Die anderen sind nichts weiter als ... - Rahm, Alexander
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<strong>Alexander</strong> <strong>Rahm</strong><br />
Abyssos<br />
Ein Abgrund.<br />
∉
<strong>Alexander</strong> <strong>Rahm</strong><br />
Abyssos<br />
Ein Abgrund.<br />
Hinweis:<br />
Ausdrücklich weise ich darauf hin, dass<br />
Abyssos ein Roman ist und <strong>als</strong> solcher<br />
auch verstanden werden soll. Es ist<br />
nicht meine Gesinnung, die ich wiedergebe.<br />
Auch möchte ich niemanden ermuntern,<br />
eine solche Gesinnung zu entwickeln! Erschreckt<br />
vor dem Abgrund und versteht es<br />
<strong>als</strong> Warnung. Denkt nach!<br />
2
Gib deinen Sohn her und lass ihn uns essen!<br />
2. Könige 6, 28<br />
1. Werde ich eingegliedert werden? Oder werden<br />
meine Glieder eingemacht werden? Zu Nasenmarmelade<br />
beispielsweise. Mit viel Zucker. Ich möchte<br />
es ja gar nicht wissen. Wer möchte auch schon alles<br />
wissen? Zwischen den Ritzen zu sitzen und zu<br />
schwitzen, mag genügen. Das sagte mir schon Jürgen.<br />
Ein Protestschrei macht sich bemerkbar. Ich<br />
sitze auf der Eckbank mit einem Glas. Gott sei<br />
Dank. Ist der Sprung in die Schüssel notwendig?<br />
Ich denke mir immer, die ist kaputt. Wenn ich in sie<br />
hineinspringe. Sie ist ja auch kleiner <strong>als</strong> ich. Eigentlich<br />
nur geeignet, Erdbeeren zu beherbergen. Ich erinnere<br />
mich noch sehr genau an meine letzte Bindehautentzündung.<br />
Man sollte ganz einfach nicht mit<br />
dem Fahrrad fahren. Man wird einfach nicht beachtet,<br />
wenn man das tut. Oder man wird eingezuckert,<br />
bis man zuckerkrank wird. Ich dachte schon einmal<br />
darüber nach. Aber das war gestern. Heute sieht alles<br />
ganz anders aus. Es wurde ja auch viel griechischer<br />
Wein getrunken. Mit Ouzo. Irgendwie ist das<br />
mit den Unterhosen so eine Sache. Sind sie grau,<br />
dann <strong>sind</strong> sie nicht weiß, und <strong>sind</strong> sie weiß, dann<br />
<strong>sind</strong> sie nicht schwarz. Da kommt man einfach<br />
nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Es wird<br />
3
wirklich alles verrissen. Ich glaube, Alex Harvey<br />
kann davon ein Lied singen. Aber lassen wir das.<br />
Wir wollen an morgen denken. Da denke ich beispielsweise<br />
an Buddha: Wenn man ihn kocht, dann<br />
kommt dabei Allah heraus. Bitte fragt mich jetzt<br />
nicht, warum. Ich weiß es genauso wenig wie ihr.<br />
Es ist ja auch nicht meine Aufgabe, alles zu erklären.<br />
Wo kämen wir denn da hin? Wohl noch zum<br />
Mond. Aber da wollen wir ja gar nicht hin. Also<br />
lassen wir das. Lassen wir das gründlich auf sich<br />
selbst beruhen. Denkt lieber an den Fleischwolf. Er<br />
isst Fleisch den ganzen Tag und bereut es nicht.<br />
Auch bewundere ich die Tiefpassfilter. Ich wäre<br />
gerne so ein Kondensator in einem Tiefpassfilter.<br />
Ich würde meine Arbeit gewissenhaft erfüllen. Das<br />
könnt ihr mir glauben. Nun möchte ich euch aber<br />
ein Lied über die Kirchweihgänger singen. Sie essen<br />
Zuckerwatte den ganzen Tag lang, <strong>als</strong> ob es<br />
kein Bier auf der Kirchweih zu trinken gäbe. Aber<br />
ich glaube, das machen sie mit Fleiß, um mich zu<br />
ärgern. Ich habe sie schon genauer beobachtet seit<br />
geraumer Zeit. Sie tun immer dasselbe. Mag sein,<br />
dass sie von Seeleuten angeheuert wurden. Jedenfalls<br />
habe ich meine Denkpflicht erfüllt. Nun mag<br />
ich mich niederlegen und den Schwalben bei ihrem<br />
Flug zuschauen, während ihr euch in Braunbier suhlen<br />
müsst. Ich hätte das Zeug zum Rennfahrer. Immerhin<br />
kann ich nicht. Was? Stahlbäume erkenne<br />
4
ich auch sofort. Sie wachsen unversehens in kleinen<br />
Dörfern und erheben ihr mächtiges Geweih bis zum<br />
Leichtteufel im Niederhimmel. <strong>Die</strong>se Teufelsbrut<br />
hat Zahnkrebs. Zuviel Leichtmetalle gegessen. Hätten<br />
sie sich doch lieber von Quecksilber ernährt<br />
oder von Blei so wie es alle Landshuter Musiker zu<br />
tun pflegen. Über den Pegel möchte ich zum<br />
Schluss auch noch etwas sagen. Das ist ja heute so<br />
üblich. Drei Liter Blut. Das kann niemand anhalten.<br />
Das soll mir mal einer nachmachen. Kleiner Tipp:<br />
Denkt mal an die Eingliederung. Alles klar? Nichts.<br />
2. Es gibt keine <strong>anderen</strong> Menschen, an die ich denke.<br />
Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich der<br />
einzige Mensch bin, den es überhaupt gibt. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong><br />
<strong>sind</strong> <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Computerprogramme,<br />
die von irgendjemand geschrieben worden <strong>sind</strong>.<br />
Vielleicht habe ich heute etwas getan. Nun gibt es<br />
auch grüne Äpfel in der Schale. Ich möchte mal<br />
wissen, wie sich so ein Schizophrener fühlt. Ich<br />
kann das gar nicht wissen, weil ich so zerspalten<br />
bin, dass ich gar nicht weiß, ob es mich überhaupt<br />
gibt. Parkinson ist schon eine reichlich überflüssige<br />
Krankheit. Meine Finger <strong>sind</strong> unbrauchbar. Am<br />
schlimmsten ist natürlich Narkolepsie. Manchmal<br />
frage ich mich, ob ich krank bin. Ich habe schon<br />
diesen säuerlichen Geschmack in meinem Mund,<br />
und der Zahnarzt wartet auch schon auf mich. Wo<br />
5
soll das bloß enden, ich weiß es nicht. Hauptsache<br />
ich bin irgendwann mal tot. Der Hund scharrt mit<br />
seinen scharfen Krallen, er macht wohl bestimmt<br />
den Boden kaputt. Der Postbote beziehungsweise<br />
die Postbotin hatte mir gestern ein Buch überreicht.<br />
Nun wird mir klar, dass ich krank bin. Meine Krallen<br />
<strong>sind</strong> auch nicht mehr so scharf. Ich meine, wie<br />
kann man bloß seine Zeit vertrödeln, wie ich es gerade<br />
tue? Immer noch habe ich diesen sauren Geschmack<br />
im Mund. Er macht mir meine Zähne kaputt.<br />
Und der Hund scharrt wohl an der Tür ganz<br />
vehement herum. So ein dummer Köter! Der wird<br />
bestimmt noch die Wohnung vollbrunsen. Aber es<br />
ist sein gutes Recht. Hätte man ihn eben nicht eingesperrt.<br />
Der Hund läuft Amok. Er wird heute noch<br />
irgendetwas ganz Schlimmes tun. Wahnsinn,<br />
Wahnsinn, Wahnsinn! Glassplitterromantik, Rotzfahnen<br />
und Hühnerblut – so soll der hundsföttische<br />
Weiterleser durch die Buchstabenschluchten gejagt<br />
werden bis zum Tode. Neulich saß ich mal im Zoo<br />
und bewunderte die tierische Grausamkeit der Tiere,<br />
wie sie beispielsweise einfach wieder ihr Gewöll<br />
fraßen. Was soll ich dazu sagen? Man kann auch eigenwillig<br />
in Basketballspiele eingreifen mit einer<br />
Schrotflinte, indem man ein, zwei Spieler tot<br />
schießt. Man vergisst schneller. Gießkanneneffekt<br />
in grün, immer wieder bezaubernd, wie Hunden das<br />
Genick gebrochen wird. Es ist so still im Haus. Gar-<br />
6
tenzwergromantik, blaue Augen, die hilflos im Gegenüber<br />
herumstochern, <strong>als</strong> ob es da etwas zu finden<br />
gäbe. Ich habe noch alle erledigt. Um auf die<br />
Rotzfahnen zurückzukommen: Nichts ist männlicher<br />
<strong>als</strong> ein ehrlicher Männerhanddruck mit verschmierten<br />
Männerhänden. Trotzdem oder vielmehr<br />
auch <strong>nichts</strong>destotrotz und überhaupt: Seeadler. <strong>Die</strong><br />
Gartenzwergromantik ist <strong>nichts</strong> für Weichlufteier.<br />
Nun mal halblang oder über kurz oder lang verwest<br />
doch auch des Esels Zwerchfell. Melanie mag auch<br />
nicht mehr, nachdem man ihr eine Sechs verpasst<br />
hatte mitten ins Gesicht. Quarkkuchen hingen ihr an<br />
der Brust, so zwei Stück. Ich genüge nicht dem Ansehen<br />
der Leute, vor allem wegen des gestrigen<br />
Zwischenfalls. Da war ich auf dem Klo. Und die<br />
Erdbeeren verfaulten. Manche Leute aßen Kaulquappen.<br />
Bedingterweise bin ich nicht in der Lage<br />
über Frauen nachzudenken. Mir gab der Teufel<br />
einen Wink mit seinem gezackten Heuschober und<br />
hat mir geraten, ich solle doch lieber Bauer werden,<br />
denn das sei wenigstens ein ehrlicher Beruf. Darauf<br />
ließ ich mich nicht ein und hielt einen langen Disput<br />
mit einer Schwertkämpferin, die über ein<br />
Schlachtfeld lief. So viel dazu. Heute hatte ich trockene<br />
Würste in meiner Kloschüssel. Und es gibt<br />
schon große Brillen, kann ich sagen. <strong>Die</strong> machen<br />
mich fast zu Jean–Paul Sartre, von dem ich noch nie<br />
ein Werk gelesen habe und es auch nie tun werde.<br />
7
Manchmal ist es schon peinlich, gelehrte Namen<br />
einzuflechten wie andere Strohkränze flechten. Gerne<br />
gesehen <strong>sind</strong> Flechten, wenn es Schuppenflechten<br />
<strong>sind</strong>, nicht. Ich erinnere mich da an eine reizende<br />
junge Dame, die schon einen großen Reiz an ihrem<br />
Kopf hatte. Aber sie beteuerte, nachdem sie<br />
selbst darauf gekommen ist, dass sie Flechten hat,<br />
dass es nicht juckt. Ich sah Moos. Rot. Das ist<br />
schon robustes Gemüse, was da so aus dem Boden<br />
wächst. Da möchte man nach Herzenslust in den<br />
Boden hineinbeißen nur um des Mooses willen.<br />
Gerne laufen und Augen auf! Heute kommt der<br />
Weihnachtsmann und bedient alle junge Mädchen,<br />
die kleiner <strong>sind</strong> <strong>als</strong> ein paar übereinander gestellte<br />
Pantoffeln. Wohl dem, der Kartoffeln hat. Reibungsflächenverlust,<br />
Schwamm drüber, <strong>sind</strong> wir<br />
nicht so, heute nicht und morgen nicht. Und Gott<br />
kommt ganz gewiss an jedem neuen Tag. Warum<br />
man auch gleich an seine zerfetzten Füße denken<br />
darf, die in Fetzen herumliegen und einfach vergessen<br />
worden <strong>sind</strong> von Haarpriestern und Leichenfledderern.<br />
Schwamm drüber, wenn die Schwaben<br />
nicht so <strong>sind</strong>, wie man es sich gedacht hat. Überraschungen<br />
bestimmen das Leben. Ich könnte verzweifeln.<br />
Mir läuft das Auge aus und ich wüsste<br />
nicht, wie ich das einordnen sollte. Ich bin nun<br />
wirklich kein Ordnungsfanatiker, aber das musste<br />
schon gesagt werden. Ich bin im templum Dei. So<br />
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soll es auch sein. Bittersüß, Hundekoch, Wahnsinnsfuß.<br />
Ich mag meinen Körperdreck um mich<br />
herumliegen. Das verschafft mir Respekt.<br />
3. Gestern wurde sie noch gelobt, die Alte, und heute<br />
wird sie in den Dreck gezogen, wie noch nie eine<br />
in den Dreck gezogen wurde. Das mag nicht angehen.<br />
Es gibt doch auch Gras und Getreide und Hülsenfrüchte<br />
und Hülsenfrüchteesser. Zebrafinken,<br />
Prachtschinken, Finkenmuskel beziehungsweise<br />
Minuskel. Er ließ seine Minuskeln spielen und da<br />
waren sie schon beeindruckt, und wenn er nicht gerade<br />
diese Majuskelbeutelentzündung hätte, dann<br />
wäre alles gut. Sag du mir, was du in deinem Herzbeutel<br />
hast und ich sage dir, was ich in meinem<br />
Geldbeutel habe. Dann können wir tauschen. Ich<br />
Geld, du Türke. Blase, Schweinsblase, Pressack<br />
weiß und rot und Weißgelegter, Saumagen und Federweißer.<br />
Roter Sauser flieg mir in die Sonne und<br />
kehr nie wieder. Und der Zorn Gottes fuhr in seine<br />
Glieder ad infinitum und ad absurdum. Neuerdings<br />
in Mode gekommen <strong>sind</strong> Damenhandtaschen, die<br />
aus Herzbeuteln zusammengenäht wurden. Man<br />
kann diese Damenhandtasche auch <strong>als</strong> eine Herzbeutelhandtasche<br />
bezeichnen. Sie wird aus den<br />
Herzbeuteln von epheben und zugleich weiblichen<br />
Menschen hergestellt. <strong>Die</strong> Herzen allerdings von<br />
solchen epheben Weibsbildern werden wegge-<br />
9
schmissen in Containern. Manch einer wird bestimmt<br />
in so einen Herzcontainer onaniert haben,<br />
manch verwegener junger Mann, weil er an die vielen<br />
jungen Herzen dachte, die er erobert hatte. Es<br />
soll auch schon mal einen Menschen gegeben haben,<br />
der seiner Geliebten stracks das Herz aus der<br />
Brust geschnitten und seinen Schwanz in ihre Aorta<br />
versenkt hatte. Und im Nachhinein war sein<br />
Schwanz ganz rot von ihrem Herzblut und ihr Herz<br />
ganz voll von seinem Sperma, das rücksichtslos<br />
durch die Segelklappen in die linke Herzkammer<br />
hineingewichst wurde. Aber genug davon. Wollen<br />
wir es dabei bewenden lassen und beruhen zugleich<br />
gewissermaßen und sozusagen, denn nun kommen<br />
wir zu ganz neuen Erscheinungen, wie man sie sehen<br />
kann neuerdings und in der letzten Zeit und vor<br />
allen Dingen natürlich ganz allgemein: Es ist die<br />
Rede von hundsföttischen Menschen, die aus dem<br />
Hinterhalt erschossen werden, <strong>als</strong> ob sie sich in Jugoslawien<br />
befinden würden, wo so etwas ganz gewiss<br />
an der Tagesordnung war. Man mag zum<br />
Frühstück keine Eier essen. Schilderhafte Weisheit<br />
duldete die magersüchtige Miriam, der man das<br />
Herz herausgerissen hatte, nicht. Wo wir dann auch<br />
gleich beim Zwerchfell wären. Gartenzwergordnung.<br />
Nun wird eben das Zwerchfell eröffnet mit<br />
einem spitzen Gegenstand und das Herz einfach<br />
heraus genommen. Oder vielmehr herausgerissen.<br />
10
Da wird man schon merken, wie zäh diese ganzen<br />
Adern <strong>sind</strong> ganz gleich ob nun Arterie oder Vene,<br />
wobei die Arterien sich natürlich viel besser behaupten<br />
können. Aber das <strong>sind</strong> Spitzfindigkeiten.<br />
Der Gevatter Tod verzichtet darauf auch so wie die<br />
eben schon erwähnten Gartenzwerge. Torsten.<br />
Schmierhände, Marmeladenbrot und Männerschweiß.<br />
Im Sommer bei der größten Hitze, <strong>als</strong> ich<br />
sah die Wiese blühn. Nun wollen wir ein zweites<br />
Bier trinken. Und die ermatteten Finger wie<br />
Schmetterlinge essen. Gartenzwergkomik, Donald<br />
Duck und Fassbinder. Hieroglyphen laufen wie Tränen<br />
in Sturzbächen sehr nervös die Wände hinab.<br />
Pappenheimer kennt man, sturzum, Hans ist tot,<br />
gestern mitunter sah ich nicht so aus, wie ich heute<br />
aussehe, wenn ich mich morgen nicht im Spiegel<br />
betrachten muss. Der Zwang zum Zeigen und zum<br />
Bekennen: Wir wollen darüber und über <strong>nichts</strong> anderes<br />
nachdenken. Ich schlage mir in die Faust und<br />
zerstöre mein ganzes Werk beiläufig, indem ich beiläufig<br />
erwähne, dass das niemand lesen will und<br />
wird. Und tausend Seiten sollen es werden. Größenwahn,<br />
jawohl! Auch Hitler hat von einem Tausendjährigen<br />
Reich geträumt, und was ist daraus geworden?<br />
Nun <strong>sind</strong> es – ich sag’s zum Überfluss und –<br />
druss, gerade mal sechs Seiten. Das heißt, dass noch<br />
neunhundertundvierundneunzig Seiten folgen müssen.<br />
Punkt um. Bochum. Schmetterlinge im Bauch.<br />
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Und wenn’s nur Nachtfalter <strong>sind</strong>. Mit viel Wasser<br />
kann man alles in den Magen hineinzwingen:<br />
Nachtfalter, Ratten, Vögel, ganze Katzen und gar<br />
ausgewachsene Hunde. Zirndorfer Bier, Krug–<br />
Bräu, Hauff, Spalter. Dein Herz ist klein, aber eben<br />
auch zäh, genauso wie dein Magen. Panierter Magen,<br />
eine Delikatesse. Serviert von Lakaien, meinen<br />
Lakaien. Ich habe <strong>Die</strong>ner die Fülle. Quelle des Lebens,<br />
Halleluja. Gestern aß Miriam Esskastanien in<br />
Spanien und der Torsten übersprang den Kasten in<br />
Sport nicht, weswegen auch der Sportlehrer nicht<br />
erfreut war. Man stelle sich vor, wie dieser Torsten<br />
mit voller Wucht gegen den Kasten lief und mit<br />
Hilfe dieses Kastens zwei Mitschüler beerdigte, die<br />
ihm eigentlich nur Hilfestellung leisten wollten.<br />
Aber so ist er eben, der Torsten. Bei den schulischen<br />
Sommerspielen begab es sich, dass er einem<br />
Mitschüler mit einer Eisenkugel den Kopf zertrümmerte.<br />
Da hat er sich in der Richtung vertan, der<br />
Torsten beim Kugelstoßen. Ich meine, das Gehirn<br />
des Mitschülers war für alle sichtbar. Gartenzwergakrobatik.<br />
Kombinat Dresden. Waschzwerge,<br />
Wurstzwerge und Riesenzwerge. Sperrfeuer für<br />
Udo. Udo kam in Kontakt mit Maschinenkanonenmunition.<br />
Mit Maschinenkanononononen. Kartenhaus,<br />
Kartenspiel, Rindskopf. Sie spielten ein paar<br />
Rindskopfrunden und aßen Schafsrolladen dazu.<br />
Mit Speck und Knödeln und Zwiebeln und Sellerie.<br />
12
Fischsgemütlichkeit im Bett, nass überall und alles<br />
und Gesichtsblindigkeit bis zum Überdruss. Neulich,<br />
ja neulich und morgen und heute mit den Sorgen<br />
von morgen. Wohl dem, der in die Heilsökonomie<br />
Gottes eingebunden ist, denn er wird den Tod<br />
nicht sehen. Denn wo der Tod ist, da wird er nicht<br />
sein. Epikur wieder mal aus dem Grab gezerrt und<br />
ziemlich verzerrt dargestellt. Sie fingerte zwischen<br />
ihren Brüsten herum. Das haben anscheinend Frauen<br />
so an sich, wenn sie ein Sommerkleid angezogen<br />
haben. Das war nun doch anstrengend.<br />
4. Nun möchte ich eine Geschichte über den Tibor<br />
erzählen. Er besitzt Java. <strong>Die</strong>se Insel gehört ihm. Er<br />
hat sie an der Wallstreet ersteigert, obwohl das gar<br />
nicht möglich ist. Soweit der Traum. Nun zu den<br />
Tatsachen: Noch immer kann ich Körperteile von<br />
mir abschaben. Ich rede von meiner Haut, die ich<br />
mit Schweiß und Dreck kombiniert zu Popel formen<br />
und dann fortschnalzen kann. In alle Himmelsrichtungen.<br />
Der Guru baut Gurken an. Der Uhu jagt<br />
Tontöpfe und Trostpflaster. Kasernenhofton wird<br />
angeschlagen, um Vernunft in diese chaotische und<br />
verdorbene Welt zu bringen. Ja, die Vernunft soll<br />
erleuchten und erstrahlen diesen verdorbenen Planeten,<br />
der bald aber ziemlich zielstrebig seinem<br />
Verderben entgegenkugelt. Stacheln mit übervollen<br />
Giftblasen werden in den Feind – das ist der all-<br />
13
mächtige Herrgott –, hineingeschossen. Mord liegt<br />
in der Luft, sowie Traubenzucker im Blut. Prüfungen<br />
werden geschrieben, Unterzuckerung droht wegen<br />
all dem Stress. Fertig gegessen haben die Menschen.<br />
Sie aßen Karten, die übrig geblieben <strong>sind</strong><br />
vom letzten Rindskopfspiel. Gott hat nur zugeschaut<br />
und hat nicht auf die Alte gebaut. <strong>Die</strong> Alte<br />
starb an Rufmord. Cord trägt einen Kasten Bier um<br />
vier. Denn Deutschland hat gewonnen, dachte er<br />
besonnen. Von vorne sah sie aus wie eine Schwertkämpferin<br />
und von der Seite durchaus geistig abwesend,<br />
sehr mit sich selber beschäftigt. Rosa Gebäude<br />
konnte man durch das Fenster betrachten an diesem<br />
heißen Sommertag in der größten Hitze. Aber<br />
dann wachte sie wieder auf in der grauen Irrenanstalt<br />
und wusste natürlich, dass sie war verrückt.<br />
Abrakadaver, aber hallo! Der große Zauberer von<br />
Wien geht um und nimmt alle treuen Freundinnen<br />
mit, klaut sie gewissermaßen aus dem Einkaufskorb<br />
der treuen Freunde, die treu zur Arbeit gehen und<br />
treu Geld verdienen. Geschmackslosigkeiten <strong>sind</strong><br />
das, die den Gartenzwerg empören. Aber so ist nun<br />
mal die Welt. Es <strong>sind</strong> die kleinen Ungerechtigkeiten,<br />
die immer zum Ziel führen. Von den großen<br />
Ungerechtigkeiten ganz zu schweigen, die naturgesetzmäßig<br />
zum Ziel führen müssen. Man nehme<br />
sich nur ein Beispiel an die Gottesanbeterin, wie sie<br />
in der Petersilie hockt und den Torsten verschlingt.<br />
14
5. Nun denn, meinte mein Psychiater, ich kann Ihnen<br />
den Gefallen nicht tun. Sie <strong>sind</strong> eben einfach<br />
nur depressiv, mehr nicht. Zu Asperger bringen Sie<br />
es nicht, eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung haben<br />
Sie auch nicht. Also werden Sie von mir niem<strong>als</strong><br />
Ritalin oder Amphetamin bekommen, überhaupt<br />
können Sie von den ganzen Aminen absehen. Sie<br />
<strong>sind</strong> depressiv, und das ist jeder, und deswegen<br />
können sie gleich wieder gehen, da machen wir erst<br />
gar keine Blutuntersuchungen oder CT, schieben<br />
Sie sich das in’en Arsch. Da, fressen Sie die Selektiven<br />
Serotonin Reuptake Inhibitatoren und halten<br />
Sie Ihr allzugescheites Maul, Sie Esel, und lassen<br />
Sie sich nie wieder blicken, Sie kranker Esel! Gehen<br />
Sie doch zu Ihren Gartenzwergen und beklagen<br />
sich dort. Das einzige, was ich noch für Sie tun<br />
kann, das ist Ihnen trizyklische Scheiße zu verschreiben.<br />
Lithium – vergessen Sie’s einfach. Das<br />
lassen wir lieber in den Knopfzellen.<br />
6. ABC–Schützen und Scharfschützen und Schlafmützen.<br />
Was ist Zeit? Ich hau dir gleich eine runter,<br />
du bunter Esel, du bunter! Mitunter und überhaupt,<br />
wer behauptet denn das insgesamt und überhaupt?<br />
Schweinshaupten und Arschkerbe <strong>sind</strong> Orte in der<br />
Unzivilisation Oberfrankens. <strong>Die</strong> magersüchtige<br />
Miriam sieht immer mehr zum Kotzen aus. Man<br />
15
möchte ihr am liebsten ins Gesicht kotzen. Mit Rotzwimpeln<br />
an ihr vorbeifahren und die Wurstzipfel<br />
prahlend entgegenhalten aus dem alten Chevrolet<br />
und Kleber auf dem Sitz verteilen. Der Grünkernprophet<br />
hatte einen harten Kampf mit dem<br />
Fruchtzwerg. Dann nahm er den Büstenhalter, mein<br />
Alter, und stach die Alte. Das ist Rufmord und kein<br />
Rhabarberkompott. Barbarenkomplott und Fanfaren<br />
zum Tod des rumänischen Propheten im Garten<br />
Eden, <strong>als</strong> Gott den Adam wohlartikuliert entließ.<br />
Befristeter Arbeitsvertrag eben im Paradies, im<br />
Garten Eden. Sag mir’s nur, wenn du was zu sagen<br />
hast. Ein Liter Kamillentee, orange Blinker. Psychose.<br />
Zwanzig Jahre schon und ein Ende nicht abzusehen.<br />
<strong>Die</strong> Ghule warten auf mich und fressen<br />
mich schon, obwohl ich lebe. Und muss bewusst<br />
betrachten meine eigene Nicht–Existenz. Ob Gott<br />
wohl existiert? Und wenn er existiert: Was wird er<br />
wohl zu meinen Worten sagen? Wird er sie loben<br />
oder tadeln? Der gemeine Leser, die Arschhure, die<br />
elende! – ja, auf den gemeinen Leser ist kein Verlass.<br />
Er ist unstet bis zum Abwinken und immer nur<br />
auf den eigenen Vorteil bedacht, hochempfindlich<br />
und strunzdumm zugleich, was soll man denn <strong>als</strong>o<br />
schon halten von dem gemeinen Leser? Ich halte<br />
<strong>nichts</strong> vom gemeinen Leser, denn das einzige, was<br />
beim gemeinen Leser blüht – nein, es ist nicht der<br />
Intellekt! – nein, das einzige, was beim gemeinen<br />
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Leser blüht, das ist seine Arschrosette. Und wer will<br />
da schon rein? Wo man doch weiß, dass eben aus<br />
dieser Arschrosette eine Menge hinaus will… Villa<br />
Kunterbunt und Pippi machen. Gelb und braun vereint<br />
in der Schüssel, eine Opfergabe für Gott. Noch<br />
ist nicht aller Tage Abend. Aber es ist auch noch<br />
nicht aller Abend Tage. Genauso wenig es aller<br />
Arsch ist. Es ist, was es ist, sprach die Liebe. So<br />
wollen wir es halten. In Gottes Namen. Amen.<br />
7. Warum gibt es Leid? Warum gibt es Zeit?<br />
Warum ist es verschneit? Wieso und warum? Und<br />
weshalb? Und außerdem: Worüber? Generell gesagt<br />
bestürzt mich die dumme Trivialität des Ordinären.<br />
Immer wieder wird so einem vor Augen geführt,<br />
wie kurz das Leben ist. Morgen kann es schon aus<br />
sein mit den Faxen, und Gott wird <strong>als</strong> Letzter lachen.<br />
Wer hätte das gedacht. <strong>Die</strong> Evangelikalen und<br />
die fanatischen Nonnen ganz bestimmt. Auch die<br />
Homöopathen und Schüssler– und Bachfanatiker,<br />
die fromm und tapfer im Feuerofen der Vernunft<br />
stehen und bekennen. Sagen wir es mal so: Gott<br />
lässt sich seiner nicht spotten. Niemand, der die<br />
Ernsthaftigkeit von Krankenwägen kennt, wird<br />
noch jem<strong>als</strong> etwas sagen gegen die politische Kleinkariertheit.<br />
