht an den tatsächlichen Wohnsitz des Angeklagten<br />
verschickt wurde, durch die Postzustellung somit nicht in seinen Zugangsbereich<br />
gelangt ist und ihn - nach seiner unwiderlegten Einlassung - auch sonst nicht erreicht<br />
hat.<br />
b)<br />
Allerdings kann unter Heranziehung des auch im öffentlichen Recht geltenden Rechtsgedankens<br />
aus §§ 162, 242 BGB in Fällen, in denen die ordnungsgemäße Bekanntgabe<br />
eines Verwaltungsaktes durch die Verletzung einer Obliegenheit des Empfängers vereitelt<br />
worden ist, dieser so zu behandeln sein, als ob der Verwaltungsakt so zugegangen wäre,<br />
wie dies unter einwandfreien Verhältnissen der Fall gewesen wäre (vgl. BVerwG, B. v.<br />
22.06.2004 - 6 B 8/04 - m.w.N., bei juris).<br />
(aa)<br />
In dieser Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von dem Grundsatz ausgegangen, wonach<br />
im Allgemeinen niemand besondere Vorkehrungen dafür treffen muss, dass ihn<br />
behördliche Bescheide tatsächlich erreichen. Es obliegt vielmehr der Behörde, durch geeignete<br />
Maßnahmen - sei es durch Wahl einer sicheren Bekanntgabeform, sei es durch<br />
entsprechende Ermittlungen im Vorfeld der Übersendung - für die verlässliche Übermittlung<br />
von Bescheiden zu sorgen (vgl. OVG Schleswig-Holstein B.v. 02.08.2001 - 1 M<br />
24/00 - bei juris). Dem Berufungsgericht kann auch darin gefolgt werden, dass der Angeklagte<br />
mit Rücksicht auf die Umstände des Falles geeignete Maßnahmen hätte treffen<br />
müssen, um den Zugang weiterer Sendungen der Straßenverkehrsbehörde auch nach<br />
seinem Umzug nach AA. zu gewährleisten<br />
Er stand unter seiner Adresse in S. wegen zahlreicher verkehrsrechtlicher Verstöße bereits<br />
seit Anfang 2006 in ständigem Kontakt mit der Behörde. Sie hatte ihm die Fahrerlaubnis<br />
mit Verfügung vom 14. November 2006 erstmals entzogen. Nachdem diese Maß-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 27<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
nahme mit Bescheid vom 27. Dezember 2006 für erledigt erklärt worden war, hat der Angeklagte<br />
im Mai 2007 - also im Zeitraum seines Umzuges - weitere, teils erhebliche Verkehrsverstöße<br />
begangen, die im August 2007 mit Bußgeldbescheiden geahndet worden<br />
sind. Ungeachtet dessen, ob ihm diese Bescheide zugegangen sind, musste der Angeklagte<br />
angesichts seiner Vorgeschichte schon aufgrund der neuerlichen Ordnungswidrigkeiten<br />
mit weiteren fahrerlaubnisrelevanten Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde<br />
rechnen.<br />
(bb)<br />
Dass der Angeklagte es vorliegend in vorwerfbarer Weise unterlassen hat, geeignete<br />
Empfangsvorkehrungen zu treffen, belegen die Urteilsgründe allerdings nicht.<br />
Es wird lediglich festgestellt, dass sich der Angeklagte nach seinem Auszug aus der<br />
Wohnung seiner Schwester in S. und dem (Wieder-)Einzug bei seinen Eltern in AA. dort<br />
entgegen § 13 Abs. 1, 3 MeldeG NW nicht angemeldet hat. Allein dieser, obgleich<br />
schuldhaft begangene melderechtliche Verstoß rechtfertigt es aber bereits aus Rechtsgründen<br />
noch nicht, ihn so zu behandeln, als wäre ihm der Bescheid vom 28. März 2008<br />
vor Antritt der Fahrten im April zugegangen. Das Melderegister verringert nämlich die<br />
Verantwortlichkeit der Behörde nicht, für den Zugang von Bescheiden Sorge zu tragen<br />
(vgl. OVG Schleswig-Holstein a.a.O.), und zwar auch dann nicht, wenn diese anstelle der<br />
durch § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW eröffneten Möglichkeit der Übersendung per Post<br />
unter der unzutreffenden Anschrift zugestellt worden ist. Eine falsche Adressierung infolge<br />
eines unrichtigen Melderegisters verhindert demzufolge die wirksame Bekanntgabe<br />
(Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 41 Rdnr. 35).<br />
Abgesehen davon bleibt nach den Urteilsfeststellungen offen, ob nicht der Angeklagte<br />
zwar die Ummeldung versäumt, aber andere Vorkehrungen getroffen hatte, die er für<br />
geeignet erachten konnte, ihm zeitnah Kenntnis von eingehenden behördlichen Sendungen<br />
zu verschaffen. So war es ihm unbenommen, bei dem für seine frühere Anschrift in<br />
S. zuständigen Postamt einen Nachsendeauftrag zu stellen, die Nachsendung durch seine<br />
Schwester oder deren Lebensgefährten zu veranlassen, bei ihnen in kurzen Zeitabständen<br />
nachzufragen, ob Postsendungen für ihn eingegangen waren, oder sie zu bitten,<br />
ihn in einem solchen Fall umgehend zu benachrichtigen. Der Umstand, dass er - nach<br />
seiner bislang unwiderlegten Einlassung - tatsächlich keine Kenntnis von dem Bescheid<br />
erlangt hatte, besagt ohne weiteres weder, dass er keinerlei Vorsorge getroffen hatte,<br />
noch dass sich zum Zeitpunkt der Postzustellung des Bescheids vom 28. März 2008 seine<br />
Maßnahme(n) bereits als ungeeignet oder unzuverlässig erwiesen hatte(n).<br />
(cc)<br />
Soweit das Landgericht den Angeklagten für verpflichtet gehalten haben sollte, seinen<br />
