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Die anderen sind nichts weiter als ... - Rahm, Alexander

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<strong>Alexander</strong> <strong>Rahm</strong><br />

Abyssos<br />

Ein Abgrund.<br />


<strong>Alexander</strong> <strong>Rahm</strong><br />

Abyssos<br />

Ein Abgrund.<br />

Hinweis:<br />

Ausdrücklich weise ich darauf hin, dass<br />

Abyssos ein Roman ist und <strong>als</strong> solcher<br />

auch verstanden werden soll. Es ist<br />

nicht meine Gesinnung, die ich wiedergebe.<br />

Auch möchte ich niemanden ermuntern,<br />

eine solche Gesinnung zu entwickeln! Erschreckt<br />

vor dem Abgrund und versteht es<br />

<strong>als</strong> Warnung. Denkt nach!<br />

2


Gib deinen Sohn her und lass ihn uns essen!<br />

2. Könige 6, 28<br />

1. Werde ich eingegliedert werden? Oder werden<br />

meine Glieder eingemacht werden? Zu Nasenmarmelade<br />

beispielsweise. Mit viel Zucker. Ich möchte<br />

es ja gar nicht wissen. Wer möchte auch schon alles<br />

wissen? Zwischen den Ritzen zu sitzen und zu<br />

schwitzen, mag genügen. Das sagte mir schon Jürgen.<br />

Ein Protestschrei macht sich bemerkbar. Ich<br />

sitze auf der Eckbank mit einem Glas. Gott sei<br />

Dank. Ist der Sprung in die Schüssel notwendig?<br />

Ich denke mir immer, die ist kaputt. Wenn ich in sie<br />

hineinspringe. Sie ist ja auch kleiner <strong>als</strong> ich. Eigentlich<br />

nur geeignet, Erdbeeren zu beherbergen. Ich erinnere<br />

mich noch sehr genau an meine letzte Bindehautentzündung.<br />

Man sollte ganz einfach nicht mit<br />

dem Fahrrad fahren. Man wird einfach nicht beachtet,<br />

wenn man das tut. Oder man wird eingezuckert,<br />

bis man zuckerkrank wird. Ich dachte schon einmal<br />

darüber nach. Aber das war gestern. Heute sieht alles<br />

ganz anders aus. Es wurde ja auch viel griechischer<br />

Wein getrunken. Mit Ouzo. Irgendwie ist das<br />

mit den Unterhosen so eine Sache. Sind sie grau,<br />

dann <strong>sind</strong> sie nicht weiß, und <strong>sind</strong> sie weiß, dann<br />

<strong>sind</strong> sie nicht schwarz. Da kommt man einfach<br />

nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Es wird<br />

3


wirklich alles verrissen. Ich glaube, Alex Harvey<br />

kann davon ein Lied singen. Aber lassen wir das.<br />

Wir wollen an morgen denken. Da denke ich beispielsweise<br />

an Buddha: Wenn man ihn kocht, dann<br />

kommt dabei Allah heraus. Bitte fragt mich jetzt<br />

nicht, warum. Ich weiß es genauso wenig wie ihr.<br />

Es ist ja auch nicht meine Aufgabe, alles zu erklären.<br />

Wo kämen wir denn da hin? Wohl noch zum<br />

Mond. Aber da wollen wir ja gar nicht hin. Also<br />

lassen wir das. Lassen wir das gründlich auf sich<br />

selbst beruhen. Denkt lieber an den Fleischwolf. Er<br />

isst Fleisch den ganzen Tag und bereut es nicht.<br />

Auch bewundere ich die Tiefpassfilter. Ich wäre<br />

gerne so ein Kondensator in einem Tiefpassfilter.<br />

Ich würde meine Arbeit gewissenhaft erfüllen. Das<br />

könnt ihr mir glauben. Nun möchte ich euch aber<br />

ein Lied über die Kirchweihgänger singen. Sie essen<br />

Zuckerwatte den ganzen Tag lang, <strong>als</strong> ob es<br />

kein Bier auf der Kirchweih zu trinken gäbe. Aber<br />

ich glaube, das machen sie mit Fleiß, um mich zu<br />

ärgern. Ich habe sie schon genauer beobachtet seit<br />

geraumer Zeit. Sie tun immer dasselbe. Mag sein,<br />

dass sie von Seeleuten angeheuert wurden. Jedenfalls<br />

habe ich meine Denkpflicht erfüllt. Nun mag<br />

ich mich niederlegen und den Schwalben bei ihrem<br />

Flug zuschauen, während ihr euch in Braunbier suhlen<br />

müsst. Ich hätte das Zeug zum Rennfahrer. Immerhin<br />

kann ich nicht. Was? Stahlbäume erkenne<br />

4


ich auch sofort. Sie wachsen unversehens in kleinen<br />

Dörfern und erheben ihr mächtiges Geweih bis zum<br />

Leichtteufel im Niederhimmel. <strong>Die</strong>se Teufelsbrut<br />

hat Zahnkrebs. Zuviel Leichtmetalle gegessen. Hätten<br />

sie sich doch lieber von Quecksilber ernährt<br />

oder von Blei so wie es alle Landshuter Musiker zu<br />

tun pflegen. Über den Pegel möchte ich zum<br />

Schluss auch noch etwas sagen. Das ist ja heute so<br />

üblich. Drei Liter Blut. Das kann niemand anhalten.<br />

Das soll mir mal einer nachmachen. Kleiner Tipp:<br />

Denkt mal an die Eingliederung. Alles klar? Nichts.<br />

2. Es gibt keine <strong>anderen</strong> Menschen, an die ich denke.<br />

Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich der<br />

einzige Mensch bin, den es überhaupt gibt. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong><br />

<strong>sind</strong> <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Computerprogramme,<br />

die von irgendjemand geschrieben worden <strong>sind</strong>.<br />

Vielleicht habe ich heute etwas getan. Nun gibt es<br />

auch grüne Äpfel in der Schale. Ich möchte mal<br />

wissen, wie sich so ein Schizophrener fühlt. Ich<br />

kann das gar nicht wissen, weil ich so zerspalten<br />

bin, dass ich gar nicht weiß, ob es mich überhaupt<br />

gibt. Parkinson ist schon eine reichlich überflüssige<br />

Krankheit. Meine Finger <strong>sind</strong> unbrauchbar. Am<br />

schlimmsten ist natürlich Narkolepsie. Manchmal<br />

frage ich mich, ob ich krank bin. Ich habe schon<br />

diesen säuerlichen Geschmack in meinem Mund,<br />

und der Zahnarzt wartet auch schon auf mich. Wo<br />

5


soll das bloß enden, ich weiß es nicht. Hauptsache<br />

ich bin irgendwann mal tot. Der Hund scharrt mit<br />

seinen scharfen Krallen, er macht wohl bestimmt<br />

den Boden kaputt. Der Postbote beziehungsweise<br />

die Postbotin hatte mir gestern ein Buch überreicht.<br />

Nun wird mir klar, dass ich krank bin. Meine Krallen<br />

<strong>sind</strong> auch nicht mehr so scharf. Ich meine, wie<br />

kann man bloß seine Zeit vertrödeln, wie ich es gerade<br />

tue? Immer noch habe ich diesen sauren Geschmack<br />

im Mund. Er macht mir meine Zähne kaputt.<br />

Und der Hund scharrt wohl an der Tür ganz<br />

vehement herum. So ein dummer Köter! Der wird<br />

bestimmt noch die Wohnung vollbrunsen. Aber es<br />

ist sein gutes Recht. Hätte man ihn eben nicht eingesperrt.<br />

Der Hund läuft Amok. Er wird heute noch<br />

irgendetwas ganz Schlimmes tun. Wahnsinn,<br />

Wahnsinn, Wahnsinn! Glassplitterromantik, Rotzfahnen<br />

und Hühnerblut – so soll der hundsföttische<br />

Weiterleser durch die Buchstabenschluchten gejagt<br />

werden bis zum Tode. Neulich saß ich mal im Zoo<br />

und bewunderte die tierische Grausamkeit der Tiere,<br />

wie sie beispielsweise einfach wieder ihr Gewöll<br />

fraßen. Was soll ich dazu sagen? Man kann auch eigenwillig<br />

in Basketballspiele eingreifen mit einer<br />

Schrotflinte, indem man ein, zwei Spieler tot<br />

schießt. Man vergisst schneller. Gießkanneneffekt<br />

in grün, immer wieder bezaubernd, wie Hunden das<br />

Genick gebrochen wird. Es ist so still im Haus. Gar-<br />

6


tenzwergromantik, blaue Augen, die hilflos im Gegenüber<br />

herumstochern, <strong>als</strong> ob es da etwas zu finden<br />

gäbe. Ich habe noch alle erledigt. Um auf die<br />

Rotzfahnen zurückzukommen: Nichts ist männlicher<br />

<strong>als</strong> ein ehrlicher Männerhanddruck mit verschmierten<br />

Männerhänden. Trotzdem oder vielmehr<br />

auch <strong>nichts</strong>destotrotz und überhaupt: Seeadler. <strong>Die</strong><br />

Gartenzwergromantik ist <strong>nichts</strong> für Weichlufteier.<br />

Nun mal halblang oder über kurz oder lang verwest<br />

doch auch des Esels Zwerchfell. Melanie mag auch<br />

nicht mehr, nachdem man ihr eine Sechs verpasst<br />

hatte mitten ins Gesicht. Quarkkuchen hingen ihr an<br />

der Brust, so zwei Stück. Ich genüge nicht dem Ansehen<br />

der Leute, vor allem wegen des gestrigen<br />

Zwischenfalls. Da war ich auf dem Klo. Und die<br />

Erdbeeren verfaulten. Manche Leute aßen Kaulquappen.<br />

Bedingterweise bin ich nicht in der Lage<br />

über Frauen nachzudenken. Mir gab der Teufel<br />

einen Wink mit seinem gezackten Heuschober und<br />

hat mir geraten, ich solle doch lieber Bauer werden,<br />

denn das sei wenigstens ein ehrlicher Beruf. Darauf<br />

ließ ich mich nicht ein und hielt einen langen Disput<br />

mit einer Schwertkämpferin, die über ein<br />

Schlachtfeld lief. So viel dazu. Heute hatte ich trockene<br />

Würste in meiner Kloschüssel. Und es gibt<br />

schon große Brillen, kann ich sagen. <strong>Die</strong> machen<br />

mich fast zu Jean–Paul Sartre, von dem ich noch nie<br />

ein Werk gelesen habe und es auch nie tun werde.<br />

7


Manchmal ist es schon peinlich, gelehrte Namen<br />

einzuflechten wie andere Strohkränze flechten. Gerne<br />

gesehen <strong>sind</strong> Flechten, wenn es Schuppenflechten<br />

<strong>sind</strong>, nicht. Ich erinnere mich da an eine reizende<br />

junge Dame, die schon einen großen Reiz an ihrem<br />

Kopf hatte. Aber sie beteuerte, nachdem sie<br />

selbst darauf gekommen ist, dass sie Flechten hat,<br />

dass es nicht juckt. Ich sah Moos. Rot. Das ist<br />

schon robustes Gemüse, was da so aus dem Boden<br />

wächst. Da möchte man nach Herzenslust in den<br />

Boden hineinbeißen nur um des Mooses willen.<br />

Gerne laufen und Augen auf! Heute kommt der<br />

Weihnachtsmann und bedient alle junge Mädchen,<br />

die kleiner <strong>sind</strong> <strong>als</strong> ein paar übereinander gestellte<br />

Pantoffeln. Wohl dem, der Kartoffeln hat. Reibungsflächenverlust,<br />

Schwamm drüber, <strong>sind</strong> wir<br />

nicht so, heute nicht und morgen nicht. Und Gott<br />

kommt ganz gewiss an jedem neuen Tag. Warum<br />

man auch gleich an seine zerfetzten Füße denken<br />

darf, die in Fetzen herumliegen und einfach vergessen<br />

worden <strong>sind</strong> von Haarpriestern und Leichenfledderern.<br />

Schwamm drüber, wenn die Schwaben<br />

nicht so <strong>sind</strong>, wie man es sich gedacht hat. Überraschungen<br />

bestimmen das Leben. Ich könnte verzweifeln.<br />

Mir läuft das Auge aus und ich wüsste<br />

nicht, wie ich das einordnen sollte. Ich bin nun<br />

wirklich kein Ordnungsfanatiker, aber das musste<br />

schon gesagt werden. Ich bin im templum Dei. So<br />

8


soll es auch sein. Bittersüß, Hundekoch, Wahnsinnsfuß.<br />

Ich mag meinen Körperdreck um mich<br />

herumliegen. Das verschafft mir Respekt.<br />

3. Gestern wurde sie noch gelobt, die Alte, und heute<br />

wird sie in den Dreck gezogen, wie noch nie eine<br />

in den Dreck gezogen wurde. Das mag nicht angehen.<br />

Es gibt doch auch Gras und Getreide und Hülsenfrüchte<br />

und Hülsenfrüchteesser. Zebrafinken,<br />

Prachtschinken, Finkenmuskel beziehungsweise<br />

Minuskel. Er ließ seine Minuskeln spielen und da<br />

waren sie schon beeindruckt, und wenn er nicht gerade<br />

diese Majuskelbeutelentzündung hätte, dann<br />

wäre alles gut. Sag du mir, was du in deinem Herzbeutel<br />

hast und ich sage dir, was ich in meinem<br />

Geldbeutel habe. Dann können wir tauschen. Ich<br />

Geld, du Türke. Blase, Schweinsblase, Pressack<br />

weiß und rot und Weißgelegter, Saumagen und Federweißer.<br />

Roter Sauser flieg mir in die Sonne und<br />

kehr nie wieder. Und der Zorn Gottes fuhr in seine<br />

Glieder ad infinitum und ad absurdum. Neuerdings<br />

in Mode gekommen <strong>sind</strong> Damenhandtaschen, die<br />

aus Herzbeuteln zusammengenäht wurden. Man<br />

kann diese Damenhandtasche auch <strong>als</strong> eine Herzbeutelhandtasche<br />

bezeichnen. Sie wird aus den<br />

Herzbeuteln von epheben und zugleich weiblichen<br />

Menschen hergestellt. <strong>Die</strong> Herzen allerdings von<br />

solchen epheben Weibsbildern werden wegge-<br />

9


schmissen in Containern. Manch einer wird bestimmt<br />

in so einen Herzcontainer onaniert haben,<br />

manch verwegener junger Mann, weil er an die vielen<br />

jungen Herzen dachte, die er erobert hatte. Es<br />

soll auch schon mal einen Menschen gegeben haben,<br />

der seiner Geliebten stracks das Herz aus der<br />

Brust geschnitten und seinen Schwanz in ihre Aorta<br />

versenkt hatte. Und im Nachhinein war sein<br />

Schwanz ganz rot von ihrem Herzblut und ihr Herz<br />

ganz voll von seinem Sperma, das rücksichtslos<br />

durch die Segelklappen in die linke Herzkammer<br />

hineingewichst wurde. Aber genug davon. Wollen<br />

wir es dabei bewenden lassen und beruhen zugleich<br />

gewissermaßen und sozusagen, denn nun kommen<br />

wir zu ganz neuen Erscheinungen, wie man sie sehen<br />

kann neuerdings und in der letzten Zeit und vor<br />

allen Dingen natürlich ganz allgemein: Es ist die<br />

Rede von hundsföttischen Menschen, die aus dem<br />

Hinterhalt erschossen werden, <strong>als</strong> ob sie sich in Jugoslawien<br />