Kartenschlussverkauf und Karies. Der<br />
Zahnarzt ist nicht unbedingt dein Freund, gleichwie<br />
er nicht unbedingt dein Helfer sein muss. Er kann<br />
17
sich auch <strong>als</strong> ein ganz anderer entpuppen: Nämlich<br />
<strong>als</strong> jemand, der dir den Kopf mit der Bohrmaschine<br />
aufbohrt, bis dir dein Gehirn auf den Boden läuft.<br />
Der Sieben–Uhr–Tee ist fertig, wie der Engländer<br />
zu sagen pflegt, wenn er altersweitsichtig wird und<br />
in den Zahlen herumstochert. Wie überhaupt das<br />
Herumstochern in den Zahlen <strong>als</strong> Stochastik bezeichnet<br />
wird. Aber der hat seine Rechnung ohne<br />
den Wirt gemacht, der den Bleistift vergessen hat<br />
anzuspitzen. Nun möchte ich aber auch mein Wort<br />
an den mutigen Weiterleser richten: <strong>Die</strong>ser mutiger<br />
Weiterleser hat es verdient, beschimpft zu werden<br />
auf die übelste Weise. <strong>Die</strong>ser Hansdampf der Gemütlichkeit,<br />
der sich in Kissen eingepackt hat und<br />
in Wirklichkeit <strong>nichts</strong> anderes ist <strong>als</strong> ein ganz ordinärer<br />
Kinderschänder! Er soll verachtet sein, der<br />
mutige Weiterleser. Man sollte lieber an ephebe<br />
Weibsbilder denken, die stets feucht <strong>sind</strong> – allein<br />
schon aus Prinzip, wenn nicht gar aus Trotz – die es<br />
im Grunde genommen gar nicht erwarten können<br />
von dem reifen Mann begattet zu werden, der der<br />
Autor freilich ist. Das Problem immerhin ist vielschichtiger.<br />
Der Autor ist nämlich doch sehr auf<br />
den Mund gefallen. Was er hier eröffnet, ist <strong>nichts</strong><br />
<strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Maulheldentum der niedersten Art, nämlich<br />
der schriftlichen Art. Verabscheuungswürdig<br />
all die Häretiker, Häresiologen und Geheimbündler,<br />
die den lieben langen Tag <strong>nichts</strong> anderes tun, <strong>als</strong> in<br />
18
geheimen Büchern zu lesen und in geheimen Sprachen<br />
zu sprechen. Verflucht seien sie und gelobt sei<br />
der Mann, der es versteht ein einziges vernünftiges<br />
deutsches Wort zu sprechen! Gedankenflucht,<br />
Flucht in fremde Jahrhunderte, Jahrmarkttreiben,<br />
Katzenkirmes und siebenmal Katzenjammer.<br />
8. Der Zimmermann ist ein ehrenswerter Mann. Nur<br />
wenn seine Augen auslaufen, kann er den Gartenzwerg<br />
nicht mehr sehen. Wenn wir wirklich ehrlich<br />
wären, dann würden wir einsehen, dass es so in<br />
Deutschland nicht mehr <strong>weiter</strong>gehen kann. Viel zu<br />
heiß ist es, und auch viel zu teuer. Trampeltiere <strong>sind</strong><br />
wir außerdem, und reinen Wein schenken wir uns<br />
schon längst nicht mehr ein. Mehr davon, nämlich<br />
von dem Richtigen. Mir ist schon die Kehle trocken<br />
und die Lippen spröde von der ganzen Hitze. Ich<br />
bin ausgedörrt wie ein alter Esel, der gehäutet an einem<br />
Haken hängt. Und in Italien hängen viele Esel<br />
an Haken. Materialismus ist es ja auch, der uns bedrängt:<br />
Im Klo, in der Badewanne, überall! Nun gelobt<br />
sei Gott, der da ist der Sohn des Christus.<br />
Amen. Mein Auge schimmelt vor sich hin und<br />
Staub juckt auch. Panther auf dem Sprung, die Chinesen<br />
kommen! Wovor sollt’ mich grauen? Schließlich<br />
trösten mich dein Stecken und Stab. Und ob ich<br />
schon wanderte auf dem Fenstersims, du bist bei<br />
mir, dein Stechen und Staat trösten mich. Denn du<br />
19
ist bei mir. Wovor sollte es mich noch grausen?<br />
Habe ich doch auch Schmetterlinge gegessen und<br />
Liebe nun im Bauch. Bochum. Schnippisch <strong>sind</strong> ja<br />
die Frauen schon, und lachen wie die Hexen. Aber<br />
Gott wird sie in den Abyssos schicken, und dort<br />
warten Tantalusqualen auf sie. Und Syphilis und<br />
Sysiphos werden sich ein Stell–Dich–Ein geben.<br />
Wohl denn, wohl auf! Nichtsdestotrotz, immerhin<br />
und sowieso. Sie werden mich nicht finden. Das ist<br />
ja der Witz und gleichzeitig die Wahrheit! Und sollte<br />
Gottes Finger auf mich zeigen, so werde ich doch<br />
verleugnen, dass ich der Täter bin. Ich glaube doch<br />
schon sehr an die iustitia passiva und auch an Sachgegenstände,<br />
die man in Hosentaschen verstecken<br />
kann. Nun wollen wir mal nicht kleinlich sein. Dadurch<br />
bekommt man nur Reibereien und Scherereien.<br />
Man sollte stets offen sein für Gott, so wie eine<br />
Arschhure stets offen ist für seinen Gott, dem Herrn<br />
und Gebieter, dem ewigen Mr. Brown. <strong>Die</strong> Frauen<br />
schwitzen nicht so sehr wegen ihrer allgemeinen<br />
Beunruhigung. Sie wissen das nicht zu schätzen,<br />
aber man hat halt schon sehr viele Scherereien mit<br />
ihnen. Und nun Punkt um und Schluss damit. In<br />
Null komma nix eröffnen wir ein neues Thema. Es<br />
handelt von den Dinosauriern und den Anthroposophen.<br />
Gott hat ja beide erschaffen in seiner Güte,<br />
aber hat auch beide vernichtet in seiner Güte. Der<br />
Wille Gottes kann auch mit einem starken Arm ver-<br />
20
glichen werden, der bei Kirchweihdrückereien immer<br />
oben auf bleibt. Da hat schon mal der Tibor<br />
deswegen zwei Bierkrüge zerschlagen und sich dadurch<br />
ernsthaft verletzt, weil er es nicht ertragen<br />
konnte, dass Gott seinen Freund besiegt hat. Aber<br />
so ist das nun mit Gott. Er siegt immer, ob man’s<br />
nun wahr haben will oder nicht. Er siegt selbst in<br />
Prag. Dort befiehlt er nämlich den Touristen, sich<br />
hemmungslos besinnungslos zu saufen – ob Student<br />
oder Brite ganz gleich – und dann in den illegalen<br />
Puff zu gehen und sich mit Sacharose anzustecken.<br />
Und fortan <strong>sind</strong> sie zuckerkrank die Männer nach<br />
dem Willen Gottes. Und so kommen wir zu den<br />
elektromagnetischen Wellen, die für alles gut <strong>sind</strong>:<br />
Potenz, Macht, Kraft und Liebe. Sie <strong>sind</strong> da, ohne<br />
dass du es merkst und sie beeinflussen dich ungemein.<br />
Sie blinken dir im Verstand und vergessen<br />
dich, bevor sie dich überhaupt bemerkt haben. So<br />
ist es ja auch mit Judith, gleichwie mit Julia, nicht<br />
zu vergessen die blonde Birgit, die ja eigentlich abgetrieben<br />
werden sollte. Dann können wir auch<br />
noch ein Wort über die Ute verlieren, die abgetrieben<br />
hat. So treibt das Leben vor sich hin wie ein<br />
Floß auf dem Mississippi, wo die Baptisten herrschen<br />
und die Sklaverei noch nicht abgeschafft<br />
worden ist. Oh Hund, heule nur! Es ist dein gutes<br />
Recht. Denn es hört dich niemand. Kämpfe nur!<br />
21
Denn es kämpft mit dir niemand. Grand mal, petit<br />
mal, faux ami.<br />
9. Stunde Null. Heute ist uns der Heiland geboren.<br />
Ich habe ihn geboren mit meiner Arschfotze und er<br />
ist ein Wohlgeruch. Zwar besteht mein Sohn nur<br />
aus Gas, aber es ist doch mein leiblicher Sohn, der<br />
in meinem Gedärm heranwuchs. Gezeugt ohne<br />
Licht, wahrer Sohn von wahrem Sohn. Kopf hoch.<br />
Katastrophenalarm im österreichischen Reich. Der<br />
geistige Stillstand ist beinahe erreicht. Man kann<br />
kaum noch hoffen, dass er normal wird. Er besteht<br />
ja eigentlich nur aus Scheiße, die in seinem Darm<br />
von Bakterien vergoren wird. Er hatte einen Charakter<br />
zerfleddert wie ein Beduinenfuß. Seine Aufgabe<br />
ist es zu verschwinden: Zunächst in ein Irrenhaus,<br />
später ins Nichts. Dort kann er dann meinetwegen<br />
seine Nichtexistenz bewusst erleben. Mich<br />
interessiert das nicht <strong>weiter</strong>. Ich habe nur eine Aufgabe,<br />
nämlich tausend Seiten zu schreiben. Ich bin<br />
diesem Ziel nicht wesentlich näher gekommen.<br />
Also habe ich beschlossen, fortan über gänzlich belanglose<br />
Dinge zu schreiben, die weder verrückt<br />
noch literarisch <strong>sind</strong>. Ich schreibe jetzt ganz großen<br />
Müll, Wortmüllhaufen sozusagen, die <strong>nichts</strong> darstellen<br />
<strong>als</strong> einen großen Haufen von Wörtern, die<br />
nicht im Geringsten etwas miteinander gemeinsam<br />
haben. Außer dass sie weggeworfen wurden von ir-<br />
22
gendwelchen achtlosen Menschen. Ich sammle<br />
dann diese Wörter – teilweise auch Phrasen – und<br />
setze sie dann einfach zusammen. Das ist dann echter<br />
deutscher Müll. Und das über tausend Seiten<br />
lang. Vielleicht sollte ich langsam beginnen, die<br />
deutsche Orthografie zu misshandeln. Warum sich<br />
auch immer so viel Mühe geben, dass auch ja jedes<br />
Wort richtig geschrieben dasteht, kein Komma vergessen<br />
wurde und die Satzkonstruktion dudenwohlgefällig<br />
ist? Leider bin ich aber ein Sklave der deutschen<br />
Sprache. Ich kann ihr nicht entkommen. Dafür<br />
aber habe ich einen trockenen Mund. Und außerdem<br />
auch keinen Charakter. Damit kann ich so<br />
manches wettmachen. Mir graust es schon selbst,<br />
wenn ich an das denke, was ich so schreibe. Nur<br />
Depressive können sich so gehen lassen, dass sie<br />
rein gar nicht mehr Ordnung schaffen wollen in ihren<br />
Gedanken. Andere gehen aufs Klo, ich hocke<br />
mich vor dem Computer und scheiße. Ich scheiße<br />
Wörter aus, so wie andere Neger in die Schüssel abseilen.<br />
Hämorriden habe ich allerdings nicht. So<br />
bleibt das, was ich schreibe, völlig blutleer. Es ist<br />
reine Wortscheiße gelegentlich angereichert durch<br />
Wortballast. Habe ich reichlich Alkohol getrunken,<br />
dann geht es mit der Wortscheißerei wesentlich<br />
schneller zu: Ehe ich mich versehe, ist ein ganz<br />
großer Haufen schwarzer Wortscheiße auf das weiße<br />
Blatt geschissen. Wie man merkt, bin ich kaum<br />
23
in der Lage über etwas anderes zu schreiben <strong>als</strong><br />
über Obszönitäten: Fäk<strong>als</strong>prache, Bumssprache,<br />
manchmal ein bisschen auf shocking getrimmt, im<br />
Wesentlichen trieft dann alles noch in einer Sauce<br />
von gotterbärmlichen Selbstmitleid. Reichlich einfallslos.<br />
Und außerdem ist alles wahnsinnig ichfixiert.<br />
Auf den Leser und seinem Geschmack und<br />
seinen Bedürfnissen wird keinerlei Rücksicht genommen,<br />
weswegen er auch nicht darin liest. Nicht<br />
einmal ich möchte lesen, was ich geschrieben habe.<br />
Stattdessen schreibe ich einfach <strong>weiter</strong>.<br />
10. Eine Linie kann sich nur in zwei Dimensionen<br />
ausbreiten, ein Dreieck, wenn es will, auch in drei<br />
Dimensionen, ein Viereck hingegen kann auch in<br />
einen vierdimensionalen Raum eingezeichnet werden.<br />
Übrigens kann ich dem Dativ nicht von den<br />
Akkusativ unterscheiden. Ich muss noch ein paar<br />
Jahre warten, bis ich tot bin. Ich warte schon. Ich<br />
glaube, dass ich in absehbarer Zeit an Alzheimer erkranken<br />
werde. Erste Symptome merke ich jetzt<br />
schon. Ich vergesse alles. Und wenn ich erst mal<br />
das Vergessen vergesse, dann ist es bereits zu spät.<br />
Heute habe ich noch keinen Kraftfurz ablassen können.<br />
Selbst meinem Darm hat die Kraft verlassen.<br />
Er ist nun nicht viel mehr <strong>als</strong> ein schlaffer Schlauch,<br />
der sich in meinem schlaffen Bauch windet. Ich<br />
muss die Muskeln meines Darms trainieren: Ich<br />
24
muss mehr Bohnen essen, mehr geröstete Erdnüsse<br />
und Feigen. Dann wird es ein Knallen geben wie zu<br />
Sylvester. Einmal ist mir mein gesamter Bauch aufgeplatzt<br />
wegen eines solchen Kraftfurzes. Da habe<br />
ich meine Gedärme wieder zusammennähen und<br />
mir in meinen Bauch stopfen müssen. Und die ganze<br />
Wohnung hat wie ein Friedhof gerochen. Selbst<br />
Ghule wurden von diesem Geruch angezogen. <strong>Die</strong><br />
hab ich dann mit einer doppelläufigen Schrotflinte<br />
erschossen. Kaliber 12/76, Patrone gefüllt mit 4mm<br />
Schrotkugeln. Das hat gesessen! Eine Riesensauerei<br />
und meine Schulter hab ich mir auch verrissen<br />
durch den wahnsinnigen Rückstoß. Roastbeef wird<br />
in Rostock gegessen, in den fünfziger Jahren wurden<br />
die Kinder mit dem Rohrstock geschlagen. Es<br />
ist eine Riesensauerei. Das perfekte Verbrechen<br />
planen: Jemanden umbringen und dafür ins Gefängnis<br />
kommen, und dann hat man ausgesorgt. Oder<br />
man kauft sich zehn Handys und schaltet die alle<br />
ein und ruft einunddreißig Tage lang nonstop an.<br />
Das gibt Schulden ohne Ende. Das Glas klebt auf<br />
einem Plastikpapier. In dem Glas befindet sich eine<br />
orange Flüssigkeit. Der Miriam wurde ein Organ<br />
entnommen. Da sitzt ein Schmetterling auf der Heizung,<br />
die nicht angedreht ist. Er ist so klein, dass<br />
ich ihn am liebsten gar nicht beachten würde. Aber<br />
letzten Endes muss ich ihn beachten, weil ich nicht<br />
die Möglichkeit habe, irgendeinen Reiz auszufil-<br />
25
tern. Ich habe meine Schulter bewegt, weil ich ein<br />
Glas zu meinem Munde geführt habe. Stimmungsmäßig<br />
bin ich im zweiten Keller angelangt. Ich betrachte<br />
die Fahrräder und die Heizung, die ihren<br />
<strong>Die</strong>nst in dem zweiten Keller tut. Eine Heizung<br />
vom Baujahr 1953. Sie kann noch mit Cola betrieben<br />
werden und funktioniert trotzdem noch. Das<br />
nenn ich mir was! So wie es auch Menschen gibt,<br />
da reicht es, wenn man sie allein mit Bier und<br />
Schnaps betreibt, und trotzdem funktionieren sie<br />
noch. Das nenn ich mir was! Tretroller sollte ich<br />
fahren. Das habe ich ja immer so gerne getan. Rot<br />
muss der Tretroller sein. Dann kann ich besser meinem<br />
Chef entwischen, der mich immer mit seinem<br />
blauen Dreirad verfolgt. Denn dieser Chef kontrolliert<br />
mich ständig. Beispielsweise kontrolliert er<br />
auch meine Aussprache. Neulich hat er die Telefonanrufe,<br />
die ich entgegengenommen habe, kontrolliert<br />
und dabei festgestellt, dass ich allen Worten<br />
ein E anhänge. Ich hätte <strong>als</strong>o gesagt: „Herre<br />
Schmidte, wenne Siee dene Computere ausschaltene,<br />
danne müsstene allese wiedere funktionierene.“<br />
Keine Ahnung, ob das stimmt. Mein Chef behauptet<br />
es jedenfalls und verfolgt mich deswegen jetzt mit<br />
seinem blauen Dreirad. Er will mich nur umbringen,<br />
hat er gesagt. Trotzdem mache ich mich mit<br />
meinen roten Tretroller lieber auf die Socken, obwohl<br />
ich gar keine Socken anhabe. Warum sollte<br />
26
ich auch Socken anziehen? Es ist ja so heiß! <strong>Die</strong><br />
Finnen haben uns noch nie geholfen. Sollen sie<br />
doch an ihren Kanus und Handys ersticken! Katatonie!<br />
Gerade bin ich in eine Katatonie verfallen.<br />
Folglich bin ich doch schizophren, ob ich’s nun<br />
wahr haben will oder nicht. Der Schmetterling<br />
hockt immer noch auf der Heizung, die nicht meine<br />
Heizung ist. Was gehört mir überhaupt? Mein Körper<br />
ist ja <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> eine atomare Zusammenfügung<br />
von irgendwas. Da wurden Kühe und<br />
Schweine in mir verstoffwechselt. Halb bin ich eine<br />
Kuh, halb ein Schwein, halb ein Bier und halb ein<br />
Joghurt. Und mein Geist? Nun, die Wörter habe ich<br />
nicht erfunden, derer ich mich bediene. Und die <strong>anderen</strong><br />
Ideen? Seien sie nun mathematischer Art oder<br />
weiß der Teufel was für einer Art – sie <strong>sind</strong> nicht<br />
von mir. Ich bediene mich ihrer nur. Ich bin <strong>als</strong>o<br />
<strong>nichts</strong>. Und da es mich nicht gibt, kann es auch keine<br />
Gegenstände geben, die mir gehören. Denn mich<br />
gibt es ja nicht. Deswegen kann ich nicht von meiner<br />
Heizung sprechen. Und der Schmetterling hockt<br />
immer noch auf der Heizung. Und ich habe eine<br />
Neigung zum Schwitzen. Außerdem habe ich wieder<br />
einen ganz widerwärtigen Körpergeruch, obwohl<br />
ich mich heute geduscht habe. Woher kommt<br />
bloß dieser Körpergeruch? Jedenfalls bin ich nicht<br />
gesellschaftsfähig. Ich warte auf meinen Tod. Hoffentlich<br />
ist es bald aus. Es dauert schon alles ver-<br />
27
dammt lange, obwohl die Tage verfliegen wie Hubschrauber.<br />
Schmetterlinge im Bauch und die Geschirrspülmaschine<br />
läuft. Das ist die perfekte Halbhölle.<br />
Was habe ich heute nicht für Schweiß produziert!<br />
Phänomenal! Wenn das nicht ein Liter war.<br />
Und das in einer Stunde. Wie ist es aber mit dem<br />
Leben? Da hat man so und so viel Tage zu leben,<br />
und plötzlich ist es zu Ende. Immer wieder habe ich<br />
das im Altersheim beobachten können, dass sich die<br />
Leute gewundert haben, wo denn die Jahre geblieben<br />
wären. Ja, der Teufel ist schon ein Schurke; er<br />
klaut einfach so unser Leben, so wie ein Eierdieb<br />
unsere Freundin klauen kann.<br />
11. <strong>Die</strong> Fressfeinde der Eichhörnchen <strong>sind</strong> in erster<br />
Linie Greifvögel und kleinere Raubtiere wie Marder.<br />
Auch ich würde gerne Eichhörnchen fressen.<br />
Lieber Eichhörnchen <strong>als</strong> Schokohörnchen. Ihnen<br />
einfach so den Kopf abbeißen und ihr Blut trinken.<br />
Dann würde ich sie auf eine Weise wegschmeißen,<br />
wie man nur ganz unnötiges Zeug wegschmeißt.<br />
Und ich würde mich brüsten wegen meiner Verwegenheit.<br />
12. Mein Kampf von Adolf Hitler wird in der Regel<br />
nicht gelesen. Es ist verpönt, dieses Buch zu lesen.<br />
Auch ist es verpönt, mein Buch zu lesen.<br />
28
13. Als der Bart kam, war es aus mit mir, meine<br />
Männlichkeit dahin. Rasieren macht bei mir keinen<br />
Sinn, wenn überhaupt, dann zweimal täglich. Ansonsten<br />
sehe ich aus wie ein Asozialer, ja sogar wie<br />
ein Psychopath. Wahrscheinlich bin ich auch ein<br />
Kinderschänder, eben weil mir ein Bart wächst. Ein<br />
echter Mann hat keinen Bartwuchs, ja ein wirklich<br />
echter Mann hat auch keine Körperbehaarung! Da<br />
ich aber kein echter Mann bin, versuche ich meine<br />
Männlichkeit dadurch zu kompensieren, indem ich<br />
ständig kleine Kinder vergewaltige und umbringe.<br />
Ich glaube, dass ich so zwanzig bis dreißig Kinder<br />
um die Ecke gebracht habe. Das ist nicht mehr zum<br />
Gott erbarmen. Nun sitze ich im Gefängnis dafür.<br />
Seit zwanzig Jahren schon, ja, morgen werden es<br />
zwanzig Jahre. Mit elf habe ich mein erstes Kind<br />
umgebracht. Der war zwölf. Aber ich habe ihn<br />
trotzdem umgebracht. Damit war mein Weg vorgezeichnet:<br />
Einmal Kinderschänder, immer Kinderschänder.<br />
Nun aber zurück zu meinem Bartwuchs.<br />
Mit zwölf hatte es begonnen. Mir wuchs ein Bart<br />
zur Strafe, weil ich ein Kind getötet und vergewaltigt<br />
hatte. Und mit jedem <strong>weiter</strong>en Kind, das ich getötet<br />
hatte, wuchs mein Bart immer mehr. Mittlerweile<br />
sehe ich schon gar <strong>nichts</strong> mehr, weil die ersten<br />
Barthaare aus meinen Augen sprießen. Mein<br />
Darm ist schon längst von Barthaaren bevölkert.<br />
29
14. Microsoft Word spinnt. <strong>Die</strong> Rechnerauslastung<br />
ist völlig unglaubwürdig. Kann doch nicht sein,<br />
dass so ein bisschen Rumgetippe zu fünfzig Prozent<br />
Rechnerauslastung führt. Der Rechner beginnt<br />
schon periodisch herumzupusten. Und dann noch<br />
die Stubenfliege, die mich belästigt. Ich halte das<br />
alles nicht mehr aus! Oho, oho, wie die Festplatte<br />
grunzt, nur weil ich einen Task geschlossen habe.<br />
Jedoch an der Rechnerauslastung ändert sich <strong>nichts</strong>.<br />
Eine Gemeinheit ist das. Habe heute auch schon ein<br />
bisschen in Mein Kampf von Adolf Hitler gelesen.<br />
Ich glaube die Rechnerauslastung ist ein Wink mit<br />
dem Zaunpfahl dafür, dass ich erneut in diesem<br />
Werk lesen soll. <strong>Die</strong>ser scheiß Rechner wird mich<br />
noch ins scheiß Grab bringen. Ich schmeiße jetzt<br />
den Rechner aus dem Fenster. Genug ist genug! Ich<br />
bin ein Psychopath oder um keine Verwirrung zu<br />
stiften: jemand, der eine dissoziale Persönlichkeitsstörung<br />
hat. Dagegen kann man <strong>nichts</strong> tun. Nur der<br />
Tod kann diese Krankheit heilen. Also warte ich auf<br />
den Tod. Nachteil: Krankheit geheilt, Patient tot.<br />
Aber damit muss ich leben. Dem kundigen Leser<br />
wird aufgefallen sein, dass ich gerade eben auf Vorrat<br />
schreibe. Es könnten ja schließlich auch Tage<br />
kommen, an denen ich nicht in der Lage sein könnte<br />
zu schreiben. Und dann wohl dem, der auf Vorrat<br />
geschrieben hat. Dem kann dann der Schreibdurchschnitt<br />
nicht versaut werden. Ich hoffe, dass ich auf<br />
30
diese Weise den Durchschnitt von vier Seiten pro<br />
Tag aufrechthalten kann. Wie der kundige Leser<br />
<strong>weiter</strong>hin bemerkt haben wird, gibt es bei diesem<br />
Vorgehen ein Problem: Der Inhalt leidet gewaltig<br />
darunter: war das, was ich bisher geschrieben habe,<br />
bereits schon schlecht, so ist das, was ich jetzt<br />
schreibe – quasi auf Vorrat –, mehr <strong>als</strong> schlecht: Es<br />
ist grobfahrlässiger Unsinn. Wortmüll, wie ihn die<br />
Menschheit bisher nicht gesehen hat. Mittlerweile<br />
<strong>sind</strong> meine Wörter bis zur Ostfront vorgedrungen.<br />
Sechstausenddreihundertundfünfundzwanzig Wörter,<br />
sechshundertundfünfundsechzig Zeilen jeweils<br />
von einer Länge von elf Zentimetern. Wenn man<br />
das nun alles aneinanderreihen würde, dann ergibt<br />
das – nein, nicht den baren Unsinn! – sondern dann<br />
ergibt das eine Länge von Sechstausendsiebenhundertsiebzehn<br />
Zentimetern. Das <strong>sind</strong> gut siebenundsechzig<br />
Meter. Nun, das reicht nicht ganz bis zur<br />
Ostfront, aber immerhin bis zur gegenüberliegenden<br />
Apotheke. Das reicht. Und wie viel Fläche ließe<br />
sich mit siebenundsechzig Metern umzäunen? Das<br />
ist eine Fragestellung, die es wert ist, dass man ihr<br />
nachgeht. Also, einfacherhalber lassen wir die<br />
Kreisfläche, Pentagramme und dergleichen außer<br />
Acht und nehmen doch das rührselig einfache<br />
Rechteck. Da kommen wir beispielsweise auf ein<br />
Grundstück von zwanzig mal achtkommafünf Metern.<br />
Das <strong>sind</strong> – wenn mich mein Geist nicht verlas-<br />
31
sen hat – gut hundertsechzig Quadratmeter, sogar<br />
noch etwas mehr. Ein halbes Königreich kann ich<br />
<strong>als</strong>o allein mit meinen Worten umzäunen. Wie wird<br />
das erst sein, wenn ich tausend Seiten geschrieben<br />
habe? – Auch da möchte ich keiner Antwort schuldig<br />
bleiben: Es wird ein Grundstück sein, das mindestens<br />
tausend mal vierhundertundfünfundzwanzig<br />
Meter groß sein wird. Das ergibt gut einen halben<br />
Quadratkilometer. Umspannt durch meine Wörter.<br />
So werde ich es auch machen, wenn ich fertig bin<br />
mit meinem Buch. Ich werde es zerschneiden in<br />
einzelne Zeilen, und dann eine Zeile an die andere<br />
hängen, bis ich fertig bin. Das wird meine nächste<br />
Beschäftigung sein. Arbeitslosigkeit wird mir so<br />
nicht drohen. Arbeitslosigkeit – das ist etwas für<br />
Einfaltspinsel und Interimsalkoholiker. Nichtsdestotrotz<br />
und gerade eben deswegen heißt es wachsam<br />
zu sein. Denn der Feind lauert an jeder Ecke. Fresssucht<br />
kann meinem tätigen Schreiben ein Ende bereiten:<br />
Wenn mein Bauch erst einmal so gewaltig<br />
groß ist, dass ich wegen meines Bauches die eigene<br />
Tastatur nicht mehr sehe, dann weiß ich, dass es zu<br />
spät ist. Und das wäre doch ein Katzenjammer.<br />
15. Wer hätte den Ukrainern zugetraut, dass sie<br />
eine eigene Sprache und einen eigenen Staat hätten.<br />
Ich jedenfalls nicht. Dumm wie ich bin, habe ich<br />
mir gedacht: „Na ja, die Ukraine wird bestimmt ir-<br />
32
gendwie zu Russland gehören.“ Aber das war ein<br />
Irrtum. Aber wen wundert das bei mir? Habe ich<br />
doch noch vor ein paar Jahren nicht wirklich gewusst,<br />
dass Getreide im Bier ist. Keine Ahnung,<br />
was ich gedacht habe, das im Bier sein müsse,<br />
wahrscheinlich habe ich mir gedacht: Hopfen, Alkohol<br />
und Wasser genügen schon. Und Malz? Wer<br />
weiß schon, was Malz ist. Malz kann ja alles Mögliche<br />
sein: Ohrenmalz, Schweinemalz, Malzbeschwerden,<br />
Malzweh und weiß der Teufel, was<br />