Umzug nach AA. der Straßenverkehrsbehörde anzuzeigen - darauf deutet die Formulierung<br />
(UA S. 12) hin, es hätte für ihn Veranlassung bestanden, „für eine rechtzeitige Korrektur<br />
der Wohnschrift zu sorgen“ -, wären damit die Sorgfaltsanforderungen überspannt.<br />
2.<br />
…<br />
3.<br />
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung auf folgendes hin:<br />
a)
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 28<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Das Landgericht wird im Falle der Feststellung einer vorwerfbaren Vereitelung des Zugangs<br />
der Entziehungsverfügung auch zu prüfen haben, ob die pflichtwidrige Versäumung<br />
von Zugangsvorkehrungen ursächlich dafür geworden ist, dass dem Angeklagten<br />
bei seinen Fahrten der Verlust der Fahrerlaubnis noch nicht bekannt war.<br />
Soweit es die versäumte meldebehördliche Ummeldung betrifft, ist das Landgericht im<br />
angefochtenen Urteil selbst nicht davon ausgegangen, dass die Meldebehörde das Straßenverkehrsamt<br />
hiervon verständigt hätte. Zu einer entsprechenden Annahme besteht<br />
auch in der Tat kein Anlass. Eine meldbehördliche Ummeldung des Angeklagten hätte<br />
somit nicht dazu geführt, dass die Bescheide vom 17. Oktober 2007 und 28. März 2008<br />
an die neue Anschrift des Angeklagten in AA. gerichtet worden und den Angeklagten vor<br />
den Fahrten vom 5. April 2008 und 13. April 2008 erreicht hätten. Es wird im angefochtenen<br />
Urteil vielmehr unterstellt, dass die Verfügungen in einen „etwaigen“ (UA S. 13) Postrücklauf<br />
gelangt wären. Das aber würde voraussetzen, dass die Meldebehörde dem zuständigen<br />
Postamt eine Benachrichtigung vom Umzug des Angeklagten hätte zukommen<br />
lassen und im Anschluss eine Postzustellung unter der alten Adresse nicht mehr erfolgt<br />
wäre. Dafür fehlt aber bislang ebenfalls jeder Anhaltspunkt.<br />
b)<br />
Im Falle der Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist der Tatrichter gehalten,<br />
über die Individualisierung der Taten und die für den äußeren und inneren Tatbestand<br />
notwendigen Feststellungen hinaus Feststellungen zu Umständen zu treffen, die geeignet<br />
sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen. Wichtige Kriterien sind<br />
dabei Dauer und Länge der bereits zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke,<br />
Verkehrsbedeutung der befahrenen Straße sowie der Anlass der Fahrt (SenE v.<br />
20.04.2007 - 81 Ss 52/07 -; SenE v. 27.04.2007 - 82 Ss 32/07 -). Das Fehlen solcher<br />
Feststellungen zum Schuldumfang ist nur dann nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie nicht<br />
möglich sind, weil der Angekl. zu den Tatumständen schweigt und Beweismittel dafür<br />
entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen<br />
wären (SenE v. 19.07.2005 - 82 Ss 16/05 -; SenE v. 24.11.2006 - 83 Ss 80/06 -<br />
).
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 29<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Straßenverkehrsordnung (StVO)<br />
§ 3 StVO<br />
Beweiserhebung zur Geschwindigkeitsmessung<br />
SenE v. 02.06.2009 - 81 Ss-OWi 55/09 -<br />
Die Revision macht mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge zu Recht geltend,<br />
dass die tatrichterliche Feststellung der Geschwindigkeit des Betroffenen nicht<br />
ausschließbar auf einer rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags beruht. Die<br />
Entscheidung des Amtsgerichts, dem Beweisantrag der Verteidigung zum Nachweis der<br />
Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeitsmessung aufgrund einer Beeinflussung durch Doppelreflexion<br />
nicht nachzugehen, findet weder in § 244 Abs. 3 u. 4 <strong>StPO</strong> noch in § 77 Abs.<br />
2 OWiG eine rechtliche Grundlage. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass es die angestrebte<br />
Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit für nicht erforderlich erachten<br />
konnte.<br />
Wenn bei standardisierten Geschwindigkeitsmessverfahren für die Beweiswürdigung in<br />
der Regel die Angabe des Messverfahrens und des Toleranzwertes genügt (vgl. BGH<br />
NJW 1993, 3081 = VRS 86, 287; SenE VRS 86, 316 = NZV 1994, 78), muss der Betroffene<br />
zumindest hinreichend Gelegenheit erhalten, seine Bedenken gegen die Korrektheit<br />
der Geschwindigkeitsmessung, sofern sie nicht völlig abwegig sind, gerichtlich überprüfen<br />
zu lassen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 07.06.1994 - Ss 206/94 Z -; SenE<br />
v. 04.06.2002 - Ss 200/02 B -). Auch bei einem standardisierten Messverfahren drängt<br />
sich eine weitere Beweisaufnahme auf bzw. liegt diese nahe, wenn konkrete Anhaltspunkte<br />
für technische Fehlfunktionen des Messgeräts behauptet werden (OLG Hamm VM<br />
2007, 51 [Nr. 56]).<br />
In vorliegender Sache hat der Betroffene mit dem Beweisantrag auf Einholung eines<br />
Sachverständigengutachtens unter Bezugnahme auf Fachliteratur darauf verwiesen, dass<br />