befinden würden, wo so etwas ganz gewiss<br />

an der Tagesordnung war. Man mag zum<br />

Frühstück keine Eier essen. Schilderhafte Weisheit<br />

duldete die magersüchtige Miriam, der man das<br />

Herz herausgerissen hatte, nicht. Wo wir dann auch<br />

gleich beim Zwerchfell wären. Gartenzwergordnung.<br />

Nun wird eben das Zwerchfell eröffnet mit<br />

einem spitzen Gegenstand und das Herz einfach<br />

heraus genommen. Oder vielmehr herausgerissen.<br />

10


Da wird man schon merken, wie zäh diese ganzen<br />

Adern <strong>sind</strong> ganz gleich ob nun Arterie oder Vene,<br />

wobei die Arterien sich natürlich viel besser behaupten<br />

können. Aber das <strong>sind</strong> Spitzfindigkeiten.<br />

Der Gevatter Tod verzichtet darauf auch so wie die<br />

eben schon erwähnten Gartenzwerge. Torsten.<br />

Schmierhände, Marmeladenbrot und Männerschweiß.<br />

Im Sommer bei der größten Hitze, <strong>als</strong> ich<br />

sah die Wiese blühn. Nun wollen wir ein zweites<br />

Bier trinken. Und die ermatteten Finger wie<br />

Schmetterlinge essen. Gartenzwergkomik, Donald<br />

Duck und Fassbinder. Hieroglyphen laufen wie Tränen<br />

in Sturzbächen sehr nervös die Wände hinab.<br />

Pappenheimer kennt man, sturzum, Hans ist tot,<br />

gestern mitunter sah ich nicht so aus, wie ich heute<br />

aussehe, wenn ich mich morgen nicht im Spiegel<br />

betrachten muss. Der Zwang zum Zeigen und zum<br />

Bekennen: Wir wollen darüber und über <strong>nichts</strong> anderes<br />

nachdenken. Ich schlage mir in die Faust und<br />

zerstöre mein ganzes Werk beiläufig, indem ich beiläufig<br />

erwähne, dass das niemand lesen will und<br />

wird. Und tausend Seiten sollen es werden. Größenwahn,<br />

jawohl! Auch Hitler hat von einem Tausendjährigen<br />

Reich geträumt, und was ist daraus geworden?<br />

Nun <strong>sind</strong> es – ich sag’s zum Überfluss und –<br />

druss, gerade mal sechs Seiten. Das heißt, dass noch<br />

neunhundertundvierundneunzig Seiten folgen müssen.<br />

Punkt um. Bochum. Schmetterlinge im Bauch.<br />

11


Und wenn’s nur Nachtfalter <strong>sind</strong>. Mit viel Wasser<br />

kann man alles in den Magen hineinzwingen:<br />

Nachtfalter, Ratten, Vögel, ganze Katzen und gar<br />

ausgewachsene Hunde. Zirndorfer Bier, Krug–<br />

Bräu, Hauff, Spalter. Dein Herz ist klein, aber eben<br />

auch zäh, genauso wie dein Magen. Panierter Magen,<br />

eine Delikatesse. Serviert von Lakaien, meinen<br />

Lakaien. Ich habe <strong>Die</strong>ner die Fülle. Quelle des Lebens,<br />

Halleluja. Gestern aß Miriam Esskastanien in<br />

Spanien und der Torsten übersprang den Kasten in<br />

Sport nicht, weswegen auch der Sportlehrer nicht<br />

erfreut war. Man stelle sich vor, wie dieser Torsten<br />

mit voller Wucht gegen den Kasten lief und mit<br />

Hilfe dieses Kastens zwei Mitschüler beerdigte, die<br />

ihm eigentlich nur Hilfestellung leisten wollten.<br />

Aber so ist er eben, der Torsten. Bei den schulischen<br />

Sommerspielen begab es sich, dass er einem<br />

Mitschüler mit einer Eisenkugel den Kopf zertrümmerte.<br />

Da hat er sich in der Richtung vertan, der<br />

Torsten beim Kugelstoßen. Ich meine, das Gehirn<br />

des Mitschülers war für alle sichtbar. Gartenzwergakrobatik.<br />

Kombinat Dresden. Waschzwerge,<br />

Wurstzwerge und Riesenzwerge. Sperrfeuer für<br />

Udo. Udo kam in Kontakt mit Maschinenkanonenmunition.<br />

Mit Maschinenkanononononen. Kartenhaus,<br />

Kartenspiel, Rindskopf. Sie spielten ein paar<br />

Rindskopfrunden und aßen Schafsrolladen dazu.<br />

Mit Speck und Knödeln und Zwiebeln und Sellerie.<br />

12


Fischsgemütlichkeit im Bett, nass überall und alles<br />

und Gesichtsblindigkeit bis zum Überdruss. Neulich,<br />

ja neulich und morgen und heute mit den Sorgen<br />

von morgen. Wohl dem, der in die Heilsökonomie<br />

Gottes eingebunden ist, denn er wird den Tod<br />

nicht sehen. Denn wo der Tod ist, da wird er nicht<br />

sein. Epikur wieder mal aus dem Grab gezerrt und<br />

ziemlich verzerrt dargestellt. Sie fingerte zwischen<br />

ihren Brüsten herum. Das haben anscheinend Frauen<br />

so an sich, wenn sie ein Sommerkleid angezogen<br />

haben. Das war nun doch anstrengend.<br />

4. Nun möchte ich eine Geschichte über den Tibor<br />

erzählen. Er besitzt Java. <strong>Die</strong>se Insel gehört ihm. Er<br />

hat sie an der Wallstreet ersteigert, obwohl das gar<br />

nicht möglich ist. Soweit der Traum. Nun zu den<br />

Tatsachen: Noch immer kann ich Körperteile von<br />

mir abschaben. Ich rede von meiner Haut, die ich<br />

mit Schweiß und Dreck kombiniert zu Popel formen<br />

und dann fortschnalzen kann. In alle Himmelsrichtungen.<br />

Der Guru baut Gurken an. Der Uhu jagt<br />

Tontöpfe und Trostpflaster. Kasernenhofton wird<br />

angeschlagen, um Vernunft in diese chaotische und<br />

verdorbene Welt zu bringen. Ja, die Vernunft soll<br />

erleuchten und erstrahlen diesen verdorbenen Planeten,<br />

der bald aber ziemlich zielstrebig seinem<br />

Verderben entgegenkugelt. Stacheln mit übervollen<br />

Giftblasen werden in den Feind – das ist der all-<br />

13


mächtige Herrgott –, hineingeschossen. Mord liegt<br />

in der Luft, sowie Traubenzucker im Blut. Prüfungen<br />

werden geschrieben, Unterzuckerung droht wegen<br />

all dem Stress. Fertig gegessen haben die Menschen.<br />

Sie aßen Karten, die übrig geblieben <strong>sind</strong><br />

vom letzten Rindskopfspiel. Gott hat nur zugeschaut<br />

und hat nicht auf die Alte gebaut. <strong>Die</strong> Alte<br />

starb an Rufmord. Cord trägt einen Kasten Bier um<br />

vier. Denn Deutschland hat gewonnen, dachte er<br />

besonnen. Von vorne sah sie aus wie eine Schwertkämpferin<br />

und von der Seite durchaus geistig abwesend,<br />

sehr mit sich selber beschäftigt. Rosa Gebäude<br />

konnte man durch das Fenster betrachten an diesem<br />

heißen Sommertag in der größten Hitze. Aber<br />

dann wachte sie wieder auf in der grauen Irrenanstalt<br />

und wusste natürlich, dass sie war verrückt.<br />

Abrakadaver, aber hallo! Der große Zauberer von<br />

Wien geht um und nimmt alle treuen Freundinnen<br />

mit, klaut sie gewissermaßen aus dem Einkaufskorb<br />

der treuen Freunde, die treu zur Arbeit gehen und<br />

treu Geld verdienen. Geschmackslosigkeiten <strong>sind</strong><br />

das, die den Gartenzwerg empören. Aber so ist nun<br />

mal die Welt. Es <strong>sind</strong> die kleinen Ungerechtigkeiten,<br />

die immer zum Ziel führen. Von den großen<br />

Ungerechtigkeiten ganz zu schweigen, die naturgesetzmäßig<br />

zum Ziel führen müssen. Man nehme<br />

sich nur ein Beispiel an die Gottesanbeterin, wie sie<br />

in der Petersilie hockt und den Torsten verschlingt.<br />

14


5. Nun denn, meinte mein Psychiater, ich kann Ihnen<br />

den Gefallen nicht tun. Sie <strong>sind</strong> eben einfach<br />

nur depressiv, mehr nicht. Zu Asperger bringen Sie<br />

es nicht, eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung haben<br />

Sie auch nicht. Also werden Sie von mir niem<strong>als</strong><br />

Ritalin oder Amphetamin bekommen, überhaupt<br />

können Sie von den ganzen Aminen absehen. Sie<br />

<strong>sind</strong> depressiv, und das ist jeder, und deswegen<br />

können sie gleich wieder gehen, da machen wir erst<br />

gar keine Blutuntersuchungen oder CT, schieben<br />

Sie sich das in’en Arsch. Da, fressen Sie die Selektiven<br />

Serotonin Reuptake Inhibitatoren und halten<br />

Sie Ihr allzugescheites Maul, Sie Esel, und lassen<br />

Sie sich nie wieder blicken, Sie kranker Esel! Gehen<br />

Sie doch zu Ihren Gartenzwergen und beklagen<br />

sich dort. Das einzige, was ich noch für Sie tun<br />

kann, das ist Ihnen trizyklische Scheiße zu verschreiben.<br />

Lithium – vergessen Sie’s einfach. Das<br />

lassen wir lieber in den Knopfzellen.<br />

6. ABC–Schützen und Scharfschützen und Schlafmützen.<br />

Was ist Zeit? Ich hau dir gleich eine runter,<br />

du bunter Esel, du bunter! Mitunter und überhaupt,<br />

wer behauptet denn das insgesamt und überhaupt?<br />

Schweinshaupten und Arschkerbe <strong>sind</strong> Orte in der<br />

Unzivilisation Oberfrankens. <strong>Die</strong> magersüchtige<br />

Miriam sieht immer mehr zum Kotzen aus. Man<br />

15


möchte ihr am liebsten ins Gesicht kotzen. Mit Rotzwimpeln<br />

an ihr vorbeifahren und die Wurstzipfel<br />

prahlend entgegenhalten aus dem alten Chevrolet<br />

und Kleber auf dem Sitz verteilen. Der Grünkernprophet<br />

hatte einen harten Kampf mit dem<br />

Fruchtzwerg. Dann nahm er den Büstenhalter, mein<br />

Alter, und stach die Alte. Das ist Rufmord und kein<br />

Rhabarberkompott. Barbarenkomplott und Fanfaren<br />

zum Tod des rumänischen Propheten im Garten<br />

Eden, <strong>als</strong> Gott den Adam wohlartikuliert entließ.<br />

Befristeter Arbeitsvertrag eben im Paradies, im<br />

Garten Eden. Sag mir’s nur, wenn du was zu sagen<br />

hast. Ein Liter Kamillentee, orange Blinker. Psychose.<br />

Zwanzig Jahre schon und ein Ende nicht abzusehen.<br />

<strong>Die</strong> Ghule warten auf mich und fressen<br />

mich schon, obwohl ich lebe. Und muss bewusst<br />

betrachten meine eigene Nicht–Existenz. Ob Gott<br />

wohl existiert? Und wenn er existiert: Was wird er<br />

wohl zu meinen Worten sagen? Wird er sie loben<br />

oder tadeln? Der gemeine Leser, die Arschhure, die<br />

elende! – ja, auf den gemeinen Leser ist kein Verlass.<br />

Er ist unstet bis zum Abwinken und immer nur<br />

auf den eigenen Vorteil bedacht, hochempfindlich<br />

und strunzdumm zugleich, was soll man denn <strong>als</strong>o<br />

schon halten von dem gemeinen Leser? Ich halte<br />

<strong>nichts</strong> vom gemeinen Leser, denn das einzige, was<br />

beim gemeinen Leser blüht – nein, es ist nicht der<br />

Intellekt! – nein, das einzige, was beim gemeinen<br />

16


Leser blüht, das ist seine Arschrosette. Und wer will<br />

da schon rein? Wo man doch weiß, dass eben aus<br />

dieser Arschrosette eine Menge hinaus will… Villa<br />

Kunterbunt und Pippi machen. Gelb und braun vereint<br />

in der Schüssel, eine Opfergabe für Gott. Noch<br />

ist nicht aller Tage Abend. Aber es ist auch noch<br />

nicht aller Abend Tage. Genauso wenig es aller<br />

Arsch ist. Es ist, was es ist, sprach die Liebe. So<br />

wollen wir es halten. In Gottes Namen. Amen.<br />

7. Warum gibt es Leid? Warum gibt es Zeit?<br />

Warum ist es verschneit? Wieso und warum? Und<br />

weshalb? Und außerdem: Worüber? Generell gesagt<br />

bestürzt mich die dumme Trivialität des Ordinären.<br />

Immer wieder wird so einem vor Augen geführt,<br />

wie kurz das Leben ist. Morgen kann es schon aus<br />

sein mit den Faxen, und Gott wird <strong>als</strong> Letzter lachen.<br />

Wer hätte das gedacht. <strong>Die</strong> Evangelikalen und<br />

die fanatischen Nonnen ganz bestimmt. Auch die<br />

Homöopathen und Schüssler– und Bachfanatiker,<br />

die fromm und tapfer im Feuerofen der Vernunft<br />

stehen und bekennen. Sagen wir es mal so: Gott<br />

lässt sich seiner nicht spotten. Niemand, der die<br />

Ernsthaftigkeit von Krankenwägen kennt, wird<br />

noch jem<strong>als</strong> etwas sagen gegen die politische Kleinkariertheit.<br />

Kartenschlussverkauf und Karies. Der<br />

Zahnarzt ist nicht unbedingt dein Freund, gleichwie<br />

er nicht unbedingt dein Helfer sein muss. Er kann<br />

17


sich auch <strong>als</strong> ein ganz anderer entpuppen: Nämlich<br />

<strong>als</strong> jemand, der dir den Kopf mit der Bohrmaschine<br />

aufbohrt, bis dir dein Gehirn auf den Boden läuft.<br />

Der Sieben–Uhr–Tee ist fertig, wie der Engländer<br />

zu sagen pflegt, wenn er altersweitsichtig wird und<br />

in den Zahlen herumstochert. Wie überhaupt das<br />

Herumstochern in den Zahlen <strong>als</strong> Stochastik bezeichnet<br />

wird. Aber der hat seine Rechnung ohne<br />

den Wirt gemacht, der den Bleistift vergessen hat<br />

anzuspitzen. Nun möchte ich aber auch mein Wort<br />

an den mutigen Weiterleser richten: <strong>Die</strong>ser mutiger<br />

Weiterleser hat es verdient, beschimpft zu werden<br />

auf die übelste Weise. <strong>Die</strong>ser Hansdampf der Gemütlichkeit,<br />

der sich in Kissen eingepackt hat und<br />

in Wirklichkeit <strong>nichts</strong> anderes ist <strong>als</strong> ein ganz ordinärer<br />

Kinderschänder! Er soll verachtet sein, der<br />

mutige Weiterleser. Man sollte lieber an ephebe<br />

Weibsbilder denken, die stets feucht <strong>sind</strong> – allein<br />

schon aus Prinzip, wenn nicht gar aus Trotz – die es<br />

im Grunde genommen gar nicht erwarten können<br />

von dem reifen Mann begattet zu werden, der der<br />

Autor freilich ist. Das Problem immerhin ist vielschichtiger.<br />

Der Autor ist nämlich doch sehr auf<br />

den Mund gefallen. Was er hier eröffnet, ist <strong>nichts</strong><br />

<strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Maulheldentum der niedersten Art, nämlich<br />

der schriftlichen Art. Verabscheuungswürdig<br />

all die Häretiker, Häresiologen und Geheimbündler,<br />

die den lieben langen Tag <strong>nichts</strong> anderes tun, <strong>als</strong> in<br />

18


geheimen Büchern zu lesen und in geheimen Sprachen<br />

zu sprechen. Verflucht seien sie und gelobt sei<br />

der Mann, der es versteht ein einziges vernünftiges<br />

deutsches Wort zu sprechen! Gedankenflucht,<br />

Flucht in fremde Jahrhunderte, Jahrmarkttreiben,<br />

Katzenkirmes und siebenmal Katzenjammer.<br />

8. Der Zimmermann ist ein ehrenswerter Mann. Nur<br />

wenn seine Augen auslaufen, kann er den Gartenzwerg<br />

nicht mehr sehen. Wenn wir wirklich ehrlich<br />

wären, dann würden wir einsehen, dass es so in<br />

Deutschland nicht mehr <strong>weiter</strong>gehen kann. Viel zu<br />

heiß ist es, und auch viel zu teuer. Trampeltiere <strong>sind</strong><br />

wir außerdem, und reinen Wein schenken wir uns<br />

schon längst nicht mehr ein. Mehr davon, nämlich<br />

von dem Richtigen. Mir ist schon die Kehle trocken<br />

und die Lippen spröde von der ganzen Hitze. Ich<br />

bin ausgedörrt wie ein alter Esel, der gehäutet an einem<br />

Haken hängt. Und in Italien hängen viele Esel<br />

an Haken. Materialismus ist es ja auch, der uns bedrängt:<br />

Im Klo, in der Badewanne, überall! Nun gelobt<br />

sei Gott, der da ist der Sohn des Christus.<br />

Amen. Mein Auge schimmelt vor sich hin und<br />

Staub juckt auch. Panther auf dem Sprung, die Chinesen<br />

kommen! Wovor sollt’ mich grauen? Schließlich<br />

trösten mich dein Stecken und Stab. Und ob ich<br />

schon wanderte auf dem Fenstersims, du bist bei<br />

mir, dein Stechen und Staat trösten mich. Denn du<br />

19


ist bei mir. Wovor sollte es mich noch grausen?<br />

Habe ich doch auch Schmetterlinge gegessen und<br />

Liebe nun im Bauch. Bochum. Schnippisch <strong>sind</strong> ja<br />

die Frauen schon, und lachen wie die Hexen. Aber<br />

Gott wird sie in den Abyssos schicken, und dort<br />

warten Tantalusqualen auf sie. Und Syphilis und<br />

Sysiphos werden sich ein Stell–Dich–Ein geben.<br />

Wohl denn, wohl auf! Nichtsdestotrotz, immerhin<br />

und sowieso. Sie werden mich nicht finden. Das ist<br />

ja der Witz und gleichzeitig die Wahrheit! Und sollte<br />

Gottes Finger auf mich zeigen, so werde ich doch<br />

verleugnen, dass ich der Täter bin. Ich glaube doch<br />

schon sehr an die iustitia passiva und auch an Sachgegenstände,<br />

die man in Hosentaschen verstecken<br />

kann. Nun wollen wir mal nicht kleinlich sein. Dadurch<br />

bekommt man nur Reibereien und Scherereien.<br />

Man sollte stets offen sein für Gott, so wie eine<br />

Arschhure stets offen ist für seinen Gott, dem Herrn<br />

und Gebieter, dem ewigen Mr. Brown. <strong>Die</strong> Frauen<br />

schwitzen nicht so sehr wegen ihrer allgemeinen<br />

Beunruhigung. Sie wissen das nicht zu schätzen,<br />

aber man hat halt schon sehr viele Scherereien mit<br />

ihnen. Und nun Punkt um und Schluss damit. In<br />

Null komma nix eröffnen wir ein neues Thema. Es<br />

handelt von den Dinosauriern und den Anthroposophen.<br />

Gott hat ja beide erschaffen in seiner Güte,<br />

aber hat auch beide vernichtet in seiner Güte. Der<br />

Wille Gottes kann auch mit einem starken Arm ver-<br />

20


glichen werden, der bei Kirchweihdrückereien immer<br />

oben auf bleibt. Da hat schon mal der Tibor<br />

deswegen zwei Bierkrüge zerschlagen und sich dadurch<br />

ernsthaft verletzt, weil er es nicht ertragen<br />

konnte, dass Gott seinen Freund besiegt hat. Aber<br />

so ist das nun mit Gott. Er siegt immer, ob man’s<br />

nun wahr haben will oder nicht. Er siegt selbst in<br />

Prag. Dort befiehlt er nämlich den Touristen, sich<br />

hemmungslos besinnungslos zu saufen – ob Student<br />

oder Brite ganz gleich – und dann in den illegalen<br />

Puff zu gehen und sich mit Sacharose anzustecken.<br />

Und fortan <strong>sind</strong> sie zuckerkrank die Männer nach<br />

dem Willen Gottes. Und so kommen wir zu den<br />

elektromagnetischen Wellen, die für alles gut <strong>sind</strong>:<br />

Potenz, Macht, Kraft und Liebe. Sie <strong>sind</strong> da, ohne<br />

dass du es merkst und sie beeinflussen dich ungemein.<br />

Sie blinken dir im Verstand und vergessen<br />

dich, bevor sie dich überhaupt bemerkt haben. So<br />

ist es ja auch mit Judith, gleichwie mit Julia, nicht<br />

zu vergessen die blonde Birgit, die ja eigentlich abgetrieben<br />

werden sollte. Dann können wir auch<br />

noch ein Wort über die Ute verlieren, die abgetrieben<br />

hat. So treibt das Leben vor sich hin wie ein<br />

Floß auf dem Mississippi, wo die Baptisten herrschen<br />

und die Sklaverei noch nicht abgeschafft<br />

worden ist. Oh Hund, heule nur! Es ist dein gutes<br />

Recht. Denn es hört dich niemand. Kämpfe nur!<br />

21


Denn es kämpft mit dir niemand. Grand mal, petit<br />

mal, faux ami.<br />

9. Stunde Null. Heute ist uns der Heiland geboren.<br />

Ich habe ihn geboren mit meiner Arschfotze und er<br />

ist ein Wohlgeruch. Zwar besteht mein Sohn nur<br />

aus Gas, aber es ist doch mein leiblicher Sohn, der<br />

in meinem Gedärm heranwuchs. Gezeugt ohne<br />

Licht, wahrer Sohn von wahrem Sohn. Kopf hoch.<br />

Katastrophenalarm im österreichischen Reich. Der<br />

geistige Stillstand ist beinahe erreicht. Man kann<br />

kaum noch hoffen, dass er normal wird. Er besteht<br />

ja eigentlich nur aus Scheiße, die in seinem Darm<br />

von Bakterien vergoren wird. Er hatte einen Charakter<br />

zerfleddert wie ein Beduinenfuß. Seine Aufgabe<br />

ist es zu verschwinden: Zunächst in ein Irrenhaus,<br />

später ins Nichts. Dort kann er dann meinetwegen<br />

seine Nichtexistenz bewusst erleben. Mich<br />

interessiert das nicht <strong>weiter</strong>. Ich habe nur eine Aufgabe,<br />

nämlich tausend Seiten zu schreiben. Ich bin<br />

diesem Ziel nicht wesentlich näher gekommen.<br />

Also habe ich beschlossen, fortan über gänzlich belanglose<br />

Dinge zu schreiben, die weder verrückt<br />

noch literarisch <strong>sind</strong>. Ich schreibe jetzt ganz großen<br />

Müll, Wortmüllhaufen sozusagen, die <strong>nichts</strong> darstellen<br />

<strong>als</strong> einen großen Haufen von Wörtern, die<br />

nicht im Geringsten etwas miteinander gemeinsam<br />

haben. Außer dass sie weggeworfen wurden von ir-<br />

22


gendwelchen achtlosen Menschen. Ich sammle<br />

dann diese Wörter – teilweise auch Phrasen – und<br />

setze sie dann einfach zusammen. Das ist dann echter<br />

deutscher Müll. Und das über tausend Seiten<br />

lang. Vielleicht sollte ich langsam beginnen, die<br />

deutsche Orthografie zu misshandeln. Warum sich<br />

auch immer so viel Mühe geben, dass auch ja jedes<br />

Wort richtig geschrieben dasteht, kein Komma vergessen<br />

wurde und die Satzkonstruktion dudenwohlgefällig<br />

ist? Leider bin ich aber ein Sklave der deutschen<br />

Sprache. Ich kann ihr nicht entkommen. Dafür<br />

aber habe ich einen trockenen Mund. Und außerdem<br />

auch keinen Charakter. Damit kann ich so<br />

manches wettmachen. Mir graust es schon selbst,<br />

wenn ich an das denke, was ich so schreibe. Nur<br />

Depressive können sich so gehen lassen, dass sie<br />

rein gar nicht mehr Ordnung schaffen wollen in ihren<br />

Gedanken. Andere gehen aufs Klo, ich hocke<br />

mich vor dem Computer und scheiße. Ich scheiße<br />

Wörter aus, so wie andere Neger in die Schüssel abseilen.<br />

Hämorriden habe ich allerdings nicht. So<br />

bleibt das, was ich schreibe, völlig blutleer. Es ist<br />

reine Wortscheiße gelegentlich angereichert durch<br />

Wortballast. Habe ich reichlich Alkohol getrunken,<br />

dann geht es mit der Wortscheißerei wesentlich<br />

schneller zu: Ehe ich mich versehe, ist ein ganz<br />

großer Haufen schwarzer Wortscheiße auf das weiße<br />

Blatt geschissen. Wie man merkt, bin ich kaum<br />

23


in der Lage über etwas anderes zu schreiben <strong>als</strong><br />

über Obszönitäten: Fäk<strong>als</strong>prache, Bumssprache,<br />

manchmal ein bisschen auf shocking getrimmt, im<br />

Wesentlichen trieft dann alles noch in einer Sauce<br />

von gotterbärmlichen Selbstmitleid. Reichlich einfallslos.<br />

Und außerdem ist alles wahnsinnig ichfixiert.<br />

Auf den Leser und seinem Geschmack und<br />

seinen Bedürfnissen wird keinerlei Rücksicht genommen,<br />

weswegen er auch nicht darin liest. Nicht<br />

einmal ich möchte lesen, was ich geschrieben habe.<br />

Stattdessen schreibe ich einfach <strong>weiter</strong>.<br />

10. Eine Linie kann sich nur in zwei Dimensionen<br />

ausbreiten, ein Dreieck, wenn es will, auch in drei<br />

Dimensionen, ein Viereck hingegen kann auch in<br />

einen vierdimensionalen Raum eingezeichnet werden.<br />

Übrigens kann ich dem Dativ nicht von den<br />

Akkusativ unterscheiden. Ich muss noch ein paar<br />

Jahre warten, bis ich tot bin. Ich warte schon. Ich<br />

glaube, dass ich in absehbarer Zeit an Alzheimer erkranken<br />

werde. Erste Symptome merke ich jetzt<br />

schon. Ich vergesse alles. Und wenn ich erst mal<br />

das Vergessen vergesse, dann ist es bereits zu spät.<br />

Heute habe ich noch keinen Kraftfurz ablassen können.<br />

Selbst meinem Darm hat die Kraft verlassen.<br />

Er ist nun nicht viel mehr <strong>als</strong> ein schlaffer Schlauch,<br />

der sich in meinem schlaffen Bauch windet. Ich<br />

muss die Muskeln meines Darms trainieren: Ich<br />

24


muss mehr Bohnen essen, mehr geröstete Erdnüsse<br />

und Feigen. Dann wird es ein Knallen geben wie zu<br />

Sylvester. Einmal ist mir mein gesamter Bauch aufgeplatzt<br />

wegen eines solchen Kraftfurzes. Da habe<br />

ich meine Gedärme wieder zusammennähen und<br />

mir in meinen Bauch stopfen müssen. Und die ganze<br />

Wohnung hat wie ein Friedhof gerochen. Selbst<br />

Ghule wurden von diesem Geruch angezogen. <strong>Die</strong><br />

hab ich dann mit einer doppelläufigen Schrotflinte<br />

erschossen. Kaliber 12/76, Patrone gefüllt mit 4mm<br />

Schrotkugeln. Das hat gesessen! Eine Riesensauerei<br />

und meine Schulter hab ich mir auch verrissen<br />

durch den wahnsinnigen Rückstoß. Roastbeef wird<br />

in Rostock gegessen, in den fünfziger Jahren wurden<br />

die Kinder mit dem Rohrstock geschlagen. Es<br />

ist eine Riesensauerei. Das perfekte Verbrechen<br />

planen: Jemanden umbringen und dafür ins Gefängnis<br />

kommen, und dann hat man ausgesorgt. Oder<br />

man kauft sich zehn Handys und schaltet die alle<br />

ein und ruft einunddreißig Tage lang nonstop an.<br />

Das gibt Schulden ohne Ende. Das Glas klebt auf<br />

einem Plastikpapier. In dem Glas befindet sich eine<br />

orange Flüssigkeit. Der Miriam wurde ein Organ<br />

entnommen. Da sitzt ein Schmetterling auf der Heizung,<br />

die nicht angedreht ist. Er ist so klein, dass<br />

ich ihn am liebsten gar nicht beachten würde. Aber<br />

letzten Endes muss ich ihn beachten, weil ich nicht<br />

die Möglichkeit habe, irgendeinen Reiz auszufil-<br />

25


tern. Ich habe meine Schulter bewegt, weil ich ein<br />

Glas zu meinem Munde geführt habe. Stimmungsmäßig<br />

bin ich im zweiten Keller angelangt. Ich betrachte<br />

die Fahrräder und die Heizung, die ihren<br />

<strong>Die</strong>nst in dem zweiten Keller tut. Eine Heizung<br />

vom Baujahr 1953. Sie kann noch mit Cola betrieben<br />

werden und funktioniert trotzdem noch. Das<br />

nenn ich mir was! So wie es auch Menschen gibt,<br />

da reicht es, wenn man sie allein mit Bier und<br />

Schnaps betreibt, und trotzdem funktionieren sie<br />

noch. Das nenn ich mir was! Tretroller sollte ich<br />

fahren. Das habe ich ja immer so gerne getan. Rot<br />

muss der Tretroller sein. Dann kann ich besser meinem<br />

Chef entwischen, der mich immer mit seinem<br />

blauen Dreirad verfolgt. Denn dieser Chef kontrolliert<br />

mich ständig. Beispielsweise kontrolliert er<br />

auch meine Aussprache. Neulich hat er die Telefonanrufe,<br />

die ich entgegengenommen habe, kontrolliert<br />

und dabei festgestellt, dass ich allen Worten<br />

ein E anhänge. Ich hätte <strong>als</strong>o gesagt: „Herre<br />

Schmidte, wenne Siee dene Computere ausschaltene,<br />

danne müsstene allese wiedere funktionierene.“<br />

Keine Ahnung, ob das stimmt. Mein Chef behauptet<br />

es jedenfalls und verfolgt mich deswegen jetzt mit<br />

seinem blauen Dreirad. Er will mich nur umbringen,<br />

hat er gesagt. Trotzdem mache ich mich mit<br />

meinen roten Tretroller lieber auf die Socken, obwohl<br />

ich gar keine Socken anhabe. Warum sollte<br />

26


ich auch Socken anziehen? Es ist ja so heiß! <strong>Die</strong><br />

Finnen haben uns noch nie geholfen. Sollen sie<br />

doch an ihren Kanus und Handys ersticken! Katatonie!<br />

Gerade bin ich in eine Katatonie verfallen.<br />

Folglich bin ich doch schizophren, ob ich’s nun<br />

wahr haben will oder nicht. Der Schmetterling<br />

hockt immer noch auf der Heizung, die nicht meine<br />

Heizung ist. Was gehört mir überhaupt? Mein Körper<br />

ist ja <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> eine atomare Zusammenfügung<br />

von irgendwas. Da wurden Kühe und<br />

Schweine in mir verstoffwechselt. Halb bin ich eine<br />

Kuh, halb ein Schwein, halb ein Bier und halb ein<br />

Joghurt. Und mein Geist? Nun, die Wörter habe ich<br />

nicht erfunden, derer ich mich bediene. Und die <strong>anderen</strong><br />

Ideen? Seien sie nun mathematischer Art oder<br />

weiß der Teufel was für einer Art – sie <strong>sind</strong> nicht<br />

von mir. Ich bediene mich ihrer nur. Ich bin <strong>als</strong>o<br />

<strong>nichts</strong>. Und da es mich nicht gibt, kann es auch keine<br />

Gegenstände geben, die mir gehören. Denn mich<br />

gibt es ja nicht. Deswegen kann ich nicht von meiner<br />

Heizung sprechen. Und der Schmetterling hockt<br />

immer noch auf der Heizung. Und ich habe eine<br />

Neigung zum Schwitzen. Außerdem habe ich wieder<br />

einen ganz widerwärtigen Körpergeruch, obwohl<br />

ich mich heute geduscht habe. Woher kommt<br />

bloß dieser Körpergeruch? Jedenfalls bin ich nicht<br />

gesellschaftsfähig. Ich warte auf meinen Tod. Hoffentlich<br />

ist es bald aus. Es dauert schon alles ver-<br />

27


dammt lange, obwohl die Tage verfliegen wie Hubschrauber.<br />

Schmetterlinge im Bauch und die Geschirrspülmaschine<br />

läuft. Das ist die perfekte Halbhölle.<br />

Was habe ich heute nicht für Schweiß produziert!<br />

Phänomenal! Wenn das nicht ein Liter war.<br />

Und das in einer Stunde. Wie ist es aber mit dem<br />

Leben? Da hat man so und so viel Tage zu leben,<br />

und plötzlich ist es zu Ende. Immer wieder habe ich<br />

das im Altersheim beobachten können, dass sich die<br />

Leute gewundert haben, wo denn die Jahre geblieben<br />

wären. Ja, der Teufel ist schon ein Schurke; er<br />

klaut einfach so unser Leben, so wie ein Eierdieb<br />

unsere Freundin klauen kann.<br />

11. <strong>Die</strong> Fressfeinde der Eichhörnchen <strong>sind</strong> in erster<br />