noch alles. Jedenfalls: <strong>Die</strong> Ukrainer. Sie <strong>sind</strong> ein eigenständiges<br />
Völkchen. Das ist doch ganz erfreulich.<br />
Da kann man sich doch ganz ehrlich mitfreuen,<br />
dass die da so einen Staat haben. Genauso diese<br />
Weißrussen. Da habe ich aber schon irgendwie gewusst,<br />
dass die eine eigene Sprache haben. Besonders<br />
fies <strong>sind</strong> die Moldawier: <strong>Die</strong> tun so, <strong>als</strong> ob sie<br />
ein eigenes Völkchen wären – <strong>sind</strong> sie aber nicht!<br />
Nichts <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ganz ordinäre Rumänen! Da hat<br />
man den Salat. Und einen eigenen Staat haben sie<br />
trotzdem. <strong>Die</strong> könnte man doch einfach zu Rumänien<br />
dazuklatschen, genauso wie Österreich zu<br />
Deutschland. Und Belgien zerlegt man am besten in<br />
zwei Hälften: Der Speck zu den Niederlanden und<br />
das Fleisch zu Frankreich. So, genug davon.<br />
16. Ich will davon <strong>nichts</strong> mehr hören, sonst hau ich<br />
dir eine runter. Mich dürstet. Wo ist das Bier, wo ist<br />
33
der Wein? Maria ist Marthas Bezugsmutter. Raus<br />
aus meinem Kopf, du Dämon! Habe ich dir nicht<br />
geschworen, dass ich dir eine runterhaue, wenn du<br />
nicht gleich damit aufhörst? Ich überschreibe gleich<br />
deinen Text, und dann kannst du sehen, wo du<br />
bleibst. Ich habe schon einmal meine Bassgitarre<br />
durch einen Wah–Wah–Filter gejagt. Auch musste<br />
er schon mal Ringmodulation über sich ergehen lassen.<br />
Überhaupt <strong>sind</strong> die Frequenzspekulationen die<br />
interessantesten: Flanger, Distortion – und der<br />
Computer pustet immer noch. Dem hau ich auch<br />
gleich eine runter. Oder ich schmeiße ihn in den<br />
Abyssos. Da wird man ihn schon zu behandeln wissen,<br />
diesen halbmetallischen Tauge<strong>nichts</strong>. Ganz<br />
gleich ob Silizium oder Germanium, immer derselbe<br />
Scheiß. Und ein Rubin ist ja auch <strong>nichts</strong> anderes<br />
<strong>als</strong> Aluminiumoxid. Wo wir dann schon bei den<br />
Aminen wären, diesen drolligen Stickstoffverbindungen:<br />
NH2 oder vielleicht sogar NH3. Benannt<br />
nach einem ägyptischen Gott: Amun. Weil dummerweise<br />
eine Stickstoffverbindung an einem ägyptischen<br />
Ort entdeckt wurde, der Ammon hieß. Und<br />
warum hieß der wohl Ammon? Ganz klar. Denken<br />
wir doch ein bisschen über das Phonem [pur] nach:<br />
Erklingt es in lateinischer Sprache, dann ist damit<br />
rein gemeint, in Englisch arm, in Französisch für<br />
und in Hebräisch Los. Tonnerwetter! Da ist auf die<br />
gesprochene Sprache gar kein Verlass. Am besten<br />
34
lässt man es gleich sein mit dem Sprechen und<br />
schweigt. Der elektrische Stuhl ist auch nur ein<br />
Stuhl. Nun gibt es gar <strong>nichts</strong> mehr zu sagen. Alle<br />
Gedanken haben sich verkrochen. <strong>Die</strong> Gartenzwerge<br />
ermüden den Leser zur Genüge. Mein Telefon<br />
klingelt ständig. Ich werde von einem Arschlochautomaten<br />
angerufen. Ich bin ein lebendiges Telegramm,<br />
das nur über sehr wenige Worte verfügt.<br />
Was ist bloß mit dem Torsten los? Der hat doch<br />
auch irgendwas gemacht. Ich kann mich nicht mehr<br />
entsinnen. Gestern Nacht hatte ich noch interessante<br />
Gedanken. <strong>Die</strong> <strong>sind</strong> jetzt weg. Ernüchterung ist ungebeten<br />
eingetreten. Von nun an bin ich nicht mehr<br />
der Kaiser von Österreich, sondern nur noch ein armer<br />
Tropf, der an Gedankenarmut leidet. Mir werden<br />
die Gedanken abgezogen, so wie einem Hund<br />
das Fell abgezogen wird. Interessanterweise <strong>sind</strong><br />
diese Hunde ohne Fell durchaus noch lebensfähig.<br />
Das Gewitter ist an allem Schuld. <strong>Die</strong> elektrischen<br />
Entladungen haben meine Gehirnströme auf ungünstige<br />
Weise beeinflusst. Meine ganzen Relais<br />
<strong>sind</strong> quasi zerstört worden. Aus den Tiefen der Unkreativität<br />
rufe ich zu dir: Warum musst du immer<br />
so pseudolustige Sachen schreiben? Drei klare Worte<br />
<strong>sind</strong> mehr <strong>als</strong> zehntausend wahnsinnspflichtige<br />
Worte. Und überhaupt: Ist es nicht peinlich, dass du<br />
ständig nur über das Schreiben schreibst? Ist das<br />
nicht mehr <strong>als</strong> eitle Selbstreflexion? Selbstgefällige<br />
35
Selbstreflexion. Ich bin ein Fremdkörper in dieser<br />
Welt. Ich bin das Gerstenkorn Gottes. Ich bin die<br />
Murmel in der Luftröhre und der Hammer im Magen.<br />
Ich bin der Nagel im Stammhirn. Ich bin das<br />
Silizium, das dir dein Arschloch wasserdicht verschließt.<br />
Ich bin die Nicht–Existenz, die deine Existenz<br />
aufhebt. Ich haue dir nun in meinem schweren<br />
Kaffeerausch eine Menge Wahrheiten um deine Ohren,<br />
die du nicht gerne hören magst. Ich kann dir<br />
auch etwas erzählen von dem Duschgel, welches<br />
sich in Schaumform stets unter meiner rechten Achselhöhle<br />
aufhält. Durch <strong>nichts</strong> in der Welt lässt es<br />
sich aus der rechten Achselhöhle vertreiben. Da<br />
kann man duschen, wie man will, der Schaum bleibt<br />
und bleibt und bleibt. Und seine verheerende Wirkung<br />
zeitigt er, wenn man irgendwann später zu<br />
schwitzen beginnt. Dann beginnt es unter der rechten<br />
Achselhöhle zu knietschen und zu knatschen,<br />
dass es eine Freude ist. Wenn es der Schaum nicht<br />
sogar schafft, den rechten Arm an die rechte Körperseite<br />
festzukleben. Wenn das Buddha gewusst<br />
hätte, ich glaube, er wäre nicht Mönch geworden.<br />
17. <strong>Die</strong> Affen rennen in Horden um den Meister,<br />
der der Autor freilich ist. Es <strong>sind</strong> kleine, widerliche<br />
Makaken. Kleine Scheißaffen, die <strong>nichts</strong> anderes<br />
tun können, <strong>als</strong> einem in den Finger zu beißen. Da<br />
hocken sie auf eines Menschen Schulter und wer-<br />
36
den dadurch gleich größenwahnsinnig und denken<br />
sich – wenn sie denn denken könnten! –: „Ach, was<br />
bin ich nicht groß!“ und beißen einem in diesem<br />
Größenwahn in den Finger. <strong>Die</strong>sen Makaken werde<br />
ich aber das Genick brechen. Dann werde ich ihnen<br />
ihre Eingeweide aus ihrem kleinen, unbedeutenden<br />
Leib ziehen.<br />
18. Wir leben nicht mehr im Schlaraffenland: Fünf<br />
Millionen Arbeitslose. <strong>Die</strong> Milch schmeckt auch<br />
nicht mehr. Und es summt um meinen Kopf. <strong>Die</strong><br />
Fliege wird einen schnellen Tod finden, wenn ich<br />
sie erwische. Und sollte sie sich auf meinen Rechner<br />
hocken, so wird sie das nicht bewahren: Trotzdem<br />
werde ich zuschlagen, auch wenn der Rechner<br />
daran Schaden nehmen wird. Hauptsache ich habe<br />
meine Genugtuung. Man sollte einer radikalen muslimischen<br />
Vereinigung beitreten: Milli Göruç beispielsweise,<br />
oder wie auch immer die genau geschrieben<br />
werden, was ja im Grunde genommen<br />
aber keine Sau interessiert. Hauptsache sie <strong>sind</strong> radikal.<br />
Und da sollte man im <strong>Rahm</strong>en seiner Zugehörigkeit<br />
mächtig Rabauz machen, alleine oder zu<br />
zweit sich in die Luft sprengen, dass die Knochen<br />
knacken und die Eiweißmoleküle in der Luft herumspritzen<br />
und –sprotzen. <strong>Die</strong>se kleinen Scheißfliegen!<br />
37
19. Mein Mund hat die allbekannte Kaffeetrockenheit.<br />
Ich schwitze wie eine Sau. Und ich stinke wie<br />
eine Sau: Nach Tabak, den ich nie geraucht habe,<br />
und auch nach Duschgel, das sich unter der rechten<br />
Achselhöhle nie entfernen ließ. <strong>Die</strong> Fliege putzt<br />
sich ganz frech direkt vor meiner Nase. Satanas ist<br />
nicht rot, nein er ist gelb wie Ananas. Ananas macht<br />
Blähungen wie die Sau, denn die Ananas, die man<br />
in Dosen bekommt, ist verfault wie die Sau. Ich<br />
glaube, dass ich der Fliege eben gerade einen Flügel<br />
gebrochen habe. Auf den Papst sollte man einen<br />
Exorzisten ansetzen, am besten irgendso einen alten<br />
Anachoreten, dann würde er zerplatzen vor Wut,<br />
wie es die Basilisken zu tun pflegen. Sturmhelm<br />
und Pickelhaube und der Glaube an Gott machen<br />
noch längst keinen Mord. Dazu bedarf es mehr.<br />
Zum Beispiel <strong>als</strong> Grundzutat die antisoziale Persönlichkeit.<br />
<strong>Die</strong> antisoziale Persönlichkeit ist nämlich<br />
grundsätzlich zu allem fähig. Somit auch zu Mord.<br />
Und das an jedem Ort. Auch in Fürth. Faschingskrapfen.<br />
Jeden Tag Faschingskrapfen. Und morgen<br />
wiederum Faschingskrapfen. Faschingskrapfen bis<br />
zum Erbrechen. Faschingskrapfen bis zum Überdruss.<br />
Faschingskrapfen bis der Esser selbst ein<br />
wandelnder Faschingskrapfen geworden ist: zuckersüß<br />
und aufgedunsen ob dem Backtreibmittel – ihr<br />
glaubt doch wirklich nicht, dass man in der Bäckerei<br />
noch Hefe verwendet, ihr Idioten!<br />
38
20. Ich werde nicht mehr lange leben. Eben galt<br />
mein Wort noch <strong>nichts</strong>. Jetzt liest es jeder. Weder<br />
ich noch du wissen, warum. Darum sag ich dir,<br />
warum ich nicht weiß, wie du heißt. Feist ist der<br />
Greis, der holt dir kein Eis. Was soll der Scheiß? Es<br />
war ein epileptischer Anfall. Nun bin ich wieder<br />
normal. Gott hat es so gewollt. Wir wollen etwas an<br />
die Moleküle denken. <strong>Die</strong> Moleküle <strong>sind</strong> nicht –<br />
auch wenn uns der Name dazu verleitet! – nein, sie<br />
<strong>sind</strong> nicht kühl. Moleküle betreiben auch kein Kalkül.<br />
Nein, Moleküle <strong>sind</strong> immer warm und dünn.<br />
Dünn, weil sie nicht mollig <strong>sind</strong>. Oder hast du<br />
schon mal eine mollige Kühle gesehen? Oder etwa<br />
wollige Kühe? Wohl kaum. Geh mal ins Geschäft<br />
und verlange eine Wolle Kühe. <strong>Die</strong> werden dir<br />
einen Finger zeigen und gleichzeitig die Polizei rufen<br />
und dich anzeigen wegen eines Verbrechens,<br />
dass du – und niemand anders – begangen hat. Der<br />
Papiertiger wird dir Löcher in deinen Bauch fragen.<br />
Davon kannst du ausgehen, ja, vielmehr noch: Darauf<br />
kannst du einen lassen, das ist todsicher. Auch<br />
die Flachettes <strong>sind</strong> todsicher, darauf kannst du auch<br />
einen lassen. Selbst wenn du eine kugelsichere<br />
Weste anhast – sie wird dir <strong>nichts</strong> nützen, sofern die<br />
Polizei mit Flachette–Munition auf dich schießt.<br />
Meine Fürze riechen heute ganz nett. Sie haben<br />
einen ziemlich langen Abgang, den man auch noch<br />
39
nach einer Minute schmecken kann. Musik liegt in<br />
der Luft, wie die alten Römer zu sagen pflegten.<br />
Mücken pflegen ihre Flügel mit ihren Beinen. Sie<br />
<strong>sind</strong> schon richtig eitle Tiere. Man kann allerdings<br />
eine Mücke in eine durchsichtige Cassettenhülle<br />
einsperren und dann mit dem Luftgewehr auf sie<br />
schießen. Sicherlich wird dann die gesamte Cassette<br />
mit Mückenteilen gefüllt sein. Vergleichbar mit einem<br />
Menschen in der Telefonzelle, der mit einer<br />
Pershingrakete beschossen wird. Da begattet der<br />
Tod alles Lebendige. Es <strong>sind</strong> dies die erhabenen<br />
Momente im Sein, wenn da jemand auf eine solche<br />
Weise aus dem Sein austritt. Nein, es ist eher der<br />
Mut eines solchen, dem es nicht genügt einer zu<br />
sein, sondern der viele sein will. <strong>Die</strong>sem Ziel<br />
kommt er näher, wenn er mit einer Pershingrakete<br />
Bekanntschaft macht: Molekülklein und vielfach<br />
mag er dann sein. Nun wird es aber wieder Zeit,<br />
dass über meine Mundtrockenheit berichtet wird:<br />
Sie nimmt zu. Ich habe eine Idee. Ich trinke Wasser.<br />
Jetzt gleich. Der Paneuropäische Rauch. Das Mund<br />
in meinem Wasser. <strong>Die</strong> Schmerzen von gestern und<br />
die Schmerzen von heute, die Schmerzen einer ganzen<br />
Generation, der unsrigen. Unsinn und Wahnsinn.<br />
Meine Unterhose riecht nach Urin, weil sie in<br />
Kontakt mit meiner Hose gekommen ist, die ich seit<br />
sechs Monaten nicht mehr gewechselt habe. Da<br />
können wir doch gleich mal über den Stoffwechsel<br />
40
nachdenken. Es gibt nämlich harnpflichtige Substanzen.<br />
Das muss man sich mal vorstellen! Da geht<br />
es im Körper zu wie auf einem Zollamt und man<br />
weiß gar <strong>nichts</strong> davon. Wird man eben diese Substanzen<br />
bestrafen, wenn sie sich am Harn vorbeimogeln?<br />
Kommen sie dann ins Gefängnis? Und wenn<br />
ja, in welches Gefängnis kommen sie? Bindegewebe?<br />
Gehirn? Urinkoma? Harnsäurekoma? Da meine<br />
Nieren schon seit Jahren nicht mehr arbeiten,<br />
schwitze ich Urin. Bei mir gibt es keine harnpflichtige<br />
Substanzen. Ich bin ein freier Mensch und liebe<br />
die Freiheit. Warum sollten dann nicht die <strong>anderen</strong><br />
– und seien sie nur Neutra – keine Freiheit haben?<br />
Meinetwegen sollen sich Harnsteine bilden. Ich<br />
habe mal gehört, dass die recht interessant aussehen<br />
sollen. Und außerdem ist es immer gut, Steine bei<br />
sich zu haben. Man stelle sich vor, man gerät in<br />
eine Demonstration: Mit was will man werfen,<br />
wenn man keine Steine hat? Da <strong>sind</strong> doch eindeutig<br />
jene im Vorteil, die Harnsteine haben: <strong>Die</strong> schneiden<br />
sich dann einfach ihre Nieren aus dem Rücken<br />
und bewerfen damit die Polizisten. Wahlweise kann<br />
man ja die Nieren auch mit der Zwille verschießen.<br />
Das gibt dann ein großes Hallo bei der Polizei. So<br />
von einem Nierenstein getroffen, verpackt in einer<br />
Niere, das ist kein Spaß! Kama Sutra ist sicherlich<br />
auch eine mögliche Beschäftigung. Besonders wenn<br />
man Sauerkraut gegessen hat. Mein Lieblingseis ist<br />
41
Schokoeis. Nicht zu verachten ist rote Grütze mit<br />
Vanillesoße. Ich liebe auch meine Urinflecken in<br />
meiner Unterhose. Nicht weniger liebe ich meine<br />
braunen Bemerkungen, die sich auf diesem weißen<br />
Stoff etwas <strong>weiter</strong> hinten befinden. Den Bundeskanzler<br />
sollte man beschimpfen, auch wenn er eine<br />
Frau ist. Da heißt es, hart zu bleiben und nicht nachgiebig<br />
zu werden. Ich denke an meine Fußwunden.<br />
Ich bin bei einem Fußmarsch zu Christus geworden.<br />
Das ist nun nicht das erste Mal. Erdbeeren entwässern<br />
genauso wie Rhabarber. Bloß enthält der noch<br />
die Ox<strong>als</strong>äure, die sich auch im Klee findet. Man<br />
sollte Klee kochen und daraus Kleekompott machen.<br />
Oder gleich ganze Wiesen abkochen und daraus<br />
Wiesenkompott machen. Ja, mit Kochen und<br />
Zucker kann man alles erreichen: Man kann auch<br />
seine eigene Scheiße abkochen und daraus Scheißkompott<br />
machen. Das ruft nur Schulterzucken hervor.<br />
Ich kann nicht mit den Schultern zucken, die<br />
kleben mir ob des Duschgels am Körper fest. Dafür<br />
kann ich meine braune Meinung in der Unterhose<br />
vermehren. Eigentlich sollte man gar nicht aufs Klo<br />
gehen und sein Geschäft verrichten, wo man sich<br />
gerade befindet: Beim Sex der Freundin aufs Bett<br />
scheißen, auf der Arbeit bei der Power–Point–Präsentation<br />
oder auf der Damentoilette beim Nasepudern.<br />
42
21. Der Rudersport ist ein harter Sport. <strong>Die</strong> Frauen<br />
bekommen davon Brustmuskeln und wollen gar<br />
<strong>nichts</strong> mehr anderes machen außer Rudern. Alle<br />
Ruderer <strong>sind</strong> sportgeil und wollen nicht mehr ins<br />
Bett. Sie wollen nur noch rudern. Sie wollen rudern,<br />
rudern in den Tod hinein, was sie sicherlich auch<br />
schaffen werden. Es soll einmal einen Ruderer gegeben<br />
haben, der neben dem Rudern zu allem Überdruss<br />
auch <strong>nichts</strong> gegessen hat. Das hat ihm das Leben<br />
gekostet. Aber was kostet letzlich <strong>nichts</strong>? Wenn<br />
wir mal ehrlich <strong>sind</strong>.<br />
22. Wenn meine Füße verwesen: Was hält länger?<br />
Das Fleisch oder meine Hornhaut? Ich glaube meine<br />
Hornhaut währt ewig, wird irgendwann von<br />
fremden Kulturen aufgefunden und angebetet werden.<br />
Ja, man wird meine Fußhornhaut zermörsern<br />
und damit ein Rauchopfer darbringen, dem HErrn<br />
ein Wohlgefallen. Amen.<br />
23. Nichts ist dümmer <strong>als</strong> die Vernunft. Liebe Gemeinde,<br />
glotzen sie ruhig blöd! Aber <strong>nichts</strong> ist dümmer<br />
<strong>als</strong> die Vernunft. Ich wiederhole: Nichts ist<br />
dümmer <strong>als</strong> die Vernunft. Deswegen habe ich mir<br />
auf die Kanzel auch eine .460er Weatherby mitgenommen,<br />
um Ihnen Ihre Schafsköpfe wegzuschießen.<br />
Sie rennen? Glauben Sie, das nutzt Ihnen etwas?<br />
Ha, schauen Sie, da liegt er, der Herr Schmidt,<br />
43
Euer Vertrauensmann. Seine Gedärme im Taufbecken.<br />
Halleluja! Und die Döbler. Mitten ins Gesicht.<br />
Spritzt den Hans, ihren Sohn, mit ihrem Hirn<br />
voll. Was für eine Sauerei! <strong>Die</strong> Briten <strong>sind</strong> eingefallen<br />
und auch die Russen. Da werde ich mich wohl<br />
erschießen müssen im Bunker der kranken Gedanken.<br />
24. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong> <strong>sind</strong> <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Denkpolizisten,<br />
die <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> tun, <strong>als</strong> meine Gedanken zu<br />
überwachen. Sie wollen verhindern, dass ich mein<br />
Gehirn in ein Buch umwandele. Ich aber werde<br />
mich nicht hindern lassen. Teile meines Stammhirns<br />
liegen ja bereits in Schriftform vor, der Rest<br />
wird folgen. Morgen erhalte ich einen Laserdrucker,<br />
der so groß ist wie ein Kasten Bier. Der wird mir<br />
helfen, mein Werk zu vollenden. Auf dem Jakobusweg<br />
werde ich nicht gehen. Ich bin wortkarg. Das<br />
Wetter erniedrigt mich und macht mich zum Gedankenwinzling,<br />
der auf Augenhöhe mit Bettwanzen<br />
steht nicht aber mit Menschen. Ich habe<br />
Schleim in meiner Nase. Mein Mundgeschmack gefällt<br />
mir nicht. Es ist nicht gut, Schokocreme und<br />
Guarana zu sich zu nehmen. Auch meine Lungen<br />
<strong>sind</strong> durch all den Schleim verstopft. An Atemfassen<br />
ist gar nicht zu denken. <strong>Die</strong> Luftknappheit veranlasst<br />
mich zu denken. Meine Brille habe ich heute<br />
nicht gewaschen. Es befinden sich noch Augenreste<br />
44
auf den Gläsern. Verschiedene Leute haben meine<br />
Gedanken vernichtet. Trotzdem schreibe ich <strong>weiter</strong>.<br />
Ich weiß, dass alles mit jedem Wort schlimmer<br />
wird, trotzdem muss es getan werden. <strong>Die</strong> Denkpolizisten<br />
kontrollieren meine Gedanken an jeder<br />
Wegkreuzung und nehmen mir die meisten Gedanken<br />
gleich ab. Deswegen bleiben mir so wenige Gedanken<br />
übrig. Deswegen bleibt dieses Blatt so leer.<br />
Deswegen <strong>sind</strong> die Wörter so einfach und deswegen<br />
<strong>sind</strong> die Gedanken so schwach. Nicht ich bin schuld<br />
sondern die Denkpolizisten. Hätten sie mir nicht die<br />
Gedanken abgenommen, dann könnte dieses tausendseitige<br />
Reich direkt interessant sein. So ist es<br />
langweilig, so wie alles andere langweilig ist. Jeder<br />
redet nur langweiliges Zeug, weil ihm die Denkpolizisten<br />
die Gedanken abgeknöpft haben. Ich könnte<br />
Plastik verbrennen. Schließlich habe ich schon den<br />
Geruch von verbranntem Plastik in meiner Nase,<br />
obwohl nirgendwo Plastik verbrannt worden ist.<br />
Auch an meinen Fingern befindet sich Schleim.<br />
Mein Bett habe ich noch nicht gemacht. Der Schlafanzug<br />
liegt auch noch öffentlich herum. Auch die<br />
Bettdecke liegt öffentlich herum. Ich habe Skoliose<br />
und verteile mir meinen Nasenschleim auf meine<br />
Finger. Draußen ist es dunkel und böse. Es macht<br />
keinen Sinn, nach draußen zu gehen. Dort wartet<br />
nur der Regen auf mich, der sich hinter den Wolken<br />
versteckt hält, nur um dann, wenn ich die Wohnung<br />
45
verlasse, über mich herzufallen. So war es schon<br />
immer. Augenfrauen kann man besonders in Arztpraxen<br />
begegnen. Sie <strong>sind</strong> ganz Auge und sonst<br />
<strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong>. Sie <strong>sind</strong> wandelnde Augen und sehen<br />
alles. Auch mit ihrer Haut können sie sehen, selbst<br />
mit ihrer Kleidung. So wie es auch Brustfrauen gibt,<br />
die bis in den kleinen Zeh hinein Brust <strong>sind</strong>. Hähnchenbrust<br />
ist trocken und sollte nicht gegegessen<br />
werden. Gerade eben habe ich einen größerern<br />
Schleimbatzen in den Magen rotzen können. Ich<br />
setze meiner Einfallslosigkeit die Krone auf. Ich<br />
verkaufe meinen Farbfernseher und bin leer. Stehe<br />
ich, sitze ich nicht. Sitze ich, stehe ich nicht. Esse<br />
ich, trinke ich nicht. Trinke ich, esse ich nicht. Und<br />
wieder wanderte Rotz in meinen Magen. Davon<br />
kann man satt werden. Ich bin einsilbig und wortkarg.<br />
Ich brüte dumpf vor mich her und laufe dumpf<br />
herum und kann gar nicht genug kriegen davon. Da<br />
wo es schön es, fliegen einem die Spatzen nicht in<br />
den Mund. Daneben gibt es auch <strong>nichts</strong> und darüber<br />
habe ich noch nicht nachgedacht. Mein Dank ist abgeflacht<br />
und ich lobe mich sehr, wenn es sonst niemand<br />
tut. Meine H<strong>als</strong>schmerzen und meine H<strong>als</strong>tabletten.<br />
Der Zwang zum Zeigen und du usurpierst<br />
mich, bist obszön. Du mit deinem Fön, wenn du in<br />
die Badewanne fällst, gefällst du mir nicht<br />
sondern… Falls du gedacht hast, dass ich Rede und<br />
Antwort stehe, hast du dich getäuscht. Vielleicht<br />
46
hast du ausgepressten Orangensaft getrunken, mich<br />
jedenfalls hast du nicht erkannt. Verbrannt <strong>sind</strong> die<br />
Behinderten und niemand hat es verhindert. Ich hingegen<br />
kann mich dazu nicht äußern, weil es mir der<br />
Postbote verboten hat, <strong>als</strong> er das Buch zugeklappt<br />
hat und danach nicht mehr an mich gedacht hat. Sah<br />
er seinen Fehler? Oder begann er zu bereuen, dass<br />
sie heulen? Sie <strong>sind</strong> nicht die Euren, sondern die<br />
Meinigen, die mich peinigen und sich ohne meinen<br />
Willen vereinigen. Katzenjammer im Sommer. Nasenhaare<br />
werden abgefackelt, da fackelt der türkische<br />
Barbier nicht lange. <strong>Die</strong> gebratene Lunge gab<br />
es zum Frühstück mit Sellerie und Zwiebeln. Katzen<br />
umschlichen den Tisch und warteten, das etwas<br />
abfiel für sie, aber sie warteten vergebens, weil der<br />
Torsten alles fraß und für sie <strong>nichts</strong> übrig ließ. Denn<br />
er war ein gefräßiger Mensch, der nie etwas übrig<br />
ließ, sondern immer alles für sich behielt. <strong>Die</strong> Vielfalt<br />
der Arten wird nicht von ihm berücksichtigt. Er<br />
fraß immer nur seine gebratene Lunge und hatte nie<br />
Schulterschmerzen so wie ich, der hier schreiben<br />
muss. <strong>Die</strong> Gartenzwerge <strong>sind</strong> über Nacht mit dem<br />
Vorschlaghammer zertrümmert worden, alle. Nun<br />
ist der Garten ein Porzellanfriedhof, der nur noch<br />
von den Katzen umschlichen wird. Hier und da liegt<br />
auch ein Fuß herum, der milden Hornhautgeruch<br />
ausströmt. Und wieder landet Rotz in meinen Magen.<br />
Ich denke an Passbilder. Heute habe ich mich<br />
47
nicht rasiert. Morgen werde ich mich auch nicht rasieren.<br />
Dazu habe ich keine Zeit. Schließlich muss<br />
ich meinen unglaublichen Schreibrückstand aufholen.<br />
Polen ist offen. Frauen umschleichen meine<br />
Gedanken und versuchen zu schmeicheln. Sie verkaufe<br />
ich an den Scheich, der immer irgendwelcher<br />
Frauen bedarf, da er Muslim ist. Ich bin im Slum<br />
und sage nicht mehr Simsalabim. Ich wurde von der<br />
Langsamkeit entdeckt und krieche wie Plastikkleber<br />
über die Gedankenoberfläche ohne Sinn und ohne<br />
Ziel. Und heute nacht weiß ich auch nicht, wo ich<br />
morgen sein werde, weil ich niem<strong>als</strong> weiß, wo ich<br />