die Messung mit dem Radarmessgerät „Traffipax speedophot“ durch die im Schrifttum<br />
beschriebenen Knickstrahlreflektionen verfälscht sein könne, weil sich „im Bereich der<br />
Messstelle metallische Gegenstände, insbesondere verschiedene andere Fahrzeuge sowie<br />
Garagentore und Fenster befinden“. Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht die<br />
Erforderlichkeit einer entsprechenden Beweiserhebung zur Sachverhaltsaufklärung und<br />
damit eine Aufklärungspflicht in dieser Hinsicht verneint hat, tragen seine Sichtweise<br />
nicht.<br />
So fehlt es bereits an einer nachvollziehbaren Grundlage für die Annahme, „das von der<br />
Verteidigung angeführte Garagentor … (sei) offenbar aus Holz“ und scheide daher als<br />
Reflektionsfläche aus. Das Messfoto zeigt lediglich eine dunkle Fläche, ohne sicheren<br />
Aufschluss über die Materialbeschaffenheit zu geben. Dass „große Betonflächen … sich<br />
nur bei geöffnetem Garagentor ergeben“ würden, erschließt sich ebenfalls nicht ohne<br />
weiteres. Soweit das Amtsgericht auf die im Messprotokoll erwähnten Überprüfungen<br />
hinsichtlich auftretender Knickstrahlreflektionen verweist, erscheint dies nicht geeignet,<br />
die mit dem Beweisantrag aufgezeigte Möglichkeit der Beeinflussung durch andere Fahrzeuge<br />
von vornherein auszuschließen. Insoweit weisen die Urteilsgründe nicht aus, dass<br />
der Tatrichter über eine ausreichende eigene Sachkunde verfügt hat, um beurteilen zu
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 30<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
können, ob die auf dem Messfoto erkennbaren (weiteren) Fahrzeuge sich außerhalb des<br />
wirksamen Strahlungsbereichs befanden.<br />
§ 23 StVO<br />
Benutzung eines Mobiltelefons; entladener Akku<br />
SenE v. 14.04.2009 - 83 Ss-OWi 32/09 -<br />
Nach § 23 Abs. 1 a StVO ist dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobiltelefons untersagt,<br />
wenn er hierfür das Mobiltelefon aufnimmt oder hält. Die Frage, was unter Benutzung<br />
zu verstehen ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung durch eine Vielzahl<br />
von Entscheidungen hinreichend geklärt (vgl. nur SenE v. 26.06.2008 – 81 Ss-OWi 49/08<br />
– mit zahlreichen Nachweisen = NJW 2008, 3368 = NZV 2008, 466). Danach unterfällt<br />
letztlich nur das Aufnehmen des Geräts, um es lediglich von einem Ablageort an einen<br />
anderen zu legen, nicht unter den Begriff der Benutzung (vgl. SenE a.a.O.; SenE v.<br />
23.08.2005 – 83 Ss-OWi 19/05 = NJW 2005, 3366 = DAR 2005, 695 = NZV 2005, 547 =<br />
ZfS 2005, 569 = VRS 109, 287; OLG Hamm NZV 2007, 483 = VRS 113, 75). Das bedeutet,<br />
dass es sich um ein Benutzen immer auch schon dann handelt, wenn das Mobiltelefon<br />
in der Hand gehalten wird, um ggf. einen Kommunikationsvorgang nur vorzubereiten<br />
(OLG Hamm a.a.O.). Nicht erforderlich ist, dass tatsächlich eine Telefonverbindung hergestellt<br />
wird (OLG Hamm a.a.O.). Es ist daher auch unerheblich, aus welchen Gründen<br />
die Telefonverbindung scheitert. Da bereits das bloße Aufnehmen und Halten des Geräts<br />
in der Absicht zu telefonieren die Gefahr der Ablenkung und Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit<br />
begründet, ist es für den Ordnungswidrigkeitentatbestand auch ohne Bedeutung,<br />
ob das Gespräch nicht zustand kommt, weil etwa der Angerufene nicht erreichbar<br />
oder das Handy – aus welchen Gründen auch immer– nicht betriebsbereit ist.<br />
Ein verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons liegt somit auch dann vor, wenn der<br />
Fahrzeugführer das Gerät aufnimmt, um dieses zum Telefonieren einzuschalten, das<br />
Einschalten aber am entladenen Akku scheitert.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 31<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Schwarzarbeitsgesetz (SchwarzArbG)<br />
§ 8 SchwarzArbG<br />
Urteilsfeststellungen; Garten- u. Landschaftsbau<br />
SenE v. 08.06.2009 - 81 Ss-OWi 48/09 -<br />
1.<br />
Die Urteilsgründe tragen eine Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlicher Verstöße<br />
gegen § 8 Abs. 1 Nr. 1e SchwarzArbG und § 8 Abs. 1 Nr. 2 SchwarzArbG nicht.<br />
Das Amtsgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:<br />
„Der Betroffene fertigte auf der Baustelle L. in 51545 Waldbröhl, um den<br />
17.07.2007 herum eine Bruchsteinmauer an. Diese wurde dem Auftraggeber<br />
mit 1.130,50 € in Rechnung gestellt.<br />
Des Weiteren ließ der Betroffene für Herrn L. den Aufbau eines Gartenhauses<br />
mit Klinkerarbeiten durch Herrn D. durchführen. Dies wurde Herrn L. vom Betroffenen<br />
mit 3.404,50 € in Rechnung gestellt.<br />
Der Betroffene ist nicht in die Handwerksrolle eingetragen. Er ist allerdings<br />
beim Gewerbeamt der Verbandsgemeindeverwaltung Altenkirchen für die<br />
Gewerbe „Bautenschutz, Montagebau, Trockenbau, Fliesenverlegung, und<br />
Garten- und Landschaftsbau" eingetragen. Herr D. ist ebenfalls nicht in die<br />
Handwerksrolle eingetragen.“<br />