Linie Greifvögel und kleinere Raubtiere wie Marder.<br />

Auch ich würde gerne Eichhörnchen fressen.<br />

Lieber Eichhörnchen <strong>als</strong> Schokohörnchen. Ihnen<br />

einfach so den Kopf abbeißen und ihr Blut trinken.<br />

Dann würde ich sie auf eine Weise wegschmeißen,<br />

wie man nur ganz unnötiges Zeug wegschmeißt.<br />

Und ich würde mich brüsten wegen meiner Verwegenheit.<br />

12. Mein Kampf von Adolf Hitler wird in der Regel<br />

nicht gelesen. Es ist verpönt, dieses Buch zu lesen.<br />

Auch ist es verpönt, mein Buch zu lesen.<br />

28


13. Als der Bart kam, war es aus mit mir, meine<br />

Männlichkeit dahin. Rasieren macht bei mir keinen<br />

Sinn, wenn überhaupt, dann zweimal täglich. Ansonsten<br />

sehe ich aus wie ein Asozialer, ja sogar wie<br />

ein Psychopath. Wahrscheinlich bin ich auch ein<br />

Kinderschänder, eben weil mir ein Bart wächst. Ein<br />

echter Mann hat keinen Bartwuchs, ja ein wirklich<br />

echter Mann hat auch keine Körperbehaarung! Da<br />

ich aber kein echter Mann bin, versuche ich meine<br />

Männlichkeit dadurch zu kompensieren, indem ich<br />

ständig kleine Kinder vergewaltige und umbringe.<br />

Ich glaube, dass ich so zwanzig bis dreißig Kinder<br />

um die Ecke gebracht habe. Das ist nicht mehr zum<br />

Gott erbarmen. Nun sitze ich im Gefängnis dafür.<br />

Seit zwanzig Jahren schon, ja, morgen werden es<br />

zwanzig Jahre. Mit elf habe ich mein erstes Kind<br />

umgebracht. Der war zwölf. Aber ich habe ihn<br />

trotzdem umgebracht. Damit war mein Weg vorgezeichnet:<br />

Einmal Kinderschänder, immer Kinderschänder.<br />

Nun aber zurück zu meinem Bartwuchs.<br />

Mit zwölf hatte es begonnen. Mir wuchs ein Bart<br />

zur Strafe, weil ich ein Kind getötet und vergewaltigt<br />

hatte. Und mit jedem <strong>weiter</strong>en Kind, das ich getötet<br />

hatte, wuchs mein Bart immer mehr. Mittlerweile<br />

sehe ich schon gar <strong>nichts</strong> mehr, weil die ersten<br />

Barthaare aus meinen Augen sprießen. Mein<br />

Darm ist schon längst von Barthaaren bevölkert.<br />

29


14. Microsoft Word spinnt. <strong>Die</strong> Rechnerauslastung<br />

ist völlig unglaubwürdig. Kann doch nicht sein,<br />

dass so ein bisschen Rumgetippe zu fünfzig Prozent<br />

Rechnerauslastung führt. Der Rechner beginnt<br />

schon periodisch herumzupusten. Und dann noch<br />

die Stubenfliege, die mich belästigt. Ich halte das<br />

alles nicht mehr aus! Oho, oho, wie die Festplatte<br />

grunzt, nur weil ich einen Task geschlossen habe.<br />

Jedoch an der Rechnerauslastung ändert sich <strong>nichts</strong>.<br />

Eine Gemeinheit ist das. Habe heute auch schon ein<br />

bisschen in Mein Kampf von Adolf Hitler gelesen.<br />

Ich glaube die Rechnerauslastung ist ein Wink mit<br />

dem Zaunpfahl dafür, dass ich erneut in diesem<br />

Werk lesen soll. <strong>Die</strong>ser scheiß Rechner wird mich<br />

noch ins scheiß Grab bringen. Ich schmeiße jetzt<br />

den Rechner aus dem Fenster. Genug ist genug! Ich<br />

bin ein Psychopath oder um keine Verwirrung zu<br />

stiften: jemand, der eine dissoziale Persönlichkeitsstörung<br />

hat. Dagegen kann man <strong>nichts</strong> tun. Nur der<br />

Tod kann diese Krankheit heilen. Also warte ich auf<br />

den Tod. Nachteil: Krankheit geheilt, Patient tot.<br />

Aber damit muss ich leben. Dem kundigen Leser<br />

wird aufgefallen sein, dass ich gerade eben auf Vorrat<br />

schreibe. Es könnten ja schließlich auch Tage<br />

kommen, an denen ich nicht in der Lage sein könnte<br />

zu schreiben. Und dann wohl dem, der auf Vorrat<br />

geschrieben hat. Dem kann dann der Schreibdurchschnitt<br />

nicht versaut werden. Ich hoffe, dass ich auf<br />

30


diese Weise den Durchschnitt von vier Seiten pro<br />

Tag aufrechthalten kann. Wie der kundige Leser<br />

<strong>weiter</strong>hin bemerkt haben wird, gibt es bei diesem<br />

Vorgehen ein Problem: Der Inhalt leidet gewaltig<br />

darunter: war das, was ich bisher geschrieben habe,<br />

bereits schon schlecht, so ist das, was ich jetzt<br />

schreibe – quasi auf Vorrat –, mehr <strong>als</strong> schlecht: Es<br />

ist grobfahrlässiger Unsinn. Wortmüll, wie ihn die<br />

Menschheit bisher nicht gesehen hat. Mittlerweile<br />

<strong>sind</strong> meine Wörter bis zur Ostfront vorgedrungen.<br />

Sechstausenddreihundertundfünfundzwanzig Wörter,<br />

sechshundertundfünfundsechzig Zeilen jeweils<br />

von einer Länge von elf Zentimetern. Wenn man<br />

das nun alles aneinanderreihen würde, dann ergibt<br />

das – nein, nicht den baren Unsinn! – sondern dann<br />

ergibt das eine Länge von Sechstausendsiebenhundertsiebzehn<br />

Zentimetern. Das <strong>sind</strong> gut siebenundsechzig<br />

Meter. Nun, das reicht nicht ganz bis zur<br />

Ostfront, aber immerhin bis zur gegenüberliegenden<br />

Apotheke. Das reicht. Und wie viel Fläche ließe<br />

sich mit siebenundsechzig Metern umzäunen? Das<br />

ist eine Fragestellung, die es wert ist, dass man ihr<br />

nachgeht. Also, einfacherhalber lassen wir die<br />

Kreisfläche, Pentagramme und dergleichen außer<br />

Acht und nehmen doch das rührselig einfache<br />

Rechteck. Da kommen wir beispielsweise auf ein<br />

Grundstück von zwanzig mal achtkommafünf Metern.<br />

Das <strong>sind</strong> – wenn mich mein Geist nicht verlas-<br />

31


sen hat – gut hundertsechzig Quadratmeter, sogar<br />

noch etwas mehr. Ein halbes Königreich kann ich<br />

<strong>als</strong>o allein mit meinen Worten umzäunen. Wie wird<br />

das erst sein, wenn ich tausend Seiten geschrieben<br />

habe? – Auch da möchte ich keiner Antwort schuldig<br />

bleiben: Es wird ein Grundstück sein, das mindestens<br />

tausend mal vierhundertundfünfundzwanzig<br />

Meter groß sein wird. Das ergibt gut einen halben<br />

Quadratkilometer. Umspannt durch meine Wörter.<br />

So werde ich es auch machen, wenn ich fertig bin<br />

mit meinem Buch. Ich werde es zerschneiden in<br />

einzelne Zeilen, und dann eine Zeile an die andere<br />

hängen, bis ich fertig bin. Das wird meine nächste<br />

Beschäftigung sein. Arbeitslosigkeit wird mir so<br />

nicht drohen. Arbeitslosigkeit – das ist etwas für<br />

Einfaltspinsel und Interimsalkoholiker. Nichtsdestotrotz<br />

und gerade eben deswegen heißt es wachsam<br />

zu sein. Denn der Feind lauert an jeder Ecke. Fresssucht<br />

kann meinem tätigen Schreiben ein Ende bereiten:<br />

Wenn mein Bauch erst einmal so gewaltig<br />

groß ist, dass ich wegen meines Bauches die eigene<br />

Tastatur nicht mehr sehe, dann weiß ich, dass es zu<br />

spät ist. Und das wäre doch ein Katzenjammer.<br />

15. Wer hätte den Ukrainern zugetraut, dass sie<br />

eine eigene Sprache und einen eigenen Staat hätten.<br />

Ich jedenfalls nicht. Dumm wie ich bin, habe ich<br />

mir gedacht: „Na ja, die Ukraine wird bestimmt ir-<br />

32


gendwie zu Russland gehören.“ Aber das war ein<br />

Irrtum. Aber wen wundert das bei mir? Habe ich<br />

doch noch vor ein paar Jahren nicht wirklich gewusst,<br />

dass Getreide im Bier ist. Keine Ahnung,<br />

was ich gedacht habe, das im Bier sein müsse,<br />

wahrscheinlich habe ich mir gedacht: Hopfen, Alkohol<br />

und Wasser genügen schon. Und Malz? Wer<br />

weiß schon, was Malz ist. Malz kann ja alles Mögliche<br />

sein: Ohrenmalz, Schweinemalz, Malzbeschwerden,<br />

Malzweh und weiß der Teufel, was<br />

noch alles. Jedenfalls: <strong>Die</strong> Ukrainer. Sie <strong>sind</strong> ein eigenständiges<br />

Völkchen. Das ist doch ganz erfreulich.<br />

Da kann man sich doch ganz ehrlich mitfreuen,<br />

dass die da so einen Staat haben. Genauso diese<br />

Weißrussen. Da habe ich aber schon irgendwie gewusst,<br />

dass die eine eigene Sprache haben. Besonders<br />

fies <strong>sind</strong> die Moldawier: <strong>Die</strong> tun so, <strong>als</strong> ob sie<br />

ein eigenes Völkchen wären – <strong>sind</strong> sie aber nicht!<br />

Nichts <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ganz ordinäre Rumänen! Da hat<br />

man den Salat. Und einen eigenen Staat haben sie<br />

trotzdem. <strong>Die</strong> könnte man doch einfach zu Rumänien<br />

dazuklatschen, genauso wie Österreich zu<br />

Deutschland. Und Belgien zerlegt man am besten in<br />

zwei Hälften: Der Speck zu den Niederlanden und<br />

das Fleisch zu Frankreich. So, genug davon.<br />

16. Ich will davon <strong>nichts</strong> mehr hören, sonst hau ich<br />

dir eine runter. Mich dürstet. Wo ist das Bier, wo ist<br />

33


der Wein? Maria ist Marthas Bezugsmutter. Raus<br />

aus meinem Kopf, du Dämon! Habe ich dir nicht<br />

geschworen, dass ich dir eine runterhaue, wenn du<br />

nicht gleich damit aufhörst? Ich überschreibe gleich<br />

deinen Text, und dann kannst du sehen, wo du<br />

bleibst. Ich habe schon einmal meine Bassgitarre<br />

durch einen Wah–Wah–Filter gejagt. Auch musste<br />

er schon mal Ringmodulation über sich ergehen lassen.<br />

Überhaupt <strong>sind</strong> die Frequenzspekulationen die<br />

interessantesten: Flanger, Distortion – und der<br />

Computer pustet immer noch. Dem hau ich auch<br />

gleich eine runter. Oder ich schmeiße ihn in den<br />

Abyssos. Da wird man ihn schon zu behandeln wissen,<br />

diesen halbmetallischen Tauge<strong>nichts</strong>. Ganz<br />

gleich ob Silizium oder Germanium, immer derselbe<br />

Scheiß. Und ein Rubin ist ja auch <strong>nichts</strong> anderes<br />

<strong>als</strong> Aluminiumoxid. Wo wir dann schon bei den<br />

Aminen wären, diesen drolligen Stickstoffverbindungen:<br />

NH2 oder vielleicht sogar NH3. Benannt<br />

nach einem ägyptischen Gott: Amun. Weil dummerweise<br />

eine Stickstoffverbindung an einem ägyptischen<br />

Ort entdeckt wurde, der Ammon hieß. Und<br />

warum hieß der wohl Ammon? Ganz klar. Denken<br />

wir doch ein bisschen über das Phonem [pur] nach:<br />

Erklingt es in lateinischer Sprache, dann ist damit<br />

rein gemeint, in Englisch arm, in Französisch für<br />

und in Hebräisch Los. Tonnerwetter! Da ist auf die<br />

gesprochene Sprache gar kein Verlass. Am besten<br />

34


lässt man es gleich sein mit dem Sprechen und<br />

schweigt. Der elektrische Stuhl ist auch nur ein<br />

Stuhl. Nun gibt es gar <strong>nichts</strong> mehr zu sagen. Alle<br />

Gedanken haben sich verkrochen. <strong>Die</strong> Gartenzwerge<br />

ermüden den Leser zur Genüge. Mein Telefon<br />

klingelt ständig. Ich werde von einem Arschlochautomaten<br />

angerufen. Ich bin ein lebendiges Telegramm,<br />

das nur über sehr wenige Worte verfügt.<br />

Was ist bloß mit dem Torsten los? Der hat doch<br />

auch irgendwas gemacht. Ich kann mich nicht mehr<br />

entsinnen. Gestern Nacht hatte ich noch interessante<br />

Gedanken. <strong>Die</strong> <strong>sind</strong> jetzt weg. Ernüchterung ist ungebeten<br />

eingetreten. Von nun an bin ich nicht mehr<br />

der Kaiser von Österreich, sondern nur noch ein armer<br />

Tropf, der an Gedankenarmut leidet. Mir werden<br />

die Gedanken abgezogen, so wie einem Hund<br />

das Fell abgezogen wird. Interessanterweise <strong>sind</strong><br />

diese Hunde ohne Fell durchaus noch lebensfähig.<br />

Das Gewitter ist an allem Schuld. <strong>Die</strong> elektrischen<br />

Entladungen haben meine Gehirnströme auf ungünstige<br />

Weise beeinflusst. Meine ganzen Relais<br />

<strong>sind</strong> quasi zerstört worden. Aus den Tiefen der Unkreativität<br />

rufe ich zu dir: Warum musst du immer<br />

so pseudolustige Sachen schreiben? Drei klare Worte<br />

<strong>sind</strong> mehr <strong>als</strong> zehntausend wahnsinnspflichtige<br />

Worte. Und überhaupt: Ist es nicht peinlich, dass du<br />

ständig nur über das Schreiben schreibst? Ist das<br />

nicht mehr <strong>als</strong> eitle Selbstreflexion? Selbstgefällige<br />

35


Selbstreflexion. Ich bin ein Fremdkörper in dieser<br />

Welt. Ich bin das Gerstenkorn Gottes. Ich bin die<br />

Murmel in der Luftröhre und der Hammer im Magen.<br />

Ich bin der Nagel im Stammhirn. Ich bin das<br />

Silizium, das dir dein Arschloch wasserdicht verschließt.<br />

Ich bin die Nicht–Existenz, die deine Existenz<br />

aufhebt. Ich haue dir nun in meinem schweren<br />

Kaffeerausch eine Menge Wahrheiten um deine Ohren,<br />

die du nicht gerne hören magst. Ich kann dir<br />

auch etwas erzählen von dem Duschgel, welches<br />

sich in Schaumform stets unter meiner rechten Achselhöhle<br />

aufhält. Durch <strong>nichts</strong> in der Welt lässt es<br />

sich aus der rechten Achselhöhle vertreiben. Da<br />

kann man duschen, wie man will, der Schaum bleibt<br />

und bleibt und bleibt. Und seine verheerende Wirkung<br />

zeitigt er, wenn man irgendwann später zu<br />

schwitzen beginnt. Dann beginnt es unter der rechten<br />

Achselhöhle zu knietschen und zu knatschen,<br />

dass es eine Freude ist. Wenn es der Schaum nicht<br />

sogar schafft, den rechten Arm an die rechte Körperseite<br />

festzukleben. Wenn das Buddha gewusst<br />

hätte, ich glaube, er wäre nicht Mönch geworden.<br />

17. <strong>Die</strong> Affen rennen in Horden um den Meister,<br />

der der Autor freilich ist. Es <strong>sind</strong> kleine, widerliche<br />

Makaken. Kleine Scheißaffen, die <strong>nichts</strong> anderes<br />

tun können, <strong>als</strong> einem in den Finger zu beißen. Da<br />

hocken sie auf eines Menschen Schulter und wer-<br />

36


den dadurch gleich größenwahnsinnig und denken<br />

sich – wenn sie denn denken könnten! –: „Ach, was<br />

bin ich nicht groß!“ und beißen einem in diesem<br />

Größenwahn in den Finger. <strong>Die</strong>sen Makaken werde<br />

ich aber das Genick brechen. Dann werde ich ihnen<br />

ihre Eingeweide aus ihrem kleinen, unbedeutenden<br />

Leib ziehen.<br />

18. Wir leben nicht mehr im Schlaraffenland: Fünf<br />

Millionen Arbeitslose. <strong>Die</strong> Milch schmeckt auch<br />

nicht mehr. Und es summt um meinen Kopf. <strong>Die</strong><br />

Fliege wird einen schnellen Tod finden, wenn ich<br />

sie erwische. Und sollte sie sich auf meinen Rechner<br />

hocken, so wird sie das nicht bewahren: Trotzdem<br />

werde ich zuschlagen, auch wenn der Rechner<br />

daran Schaden nehmen wird. Hauptsache ich habe<br />

meine Genugtuung. Man sollte einer radikalen muslimischen<br />

Vereinigung beitreten: Milli Göruç beispielsweise,<br />

oder wie auch immer die genau geschrieben<br />

werden, was ja im Grunde genommen<br />

aber keine Sau interessiert. Hauptsache sie <strong>sind</strong> radikal.<br />

Und da sollte man im <strong>Rahm</strong>en seiner Zugehörigkeit<br />

mächtig Rabauz machen, alleine oder zu<br />

zweit sich in die Luft sprengen, dass die Knochen<br />

knacken und die Eiweißmoleküle in der Luft herumspritzen<br />

und –sprotzen. <strong>Die</strong>se kleinen Scheißfliegen!<br />

37


19. Mein Mund hat die allbekannte Kaffeetrockenheit.<br />

Ich schwitze wie eine Sau. Und ich stinke wie<br />

eine Sau: Nach Tabak, den ich nie geraucht habe,<br />

und auch nach Duschgel, das sich unter der rechten<br />

Achselhöhle nie entfernen ließ. <strong>Die</strong> Fliege putzt<br />

sich ganz frech direkt vor meiner Nase. Satanas ist<br />

nicht rot, nein er ist gelb wie Ananas. Ananas macht<br />

Blähungen wie die Sau, denn die Ananas, die man<br />

in Dosen bekommt, ist verfault wie die Sau. Ich<br />

glaube, dass ich der Fliege eben gerade einen Flügel<br />

gebrochen habe. Auf den Papst sollte man einen<br />

Exorzisten ansetzen, am besten irgendso einen alten<br />

Anachoreten, dann würde er zerplatzen vor Wut,<br />

wie es die Basilisken zu tun pflegen. Sturmhelm<br />

und Pickelhaube und der Glaube an Gott machen<br />

noch längst keinen Mord. Dazu bedarf es mehr.<br />

Zum Beispiel <strong>als</strong> Grundzutat die antisoziale Persönlichkeit.<br />