gestern gewesen bin. <strong>Die</strong> Stimmen werden lauter<br />
und ich höre sie nicht. Wir <strong>sind</strong> in eine Rennmaschine<br />
gestiegen und haben noch viele Treppenstufen<br />
aufwärts zu steigen. In meinem Kleiderschrank:<br />
Frauen, Kleider und Schuhe. Pustekuchen aus Gänseblümchen.<br />
Seht ihr nun, was ihr mit euren Denkpolizisten<br />
anrichten werdet? Also zieht sie ab, lasst<br />
sie gehen, nach Hause mit ihnen, ich brauch sie<br />
nicht, eure Denkpolizisten. Sie <strong>sind</strong> mir zuwider,<br />
diese Denkpolizisten. Wer gründete denn überhaupt<br />
die Denkpolizei? Wo ist die Hauptstation der Denkpolizei?<br />
Wo werde ich morgen sein? Warum Langeweile?<br />
Warum ist alles sinnlos? Warum wird<br />
morgen auch alles sinnlos sein? Wer isst Bananen<br />
und wo treibt sich der geselchte Popbub herum?<br />
Und warum machen meine Finger nicht, was ich<br />
48
will? Warum desertiert mein Körper? Wer ist denn<br />
eigentlich Herr meines Körpers? Ich bin es jedenfalls<br />
nicht. Mit meinem Körper habe ich <strong>nichts</strong> zu<br />
tun. Er tut nicht, was ich will, sondern er tut, was er<br />
will. Deswegen verachte ich ihn zutiefst. Ich werde<br />
ihn gleich wieder dafür schinden, dass er nicht tut,<br />
was ich will. Dann möchte ich mal sehen, was er<br />
dann tut, ob er dann nach der Schinderei endlich das<br />
tut, was ich will. Gleich jetzt will ich ihn schinden,<br />
wenn ich es endlich schaffe, meinen Körper von der<br />
Tastatur zu lösen. Noch kleben die Finger an der<br />
Tastatur, noch klebt mein Rücken am Stuhl.<br />
25. Ich bin kein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft.<br />
Ich bin ein Allergen. Ich werde alles tun,<br />
um den gesunden Gesellschaftskörper zu vernichten.<br />
Mein allergisches Leben werde ich einsetzen,<br />
um die Gesellschaft zu vernichten. Ich werde in den<br />
Gemeinschaften Entzündungsherde anfachen, damit<br />
diese gesellschaftsliebenden Menschen verbrennen<br />
und verkohlen. Gemeinschaft muss zerstört werden,<br />
die absolute Vereinzelung muss erreicht werden.<br />
Niemand hat das Recht, sich gut zu fühlen, wenn<br />
ich mich nicht gut fühle. Ich werde unter Einsatz<br />
meines Lebens dafür sorgen, dass sich niemand gut<br />
fühlt. Ich persönlich messe mir keinen Wert bei. Ich<br />
bin absolut wertlos. Deswegen bin ich bereit, mich<br />
total zu vernichten. Wenn ich ein paar andere mit<br />
49
mir ins Verderben stürzen kann, dann ist es gut.<br />
Sollte es nicht gelingen, dann ist mir das auch egal.<br />
Am wichtigsten ist mir selbstverständlich meine eigene<br />
Vernichtung. Vielen Leuten um mich herum<br />
ist aufgefallen, dass ich stinke. <strong>Die</strong>s rührt daher,<br />
dass ich mich nicht wasche. Warum sollte ich mich<br />
auch waschen und gesellschaftsfähig werden, wo<br />
ich doch die Gesellschaft hasse. Sympathie und Zuneigung<br />
finde ich zum Kotzen. Das Schlimmste was<br />
mir passieren kann, ist ein Mensch, der sich für<br />
mich interessiert. Das werde ich denen schon<br />
gründlich austreiben. Darüber hinaus kann ich es<br />
nicht leiden, wenn andere Menschen sich leiden<br />
können. Da möchte ich glatt einen von den beiden<br />
Sich–leiden–Könnenden erschießen, wenn nicht<br />
real, dann wenigstens verbal. Ich bin der Hass, ich<br />
bestehe nur noch aus Hass und werde jeden Tag<br />
noch mehr Hass. Ich bin das schwarze Loch unter<br />
den Menschen, das jeden Tag kleiner und schwerer<br />
wird. Ich sauge alle Seelen um mich herum auf, die<br />
mir nicht entkommen können. Das ist mir ein wahres<br />
Vergnügen! Den <strong>anderen</strong> ins Verderben reißen.<br />
Und viele <strong>sind</strong> mir schon zu Opfer gefallen, und es<br />
werden täglich mehr. Ich bin der Typ, der in seinem<br />
Vernichtungswahn beiläufig eine Apfel–Kirsch–<br />
Schorle trinken kann. Ich bin der große Pupser von<br />
Gößweinstein, der Maulheld, der keines seiner negativen<br />
Versprechen jem<strong>als</strong> gehalten hat noch hal-<br />
50
ten wird. Ich bin der kranke Krüppel von nebenan,<br />
der nicht einmal seinen Vernichtungswahn in die<br />
Tat umsetzen kann. Und mein Mund ist trocken. In<br />
Trachtenhöfstetten werden Dächer gedeckt. Und ich<br />
weiß auch nicht mehr <strong>weiter</strong>. Ich habe mich in mir<br />
selber verirrt und finde nicht mehr hinaus. Ich bin in<br />
den Höhlen des Unterbewusstseins abgestürzt und<br />
habe mir dabei einen Knöchel gebrochen und darüber<br />
hinaus meine Taschenlampe verloren. Dement<br />
und besinnungslos starren sich die einzelnen Wörter<br />
an und wissen nicht, was sie miteinander zu tun haben.<br />
Jedes Wort steht für sich isoliert da und kennt<br />
den Begriff der Gemeinschaft nicht. Es ist das zerfallende<br />
Abendland meines Kopfes, das in Schriftform<br />
hier vorliegt. Es ist das Geistesprodukt eines<br />
mild Wahnsinnigen, der von allen verachtet wird,<br />
die ihn sehen. Es ist Schwachsinn. Es ist <strong>nichts</strong>, es<br />
ist, was es ist, sprach die Liebe, die ich nicht bin<br />
und auch nie sein werde, weil ich der Hass bin und<br />
niemand anders. Und der Hass kennt keine Gemeinschaft<br />
sondern nur die Isolation. Alle Wörter <strong>sind</strong><br />
mit Isolierband umwickelt, weil sie wund <strong>sind</strong> und<br />
weil eben ihre Wunden luftdicht abgedichtet werden<br />
müssen, damit sie sich nicht entzünden. Manche<br />
Leute <strong>sind</strong> nicht zuckerkrank, obwohl sie es<br />
gerne wären. Sie gehen zum Arzt und haben dieses<br />
kleine Erfolgserlebnis, dass sie diese eine Krankheit<br />
nicht haben, die sie gar nicht haben können. Dann<br />
51
denken sich diese zutiefst kranken Menschen: Da<br />
ich nicht zuckerkrank bin, bin ich völlig gesund.<br />
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich heute<br />
beim Mittagessen an dem Reiskorn erstickt wäre.<br />
Es waren die Körperreflexe, mit denen ich <strong>nichts</strong> zu<br />
tun habe, die meine durch diesen fremden Körper<br />
bedingte Geistesexistenz gerettet haben. Tabellenarmbanduhren<br />
und Huren auf dem Tablett, die Tapete<br />
von den Wänden abkratzen mit ihren rot lackierten<br />
Fingernägel, die sie immer pflegen, weil<br />
sie das auch bitter nötig haben wegen des guten<br />
Eindrucks, den sie immer auf fremde Männer machen<br />
müssen. Ich muss nie auf irgendjemanden<br />
einen guten Eindruck machen, weil ich hoffnungslos<br />
verloren bin im Wahn, der mich schon seit Jahren<br />
befallen hat, so wie manche Füße schon seit<br />
Jahren von Fußpilz befallen <strong>sind</strong>.<br />
26. Entweder ist mein Muskeltonus zu hoch oder er<br />
ist zu niedrig. Ein Mittelmaß kennen meine Muskeln<br />
nicht. Ich weiß auch nicht, warum. Was habe<br />
ich schon mit diesem Körper zu schaffen, den ich<br />
niem<strong>als</strong> haben wollte, der mir vielmehr völlig unfreiwillig<br />
wie eine Zwangsjacke angelegt worden<br />
ist. Mein Denken wäre auch viel klarer, wenn ich<br />
diesen vermaledeiten Körper nicht hätte. Vergeblich<br />
versuche ich ihn täglich zu schwächen, was mir allerdings<br />
nicht gelingt. Ich weiß auch nicht, warum.<br />
52
Ich bin in diesem Körper <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ein Omega–Affe,<br />
welcher von allen <strong>anderen</strong> Affen schon<br />
völlig zerhackt und zertreten worden ist. Knieprobleme<br />
habe ich nicht und zuckerkrank bin ich auch<br />
nicht. Viel zu gesund ist dieser Körper, mit dem ich<br />
zu tun habe. <strong>Die</strong>ser Körper erdrückt mich regelrecht.<br />
Ein großer Trinker bin ich. Der Alkohol fließt<br />
in mich hinein, so wie Abwasser in die Kläranlage<br />
hineinfließt. <strong>Die</strong> Leber säubert alles und heraus<br />
kommt reiner gelber Urin, den Katrin nicht trinken<br />
wollte. Wie sie überhaupt nicht mit Karten spielt<br />
und sich ständig gegen alles verweigert und verschließt<br />
wie eine Muschel, die ihre Perle nicht hergeben<br />
will. Dill und Schnittlauch im Gummischlauch<br />
brauche ich nicht, wenn ich tauche in<br />
der Jauche. Kaugummi gibt es zum Nachtisch, damit<br />
die Zähne auch etwas zu tun haben. Am Abend<br />
des Lebens denkt man noch einmal gründlich über<br />
alles nach, was man getan hat, denn man kann ja<br />
<strong>nichts</strong> mehr anderes tun außer Denken, weil man<br />
von den Leuten gemieden wird, weil man so alt und<br />
krank ist. Abartig alt und abartig krank. Wer nicht<br />
arbeitet, hat kein Recht auf Leben. Deswegen werden<br />
die Alten gemieden, sofern sie nicht arbeiten.<br />
Deswegen arbeiten ja auch so viele Alte im Garten,<br />
damit sie sich dadurch ihr Lebensrecht erhalten<br />
können. Hingenommen wird es, wenn die Schulter<br />
schmerzt oder das Knie, sofern man nur arbeiten<br />
53
kann. Ohne Arbeit gibt es kein Menschsein. Alles<br />
andere ist Lüge. Wer nicht für die und wer nicht in<br />
der Gesellschaft arbeitet, ist kein Mensch und hat<br />
deswegen keine Lebensrechte. Denkpolizisten haben<br />
nun dafür gesorgt, dass ich meine E–Mails<br />
nicht abrufen kann. Sie tun alles, um mein Werk zu<br />
zerstören. Es <strong>sind</strong> Hundertschaften angestellt, die<br />
nur den einen Zweck haben, nämlich mich zu beobachten.<br />
Ganze Agenturen und Büros wurden nur zu<br />
dem Zweck gegründet, um mich auszuspitzeln. Hinter<br />
jeder Ecke lauert ein Agent mit einem spitzen,<br />
schwarzen Hut und bespitzelt mich. Sie spitzeln<br />
mich zu Tode, sie treiben mich in den Wahnsinn.<br />
So sieht es aus. Und dabei bin ich <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong><br />
ein hühnerfrikaseeessender Volltrottel, der kein Lebensrecht<br />
hat, weil er nicht arbeitet. Warum kümmern<br />
die sich auch um jemanden, der nicht einmal<br />
ein Lebensrecht hat? <strong>Die</strong>se Spitzel werden mich<br />
noch ins Grab bringen. Es wird langsam dunkel und<br />
kalt, der Herbst ist angebrochen und ich sterbe bald.<br />
Es kann sich nur noch um Jahrzehnte handeln, und<br />
was ist das schon? Ein Jahrzehnt vergeht so schnell<br />
wie eine Buchseite. <strong>Die</strong> Demenz grinst mich schon<br />
aus allen Ecken an und ich weiß schon längst nicht<br />
mehr, was ich überhaupt will. Mein Willenszentrum<br />
ist schon längst zerflossen in dem Säurebad der<br />
Weltkritik, die über mich gekippt wurde. Überall<br />
bohren sie Löcher in meinen Kopf, um mir ihre<br />
54
Säure eintrichtern zu können, die mir mein Willenszentrum<br />
zerfressen soll. Auch der Judas ist ein<br />
Denkpolizist. Gerade eben hat er es zugegeben in<br />
einer öffentlichen Unverschämtheit, die ihresgleichen<br />
sucht. Tauben gurren auf meinem Dach und<br />
der Hund knurrt aus dem Kamin. Den ganzen Tag<br />
wird die Öffentlichkeit belogen: Man verspricht ihnen,<br />
dass sie in Dubai fortgebildet werden, damit<br />
sie willig ihren stupiden <strong>Die</strong>nst versehen. <strong>Die</strong><br />
Wahrheit ist, dass niemand in Dubai fortgebildet<br />
wird. Wohl dem, der das erkennt! Kartenteufel <strong>sind</strong><br />
sie und Magengeschwüre haben sie und keine<br />
Freunde, weil sie spinnen. Wir gewinnen die Wahl,<br />
sagen sie immer, und verlieren sie doch. Kostensenkung<br />
ist auch ein Wort, das hier nicht fehlen darf.<br />
Und er sitzt garantiert im Garten und liest. Und was<br />
ich noch sagen wollte: Der Torsten spinnt; er kauft<br />
sich gebrauchte Drucker, um sie zerstören zu können.<br />
Das ist so ein Zerstörungswahn. Immer schlägt<br />
er mit dem Hammer auf diese gebrauchten Drucker<br />
ein, die er doch für teures Geld erstanden hat. Geld<br />
verschwenden will er schon. Dafür wechselt er seine<br />
Unterhosen täglich.<br />
27. Ein unsinniger Drang zum Scheißen belästigt<br />
mich. Gerade eben fand eine große Fusion statt zwischen<br />
zwei Textteilen. Sie <strong>sind</strong> zusammengeprallt<br />
wie zwei Erdplatten. In meinem Kopf folgerichtig<br />
55
ein großes Erdbeben, das meine gesamte Gedankenwelt<br />
erschüttert. Menschen, die nicht mediteran<br />
<strong>sind</strong>, gehören abgeschafft. Nichts schlimmer <strong>als</strong><br />
diese weißhäutigen, zu Krebserkrankung neigenden<br />
Mitteleuropäer. Ein absolutes Novum stellt der Popbub<br />
dar. Der Popbub wird in Salz eingelegt, damit<br />
er haltbarer wird. Schließlich muss er für die<br />
Menschheit stets zur Verfügung stehen. Denn wenn<br />
wir schon unser Leben nicht im Griff haben, dann<br />
doch wenigstens der Popbub. Wer körperlich leidet,<br />
kann nicht geisteskrank sein. Deswegen saß ich<br />
auch schon wie das Leiden Christi im Auto, wie<br />
mein Fahrlehrer meinte. Total schief und verdreht<br />
vor und um das Steuer gewickelt, und da meinte er:<br />
Du hockst ja da wie das Leiden Christi, so kann das<br />
<strong>nichts</strong> werden. Dabei hatte ich nur körperliche Probleme,<br />
die ich immer noch habe. Meine Fingernägel<br />
<strong>sind</strong> ruiniert. Ich kann an den vielen Rillen erkennen,<br />
dass ich herzkrank bin. Alle, die Fingernagelrillen<br />
haben, <strong>sind</strong> herzkrank, je mehr desto schlimmer.<br />
Auch der Doktor ist dieser Meinung. Ich sitze<br />
hier und langweile mich. Das Mittagstief liegt über<br />
mir und erzeugt eine kaltkranke Atmosphäre, über<br />
die auch meine Neologismen nicht hinwegtäuschen<br />
können. Es wird Zeit, dass ich auf meine dumme<br />
Reimerei zu sprechen komme, die sich zuweilen in<br />
diesem Opus bemerkbar macht. Es ist der Zwang<br />
zum Reimen, wie ihn Schizophrene gerne haben.<br />
56
Daran laben sie sich gerne. Von ferne mag dich das<br />
nicht interessieren, weil du mich nicht verstehst, so<br />
wie ich mich nicht verstehe. Alles nur eine große<br />
Verständnislosigkeit und zwanghafte Finger, die in<br />
ihrem Spasmus den größten Unsinn produzieren.<br />
<strong>Die</strong> Frau ist die Zierde des Mannes. Der Autor ist<br />
die Zierde der Kloschüssel. Und ich bin der Hirte<br />
der Ziegenherde und vermittele Werte an alle Leute<br />
und ich häute die Ziegen, die hinter dem Herd stehen<br />
und tun, was nicht erlaubt ist. Ich bin nicht bei<br />
mir selbst, ich weiß nicht, wo ich bin. Darüber habe<br />
ich ja schon geschrieben. Was ich habe, ist ein<br />
Schreibzwang. Eine Bewerbungsstrategie habe ich<br />
nicht. Ich bin krank, was sonst? Im Wesentlichen<br />
wird unser Denken von der Hitze bestimmt: Ohne<br />
Hitze ist kein Denken möglich. Da es gerade eben<br />
nicht heiß ist – wie kann es auch im Winter heiß<br />
sein? –, kann ich auch nicht denken, wie jeder sofort<br />
schon bemerkt hat. Ich bin <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ein<br />
Afterdenker der ganz üblen Sorte. Geteert und gefedert<br />
gehöre ich. Aber wer glaubt mir schon. Mein<br />
Gesicht ist von meinem Ernst schon halb zerfressen,<br />
meine Mundwinkel zeigen nach unten, sowie mein<br />
Schwanz nach unten zeigt. Auch mein Denken zeigt<br />
nach unten: Es ist genauso wenig erregt wie mein<br />
Schwanz. Ich bin mit mir allein gelassen. <strong>Die</strong> Frauen<br />
machen einen weiten Bogen um mich herum, ich<br />
weiß nicht zu flirten, ich werde in der weiblichen<br />
57
Welt nur <strong>als</strong> Monstrum wahrgenommen. Fünf Finger<br />
an einer Hand habe ich nicht sondern nur drei.<br />
Mehr Finger kann ich jedenfalls nicht wahrnehmen.<br />
Manchmal nehme ich auch meine ganze Hand nicht<br />
wahr. Dann rede ich von der linken Armhand beziehungsweise<br />
von der rechten Armhand. Wenn ich<br />
meine Gliedmaßen nicht wahrnehmen kann, dann<br />
rede ich von der Körpermasse, die mich umgibt. Oft<br />
nehme ich aber auch meinen gesamten Körper nicht<br />
wahr. Dann rede ich von der Weltmaterie, mit der<br />
ich persönlich <strong>nichts</strong> zu schaffen habe. Das absolute<br />
Ich bin ich. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong> Ichs <strong>sind</strong> alle an einen Körper<br />
gebunden. Ich bin nicht an einem Körper gebunden<br />
wie die <strong>anderen</strong>. Ich bin losgelöst von<br />
Raum und Zeit, habe mit beidem <strong>nichts</strong> zu schaffen.<br />
<strong>Die</strong> Dimensionen <strong>sind</strong> etwas für Kleingeister, mit<br />
denen ich <strong>nichts</strong> zu schaffen habe. Ich erschaffe mir<br />
meine eigenen Dimensionen nach meinem Gusto,<br />
der nicht der Gusto der Welt ist. Einen <strong>anderen</strong> Geschmack<br />
habe ich <strong>als</strong> die Welt. Ich habe keinen<br />
Weltgeschmack, ich habe meinen persönlichen Geschmack.<br />
Sollen die doch ihre abgeschmackte Suppe<br />
auslöffeln. Sollen die doch ihre Schleimbeutelsuppe<br />
auslöffeln. Sollen sie doch die Suppe auslöffeln,<br />
die sie sich eingebrockt haben. Habe ich doch<br />
genug mit meinem Computer zu kämpfen der periodisch<br />
herumpustet. Der Computer steht mir<br />
schließlich näher <strong>als</strong> die Körpermasse, die mich<br />
58
umgibt. Von Bescheidenheit halte ich <strong>nichts</strong>. Deswegen<br />
verrate ich hier nach achtzehn Seiten, dass<br />
ich Gott bin. Aber ich möchte den Leser dazu anhalten,<br />
es niemandem <strong>weiter</strong>zusagen. Das fände ich<br />
nämlich gemein, geradezu widerwärtig, mich auf so<br />
schmähliche Weise zu verraten, womöglich an einem<br />
Psychiater, der, da er nicht für Gott emfänglich<br />
ist, mich gar nicht erkennen kann. Ich rauche übrigens<br />
nicht, wie es so viele andere Leute tun. Ich bin<br />
vorbildlich. Der Staat freut sich meiner. Gestern<br />
war eine Winterwespe in meinem Zimmer, die in<br />
Wirklichkeit eine Sommerwespe war. Sie hat mein<br />
Zimmer wieder verlassen.<br />
28. Ich habe eine Skoliose. Mal sehen, was die<br />
Bandscheiben in zehn Jahren tun werden. Sie werden<br />
mich wahrscheinlich verraten und verleumden.<br />
<strong>Die</strong>se Bandscheiben werden sich <strong>als</strong> Dissidenten erweisen,<br />
<strong>als</strong> hundsgemeine Überläufer. Mein Geist<br />
gewährt ihnen kostenlose Wohnstatt, aber trotzdem<br />
ist zu befürchten, dass sie überlaufen werden zur<br />
Materie. Gerne hätte ich meine Bandscheiben vergeistigt.<br />
Meine Schuppen habe ich bereits vergeistigen<br />
können. Auch meine Zehnägel <strong>sind</strong> Geist. Mein<br />
Bart ist Geist. Meine Fußhornhaut ist Geist. Der<br />
Rest ist immer noch Materie. Aber ich werde nicht<br />
aufhören zu meditieren. <strong>Die</strong> ganze materielle Welt<br />
werde ich durch meine Meditation in Geist umwan-<br />
59
deln. <strong>Die</strong>ses Werk, das ich schreibe, ist ja das Weltbuch,<br />
in dem alles geschrieben steht, was geschehen<br />
ist und gerade geschieht und in Zukunft geschehen<br />
wird. Es ist das Weltbuch und das Weltwerk. Es ist<br />
mein Gehirn, das ich hier schriftlich fixiere. Nur der<br />
Narr wird sagen, so einer wie ich sei übergeschnappt.<br />
Wer weise ist, wird mir glauben und sich<br />
anschicken, mein Gehirn zu studieren. Dann wird<br />
auch er, der er ja der dumme Leser ist, noch etwas<br />
dazu lernen können. Ich bin Morgen und ganz gewiss<br />
an jedem neuen Tag. Ich bin Mohammed und<br />
du bist mein Prophet. Allah hasst alle, die Alkohol<br />
trinken. Schreib es auf und sag es der Welt. So saß<br />
er hinter dem Ofen, es war die Ziege, die tat, was<br />
nicht erlaubt war. Mein Kopf ist leicht und leer und<br />
schwebt zur Decke und ich erschrecke und denke<br />
unter der Decke und hoffe, dass ich niemanden aufwecke.<br />
Und ich denke und danke dem lieben Gott<br />
für meine blasphemischen Gedanken. Ein Schädlichredner<br />
bin ich, der die Schädeldecken durchbricht,<br />
um so sein Gedankengut in fremde Köpfe zu<br />
verfrachten. Sag du mir, wer du bist, und ich sage<br />
dir, wo du pisst. Sag ich mir, wo ich nässe, sagst du<br />
mir, was ist die Presse? Gestern kam mir in den<br />
Sinn, was mir heute in den Sinn kam, was mir jeden<br />
Tag in den Sinn kam, nämlich dass mein Leben<br />
bald vorüber sein wird und völlig sinnlos war. Dement<br />
bin ich heute schon in meinen jungen Jahren.<br />
60
Zu sagen habe ich <strong>nichts</strong> Neues, und das schon seit<br />
Jahren. Mein Leben ist alt und verbraucht. Da gibt<br />
es <strong>nichts</strong> mehr Neues sondern nur Altes, was mich<br />
und meine Umwelt langweilt. Nicht langweilig ist<br />
mein Hunger, weil er etwas ist, das eine solche Eigenschaft<br />
gar nicht haben kann. Der langweilige<br />
Hunger ist absurd, sowie die hungrige Langeweile<br />
absurd ist. <strong>Die</strong> Frist ist abgelaufen, so wie die Buttermilch<br />
abgelaufen ist. <strong>Die</strong> Frist ist nunmehr ungenießbar,<br />
so wie die Buttermilch nicht mehr genießbar<br />
ist. Meine Finger proben den Aufstand. Ich aber<br />
zerschlage diese Probe mit meinem eisernen Willen.<br />
Mein Wille ist rostfrei. Mein Wille ist Stahl.<br />
Hart wie Kruppeisen, schnell wie Bluthunde, zäh<br />
wie Leder. Ich versteh mich nicht mehr. Bin ich<br />
überhaupt zu verstehen? Ist Verstehen am Ende etwas<br />
sehr Gefährliches? Im Verstehen lauert die Gefahr<br />
und der Tod. Sinn des Lebens ist es, <strong>nichts</strong> zu<br />
verstehen. Deswegen schreibe ich. Mein Ziel ist es,<br />
den Leser an einen Punkt zu bringen, an dem er<br />
<strong>nichts</strong> mehr versteht. Ich bin <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> der Leser;<br />
das wird er sicherlich schon bemerkt haben. <strong>Die</strong><br />
wenigen todesmutigen Leser, die es bis hierher geschafft<br />
haben, verstehen zu viel. <strong>Die</strong> ganze Weltbevölkerung<br />
hat so einen Zwang zum Verstehen, wo<br />
es doch <strong>nichts</strong> zu verstehen gibt. Ich will ihr ein<br />
Lehrer der Verständnislosigkeit sein. Ich will sie<br />
lehren, dass es <strong>nichts</strong> zu verstehen gibt. Das bezwe-<br />
61
cke ich mit meinem Text, das ist der Grund, warum<br />
ich schreibe. Hat der Leser erst einmal tausend Seiten<br />
gelesen, wird er gar <strong>nichts</strong> mehr verstehen, denn<br />
der Text starrt vor Unsinn. Im Hintergrund gibt sich<br />
Unterzuckerungskopfweh ein Stelldichein mit Sehnenschmerzen.<br />
Wo <strong>sind</strong> die Kerzen, die für den Toten<br />
brennen? Eine Kerze ist verloschen und sie verlischt<br />
immer wieder. <strong>Die</strong>ser Tote möchte keine zwei<br />
Kerzen neben seinem Haupt brennen lassen, er begnügt<br />
sich mit einer. Des Toten Gesicht sieht aus<br />
wie das Gesicht eines Toten. Ein Gehirn, das auf<br />
dem Asphalt liegt, denkt anders, <strong>als</strong> ein Gehirn, das<br />
im Schädel liegt. Polymere, Gedankenstrukturen.<br />
Kerzengerade saß er in seinem Stuhl und lauscht<br />
dem Professor, der <strong>nichts</strong> zu sagen hat. Zur Krönung<br />
des Tages werde ich den Titel dieses Werkes<br />
löschen. <strong>Die</strong>ses Werk wird keinen Titel haben, es<br />
wird namenslos bleiben. Zur Strafe werde ich auch<br />
keine tausend Seiten schreiben. Ich werde viel<br />
schreiben, aber keine tausend Seiten. Der Leser soll<br />
nicht wissen, wann es… Völlig orientierungslos soll<br />
er sein, der Leser. Eine Orientierung gönne ich ihm<br />
nicht – wozu auch? Kann ich mich nicht orientieren,<br />
braucht er sich auch nicht orientieren zu können.<br />
Ich gönne dem Leser <strong>nichts</strong>, der, wenn er<br />
weiblich ist, <strong>nichts</strong> anderes ist <strong>als</strong> eine Hure, der<br />
man in die Fotze gebrunst hat. Mein Durst ist groß.<br />
Mein Blutdurst lässt sich nicht stillen. Das frische<br />
62
Blut einer Frau möchte ich trinken. <strong>Die</strong> ganze Frau<br />
möchte ich austrinken in einem Zug. Gott sei Dank<br />
haben Frauen weniger Blut <strong>als</strong> Männer, sonst würde<br />
man ob des vielen Bluts noch einen Kalorienschock<br />
bekommen. Man müsste wissen, wie viel Kalorien<br />