Damit ist nicht belegt, dass der Betroffene die dem Schuldspruch zugrunde gelegten Bußgeldtatbestände<br />
erfüllt hat.<br />
a)<br />
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1e SchwarzArbG handelt ordnungswidrig, wer ein zulassungspflichtiges<br />
Handwerk als stehendes Gewerbe selbständig betreibt, ohne in die Handwerksrolle<br />
eingetragen zu sein (§ 1 HwO) und Dienst- oder Werkleistungen in erheblichem Umfang<br />
erbringt.<br />
(aa)<br />
Die Urteilsgründe geben zunächst schon keinen Aufschluss darüber, dass die von dem<br />
Betroffenen gefertigte Bruchsteinmauer nach Art und Ausführung über eine garten- oder<br />
landschaftsbauliche Maßnahme hinausgeht und dem (Kern-)Bereich des zulassungspflichtigen<br />
Maurer- und Betonbauer-Handwerks zuzurechnen ist. Konkrete Tatsachenfeststellungen<br />
dazu können nicht durch den Verweis auf eine Einschätzung der Handwerkskammer<br />
ersetzt werden. Soweit das Gericht selbst zu der Bewertung eines „nicht<br />
unerheblichen Ausmaßes“ gelangt, teilt es lediglich die Beweisgrundlage mit („ausweislich<br />
der Lichtbilder sowie des Kostenvoranschlages“); eine - für Lichtbilder mögliche - Bezugnahme<br />
gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 <strong>StPO</strong> liegt darin nicht.<br />
Es versteht sich auch nicht von selbst, dass die Errichtung einer Bruchsteinmauer - hier:<br />
„zur Begrenzung des Grundstücks“ - außerhalb des Tätigkeitsbereichs eines Garten- und
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 32<br />
Rechtsprechungsübersicht<br />
April 2009 - Juni 2009<br />
Landschaftsbauers liegt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die in Verordnungen<br />
über Berufsbilder und Prüfungsanforderungen in der Meisterprüfung veröffentlichten Berufsbilder<br />
für die Frage der fachlichen Zugehörigkeit einer Tätigkeit zu einem handwerksfähigen<br />
Gewerbe herangezogen werden können, da sie erläuternde Einzelheiten über<br />
das Arbeitsgebiet und die zu dessen Bewältigung benötigten fachlichen Fertigkeiten und<br />
Kenntnisse enthalten (BGH NVwZ-RR 1992, 180; BVerwG GewArch 1993, 329; SenE v.<br />
16.11.1999 - Ss 436-437/99 - = GewArch 2000, 73). Nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 d der Verordnung<br />
über die Berufsausbildung zum Gärtner (v. 06.03.1996; BGBl S. 376) gehört zum<br />
Gegenstand der Ausbildung in der Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau auch der<br />
Erwerb von Fertigkeiten und Kenntnissen in Bezug auf das „Herstellen von Bauwerken in<br />
Außenanlagen“. In der Anlage 3a, dem Ausbildungsplan, ist als Lerninhalt u.a. vorgesehen<br />
„Natursteine be- und verarbeiten sowie Betonfertigteile verwenden, insbesondere<br />
beim Bau von Mauern und Treppen“ (Abschnitt III 4. a).<br />
(bb)<br />
In rechtlicher Hinsicht geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass die ausgeführten<br />
Arbeiten zu den wesentlichen Tätigkeiten des betroffenen Handwerks gehören müssen,<br />
was wiederum voraussetzt, dass sie den Kernbereich gerade dieses Handwerks ausmachen<br />
und ihm sein essentielles Gepräge verleihen (BVerwGE 58, 217 [218 ff.]; OLG<br />
Hamm NStZ-RR 2003, 58; OLG Koblenz GewArch 1986, 139 [140] = wistra 1986, 231;<br />
SenE v. 22.11.2002 - Ss 484/02 B -; SenE v. 25.07.2006 - 82 Ss-OWi 39/06 -; SenE v.<br />
25.05.2007 - 82 Ss-OWi 56/07 -; Ambs, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze,<br />
§ 1 SchwArbG Rdnr. 14). Demgegenüber vermögen "Arbeitsvorgänge, die aus der Sicht<br />
eines vollhandwerklich arbeitenden Betriebes dieser Sparte als untergeordnet und damit<br />
vom Typ her gesehen als unbedeutend und unwesentlich erscheinen, die Annahme eines<br />
handwerksfähigen Betriebes nicht zu begründen" (BVerwG a.a.O.; BVerwG GewArch<br />
1984, 96 [97] und GewArch 1984, 98 [99]; OLG Koblenz a.a.O.; OLG Stuttgart GewArch<br />
1986, 141). Handelt es sich lediglich um einfache Werkleistungen, die nach kurzer Anlernzeit<br />
ohne Beherrschung von Fähigkeiten und Kenntnissen, wie sie in handwerklicher<br />
Schulung erworben werden, einwandfrei und gefahrlos ausgeführt werden können, so<br />
dass es an der Spitze des Betriebes keines für die selbständige Ausübung des betreffenden<br />
Handwerks qualifizierten Leiters bedarf, dann liegt lediglich ein sog. Minderhandwerk<br />
vor, das nicht den Vorschriften der Handwerksordnung unterliegt und keine vorherige<br />
Eintragung in die Handwerksrolle erfordert (BVerwG GewArch 1984, 96 [97] und GewArch<br />
1984, 98 [99]; BayObLG GewArch 1989, 167 [168] = NStE Nr 4 zu § 1 HandwO;<br />
OLG Koblenz a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 58; SenE v. 06.12.1994 - Ss 475/94 B -<br />
; SenE v. 22.11.2002 - Ss 484/02 B -; SenE v. 25.07.2006 - 82 Ss-OWi 39/06 -; Ambs<br />
a.a.O. § 1 HandwO Rdnr. 8; Honig, HandwO, § 1 Rdnr. 66 ff.).<br />
Dass diese Voraussetzungen in Bezug auf die hier fragliche Tätigkeit erfüllt sind, wird<br />
durch die Urteilsgründe nicht belegt.<br />
(cc)<br />