<strong>Die</strong> antisoziale Persönlichkeit ist nämlich<br />

grundsätzlich zu allem fähig. Somit auch zu Mord.<br />

Und das an jedem Ort. Auch in Fürth. Faschingskrapfen.<br />

Jeden Tag Faschingskrapfen. Und morgen<br />

wiederum Faschingskrapfen. Faschingskrapfen bis<br />

zum Erbrechen. Faschingskrapfen bis zum Überdruss.<br />

Faschingskrapfen bis der Esser selbst ein<br />

wandelnder Faschingskrapfen geworden ist: zuckersüß<br />

und aufgedunsen ob dem Backtreibmittel – ihr<br />

glaubt doch wirklich nicht, dass man in der Bäckerei<br />

noch Hefe verwendet, ihr Idioten!<br />

38


20. Ich werde nicht mehr lange leben. Eben galt<br />

mein Wort noch <strong>nichts</strong>. Jetzt liest es jeder. Weder<br />

ich noch du wissen, warum. Darum sag ich dir,<br />

warum ich nicht weiß, wie du heißt. Feist ist der<br />

Greis, der holt dir kein Eis. Was soll der Scheiß? Es<br />

war ein epileptischer Anfall. Nun bin ich wieder<br />

normal. Gott hat es so gewollt. Wir wollen etwas an<br />

die Moleküle denken. <strong>Die</strong> Moleküle <strong>sind</strong> nicht –<br />

auch wenn uns der Name dazu verleitet! – nein, sie<br />

<strong>sind</strong> nicht kühl. Moleküle betreiben auch kein Kalkül.<br />

Nein, Moleküle <strong>sind</strong> immer warm und dünn.<br />

Dünn, weil sie nicht mollig <strong>sind</strong>. Oder hast du<br />

schon mal eine mollige Kühle gesehen? Oder etwa<br />

wollige Kühe? Wohl kaum. Geh mal ins Geschäft<br />

und verlange eine Wolle Kühe. <strong>Die</strong> werden dir<br />

einen Finger zeigen und gleichzeitig die Polizei rufen<br />

und dich anzeigen wegen eines Verbrechens,<br />

dass du – und niemand anders – begangen hat. Der<br />

Papiertiger wird dir Löcher in deinen Bauch fragen.<br />

Davon kannst du ausgehen, ja, vielmehr noch: Darauf<br />

kannst du einen lassen, das ist todsicher. Auch<br />

die Flachettes <strong>sind</strong> todsicher, darauf kannst du auch<br />

einen lassen. Selbst wenn du eine kugelsichere<br />

Weste anhast – sie wird dir <strong>nichts</strong> nützen, sofern die<br />

Polizei mit Flachette–Munition auf dich schießt.<br />

Meine Fürze riechen heute ganz nett. Sie haben<br />

einen ziemlich langen Abgang, den man auch noch<br />

39


nach einer Minute schmecken kann. Musik liegt in<br />

der Luft, wie die alten Römer zu sagen pflegten.<br />

Mücken pflegen ihre Flügel mit ihren Beinen. Sie<br />

<strong>sind</strong> schon richtig eitle Tiere. Man kann allerdings<br />

eine Mücke in eine durchsichtige Cassettenhülle<br />

einsperren und dann mit dem Luftgewehr auf sie<br />

schießen. Sicherlich wird dann die gesamte Cassette<br />

mit Mückenteilen gefüllt sein. Vergleichbar mit einem<br />

Menschen in der Telefonzelle, der mit einer<br />

Pershingrakete beschossen wird. Da begattet der<br />

Tod alles Lebendige. Es <strong>sind</strong> dies die erhabenen<br />

Momente im Sein, wenn da jemand auf eine solche<br />

Weise aus dem Sein austritt. Nein, es ist eher der<br />

Mut eines solchen, dem es nicht genügt einer zu<br />

sein, sondern der viele sein will. <strong>Die</strong>sem Ziel<br />

kommt er näher, wenn er mit einer Pershingrakete<br />

Bekanntschaft macht: Molekülklein und vielfach<br />

mag er dann sein. Nun wird es aber wieder Zeit,<br />

dass über meine Mundtrockenheit berichtet wird:<br />

Sie nimmt zu. Ich habe eine Idee. Ich trinke Wasser.<br />

Jetzt gleich. Der Paneuropäische Rauch. Das Mund<br />

in meinem Wasser. <strong>Die</strong> Schmerzen von gestern und<br />

die Schmerzen von heute, die Schmerzen einer ganzen<br />

Generation, der unsrigen. Unsinn und Wahnsinn.<br />

Meine Unterhose riecht nach Urin, weil sie in<br />

Kontakt mit meiner Hose gekommen ist, die ich seit<br />

sechs Monaten nicht mehr gewechselt habe. Da<br />

können wir doch gleich mal über den Stoffwechsel<br />

40


nachdenken. Es gibt nämlich harnpflichtige Substanzen.<br />

Das muss man sich mal vorstellen! Da geht<br />

es im Körper zu wie auf einem Zollamt und man<br />

weiß gar <strong>nichts</strong> davon. Wird man eben diese Substanzen<br />

bestrafen, wenn sie sich am Harn vorbeimogeln?<br />

Kommen sie dann ins Gefängnis? Und wenn<br />

ja, in welches Gefängnis kommen sie? Bindegewebe?<br />

Gehirn? Urinkoma? Harnsäurekoma? Da meine<br />

Nieren schon seit Jahren nicht mehr arbeiten,<br />

schwitze ich Urin. Bei mir gibt es keine harnpflichtige<br />

Substanzen. Ich bin ein freier Mensch und liebe<br />

die Freiheit. Warum sollten dann nicht die <strong>anderen</strong><br />

– und seien sie nur Neutra – keine Freiheit haben?<br />

Meinetwegen sollen sich Harnsteine bilden. Ich<br />

habe mal gehört, dass die recht interessant aussehen<br />

sollen. Und außerdem ist es immer gut, Steine bei<br />

sich zu haben. Man stelle sich vor, man gerät in<br />

eine Demonstration: Mit was will man werfen,<br />

wenn man keine Steine hat? Da <strong>sind</strong> doch eindeutig<br />

jene im Vorteil, die Harnsteine haben: <strong>Die</strong> schneiden<br />

sich dann einfach ihre Nieren aus dem Rücken<br />

und bewerfen damit die Polizisten. Wahlweise kann<br />

man ja die Nieren auch mit der Zwille verschießen.<br />

Das gibt dann ein großes Hallo bei der Polizei. So<br />

von einem Nierenstein getroffen, verpackt in einer<br />

Niere, das ist kein Spaß! Kama Sutra ist sicherlich<br />

auch eine mögliche Beschäftigung. Besonders wenn<br />

man Sauerkraut gegessen hat. Mein Lieblingseis ist<br />

41


Schokoeis. Nicht zu verachten ist rote Grütze mit<br />

Vanillesoße. Ich liebe auch meine Urinflecken in<br />

meiner Unterhose. Nicht weniger liebe ich meine<br />

braunen Bemerkungen, die sich auf diesem weißen<br />

Stoff etwas <strong>weiter</strong> hinten befinden. Den Bundeskanzler<br />

sollte man beschimpfen, auch wenn er eine<br />

Frau ist. Da heißt es, hart zu bleiben und nicht nachgiebig<br />

zu werden. Ich denke an meine Fußwunden.<br />

Ich bin bei einem Fußmarsch zu Christus geworden.<br />

Das ist nun nicht das erste Mal. Erdbeeren entwässern<br />

genauso wie Rhabarber. Bloß enthält der noch<br />

die Ox<strong>als</strong>äure, die sich auch im Klee findet. Man<br />

sollte Klee kochen und daraus Kleekompott machen.<br />

Oder gleich ganze Wiesen abkochen und daraus<br />

Wiesenkompott machen. Ja, mit Kochen und<br />

Zucker kann man alles erreichen: Man kann auch<br />

seine eigene Scheiße abkochen und daraus Scheißkompott<br />

machen. Das ruft nur Schulterzucken hervor.<br />

Ich kann nicht mit den Schultern zucken, die<br />

kleben mir ob des Duschgels am Körper fest. Dafür<br />

kann ich meine braune Meinung in der Unterhose<br />

vermehren. Eigentlich sollte man gar nicht aufs Klo<br />

gehen und sein Geschäft verrichten, wo man sich<br />

gerade befindet: Beim Sex der Freundin aufs Bett<br />

scheißen, auf der Arbeit bei der Power–Point–Präsentation<br />

oder auf der Damentoilette beim Nasepudern.<br />

42


21. Der Rudersport ist ein harter Sport. <strong>Die</strong> Frauen<br />

bekommen davon Brustmuskeln und wollen gar<br />

<strong>nichts</strong> mehr anderes machen außer Rudern. Alle<br />

Ruderer <strong>sind</strong> sportgeil und wollen nicht mehr ins<br />

Bett. Sie wollen nur noch rudern. Sie wollen rudern,<br />

rudern in den Tod hinein, was sie sicherlich auch<br />

schaffen werden. Es soll einmal einen Ruderer gegeben<br />

haben, der neben dem Rudern zu allem Überdruss<br />

auch <strong>nichts</strong> gegessen hat. Das hat ihm das Leben<br />

gekostet. Aber was kostet letzlich <strong>nichts</strong>? Wenn<br />

wir mal ehrlich <strong>sind</strong>.<br />

22. Wenn meine Füße verwesen: Was hält länger?<br />

Das Fleisch oder meine Hornhaut? Ich glaube meine<br />

Hornhaut währt ewig, wird irgendwann von<br />

fremden Kulturen aufgefunden und angebetet werden.<br />

Ja, man wird meine Fußhornhaut zermörsern<br />

und damit ein Rauchopfer darbringen, dem HErrn<br />

ein Wohlgefallen. Amen.<br />

23. Nichts ist dümmer <strong>als</strong> die Vernunft. Liebe Gemeinde,<br />

glotzen sie ruhig blöd! Aber <strong>nichts</strong> ist dümmer<br />

<strong>als</strong> die Vernunft. Ich wiederhole: Nichts ist<br />

dümmer <strong>als</strong> die Vernunft. Deswegen habe ich mir<br />

auf die Kanzel auch eine .460er Weatherby mitgenommen,<br />

um Ihnen Ihre Schafsköpfe wegzuschießen.<br />

Sie rennen? Glauben Sie, das nutzt Ihnen etwas?<br />

Ha, schauen Sie, da liegt er, der Herr Schmidt,<br />

43


Euer Vertrauensmann. Seine Gedärme im Taufbecken.<br />

Halleluja! Und die Döbler. Mitten ins Gesicht.<br />

Spritzt den Hans, ihren Sohn, mit ihrem Hirn<br />

voll. Was für eine Sauerei! <strong>Die</strong> Briten <strong>sind</strong> eingefallen<br />

und auch die Russen. Da werde ich mich wohl<br />

erschießen müssen im Bunker der kranken Gedanken.<br />

24. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong> <strong>sind</strong> <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> Denkpolizisten,<br />

die <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> tun, <strong>als</strong> meine Gedanken zu<br />

überwachen. Sie wollen verhindern, dass ich mein<br />

Gehirn in ein Buch umwandele. Ich aber werde<br />

mich nicht hindern lassen. Teile meines Stammhirns<br />

liegen ja bereits in Schriftform vor, der Rest<br />

wird folgen. Morgen erhalte ich einen Laserdrucker,<br />

der so groß ist wie ein Kasten Bier. Der wird mir<br />

helfen, mein Werk zu vollenden. Auf dem Jakobusweg<br />

werde ich nicht gehen. Ich bin wortkarg. Das<br />

Wetter erniedrigt mich und macht mich zum Gedankenwinzling,<br />

der auf Augenhöhe mit Bettwanzen<br />

steht nicht aber mit Menschen. Ich habe<br />

Schleim in meiner Nase. Mein Mundgeschmack gefällt<br />

mir nicht. Es ist nicht gut, Schokocreme und<br />

Guarana zu sich zu nehmen. Auch meine Lungen<br />

<strong>sind</strong> durch all den Schleim verstopft. An Atemfassen<br />

ist gar nicht zu denken. <strong>Die</strong> Luftknappheit veranlasst<br />

mich zu denken. Meine Brille habe ich heute<br />

nicht gewaschen. Es befinden sich noch Augenreste<br />

44


auf den Gläsern. Verschiedene Leute haben meine<br />

Gedanken vernichtet. Trotzdem schreibe ich <strong>weiter</strong>.<br />

Ich weiß, dass alles mit jedem Wort schlimmer<br />

wird, trotzdem muss es getan werden. <strong>Die</strong> Denkpolizisten<br />

kontrollieren meine Gedanken an jeder<br />

Wegkreuzung und nehmen mir die meisten Gedanken<br />

gleich ab. Deswegen bleiben mir so wenige Gedanken<br />

übrig. Deswegen bleibt dieses Blatt so leer.<br />

Deswegen <strong>sind</strong> die Wörter so einfach und deswegen<br />

<strong>sind</strong> die Gedanken so schwach. Nicht ich bin schuld<br />

sondern die Denkpolizisten. Hätten sie mir nicht die<br />

Gedanken abgenommen, dann könnte dieses tausendseitige<br />

Reich direkt interessant sein. So ist es<br />

langweilig, so wie alles andere langweilig ist. Jeder<br />

redet nur langweiliges Zeug, weil ihm die Denkpolizisten<br />

die Gedanken abgeknöpft haben. Ich könnte<br />

Plastik verbrennen. Schließlich habe ich schon den<br />

Geruch von verbranntem Plastik in meiner Nase,<br />

obwohl nirgendwo Plastik verbrannt worden ist.<br />

Auch an meinen Fingern befindet sich Schleim.<br />

Mein Bett habe ich noch nicht gemacht. Der Schlafanzug<br />

liegt auch noch öffentlich herum. Auch die<br />

Bettdecke liegt öffentlich herum. Ich habe Skoliose<br />

und verteile mir meinen Nasenschleim auf meine<br />

Finger. Draußen ist es dunkel und böse. Es macht<br />

keinen Sinn, nach draußen zu gehen. Dort wartet<br />

nur der Regen auf mich, der sich hinter den Wolken<br />

versteckt hält, nur um dann, wenn ich die Wohnung<br />

45


verlasse, über mich herzufallen. So war es schon<br />

immer. Augenfrauen kann man besonders in Arztpraxen<br />

begegnen. Sie <strong>sind</strong> ganz Auge und sonst<br />

<strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong>. Sie <strong>sind</strong> wandelnde Augen und sehen<br />

alles. Auch mit ihrer Haut können sie sehen, selbst<br />

mit ihrer Kleidung. So wie es auch Brustfrauen gibt,<br />

die bis in den kleinen Zeh hinein Brust <strong>sind</strong>. Hähnchenbrust<br />

ist trocken und sollte nicht gegegessen<br />

werden. Gerade eben habe ich einen größerern<br />

Schleimbatzen in den Magen rotzen können. Ich<br />

setze meiner Einfallslosigkeit die Krone auf. Ich<br />

verkaufe meinen Farbfernseher und bin leer. Stehe<br />

ich, sitze ich nicht. Sitze ich, stehe ich nicht. Esse<br />

ich, trinke ich nicht. Trinke ich, esse ich nicht. Und<br />

wieder wanderte Rotz in meinen Magen. Davon<br />

kann man satt werden. Ich bin einsilbig und wortkarg.<br />

Ich brüte dumpf vor mich her und laufe dumpf<br />

herum und kann gar nicht genug kriegen davon. Da<br />

wo es schön es, fliegen einem die Spatzen nicht in<br />

den Mund. Daneben gibt es auch <strong>nichts</strong> und darüber<br />

habe ich noch nicht nachgedacht. Mein Dank ist abgeflacht<br />

und ich lobe mich sehr, wenn es sonst niemand<br />

tut. Meine H<strong>als</strong>schmerzen und meine H<strong>als</strong>tabletten.<br />

Der Zwang zum Zeigen und du usurpierst<br />

mich, bist obszön. Du mit deinem Fön, wenn du in<br />

die Badewanne fällst, gefällst du mir nicht<br />

sondern… Falls du gedacht hast, dass ich Rede und<br />

Antwort stehe, hast du dich getäuscht. Vielleicht<br />

46


hast du ausgepressten Orangensaft getrunken, mich<br />

jedenfalls hast du nicht erkannt. Verbrannt <strong>sind</strong> die<br />

Behinderten und niemand hat es verhindert. Ich hingegen<br />

kann mich dazu nicht äußern, weil es mir der<br />

Postbote verboten hat, <strong>als</strong> er das Buch zugeklappt<br />

hat und danach nicht mehr an mich gedacht hat. Sah<br />

er seinen Fehler? Oder begann er zu bereuen, dass<br />

sie heulen? Sie <strong>sind</strong> nicht die Euren, sondern die<br />

Meinigen, die mich peinigen und sich ohne meinen<br />

Willen vereinigen. Katzenjammer im Sommer. Nasenhaare<br />

werden abgefackelt, da fackelt der türkische<br />

Barbier nicht lange. <strong>Die</strong> gebratene Lunge gab<br />

es zum Frühstück mit Sellerie und Zwiebeln. Katzen<br />

umschlichen den Tisch und warteten, das etwas<br />

abfiel für sie, aber sie warteten vergebens, weil der<br />

Torsten alles fraß und für sie <strong>nichts</strong> übrig ließ. Denn<br />

er war ein gefräßiger Mensch, der nie etwas übrig<br />

ließ, sondern immer alles für sich behielt. <strong>Die</strong> Vielfalt<br />

der Arten wird nicht von ihm berücksichtigt. Er<br />

fraß immer nur seine gebratene Lunge und hatte nie<br />

Schulterschmerzen so wie ich, der hier schreiben<br />

muss. <strong>Die</strong> Gartenzwerge <strong>sind</strong> über Nacht mit dem<br />

Vorschlaghammer zertrümmert worden, alle. Nun<br />

ist der Garten ein Porzellanfriedhof, der nur noch<br />

von den Katzen umschlichen wird. Hier und da liegt<br />

auch ein Fuß herum, der milden Hornhautgeruch<br />

ausströmt. Und wieder landet Rotz in meinen Magen.<br />

Ich denke an Passbilder. Heute habe ich mich<br />

47


nicht rasiert. Morgen werde ich mich auch nicht rasieren.<br />

Dazu habe ich keine Zeit. Schließlich muss<br />

ich meinen unglaublichen Schreibrückstand aufholen.<br />

Polen ist offen. Frauen umschleichen meine<br />

Gedanken und versuchen zu schmeicheln. Sie verkaufe<br />

ich an den Scheich, der immer irgendwelcher<br />

Frauen bedarf, da er Muslim ist. Ich bin im Slum<br />

und sage nicht mehr Simsalabim. Ich wurde von der<br />

Langsamkeit entdeckt und krieche wie Plastikkleber<br />

über die Gedankenoberfläche ohne Sinn und ohne<br />

Ziel. Und heute nacht weiß ich auch nicht, wo ich<br />

morgen sein werde, weil ich niem<strong>als</strong> weiß, wo ich<br />

gestern gewesen bin. <strong>Die</strong> Stimmen werden lauter<br />

und ich höre sie nicht. Wir <strong>sind</strong> in eine Rennmaschine<br />

gestiegen und haben noch viele Treppenstufen<br />

aufwärts zu steigen. In meinem Kleiderschrank:<br />

Frauen, Kleider und Schuhe. Pustekuchen aus Gänseblümchen.<br />

Seht ihr nun, was ihr mit euren Denkpolizisten<br />

anrichten werdet? Also zieht sie ab, lasst<br />

sie gehen, nach Hause mit ihnen, ich brauch sie<br />

nicht, eure Denkpolizisten. Sie <strong>sind</strong> mir zuwider,<br />

diese Denkpolizisten. Wer gründete denn überhaupt<br />

die Denkpolizei? Wo ist die Hauptstation der Denkpolizei?<br />

Wo werde ich morgen sein? Warum Langeweile?<br />

Warum ist alles sinnlos? Warum wird<br />

morgen auch alles sinnlos sein? Wer isst Bananen<br />

und wo treibt sich der geselchte Popbub herum?<br />

Und warum machen meine Finger nicht, was ich<br />

48


will? Warum desertiert mein Körper? Wer ist denn<br />

eigentlich Herr meines Körpers? Ich bin es jedenfalls<br />

nicht. Mit meinem Körper habe ich <strong>nichts</strong> zu<br />

tun. Er tut nicht, was ich will, sondern er tut, was er<br />

will. Deswegen verachte ich ihn zutiefst. Ich werde<br />

ihn gleich wieder dafür schinden, dass er nicht tut,<br />

was ich will. Dann möchte ich mal sehen, was er<br />

dann tut, ob er dann nach der Schinderei endlich das<br />

tut, was ich will. Gleich jetzt will ich ihn schinden,<br />

wenn ich es endlich schaffe, meinen Körper von der<br />

Tastatur zu lösen. Noch kleben die Finger an der<br />

Tastatur, noch klebt mein Rücken am Stuhl.<br />

25. Ich bin kein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft.<br />

Ich bin ein Allergen. Ich werde alles tun,<br />

um den gesunden Gesellschaftskörper zu vernichten.<br />

Mein allergisches Leben werde ich einsetzen,<br />

um die Gesellschaft zu vernichten. Ich werde in den<br />

Gemeinschaften Entzündungsherde anfachen, damit<br />

diese gesellschaftsliebenden Menschen verbrennen<br />

und verkohlen. Gemeinschaft muss zerstört werden,<br />

die absolute Vereinzelung muss erreicht werden.<br />

Niemand hat das Recht, sich gut zu fühlen, wenn<br />

ich mich nicht gut fühle. Ich werde unter Einsatz<br />

meines Lebens dafür sorgen, dass sich niemand gut<br />

fühlt. Ich persönlich messe mir keinen Wert bei. Ich<br />

bin absolut wertlos. Deswegen bin ich bereit, mich<br />

total zu vernichten. Wenn ich ein paar andere mit<br />

49


mir ins Verderben stürzen kann, dann ist es gut.<br />

Sollte es nicht gelingen, dann ist mir das auch egal.<br />

Am wichtigsten ist mir selbstverständlich meine eigene<br />

Vernichtung. Vielen Leuten um mich herum<br />

ist aufgefallen, dass ich stinke. <strong>Die</strong>s rührt daher,<br />

dass ich mich nicht wasche. Warum sollte ich mich<br />

auch waschen und gesellschaftsfähig werden, wo<br />

ich doch die Gesellschaft hasse. Sympathie und Zuneigung<br />

finde ich zum Kotzen. Das Schlimmste was<br />

mir passieren kann, ist ein Mensch, der sich für<br />

mich interessiert. Das werde ich denen schon<br />

gründlich austreiben. Darüber hinaus kann ich es<br />

nicht leiden, wenn andere Menschen sich leiden<br />

können. Da möchte ich glatt einen von den beiden<br />

Sich–leiden–Könnenden erschießen, wenn nicht<br />

real, dann wenigstens verbal. Ich bin der Hass, ich<br />

bestehe nur noch aus Hass und werde jeden Tag<br />

noch mehr Hass. Ich bin das schwarze Loch unter<br />

den Menschen, das jeden Tag kleiner und schwerer<br />

wird. Ich sauge alle Seelen um mich herum auf, die<br />

mir nicht entkommen können. Das ist mir ein wahres<br />

Vergnügen! Den <strong>anderen</strong> ins Verderben reißen.<br />

Und viele <strong>sind</strong> mir schon zu Opfer gefallen, und es<br />

werden täglich mehr. Ich bin der Typ, der in seinem<br />

Vernichtungswahn beiläufig eine Apfel–Kirsch–<br />

Schorle trinken kann. Ich bin der große Pupser von<br />

Gößweinstein, der Maulheld, der keines seiner negativen<br />

Versprechen jem<strong>als</strong> gehalten hat noch hal-<br />

50


ten wird. Ich bin der kranke Krüppel von nebenan,<br />

der nicht einmal seinen Vernichtungswahn in die<br />

Tat umsetzen kann. Und mein Mund ist trocken. In<br />

Trachtenhöfstetten werden Dächer gedeckt. Und ich<br />

weiß auch nicht mehr <strong>weiter</strong>. Ich habe mich in mir<br />

selber verirrt und finde nicht mehr hinaus. Ich bin in<br />

den Höhlen des Unterbewusstseins abgestürzt und<br />

habe mir dabei einen Knöchel gebrochen und darüber<br />

hinaus meine Taschenlampe verloren. Dement<br />

und besinnungslos starren sich die einzelnen Wörter<br />

an und wissen nicht, was sie miteinander zu tun haben.<br />

Jedes Wort steht für sich isoliert da und kennt<br />

den Begriff der Gemeinschaft nicht. Es ist das zerfallende<br />

Abendland meines Kopfes, das in Schriftform<br />

hier vorliegt. Es ist das Geistesprodukt eines<br />

mild Wahnsinnigen, der von allen verachtet wird,<br />

die ihn sehen. Es ist Schwachsinn. Es ist <strong>nichts</strong>, es<br />

ist, was es ist, sprach die Liebe, die ich nicht bin<br />

und auch nie sein werde, weil ich der Hass bin und<br />

niemand anders. Und der Hass kennt keine Gemeinschaft<br />

sondern nur die Isolation. Alle Wörter <strong>sind</strong><br />

mit Isolierband umwickelt, weil sie wund <strong>sind</strong> und<br />

weil eben ihre Wunden luftdicht abgedichtet werden<br />

müssen, damit sie sich nicht entzünden. Manche<br />

Leute <strong>sind</strong> nicht zuckerkrank, obwohl sie es<br />

gerne wären. Sie gehen zum Arzt und haben dieses<br />

kleine Erfolgserlebnis, dass sie diese eine Krankheit<br />

nicht haben, die sie gar nicht haben können. Dann<br />

51


denken sich diese zutiefst kranken Menschen: Da<br />

ich nicht zuckerkrank bin, bin ich völlig gesund.<br />

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich heute<br />

beim Mittagessen an dem Reiskorn erstickt wäre.<br />

Es waren die Körperreflexe, mit denen ich <strong>nichts</strong> zu<br />

tun habe, die meine durch diesen fremden Körper<br />

bedingte Geistesexistenz gerettet haben. Tabellenarmbanduhren<br />

und Huren auf dem Tablett, die Tapete<br />

von den Wänden abkratzen mit ihren rot lackierten<br />

Fingernägel, die sie immer pflegen, weil<br />

sie das auch bitter nötig haben wegen des guten<br />

Eindrucks, den sie immer auf fremde Männer machen<br />

müssen. Ich muss nie auf irgendjemanden<br />

einen guten Eindruck machen, weil ich hoffnungslos<br />

verloren bin im Wahn, der mich schon seit Jahren<br />

befallen hat, so wie manche Füße schon seit<br />

Jahren von Fußpilz befallen <strong>sind</strong>.<br />

26. Entweder ist mein Muskeltonus zu hoch oder er<br />

ist zu niedrig. Ein Mittelmaß kennen meine Muskeln<br />

nicht. Ich weiß auch nicht, warum. Was habe<br />

ich schon mit diesem Körper zu schaffen, den ich<br />

niem<strong>als</strong> haben wollte, der mir vielmehr völlig unfreiwillig<br />