ein Liter Frauenblut hat. Dann könnte man nachrechnen,<br />
ob eine ausgetrunkene Frau den Tagesbedarf<br />
überschreitet oder nicht. Ich bin ein Ungeheuer.<br />
Ich bin der Sohn des Teufels. Auch der Teufel<br />
hat Söhne, nicht nur Gott. Warum sollte es auch das<br />
alleinige Privileg Gottes sein, Söhne zu haben? Völlig<br />
absurd. Brutus war der Mörder Caesars, ich bin<br />
der Mörder der Weltseele. Ich habe sie geschlachtet<br />
und ausgeweidet, wie kein Z<strong>weiter</strong> die Weltseele<br />
geschlachtet und ausgeweidet hat. Ich bin, der da<br />
nicht kommen sollte, nicht kommen darf und nicht<br />
kommen kann. Ich bin der Alptraum einer jeden<br />
Schwiegermutter, ich bin derjenige der nicht existiert,<br />
aber trotzdem da ist. Ich habe Kopfschmerzen.<br />
29. Der Computer tyrannisiert mich. Manchmal frage<br />
ich mich, ob ich Aziz Bulut bin. Ich könnte es<br />
sein. Rein theoretisch. Oder vielleicht bin ich Bulos<br />
Charb. Auch das ist möglich. Alles ist möglich. Es<br />
ist auch möglich, dass ich mich irre. Ich möchte<br />
diese Möglichkeit ganz bewusst nicht ausschließen.<br />
Man muss ja heute schließlich mit allem rechnen.<br />
Der Kaffee im Verbund mit dem Gebäck schmeckt<br />
63
nach Hähnchen. Aziz Bulut begleitet mich schon<br />
mein ganzes Leben lang, und er wird mich wohl nie<br />
verlassen. Er ist mein Alter Ego, so wie du eigentlich<br />
auch nur mein zweites Ich bist, auch wenn du<br />
es noch nicht weißt und diese Tatsache vehement<br />
abstreitest. Du denkst, du seist eine Persönlichkeit,<br />
die sich von meiner Persönlichkeit abgrenzen lässt,<br />
aber da täuscht du dich. Ich bin du und dich gibt es<br />
nicht. Es gibt nur mich. Ich bin es gewesen, der sich<br />
einige tausend Dus um sich herum aufgestellt hat<br />
zur eigenen Belustigung. Auch du bist nur ein Du,<br />
das ich mir zur eigenen Belustigung aufgestellt habe.<br />
Du bist ein von mir aufgestelltes Du. Du aufgestelltest<br />
Du, du! Heiter bis wolkig geht es in der<br />
atomaren Welt zu. Ich warte auf die amerikanischen<br />
Raketen, die bis heute nicht in Nürnberg eingeschlagen<br />
<strong>sind</strong>. Wo <strong>sind</strong> sie? Alles nur leere Versprechungen?<br />
Wo bleibt der atomare Gegenschlag?<br />
In Wahrheit gibt es gar keine atomaren Sprengköpfe.<br />
Alles nur Lüge! Amigo, mein Kreuz tut weh. Ich<br />
werde mich wohl umbringen, weil ich mich so<br />
schlecht fühle. Ich werde die Weltherrschaft antreten<br />
und in die Jauchegrube fallen. <strong>Die</strong> Gruppendynamik<br />
hat noch jedes echte Genie zerstört. Ich währe<br />
ewig. Gott ist ein Geschöpf, das ich erschaffen<br />
habe. Ich werde zu Staub zerfallen. Ich bin Dreck<br />
und Abfall und werde die Welt beherrschen. Ich<br />
hasse die Welt und die Welt liebt mich. Ich bin Gott<br />
64
und du bist tot. Ich bin der Tod und du bleibst an<br />
mir kleben. Du wirst mir nicht mehr entrinnen, es<br />
ist zu spät. Du kommst nicht mehr heraus aus diesem<br />
Irrgarten, ich habe dich gefangen. Versuche zu<br />
fliehen, aber du wirst es nicht schaffen. Staub umhüllt<br />
deine Existenz. Zu Staub zerfällst du. An sich<br />
habe nur ich recht. Mich quälen meine Minderwertigkeitskomplexe,<br />
ich komme mir so machtlos vor,<br />
weil ich dein Gott bin. Amen.<br />
30. Wir wollen Gemeinschaft haben mit den<br />
Schweinen und uns mit ihnen atomar vereinigen.<br />
Keine Schweinigeleien bitteschön und auch keine<br />
Schweinehunde, nein: Menschenschweine wollen<br />
wir erschaffen im Schlaraffenland und alle Halbaffen<br />
und Laffen auspeitschen. Wir <strong>sind</strong> Gott und du<br />
bist Jesus. Ich bin vier und du bist drei. Wir alle<br />
<strong>sind</strong> zwei und morgen ist eins. Miriams Zehnagel<br />
ist krank; sie hat Zehnagelkrebs. Der Fehlerteufel<br />
frisst sich voll. Ich habe drei Fehler in meinem<br />
Werk entdeckt. Damit kann ich nicht leben. Es<br />
macht mich krank. Ich frage Frank. Und der trank<br />
sich krank. Er wird Kinder hinterlassen und eine<br />
Frau, die ihm die Kinder gezeugt hatte. <strong>Die</strong> Zigarette<br />
war sein Laster, die ihm sein Leben gekostet hatte.<br />
So geht es im Leben. Laster <strong>sind</strong> nicht gestattet,<br />
sie führen immer zum Tode. Ich bin das Kreuz der<br />
Welt! Tragt es. Schummeln gilt nicht. Niemand<br />
65
wird sich an mir, dem Weltenrichter, vorbeimogeln.<br />
Das geht nicht. Denn ich bin das Kreuz der Welt,<br />
das jeden Übeltäter riecht, sei er mir auch noch so<br />
ferne. Ich bin die Wahrheit und ich bin das Blut. Ich<br />
bin der Vogel und ich bin der Hut. Ich bin die Birne,<br />
die dich abreißen wird. In Schutt und Asche zerschlage<br />
ich dich und hinterlasse einen Trümmerhaufen,<br />
den du schon oft in deinen Träumen gesehen<br />
hast. Ich lasse dir keine Ruhe, bis du tot bist. Getrieben<br />
sollst du sein durch das Leben und Wadenkrämpfe<br />
sollst du haben. Deine Füße sollst du nicht<br />
still kriegen, immerfort sollst du sie bewegen, auch<br />
in der Nacht, wenn du schlafen willst. Vergiss es<br />
nicht: Ich bin die Birne. Ich frage dich hier ganz offen:<br />
Wie steht es mit deiner Bekehrung? Hast du<br />
dich bekehrt? Zu mir, dem richtigen Gott? Oder<br />
glaubst du immer noch an den Aftergott, der von<br />
mir produziert wurde, mir dann aber abtrünnig wurde.<br />
Verflucht sei dieser Aftergott! Glaub an mich,<br />
denn ich kann dir nicht helfen. Ich werde dich vernichten<br />
mit all meiner Kraft. Ein Angebot, das du<br />
dir nicht entgehen lassen solltest. Schmeiß sie nicht<br />
weg, die Perle des Glaubens! Denn ich werde sie dir<br />
aus jedem Misthaufen ausgraben und sie dich essen<br />
lassen. Ich hasse dich und werde nicht aufhören<br />
dich zu hassen. Ich habe dich je und je gehasst. Du<br />
bist mein gehasster Sohn. Ich werde dich schlachten<br />
lassen, weil du zu mir zurückgekommen bist. Riech<br />
66
an meine Füße! Ein Wohlgeruch vor dem HErrn.<br />
Ich bin nicht zimperlich, wenn es um die Wahrheit<br />
geht. Wer sie verdreht, den verdrehe ich. Ich bin gut<br />
und du bist schlecht. Du bist alles, ich bin <strong>nichts</strong>.<br />
Ich bin die Lüge und du bist die Rübe. Ich halt die<br />
Klappe und du hälst die Pappe. Roggenfelder wandern<br />
stramm den Fluss entlang. <strong>Die</strong> Nüchternen erschlagen<br />
sie mit ihren Ähren, die Trunkenen beglücken<br />
sie mit Lysergsäure, wenn’s denn möglich<br />
ist. Solange dauert es gar nicht, bis ich tot bin. Blättere<br />
ich ein paar Seiten um, dann ist das Buch bereits<br />
ausgelesen. Und wie ein Buch werde ich fortgelegt<br />
werden von Gott. Dann mag der Teufel darin<br />
schmökern. Weihnachten steht vor der Tür, vieles<br />
andere steht vor der Tür: Schuhe, Abfall, Dreck.<br />
Meine Beine tun weh. Meine rechte Augenhaut<br />
ebenfalls. Auch meine Handgelenke <strong>sind</strong> überstrapaziert<br />
und die Wirbelsäule spüre ich überdeutlich.<br />
<strong>Die</strong> ganze Körpermasse um mich herum ist ein einziger<br />
Krampf.<br />
31. Der heutige Kaffee hat mir überhaupt nicht geschmeckt.<br />
Nichts schmeckt mir schon seit Jahren.<br />
<strong>Die</strong> ganze Welt ist geschmacklos, ich selbst bin geschmacklos.<br />
Wann werde ich endlich von der Natur<br />
entsorgt? Ich schaue mich an und sehe <strong>nichts</strong>. Gift<br />
gibt es für mich nicht. Tote leben länger. Fortan behandele<br />
ich jeden einzelnen Leser wie zwei Leser.<br />
67
Das verdoppelt meine Leserschaft auf einen Schlag.<br />
Vor über zwanzig Jahren habe ich einen Blick auf<br />
meinen Fahrradtacho geworfen. Es ging bergab. <strong>Die</strong><br />
Zahl war groß, die Bremsen schwach. Ich lag im<br />
Gras wie ein Osterei. Mein Großvater fand mich<br />
trotzdem. Irgendwann werden alle Batterien leer<br />
sein. Wenn das geschehen wird, dauert’s nicht mehr<br />
lange, dass der HErr wieder kommt. Wer Ohren hat,<br />
der höre, und wer Augen hat, der... Gestern hatten<br />
viele Menschen Geburtstag. Ich nicht. Ich habe nie<br />
Geburtstag. Nur diejenigen, die ins Licht der Welt<br />
getreten <strong>sind</strong>, können Geburtstag haben. Ich bin<br />
niem<strong>als</strong> ins Licht der Welt getreten. Ich hatte mir<br />
nämlich einen Fehltritt erlaubt. Und das war prompt<br />
mein letzter Tritt, weil dieser Fehltritt war ein Tritt<br />
ins Leere, ins absolut Dunkele, in den Abyssos sozusagen.<br />
Ich bin wahnsinnig. Man hat mich im<br />
Krankenhaus liegen lassen im Abfalleimer. Denn<br />
ich lebe nicht in Dentlein am Forst. Ich lebe im und<br />
aus dem Abfalleimer. Ich bin ein Kübel. Ich bin der<br />
Kübel, in den man mich geschmissen hat samt den<br />
Gebissen der ganzen Toten, die der Gebisse nicht<br />
mehr bedürfen. Alte Leute haben keine Wissensgebiete.<br />
Sie haben nur Wissen um ihre Gebisse. Für<br />
mich ist <strong>nichts</strong> mehr neu. <strong>Die</strong> ganze Welt ist für<br />
mich alt. Alles habe ich schon einmal gesehen.<br />
Nichts habe ich noch nie gesehen. Selbst Gott habe<br />
ich schon mal gesehen. Auf jedem Planeten dieses<br />
68
Universums war ich schon. Von einer geradezu aggressiven<br />
Lernsucht bin ich befallen. Zerfressen<br />
werde ich von dieser Lernsucht wie ein Hühnerknochen<br />
in einem Säurebad. Heute wurde Gericht über<br />
mich gehalten und das Urteil gefällt: Schuldig bin<br />
ich, sagt man. Zum Tode müsse man mich verurteilen,<br />
sagt man. Was soll ich dazu sagen? Der Rechner<br />
pustet periodisch. Er ist krank, er hat eine Prozessorbeutelentzündung;<br />
auch seine Lungenwege<br />
<strong>sind</strong> infiziert. In der größten Hitzen fallen aus Frauenkleidern<br />
Brüste heraus, wenn Frauen sich bücken.<br />
Ihre Brüste baumeln an Stricken dem Betrachter<br />
entgegen. Im Winter herrscht eine züchtige Kälte.<br />
Nichts gibt es zu sehen, <strong>nichts</strong> gibt es zu spüren.<br />
Nichts rührt sich unten beim Mann. Nur im Sommer<br />
vermag es den Mann beindrucken, wenn Frauen<br />
sich räkeln. Im Zug räkeln sich ja die Frauen im<br />
Sommer beständig, wobei ihnen gelegentlich Brüste<br />
aus ihren Kleidern herausfallen. Mein Computer<br />
verfügt nur über eine kleine Leertaste. Ich habe<br />
einen Harndrang. Ich bin stocknüchtern. Ich langweile<br />
mich. Ich trage eine lange Hose, ich war<br />
schon einmal in Garmisch–Partenkirchen. Ich war<br />
auch schon mal in einem Kloster. Und ich war<br />
schon mal im Himmel. Nun bin ich auf der Erde<br />
umkleidet mit einer Körpermasse, die ich gar nicht<br />
haben will. Ich werde mich wohl entleiben müssen.<br />
<strong>Die</strong>ser Stift schreibt nicht mehr, steht auf seinem<br />
69
Grabstein geschrieben. Ich habe einen Harndrang<br />
und eine Brille. Ich bin kürzestsichtig. <strong>Die</strong>ser Computer<br />
hat keine Leertaste, er hat auch keine Brüste.<br />
Er ist aus Plastik, ich bin aus Metall. Mein Wille ist<br />
Stahl, gemacht für die Ewigkeit. Der Himmel wird<br />
es wissen, warum ich hier in dem Menschenpark<br />
umhergehe wie ein aufgezogener Affe. In meinem<br />
Rucksack befinden sich mehrere Saftflaschen. Ich<br />
habe einen Harndrang. Und ein Taschentuch hat der<br />
Judas am Sonntag oder Montag auch schon aufgehoben.<br />
War’s am Sonntag, dann war es eine schwere<br />
Sünde, denn es wäre Arbeit gewesen am Tag des<br />
HErrn, was nicht erlaubt ist, wie es in der Bibel<br />
steht. Ich hingegen habe am Sonntag nur getrunken.<br />
Dafür gibt es zuverlässige Zeugen. Ich habe einen<br />
Harndrang und einen Zwang zum Zeigen. Eichenblätter<br />
werde ich diesen Herbst sammeln, das ist gewiss.<br />
Und ich werde sie mir in einem Fotoalbum<br />
aufheben. Und den Eichhörnchen werde ich die Eicheln<br />
klauen. <strong>Die</strong> Frage ist, ob es auch Ahörnchen<br />
oder Lindenhörnchen gibt. Vielleicht gibt es auch<br />
große, weiße Birkenhörner. Gerade im ausgehenden<br />
Winter habe ich öfters Birkenhörner gesehen, die<br />
Birkenblüten gesammelt haben <strong>als</strong> Vorrat für ihren<br />
bevorstehenden Sommerschlaf. Ich trinke mich mit<br />
Flaschenbier in den Hopfenhimmel. Vielleicht gibt<br />
es auch Kopfgeburten. Schließlich gibt es ja auch<br />
Totgeburten und Sturzgeburten und dann natürlich<br />
70
auch noch die Geburteneinzugszentrale, in der die<br />
meisten Mitarbeiter an einem Schlagfluss sterben.<br />
Ich habe einen Harndrang.<br />
32. Ich habe keinen Harndrang mehr. Von links<br />
stinkt mir mein Hemd entgegen, von unten meine<br />
heiligen Füße. Meine Waden <strong>sind</strong> vom vielen Laufen<br />
überreizt. <strong>Die</strong> Denkpolizei hat im Internet eine<br />
Filiale eröffnet. Ich bin bibelfest, so wie andere<br />
wetterfest <strong>sind</strong>. Der Mittelpunkt der Erde ist eine Illusion.<br />
Atome <strong>sind</strong> auch eine Illusion. Ich bin eine<br />
Illusion und du bist mein Sohn. Bordsteinkanten<br />
können sich <strong>als</strong> tückisch erweisen, wenn sie übersehen<br />
werden. So mancher Radfahrer hat schon sein<br />
Gehirn in einer unfreiwilligen Sturzgeburt auf den<br />
Asphalt ergossen, weil er die Bordsteinkante übersehen<br />
hat. Dann ist er gefallen und der Lastwagen<br />
hat seinen Kopf geknackt, so wie kleine Kinder mit<br />
dem Nussknacker Nüsse knacken. Das glitschige<br />
Gehirn flog wie eine Haselnuss durch die Luft und<br />
klatschte gegen das Schaufenster. <strong>Die</strong> Kinder kamen<br />
und nahmen das Gehirn und überlegten, ob<br />
dieses Gehirn noch denken kann. Von manch altem<br />
Greis ist der Brustkorb eröffnet worden und das<br />
Herz wie eine Totgeburt entnommen worden. Man<br />
ließ die Leere zwischen den Lungenflügeln, weil<br />
der Greis einer Blutzirkulation gar nicht mehr bedarf.<br />
Versorgt werden die Organe durch den Alko-<br />
71
hol, der sich durch den zerfressenen Magen seinen<br />
Weg überallhin bahnt. Der Alkohol versorgt uns. Er<br />
erhält uns am Leben, auch wenn das die Mediziner<br />
nicht wahrhaben wollen, die alles entmystifizieren<br />
müssen und auch schon haben, selbst Gott und die<br />
Seele. Der gemeine Mediziner hat einen Entmystifizierungswahn.<br />
Ich sah schon neunzigjährige Männer,<br />
die lebten von <strong>nichts</strong> anderem <strong>als</strong> vom<br />
Schnapstrinken. Jegliche Vitalfunktionen waren<br />
schon erloschen, allein der Alkohol hielt sie noch in<br />
Gang. Bei den Autos schreit ja auch kein Mediziner<br />
auf, obwohl sie mit Benzin betrieben werden. Aber<br />
ich glaube, es wäre den Medizinern lieber, man<br />
würde sie mit Grünkernauflauf und Milchshakes betreiben.<br />
Aber da würde das Auto dem Mediziner<br />
schon etwas rülpsen. Am vergeistigsten ist ja der<br />
Computer: Er begnügt sich mit dem unsichtbaren<br />
Strom. Mehr braucht er nicht, um zu leben. Ephebe<br />
Weibsbilder werden durch männliche Samenflüssigkeit<br />
betrieben. Ein Sofa besteht aus vielen Lümmeln,<br />
für gewöhnlich aus drei Lümmeln, manchmal<br />
aber auch nur aus zwei. Der kundige Leser wird<br />
möglicherweise schon festgestellt haben, dass in<br />
diesem Opus Magnum auf Handlung verzichtet<br />
wird. Wozu auch Handlung? Sie lenkt eh nur vom<br />
Wesentlichen, <strong>als</strong>o von mir, ab. Bin ich es doch, der<br />
die Welt erhält und erhellt und sonst niemand.<br />
Wozu braucht man da noch Handlung? Geschichten<br />
72
mit Handlung waren mir schon immer suspekt, für<br />
mich ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Autor<br />
inkompetent ist und den Leser ohne Handlung gar<br />
nicht zu unterhalten weiß. Anders bei mir: Handlung<br />
wird es in diesem Weltwerk nicht geben. Das<br />
kann ich dem Leser garantieren. Weitere Aufzeichnungen<br />
aus meiner Privathölle: Handlung wird<br />
großzügig ausgespart, interessiert sowieso niemanden.<br />
Wir haben viel zu viel Handlung gehabt in den<br />
letzten Jahrhunderten. Daraus resultiert auch alles<br />
Schlimme: Kriege, Deutschland, Mord. Handlung<br />
muss abgeschafft werden, bevor uns die Handlung<br />
abschafft. Laut aufschreien müssen wir, falls wir in<br />
irgendeinem Buch Handlung erkennen. Nur Scharlatane<br />
umkleiden ihre Gedanken mit Handlung.<br />
Wer <strong>nichts</strong> zu verbergen hat, der kommt ohne<br />
Handlung aus. Ich habe <strong>nichts</strong> zu verbergen, ich bin<br />
ein grundehrlicher Geist. Ich habe die ägyptische<br />
Wassersucht. <strong>Die</strong> ist unheilbar. Keiner weiß mir zu<br />
helfen. Alle haben mich verlassen. Selbst der Körper<br />
gehört mir nicht, vielmehr gehört er den <strong>anderen</strong>,<br />
die meinen Körper fernsteuern und mit ihm<br />
machen, was sie wollen. Mir gehört gar <strong>nichts</strong>. <strong>Die</strong><br />
Folgen der ägyptischen Wassersucht <strong>sind</strong> tödlich,<br />
<strong>sind</strong> immer tödlich, waren noch nie untödlich. Im<br />
Krankenhaus spielen sie Karten. Der Ober sticht<br />
den Unter und die Schellnsau wird gesucht. Ich<br />
kenn mich da nicht aus. Schließlich liege ich auch<br />
73
im Sterben. Ich höre nur, wie sie spielen, und ich<br />
spüre, wie sie meinen Leichnam <strong>als</strong> Spieltisch missbrauchen.<br />
Ich bin abgestürzt wegen der ägyptischen<br />
Wassersucht. Sie spült das Hirn aus. Jeden Tag<br />
brunst man seine Hirnzellen aus dem Kopf, bis keine<br />
einzige mehr im Kopf übrig bleibt. Ich befinde<br />
mich schon im fortgeschrittenen Stadium: Mein<br />
Hirn schwimmt in der Kanalisation Gößweinsteins,<br />
wird von kleinen Kindern getrunken. Mein Kopf<br />
hingegen füllt sich nun im Endstadium mit Urin an.<br />
Nun beginne ich mit meinem Urin zu denken, was<br />
allerdings nicht so komfortabel ist wie das Denken<br />
mit Hirnzellen.<br />
33. In der Abtei werden auch noch Klosterbrüder<br />
gesucht. Ich habe mich freiwillig gemeldet und werde<br />
nun untersucht. <strong>Die</strong> Brüder müssen die Nase<br />
rümpfen, weil ich Autist bin. Autisten <strong>sind</strong> ja<br />
grundsätzlich Kinder des Teufels, weil sie immer so<br />
unverfroren Wahrheiten aussprechen. Autisten sehen<br />
immer sofort alle Altersflecken und weisen darauf<br />
hin, weswegen sie dann auch abgewiesen werden.<br />
Unterwiesen werden von den Mönchen nur gesunde,<br />
schwule Brüder, die man mästen kann wie<br />
fette Kälber. Ich bin kein Raucher und ich habe<br />
auch keinen Harndrang. Mich steckt man wie Lackritze<br />
in den Mund und man kaut auf mich herum<br />
wie auf einer Zyankalikapsel. Das Sputum der Leu-<br />
74
te fliegt weit, wenn sie mich versehentlich in den<br />
Mund genommen haben. Und ihre Miktion prallt an<br />
den Wänden ab, wenn sie über mich nachdenken.<br />
Ich bin krank, sie <strong>sind</strong> gesund. Ich bin Gott, sie <strong>sind</strong><br />
tot. Der Hahn ist tot. Alle <strong>sind</strong> tot. Auf meiner Haut<br />
entwickeln sich Pickel. Das könnte darauf hinweisen,<br />
dass etwas mit meinem Gehirnhaushalt nicht<br />
stimmt. Meine Befindlichkeit ist nicht die Beste.<br />
Sie ist die Schlechteste aller möglichen Befindlichkeiten.<br />
Ich bin hin. Ich bin ein Tintenfisch, der lebendig<br />
verschlungen wird. Der Rechner ist mit diesen<br />
wenigen Wörtern überfordert. Er pustet periodisch<br />
heiße Luft aus sich heraus. Hornissen verfolgen<br />
mich und haben es auf mich abgesehen. Sie<br />
verachten mich.<br />
Tut derselbe Mörder wieder dieselbe Tat, fragte ich<br />
mich und meine Freude war defekt. <strong>Die</strong> Polen säubern<br />
wieder besonnen ihr Land. Ich schwitze und<br />
mir zittern die Finger. Das ist ein sicheres Zeichen<br />
dafür, dass mein Tod unmittelbar bevorsteht. Mir<br />
fällt heute verhältnismäßig wenig ein, meine Minussymptome<br />
haben sich drastisch verstärkt. Einen<br />
Zahn habe ich mir gerade eben beinahe ausgeschlagen.<br />
Ausgeschlafen bin ich heute auf jeden Fall.<br />
Meine Bedürftigkeit leuchtet mir nicht ein. Mein<br />
Rotz fließt in Strömen den Rachen hinunter. <strong>Die</strong><br />
Rochen schwimmen in einem großen Rudel unter<br />
75
der Meeresoberfläche. Sie <strong>sind</strong> Flugzeugfische.<br />
Meine Einfallslosigkeit widert mich an. Da ist Tür<br />
und Tor geöffnet für die Hunnen und Finnen. Eine<br />
Ferienarbeiterin hat heute in einem Supermarkt<br />
einen Pappkarton lasziv vom Boden aufgehoben<br />
und in den Pappkartonwagen geschmissen, den sie<br />
dann lasziv <strong>weiter</strong>geschoben hat. <strong>Die</strong>se laszive Ferienarbeiterin<br />
trug eine Brille, deren Gestell zum<br />
Teil aus weißem Metall bestand. Bestimmt war es<br />
eine Sozialpädagogikstudentin, die nebenbei Betriebswirtschaft<br />
studierte. Sonst gibt es nicht viel zu<br />
sagen. Rache ist süß. Limonade auch. Limonade ist<br />
ein Getränk des Teufels. Der Teufel will mit der Limonade<br />
die Zähne der Menschen zerstören. Deswegen<br />
hat er sie erschaffen. Und mich hat er auch erschaffen.<br />
Ich bin ein Sohn des Teufels, der dazu bestimmt<br />
wurde, über die Welt zu regieren. Ich bin<br />
ein Subdemiurg und koche meine Suppe mit Maggi.<br />
Ich rülpse auch und habe heute Frühlingszwiebeln<br />
eingekauft. Der Wahnsinn hat mich verlassen, ich<br />
weiß nicht mehr <strong>weiter</strong>. Immer mehr Bücher werden<br />
von mir parallel gelesen, immer mehr Schuppen<br />
tanzen um meinen Kopf und rieseln auf das blaue<br />
Sofa hinunter. Auf meinem Kopf finden sich<br />
Schuppenverkrustungen, der ganze Schädel ist geschützt<br />
von einer Schuppenkruste. Auch heute habe<br />
ich einen Arzt nicht aufgesucht, obwohl gerade ich<br />
einen Arztbesuch bitter nötig hätte, weiß doch mitt-<br />
76
lerweile jeder, wie krank ich bin, dass in meinem<br />
Kopf gar <strong>nichts</strong> mehr stimmt und dort nur noch die<br />
Unruhe regiert. Ich habe einen Pickel auf der Nasenwurzel,<br />
weiß Gott, wie lange ich schon keinen<br />
Pickel mehr hatte auf der Nasenwurzel. Irgendwo<br />
auf dem Gesicht einen Pickel zu haben, ist keine<br />
Kunst, hat man immer und hat jeder. Ich verfüge<br />
darüber hinaus über Nasenwurzelhaare. Eine absolute<br />
Trägheit hat mich befallen. Ich weiß nicht mehr<br />
<strong>weiter</strong>. Ich habe ein Alter erreicht, in dem man sich<br />
keine Gedanken mehr macht über all das, was einen<br />
umgibt. Man ist versunken in sich selber wie ein<br />
Löffel im Pudding. Man denkt vielleicht noch über<br />
seinen eigenen Körpergeruch nach, <strong>weiter</strong> reichen<br />
die Gedanken nicht. Erregt bin ich nicht, ich bin<br />
schlaff wie ein Handtuch. Kinder habe ich keine.<br />
Kontakt zur Außenwelt habe ich auch nicht. Reden<br />
tu ich nicht. Früher sammelte ich Füllerpatronenkugeln<br />
in einem Glas oder erschlagene Wespen in einem<br />
Freudenstock. Und ich hatte auch einen Traum<br />
von einer lautlosen Schule mit vielen Schülern, die<br />
lautlos an mir vorbeigingen, und ich hatte einen<br />
Traum von einem alten Pfarrer, der in einem Golf<br />
fuhr, mich sah und ausstieg, und ich hatte einen<br />
Traum von einer Wohnheimküche, in der ich an der<br />
Spüle stand und gefragt wurde, ob ich auch etwas<br />
essen wolle, was ich verneint habe, weil ich nie etwas<br />
esse. Ich hasse es zu essen, denn Essen macht<br />
77
dick, und ich werde eh schon jeden Tag dicker, bald<br />
habe ich schon Übergewicht, und dabei wollte ich<br />
doch untergewichtig werden. Aber leider habe ich<br />
immer einen Ochsenhunger, allezeit nötigt mich<br />
mein Hunger zu essen. Und so werde ich immer dicker.<br />
Bluthochdruck habe ich wegen meiner Fresserei<br />
auch schon bekommen und irgendwann wird<br />
eine Ader in meinem Gehirn platzen und ich werde<br />
an Schlagfluss sterben, das ganze Gehirn wird vom<br />
Blut überschwemmt werden. Ich liebe es, meine<br />
Fingerknöchel aneinander zu schlagen. Dadurch<br />
kann ich meiner inneren Erregung Ausdruck geben.<br />
34. Ich bin der geborene Milchtrinker. Einmal habe<br />