Die Errichtung der Bruchsteinmauer müsste zudem Teil einer gewerblichen Ausübung<br />
des zulassungspflichtigen Maurer- und Betonbauerhandwerks gewesen sein. Dies bedeutet,<br />
dass die Tätigkeit auf Gewinnerzielung gerichtet und auf eine bestimmte Dauer angelegt<br />
sein muss; das Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit muss den allgemeinen<br />
Vorstellungen von Handwerk und Gewerbe entsprechen (OLG Zweibrücken OLGSt<br />
SchwArbG § 1 Nr. 3 = GewArch 1987, 163; OLG Stuttgart NStZ 1987, 566 u. NJW 1987,<br />
2385 [2386]; Ambs a.a.O. § 1 HandwO Rdnr. 8). Die fraglichen Arbeiten müssen daher<br />
fortgesetzt ausgeführt werden oder es muss doch zumindest ein Fortsetzungswille vorlie-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 33<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
gen. Ein einmaliger Auftrag reicht daher nicht aus, selbst wenn sich seine Abwicklung<br />
über mehrere Tage hinzieht. Anders verhält es sich nur, wenn es sich um einen Großauftrag<br />
handelt, der allein eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Bedeutung<br />
erschließt (OLG Stuttgart a.a.O. m. w. Nachw.; SenE v. 21.03.2000 - Ss 116/00<br />
B -).<br />
Schließlich müssen im Rahmen der gewerblichen Ausübung des Handwerks Leistungen<br />
in erheblichem Umfang erbracht werden. Maßgeblich sind insbesondere Dauer, Häufigkeit,<br />
Regelmäßigkeit und Intensität der Leistungen sowie der Grad der für ihre Ausführung<br />
erforderlichen Ausbildung bzw. Vorbildung. Bei Werkleistungen ist in erster Linie auf<br />
den Umfang des erstellten Werks oder dessen Wert abzustellen (OLG Düsseldorf NStZ-<br />
RR 2000, 54; SenE v. 21.03.2000 - Ss 116/00 B -; SenE v. 22.10.2004 - 8 Ss-OWi 46/04<br />
-).<br />
Auch unter diesem Gesichtspunkt tragen die bislang getroffenen Feststellungen den<br />
Schuldspruch zu § 8 Abs. 1 Nr. 1e SchwarzArbG nicht.<br />
2.<br />
Soweit es den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SchwarzArbG<br />
durch den „Aufbau eines Gartenhauses mit Klinkerarbeiten“ durch Herrn D. betrifft, sind<br />
die Urteilsfeststellungen ebenfalls unvollständig. Es bleibt unklar, ob das Gartenhaus insgesamt<br />
in Massivbauweise errichtet worden ist oder Maurerarbeiten nur in Form der<br />
Verklinkerung angefallen sind, auf die dann lediglich ein Teil des Werklohns entfällt.<br />
3.<br />
Darüber hinaus weisen die Urteilsgründe in mehrfacher Hinsicht nicht aus, dass die getroffenen<br />
Feststellungen zum Schuldspruch auf einer rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung<br />
beruhen. Als deren Grundlage wird ein nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls<br />
in Augenschein genommenes Lichtbild, eine Rechnung sowie der „wesentliche<br />
Inhalt der Bußgeldakte“ bezeichnet, ohne die entsprechenden Inhalte mitzuteilen. Weiter<br />
heißt es, seitens des Betroffenen und seiner Verteidigerin sei „lediglich bestritten worden,<br />
dass die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben seien“. Ob in diesem Zusammenhang<br />
- im Rahmen einer Teileinlassung - konkrete Angaben zum Sachverhalt gemacht<br />
worden sind oder lediglich eine Rechtsauffassung geäußert worden ist, bleibt unklar. Der<br />
Umstand, dass in Bezug auf den Vorwurf der Beauftragung des D. eine Äußerung des<br />
Betroffenen „im Bußgeldverfahren“ herangezogen wird, deutet eher darauf hin, dass der<br />
Betroffene sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat.<br />
(aa)<br />
Damit fehlt es an einer nachvollziehbaren Beweisgrundlage für die Feststellung, dass der<br />
Betroffene selbst die Bruchsteinmauer errichtet hat. Einem Lichtbild wird das nicht zu entnehmen<br />
sein. Und auch die Erstellung einer Rechnung durch den Betroffenen besagt<br />
nicht, dass er die abgerechnete Leistung persönlich - und nicht etwa wie bei dem Gartenhaus<br />
durch einen Subunternehmer - erbracht hat.<br />
Entsprechend verhält es sich im Fall des Gartenhauses.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 34<br />
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Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung<br />
(BRAGO)<br />
§ 99 BRAGO<br />
keine Pauschvergütung zur Angleichung an RVG-Gebühren<br />
Berücksichtigung von Fahrtzeiten<br />
SenE v. 30.04.2009 - 1 ARs 35/09 -<br />
Der Senat hat nicht übersehen, dass die Pflichtverteidigerbestellung am 04.06.2004 erfolgt<br />
und das RVG am 01.07.2004 in Kraft getreten ist, dass der Antragsteller seine Beiordnung<br />
auch erst am 01.07.2004 oder später hätte beantragen können und von den 31<br />
Hauptverhandlungstagen, an denen er teilgenommen hat, 28 nach diesem Stichtag stattgefunden<br />
haben.<br />
Nach der hier maßgeblichen Übergangsvorschrift des § 61 Abs.1 S. 1 RVG ist indessen<br />
die BRAGO weiter anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt vor dem 01.07.2004 gerichtlich<br />
bestellt oder beigeordnet worden ist. Aufgrund dieser eindeutigen gesetzlichen Regelung<br />