wie eine Zwangsjacke angelegt worden<br />

ist. Mein Denken wäre auch viel klarer, wenn ich<br />

diesen vermaledeiten Körper nicht hätte. Vergeblich<br />

versuche ich ihn täglich zu schwächen, was mir allerdings<br />

nicht gelingt. Ich weiß auch nicht, warum.<br />

52


Ich bin in diesem Körper <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ein Omega–Affe,<br />

welcher von allen <strong>anderen</strong> Affen schon<br />

völlig zerhackt und zertreten worden ist. Knieprobleme<br />

habe ich nicht und zuckerkrank bin ich auch<br />

nicht. Viel zu gesund ist dieser Körper, mit dem ich<br />

zu tun habe. <strong>Die</strong>ser Körper erdrückt mich regelrecht.<br />

Ein großer Trinker bin ich. Der Alkohol fließt<br />

in mich hinein, so wie Abwasser in die Kläranlage<br />

hineinfließt. <strong>Die</strong> Leber säubert alles und heraus<br />

kommt reiner gelber Urin, den Katrin nicht trinken<br />

wollte. Wie sie überhaupt nicht mit Karten spielt<br />

und sich ständig gegen alles verweigert und verschließt<br />

wie eine Muschel, die ihre Perle nicht hergeben<br />

will. Dill und Schnittlauch im Gummischlauch<br />

brauche ich nicht, wenn ich tauche in<br />

der Jauche. Kaugummi gibt es zum Nachtisch, damit<br />

die Zähne auch etwas zu tun haben. Am Abend<br />

des Lebens denkt man noch einmal gründlich über<br />

alles nach, was man getan hat, denn man kann ja<br />

<strong>nichts</strong> mehr anderes tun außer Denken, weil man<br />

von den Leuten gemieden wird, weil man so alt und<br />

krank ist. Abartig alt und abartig krank. Wer nicht<br />

arbeitet, hat kein Recht auf Leben. Deswegen werden<br />

die Alten gemieden, sofern sie nicht arbeiten.<br />

Deswegen arbeiten ja auch so viele Alte im Garten,<br />

damit sie sich dadurch ihr Lebensrecht erhalten<br />

können. Hingenommen wird es, wenn die Schulter<br />

schmerzt oder das Knie, sofern man nur arbeiten<br />

53


kann. Ohne Arbeit gibt es kein Menschsein. Alles<br />

andere ist Lüge. Wer nicht für die und wer nicht in<br />

der Gesellschaft arbeitet, ist kein Mensch und hat<br />

deswegen keine Lebensrechte. Denkpolizisten haben<br />

nun dafür gesorgt, dass ich meine E–Mails<br />

nicht abrufen kann. Sie tun alles, um mein Werk zu<br />

zerstören. Es <strong>sind</strong> Hundertschaften angestellt, die<br />

nur den einen Zweck haben, nämlich mich zu beobachten.<br />

Ganze Agenturen und Büros wurden nur zu<br />

dem Zweck gegründet, um mich auszuspitzeln. Hinter<br />

jeder Ecke lauert ein Agent mit einem spitzen,<br />

schwarzen Hut und bespitzelt mich. Sie spitzeln<br />

mich zu Tode, sie treiben mich in den Wahnsinn.<br />

So sieht es aus. Und dabei bin ich <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong><br />

ein hühnerfrikaseeessender Volltrottel, der kein Lebensrecht<br />

hat, weil er nicht arbeitet. Warum kümmern<br />

die sich auch um jemanden, der nicht einmal<br />

ein Lebensrecht hat? <strong>Die</strong>se Spitzel werden mich<br />

noch ins Grab bringen. Es wird langsam dunkel und<br />

kalt, der Herbst ist angebrochen und ich sterbe bald.<br />

Es kann sich nur noch um Jahrzehnte handeln, und<br />

was ist das schon? Ein Jahrzehnt vergeht so schnell<br />

wie eine Buchseite. <strong>Die</strong> Demenz grinst mich schon<br />

aus allen Ecken an und ich weiß schon längst nicht<br />

mehr, was ich überhaupt will. Mein Willenszentrum<br />

ist schon längst zerflossen in dem Säurebad der<br />

Weltkritik, die über mich gekippt wurde. Überall<br />

bohren sie Löcher in meinen Kopf, um mir ihre<br />

54


Säure eintrichtern zu können, die mir mein Willenszentrum<br />

zerfressen soll. Auch der Judas ist ein<br />

Denkpolizist. Gerade eben hat er es zugegeben in<br />

einer öffentlichen Unverschämtheit, die ihresgleichen<br />

sucht. Tauben gurren auf meinem Dach und<br />

der Hund knurrt aus dem Kamin. Den ganzen Tag<br />

wird die Öffentlichkeit belogen: Man verspricht ihnen,<br />

dass sie in Dubai fortgebildet werden, damit<br />

sie willig ihren stupiden <strong>Die</strong>nst versehen. <strong>Die</strong><br />

Wahrheit ist, dass niemand in Dubai fortgebildet<br />

wird. Wohl dem, der das erkennt! Kartenteufel <strong>sind</strong><br />

sie und Magengeschwüre haben sie und keine<br />

Freunde, weil sie spinnen. Wir gewinnen die Wahl,<br />

sagen sie immer, und verlieren sie doch. Kostensenkung<br />

ist auch ein Wort, das hier nicht fehlen darf.<br />

Und er sitzt garantiert im Garten und liest. Und was<br />

ich noch sagen wollte: Der Torsten spinnt; er kauft<br />

sich gebrauchte Drucker, um sie zerstören zu können.<br />

Das ist so ein Zerstörungswahn. Immer schlägt<br />

er mit dem Hammer auf diese gebrauchten Drucker<br />

ein, die er doch für teures Geld erstanden hat. Geld<br />

verschwenden will er schon. Dafür wechselt er seine<br />

Unterhosen täglich.<br />

27. Ein unsinniger Drang zum Scheißen belästigt<br />

mich. Gerade eben fand eine große Fusion statt zwischen<br />

zwei Textteilen. Sie <strong>sind</strong> zusammengeprallt<br />

wie zwei Erdplatten. In meinem Kopf folgerichtig<br />

55


ein großes Erdbeben, das meine gesamte Gedankenwelt<br />

erschüttert. Menschen, die nicht mediteran<br />

<strong>sind</strong>, gehören abgeschafft. Nichts schlimmer <strong>als</strong><br />

diese weißhäutigen, zu Krebserkrankung neigenden<br />

Mitteleuropäer. Ein absolutes Novum stellt der Popbub<br />

dar. Der Popbub wird in Salz eingelegt, damit<br />

er haltbarer wird. Schließlich muss er für die<br />

Menschheit stets zur Verfügung stehen. Denn wenn<br />

wir schon unser Leben nicht im Griff haben, dann<br />

doch wenigstens der Popbub. Wer körperlich leidet,<br />

kann nicht geisteskrank sein. Deswegen saß ich<br />

auch schon wie das Leiden Christi im Auto, wie<br />

mein Fahrlehrer meinte. Total schief und verdreht<br />

vor und um das Steuer gewickelt, und da meinte er:<br />

Du hockst ja da wie das Leiden Christi, so kann das<br />

<strong>nichts</strong> werden. Dabei hatte ich nur körperliche Probleme,<br />

die ich immer noch habe. Meine Fingernägel<br />

<strong>sind</strong> ruiniert. Ich kann an den vielen Rillen erkennen,<br />

dass ich herzkrank bin. Alle, die Fingernagelrillen<br />

haben, <strong>sind</strong> herzkrank, je mehr desto schlimmer.<br />

Auch der Doktor ist dieser Meinung. Ich sitze<br />

hier und langweile mich. Das Mittagstief liegt über<br />

mir und erzeugt eine kaltkranke Atmosphäre, über<br />

die auch meine Neologismen nicht hinwegtäuschen<br />

können. Es wird Zeit, dass ich auf meine dumme<br />

Reimerei zu sprechen komme, die sich zuweilen in<br />

diesem Opus bemerkbar macht. Es ist der Zwang<br />

zum Reimen, wie ihn Schizophrene gerne haben.<br />

56


Daran laben sie sich gerne. Von ferne mag dich das<br />

nicht interessieren, weil du mich nicht verstehst, so<br />

wie ich mich nicht verstehe. Alles nur eine große<br />

Verständnislosigkeit und zwanghafte Finger, die in<br />

ihrem Spasmus den größten Unsinn produzieren.<br />

<strong>Die</strong> Frau ist die Zierde des Mannes. Der Autor ist<br />

die Zierde der Kloschüssel. Und ich bin der Hirte<br />

der Ziegenherde und vermittele Werte an alle Leute<br />

und ich häute die Ziegen, die hinter dem Herd stehen<br />

und tun, was nicht erlaubt ist. Ich bin nicht bei<br />

mir selbst, ich weiß nicht, wo ich bin. Darüber habe<br />

ich ja schon geschrieben. Was ich habe, ist ein<br />

Schreibzwang. Eine Bewerbungsstrategie habe ich<br />

nicht. Ich bin krank, was sonst? Im Wesentlichen<br />

wird unser Denken von der Hitze bestimmt: Ohne<br />

Hitze ist kein Denken möglich. Da es gerade eben<br />

nicht heiß ist – wie kann es auch im Winter heiß<br />

sein? –, kann ich auch nicht denken, wie jeder sofort<br />

schon bemerkt hat. Ich bin <strong>nichts</strong> <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> ein<br />

Afterdenker der ganz üblen Sorte. Geteert und gefedert<br />

gehöre ich. Aber wer glaubt mir schon. Mein<br />

Gesicht ist von meinem Ernst schon halb zerfressen,<br />

meine Mundwinkel zeigen nach unten, sowie mein<br />

Schwanz nach unten zeigt. Auch mein Denken zeigt<br />

nach unten: Es ist genauso wenig erregt wie mein<br />

Schwanz. Ich bin mit mir allein gelassen. <strong>Die</strong> Frauen<br />

machen einen weiten Bogen um mich herum, ich<br />

weiß nicht zu flirten, ich werde in der weiblichen<br />

57


Welt nur <strong>als</strong> Monstrum wahrgenommen. Fünf Finger<br />

an einer Hand habe ich nicht sondern nur drei.<br />

Mehr Finger kann ich jedenfalls nicht wahrnehmen.<br />

Manchmal nehme ich auch meine ganze Hand nicht<br />

wahr. Dann rede ich von der linken Armhand beziehungsweise<br />

von der rechten Armhand. Wenn ich<br />

meine Gliedmaßen nicht wahrnehmen kann, dann<br />

rede ich von der Körpermasse, die mich umgibt. Oft<br />

nehme ich aber auch meinen gesamten Körper nicht<br />

wahr. Dann rede ich von der Weltmaterie, mit der<br />

ich persönlich <strong>nichts</strong> zu schaffen habe. Das absolute<br />

Ich bin ich. <strong>Die</strong> <strong>anderen</strong> Ichs <strong>sind</strong> alle an einen Körper<br />

gebunden. Ich bin nicht an einem Körper gebunden<br />

wie die <strong>anderen</strong>. Ich bin losgelöst von<br />

Raum und Zeit, habe mit beidem <strong>nichts</strong> zu schaffen.<br />

<strong>Die</strong> Dimensionen <strong>sind</strong> etwas für Kleingeister, mit<br />

denen ich <strong>nichts</strong> zu schaffen habe. Ich erschaffe mir<br />

meine eigenen Dimensionen nach meinem Gusto,<br />

der nicht der Gusto der Welt ist. Einen <strong>anderen</strong> Geschmack<br />

habe ich <strong>als</strong> die Welt. Ich habe keinen<br />

Weltgeschmack, ich habe meinen persönlichen Geschmack.<br />

Sollen die doch ihre abgeschmackte Suppe<br />

auslöffeln. Sollen die doch ihre Schleimbeutelsuppe<br />

auslöffeln. Sollen sie doch die Suppe auslöffeln,<br />

die sie sich eingebrockt haben. Habe ich doch<br />

genug mit meinem Computer zu kämpfen der periodisch<br />

herumpustet. Der Computer steht mir<br />

schließlich näher <strong>als</strong> die Körpermasse, die mich<br />

58


umgibt. Von Bescheidenheit halte ich <strong>nichts</strong>. Deswegen<br />

verrate ich hier nach achtzehn Seiten, dass<br />

ich Gott bin. Aber ich möchte den Leser dazu anhalten,<br />

es niemandem <strong>weiter</strong>zusagen. Das fände ich<br />

nämlich gemein, geradezu widerwärtig, mich auf so<br />

schmähliche Weise zu verraten, womöglich an einem<br />

Psychiater, der, da er nicht für Gott emfänglich<br />

ist, mich gar nicht erkennen kann. Ich rauche übrigens<br />

nicht, wie es so viele andere Leute tun. Ich bin<br />

vorbildlich. Der Staat freut sich meiner. Gestern<br />

war eine Winterwespe in meinem Zimmer, die in<br />

Wirklichkeit eine Sommerwespe war. Sie hat mein<br />

Zimmer wieder verlassen.<br />

28. Ich habe eine Skoliose. Mal sehen, was die<br />

Bandscheiben in zehn Jahren tun werden. Sie werden<br />

mich wahrscheinlich verraten und verleumden.<br />

<strong>Die</strong>se Bandscheiben werden sich <strong>als</strong> Dissidenten erweisen,<br />

<strong>als</strong> hundsgemeine Überläufer. Mein Geist<br />

gewährt ihnen kostenlose Wohnstatt, aber trotzdem<br />

ist zu befürchten, dass sie überlaufen werden zur<br />

Materie. Gerne hätte ich meine Bandscheiben vergeistigt.<br />

Meine Schuppen habe ich bereits vergeistigen<br />

können. Auch meine Zehnägel <strong>sind</strong> Geist. Mein<br />

Bart ist Geist. Meine Fußhornhaut ist Geist. Der<br />

Rest ist immer noch Materie. Aber ich werde nicht<br />

aufhören zu meditieren. <strong>Die</strong> ganze materielle Welt<br />

werde ich durch meine Meditation in Geist umwan-<br />

59


deln. <strong>Die</strong>ses Werk, das ich schreibe, ist ja das Weltbuch,<br />

in dem alles geschrieben steht, was geschehen<br />

ist und gerade geschieht und in Zukunft geschehen<br />

wird. Es ist das Weltbuch und das Weltwerk. Es ist<br />

mein Gehirn, das ich hier schriftlich fixiere. Nur der<br />

Narr wird sagen, so einer wie ich sei übergeschnappt.<br />

Wer weise ist, wird mir glauben und sich<br />

anschicken, mein Gehirn zu studieren. Dann wird<br />

auch er, der er ja der dumme Leser ist, noch etwas<br />

dazu lernen können. Ich bin Morgen und ganz gewiss<br />

an jedem neuen Tag. Ich bin Mohammed und<br />

du bist mein Prophet. Allah hasst alle, die Alkohol<br />

trinken. Schreib es auf und sag es der Welt. So saß<br />

er hinter dem Ofen, es war die Ziege, die tat, was<br />

nicht erlaubt war. Mein Kopf ist leicht und leer und<br />

schwebt zur Decke und ich erschrecke und denke<br />

unter der Decke und hoffe, dass ich niemanden aufwecke.<br />

Und ich denke und danke dem lieben Gott<br />

für meine blasphemischen Gedanken. Ein Schädlichredner<br />

bin ich, der die Schädeldecken durchbricht,<br />

um so sein Gedankengut in fremde Köpfe zu<br />

verfrachten. Sag du mir, wer du bist, und ich sage<br />

dir, wo du pisst. Sag ich mir, wo ich nässe, sagst du<br />

mir, was ist die Presse? Gestern kam mir in den<br />

Sinn, was mir heute in den Sinn kam, was mir jeden<br />

Tag in den Sinn kam, nämlich dass mein Leben<br />

bald vorüber sein wird und völlig sinnlos war. Dement<br />

bin ich heute schon in meinen jungen Jahren.<br />

60


Zu sagen habe ich <strong>nichts</strong> Neues, und das schon seit<br />

Jahren. Mein Leben ist alt und verbraucht. Da gibt<br />

es <strong>nichts</strong> mehr Neues sondern nur Altes, was mich<br />

und meine Umwelt langweilt. Nicht langweilig ist<br />

mein Hunger, weil er etwas ist, das eine solche Eigenschaft<br />

gar nicht haben kann. Der langweilige<br />

Hunger ist absurd, sowie die hungrige Langeweile<br />

absurd ist. <strong>Die</strong> Frist ist abgelaufen, so wie die Buttermilch<br />

abgelaufen ist. <strong>Die</strong> Frist ist nunmehr ungenießbar,<br />

so wie die Buttermilch nicht mehr genießbar<br />

ist. Meine Finger proben den Aufstand. Ich aber<br />

zerschlage diese Probe mit meinem eisernen Willen.<br />

Mein Wille ist rostfrei. Mein Wille ist Stahl.<br />

Hart wie Kruppeisen, schnell wie Bluthunde, zäh<br />

wie Leder. Ich versteh mich nicht mehr. Bin ich<br />

überhaupt zu verstehen? Ist Verstehen am Ende etwas<br />

sehr Gefährliches? Im Verstehen lauert die Gefahr<br />

und der Tod. Sinn des Lebens ist es, <strong>nichts</strong> zu<br />

verstehen. Deswegen schreibe ich. Mein Ziel ist es,<br />

den Leser an einen Punkt zu bringen, an dem er<br />

<strong>nichts</strong> mehr versteht. Ich bin <strong>weiter</strong> <strong>als</strong> der Leser;<br />

das wird er sicherlich schon bemerkt haben. <strong>Die</strong><br />

wenigen todesmutigen Leser, die es bis hierher geschafft<br />

haben, verstehen zu viel. <strong>Die</strong> ganze Weltbevölkerung<br />

hat so einen Zwang zum Verstehen, wo<br />

es doch <strong>nichts</strong> zu verstehen gibt. Ich will ihr ein<br />

Lehrer der Verständnislosigkeit sein. Ich will sie<br />

lehren, dass es <strong>nichts</strong> zu verstehen gibt. Das bezwe-<br />

61


cke ich mit meinem Text, das ist der Grund, warum<br />

ich schreibe. Hat der Leser erst einmal tausend Seiten<br />

gelesen, wird er gar <strong>nichts</strong> mehr verstehen, denn<br />

der Text starrt vor Unsinn. Im Hintergrund gibt sich<br />

Unterzuckerungskopfweh ein Stelldichein mit Sehnenschmerzen.<br />

Wo <strong>sind</strong> die Kerzen, die für den Toten<br />

brennen? Eine Kerze ist verloschen und sie verlischt<br />

immer wieder. <strong>Die</strong>ser Tote möchte keine zwei<br />

Kerzen neben seinem Haupt brennen lassen, er begnügt<br />

sich mit einer. Des Toten Gesicht sieht aus<br />

wie das Gesicht eines Toten. Ein Gehirn, das auf<br />

dem Asphalt liegt, denkt anders, <strong>als</strong> ein Gehirn, das<br />

im Schädel liegt. Polymere, Gedankenstrukturen.<br />

Kerzengerade saß er in seinem Stuhl und lauscht<br />

dem Professor, der <strong>nichts</strong> zu sagen hat. Zur Krönung<br />

des Tages werde ich den Titel dieses Werkes<br />

löschen. <strong>Die</strong>ses Werk wird keinen Titel haben, es<br />

wird namenslos bleiben. Zur Strafe werde ich auch<br />

keine tausend Seiten schreiben. Ich werde viel<br />

schreiben, aber keine tausend Seiten. Der Leser soll<br />

nicht wissen, wann es… Völlig orientierungslos soll<br />

er sein, der Leser. Eine Orientierung gönne ich ihm<br />

nicht – wozu auch? Kann ich mich nicht orientieren,<br />

braucht er sich auch nicht orientieren zu können.<br />

Ich gönne dem Leser <strong>nichts</strong>, der, wenn er<br />

weiblich ist, <strong>nichts</strong> anderes ist <strong>als</strong> eine Hure, der<br />

man in die Fotze gebrunst hat. Mein Durst ist groß.<br />

Mein Blutdurst lässt sich nicht stillen. Das frische<br />

62


Blut einer Frau möchte ich trinken. <strong>Die</strong> ganze Frau<br />

möchte ich austrinken in einem Zug. Gott sei Dank<br />

haben Frauen weniger Blut <strong>als</strong> Männer, sonst würde<br />

man ob des vielen Bluts noch einen Kalorienschock<br />

bekommen. Man müsste wissen, wie viel Kalorien<br />

ein Liter Frauenblut hat. Dann könnte man nachrechnen,<br />

ob eine ausgetrunkene Frau den Tagesbedarf<br />

überschreitet oder nicht. Ich bin ein Ungeheuer.<br />

Ich bin der Sohn des Teufels. Auch der Teufel<br />

hat Söhne, nicht nur Gott. Warum sollte es auch das<br />

alleinige Privileg Gottes sein, Söhne zu haben? Völlig<br />

absurd. Brutus war der Mörder Caesars, ich bin<br />

der Mörder der Weltseele. Ich habe sie geschlachtet<br />

und ausgeweidet, wie kein Z<strong>weiter</strong> die Weltseele<br />

geschlachtet und ausgeweidet hat. Ich bin, der da<br />

nicht kommen sollte, nicht kommen darf und nicht<br />

kommen kann. Ich bin der Alptraum einer jeden<br />

Schwiegermutter, ich bin derjenige der nicht existiert,<br />

aber trotzdem da ist. Ich habe Kopfschmerzen.<br />

29. Der Computer tyrannisiert mich. Manchmal frage<br />

ich mich, ob ich Aziz Bulut bin. Ich könnte es<br />

sein. Rein theoretisch. Oder vielleicht bin ich Bulos<br />

Charb. Auch das ist möglich. Alles ist möglich. Es<br />

ist auch möglich, dass ich mich irre. Ich möchte<br />

diese Möglichkeit ganz bewusst nicht ausschließen.<br />

Man muss ja heute schließlich mit allem rechnen.<br />

Der Kaffee im Verbund mit dem Gebäck schmeckt<br />

63


nach Hähnchen. Aziz Bulut begleitet mich schon<br />

mein ganzes Leben lang, und er wird mich wohl nie<br />

verlassen. Er ist mein Alter Ego, so wie du eigentlich<br />

auch nur mein zweites Ich bist, auch wenn du<br />

es noch nicht weißt und diese Tatsache vehement<br />

abstreitest. Du denkst, du seist eine Persönlichkeit,<br />

die sich von meiner Persönlichkeit abgrenzen lässt,<br />

aber da täuscht du dich. Ich bin du und dich gibt es<br />

nicht. Es gibt nur mich. Ich bin es gewesen, der sich<br />

einige tausend Dus um sich herum aufgestellt hat<br />

zur eigenen Belustigung. Auch du bist nur ein Du,<br />

das ich mir zur eigenen Belustigung aufgestellt habe.<br />

Du bist ein von mir aufgestelltes Du. Du aufgestelltest<br />

Du, du! Heiter bis wolkig geht es in der<br />

atomaren Welt zu. Ich warte auf die amerikanischen<br />

Raketen, die bis heute nicht in Nürnberg eingeschlagen<br />

<strong>sind</strong>. Wo <strong>sind</strong> sie? Alles nur leere Versprechungen?<br />