ich geträumt, ich sei eine Frau. Meistens weiß ich<br />
nicht, was ich träume. Heute bin ich von einer besonderen<br />
Einfallslosigkeit gepeinigt. Ich hasse es zu<br />
lesen. Lesen macht keinen Sinn, weil ich immer<br />
vergesse, was ich gelesen habe. Ich sollte aufhören<br />
zu lesen, weil ich mir nicht merken kann, was ich<br />
lese. Ich sollte still dasitzen und die Zeit verstreichen<br />
lassen. Zwei Ereignisse am Tag genügen mir,<br />
um vollauf beschäftigt zu sein. Ein drittes Ereignis<br />
würde ich schon gar nicht mehr verkraften. Aufstehen<br />
und Zähnputzen genügt. Darüber kann ich dann<br />
den ganzen Tag nachdenken. Aufstehen und Zähneputzen<br />
erschöpfen mich vollkommen. Würde ich<br />
mehr tun, dann würde ich einen Nervenzusammen-<br />
78
uch bekommen. Zehn Worte kann ich am Tag<br />
maximal mit einem <strong>anderen</strong> Menschen wechseln.<br />
Jedes <strong>weiter</strong>e Wort treibt mich in den Wahnsinn.<br />
Hundert Worte kann ich mir von einem fremden<br />
Menschen anhören. Mindestens einmal am Tag<br />
muss ich meine Schere anschauen, die ich vor sechzehn<br />
Jahren gekauft habe. Einmal muss ich an mein<br />
verschwitztes Hemd riechen, um mich meiner selbst<br />
zu vergewissern. Zwei Bullaugen starren mich an.<br />
Eine kleine Papierfrau liegt rechts hinten auf meinem<br />
Schreibtisch. Sie hat es geschafft, sie hat einen<br />
Job bei einer Computerfirma. Ich habe eine Taschenlampe<br />
und den sechsten Sinn.<br />
Ich kenne einen Menschen, der einen Dachboden<br />
hat, obwohl er schon in einer Dachwohnung haust.<br />
Dort werde ich heute hinaufgehen und überwintern.<br />
Und mit meinem Blasrohr werde ich vorbeigehende<br />
Passanten mit Blumen beschießen und ich werde<br />
mit der Schwertlilie mich auf meinem Dachboden<br />
verteidigen, wenn ihn jemand einnehmen will. Zuerst<br />
werde ich die Treppe einfahren, dann werde ich<br />
die unten stehenden mit Blumen bespucken und<br />
diejenigen, die sich an einem Seil hochhangeln wollen,<br />
werden im Bundestag beschimpft. Das <strong>sind</strong><br />
doch eh alles hundsgemeine Kaffeetrinker, so genannte<br />
Kaffeeexperten, Schiffsbruchspezialisten,<br />
die in der Dunkelheit ihr Dasein fristen, so wie ich<br />
79
mein Dasein unter dem Dachfirst friste. Er frisst<br />
während der Frist unter dem First Pfirsiche, bis die<br />
Frist abgelaufen ist. Und du bist kochendes Wasser.<br />
Das mag dir gewagt erscheinen, dieser Vergleich.<br />
Gleich geht’s los, ich scheiß’ mir in die Hos’.<br />
Warum wird mir mein Recht auf Geisteskrankheit<br />
aberkannt? Warum kein Vierkant? Warum verkannt,<br />
ich? Wiesel, Wiesel, Wiesel wieseln auf der<br />
Wiese und wissen <strong>nichts</strong> von der fiesen Liese. Ich<br />
kenn sie, die fiese Liese, wie sie immer kleine Kinder<br />
frisst und doof in die Runde grinst wie ein Kind.<br />
Wir <strong>sind</strong> hinter dem Mond und verkaufen<br />
Kuckucksuhren. Kurz und bündig möchte ich sein,<br />
aber ich werde ständig von allen möglichen Menschen<br />
unterbrochen. Man will nicht, dass ich dieses<br />
Weltwerk schreibe. Niemand will, dass ich dieses<br />
Buch der Verfluchungen zu Ende bringe, denn<br />
wenn das geschieht, dann wird die ganze Welt untergehen,<br />
sie muss sozusagen untergehen. Deswegen<br />
werde ich ständig gehindert, allein aus diesem<br />
Grunde bin ich behindert zur Welt gekommen. Der<br />
liebe Gott höchstpersönlich will mich abfangen, so<br />
wie man Schmetterlinge mit einem Netz abfangen<br />
kann. Meine Augensäcke wiegen mehrere Kilo. Der<br />
Tibor ist ein adliger Mensch. Auf dem Gletscher<br />
beherrschen die Anthroposophen die Lage, das ist<br />
gar keine Frage. Und meine Tage <strong>sind</strong> gezählt, jeder<br />
einzelne ist gezählt, während schwer atmende Men-<br />
80
schen ständig bierkastengroße Drucker in meinen<br />
Raum stellen. Kaum geboren traten mir schon die<br />
ersten Widersacher entgegen, die mein Dasein verhindern<br />
wollten, aber ich habe sie zurückgelassen.<br />
Bunt und grell vergaßen sie zu atmen. Aber keiner<br />
hat ihnen befohlen, bierkastengroße Drucker in<br />
meinem Raum zu stellen. Ihr Atem wurde einfach<br />
abgestellt wegen Überhitzung, ihre ganze Existenz<br />
wurde einfach abgeschaltet, chronologisch abgeschaltet<br />
und in den Abyssos geworfen. Ich trinke<br />
Kaffee und bin der unglücklichste Mensch der<br />
Welt. Ich gehöre abgeschafft. Meine Existenz ist<br />
ein einziges Ärgernis und war es schon immer gewesen.<br />
Meine Gürtel, die ich nicht angezogen habe,<br />
tun mir weh. Und in dem geheimen Klee sitzen Botschaften,<br />
die darauf warten, von mir abgeholt zu<br />
werden. Mir ist schlecht. Ich kotze die Tastatur voll,<br />
die Kotze rinnt in die Ritzen und zerstört den Prozessor.<br />
Ich rülpse, ich trinke Kaffee, ich bin kein<br />
Kaffeeexperte, und außerdem lässt meine Schaffenskraft<br />
nach. Wo soll das hinführen? In die Wüste?<br />
35. Seien wird doch mal ehrlich: Gestern habe ich<br />
gleich zweimal geschissen, weil es mir so viel Spaß<br />
gemacht hat und heute habe ich kein einziges Mal<br />
geschissen. Deswegen gehe ich davon aus, dass ich<br />
morgen mindestens einmal scheißen werde. Bunt<br />
81
und grell <strong>sind</strong> meine Widersacher und räumen meinen<br />
Kleiderschrank aus. Sie fliegen herum wie die<br />
Motten und verpesten mir die Luft. Ich lüfte nicht,<br />
lüfte nie. Sie flattern herum wie die Toten, meine<br />
Widersacher, und grell und bunt <strong>sind</strong> sie. Und ich<br />
bin kaum geboren. Und ohne Ohren kann man nicht<br />
hören. Ich habe mich je und je gehasst und werde<br />
nicht aufhören, mich zu hassen. Und meine Widersacher<br />
tragen dampfenden Kaffee vor sich her und<br />
versuchen meine Gedanken von hinten zu beeinflussen.<br />
Sie verpesten mir ihre Luft mit ihren Zigaretten.<br />
Ich bin Gott, ich erschaff’ die Welt. Er holt<br />
Wasser, mein Widersacher, der mir von Gott aufgeh<strong>als</strong>t<br />
worden ist. Ich habe meinen Kaffee getrunken,<br />
mein Mund ist noch nicht trocken. Aber das wird<br />
ganz gewiss passieren. Kaffeetrockenheit. Morgen<br />
räume ich meinen Kleiderschrank auf und übermorgen<br />
suche ich meine Ostereier. Kleider brauche ich.<br />
Mein Stuhl verfügt über eine Kippfrequenz. Ich bin<br />
der geborene Verlierer, der kein Lebensrecht hat<br />
und nie eines haben wird. Radioaktiv verseucht <strong>sind</strong><br />
alle Städte und die Hochhäuser strahlen Angstschweiß<br />
aus. <strong>Die</strong> Faust ist dort, wo es schön ist. Sie<br />
wühlt in den Innereien herum, solange das Fernfunkgerät<br />
nicht eingeschalten ist. Wie Blitze in der<br />
Nacht der Nächte. Maiglöckchen und Engelstrompeten<br />
erklingen und die Englein singen. <strong>Die</strong> Wertvolle<br />
und der Stern schenken Blumen, weil beide<br />
82
psychotisch <strong>sind</strong>. Ich möchte nie am Psychotisch<br />
hocken, lieber am Biertisch sitzen und Schafkopf<br />
spielen mit den vielen alkoholkranken Fußballfreunden.<br />
Der Widersacher ist wegen seiner Kaffeepsychose<br />
handlungsunfähig; er rennt umher wie ein<br />
gestörter Gockel. Gockelglocken läuten den Sonntag<br />
ein, der übermorgen sein wird. Meine vielen<br />
Krankheiten werden nur milde belächelt, ich habe<br />
mir das Recht auf Krankheit verscherzt. Zähneknirschend<br />
muss ich das hinnehmen. Noch nie habe ich<br />
so gestunken wie heute. Mein Gestank ist entsetzlich<br />
und der größte Schuppenproduzent Deutschlands<br />
bin ich, das muss gesagt sein, auch wenn ich<br />
nicht gerne das Wort Deutschland in den Mund<br />
nehme. Ich bin die Wahrheit und du bist der Weg.<br />
Du bist die Krankheit und ich bin der Tod. Ich bin<br />
das Wasser und du bist der Saft. Ich bin die Kraft<br />
und du ziehst mir den Boden weg unter meinen Füßen.<br />
Denken kann ich hier nicht, denken kann ich<br />
nur woanders. Mein Denken wird im Wesentlichen<br />
von den Räumlichkeiten bestimmt, in denen ich<br />
mich aufhalte. So wenig stammt von mir, so viel<br />
von den Räumen! Und was nicht die Räume bestimmen,<br />
das legen die Jahreszeiten fest. Im Winter<br />
schreibe ich anders <strong>als</strong> im Sommer, im Herbst anders<br />
<strong>als</strong> im Frühjahr. Das ist eine runde Sache, aber<br />
am Schreiben bin ich nicht beteiligt. Wenn doch nur<br />
mein Leben beendet wäre! Wenn nur die Betende<br />
83
für mich da wäre, die für mich betet, für mein Seelenheil,<br />
aber es betet niemand mehr für mich. Ich<br />
bin die Person, für die am wenigsten gebetet wird.<br />
Für alle <strong>anderen</strong> Menschen, die auf der Erde leben,<br />
wird mehr gebetet <strong>als</strong> für mich. Das werde ich einklagen<br />
von dem lieben Gott, dass nicht gebetet worden<br />
ist für mich! Wie soll denn aus mir etwas werden,<br />
wenn niemand für mich betet? Ganz klar, dass<br />
ich zum Teufel werden musste. Bald Unmensch,<br />
dann Dämon, nun Teufel. Nicht meine Schuld, sondern<br />
die Schuld derer, die nicht für mich gebetet haben.<br />
Meiner Schwester persönlich gebe ich diese<br />
Klapppuppe zum Geburtstag, die sich Platz sparend<br />
zusammenklappen lässt. Einen Blick für das Wesentliche<br />
habe ich nicht. Nur das Unwesentliche<br />
sehe ich und benenne ich. Wann beendet Gott mein<br />
Leben? Immer nur war ich der autistische Kaspar in<br />
meiner Klasse, nun bin ich der diabolische Spartrumpf,<br />
den niemand narkotisieren kann. Ich kann<br />
baden gehen, ich kann schwimmen und ich kann<br />
spinnen. Weltvergiftung, hier und dort eine Bombe<br />
gelegt, Taufkerzen sowieso. Kannst du nach Hause<br />
gehen? Genauer besehen, diese Blumen genauer besehen.<br />
Im Wohnzimmer stehen sie zielsicher herum.<br />
Alles berechnet, alles auf das Genaueste berechnet.<br />
<strong>Die</strong> Menschen machen um mich herum <strong>nichts</strong> anderes,<br />
<strong>als</strong> alles bis aufs Genaueste zu berechnen. Instinktiv<br />
und zielsicher berechnen sie alles. Denen<br />
84
möchte ich genauso zielsicher ihre Köpfe abschlagen.<br />
Mit meinem Hass werde ich die Welt revolutionieren,<br />
sprach der Maulheld und starb unerkannt.<br />
Meine Rede ist klein und unbedeutend, auch wenn<br />
es mir manchmal so scheint, <strong>als</strong> ob ich etwas Wichtiges<br />
mitzuteilen hätte. <strong>Die</strong> Wahrheit ist, dass ich<br />
<strong>nichts</strong> mitzuteilen habe, zumindest <strong>nichts</strong> Wichtiges.<br />
Was ich mitteile, ist lediglich peinlich, mehr<br />
nicht. Vielleicht sollte ich mal zum Seelenklempner<br />
gehen oder mich gleich umbringen. Zu letzterem<br />
würden mir wohl alle gestandenen Mütter raten, die<br />
einen Mann haben, der <strong>als</strong> Handwerker arbeitet. Ich<br />
hingegen führe <strong>als</strong> Maulheld eine Schmarotzerexistenz,<br />
die ausgelöscht werden muss. Zumindest wäre<br />
es sinnvoll, wenn man meinen Kopf nass rasieren<br />
würde, damit man schon aus der Ferne erkennt, dass<br />
ich ein Schmarotzer bin. Und ein braunes S könnte<br />
man mir annähen, S wie Scheißer, Schmatzer,<br />
Schmarrer, Schmarrarsch. Da ich niem<strong>als</strong> Herr werden<br />
kann über meine Marotten, muss man mich umgehend<br />
abschaffen. Ich bin am Ende. Ich bin Abfall.<br />
Mich muss man beseitigen. Ein Windbeutel bin ich,<br />
ein aufgeblasener Möchtegerndiktator, der sofort in<br />
sich zusammenfällt, wenn man ihn mit der Nadel<br />
ansticht. Ich habe massive Wahrnehmungsstörungen.<br />
Immer gehe ich davon aus, ich würde etwas<br />
Großartiges sagen oder etwas Großartiges schreiben,<br />
und dabei ist es in Wirklichkeit <strong>nichts</strong> anderes<br />
85
<strong>als</strong> belangloses Gebrabbel und Gebabbel, wie es<br />
kleine Kinder auch können, ohne sich dabei anzustrengen,<br />
so wie ich es tun muss, um überhaupt etwas<br />
gesagt oder geschrieben zu haben. Eigentlich<br />
bin ich ein ganz klarer Fall für die Narrenanstalt.<br />
Das wäre der Ort, an dem ich richtig aufgehoben<br />
wäre, nirgendwo anders. Was bin ich für ein Unheld:<br />
<strong>Die</strong> Normalen machen sich ständig Gedanken,<br />
ob das, was sie sagen oder tun, korrekt ist, und sie<br />
korrigieren sich auch ständig, weil sie merken, dass<br />
sie das nötig haben, und ich auf meinem Stuhl wie<br />
ein fetter Buddha, der denkt, dass er kraft seiner Erleuchtung<br />
gar <strong>nichts</strong> mehr tun muss. Dabei bin ich<br />
es, der sich am meisten von allen zu ändern hätte.<br />
Was bin ich nicht für ein unseliger Unheld und ich<br />
sonne mich noch in meinen selbstgefälligen Betrachtungen!<br />
Wenn das nicht eine bodenlose Frechheit<br />
ist, mit der man im Grunde genommen aufräumen<br />
müsste. Mein läppisches Auftreten muss ja alle<br />
verärgern. Wie ein kleines Baby scheiße ich unzensiert<br />
die größten Beleidigungen in die Welthose und<br />
warte darauf, dass andere mit dieser Sauerei zurechtkommen<br />
und wundere mich noch, dass das<br />
nicht der Fall ist. So kann man natürlich auch sein<br />
Leben vertrödeln. Dafür werde ich aber im Endgericht<br />
büßen müssen: Andere arbeiten lassen und selber<br />
<strong>nichts</strong> tun! Das gibt die Höchststrafe. Soll ich<br />
mich nur wähnen, Gott zu sein oder der Teufel, in<br />
86
Wirklichkeit bin ich auch nur ein Mensch wie alle<br />
<strong>anderen</strong> auch und werde auch <strong>als</strong> solcher behandelt<br />
werden im Endgericht. Zum Müllkübel habe ich<br />
mich gemacht, nun werde ich von den <strong>anderen</strong> wie<br />
ein Müllkübel behandelt. Da brauche ich mich nicht<br />
zu wundern, da brauche ich nicht mit Schuldzuweisungen<br />
um mich zu werfen. Ich allein bin Schuld an<br />
meiner Misere. Freilich habe ich bereits einen Punkt<br />
erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Zu weit<br />
bin ich gegangen mit meinen Blasphemien, zu weit<br />
mit meinen Obszönitäten. Aus Selbstschutz hat<br />
mich die menschliche Gemeinschaft gebannt, weil<br />
solche Leute wie ich zu gar <strong>nichts</strong> anderem fähig<br />
<strong>sind</strong>, <strong>als</strong> alles Gute und alles Rechte zu torpedieren<br />
und zu zerstören.<br />
36. Frauen hocken wegen der erlebten Vaterfreundlichkeit<br />
am Wochenende, wenn sie keinen <strong>Die</strong>nst<br />
haben, auf dem Sofa in Turnhosen und schauen<br />
Fernsehsendungen, während sie beiläufig Joints<br />
rauchen. Sie studieren seit acht Semestern Geologie,<br />
weil sie sich schon immer für die Erde interessiert<br />
haben, und bringen ihr Studium zielstrebig zu<br />
einem Ende, womit ihre Spötter niem<strong>als</strong> gerechnet<br />
hätten. <strong>Die</strong> Spötter, die nie eine Freundin gehabt haben<br />
– so wie der Autor –, behaupten: Wer kifft und<br />
das Leben genießt, kann keinen schulischen oder<br />
beruflichen Erfolg haben. Sie aber, die auf dem<br />
87
Sofa sitzt, hat schon viel Geld verdient in ihren Ferienjobs<br />
und hatte schon großen Erfolg in ihrem<br />
Geologiestudium. Sie war auch schon in Afrika und<br />
hat Schädel ausgegraben, obwohl sie gar keine Archäologin<br />
ist. Das hat sie so en passant gemacht.<br />
Der Autor ist ein Sauertopf, dessen Schicksal schon<br />
besiegelt ist. Man lacht mittlerweile nicht mehr über<br />
ihn, weil er es gar nicht wert ist, dass man für ihn<br />
Lachmuskeln betätigt, und sei es nur zum Hohn und<br />
Spott. Wie ernst muss man das nehmen, was der<br />
Autor schreibt? Alles nur Fiktion? Nein, das bin ich<br />
tatsächlich. Ich kokettiere mit der Realität und will<br />
so meine Komplexe und psychischen Probleme verbergen.<br />
<strong>Die</strong>s ist mir nicht gelungen. Manche Leute<br />
haben halt einfach Geld, haben Geld von ihrem Vater<br />
bekommen und können deswegen ihr Leben genießen.<br />
Ich habe von meinem Vater einen Arschtritt<br />
in den Hintern bekommen, weil ich so ungezogen<br />
sei. Und meine Großmutter hat mir <strong>als</strong> Kind schon<br />
prophezeit, dass sie für mich schwarz sehe. Und<br />
recht hat sie behalten. Wie schwarz um mich herum<br />
alles ist, weil ich so schwarz bin und immer nur<br />
schwarz sehe. Das strahlt aus auf meine Mitmenschen.<br />
37. Der Widersacher hat Blumen der Angst geschenkt<br />
bekommen. Sie stehen auf seinem Wohnzimmertisch.<br />
Er hat sie geschenkt bekommen von<br />
88
seiner Freundin, der Martha. Warum haben die Eltern<br />
der Martha ihr solch einen Namen gegeben?<br />
Sie hätten sie ja auch anders benennen können: Doris<br />
oder Tochter. Um mich herum Antennen, die angeblich<br />
für den Fernsehempfang bestimmt <strong>sind</strong>. Das<br />
glaube ich ihnen nicht. In Wahrheit wollen sie meine<br />
Gedankenströme empfangen, wenn sie es nicht<br />
schon längst tun. Nicht die Tagesschau wird angeschaut,<br />
sondern meine Gedanken. Auf dem Hühnerhof<br />
laufen aufgescheuchte Hühner. Sie fressen verseuchte<br />
Körner, und sie verkaufen sie für ein Paar<br />
Kröten an den nächstbesten Hühnerfresser. Du bist<br />
ein Kunstprodukt und bist verrückt. In Ulan Bator<br />
herrscht auch kein Frieden. Aber zurück zur Realität.<br />
Habe ich eine Zukunft? Es geht nicht so sehr<br />
um die <strong>anderen</strong> Leute, die ganz bestimmt eine Zukunft<br />
haben werden, sondern um mich. Sehr problematisch<br />
ist meine absolute Empfindlichkeit und<br />
meine absolute Inflexibilität. Meine Pläne möchte<br />
ich nicht ändern, selbst wenn mich jemand darauf<br />
aufmerksam macht, dass meine Pläne nicht die besten<br />
Pläne <strong>sind</strong> sondern die allerschlechtesten. Geändert<br />
wird bei mir <strong>nichts</strong>, weil ich mir von den <strong>anderen</strong><br />
ja <strong>nichts</strong> sagen lassen will. Immer möchte ich<br />
den Ton angeben, wenn es um meine persönlichen<br />
Pläne geht. Da möchte ich mir von niemandem<br />
reinreden lassen. Meine Zukunft ist keine Zukunft.<br />
89
Ich habe keine Zukunft, weil ich kein funktionierendes<br />
Mitglied der Gesellschaft sein will.<br />
38. Sehr geschickt von mir, wie ich die grüne Regenjacke<br />
aufgehängt habe. Ich bin ja auch ein<br />
Vollidiot: Wozu habe ich gestern die grüne Regenjacke<br />
mitgenommen, wo es sich doch bereits gestern<br />
abgezeichnet hat, wie heiß es morgen werden<br />
würde. Von so ein paar Regentropfen habe ich mich<br />
beeindrucken lassen. <strong>Die</strong> Maria ist stark kurzsichtig<br />
und der Judas ist zur Ersatzmaria mutiert, weil sich<br />
die echte Maria in die Vereinigten Staaten abgesetzt<br />
hat, obwohl sie kommunistisch veranlagt ist.<br />
Den Staat will sie infiltrieren, sagt sie. Kalifornien,<br />
sagt sie, will sie infiltrieren. Den Schwarzenegger<br />
abschalten. Aber diese kleinen pseudolustigen Bemerkungen<br />
können nicht von meinem Elend ablenken.<br />
Ich bin es, der immer noch Probleme hat. Da<br />
nützen alle billigen Witze <strong>nichts</strong>, die ich in diesem<br />
so genannten Weltwerk mache. Auch der Hinweis,<br />
dass ich gerade eben meine Limonade ausgetrunken<br />
habe, nützt <strong>nichts</strong>. Ich bin der Weltverlierer, der<br />
sein Leben total verspielt hat, indem er ständig alle<br />
Leute um sich herum beleidigt hat und sich niem<strong>als</strong><br />
für sein derbes Verhalten entschuldigt hat. Ein bisschen<br />
mehr Demut wäre schon angebracht gewesen,<br />
einen bisschen mehr Respekt vor meinen Mitmenschen.<br />
Allein durch Schwitzen wird man nicht<br />
90
zu einem besseren Menschen. Demut und Anpassung<br />
tut Not. Ohne Anpassung und Demut ist keine<br />
menschliche Gesellschaft denkbar. Will ich mich<br />
nicht anpassen, dann kann ich eben kein Mitglied<br />
der Gesellschaft werden. Und wenn ich mich anpassen<br />
und demütig sein will, dann muss ich folgerichtigerweise<br />
dieses Weltwerk löschen, weil es eine<br />
Beleidung des gesunden Menschenverstandes darstellt.<br />
39. Heute zum wiederholten Male mit der Oma gesprochen.<br />
Wird mir auch immer unheimlicher.<br />
Stand heute mit Lockenwicklern herum und säuberte<br />
ihr Auto. Weiß Gott, was sie noch so alles tut:<br />
Eichhörnchen zerkleinern, Taschenlampen reparieren,<br />
Altglas sammeln. Das gibt heute noch eine<br />
böse Überraschung: <strong>Die</strong> Küche nicht geputzt, das<br />
bedeutet Alarmstufe rot. Das muss gleich ein großes<br />
Hallo geben, ein Rumgebrülle und Rumgeschreie,<br />
wie es noch nie der Fall war. Mal sehen, wie viele<br />
Kraftausdrücke fallen, wie oft Arschloch in den<br />
Raum gebrüllt wird. Dann sicherlich noch Unterstellungen<br />
und absolute Gemeinheiten, um jegliche<br />
Ruhe und Ausgeglichenheit vollkommen zu vernichten.<br />
Wohl anzunehmen, dass das Geschrei jetzt<br />
beginnt und für die nächsten drei Tage ununterbrochen<br />
anhalten wird. Da werde auch ich <strong>nichts</strong> zu lachen<br />
haben. Wir werden in neue Dimensionen des<br />
91
Hasses und Terrors vorstoßen. Keine Ruhe, keine<br />
Gemütlichkeit, kein Verständnis für Kunst. In vielen<br />
Häusern wird der brutale Kapitalismus aufgeführt,<br />
das einem Hören und Sehen vergeht. Unaufgefordert<br />
führt jede Familie dieses Stück auf, in der<br />
es keinen Sinn gibt, keine inneren Werte, sondern<br />
nur messbare Leistungen und Erfolgsdenken. <strong>Die</strong><br />
Hoffnung ist in den Einfamilienhäusern abgeschafft<br />
worden, die Zukunft und das Paradies ebenfalls, dafür<br />
die Hölle auf Erden eingeführt, Verzweiflung<br />
und Versagen. Selbstanklage und allgemeine Klage,<br />
Hohn und Spott und Schadenfreude. Das <strong>sind</strong> die<br />
Unwerte, die in allen Familien regieren. Und das<br />
Beste, was man machen kann, ist sich einen Strick<br />
zu nehmen und auf sein Lebensrecht zu verzichten.<br />
Denn was allen Menschen nur zählt, das ist die Sauberkeit<br />
und die Ordnung. Für Kreativität ist kein<br />
Platz, für Gemütlichkeit auch nicht. Immer noch<br />
mehr arbeiten und mit jedem Lebensjahr noch mehr<br />
bis zum Umfallen. Das ist die Tugend, die zählt.<br />
40. In was für einer Kaschemme du wohnst! Andere<br />
bevorzugen die Niedertracht und du wohnst da in<br />
dieser Kaschemme mitten im Land. Und den Schinken<br />
hast du dir aufschneiden und auf diesem Holzbrett<br />
servieren lassen. Da trinkst du nun dein Bier<br />
dazu und denkst über deine letzten Erlebnisse nach.<br />
Neben dir der Bauer, der heute sein Roggenfeld ab-<br />
92
geerntet hat mit den großen Erntemaschinen und die<br />
Bauern aus Georgien hatten ihm geholfen. <strong>Die</strong><br />
hocken in einem <strong>anderen</strong> Zimmer und trinken destillierten<br />
Schnaps. Wir singen keine Trinklieder.<br />
Draußen wird’s dunkler, die Blätter fallen schon.<br />
Schon ist aller Tage Ende und die letzten Abmachungen<br />
müssen noch schnell eingehalten werden,<br />
weil die große Endabrechnung bevorsteht. Alles ist<br />
Gnade, sprach der alte Wirt und lachte mich aus,<br />
ausgerechnet mich, der gar nicht davon ausging,<br />
dass alles Gnade sei. Ich wollte mit meiner Person<br />
beweisen, dass nicht alles Gnade sein kann, dass ich<br />
zum Trotz böse sein kann und damit die Gnade<br />
Gottes eintrüben kann. Und überhaupt: Immer diese<br />
Familiendramen mit den vielen Toten! Wer glaubt<br />
denn an Gnade bei all den erstochenen Kindern? Einer<br />
<strong>anderen</strong> Meinung war der alte Wirt der üblen<br />
Kaschemme. Dennoch werde ich von allen Leuten,<br />
denen ich begegne, in Schach gehalten. Sie können<br />
es nicht ertragen, wenn ich mich auf dem Spielfeld<br />
des Lebens frei bewegen kann, und müssen mich<br />
<strong>als</strong>o sofort bedrohen und beeinträchtigen. Mich zu<br />
bedrohen, liegt in ihrem Blut, genauso wie ihre<br />
Mordlust. Sie können es nicht ertragen, wenn ein<br />
Mensch frei ist und frei ausspricht, was er denkt.<br />