können Änderungen des Gebührenrechts nicht auf dem Umweg über eine Pauschalvergütung<br />
berücksichtigt werden (OLG Frankfurt, Beschluss v.14.12.2005 - 2 ARs 154/05 - =<br />
BeckRS 2005 14488; SenE v. 18.11.2008 – 1 Ars 75/08; aA OLG Hamm, Beschluss v.<br />
27.08.2007 - 2 (s) Sbd. IX-121/07 - = BeckRS 2008 03320). Es gelten vielmehr die (bisherigen)<br />
Kriterien zu § 99 BRAGO weiter.<br />
…<br />
An (einzelnen) Hauptverhandlungstagen ist die in der Senatsentscheidung vom<br />
27.03.2009 angesprochene Dauer von sieben Stunden nur überschritten, wenn die Fahrzeiten<br />
des Antragstellers vom Sitz der Kanzlei … zum Gerichtsort … und zurück hinzugerechnet<br />
werden.<br />
Es kann aber schon zweifelhaft sein, ob die vom Pflichtverteidiger aufgewendeten Fahrtzeiten<br />
bei der Gewährung einer Pauschvergütung überhaupt als berücksichtigungsfähig<br />
anzusehen sind.<br />
Der BGH hat diese Frage mit Beschluss vom 20.03.2002 - 4 StR 225/00 - (BRAGOreport<br />
2003, 11 = BeckRS 2002 30248007) unter Hinweis auf § 28 BRAGO verneint, der<br />
eine Regelung für die Erstattung entstandener Fahrt- und Übernachtungskosten sowie<br />
die Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes enthält. Demgegenüber hat der 2.<br />
Strafsenat des OLG Köln in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, die<br />
Fahrtzeiten seien bei der Berechnung in Ansatz zu bringen (vgl. nur Beschluss v.<br />
06.12.2002 - 2 ARs 252/02 - = StV 2004, 92 [Leitsatz]).<br />
Ob an letzterer Auffassung weiter festgehalten werden kann, bedarf hier letztlich keiner<br />
Entscheidung.<br />
Denn auch wenn an den beiden Verhandlungstagen unter Einrechnung der Fahrtzeiten<br />
die „7-Stunden-Grenze“ überschritten ist, bleibt es im Ergebnis bei der Feststellung der<br />
angegriffenen Entscheidung, dass die Inanspruchnahme des Antragstellers durch die<br />
Hauptverhandlung eher unterdurchschnittlich war.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 35<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
Bei der Anwendung der „7-Stunden-Regelung“ kann die Gesamtdauer der Hauptverhandlung<br />
nicht außer Betracht bleiben. So erscheint es nicht angemessen, einem Pflichtverteidiger,<br />
der durch die Hauptverhandlung z. B. an einem Sitzungstag länger als 7<br />
Stunden, an 9 Sitzungstagen aber nie länger als 4 Stunden in Anspruch genommen<br />
worden ist, eine Pauschvergütung zu bewilligen, hingegen einem Verteidiger, der an 10<br />
Verhandlungstagen jeweils 6 Stunden 55 Minuten aufwenden musste, eine Pauschvergütung<br />
zu verweigern.<br />
Hier ist der Antragsteller – nach seiner Aufstellung in der Antragsschrift vom 15.12.2008 –<br />
an 7 Tagen nicht länger als 1 ½ Stunden, an weiteren 11 Hauptverhandlungstagen nicht<br />
länger als 3 Stunden und an weiteren 9 Tagen nicht länger als 4 ½ Stunden in Anspruch<br />
genommen worden.<br />
Danach wird die Belastung des Antragstellers an den beiden hier in Rede stehenden<br />
Hauptverhandlungstagen durch seine deutlich geringere Inanspruchnahme an anderen<br />
Sitzungstagen mehr als kompensiert.
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 36<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)<br />
§ 51 RVG<br />
Grundsätze<br />
SenE v. 19.05.2009 - 1 ARs 48/09 -<br />
§ 51 Abs. 1 S. 1 RVG sieht die Festsetzung einer Pauschgebühr in Strafsachen für den<br />
Fall vor, dass die gesetzlichen Gebühren des gerichtlich bestellten Rechtsanwalts wegen<br />
des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit „nicht zumutbar sind“. Damit<br />
soll der Ausnahmecharakter bei der Bewilligung einer Pausch-gebühr zum Ausdruck<br />
gebracht werden. Die Vorschrift soll verhindern, dass der bestellte oder beigeordnete Verteidiger<br />
im Verhältnis zu seiner Vergütung unzumutbar belastet wird (Hartmann a.a.O.<br />
RVG § 51 Rn. 37 m.N.), dass ihm ein grundrechtsverletzendes wirtschaftliches Sonderopfer<br />
abverlangt wird (vgl. BVerfG NJW 2007, 1445). Dass dabei im Ergebnis die Vergütung<br />
des beigeordneten Anwalts gleichwohl deutlich unter der eines Wahlverteidigers liegt<br />
bzw. liegen kann, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG NJW 2007,<br />
3420).<br />
Da wesentliche Gesichtspunkte, die bisher Anlass zur Gewährung einer Pauschgebühr<br />
gegeben haben, bereits bei der Bemessung der gesetzlichen Gebühr berücksichtigt werden<br />
(z.B. Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und an Haftprüfungsterminen,<br />
besonders lange Dauer der Hauptverhandlung), ist der praktische Anwendungsbereich<br />
der Vorschrift gegenüber dem bisherigen Recht eingeschränkt.<br />
Berücksichtigungsfähige Umstände, die eine Honorierung der Tätigkeit der Antragstellerin<br />
im Rahmen der gesetzlichen Gebühren als unzumutbar erscheinen lassen könnten, liegen<br />
hier nicht vor.<br />
Nach der Stellungnahme des Strafkammervorsitzenden hat die Strafsache für die Tätigkeit<br />
des Vertreters der Nebenklägerin keine besonderen Schwierigkeiten geboten.<br />