Wo bleibt der atomare Gegenschlag?<br />

In Wahrheit gibt es gar keine atomaren Sprengköpfe.<br />

Alles nur Lüge! Amigo, mein Kreuz tut weh. Ich<br />

werde mich wohl umbringen, weil ich mich so<br />

schlecht fühle. Ich werde die Weltherrschaft antreten<br />

und in die Jauchegrube fallen. <strong>Die</strong> Gruppendynamik<br />

hat noch jedes echte Genie zerstört. Ich währe<br />

ewig. Gott ist ein Geschöpf, das ich erschaffen<br />

habe. Ich werde zu Staub zerfallen. Ich bin Dreck<br />

und Abfall und werde die Welt beherrschen. Ich<br />

hasse die Welt und die Welt liebt mich. Ich bin Gott<br />

64


und du bist tot. Ich bin der Tod und du bleibst an<br />

mir kleben. Du wirst mir nicht mehr entrinnen, es<br />

ist zu spät. Du kommst nicht mehr heraus aus diesem<br />

Irrgarten, ich habe dich gefangen. Versuche zu<br />

fliehen, aber du wirst es nicht schaffen. Staub umhüllt<br />

deine Existenz. Zu Staub zerfällst du. An sich<br />

habe nur ich recht. Mich quälen meine Minderwertigkeitskomplexe,<br />

ich komme mir so machtlos vor,<br />

weil ich dein Gott bin. Amen.<br />

30. Wir wollen Gemeinschaft haben mit den<br />

Schweinen und uns mit ihnen atomar vereinigen.<br />

Keine Schweinigeleien bitteschön und auch keine<br />

Schweinehunde, nein: Menschenschweine wollen<br />

wir erschaffen im Schlaraffenland und alle Halbaffen<br />

und Laffen auspeitschen. Wir <strong>sind</strong> Gott und du<br />

bist Jesus. Ich bin vier und du bist drei. Wir alle<br />

<strong>sind</strong> zwei und morgen ist eins. Miriams Zehnagel<br />

ist krank; sie hat Zehnagelkrebs. Der Fehlerteufel<br />

frisst sich voll. Ich habe drei Fehler in meinem<br />

Werk entdeckt. Damit kann ich nicht leben. Es<br />

macht mich krank. Ich frage Frank. Und der trank<br />

sich krank. Er wird Kinder hinterlassen und eine<br />

Frau, die ihm die Kinder gezeugt hatte. <strong>Die</strong> Zigarette<br />

war sein Laster, die ihm sein Leben gekostet hatte.<br />

So geht es im Leben. Laster <strong>sind</strong> nicht gestattet,<br />

sie führen immer zum Tode. Ich bin das Kreuz der<br />

Welt! Tragt es. Schummeln gilt nicht. Niemand<br />

65


wird sich an mir, dem Weltenrichter, vorbeimogeln.<br />

Das geht nicht. Denn ich bin das Kreuz der Welt,<br />

das jeden Übeltäter riecht, sei er mir auch noch so<br />

ferne. Ich bin die Wahrheit und ich bin das Blut. Ich<br />

bin der Vogel und ich bin der Hut. Ich bin die Birne,<br />

die dich abreißen wird. In Schutt und Asche zerschlage<br />

ich dich und hinterlasse einen Trümmerhaufen,<br />

den du schon oft in deinen Träumen gesehen<br />

hast. Ich lasse dir keine Ruhe, bis du tot bist. Getrieben<br />

sollst du sein durch das Leben und Wadenkrämpfe<br />

sollst du haben. Deine Füße sollst du nicht<br />

still kriegen, immerfort sollst du sie bewegen, auch<br />

in der Nacht, wenn du schlafen willst. Vergiss es<br />

nicht: Ich bin die Birne. Ich frage dich hier ganz offen:<br />

Wie steht es mit deiner Bekehrung? Hast du<br />

dich bekehrt? Zu mir, dem richtigen Gott? Oder<br />

glaubst du immer noch an den Aftergott, der von<br />

mir produziert wurde, mir dann aber abtrünnig wurde.<br />

Verflucht sei dieser Aftergott! Glaub an mich,<br />

denn ich kann dir nicht helfen. Ich werde dich vernichten<br />

mit all meiner Kraft. Ein Angebot, das du<br />

dir nicht entgehen lassen solltest. Schmeiß sie nicht<br />

weg, die Perle des Glaubens! Denn ich werde sie dir<br />

aus jedem Misthaufen ausgraben und sie dich essen<br />

lassen. Ich hasse dich und werde nicht aufhören<br />

dich zu hassen. Ich habe dich je und je gehasst. Du<br />

bist mein gehasster Sohn. Ich werde dich schlachten<br />

lassen, weil du zu mir zurückgekommen bist. Riech<br />

66


an meine Füße! Ein Wohlgeruch vor dem HErrn.<br />

Ich bin nicht zimperlich, wenn es um die Wahrheit<br />

geht. Wer sie verdreht, den verdrehe ich. Ich bin gut<br />

und du bist schlecht. Du bist alles, ich bin <strong>nichts</strong>.<br />

Ich bin die Lüge und du bist die Rübe. Ich halt die<br />

Klappe und du hälst die Pappe. Roggenfelder wandern<br />

stramm den Fluss entlang. <strong>Die</strong> Nüchternen erschlagen<br />

sie mit ihren Ähren, die Trunkenen beglücken<br />

sie mit Lysergsäure, wenn’s denn möglich<br />

ist. Solange dauert es gar nicht, bis ich tot bin. Blättere<br />

ich ein paar Seiten um, dann ist das Buch bereits<br />

ausgelesen. Und wie ein Buch werde ich fortgelegt<br />

werden von Gott. Dann mag der Teufel darin<br />

schmökern. Weihnachten steht vor der Tür, vieles<br />

andere steht vor der Tür: Schuhe, Abfall, Dreck.<br />

Meine Beine tun weh. Meine rechte Augenhaut<br />

ebenfalls. Auch meine Handgelenke <strong>sind</strong> überstrapaziert<br />

und die Wirbelsäule spüre ich überdeutlich.<br />

<strong>Die</strong> ganze Körpermasse um mich herum ist ein einziger<br />

Krampf.<br />

31. Der heutige Kaffee hat mir überhaupt nicht geschmeckt.<br />

Nichts schmeckt mir schon seit Jahren.<br />

<strong>Die</strong> ganze Welt ist geschmacklos, ich selbst bin geschmacklos.<br />

Wann werde ich endlich von der Natur<br />

entsorgt? Ich schaue mich an und sehe <strong>nichts</strong>. Gift<br />

gibt es für mich nicht. Tote leben länger. Fortan behandele<br />

ich jeden einzelnen Leser wie zwei Leser.<br />

67


Das verdoppelt meine Leserschaft auf einen Schlag.<br />

Vor über zwanzig Jahren habe ich einen Blick auf<br />

meinen Fahrradtacho geworfen. Es ging bergab. <strong>Die</strong><br />

Zahl war groß, die Bremsen schwach. Ich lag im<br />

Gras wie ein Osterei. Mein Großvater fand mich<br />

trotzdem. Irgendwann werden alle Batterien leer<br />

sein. Wenn das geschehen wird, dauert’s nicht mehr<br />

lange, dass der HErr wieder kommt. Wer Ohren hat,<br />

der höre, und wer Augen hat, der... Gestern hatten<br />

viele Menschen Geburtstag. Ich nicht. Ich habe nie<br />

Geburtstag. Nur diejenigen, die ins Licht der Welt<br />

getreten <strong>sind</strong>, können Geburtstag haben. Ich bin<br />

niem<strong>als</strong> ins Licht der Welt getreten. Ich hatte mir<br />

nämlich einen Fehltritt erlaubt. Und das war prompt<br />

mein letzter Tritt, weil dieser Fehltritt war ein Tritt<br />

ins Leere, ins absolut Dunkele, in den Abyssos sozusagen.<br />

Ich bin wahnsinnig. Man hat mich im<br />

Krankenhaus liegen lassen im Abfalleimer. Denn<br />

ich lebe nicht in Dentlein am Forst. Ich lebe im und<br />

aus dem Abfalleimer. Ich bin ein Kübel. Ich bin der<br />

Kübel, in den man mich geschmissen hat samt den<br />

Gebissen der ganzen Toten, die der Gebisse nicht<br />

mehr bedürfen. Alte Leute haben keine Wissensgebiete.<br />

Sie haben nur Wissen um ihre Gebisse. Für<br />

mich ist <strong>nichts</strong> mehr neu. <strong>Die</strong> ganze Welt ist für<br />

mich alt. Alles habe ich schon einmal gesehen.<br />

Nichts habe ich noch nie gesehen. Selbst Gott habe<br />

ich schon mal gesehen. Auf jedem Planeten dieses<br />

68


Universums war ich schon. Von einer geradezu aggressiven<br />

Lernsucht bin ich befallen. Zerfressen<br />

werde ich von dieser Lernsucht wie ein Hühnerknochen<br />

in einem Säurebad. Heute wurde Gericht über<br />

mich gehalten und das Urteil gefällt: Schuldig bin<br />

ich, sagt man. Zum Tode müsse man mich verurteilen,<br />

sagt man. Was soll ich dazu sagen? Der Rechner<br />

pustet periodisch. Er ist krank, er hat eine Prozessorbeutelentzündung;<br />

auch seine Lungenwege<br />

<strong>sind</strong> infiziert. In der größten Hitzen fallen aus Frauenkleidern<br />

Brüste heraus, wenn Frauen sich bücken.<br />

Ihre Brüste baumeln an Stricken dem Betrachter<br />

entgegen. Im Winter herrscht eine züchtige Kälte.<br />

Nichts gibt es zu sehen, <strong>nichts</strong> gibt es zu spüren.<br />

Nichts rührt sich unten beim Mann. Nur im Sommer<br />

vermag es den Mann beindrucken, wenn Frauen<br />

sich räkeln. Im Zug räkeln sich ja die Frauen im<br />

Sommer beständig, wobei ihnen gelegentlich Brüste<br />

aus ihren Kleidern herausfallen. Mein Computer<br />

verfügt nur über eine kleine Leertaste. Ich habe<br />

einen Harndrang. Ich bin stocknüchtern. Ich langweile<br />

mich. Ich trage eine lange Hose, ich war<br />

schon einmal in Garmisch–Partenkirchen. Ich war<br />

auch schon mal in einem Kloster. Und ich war<br />

schon mal im Himmel. Nun bin ich auf der Erde<br />

umkleidet mit einer Körpermasse, die ich gar nicht<br />

haben will. Ich werde mich wohl entleiben müssen.<br />

<strong>Die</strong>ser Stift schreibt nicht mehr, steht auf seinem<br />

69


Grabstein geschrieben. Ich habe einen Harndrang<br />

und eine Brille. Ich bin kürzestsichtig. <strong>Die</strong>ser Computer<br />

hat keine Leertaste, er hat auch keine Brüste.<br />

Er ist aus Plastik, ich bin aus Metall. Mein Wille ist<br />

Stahl, gemacht für die Ewigkeit. Der Himmel wird<br />

es wissen, warum ich hier in dem Menschenpark<br />

umhergehe wie ein aufgezogener Affe. In meinem<br />

Rucksack befinden sich mehrere Saftflaschen. Ich<br />

habe einen Harndrang. Und ein Taschentuch hat der<br />

Judas am Sonntag oder Montag auch schon aufgehoben.<br />

War’s am Sonntag, dann war es eine schwere<br />

Sünde, denn es wäre Arbeit gewesen am Tag des<br />

HErrn, was nicht erlaubt ist, wie es in der Bibel<br />

steht. Ich hingegen habe am Sonntag nur getrunken.<br />

Dafür gibt es zuverlässige Zeugen. Ich habe einen<br />

Harndrang und einen Zwang zum Zeigen. Eichenblätter<br />

werde ich diesen Herbst sammeln, das ist gewiss.<br />

Und ich werde sie mir in einem Fotoalbum<br />

aufheben. Und den Eichhörnchen werde ich die Eicheln<br />

klauen. <strong>Die</strong> Frage ist, ob es auch Ahörnchen<br />

oder Lindenhörnchen gibt. Vielleicht gibt es auch<br />

große, weiße Birkenhörner. Gerade im ausgehenden<br />

Winter habe ich öfters Birkenhörner gesehen, die<br />

Birkenblüten gesammelt haben <strong>als</strong> Vorrat für ihren<br />

bevorstehenden Sommerschlaf. Ich trinke mich mit<br />

Flaschenbier in den Hopfenhimmel. Vielleicht gibt<br />

es auch Kopfgeburten. Schließlich gibt es ja auch<br />

Totgeburten und Sturzgeburten und dann natürlich<br />

70


auch noch die Geburteneinzugszentrale, in der die<br />

meisten Mitarbeiter an einem Schlagfluss sterben.<br />

Ich habe einen Harndrang.<br />

32. Ich habe keinen Harndrang mehr. Von links<br />

stinkt mir mein Hemd entgegen, von unten meine<br />

heiligen Füße. Meine Waden <strong>sind</strong> vom vielen Laufen<br />

überreizt. <strong>Die</strong> Denkpolizei hat im Internet eine<br />

Filiale eröffnet. Ich bin bibelfest, so wie andere<br />

wetterfest <strong>sind</strong>. Der Mittelpunkt der Erde ist eine Illusion.<br />

Atome <strong>sind</strong> auch eine Illusion. Ich bin eine<br />

Illusion und du bist mein Sohn. Bordsteinkanten<br />

können sich <strong>als</strong> tückisch erweisen, wenn sie übersehen<br />

werden. So mancher Radfahrer hat schon sein<br />

Gehirn in einer unfreiwilligen Sturzgeburt auf den<br />

Asphalt ergossen, weil er die Bordsteinkante übersehen<br />

hat. Dann ist er gefallen und der Lastwagen<br />

hat seinen Kopf geknackt, so wie kleine Kinder mit<br />

dem Nussknacker Nüsse knacken. Das glitschige<br />

Gehirn flog wie eine Haselnuss durch die Luft und<br />

klatschte gegen das Schaufenster. <strong>Die</strong> Kinder kamen<br />

und nahmen das Gehirn und überlegten, ob<br />

dieses Gehirn noch denken kann. Von manch altem<br />

Greis ist der Brustkorb eröffnet worden und das<br />

Herz wie eine Totgeburt entnommen worden. Man<br />

ließ die Leere zwischen den Lungenflügeln, weil<br />

der Greis einer Blutzirkulation gar nicht mehr bedarf.<br />

Versorgt werden die Organe durch den Alko-<br />

71


hol, der sich durch den zerfressenen Magen seinen<br />

Weg überallhin bahnt. Der Alkohol versorgt uns. Er<br />

erhält uns am Leben, auch wenn das die Mediziner<br />

nicht wahrhaben wollen, die alles entmystifizieren<br />

müssen und auch schon haben, selbst Gott und die<br />

Seele. Der gemeine Mediziner hat einen Entmystifizierungswahn.<br />

Ich sah schon neunzigjährige Männer,<br />

die lebten von <strong>nichts</strong> anderem <strong>als</strong> vom<br />

Schnapstrinken. Jegliche Vitalfunktionen waren<br />

schon erloschen, allein der Alkohol hielt sie noch in<br />

Gang. Bei den Autos schreit ja auch kein Mediziner<br />

auf, obwohl sie mit Benzin betrieben werden. Aber<br />

ich glaube, es wäre den Medizinern lieber, man<br />

würde sie mit Grünkernauflauf und Milchshakes betreiben.<br />

Aber da würde das Auto dem Mediziner<br />

schon etwas rülpsen. Am vergeistigsten ist ja der<br />

Computer: Er begnügt sich mit dem unsichtbaren<br />

Strom. Mehr braucht er nicht, um zu leben. Ephebe<br />

Weibsbilder werden durch männliche Samenflüssigkeit<br />

betrieben. Ein Sofa besteht aus vielen Lümmeln,<br />

für gewöhnlich aus drei Lümmeln, manchmal<br />

aber auch nur aus zwei. Der kundige Leser wird<br />

möglicherweise schon festgestellt haben, dass in<br />

diesem Opus Magnum auf Handlung verzichtet<br />

wird. Wozu auch Handlung? Sie lenkt eh nur vom<br />

Wesentlichen, <strong>als</strong>o von mir, ab. Bin ich es doch, der<br />

die Welt erhält und erhellt und sonst niemand.<br />

Wozu braucht man da noch Handlung? Geschichten<br />

72


mit Handlung waren mir schon immer suspekt, für<br />

mich ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Autor<br />

inkompetent ist und den Leser ohne Handlung gar<br />

nicht zu unterhalten weiß. Anders bei mir: Handlung<br />

wird es in diesem Weltwerk nicht geben. Das<br />

kann ich dem Leser garantieren. Weitere Aufzeichnungen<br />

aus meiner Privathölle: Handlung wird<br />

großzügig ausgespart, interessiert sowieso niemanden.<br />

Wir haben viel zu viel Handlung gehabt in den<br />

letzten Jahrhunderten. Daraus resultiert auch alles<br />

Schlimme: Kriege, Deutschland, Mord. Handlung<br />

muss abgeschafft werden, bevor uns die Handlung<br />

abschafft. Laut aufschreien müssen wir, falls wir in<br />

irgendeinem Buch Handlung erkennen. Nur Scharlatane<br />

umkleiden ihre Gedanken mit Handlung.<br />

Wer <strong>nichts</strong> zu verbergen hat, der kommt ohne<br />

Handlung aus. Ich habe <strong>nichts</strong> zu verbergen, ich bin<br />

ein grundehrlicher Geist. Ich habe die ägyptische<br />

Wassersucht. <strong>Die</strong> ist unheilbar. Keiner weiß mir zu<br />

helfen. Alle haben mich verlassen. Selbst der Körper<br />

gehört mir nicht, vielmehr gehört er den <strong>anderen</strong>,<br />

die meinen Körper fernsteuern und mit ihm<br />

machen, was sie wollen. Mir gehört gar <strong>nichts</strong>. <strong>Die</strong><br />

Folgen der ägyptischen Wassersucht <strong>sind</strong> tödlich,<br />

<strong>sind</strong> immer tödlich, waren noch nie untödlich. Im<br />

Krankenhaus spielen sie Karten. Der Ober sticht<br />

den Unter und die Schellnsau wird gesucht. Ich<br />

kenn mich da nicht aus. Schließlich liege ich auch<br />

73


im Sterben. Ich höre nur, wie sie spielen, und ich<br />

spüre, wie sie meinen Leichnam <strong>als</strong> Spieltisch missbrauchen.<br />

Ich bin abgestürzt wegen der ägyptischen<br />

Wassersucht. Sie spült das Hirn aus. Jeden Tag<br />

brunst man seine Hirnzellen aus dem Kopf, bis keine<br />

einzige mehr im Kopf übrig bleibt. Ich befinde<br />

mich schon im fortgeschrittenen Stadium: Mein<br />

Hirn schwimmt in der Kanalisation Gößweinsteins,<br />

wird von kleinen Kindern getrunken. Mein Kopf<br />

hingegen füllt sich nun im Endstadium mit Urin an.<br />

Nun beginne ich mit meinem Urin zu denken, was<br />

allerdings nicht so komfortabel ist wie das Denken<br />

mit Hirnzellen.<br />

33. In der Abtei werden auch noch Klosterbrüder<br />

gesucht. Ich habe mich freiwillig gemeldet und werde<br />

nun untersucht. <strong>Die</strong> Brüder müssen die Nase<br />

rümpfen, weil ich Autist bin. Autisten <strong>sind</strong> ja<br />

grundsätzlich Kinder des Teufels, weil sie immer so<br />

unverfroren Wahrheiten aussprechen. Autisten sehen<br />

immer sofort alle Altersflecken und weisen darauf<br />

hin, weswegen sie dann auch abgewiesen werden.<br />

Unterwiesen werden von den Mönchen nur gesunde,<br />

schwule Brüder, die man mästen kann wie<br />

fette Kälber. Ich bin kein Raucher und ich habe<br />

auch keinen Harndrang. Mich steckt man wie Lackritze<br />

in den Mund und man kaut auf mich herum<br />

wie auf einer Zyankalikapsel. Das Sputum der Leu-<br />

74


te fliegt weit, wenn sie mich versehentlich in den<br />

Mund genommen haben. Und ihre Miktion prallt an<br />

den Wänden ab, wenn sie über mich nachdenken.<br />

Ich bin krank, sie <strong>sind</strong> gesund. Ich bin Gott, sie <strong>sind</strong><br />

tot. Der Hahn ist tot. Alle <strong>sind</strong> tot. Auf meiner Haut<br />

entwickeln sich Pickel. Das könnte darauf hinweisen,<br />

dass etwas mit meinem Gehirnhaushalt nicht<br />

stimmt. Meine Befindlichkeit ist nicht die Beste.<br />

Sie ist die Schlechteste aller möglichen Befindlichkeiten.<br />

Ich bin hin. Ich bin ein Tintenfisch, der lebendig<br />

verschlungen wird. Der Rechner ist mit diesen<br />

wenigen Wörtern überfordert. Er pustet periodisch<br />

heiße Luft aus sich heraus. Hornissen verfolgen<br />

mich und haben es auf mich abgesehen. Sie<br />

verachten mich.<br />

Tut derselbe Mörder wieder dieselbe Tat, fragte ich<br />

mich und meine Freude war defekt. <strong>Die</strong> Polen säubern<br />

wieder besonnen ihr Land. Ich schwitze und<br />

mir zittern die Finger. Das ist ein sicheres Zeichen<br />

dafür, dass mein Tod unmittelbar bevorsteht. Mir<br />

fällt heute verhältnismäßig wenig ein, meine Minussymptome<br />

haben sich drastisch verstärkt. Einen<br />

Zahn habe ich mir gerade eben beinahe ausgeschlagen.<br />

Ausgeschlafen bin ich heute auf jeden Fall.<br />

Meine Bedürftigkeit leuchtet mir nicht ein. Mein<br />

Rotz fließt in Strömen den Rachen hinunter. <strong>Die</strong><br />

Rochen schwimmen in einem großen Rudel unter<br />

75


der Meeresoberfläche. Sie <strong>sind</strong> Flugzeugfische.<br />

Meine Einfallslosigkeit widert mich an. Da ist Tür<br />

und Tor geöffnet für die Hunnen und Finnen. Eine<br />

Ferienarbeiterin hat heute in einem Supermarkt<br />

einen Pappkarton lasziv vom Boden aufgehoben<br />

und in den Pappkartonwagen geschmissen, den sie<br />

dann lasziv <strong>weiter</strong>geschoben hat. <strong>Die</strong>se laszive Ferienarbeiterin<br />