Das müssen sie sofort unterbinden. Gedankenfreiheit<br />
ist ihnen zuwider wie <strong>nichts</strong> anderes auf der<br />
Welt. Sohn und Tochter halten sie an, genauso zu<br />
93
denken wie sie, die Eltern. Gehasst wird alles, was<br />
den Eindruck erweckt, frei zu sein und unabhängig.<br />
Niedergeschlagen werden all die wenigen Freien<br />
von allen den vielen Sklaven, die dicht aneinandergekettet<br />
herumlaufen. Unter Dauerbeschuss stehe<br />
ich, im Kreuzfeuer ihrer Kritik befinde ich mich,<br />
von meiner Freiheit wollen sie <strong>nichts</strong> wissen. Von<br />
mir wollen sie <strong>nichts</strong> wissen, gar <strong>nichts</strong>. Und alles<br />
soll ich von ihnen wissen, nur mit ihnen soll ich<br />
mich auseinandersetzen, nicht mehr mit mir. Mich<br />
soll ich vergessen, sagen sie, und sie soll ich verinnerlichen<br />
solange, bis es nur noch sie gibt und nicht<br />
mehr mich. Blasphemie ist das einzige, was sie akzeptieren<br />
können. Einen Menschen, der Gott nicht<br />
lästert, können sie nicht ertragen, überhaupt können<br />
sie nicht ertragen, wenn über Gott geredet wird, es<br />
macht sie geradezu krank, weil sie es nicht akzeptieren<br />
können, dass es einen geben könnte, der über<br />
ihnen steht, der nicht so ist wie sie selbst, <strong>als</strong>o müssen<br />
sie ihn vernichten und sich selber zu Gott machen.<br />
41. Fortan wird er sich nicht mehr rühren. Tage und<br />
Wochen werden verstreichen und er wird seine eigenen<br />
Wege gehen. Abgeschrieben bin ich, weil ich<br />
nicht von meinem Weg abzubringen bin, den er<br />
hasst und den all seine Freunde hassen. Mein Weg<br />
ist der gehasste Weg, der von allen Gotteslästerern<br />
94
gehasst wird. Nie mehr wird er sich blicken lassen.<br />
Ich bin abgeschrieben, endgültig. Schon längst bin<br />
ich abgeschrieben. Blöd wie ich bin, bekam ich diesen<br />
ganzen Abschreibungsprozess gar nicht mit.<br />
Schon seit Monaten ist dieser Abschreibungsprozess<br />
im Gange, und ich habe es nicht mitbekommen.<br />
Mittlerweilen hat dieser Abschreibungsprozess<br />
viel offensichtlichere Formen angenommen.<br />
Öffentlich wird über mich gelästert, keine Gelegenheit<br />
ausgelassen, um über mich zu lästern. Jedem ist<br />
schon gesagt worden, dass ich der Allerschlimmste<br />
sei. Und sie glauben es natürlich. Verleumdet bin<br />
ich worden wie kein Z<strong>weiter</strong>, und mitbekommen<br />
habe ich es nicht. Nun ist alles klar und offensichtlich.<br />
Es wird mir angekreidet, dass ich an Gott glaube,<br />
man nimmt es mir sehr übel, dass ich diesen<br />
Glauben an Gott nicht aufgegeben habe. Dass ich<br />
immer noch an das Gute glaube und an den Himmel,<br />
das wird von den vielen <strong>anderen</strong> nicht mehr ertragen.<br />
Sie können es nicht mehr hören, wenn ich<br />
von der Gnade rede, sie wollen es nicht mehr hören,<br />
sie verstopfen ihre Ohren, um meine Worte nicht<br />
mehr vernehmen zu müssen. Mit dem ewigen Leben<br />
wollen sie nicht konfrontiert werden, weswegen<br />
sie auch mit mir nicht mehr konfrontiert werden<br />
wollen. Ich bin ihnen ein Gräuel, das sie nicht mehr<br />
ertragen können. Eigentlich gäbe es auch für sie<br />
Wohnungen im Himmel, aber sie wollen diese<br />
95
Wohnungen nicht haben, viel lieber renovieren sie<br />
ihre eigenen Wohnungen, das ist ihnen viel wichtiger.<br />
In den Himmel wollen sie nicht kommen, in ihren<br />
eigenen irdischen Wohnungen wollen sie bleiben.<br />
Man wird ihrem Willen stattgeben, sie werden<br />
in ihren eigenen irdischen Wohnungen bleiben können.<br />
Und möglicherweise haben sie von ihren irdischen<br />
Wohnungen mehr <strong>als</strong> jene, die schon seit<br />
Jahrzehnten darauf harren, so genannte überirdische<br />
Wohnungen zu beziehen. Er wird aber auf jeden<br />
Fall mit jedem Tag unverschämter. Seine Verachtung<br />
bringt er mittlerweile ganz unverhohlen zum<br />
Ausdruck. Zum Spaßmacher will er mich degradieren,<br />
obwohl ich von all dem Klamauk gar <strong>nichts</strong><br />
halte. Soweit hat er mich schon gebracht, dass ich<br />
mich zu solchen Kapriolen habe hinreißen lassen,<br />
die das gesamte Weltwerk durchseuchen. Von mir<br />
aus würde ich niem<strong>als</strong> solche derben Späße machen,<br />
aber er hat mich dazu gezwungen, er hat mich<br />
aufgestachelt, die ganze Welt zu beleidigen. Ich von<br />
mir aus würde keinen einzigen Menschen beleidigen,<br />
er aber möchte, dass ich alle beleidige, damit<br />
ich mich schwer veschuldige und blind werde für<br />
die Güte Gottes. Das ist der Plan meines Widersachers,<br />
der sich nur schlafend stellt, in Wirklichkeit<br />
aber immer hellwach ist. Ein unverschämter Zeitgenosse<br />
ist er. Unverschämt gegenüber allen, die nicht<br />
unverschämt <strong>sind</strong>, und demütig gegenüber jeden,<br />
96
die noch viel unverschämter <strong>sind</strong> <strong>als</strong> er. Da wird er<br />
zum unterwürfigen Schüler, der alles gibt, um noch<br />
unverschämter zu werden. Den Gipfel der Unverschämtheit<br />
will er erklimmen, da wird er plötzlich<br />
kräftig, wo er sonst, wenn es darum ging, etwas Gutes<br />
zu tun, nie kräftig gewesen ist. Ein böser<br />
Mensch ist er, ein höchst durchtriebener, der immer<br />
nur das Böse wollte und immer das Gute hasste.<br />
Vor solchen Leuten müssen wir uns schützen. Denn<br />
sie geben keine Ruhe solange, bis sie einen vernichtet<br />
haben. Ihr Vernichtungswille ist total.<br />
42. Dass ich doch behindert sei, sagen sie immer<br />
wieder. Dass ich doch gar nicht normal sein könne,<br />
sagen sie. Das ist doch nicht normal, so einer muss<br />
doch behindert sein. Wie rechtfertigen? Als Behinderter<br />
abgestempelt. Und dass ich einen Steifen<br />
habe, sagen sie, das sehe doch jeder. Schau her, der<br />
hat einen Harten. Das sieht doch jeder. So redet<br />
man über mich. Und mein persönlicher Widersacher<br />
der hat die Mädels immer gescheit dahergefotzt<br />
und hatte gedacht, das wäre Sex. Vergewaltigt<br />
hat er sie alle und hatte gedacht, das ist Sex. Und<br />
sie haben es mit sich machen lassen, weil sie gedacht<br />
haben, das ist Sex. Das hat mein persönlicher<br />
Widersacher getan mit seinen Freundinnen und sie<br />
haben es mit sich machen lassen. So roh ist unsere<br />
Welt. Niemand erwartet, dass man rücksichstvoll<br />
97
ehandelt wird. Jeder erwartet Rücksichtslosigkeit.<br />
Etwas anderes können sie schon gar nicht mehr ertragen.<br />
Sie machen sich über alle lustig, die rücksichtsvoll<br />
<strong>sind</strong>, behaupten, das wären die allerschlimmsten.<br />
Verleumden die Rücksichtsvollen, indem<br />
sie behaupten, die hätten Kinder auf dem Gewissen,<br />
wären hundsgemeine Kinderschänder, die<br />
man eigentlich erschlagen müsse. Immer <strong>sind</strong> die<br />
Rücksichtsvollen die Kinderschänder, wie sie behaupten,<br />
hätten das immer schon gewusst. Sie haben<br />
ein ganz erstaunliches Wissen diese Widersacher<br />
der guten Sache. So weit haben sie es gebracht,<br />
die Bösen. Und wer vermag ihnen Einhalt zu gebieten,<br />
jenen, die jeden Tag in ihrer Boshaftigkeit Fortschritte<br />
machen. <strong>Die</strong> Widersacher nehmen die Welt<br />
nicht wahr, wie sie ist, sondern so, wie sie die Welt<br />
gerne hätten. Ihr Wahrnehmungsvermögen ist gering,<br />
man muss sie schon anschreien, dass sie einen<br />
überhaupt hören, und man muss sie schon durchschütteln,<br />
dass sie überhaupt reagieren. Im Grunde<br />
genommen zwingen sie einem jede nur denkbare<br />
Gemütsverfassung auf, ob man nun will oder nicht.<br />
Wenn sie wollen, dann hat man depressiv zu sein<br />
oder weiß der Teufel was.<br />
43. Meine Hose löst sich auf, sie fault mir vom Leib<br />
herunter. Alles löst sich auf, nicht in Wohlgefallen.<br />
Zusammenhängend schreiben zu müssen ist ein<br />
98
Fluch. Der Spatz ist auf dem Dach, der Hund in der<br />
Garage. Kindergärtnerinnen räumen den Dreck auf.<br />
Ich bin im Norden. Karten werden gestapelt, ein<br />
Satz angehängt. Und nun das Ganze mit Nebensätzen:<br />
Der Hund, der gestern da war, ist heute nicht<br />
da. <strong>Die</strong> Kindergärtnerin räumt auf, obwohl die Kinder<br />
alles wieder dreckig machen. Wer alt ist, hat<br />
harte Kopfschuppen. Ein Mensch raucht Zigaretten,<br />
Rum kann einem heißen Kakaogetränk hinzugegeben<br />
werden. Boxen und Ochsen rotzen in Duhn.<br />
Muggur mafa sert. Daf efte gehl. Oft so oft. Kakan<br />
mur denegel. Juak fget gefert. Kum. Juk. Sieben ist<br />
<strong>Die</strong>benbahn, wenn der Junker im Onkel ist. Geh nur<br />
das Haus, indem Haus fertig isst. Währenddessen<br />
Schnabel im Kot geht hinaus, um in Garage tut. Kaserne<br />
in Ansbach dient Hummel, obzwar gegenüber<br />
immer dort voraus. Hohnspott auf Brot über Bord<br />
geworfen. Junkerliebe: im Dunkeln setzt es Hiebe.<br />
Wiewohl man sich auch täuschen kann. Falken fliegen<br />
flach über den Boden und scheißen auf den Boden<br />
und vernichten den Boden und tapezieren den<br />
Boden und schauen auf den Boden und essen den<br />
Boden und betonen den Boden und betonieren den<br />
Boden und baden den Boden. Mundtrockenheit,<br />
Einfallslosigkeit. Pessimismus, Denkfaulheit. Diabolischer<br />
Pessimismus, der zu <strong>nichts</strong> führt. Dummes<br />
Gequatsche – auch diese Anmerkung hochpessimistisch.<br />
Beständige Mundtrockenheit, Ausdör-<br />
99
ung: auch das ist Pessimismus. Nie war Mundtrockenheit<br />
ein Problem. Warum sollte man sie hypochondrisch<br />
erwähnen? Kirschen zum Nachtisch.<br />
Das Nachttischlämpchen brennt. Und ich brenne<br />
bald auch. Ich bin ein Fisch. Ich besitze die Gabe,<br />
mir alles einreden zu können. Heute bin ich ein<br />
Fisch. Ich habe solange darüber nachgedacht, ob ich<br />
ein Fisch sein könnte, bis ich zur Überzeugung gekommen<br />
bin, ein Fisch sein zu müssen. Theoretisch<br />
ist alles möglich. Der wahrhaft gründliche Theoretiker<br />
zieht alles in Betracht. Und ich bin ein wahrhaft<br />
gründlicher Theoretiker: ein denkender Fisch. Und<br />
morgen werde ich in der Wirtschaft zu einem Hefeweizen<br />
verspeist. Das ist mein Schicksal. Das<br />
Schicksal ist die Salbe, die die Haut geschmeidig<br />
macht, und in Trübsal lässt sich gut baden. Und die<br />
Saaldiener von Herrn Drang empfangen jeden Gast<br />
sehr stürmisch. Hauptsache das Saldo stimmt. Der<br />
Aldi produziert die schönsten Plastiktüten. So richtig<br />
große, unter der ein erwachsener Kopf Platz hat<br />
zum Ersticken. Besser <strong>als</strong> diese Schaldrosseln, die<br />
sich am Küchenschrank mit einem Schal befestigen<br />
und dann alles durch ihren Sch<strong>als</strong>elbstmord demolieren:<br />
Siebenzehnjährige Schaldrossel erschlagen<br />
durch den Wandschrank, steht dann in der Zeitung.<br />
Ich bin ein wahrhaft gründlich ethisch veranlagter<br />
Zeitgenosse der Wende. Ich wandte mich ab und<br />
machte eine Rolle vorwärts und bekam zwei Punkte<br />
100
dafür vom rumänischen Geheimdienst. Der <strong>Die</strong>nstbote<br />
ist sehr stürmisch: Mit einem Gurkenglas rennt<br />
er im Freien herum und sammelt alle Regentropfen<br />
ein. Er gießt sich dabei einen Schnaps hinter die<br />
Bindehaut und verhaut die Autistenbraut danach.<br />
Labsal und Rinnsal trafen sich in der Wüste und<br />
fragten: Wo ist Irrsal? <strong>Die</strong> Kanonen leuchteten an<br />
der Decke, der Verstand wurde den Besuchern ausgeblasen<br />
und der Kartenständer wurde aufgestellt,<br />
damit endlich der Erdkundeunterricht beginnen<br />
konnte. Wo liegt Ägypten, fragte der Pressesprecher<br />
des Bundeskanzleramtes, und bekam Antworten<br />
von wollüstigen jungen Mädchen, die mit Männern<br />
in einem Meer von Wolle schwammen. Casinobetreiber<br />
wurden dazu angehalten, den Weltuntergang<br />
zu beschleunigen. Kistenteufel wurden in öffentlichen<br />
Nahverkehrsmitteln versteckt. Eine grüne Frau<br />
zündete eine Zigarette an und fragte sich, wo Kundalini<br />
geblieben sei. Sie zündete eine <strong>weiter</strong>e Zigarette<br />
an und stellte beide Zigaretten neben der Gottesmutter<br />
auf. Vielleicht würde sie Kundalini wieder<br />
auf den rechten Weg bringen. <strong>Die</strong> Frau bekreuzigte<br />
sich mit atomar verseuchtem Weihwasser und<br />
verließ das sinkende Schiff. Sie rechnete nicht mit<br />
dem Priester, der sie sofort mit Kupfernägeln beschoss.<br />
Gelbe Kanarienvögel, in kleinen Käfigen<br />
übereinander gestapelt, flogen gegen Gitterstäbe<br />
und brachen sich das Genick. Graue Geschäftsmän-<br />
101
nerfreuden, bübisch und immerfroh, wenn Leben<br />
verlöscht. Grüne Weihnachten, ein schlechtes Zeichen,<br />
Triebtäter laufen frei herum, nicht gefangen,<br />
zu allem bereit, vergewaltigen die Pfarrerin in der<br />
Sakristei, die doch eigentlich predigen sollte, die<br />
Schreie, alles inszeniert, dachten die in der Kirche<br />
lauernden Besucher. Der Teufel verselbständigt<br />
sich, macht seinen eigenen Laden auf und wirbt die<br />
Kunden Gott ab. Sein Programm ist das bessere:<br />
Geschlachtete Jungfrauen, Meerkatzenblut und tanzende<br />
Puppen. Würfel und Schaufel <strong>sind</strong> die Insignien<br />
des Teufels. Und die Chirurgen murksen herum,<br />
zerstechen alle lebenswichtigen Organe mit<br />
dem Skalpell und überlegen sich, was dann passiert.<br />
Nichts passiert. Und wiederum werden Gastarbeiter<br />
gesucht. Für einen Apfel und ein Ei, der ganze<br />
Schulranzen voll Blut. Aus meinem Dämpfkopf fallen<br />
Flaschen heraus. Zwiebelschmetterlinge liegen<br />
auf meinem Sofa und dünsten einen kinderartigen<br />
Geruch aus. Meine Wohnung ist ein großer Lokomotivbahnhof<br />
in grau gehalten. <strong>Die</strong> Züge fahren<br />
durch meinen Kopf, Polizisten laufen mit goldenen<br />
Weihnachtsglocken durch alle Abteile. Judas sitzt<br />
im Zug in seiner schwarzen Kutte und unterhält sich<br />
mit zwei Kurden: Mahriwan und Faritin heißen sie<br />
und sie unterhalten sich über Karl Valentin, dem<br />
Erzkomiker aus Bayern. Eine Büromaschine dampft<br />
im königlichen Gerichtssaal. <strong>Die</strong> Prozesskosten<br />
102
übernimmt der Kläger. In der Psychiatrie wurde<br />
aufgeräumt, die bunten Pillen weggekehrt und die<br />
Patienten in die Schränke gestellt. Fasching ist vorüber,<br />
die Narren <strong>sind</strong> unter die Räder gekommen,<br />
Biergeruch besudelt die ganze Stadt. <strong>Die</strong> Wahrheit<br />
ist, dass noch niemand… und überhaupt ist noch<br />
niemand… weil noch niemand… wo wir doch<br />
alle… außerdem nicht in diesem Geschäft. So ging<br />
auch dieser Tag seinem Ende entgegen. Fischmundtrockenkeit<br />
und Kochfischübelkeit gepaart mit Spinataufgeregtheit.<br />
Das ist das Ende. An solchen Tagen<br />
ist <strong>nichts</strong> mehr zu erreichen. Fisch und Spinat<br />
führen zu ungewöhnlichen Erregtheitszuständen,<br />
die jegliches Arbeiten und Nachdenken zunichte<br />
machen. An Großstadtablenkungen ist auch nicht zu<br />
denken, weil der Fischbluthochdruck einen unmittelbar<br />
mit dem Tod konfrontiert. Überall im Hirn<br />
Schlaganfälle z<strong>weiter</strong> Ordnung, die das Denken unmöglich<br />
machen. Auch im Normalzustand sterben<br />
Nervenzellen ab und hinterlassen Lücken des Nichtwissens.<br />
Ganze Schluchten existieren im Gehirn, in<br />
denen Gedanken abgestürzt <strong>sind</strong>. Gerade jene, die<br />
sich darauf spezialisiert haben, herauszufinden, was<br />
eigentlich in den Nervenzellenschluchten gedacht<br />
wird, <strong>sind</strong> unmittelbar verrückt geworden.<br />
44. Der ganze Ballsportwahnsinn treibt Deutschland<br />
in den Ruin: Niemand kann arbeiten, weil sich alle<br />
103
die Kreuzbänder gerissen haben. Ansonsten Herzmuskelruptur,<br />
Schädelfraktur, Stammhirnschlaganfall,<br />
Darmriss, Penisbruch. Alle liegen sie zuhause<br />
mit ihren Verletzungen, möglicherweise auch im<br />
Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Wer Ballsport<br />
betreibt, hat immer ein Alibi, warum er nicht arbeiten<br />
kann. „Mir hat der Gegner die Hoden abgerissen.“<br />
– „Ich bin beim Aufwärmen über meinen<br />
Kopf gestolpert.“, so wird es dann am Montag den<br />
Nichtballsportbetreibenden durch den Arzt ausgerichtet,<br />
was dann heißt, dass die Nichtballsportbetreibenden<br />
doppelt so viel arbeiten müssen. Wer<br />
nicht arbeiten will, betreibt Ballsport. Auf dem<br />
Spielrasen gibt sich das arbeitsscheue Ge<strong>sind</strong>el aus<br />
Gesamtdeutschland ein Stelldichein. Und wer etwas<br />
dagegen sagt, der wird sofort mundtot gemacht und<br />
diskreditiert. Ähnlich verhält es sich mit den Skifahrern,<br />
den Mountainbikern, Inline– und Online–<br />
Skatern, den Fit–for–Fuck–Fanatikern, den Nacktbadern<br />
und Nichtschwimmern. Alle Freizeitaktivitäten<br />
werden nur aus dem Grunde ausgeübt, um<br />
möglichst rasch krank zu werden oder gleich tot<br />
umzufallen. Niemand möchte leben, niemand<br />
möchte arbeiten. Lauter Hirntote laufen umher, die<br />
nur noch von den Arbeitgebern künstlich am Leben<br />
erhalten werden. Solche Wahrheiten können jetzt<br />
ausgesprochen werden, wo wir uns nun im Zentrum<br />
meines Weltwerkes befinden. Bedingungsloser <strong>als</strong><br />
104
je zuvor will ich fortan Wahrheiten ans Licht zerren<br />
und vor der staunenden Öffentlichkeit ausschlachten.<br />
Zu meiner Rechten liegt ein Lineal. Ich frage<br />
mich, warum der Affe Affe heißt. Auf dem affenbraunen<br />
Koffer sitzt ein koffergelber Affe und<br />
trinkt starken Kaffee. Der Pfaffe ist der Affe. In der<br />
Karaffe liegt ein zerstückelter Affe. Ich schaffe mir<br />
Affen. <strong>Die</strong> schlaffen Affen gaffen in die Karaffen<br />
und sahen den zerstückelten Affen. Der Affe ist<br />
dem Menschen ähnlich, wie man so sagt. Ich glaube<br />
nicht, dass die Erde rund ist, ich gehe davon aus,<br />
dass es die Erde überhaupt nicht gibt. <strong>Die</strong> Erde ist<br />
Illusion, und da spielt es gar keine Rolle, ob sie nun<br />
eine runde oder eine scheibenförmige Illusion ist.<br />
Ich werde überwacht vom Arbeitsamt und vom<br />
Bundesnachrichtendienst. Todesschützen stehen in<br />
der gegenüberliegenden Apotheke und warten darauf,<br />
dass ich mir eine Blöße gebe. Meine Fenster jedoch<br />
bestehen aus Panzerglas, die Vorhänge <strong>sind</strong><br />
zugezogen und ich laufe mit einer kugelsicheren<br />
Weste herum, die aus Keramikkacheln zusammengeflickt<br />
ist. Mein Computer digitalisiert die Welt,<br />
niemand wird ihn abstellen können, ich verfüge<br />
über ein Notstromaggregat. Ich bin der gute Hirte.<br />
Niemand wird mangeln, der zu mir kommt. Ich<br />
habe die Worte des Lebens, für jeden mindestens<br />
eines, die Welt erklärt sich mir, mein Gehirn schreibe<br />
ich nieder in diesen Zeilen für die Nachwelt, da-<br />
105
mit sie mich und mit mir die gesamte Welt anhand<br />
dieses Weltwerkes rekonstruieren kann. Ich pflege<br />
Beziehungen zu nichtatomaren Lebensformen und<br />
lasse mir von elektromagnetischen Kapazitäten die<br />
Welt erklären. Um mich herum eine Horde Halbaffen,<br />
die <strong>nichts</strong> verstehen und alle erschlagen, die<br />
den Eindruck erwecken, etwas zu verstehen. <strong>Die</strong>se<br />
Halbaffen werden von der phönizischen Weltmacht<br />
blutig niedergeschlagen werden, was diese aber<br />
nicht wissen, da sie ja nicht einmal Ahnung von der<br />
Gegenwart haben, und erst recht nicht von zukünftigen<br />
Ereignissen. Alles müssen diese Halbaffen atomar<br />
erschließen. Damit befinden sich diese Halbaffen<br />
aber auf dem Holzweg, denn atomar lässt sich<br />
<strong>nichts</strong> erschließen. Subatomar kann man alles erschließen:<br />
die Metawellen sagen uns die Zukunft<br />
voraus und mit Hilfe der Infraskopie lässt sich jede<br />
Wahrheit aufspüren. Aber was rede ich? Wer das<br />
liest, hat gar nicht die Fähigkeit dazu. Sie <strong>sind</strong> ja<br />
schon alle auf ihren Diazepamwolken der Wirklichkeit<br />
entschwebt, die der Autor hier in so eindringlicher<br />
Weise beschrieben hat. Aber mit schweren<br />
LSD–Geschützen werde ich ihre Himmelsfahrzeuge<br />
abschießen, und die Meskalingranaten tun das Ihrige.<br />
Danke Gott, dass es Weihnachten ist: Meine<br />
weißen Schuppen auf dem blauen Teppichboden.<br />
106
45. Das Minuszeichen läuft wild im Kreis umher<br />
und verhindert dadurch die Position. <strong>Die</strong> Ziffern<br />
hocken auf ihren Stühlen und schauen zu. Und du<br />
und du… und so <strong>weiter</strong>. Der Sohnemann ist verwegen.<br />
Er ist an allem Schuld: Arbeitslosigkeit, Atomkrieg<br />
und so <strong>weiter</strong>. Der Sohnemann ist schuld, an<br />
allem. Der Vordermann lenkt nicht. Das Verderben<br />
ist groß. Meine Sätze <strong>sind</strong> kurz und werden immer<br />
kürzer. Ich verwende das Wort und sehr häufig. Ich<br />
liebe Vergleiche. Ich bin das Negativum der Weltgeschichte.<br />
Ich bin der ewig Gestrige, der Einfallslose,<br />
der von der Weltgesellschaft ausgespotzt werden<br />
muss wie ein vergammeltes Wurstbrot. Mein<br />
Hormonhaushalt ist natürlich durcheinander: Unter<br />
dem Strich keine Gewinne, sondern nur ein fettes<br />
Minus. Mein Hormonsaldo stimmt nicht. Zu meiner<br />
Rechten liegt ein Lineal, das zugleich auch <strong>als</strong> Rechenschieber<br />
benutzt werden kann. Ebenfalls zu<br />
meiner Rechten ein verschwitztes und vollgeregnetes<br />
Hemd. Normalerweise immer zu meiner Linken,<br />
diesmal ausnahmsweise zu meiner Rechten. Unter<br />
mir befinden sich meine heiligen Füße, die ich nicht<br />
riechen kann, weil es zu kalt ist in meinem Zimmer.<br />
Wie ja jeder weiß, werden Gerüche in warmer Luft<br />
besser transportiert <strong>als</strong> in kalter Luft. Ich bin kreidebleich.<br />
Den Großteil meines Lebens habe ich schon<br />
gelebt, ein kleiner Rest bleibt noch übrig, den ich<br />
mit beständigem Schreiben versuche zu über-<br />
107
ücken, was mir bislang ganz gut gelungen zu sein<br />
scheint. Holzfäller blasen in ihre Hörner, weil Morgen<br />
der Versöhnungstag sein wird. Allerdings wird<br />
ihr Geblase von den Autos übertönt. Nur in meinem<br />
Kopf höre ich sie noch blasen, sonst nicht mehr wegen<br />
der vielen Autos. Immer noch starrt mich die<br />
Papierfrau von hinten rechts an. Ich beachte sie aber<br />
diesmal nicht so sehr. Übrigens bin ich in der Lage,<br />
meine Unterhosen zu waschen. Auch möchte ich<br />
nicht unerwähnt lassen, dass ich mir im Frühling<br />
Rhabarberkompott gemacht habe. Vielleicht werde<br />
ich wieder Blut spenden gehen. Und zu meinem<br />
Geburtstag werde ich mein Zimmer mit Sparlampen<br />
und Girlanden ausschmücken und mit meinem Gewehr<br />
auf den Präsidenten schießen. Vielleicht sollte<br />
ich auch die Scharniere meiner Zimmertür einölen<br />
und meinen Rücken gegen den Sonnenbrand. Ehrenwimpel,<br />
Schlachtbier, Donnerstagsfrüchte – so<br />
soll der hundsgemeine Weiterleser begrüßt werden.<br />
Kasernenhofabteilungen bewacht der Torsten, der<br />
so stark kurzsichtig ist, dass er Eindringlinge niem<strong>als</strong><br />
würde erschießen können. Torsten wird vom<br />
Tibor, der mit der zielstrebigen Geologiestudentin<br />
verheiratet ist, unterdrückt. Tibor erlaubt dem Torsten<br />
nicht zu furzen und sagt auch ständig gemeine<br />
Dinge zu ihm: „Sag, dass du saugst!“ oder „Saug!<br />
Sag es!“ Sieh, dass du <strong>weiter</strong>kommst. Hier hast du<br />
108
<strong>nichts</strong> verloren! Geh <strong>weiter</strong>! Mir wurde mal so richtig<br />
das Gehirn gewaschen.<br />
46. Island ist sehr weit weg, es schwimmt wie ein<br />
Speckstück in der Suppe. <strong>Die</strong> Grönländer fraßen es<br />
auf und rülpsten nachher überaus unartig. Ich laufe<br />
in einem kaltwarmen Traumdorf umher und komme<br />
in die Nähe eines roten Backsteinhauses, sehr hoch,<br />