Auch die mit der Antragsschrift geltend gemachten Gesichtspunkte rechtfertigen nicht die<br />
Annahme, die Sache sei für die Antragstellerin mit besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher<br />
und/oder rechtlicher Hinsicht verbunden gewesen. Dass es sich vorliegend<br />
„um einen besonders schweren Fall von sexuellem Missbrauch eines Kindes“ gehandelt<br />
hat, begründet ohne nähere Darlegung, inwiefern sich dieser Umstand konkret auf die<br />
Mühewaltung der Nebenklägervertreterin ausgewirkt hat, keine Pauschvergütung. Zu den<br />
angeführten vielen Besprechungen und Telefonaten trägt die Antragstellerin weder deren<br />
genaue Zahl noch deren Dauer vor. Damit entzieht sich der behauptete Aufwand aber<br />
einer näheren Überprüfung.<br />
§ 51 RVG<br />
JVA-Besuche; Beanspruchung durch Angehörige; Verständigungsschwierigkeiten;<br />
mehrere Verteidiger<br />
SenE v. 05.05.2009 - 1 ARs 49/09 -
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 37<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
Nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt<br />
auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses<br />
bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der<br />
besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Da wesentliche Gesichtspunkte, die noch<br />
unter Geltung der BRAGO Anlass zur Gewährung einer Pauschgebühr gegeben haben,<br />
nunmehr bereits bei der Bemessung der gesetzlichen Gebühr nach dem RVG berücksichtigt<br />
werden (z.B. Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und an Haftprüfungsterminen,<br />
besonders lange Dauer der Hauptverhandlung), ist der praktische Anwendungsbereich<br />
der Vorschrift eingeschränkt (vgl. OLG Köln 2. StrafS B. v. 03.05.2005<br />
- 2 ARs 87/05 -; B. v. 06.01.2006 - 2 ARs 231/05 -).<br />
Berücksichtigungsfähige Umstände, die eine Honorierung der Antragstellerin im Rahmen<br />
der gesetzlichen Gebühren als unzumutbar erscheinen lassen, liegen hier aus den Gründen<br />
der Antragsschrift insoweit vor, als die Antragstellerin den Angeklagten insgesamt<br />
fünfmal in der Justizvollzugsanstalt aufsuchte. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang<br />
allerdings, dass nach der Rechtsprechung des Senats bis zu drei JVA-Besuche<br />
durch die gesetzlichen Gebühren abgegolten sind (vgl. z.B. SenE v. 21.04.2009 – 1 ARs<br />
38/09). Die geltend gemachten Verständigungsschwierigkeiten mit dem der Volksgruppe<br />
der Roma angehörenden Angeklagten hatten gleichfalls Berücksichtigung zu finden.<br />
Eine weitere Erhöhung der Pauschgebühr war indessen unter Berücksichtigung der Senatsrechtsprechung<br />
in vergleichbaren Fällen nicht angezeigt. Soweit die Antragstellerin<br />
geltend macht, von der Familie des Angeklagten über Gebühr beansprucht worden zu<br />
sein, vermag dies eine Erhöhung nicht zu rechtfertigen. Es trifft zwar zu, dass die schwierige<br />
Persönlichkeit eines Angeklagten bei der Bemessung der Pauschgebühr Berücksichtigung<br />
finden kann, auf dessen Familie trifft das indessen nicht zu: Mit dem Angeklagten<br />
muss der Pflichtverteidiger notwendig Umgang haben. Er muss aber auch Mittel und Wege<br />
finden, die Familie des Angeklagten in ihre Schranken zu weisen oder dieser auszuweichen,<br />
wenn sie ihn in seiner beruflichen Tätigkeit über Gebühr beeinträchtigt. Jedenfalls<br />
kann es nicht Aufgabe der Pauschvergütung sein, entsprechende Schwierigkeiten<br />
des Pflichtverteidigers auszugleichen.<br />
Der Umstand, dass die Verteidigerin die Besprechungen mit dem Mandanten teilweise in<br />
französischer Sprache geführt hat, so dass ein Dolmetscher insoweit entbehrlich war,<br />
rechtfertigt gleichfalls keine weitere Erhöhung der Pauschgebühr. Allein der Umstand,<br />
dass die Sprachkenntnisse eines Pflichtverteidigers die Hinzuziehung eines Dolmetschers<br />
für die Gespräche mit dem Angeklagten entbehrlich gemacht haben und entsprechende<br />
Kosten erspart worden sind, ist kein taugliches Kriterium für die Bewilligung einer Pauschvergütung<br />
(OLG Celle NStZ 2007, 342; SenE v. 23.05.2008 – 1 ARs 26/08 -; SenE v.<br />
10.10.2008 – 1 ARs 65/08 -; SenE v. 05.12.2008 – 1 ARs 83/08; SenE v. 25.02.2009 – 1<br />
ARs 18/09). Sinn und Zweck der Pauschvergütung ist es zu verhindern, dass der beigeordnete<br />
Verteidiger im Verhältnis zu seiner Vergütung unzumutbar belastet wird, weil die<br />
maßgebliche Gebühr augenfällig unzureichend oder unbillig ist; entscheidend ist danach<br />
der zeitliche Mehraufwand des Verteidigers, nicht aber der Gesichtspunkt der der Landeskasse<br />
möglicherweise ersparten Kosten (OLG Celle a.a.O.; aA hinsichtlich des Umstandes<br />
der Kostenersparnis z.B.: 2. Strafsenat OLG Köln, Beschluss v. 17.03.2006 – 2<br />
ARs 34/06 - = NStZ-RR 2006, 192 (Leitsatz) = StraFo 2006, 258, der allerdings auch darauf<br />
abstellt, dass sich durch die Dolmetschertätigkeit des Verteidigers der Aufwand für ihn<br />