trug eine Brille, deren Gestell zum<br />

Teil aus weißem Metall bestand. Bestimmt war es<br />

eine Sozialpädagogikstudentin, die nebenbei Betriebswirtschaft<br />

studierte. Sonst gibt es nicht viel zu<br />

sagen. Rache ist süß. Limonade auch. Limonade ist<br />

ein Getränk des Teufels. Der Teufel will mit der Limonade<br />

die Zähne der Menschen zerstören. Deswegen<br />

hat er sie erschaffen. Und mich hat er auch erschaffen.<br />

Ich bin ein Sohn des Teufels, der dazu bestimmt<br />

wurde, über die Welt zu regieren. Ich bin<br />

ein Subdemiurg und koche meine Suppe mit Maggi.<br />

Ich rülpse auch und habe heute Frühlingszwiebeln<br />

eingekauft. Der Wahnsinn hat mich verlassen, ich<br />

weiß nicht mehr <strong>weiter</strong>. Immer mehr Bücher werden<br />

von mir parallel gelesen, immer mehr Schuppen<br />

tanzen um meinen Kopf und rieseln auf das blaue<br />

Sofa hinunter. Auf meinem Kopf finden sich<br />

Schuppenverkrustungen, der ganze Schädel ist geschützt<br />

von einer Schuppenkruste. Auch heute habe<br />

ich einen Arzt nicht aufgesucht, obwohl gerade ich<br />

einen Arztbesuch bitter nötig hätte, weiß doch mitt-<br />

76


lerweile jeder, wie krank ich bin, dass in meinem<br />

Kopf gar <strong>nichts</strong> mehr stimmt und dort nur noch die<br />

Unruhe regiert. Ich habe einen Pickel auf der Nasenwurzel,<br />

weiß Gott, wie lange ich schon keinen<br />

Pickel mehr hatte auf der Nasenwurzel. Irgendwo<br />

auf dem Gesicht einen Pickel zu haben, ist keine<br />

Kunst, hat man immer und hat jeder. Ich verfüge<br />

darüber hinaus über Nasenwurzelhaare. Eine absolute<br />

Trägheit hat mich befallen. Ich weiß nicht mehr<br />

<strong>weiter</strong>. Ich habe ein Alter erreicht, in dem man sich<br />

keine Gedanken mehr macht über all das, was einen<br />

umgibt. Man ist versunken in sich selber wie ein<br />

Löffel im Pudding. Man denkt vielleicht noch über<br />

seinen eigenen Körpergeruch nach, <strong>weiter</strong> reichen<br />

die Gedanken nicht. Erregt bin ich nicht, ich bin<br />

schlaff wie ein Handtuch. Kinder habe ich keine.<br />

Kontakt zur Außenwelt habe ich auch nicht. Reden<br />

tu ich nicht. Früher sammelte ich Füllerpatronenkugeln<br />

in einem Glas oder erschlagene Wespen in einem<br />

Freudenstock. Und ich hatte auch einen Traum<br />

von einer lautlosen Schule mit vielen Schülern, die<br />

lautlos an mir vorbeigingen, und ich hatte einen<br />

Traum von einem alten Pfarrer, der in einem Golf<br />

fuhr, mich sah und ausstieg, und ich hatte einen<br />

Traum von einer Wohnheimküche, in der ich an der<br />

Spüle stand und gefragt wurde, ob ich auch etwas<br />

essen wolle, was ich verneint habe, weil ich nie etwas<br />

esse. Ich hasse es zu essen, denn Essen macht<br />

77


dick, und ich werde eh schon jeden Tag dicker, bald<br />

habe ich schon Übergewicht, und dabei wollte ich<br />

doch untergewichtig werden. Aber leider habe ich<br />

immer einen Ochsenhunger, allezeit nötigt mich<br />

mein Hunger zu essen. Und so werde ich immer dicker.<br />

Bluthochdruck habe ich wegen meiner Fresserei<br />

auch schon bekommen und irgendwann wird<br />

eine Ader in meinem Gehirn platzen und ich werde<br />

an Schlagfluss sterben, das ganze Gehirn wird vom<br />

Blut überschwemmt werden. Ich liebe es, meine<br />

Fingerknöchel aneinander zu schlagen. Dadurch<br />

kann ich meiner inneren Erregung Ausdruck geben.<br />

34. Ich bin der geborene Milchtrinker. Einmal habe<br />

ich geträumt, ich sei eine Frau. Meistens weiß ich<br />

nicht, was ich träume. Heute bin ich von einer besonderen<br />

Einfallslosigkeit gepeinigt. Ich hasse es zu<br />

lesen. Lesen macht keinen Sinn, weil ich immer<br />

vergesse, was ich gelesen habe. Ich sollte aufhören<br />

zu lesen, weil ich mir nicht merken kann, was ich<br />

lese. Ich sollte still dasitzen und die Zeit verstreichen<br />

lassen. Zwei Ereignisse am Tag genügen mir,<br />

um vollauf beschäftigt zu sein. Ein drittes Ereignis<br />

würde ich schon gar nicht mehr verkraften. Aufstehen<br />

und Zähnputzen genügt. Darüber kann ich dann<br />

den ganzen Tag nachdenken. Aufstehen und Zähneputzen<br />

erschöpfen mich vollkommen. Würde ich<br />

mehr tun, dann würde ich einen Nervenzusammen-<br />

78


uch bekommen. Zehn Worte kann ich am Tag<br />

maximal mit einem <strong>anderen</strong> Menschen wechseln.<br />

Jedes <strong>weiter</strong>e Wort treibt mich in den Wahnsinn.<br />

Hundert Worte kann ich mir von einem fremden<br />

Menschen anhören. Mindestens einmal am Tag<br />

muss ich meine Schere anschauen, die ich vor sechzehn<br />

Jahren gekauft habe. Einmal muss ich an mein<br />

verschwitztes Hemd riechen, um mich meiner selbst<br />

zu vergewissern. Zwei Bullaugen starren mich an.<br />

Eine kleine Papierfrau liegt rechts hinten auf meinem<br />

Schreibtisch. Sie hat es geschafft, sie hat einen<br />

Job bei einer Computerfirma. Ich habe eine Taschenlampe<br />

und den sechsten Sinn.<br />

Ich kenne einen Menschen, der einen Dachboden<br />

hat, obwohl er schon in einer Dachwohnung haust.<br />

Dort werde ich heute hinaufgehen und überwintern.<br />

Und mit meinem Blasrohr werde ich vorbeigehende<br />

Passanten mit Blumen beschießen und ich werde<br />

mit der Schwertlilie mich auf meinem Dachboden<br />

verteidigen, wenn ihn jemand einnehmen will. Zuerst<br />

werde ich die Treppe einfahren, dann werde ich<br />

die unten stehenden mit Blumen bespucken und<br />

diejenigen, die sich an einem Seil hochhangeln wollen,<br />

werden im Bundestag beschimpft. Das <strong>sind</strong><br />

doch eh alles hundsgemeine Kaffeetrinker, so genannte<br />

Kaffeeexperten, Schiffsbruchspezialisten,<br />

die in der Dunkelheit ihr Dasein fristen, so wie ich<br />

79


mein Dasein unter dem Dachfirst friste. Er frisst<br />

während der Frist unter dem First Pfirsiche, bis die<br />

Frist abgelaufen ist. Und du bist kochendes Wasser.<br />

Das mag dir gewagt erscheinen, dieser Vergleich.<br />

Gleich geht’s los, ich scheiß’ mir in die Hos’.<br />

Warum wird mir mein Recht auf Geisteskrankheit<br />

aberkannt? Warum kein Vierkant? Warum verkannt,<br />

ich? Wiesel, Wiesel, Wiesel wieseln auf der<br />

Wiese und wissen <strong>nichts</strong> von der fiesen Liese. Ich<br />

kenn sie, die fiese Liese, wie sie immer kleine Kinder<br />

frisst und doof in die Runde grinst wie ein Kind.<br />

Wir <strong>sind</strong> hinter dem Mond und verkaufen<br />

Kuckucksuhren. Kurz und bündig möchte ich sein,<br />

aber ich werde ständig von allen möglichen Menschen<br />

unterbrochen. Man will nicht, dass ich dieses<br />

Weltwerk schreibe. Niemand will, dass ich dieses<br />

Buch der Verfluchungen zu Ende bringe, denn<br />

wenn das geschieht, dann wird die ganze Welt untergehen,<br />

sie muss sozusagen untergehen. Deswegen<br />

werde ich ständig gehindert, allein aus diesem<br />

Grunde bin ich behindert zur Welt gekommen. Der<br />

liebe Gott höchstpersönlich will mich abfangen, so<br />

wie man Schmetterlinge mit einem Netz abfangen<br />

kann. Meine Augensäcke wiegen mehrere Kilo. Der<br />

Tibor ist ein adliger Mensch. Auf dem Gletscher<br />

beherrschen die Anthroposophen die Lage, das ist<br />

gar keine Frage. Und meine Tage <strong>sind</strong> gezählt, jeder<br />

einzelne ist gezählt, während schwer atmende Men-<br />

80


schen ständig bierkastengroße Drucker in meinen<br />

Raum stellen. Kaum geboren traten mir schon die<br />

ersten Widersacher entgegen, die mein Dasein verhindern<br />

wollten, aber ich habe sie zurückgelassen.<br />

Bunt und grell vergaßen sie zu atmen. Aber keiner<br />

hat ihnen befohlen, bierkastengroße Drucker in<br />

meinem Raum zu stellen. Ihr Atem wurde einfach<br />

abgestellt wegen Überhitzung, ihre ganze Existenz<br />

wurde einfach abgeschaltet, chronologisch abgeschaltet<br />

und in den Abyssos geworfen. Ich trinke<br />

Kaffee und bin der unglücklichste Mensch der<br />

Welt. Ich gehöre abgeschafft. Meine Existenz ist<br />

ein einziges Ärgernis und war es schon immer gewesen.<br />

Meine Gürtel, die ich nicht angezogen habe,<br />

tun mir weh. Und in dem geheimen Klee sitzen Botschaften,<br />

die darauf warten, von mir abgeholt zu<br />

werden. Mir ist schlecht. Ich kotze die Tastatur voll,<br />

die Kotze rinnt in die Ritzen und zerstört den Prozessor.<br />

Ich rülpse, ich trinke Kaffee, ich bin kein<br />

Kaffeeexperte, und außerdem lässt meine Schaffenskraft<br />

nach. Wo soll das hinführen? In die Wüste?<br />

35. Seien wird doch mal ehrlich: Gestern habe ich<br />

gleich zweimal geschissen, weil es mir so viel Spaß<br />

gemacht hat und heute habe ich kein einziges Mal<br />

geschissen. Deswegen gehe ich davon aus, dass ich<br />

morgen mindestens einmal scheißen werde. Bunt<br />

81


und grell <strong>sind</strong> meine Widersacher und räumen meinen<br />

Kleiderschrank aus. Sie fliegen herum wie die<br />

Motten und verpesten mir die Luft. Ich lüfte nicht,<br />

lüfte nie. Sie flattern herum wie die Toten, meine<br />

Widersacher, und grell und bunt <strong>sind</strong> sie. Und ich<br />

bin kaum geboren. Und ohne Ohren kann man nicht<br />

hören. Ich habe mich je und je gehasst und werde<br />

nicht aufhören, mich zu hassen. Und meine Widersacher<br />

tragen dampfenden Kaffee vor sich her und<br />

versuchen meine Gedanken von hinten zu beeinflussen.<br />

Sie verpesten mir ihre Luft mit ihren Zigaretten.<br />

Ich bin Gott, ich erschaff’ die Welt. Er holt<br />

Wasser, mein Widersacher, der mir von Gott aufgeh<strong>als</strong>t<br />

worden ist. Ich habe meinen Kaffee getrunken,<br />

mein Mund ist noch nicht trocken. Aber das wird<br />

ganz gewiss passieren. Kaffeetrockenheit. Morgen<br />

räume ich meinen Kleiderschrank auf und übermorgen<br />

suche ich meine Ostereier. Kleider brauche ich.<br />

Mein Stuhl verfügt über eine Kippfrequenz. Ich bin<br />

der geborene Verlierer, der kein Lebensrecht hat<br />

und nie eines haben wird. Radioaktiv verseucht <strong>sind</strong><br />

alle Städte und die Hochhäuser strahlen Angstschweiß<br />

aus. <strong>Die</strong> Faust ist dort, wo es schön ist. Sie<br />

wühlt in den Innereien herum, solange das Fernfunkgerät<br />

nicht eingeschalten ist. Wie Blitze in der<br />

Nacht der Nächte. Maiglöckchen und Engelstrompeten<br />

erklingen und die Englein singen. <strong>Die</strong> Wertvolle<br />

und der Stern schenken Blumen, weil beide<br />

82


psychotisch <strong>sind</strong>. Ich möchte nie am Psychotisch<br />

hocken, lieber am Biertisch sitzen und Schafkopf<br />

spielen mit den vielen alkoholkranken Fußballfreunden.<br />

Der Widersacher ist wegen seiner Kaffeepsychose<br />

handlungsunfähig; er rennt umher wie ein<br />

gestörter Gockel. Gockelglocken läuten den Sonntag<br />

ein, der übermorgen sein wird. Meine vielen<br />

Krankheiten werden nur milde belächelt, ich habe<br />

mir das Recht auf Krankheit verscherzt. Zähneknirschend<br />

muss ich das hinnehmen. Noch nie habe ich<br />

so gestunken wie heute. Mein Gestank ist entsetzlich<br />

und der größte Schuppenproduzent Deutschlands<br />

bin ich, das muss gesagt sein, auch wenn ich<br />

nicht gerne das Wort Deutschland in den Mund<br />

nehme. Ich bin die Wahrheit und du bist der Weg.<br />

Du bist die Krankheit und ich bin der Tod. Ich bin<br />

das Wasser und du bist der Saft. Ich bin die Kraft<br />

und du ziehst mir den Boden weg unter meinen Füßen.<br />

Denken kann ich hier nicht, denken kann ich<br />

nur woanders. Mein Denken wird im Wesentlichen<br />

von den Räumlichkeiten bestimmt, in denen ich<br />

mich aufhalte. So wenig stammt von mir, so viel<br />

von den Räumen! Und was nicht die Räume bestimmen,<br />

das legen die Jahreszeiten fest. Im Winter<br />

schreibe ich anders <strong>als</strong> im Sommer, im Herbst anders<br />

<strong>als</strong> im Frühjahr. Das ist eine runde Sache, aber<br />

am Schreiben bin ich nicht beteiligt. Wenn doch nur<br />

mein Leben beendet wäre! Wenn nur die Betende<br />

83


für mich da wäre, die für mich betet, für mein Seelenheil,<br />

aber es betet niemand mehr für mich. Ich<br />

bin die Person, für die am wenigsten gebetet wird.<br />

Für alle <strong>anderen</strong> Menschen, die auf der Erde leben,<br />

wird mehr gebetet <strong>als</strong> für mich. Das werde ich einklagen<br />

von dem lieben Gott, dass nicht gebetet worden<br />

ist für mich! Wie soll denn aus mir etwas werden,<br />

wenn niemand für mich betet? Ganz klar, dass<br />

ich zum Teufel werden musste. Bald Unmensch,<br />

dann Dämon, nun Teufel. Nicht meine Schuld, sondern<br />

die Schuld derer, die nicht für mich gebetet haben.<br />

Meiner Schwester persönlich gebe ich diese<br />

Klapppuppe zum Geburtstag, die sich Platz sparend<br />

zusammenklappen lässt. Einen Blick für das Wesentliche<br />

habe ich nicht. Nur das Unwesentliche<br />

sehe ich und benenne ich. Wann beendet Gott mein<br />

Leben? Immer nur war ich der autistische Kaspar in<br />

meiner Klasse, nun bin ich der diabolische Spartrumpf,<br />

den niemand narkotisieren kann. Ich kann<br />

baden gehen, ich kann schwimmen und ich kann<br />

spinnen. Weltvergiftung, hier und dort eine Bombe<br />

gelegt, Taufkerzen sowieso. Kannst du nach Hause<br />

gehen? Genauer besehen, diese Blumen genauer besehen.<br />

Im Wohnzimmer stehen sie zielsicher herum.<br />

Alles berechnet, alles auf das Genaueste berechnet.<br />

<strong>Die</strong> Menschen machen um mich herum <strong>nichts</strong> anderes,<br />

<strong>als</strong> alles bis aufs Genaueste zu berechnen. Instinktiv<br />

und zielsicher berechnen sie alles. Denen<br />

84


möchte ich genauso zielsicher ihre Köpfe abschlagen.<br />

Mit meinem Hass werde ich die Welt revolutionieren,<br />

sprach der Maulheld und starb unerkannt.<br />

Meine Rede ist klein und unbedeutend, auch wenn<br />

es mir manchmal so scheint, <strong>als</strong> ob ich etwas Wichtiges<br />

mitzuteilen hätte. <strong>Die</strong> Wahrheit ist, dass ich<br />

<strong>nichts</strong> mitzuteilen habe, zumindest <strong>nichts</strong> Wichtiges.<br />

Was ich mitteile, ist lediglich peinlich, mehr<br />

nicht. Vielleicht sollte ich mal zum Seelenklempner<br />

gehen oder mich gleich umbringen. Zu letzterem<br />

würden mir wohl alle gestandenen Mütter raten, die<br />

einen Mann haben, der <strong>als</strong> Handwerker arbeitet. Ich<br />

hingegen führe <strong>als</strong> Maulheld eine Schmarotzerexistenz,<br />

die ausgelöscht werden muss. Zumindest wäre<br />

es sinnvoll, wenn man meinen Kopf nass rasieren<br />

würde, damit man schon aus der Ferne erkennt, dass<br />

ich ein Schmarotzer bin. Und ein braunes S könnte<br />

man mir annähen, S wie Scheißer, Schmatzer,<br />

Schmarrer, Schmarrarsch. Da ich niem<strong>als</strong> Herr werden<br />

kann über meine Marotten, muss man mich umgehend<br />

abschaffen. Ich bin am Ende. Ich bin Abfall.<br />

Mich muss man beseitigen. Ein Windbeutel bin ich,<br />

ein aufgeblasener Möchtegerndiktator, der sofort in<br />

sich zusammenfällt, wenn man ihn mit der Nadel<br />

ansticht. Ich habe massive Wahrnehmungsstörungen.<br />

Immer gehe ich davon aus, ich würde etwas<br />

Großartiges sagen oder etwas Großartiges schreiben,<br />

und dabei ist es in Wirklichkeit <strong>nichts</strong> anderes<br />

85


<strong>als</strong> belangloses Gebrabbel und Gebabbel, wie es<br />

kleine Kinder auch können, ohne sich dabei anzustrengen,<br />

so wie ich es tun muss, um überhaupt etwas<br />

gesagt oder geschrieben zu haben. Eigentlich<br />

bin ich ein ganz klarer Fall für die Narrenanstalt.<br />

Das wäre der Ort, an dem ich richtig aufgehoben<br />

wäre, nirgendwo anders. Was bin ich für ein Unheld:<br />

<strong>Die</strong> Normalen machen sich ständig Gedanken,<br />

ob das, was sie sagen oder tun, korrekt ist, und sie<br />

korrigieren sich auch ständig, weil sie merken, dass<br />

sie das nötig haben, und ich auf meinem Stuhl wie<br />

ein fetter Buddha, der denkt, dass er kraft seiner Erleuchtung<br />

gar <strong>nichts</strong> mehr tun muss. Dabei bin ich<br />

es, der sich am meisten von allen zu ändern hätte.<br />

Was bin ich nicht für ein unseliger Unheld und ich<br />

sonne mich noch in meinen selbstgefälligen Betrachtungen!<br />

Wenn das nicht eine bodenlose Frechheit<br />

ist, mit der man im Grunde genommen aufräumen<br />

müsste. Mein läppisches Auftreten muss ja alle<br />

verärgern. Wie ein kleines Baby scheiße ich unzensiert<br />

die größten Beleidigungen in die Welthose und<br />

warte darauf, dass andere mit dieser Sauerei zurechtkommen<br />

und wundere mich noch, dass das<br />

nicht der Fall ist. So kann man natürlich auch sein<br />

Leben vertrödeln. Dafür werde ich aber im Endgericht<br />

büßen müssen: Andere arbeiten lassen und selber<br />

<strong>nichts</strong> tun! Das gibt die Höchststrafe. Soll ich<br />

mich nur wähnen, Gott zu sein oder der Teufel, in<br />

86


Wirklichkeit bin ich auch nur ein Mensch wie alle<br />

<strong>anderen</strong> auch und werde auch <strong>als</strong> solcher behandelt<br />

werden im Endgericht. Zum Müllkübel habe ich<br />

mich gemacht, nun werde ich von den <strong>anderen</strong> wie<br />

ein Müllkübel behandelt. Da brauche ich mich nicht<br />

zu wundern, da brauche ich nicht mit Schuldzuweisungen<br />

um mich zu werfen. Ich allein bin Schuld an<br />

meiner Misere. Freilich habe ich bereits einen Punkt<br />

erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Zu weit<br />

bin ich gegangen mit meinen Blasphemien, zu weit<br />

mit meinen Obszönitäten. Aus Selbstschutz hat<br />

mich die menschliche Gemeinschaft gebannt, weil<br />

solche Leute wie ich zu gar <strong>nichts</strong> anderem fähig<br />

<strong>sind</strong>, <strong>als</strong> alles Gute und alles Rechte zu torpedieren<br />

und zu zerstören.<br />

36. Frauen hocken wegen der erlebten Vaterfreundlichkeit<br />

am Wochenende, wenn sie keinen <strong>Die</strong>nst<br />

haben, auf dem Sofa in Turnhosen und schauen<br />

Fernsehsendungen, während sie beiläufig Joints<br />

rauchen. Sie studieren seit acht Semestern Geologie,<br />

weil sie sich schon immer für die Erde interessiert<br />

haben, und bringen ihr Studium zielstrebig zu<br />

einem Ende, womit ihre Spötter niem<strong>als</strong> gerechnet<br />

hätten. <strong>Die</strong> Spötter, die nie eine Freundin gehabt haben<br />

– so wie der Autor –, behaupten: Wer kifft und<br />

das Leben genießt, kann keinen schulischen oder<br />

beruflichen Erfolg haben. Sie aber, die auf dem<br />

87


Sofa sitzt, hat schon viel Geld verdient in ihren Ferienjobs<br />

und hatte schon großen Erfolg in ihrem<br />

Geologiestudium. Sie war auch schon in Afrika und<br />

hat Schädel ausgegraben, obwohl sie gar keine Archäologin<br />

ist. Das hat sie so en passant gemacht.<br />

Der Autor ist ein Sauertopf, dessen Schicksal schon<br />

besiegelt ist. Man lacht mittlerweile nicht mehr über<br />

ihn, weil er es gar nicht wert ist, dass man für ihn<br />

Lachmuskeln betätigt, und sei es nur zum Hohn und<br />

Spott. Wie ernst muss man das nehmen, was der<br />

Autor schreibt? Alles nur Fiktion? Nein, das bin ich<br />

tatsächlich. Ich kokettiere mit der Realität und will<br />

so meine Komplexe und psychischen Probleme verbergen.<br />

<strong>Die</strong>s ist mir nicht gelungen. Manche Leute<br />

haben halt einfach Geld, haben Geld von ihrem Vater<br />

bekommen und können deswegen ihr Leben genießen.<br />

Ich habe von meinem Vater einen Arschtritt<br />

in den Hintern bekommen, weil ich so ungezogen<br />

sei. Und meine Großmutter hat mir <strong>als</strong> Kind schon<br />

prophezeit, dass sie für mich schwarz sehe. Und<br />

recht hat sie behalten. Wie schwarz um mich herum<br />

alles ist, weil ich so schwarz bin und immer nur<br />

schwarz sehe. Das strahlt aus auf meine Mitmenschen.<br />

37. Der Widersacher hat Blumen der Angst geschenkt<br />

bekommen. Sie stehen auf seinem Wohnzimmertisch.<br />

Er hat sie geschenkt bekommen von<br />

88


seiner Freundin, der Martha. Warum haben die Eltern<br />

der Martha ihr solch einen Namen gegeben?<br />

Sie hätten sie ja auch anders benennen können: Doris<br />

oder Tochter. Um mich herum Antennen, die angeblich<br />

für den Fernsehempfang bestimmt <strong>sind</strong>. Das<br />

glaube ich ihnen nicht. In Wahrheit wollen sie meine<br />

Gedankenströme empfangen, wenn sie es nicht<br />

schon längst tun. Nicht die Tagesschau wird angeschaut,<br />

sondern meine Gedanken. Auf dem Hühnerhof<br />

laufen aufgescheuchte Hühner. Sie fressen verseuchte<br />

Körner, und sie verkaufen sie für ein Paar<br />

Kröten an den nächstbesten Hühnerfresser. Du bist<br />

ein Kunstprodukt und bist verrückt. In Ulan Bator<br />

herrscht auch kein Frieden. Aber zurück zur Realität.<br />

Habe ich eine Zukunft? Es geht nicht so sehr<br />

um die <strong>anderen</strong> Leute, die ganz bestimmt eine Zukunft<br />

haben werden, sondern um mich. Sehr problematisch<br />

ist meine absolute Empfindlichkeit und<br />

meine absolute Inflexibilität. Meine Pläne möchte<br />

ich nicht ändern, selbst wenn mich jemand darauf<br />

aufmerksam macht, dass meine Pläne nicht die besten<br />

Pläne <strong>sind</strong> sondern die allerschlechtesten. Geändert<br />

wird bei mir <strong>nichts</strong>, weil ich mir von den <strong>anderen</strong><br />