vier Stockwerke, sehr viel Wiese davor, auch einige<br />
Menschen, mit denen ich aber irgendwie <strong>nichts</strong> zu<br />
tun habe. Eigentlich scheint die Sonne, aber es ist<br />
alles sehr kalt. Hans Dampf isst eine Portion Pommes<br />
Frites. Mir ist das überaus unangenehm. Aber<br />
Hans Dampf macht oft etwas, das mir überaus unangenehm<br />
ist. In meinen Träumen merke ich, dass<br />
ich sehr alt bin. In der Art wie ich träume, habe ich<br />
sichere Anhaltspunkte, dass mich die Gesellschaft<br />
schon längst abgeschrieben hat. Industriemechaniker<br />
gehen mit spottenden Blicken an mir vorbei, sie<br />
finden es geradezu lächerlich, dass ich meinen Willen<br />
meinen Gliedmaßen nicht mitteilen kann. <strong>Die</strong><br />
Gliedmaßen gehören mir nicht sondern der Gesellschaft.<br />
Sie erhebt einen Anspruch auf meine Gliedmaßen<br />
und kann diesen Anspruch auch durchsetzen.<br />
Es kann <strong>als</strong>o gesagt werden, dass ich mich an<br />
der Körperwelt nicht beteiligen kann. In der Körperwelt<br />
gibt es keinen Platz für mich. Nur in der<br />
Welt des Verstandes und des Geistes kann ich han-<br />
109
deln. Aber auch das könnte sich schon bald <strong>als</strong> Illusion<br />
herausstellen. Da gibt es auch andere, die mir<br />
im Kasernenhoftton Befehle erteilen und meinen<br />
Geist nicht gerne frei schweben sehen. Der Hans<br />
Dampf der Gemütlichkeit versaut alle Kinder, indem<br />
er sie schändet. Deren Leben ist versaut bis in<br />
alle Ewigkeit. Der Motor brummt, der Bär brummt<br />
und das Geschäft brummt, nachdem es angekurbelt<br />
worden ist. Ei, wer kurbelt denn da? Ist’s der Kurbelmeister?<br />
Oder ist es eher der… Alle <strong>sind</strong> wir<br />
schlecht, da gibt es keine Ausnahmen! Der Bestimmung<br />
des Lebens nachkommen – das ist alles, was<br />
möglich ist. Gut sein, kann niemand, das schafft<br />
auch niemand. Jeder muss böse sein, der in dieser<br />
Welt lebt. Nur der Bestimmung des Lebens kann<br />
man nachkommen, alles andere ist unmöglich.<br />
47. Epochemachender Unsinn: Es gilt Kraftfahrzeugen<br />
hartnäckig nicht auszuweichen. Dazu <strong>sind</strong> alle<br />
Bundesbürger aufgerufen: Kraftfahrzeugen hartnäckig<br />
nicht auszuweichen. Einfach stehen bleiben<br />
und sich überfahren lassen. Man stelle sich vor:<br />
Überall in Deutschland weichen die Bundesbürger<br />
den Kraftfahrzeugen nicht aus. Ein beruhigender<br />
Gedanke. Bestimmt der… Ein Ehepaar, türkisch–<br />
griechisch, sie ist sehr krank, er ist Raucher. Das<br />
Schummelmonster treibt sein Unwesen im Kindergarten<br />
und ich verreibe meinen Rotz zwischen die<br />
110
Finger. Spaltendiebe und Schaltgetriebe in diesem<br />
epochemachenden Werk, der Zwerg im Garten, die<br />
toten Menschen in der Kirche, der um sich schießende<br />
Pfarrer verhaftet, zu feige für Selbstmord,<br />
wird angeklagt wegen mehrfachen Mordes in der<br />
Kirche. Und das Blut der Pfarrerin sickert aus der<br />
Sakristei, die lauernden Gottesdienstbesucher springen<br />
auf und <strong>sind</strong> erstaunt, ihre Schreierei keine<br />
Schauspielerei. Und andere sitzen auf der Empore<br />
und trinken Limonade. Nach dem Gottesdienst gibt<br />
es zur Stärkung Wiesenkompott und Wiener Würstchen.<br />
<strong>Die</strong> Polizei stärkt sich. <strong>Die</strong> Frauen <strong>sind</strong> blau,<br />
Männer grün – oder rot. Oranger Blinker, Psychose<br />
seit zwanzig Jahren. Kapitalverbrechen jeden Sonntag<br />
in der Kirche, verängstigte Frauen, die um ihr<br />
Seelenheil bangen, das geistliche Personal jedoch<br />
ohne Erbarmen. Regen fällt und verdünnt ihre Empörung:<br />
Gott schafft das geistige Personal ab und<br />
das Kalb… Springfledermäuse al dente gekocht<br />
schwimmen in dem großen schwarzen Topf aufgedunsen.<br />
Heute ist ein großer Tag, sie werden serviert<br />
anlässlich des soundsovielsten Todestages des<br />
rumänischen Kardin<strong>als</strong>. Kriminalfall nennt man<br />
das. <strong>Die</strong> Gastronomie brummt. Hartnäckige Kardinäle<br />
mit Krummstock und Bleiketten, die getragen<br />
werden von ihren harten Nacken. Siegerfrauen<br />
mit großen Nasen und schwarzen Haaren, die beständig<br />
reden, die an der Käsetheke ungefragt einen<br />
111
tiefen Einblick in ihr Familienleben geben, der alle<br />
peinlich berührt, Verkäuferin und Kunden zugleich.<br />
Je größer die Nase, desto geschwätziger das Weib.<br />
„Bitteschön“, fragte die Verkäuferin und die<br />
schwarze Dame sprach: „Hundertfünfzig Gramm<br />
Bärlauchkäse für meinen Mann, der impotent ist.“<br />
48. Nirgendwo dabei sein, ausgestoßen, eine Null<br />
mit negativem Vorzeichen. Dass ich doch, um meine<br />
Beckenbodenmuskulatur zu stärken, einen<br />
Volkshochschulkurs Bauchtänzerei belegen solle,<br />
meinte sie, meine Gesangslehrerin, die mir auch<br />
schon empfohlen hat, Bachblüten zu nehmen.<br />
Bauchtänzerei <strong>als</strong> Mann? Meine Zweifel erschlug<br />
sie gleich im Voraus: Seien Sie ein Pionier, der erste<br />
Mann, der Bauchtänzerei betreibt. Dann können<br />
Sie sich auch sicher sein, dass viele Männerschwänze<br />
auf Sie warten. Sie <strong>sind</strong> doch bestimmt homosexuell,<br />
oder? Sagen Sie jetzt <strong>nichts</strong>, ich weiß es. An<br />
der Art, wie sie singen, habe ich erraten, dass sie<br />
homosexuell sein müssen. Lassen Sie Ihrer Ihnen<br />
nicht bewussten Homosexualität freien Lauf und<br />
stärken Sie Ihre Beckenbodenmuskulatur durch<br />
Bauchtänzerei. Aber wenn mir meine Homosexualität<br />
gar nicht bewusst ist, wie kann ich dann überhaupt…<br />
So zu denken, ist der erste Fehler! Glauben<br />
Sie einer erfahrenen Gesangslehrerin und akzeptieren<br />
Sie, dass Sie homosexuell sein müssen. Oder<br />
112
wollen Sie mit mir schlafen? Fellatio oder so. Und<br />
Ihre Augenbrauen – dass Sie die immer bis zum<br />
Himmel aufreißen, das ist ein sicheres Zeichen dafür,<br />
dass Sie alle Emotionen unterdrücken. Das ist<br />
dermaßen krankhaft, dass Sie alle Menschen, denen<br />
Sie begegnen, darauf hinweisen müssen, dass sie<br />
ein medizinisches Augenbrauenproblem haben. Ansonsten<br />
laufen die Ihnen schreiend weg. Und weil<br />
Sie keine Gesichter erkennen können – sagen Sie<br />
es! Sagen Sie es jedem! Wenn Sie an der Käsetheke<br />
<strong>sind</strong>, sagen Sie: „Grüß Gott, ich kann keine Gesichter<br />
erkennen. Seien Sie <strong>als</strong>o nicht verwundert, wenn<br />
ich Sie nicht erkennen kann und geben Sie mir bitte<br />
hundertfünfzig Gramm Bärlauchkäse.“ Sie werden<br />
sehen, wie sehr… <strong>Die</strong> Tür zuschlagen so laut, dass<br />
der Keller zusammenfällt, die Frau niederschreien<br />
und den Mieter sadistisch angrinsen. Ständig im<br />
Garten und Bescheid wissen, warum es mit<br />
Deutschland den Bach runter geht: wegen der Homosexualen<br />
und wegen den Ausländern, die „viel<br />
zu viele Kinder haben“. Klar, Herr R., der Vermieter,<br />
hat eine Arschlochfrisur, und Frau R., die Vermieterin,<br />
einen viel zu großen Hundekopf gekrönt<br />
mit gefärbtem Althaar. Wenn sie wieder im Garten<br />
herumrennen und herumklopfen und mähen, schneiden<br />
und beschauen und die Katze rufen. Da wird<br />
ein Gartenzaun renoviert, um abgerissen und durch<br />
eine Panzersperre ersetzt zu werden. Wegen der<br />
113
Nachbarn, wie sie sagen. <strong>Die</strong> Kinder spielen nämlich,<br />
erfahre ich. Und solange die Kinder noch frei<br />
herumlaufen und nicht rechtsmäßig verurteilt <strong>sind</strong>,<br />
muss man sich schützen, sagen sie. Nicht bedacht<br />
haben sie, dass der Feind in dem eigenen Haus<br />
hockt. Sie denken, der Mieter sei ein harmloser klerikaler<br />
Piepser, in Wirklichkeit hat er alle Waffen<br />
auf dem Küchentisch ausgebreitet und überlegt<br />
sich, ob er Frau R. köpfen oder Herrn R. erschießen<br />
soll. Axt und Beil liegen bereit, die Schusswaffe im<br />
Halfter. Wie sie sich mit Kissen bedecken, wie sie<br />
die Tischdecke glatt streichen! Ihr Tod steht unmittelbar<br />
bevor. Beschlossen, abgesegnet. Überall Homosexuale,<br />
sagen sie, und die Russen haben zu viele<br />
Kinder. Weiterhin nimmt die Weltverschwörung<br />
der Juden bedrohliche Formen an. Ganz Amerika<br />
sei durchseucht von diesen Juden. Nicht, dass man<br />
etwas gegen die Juden hätte – Gott bewahre! –, aber<br />
das muss auch gesagt werden können in einem demokratischen<br />
Land. Und die christdemokratische<br />
Partei wird endlich aufräumen mit dem ganzen Ge<strong>sind</strong>el<br />
im Dorf. Weil das muss man schon Adolf<br />
Hitler lassen: zu seiner Zeit gab es keine Verbrecher,<br />
die unsere Töchter belästigt haben, die hat er<br />
alle fortschaffen lassen, sagen sie. In dem Moment<br />
ergreife ich meine Luger, Kaliber 7,65 mm, und<br />
schieße dem Herrn R. ins Gesicht. Er blutet das<br />
Sofa voll, Frau R. denkt gleich ans Putzen, denn<br />
114
was sollen die Nachbarn von uns denken, sagt sie,<br />
wird aber von mir auch erschossen. Ich sage ihnen<br />
nicht, dass meine Luger zuvor einem Erzfaschisten<br />
gehört hat. Herr R. gurgelt vor sich hin, sein Gehirn<br />
habe ich verfehlt, sein Gesicht jedoch zerschmettert.<br />
Was nützt Ihnen nun Ihre Panzersperre, frage ich<br />
ihn, aber er antwortet mir nicht. Schlussendlich reiße<br />
ich Frau R. ihr verfaultes Herz aus ihrer Brust<br />
und werfe es der Katze zum Fraß vor. Ich steige in<br />
den grünen Mercedes von Herrn R. und fahre zur<br />
Kirche, um den Leichnam von der Pfarrerin zu<br />
schänden, die ein Bekannter von mir in der Sakristei<br />
umgebracht hat, beschließe aber im letzten Augenblick,<br />
sie doch nicht zu schänden, weil sie es gar<br />
nicht wert ist, geschändet zu werden. Ich gebiete<br />
meinem Bekannten, von dieser Frau endlich abzulassen<br />
– sie sei doch längst tot, sehe er denn das<br />
nicht? Er brauche nicht mehr zuzustechen, und außerdem<br />
werden die Gottesdienstbesucher langsam<br />
unruhig – und in den grünen Mercedes einzusteigen.<br />
Wir wollen nach Schweden fahren. Wir hören<br />
„O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhard<br />
und unterhalten uns über nichtatomare Zusammenhänge.<br />
<strong>Die</strong> Ghule tun das Ihrige, fressen an den<br />
frisch zurückgelassenen Leichnamen, bis irgendwann<br />
einmal <strong>nichts</strong> mehr von ihnen übrig bleiben<br />
wird. Auf unserer Fahrt nach Schweden begegnet<br />
uns mein Chef, der mit einem blauen Dreirad auf<br />
115
der Autobahn fährt. <strong>Die</strong> Energie des grünen Mercedes<br />
überwältigt den Chef und lässt Brei zurück. Wir<br />
fahren <strong>weiter</strong>. Mein Bekannter schießt immer wieder<br />
mal aus dem Fenster. Um Gott zu töten, wie er<br />
sagt. An Weihnachten wird an und Pfirsich Wein<br />
getrunken. Flug– und Feuerzeug. Lug und Trug.<br />
Bariumnitrat.<br />
49. In dem Königreich gab es keinen Klebstoff<br />
mehr. Das bedauerten sie sehr und lauerten in ihren<br />
Ecken wegen des großen Königs, der sich in dieser<br />
Gegend alle vier Jahre blicken ließ. Wien war in der<br />
Schlinge und ab heute ist die Wiese nicht mehr<br />
grün. Blaue Raben aßen und fraßen Lieses Linsengericht<br />
und vergaßen die schnöde Langeweile.<br />
Hüftknochen schweben in den Lüften und der große<br />
König kam mit dem großen Degen. Und die Panther<br />
lauerten in den Ecken. Der Deich war gebrochen<br />
und Jochen gab keinen Laut mehr von sich. Sie<br />
nickten in dieser Gegend ziemlich häufig, alle vier<br />
Jahre. Und das Geläute regte niemanden auf. Sie<br />
zersprengten sich in Teile und ihre Brocken flogen<br />
in die Lüfte, teils mal auch eine Hüfte. Ein grauer<br />
Panther kam mit der Liese, die Gas gab, um nicht<br />
die Häute zu beunruhigen. Samstags wurden die<br />
Flecken des Scheichs größer, weil er den Degen<br />
niem<strong>als</strong> erneuerte. Der Krieg gegen die Perser war<br />
ziemlich heftig und die Marmelade schmeckte<br />
116
ziemlich deftig. In dieser Gegend gab es <strong>nichts</strong> zu<br />
verlieren außer ein paar Brocken von gestern. Und<br />
der König kam mit seinem großen Degen. <strong>Die</strong> Lüfte<br />
saßen auf dem Floß und sie schwammen einer unbekannten<br />
Zukunft entgegen. So sagt man im Königreich,<br />
es sei ein Segen, dass es keinen Klebstoff<br />
mehr gab. Schneeflocken verbreiten Langeweile.<br />
Panther spielten mit den Raben und die Perser<br />
schauten zu mit all ihren Gaben. Vier Jahre flogen<br />
sie durch die Lüfte und der große König kam mit<br />
seinem Degen und trat auf die grüne Wiese. Das<br />
blaue Wasser floss hinab und verwandelte sich in<br />
Raben, die dem großen König dienten. Riemenschuhe<br />
hatten sie an und sangen flotte Lieder, obzwar<br />
sie der schnöden Langeweile nicht entkommen<br />
konnten. <strong>Die</strong> Wiese war ja auch nicht mehr<br />
Grün und alle Kälber gehäutet. Trocken die Sonne,<br />
würzig der Wein.<br />
50. Will man sich das eigene Schreiben unmöglich<br />
machen, dann frage man sich: Was soll ich schreiben?<br />
Sollte dies nicht ausreichen, dann frage man<br />
sich: Warum soll ich schreiben? Spätestens dann<br />
wird einem die Sinnlosigkeit eines jeglichen<br />
Schreibunterfangens bewusst werden, denn es<br />
könnte ja sein, dass man völlig grundlos schreibt.<br />
So sprach er zu mir. Aber seine Rede ist unsinnig,<br />
denn ich bin kein Schriftsteller und will auch keiner<br />
117
werden, das hatte er wohl vergessen, weswegen er<br />
dann auch begonnen hatte, mir Ratschläge bezüglich<br />
der Schriftstellerei zu geben. Ich sah mich in<br />
seinem Raum um. Klein und verfault war sein Altersheimzimmer,<br />
in dem er nun schon seit neun Jahren<br />
hauste. Ein paar alte Computer standen in der<br />
Ecke, ich saß auf einem rotzgrünen Sessel, er auf<br />
einem ebensolchen Sofa. <strong>Die</strong>ser alterfahrene<br />
Schriftsteller dachte, ein jüngerer Kollege hätte ihn<br />
besucht, dem er nun Ratschläge erteilen könne. Ich<br />
aber bin kein Schriftsteller, im Gegenteil, ich bin im<br />
Grunde genommen sein Schlächter, ich bin nämlich<br />
der Altenpfleger von der Station IV, die auch den<br />
Tiernamen Esel trug. Seine Insulinspritze hatte ich<br />
ihm gegeben, was wollte er noch? Zweihundert Patienten<br />
warteten noch darauf, dass ich ihnen ihre Insulinspritze<br />
gebe. Aber ich widersprach ihm nicht,<br />
ich wusste, dass er dement war und dass es folglich<br />
sinnlos war, ihm zu widersprechen. Ich sei Torsten,<br />
behauptete er immer wieder, ich sei doch der große<br />
Herr Torsten, der schon seit vierzig Jahren an einer<br />
Schreibblockade litt. <strong>Die</strong>se Schreibblockade wolle<br />
er mir gründlich austreiben, sagte er und furzte. Seine<br />
Scheiße sickerte in dieses rotzgrüne Sofa ein, ich<br />
nahm das hin und tat <strong>nichts</strong>, obwohl ich der Pfleger<br />
bin. Seit neun Jahren hauste er nun in diesem Loch,<br />
Station IV, die Esel. Und ich seit sechs Jahren Pfleger,<br />
sein Pfleger, der Pfleger <strong>weiter</strong>er zweihundert<br />
118
Menschen, die alt waren, aber nicht daran dachten<br />
zu sterben. Wodka und Insulin war das einzige, wonach<br />
diese alten Menschen verlangten, ob man sie<br />
wickelte oder nicht, war ihnen egal, ja eigentlich sogar<br />
scheißegal. Und da pupste der Alte mich an, die<br />
Scheiße floss durch das rotzgrüne Sofa auf den<br />
orangen Teppich. Was soll ich schreiben, sagte er,<br />
sei eine überflüssige Frage, denn man schreibt ja<br />
automatisch immer etwas, das könne man ja auch<br />
gar nicht verhindern, höchstens dadurch, dass man<br />
sich frage, was man schreiben soll. Dann erst bekäme<br />
man Angst, es könne einem <strong>nichts</strong> einfallen.<br />
Man wird sich bewusst, dass es möglicherweise gar<br />
<strong>nichts</strong> gibt, worüber man schreiben könne. Und die<br />
tödlichste aller Fragen: Warum schreibe ich? Fragt<br />
man sich diese Frage, dann fragt man sich, ob das<br />
eigene Schreiben in irgendeiner Weise autorisiert<br />
sei, was man selbstverständlich verneinen müsse,<br />
denn kein Gott und kein Mensch hat einen jem<strong>als</strong><br />
autorisiert, das zu schreiben, was man schreibt, im<br />
Gegenteil: alle Menschen und alle Götter <strong>sind</strong> dagegen,<br />
dass man überhaupt irgendetwas schreibt.<br />
Schreiben ist ziel- und sinnlos, sagte er. Und was<br />
immer auch man schreibe, es sei grundsätzlich und<br />
in jeder Hinsicht f<strong>als</strong>ch. Da starb er plötzlich, der<br />
Alte, die Insulinspritze ragte noch aus seinem<br />
Bauch. So ließ er mich im Stich, was ich allerdings<br />
nicht bedauerte. Wie schlimm ist es, für einen<br />
119
Schriftsteller gehalten zu werden, ohne es zu sein.<br />
Nein, mein Schock saß nicht tief, seinen Tod habe<br />
ich einfach so hingenommen. Ich schaute mich<br />
noch mehrm<strong>als</strong> in seinem Zimmer um und stand<br />
auf. Ich dachte an meinen Mord: Herr R. hätte nicht<br />
sagen sollen, dass er es pervers fände, in einem<br />
warmen Zimmer zu schlafen, wie ich es täte. Hätte<br />
er bloß nicht gesagt, dass er in einem warmen Zimmer<br />
nicht schlafen könne und alle für Perverse hielt,<br />
die in einem warmen Zimmer schlafen können,<br />
dann könnte er heute noch leben. Aber so hatte er<br />
sein eigenes Todesurteil ausgesprochen. Plötzlich<br />
fiel mir ein Traum ein: Wie ich immer im Winter<br />
im Freien lief, in Orten und auf Straßen und es ist<br />
dunkel und die Leute <strong>sind</strong> alle nicht ansprechbar,<br />
obwohl ich sie alle sehen kann. Sicherlich gab es<br />
nie viele Leute in diesem Traum, aber immerhin<br />
doch so viele... Aber ich hatte keine Schnittmenge<br />
mit denen! Unaufhörliches Gehen im Winter. Und<br />
Kinder habe ich nicht. Ich schloss die Tür, verließ<br />
den Alten, der gerade gestorben ist und mich zeitlebens<br />
für einen Autor gehalten hat. Auf dem Flur begegnete<br />
ich Erdmute, eine Hilfskraft. Sie grüßte<br />
mich nicht, weil ich ein geistig Verschnittener sei.<br />
Arrogant reckte sie ihr Kinn in die Höhe. Im gebärfähigen<br />
Alter wäre sie, ledig ebenfalls. Aber Kinder<br />
wolle sie keine von mir. So lief sie an mir vorbei,<br />
schaute die Leuchtstoffröhren an, die an der Decke<br />
120
ihren Platz hatten. Der Alte ist gestorben, rief ich<br />
ihr hinterher. Ich rieche es, sagte Erdmute und verschwand<br />
hinter der Ecke. Nun war ich allein. Kinder<br />
habe ich nicht. Der Tod überschattete mein Leben.<br />
Umgekippte Sonnenblumen lagen vor meinen<br />
Füßen. Da sah ich, wie Strahlen ausgingen vom<br />
Fernseher, der im Aufenthaltsraum stand. Es waren<br />
Strahlen des Heils, die die Luft durchschnitten und<br />
mich erreichten. Nicht, Kunigunde, schrie ich,<br />
durchschreite nicht die Strahlen des Heils! Aber<br />
Kunigunde verstand mich nicht und blieb jetzt sogar<br />
stehen. <strong>Die</strong> Verbindung war unterbrochen, ich wand<br />
mich in Schmerzen, Kunigunde schaute mich fassungslos<br />
an. Kunigunde, tu deinen <strong>Die</strong>nst und geh<br />
<strong>weiter</strong>, keuchte ich auf dem Boden liegend. Kunigunde<br />
blockierte mit ihrem Körper die Strahlen des<br />
Heils, die vom Fernseher ausgingen. Ich glaubte,<br />
sterben zu müssen. Kunigunde rannte davon, schreiend.<br />
Und warm umspielten mich wieder die Strahlen<br />
des Heils. Ich lächelte, stand aber nicht mehr<br />
auf vom Boden, blieb einfach liegen und ließ mich<br />
von den Strahlen des Heils wärmen. Aber ich spürte,<br />
wie sich digitaler Unmut im Flur ausbreitete. Der<br />
Tod, der Alte! Seine Computer, die im Zimmereck<br />
lagen, habe ich nicht berücksichtigt. Immer noch digitalisierten<br />
diese Eckcomputer die Welt. Ich schrie.<br />
<strong>Die</strong> Strahlen des Heils wurden von mir abgelenkt<br />
und schlussendlich abgesaugt. Ich litt Qualen. Und<br />
121
ein blauer Mann kam auf mich zu. Nicht, schrie ich.<br />
Aber ich wurde nicht gehört. Der blaue Mann<br />
schlug mich nieder, mein Kopf prallte gegen die<br />
Wand. Kunigunde und Erdmute… Aber dann wachte<br />
ich wieder auf – in der grauen Irrenanstalt. Zebrafinken<br />
starrten mich an. Sie saßen auf dem Fensterbrett<br />
und unterhielten sich über mich. Hellweißes<br />
Licht strömte aus diesem Fenster über die tuschelnden<br />
Köpfe der Zebrafinken hinweg. Ich bemerkte<br />
die gelbe Flasche, die an einem Tropfer aufgehängt<br />
worden war. Mir wurde eine Limonadeninfusion<br />
gelegt, dachte ich. Und im Traum sah ich mich in<br />
der Kirche auf einer Kloschüssel hocken. Gottesdienstbesucher<br />
liefen an mir vorbei, während ich<br />
meine Würste in die Schüssel drückte. Und ein<br />
Brummen wurde immer lauter, ich begann mich im<br />
Kreis zu drehen, meine Würste flogen in alle Himmelsrichtungen,<br />
ich drehte mich immer schneller,<br />
das Brummen wurde immer lauter. Und ich selbst<br />
sah mich. Den Schuft bringe ich um, dachte ich,<br />
und tat es auch. Aber dann wachte ich wieder auf –<br />
in der grauen Irrenanstalt und sah nur den Oberarzt<br />
über mich gebeugt. Sie <strong>sind</strong> <strong>als</strong>o der berühmte Herr<br />
Soundso, sprach mich der Oberarzt an. Ich nickte.<br />
Was haben denn heute die Zebrafinken zu Ihnen gesprochen,<br />
wollte der Oberarzt wissen, aber ich gab<br />
ihm keine Antwort. Darauf zu einer Krankenschwester:<br />
Ab sofort die doppelte Dosis Ritalin. <strong>Die</strong><br />
122
Nackte nickte und verabreichte mir eine Dosis. Ich<br />
schlief ein.<br />
51. Als der geselchte Popbub zum Weiberrainer<br />
ging, wurde er von vielen Verdachtsdepressiven<br />
überrascht, die blind über die Wiese gingen, um so<br />
für den Sinn des Lebens offen zu werden. Der geselchte<br />
Popbub setzte sein Kinderschokoladenlächeln<br />
auf, denn er wusste, dass er nur so den Weiberrainer<br />
an seinen Dauererziehungsauftrag erinnern<br />
konnte, den er an ihm ausüben sollte. Der geselchte<br />
Popbub war es gewohnt, Kukuruzsäcke zu<br />
schleppen. In letzter Zeit war der Weiberrainer depressiv,<br />
nicht etwa verdachtsdepressiv, sondern so<br />
richtig depressiv, denn es hatte ihn ein Weib verlassen.<br />
Deswegen begann er sich mit Philosophie zu<br />
beschäftigen, und die Anwesenheit des geselchten<br />
Popbuben war ihm auch ganz recht, denn so konnte<br />
er besser seine innere Leere überbrücken, die die<br />
Weiber in ihm hinterlassen hatten. Der geselchte<br />
Popbub in seiner Kinderschokoladenexistenz war<br />
eine Kuriosität, denn nie verging ihm sein Kinderschokoladenlächeln,<br />
immer hatte er es parat, so wie<br />
andere ihr Gebiss oder ihre Lesebrille parat hatten.<br />
Der geselchte Popbub trank gerne Bananenmilchshakes<br />
mit viel Zucker und wenig Eis. Er war eine<br />
Kuriosität, weil er alle Verbrechen der Welt beging,<br />
dies aber mit einer Heiterkeit ertrug. Wir <strong>sind</strong> an-<br />
123
ders <strong>als</strong> der geselchte Popbub: Kaum haben wir eine<br />
Oma beklaut, wünschen wir uns schon einen Strick,<br />
an dem wir uns aufhängen können. Nicht so der geselchte<br />
Popbub: Das war die Kuriosität, dass er nie<br />
ein schlechtes Gewissen hatte, es auch gar haben<br />
nicht konnte.<br />
52. Ich schrie auf. Der geselchte Popbub wollte ich<br />
nicht sein. Was für ein schrecklicher Traum! Ich<br />
dachte sofort an den Wellensittich, den ich zerquetscht<br />
hatte. Vor Angst gestorben. Ich schaute<br />
mich in meinem Zimmer um und versicherte mich,<br />
dass ich alleine war und kein Oberarzt da. Mein<br />
Blick fiel zuerst aufs Mischpult. Dann sah ich das<br />
Volk, das mir mit Gewaltanwendungen drohte. In<br />
meiner Hilflosigkeit injizierte ich mir zehn Milliliter<br />
Sauerstoff. Kompliziert. Ein Todestraum ging<br />
mir auf: Ihre Blicke ernten die Glasblumen.<br />
124