gegenüber einem Fall, in dem die Verständigung in deutscher Sprache erfolgen kann,<br />
erhöht). Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Bespre-
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 38<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
chungen in französischer Sprache mit einem erheblichen zeitlichen Mehraufwand für die<br />
Antragstellerin verbunden waren.<br />
Sofern die Antragstellerin an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung und zwar am<br />
25.04.2008 (Verkündung des Haftbefehls), 03.06.2008 (Haftprüfungstermin) und<br />
06.08.2008 (Erörterungsgespräch mit der Kammer ) persönlich anwesend war, hat sie 2 x<br />
eine Terminsgebühr mit Zuschlag nach VV/RVG 4103 i. H. v. 137,- € liquidiert und auch<br />
festgesetzt bekommen. Diese Gebühr darf im vorbereitenden Verfahren und in jedem<br />
Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur einmal angesetzt werden.<br />
Der Umstand, dass neben der Antragstellerin Rechtsanwalt W. Verteidiger des Angeklagten<br />
war, führt hingegen im vorliegenden Falle nicht zu einer Ermäßigung der Pauschgebühr.<br />
Zwar kann der Umstand, dass ein Angeklagter von mehreren Verteidigern vertreten<br />
wird dazu führen, dass die Last der Verteidigung sich für jeden einzelnen mit der Folge<br />
verringert, dass die Pauschgebühr gleichfalls geringer zu bemessen ist (so Hartmann,<br />
Kostengesetze, 27. Auflage 2007, § 51 RVG Rz. 11 a.E.; Burhoff, RVG, 2. Auflage 2007,<br />
§ 51 Rz. 108;) Das wird jedoch vornehmlich Großverfahren mit zahlreichen Hauptverhandlungstagen<br />
betreffen, in welchen dann nicht jeder Verteidiger jeden Termin wahrnehmen<br />
muss. Die hierzu veröffentlichte – zur Vorschrift des § 99 BRAGO ergangene –<br />
Rechtsprechung betrifft denn auch vornehmlich Verfahren, in denen sich eine solche<br />
Möglichkeit bot und von ihr auch Gebrauch gemacht worden ist (OLG Hamm, StraFo<br />
1998, 431 = JurBüro 1999, 134; OLG Dresden, NStZ-RR 1998, 320 = StV 1998, 619;<br />
OLG Hamburg, StV 1991, 354 = JurBüro 1990, 354). Im vorliegenden Verfahren hat indessen<br />
nur ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden, in welchem die Antragstellerin<br />
zwar nicht plädiert, aber eine – wenn auch kurze – schriftliche Einlassung für den Angeklagten<br />
gefertigt hat. Die Einarbeitung in den Prozessstoff musste sie ohnehin leisten<br />
(vgl. OLG Hamm, StV 1998, 618 = AnwBl 1998, 612), so dass von einer nennenswerten<br />
Zeitersparnis durch den zweiten Verteidiger nicht ausgegangen werden kann. Ohne dass<br />
es für die vorliegende Entscheidung hierauf ankäme ist schließlich der von der Antragstellerin<br />
geltend gemachte Gesichtspunkt nicht von der Hand zu weisen, dass eine etwa eintretende<br />
Zeit- und Arbeitsersparnis durch die Notwendigkeit der Kommunikation mit dem<br />
Co-Verteidiger jedenfalls teilweise wieder aufgezehrt werden kann.<br />
§ 51 RVG<br />
Vorschuss<br />
SenE v. 16.06.2009 - 1 ARs 62/09 -<br />
Gem. § 51 Abs. 1 S. 5 RVG ist dem Rechtsanwalt ein angemessener Vorschuss zu bewilligen,<br />
wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens und der Höhe der<br />
zu erwartenden Pauschgebühr nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der<br />
Pauschgebühr abzuwarten.<br />
Danach kommt ein Vorschuss zunächst nur in Betracht, wenn im Rahmen einer Gesamtschau<br />
die Bewilligung der Pauschgebühr mit Sicherheit zu erwarten ist (vgl. KG Beschluss<br />
vom 16.08.2005 – 4 ARs 26 – 27/05 – bei juris; BVerfG NJW 2005, 3699; Hartmann,<br />
Kostengesetze, 37. Aufl., RVG, § 51 Rndr. 37). Die weitere Voraussetzung, dass<br />
es für den Verteidiger unzumutbar ist, die Festsetzung der endgültigen Pauschgebühr
Oberlandesgericht, 1. Strafsenat Seite 39<br />
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April 2009 - Juni 2009<br />
abzuwarten, ist von ihm – im Hinblick auf die Angemessenheit gegebenenfalls unter Bezifferung<br />
seiner Einnahmen und Ausgaben (vgl. BVerfG NJW 2007, 1445) - darzulegen.<br />
In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, dass der Pflichtverteidiger unter<br />
den Voraussetzungen des § 47 RVG einen Vorschuss auf seine gesetzlichen Gebühren<br />
hat, der die Unzumutbarkeit entfallen lassen kann (vgl. Burhoff, RVG – Straf- und Bußgeldsachen,<br />
§ 51 RVG Rdnr. 60; BVerfG NJW 2005, 3699).<br />
Gemessen an diesen Maßstäben kommt die Bewilligung eines Vorschusses vorliegend<br />
nicht in Betracht.<br />
Zwar bestehen bei überschlägiger Prüfung der dem Senat vorgelegten Unterlagen tatsächliche<br />
Anhaltspunkte dafür, dass dem Pflichtverteidiger nach Abschluss des Verfahrens<br />
auf entsprechenden Antrag gem. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG eine Pauschvergütung zu<br />
bewilligen sein würde. Deren Höhe kann angesichts des dürftigen Antragsvorbingens und<br />
des Umstandes, dass die Verfahrensakten nicht zur Verfügung stehen, im jetzigen Verfahrensstadium<br />
freilich nicht – auch nicht ansatzweise - bestimmt werden.