ja <strong>nichts</strong> sagen lassen will. Immer möchte ich<br />

den Ton angeben, wenn es um meine persönlichen<br />

Pläne geht. Da möchte ich mir von niemandem<br />

reinreden lassen. Meine Zukunft ist keine Zukunft.<br />

89


Ich habe keine Zukunft, weil ich kein funktionierendes<br />

Mitglied der Gesellschaft sein will.<br />

38. Sehr geschickt von mir, wie ich die grüne Regenjacke<br />

aufgehängt habe. Ich bin ja auch ein<br />

Vollidiot: Wozu habe ich gestern die grüne Regenjacke<br />

mitgenommen, wo es sich doch bereits gestern<br />

abgezeichnet hat, wie heiß es morgen werden<br />

würde. Von so ein paar Regentropfen habe ich mich<br />

beeindrucken lassen. <strong>Die</strong> Maria ist stark kurzsichtig<br />

und der Judas ist zur Ersatzmaria mutiert, weil sich<br />

die echte Maria in die Vereinigten Staaten abgesetzt<br />

hat, obwohl sie kommunistisch veranlagt ist.<br />

Den Staat will sie infiltrieren, sagt sie. Kalifornien,<br />

sagt sie, will sie infiltrieren. Den Schwarzenegger<br />

abschalten. Aber diese kleinen pseudolustigen Bemerkungen<br />

können nicht von meinem Elend ablenken.<br />

Ich bin es, der immer noch Probleme hat. Da<br />

nützen alle billigen Witze <strong>nichts</strong>, die ich in diesem<br />

so genannten Weltwerk mache. Auch der Hinweis,<br />

dass ich gerade eben meine Limonade ausgetrunken<br />

habe, nützt <strong>nichts</strong>. Ich bin der Weltverlierer, der<br />

sein Leben total verspielt hat, indem er ständig alle<br />

Leute um sich herum beleidigt hat und sich niem<strong>als</strong><br />

für sein derbes Verhalten entschuldigt hat. Ein bisschen<br />

mehr Demut wäre schon angebracht gewesen,<br />

einen bisschen mehr Respekt vor meinen Mitmenschen.<br />

Allein durch Schwitzen wird man nicht<br />

90


zu einem besseren Menschen. Demut und Anpassung<br />

tut Not. Ohne Anpassung und Demut ist keine<br />

menschliche Gesellschaft denkbar. Will ich mich<br />

nicht anpassen, dann kann ich eben kein Mitglied<br />

der Gesellschaft werden. Und wenn ich mich anpassen<br />

und demütig sein will, dann muss ich folgerichtigerweise<br />

dieses Weltwerk löschen, weil es eine<br />

Beleidung des gesunden Menschenverstandes darstellt.<br />

39. Heute zum wiederholten Male mit der Oma gesprochen.<br />

Wird mir auch immer unheimlicher.<br />

Stand heute mit Lockenwicklern herum und säuberte<br />

ihr Auto. Weiß Gott, was sie noch so alles tut:<br />

Eichhörnchen zerkleinern, Taschenlampen reparieren,<br />

Altglas sammeln. Das gibt heute noch eine<br />

böse Überraschung: <strong>Die</strong> Küche nicht geputzt, das<br />

bedeutet Alarmstufe rot. Das muss gleich ein großes<br />

Hallo geben, ein Rumgebrülle und Rumgeschreie,<br />

wie es noch nie der Fall war. Mal sehen, wie viele<br />

Kraftausdrücke fallen, wie oft Arschloch in den<br />

Raum gebrüllt wird. Dann sicherlich noch Unterstellungen<br />

und absolute Gemeinheiten, um jegliche<br />

Ruhe und Ausgeglichenheit vollkommen zu vernichten.<br />

Wohl anzunehmen, dass das Geschrei jetzt<br />

beginnt und für die nächsten drei Tage ununterbrochen<br />

anhalten wird. Da werde auch ich <strong>nichts</strong> zu lachen<br />

haben. Wir werden in neue Dimensionen des<br />

91


Hasses und Terrors vorstoßen. Keine Ruhe, keine<br />

Gemütlichkeit, kein Verständnis für Kunst. In vielen<br />

Häusern wird der brutale Kapitalismus aufgeführt,<br />

das einem Hören und Sehen vergeht. Unaufgefordert<br />

führt jede Familie dieses Stück auf, in der<br />

es keinen Sinn gibt, keine inneren Werte, sondern<br />

nur messbare Leistungen und Erfolgsdenken. <strong>Die</strong><br />

Hoffnung ist in den Einfamilienhäusern abgeschafft<br />

worden, die Zukunft und das Paradies ebenfalls, dafür<br />

die Hölle auf Erden eingeführt, Verzweiflung<br />

und Versagen. Selbstanklage und allgemeine Klage,<br />

Hohn und Spott und Schadenfreude. Das <strong>sind</strong> die<br />

Unwerte, die in allen Familien regieren. Und das<br />

Beste, was man machen kann, ist sich einen Strick<br />

zu nehmen und auf sein Lebensrecht zu verzichten.<br />

Denn was allen Menschen nur zählt, das ist die Sauberkeit<br />

und die Ordnung. Für Kreativität ist kein<br />

Platz, für Gemütlichkeit auch nicht. Immer noch<br />

mehr arbeiten und mit jedem Lebensjahr noch mehr<br />

bis zum Umfallen. Das ist die Tugend, die zählt.<br />

40. In was für einer Kaschemme du wohnst! Andere<br />

bevorzugen die Niedertracht und du wohnst da in<br />

dieser Kaschemme mitten im Land. Und den Schinken<br />

hast du dir aufschneiden und auf diesem Holzbrett<br />

servieren lassen. Da trinkst du nun dein Bier<br />

dazu und denkst über deine letzten Erlebnisse nach.<br />

Neben dir der Bauer, der heute sein Roggenfeld ab-<br />

92


geerntet hat mit den großen Erntemaschinen und die<br />

Bauern aus Georgien hatten ihm geholfen. <strong>Die</strong><br />

hocken in einem <strong>anderen</strong> Zimmer und trinken destillierten<br />

Schnaps. Wir singen keine Trinklieder.<br />

Draußen wird’s dunkler, die Blätter fallen schon.<br />

Schon ist aller Tage Ende und die letzten Abmachungen<br />

müssen noch schnell eingehalten werden,<br />

weil die große Endabrechnung bevorsteht. Alles ist<br />

Gnade, sprach der alte Wirt und lachte mich aus,<br />

ausgerechnet mich, der gar nicht davon ausging,<br />

dass alles Gnade sei. Ich wollte mit meiner Person<br />

beweisen, dass nicht alles Gnade sein kann, dass ich<br />

zum Trotz böse sein kann und damit die Gnade<br />

Gottes eintrüben kann. Und überhaupt: Immer diese<br />

Familiendramen mit den vielen Toten! Wer glaubt<br />

denn an Gnade bei all den erstochenen Kindern? Einer<br />

<strong>anderen</strong> Meinung war der alte Wirt der üblen<br />

Kaschemme. Dennoch werde ich von allen Leuten,<br />

denen ich begegne, in Schach gehalten. Sie können<br />

es nicht ertragen, wenn ich mich auf dem Spielfeld<br />

des Lebens frei bewegen kann, und müssen mich<br />

<strong>als</strong>o sofort bedrohen und beeinträchtigen. Mich zu<br />

bedrohen, liegt in ihrem Blut, genauso wie ihre<br />

Mordlust. Sie können es nicht ertragen, wenn ein<br />

Mensch frei ist und frei ausspricht, was er denkt.<br />

Das müssen sie sofort unterbinden. Gedankenfreiheit<br />

ist ihnen zuwider wie <strong>nichts</strong> anderes auf der<br />

Welt. Sohn und Tochter halten sie an, genauso zu<br />

93


denken wie sie, die Eltern. Gehasst wird alles, was<br />

den Eindruck erweckt, frei zu sein und unabhängig.<br />

Niedergeschlagen werden all die wenigen Freien<br />

von allen den vielen Sklaven, die dicht aneinandergekettet<br />

herumlaufen. Unter Dauerbeschuss stehe<br />

ich, im Kreuzfeuer ihrer Kritik befinde ich mich,<br />

von meiner Freiheit wollen sie <strong>nichts</strong> wissen. Von<br />

mir wollen sie <strong>nichts</strong> wissen, gar <strong>nichts</strong>. Und alles<br />

soll ich von ihnen wissen, nur mit ihnen soll ich<br />

mich auseinandersetzen, nicht mehr mit mir. Mich<br />

soll ich vergessen, sagen sie, und sie soll ich verinnerlichen<br />

solange, bis es nur noch sie gibt und nicht<br />

mehr mich. Blasphemie ist das einzige, was sie akzeptieren<br />

können. Einen Menschen, der Gott nicht<br />

lästert, können sie nicht ertragen, überhaupt können<br />

sie nicht ertragen, wenn über Gott geredet wird, es<br />

macht sie geradezu krank, weil sie es nicht akzeptieren<br />

können, dass es einen geben könnte, der über<br />

ihnen steht, der nicht so ist wie sie selbst, <strong>als</strong>o müssen<br />

sie ihn vernichten und sich selber zu Gott machen.<br />

41. Fortan wird er sich nicht mehr rühren. Tage und<br />

Wochen werden verstreichen und er wird seine eigenen<br />

Wege gehen. Abgeschrieben bin ich, weil ich<br />

nicht von meinem Weg abzubringen bin, den er<br />

hasst und den all seine Freunde hassen. Mein Weg<br />

ist der gehasste Weg, der von allen Gotteslästerern<br />

94


gehasst wird. Nie mehr wird er sich blicken lassen.<br />

Ich bin abgeschrieben, endgültig. Schon längst bin<br />

ich abgeschrieben. Blöd wie ich bin, bekam ich diesen<br />

ganzen Abschreibungsprozess gar nicht mit.<br />

Schon seit Monaten ist dieser Abschreibungsprozess<br />

im Gange, und ich habe es nicht mitbekommen.<br />

Mittlerweilen hat dieser Abschreibungsprozess<br />

viel offensichtlichere Formen angenommen.<br />

Öffentlich wird über mich gelästert, keine Gelegenheit<br />

ausgelassen, um über mich zu lästern. Jedem ist<br />

schon gesagt worden, dass ich der Allerschlimmste<br />

sei. Und sie glauben es natürlich. Verleumdet bin<br />

ich worden wie kein Z<strong>weiter</strong>, und mitbekommen<br />

habe ich es nicht. Nun ist alles klar und offensichtlich.<br />

Es wird mir angekreidet, dass ich an Gott glaube,<br />

man nimmt es mir sehr übel, dass ich diesen<br />

Glauben an Gott nicht aufgegeben habe. Dass ich<br />

immer noch an das Gute glaube und an den Himmel,<br />

das wird von den vielen <strong>anderen</strong> nicht mehr ertragen.<br />

Sie können es nicht mehr hören, wenn ich<br />

von der Gnade rede, sie wollen es nicht mehr hören,<br />

sie verstopfen ihre Ohren, um meine Worte nicht<br />

mehr vernehmen zu müssen. Mit dem ewigen Leben<br />

wollen sie nicht konfrontiert werden, weswegen<br />

sie auch mit mir nicht mehr konfrontiert werden<br />

wollen. Ich bin ihnen ein Gräuel, das sie nicht mehr<br />

ertragen können. Eigentlich gäbe es auch für sie<br />

Wohnungen im Himmel, aber sie wollen diese<br />

95


Wohnungen nicht haben, viel lieber renovieren sie<br />

ihre eigenen Wohnungen, das ist ihnen viel wichtiger.<br />

In den Himmel wollen sie nicht kommen, in ihren<br />

eigenen irdischen Wohnungen wollen sie bleiben.<br />

Man wird ihrem Willen stattgeben, sie werden<br />

in ihren eigenen irdischen Wohnungen bleiben können.<br />

Und möglicherweise haben sie von ihren irdischen<br />

Wohnungen mehr <strong>als</strong> jene, die schon seit<br />

Jahrzehnten darauf harren, so genannte überirdische<br />

Wohnungen zu beziehen. Er wird aber auf jeden<br />

Fall mit jedem Tag unverschämter. Seine Verachtung<br />

bringt er mittlerweile ganz unverhohlen zum<br />

Ausdruck. Zum Spaßmacher will er mich degradieren,<br />

obwohl ich von all dem Klamauk gar <strong>nichts</strong><br />

halte. Soweit hat er mich schon gebracht, dass ich<br />

mich zu solchen Kapriolen habe hinreißen lassen,<br />

die das gesamte Weltwerk durchseuchen. Von mir<br />

aus würde ich niem<strong>als</strong> solche derben Späße machen,<br />

aber er hat mich dazu gezwungen, er hat mich<br />

aufgestachelt, die ganze Welt zu beleidigen. Ich von<br />

mir aus würde keinen einzigen Menschen beleidigen,<br />

er aber möchte, dass ich alle beleidige, damit<br />

ich mich schwer veschuldige und blind werde für<br />

die Güte Gottes. Das ist der Plan meines Widersachers,<br />

der sich nur schlafend stellt, in Wirklichkeit<br />

aber immer hellwach ist. Ein unverschämter Zeitgenosse<br />

ist er. Unverschämt gegenüber allen, die nicht<br />

unverschämt <strong>sind</strong>, und demütig gegenüber jeden,<br />

96


die noch viel unverschämter <strong>sind</strong> <strong>als</strong> er. Da wird er<br />

zum unterwürfigen Schüler, der alles gibt, um noch<br />

unverschämter zu werden. Den Gipfel der Unverschämtheit<br />

will er erklimmen, da wird er plötzlich<br />

kräftig, wo er sonst, wenn es darum ging, etwas Gutes<br />

zu tun, nie kräftig gewesen ist. Ein böser<br />

Mensch ist er, ein höchst durchtriebener, der immer<br />

nur das Böse wollte und immer das Gute hasste.<br />

Vor solchen Leuten müssen wir uns schützen. Denn<br />

sie geben keine Ruhe solange, bis sie einen vernichtet<br />

haben. Ihr Vernichtungswille ist total.<br />

42. Dass ich doch behindert sei, sagen sie immer<br />

wieder. Dass ich doch gar nicht normal sein könne,<br />

sagen sie. Das ist doch nicht normal, so einer muss<br />

doch behindert sein. Wie rechtfertigen? Als Behinderter<br />

abgestempelt. Und dass ich einen Steifen<br />

habe, sagen sie, das sehe doch jeder. Schau her, der<br />

hat einen Harten. Das sieht doch jeder. So redet<br />

man über mich. Und mein persönlicher Widersacher<br />

der hat die Mädels immer gescheit dahergefotzt<br />

und hatte gedacht, das wäre Sex. Vergewaltigt<br />

hat er sie alle und hatte gedacht, das ist Sex. Und<br />

sie haben es mit sich machen lassen, weil sie gedacht<br />

haben, das ist Sex. Das hat mein persönlicher<br />

Widersacher getan mit seinen Freundinnen und sie<br />

haben es mit sich machen lassen. So roh ist unsere<br />

Welt. Niemand erwartet, dass man rücksichstvoll<br />

97


ehandelt wird. Jeder erwartet Rücksichtslosigkeit.<br />

Etwas anderes können sie schon gar nicht mehr ertragen.<br />

Sie machen sich über alle lustig, die rücksichtsvoll<br />

<strong>sind</strong>, behaupten, das wären die allerschlimmsten.<br />

Verleumden die Rücksichtsvollen, indem<br />

sie behaupten, die hätten Kinder auf dem Gewissen,<br />

wären hundsgemeine Kinderschänder, die<br />

man eigentlich erschlagen müsse. Immer <strong>sind</strong> die<br />

Rücksichtsvollen die Kinderschänder, wie sie behaupten,<br />

hätten das immer schon gewusst. Sie haben<br />

ein ganz erstaunliches Wissen diese Widersacher<br />

der guten Sache. So weit haben sie es gebracht,<br />

die Bösen. Und wer vermag ihnen Einhalt zu gebieten,<br />

jenen, die jeden Tag in ihrer Boshaftigkeit Fortschritte<br />

machen. <strong>Die</strong> Widersacher nehmen die Welt<br />

nicht wahr, wie sie ist, sondern so, wie sie die Welt<br />

gerne hätten. Ihr Wahrnehmungsvermögen ist gering,<br />

man muss sie schon anschreien, dass sie einen<br />

überhaupt hören, und man muss sie schon durchschütteln,<br />

dass sie überhaupt reagieren. Im Grunde<br />

genommen zwingen sie einem jede nur denkbare<br />

Gemütsverfassung auf, ob man nun will oder nicht.<br />

Wenn sie wollen, dann hat man depressiv zu sein<br />

oder weiß der Teufel was.<br />

43. Meine Hose löst sich auf, sie fault mir vom Leib<br />

herunter. Alles löst sich auf, nicht in Wohlgefallen.<br />

Zusammenhängend schreiben zu müssen ist ein<br />

98


Fluch. Der Spatz ist auf dem Dach, der Hund in der<br />

Garage. Kindergärtnerinnen räumen den Dreck auf.<br />

Ich bin im Norden. Karten werden gestapelt, ein<br />

Satz angehängt. Und nun das Ganze mit Nebensätzen:<br />

Der Hund, der gestern da war, ist heute nicht<br />

da. <strong>Die</strong> Kindergärtnerin räumt auf, obwohl die Kinder<br />

alles wieder dreckig machen. Wer alt ist, hat<br />

harte Kopfschuppen. Ein Mensch raucht Zigaretten,<br />

Rum kann einem heißen Kakaogetränk hinzugegeben<br />

werden. Boxen und Ochsen rotzen in Duhn.<br />

Muggur mafa sert. Daf efte gehl. Oft so oft. Kakan<br />

mur denegel. Juak fget gefert. Kum. Juk. Sieben ist<br />

<strong>Die</strong>benbahn, wenn der Junker im Onkel ist. Geh nur<br />

das Haus, indem Haus fertig isst. Währenddessen<br />

Schnabel im Kot geht hinaus, um in Garage tut. Kaserne<br />

in Ansbach dient Hummel, obzwar gegenüber<br />

immer dort voraus. Hohnspott auf Brot über Bord<br />

geworfen. Junkerliebe: im Dunkeln setzt es Hiebe.<br />

Wiewohl man sich auch täuschen kann. Falken fliegen<br />

flach über den Boden und scheißen auf den Boden<br />

und vernichten den Boden und tapezieren den<br />

Boden und schauen auf den Boden und essen den<br />

Boden und betonen den Boden und betonieren den<br />

Boden und baden den Boden. Mundtrockenheit,<br />

Einfallslosigkeit. Pessimismus, Denkfaulheit. Diabolischer<br />

Pessimismus, der zu <strong>nichts</strong> führt. Dummes<br />

Gequatsche – auch diese Anmerkung hochpessimistisch.<br />

Beständige Mundtrockenheit, Ausdör-<br />

99


ung: auch das ist Pessimismus. Nie war Mundtrockenheit<br />

ein Problem. Warum sollte man sie hypochondrisch<br />

erwähnen? Kirschen zum Nachtisch.<br />

Das Nachttischlämpchen brennt. Und ich brenne<br />

bald auch. Ich bin ein Fisch. Ich besitze die Gabe,<br />

mir alles einreden zu können. Heute bin ich ein<br />

Fisch. Ich habe solange darüber nachgedacht, ob ich<br />

ein Fisch sein könnte, bis ich zur Überzeugung gekommen<br />

bin, ein Fisch sein zu müssen. Theoretisch<br />

ist alles möglich. Der wahrhaft gründliche Theoretiker<br />

zieht alles in Betracht. Und ich bin ein wahrhaft<br />

gründlicher Theoretiker: ein denkender Fisch. Und<br />

morgen werde ich in der Wirtschaft zu einem Hefeweizen<br />

verspeist. Das ist mein Schicksal. Das<br />

Schicksal ist die Salbe, die die Haut geschmeidig<br />

macht, und in Trübsal lässt sich gut baden. Und die<br />

Saaldiener von Herrn Drang empfangen jeden Gast<br />

sehr stürmisch. Hauptsache das Saldo stimmt. Der<br />

Aldi produziert die schönsten Plastiktüten. So richtig<br />

große, unter der ein erwachsener Kopf Platz hat<br />

zum Ersticken. Besser <strong>als</strong> diese Schaldrosseln, die<br />

sich am Küchenschrank mit einem Schal befestigen<br />

und dann alles durch ihren Sch<strong>als</strong>elbstmord demolieren:<br />

Siebenzehnjährige Schaldrossel erschlagen<br />

durch den Wandschrank, steht dann in der Zeitung.<br />

Ich bin ein wahrhaft gründlich ethisch veranlagter<br />

Zeitgenosse der Wende. Ich wandte mich ab und<br />

machte eine Rolle vorwärts und bekam zwei Punkte<br />

100


dafür vom rumänischen Geheimdienst. Der <strong>Die</strong>nstbote<br />

ist sehr stürmisch: Mit einem Gurkenglas rennt<br />

er im Freien herum und sammelt alle Regentropfen<br />

ein. Er gießt sich dabei einen Schnaps hinter die<br />

Bindehaut und verhaut die Autistenbraut danach.<br />

Labsal und Rinnsal trafen sich in der Wüste und<br />

fragten: Wo ist Irrsal? <strong>Die</strong> Kanonen leuchteten an<br />

der Decke, der Verstand wurde den Besuchern ausgeblasen<br />

und der Kartenständer wurde aufgestellt,<br />

damit endlich der Erdkundeunterricht beginnen<br />

konnte. Wo liegt Ägypten, fragte der Pressesprecher<br />

des Bundeskanzleramtes, und bekam Antworten<br />

von wollüstigen jungen Mädchen, die mit Männern<br />

in einem Meer von Wolle schwammen. Casinobetreiber<br />

wurden dazu angehalten, den Weltuntergang<br />

zu beschleunigen. Kistenteufel wurden in öffentlichen<br />

Nahverkehrsmitteln versteckt. Eine grüne Frau<br />

zündete eine Zigarette an und fragte sich, wo Kundalini<br />

geblieben sei. Sie zündete eine <strong>weiter</strong>e Zigarette<br />

an und stellte beide Zigaretten neben der Gottesmutter<br />

auf. Vielleicht würde sie Kundalini wieder<br />

auf den rechten Weg bringen. <strong>Die</strong> Frau bekreuzigte<br />

sich mit atomar verseuchtem Weihwasser und<br />

verließ das sinkende Schiff. Sie rechnete nicht mit<br />

dem Priester, der sie sofort mit Kupfernägeln beschoss.<br />

Gelbe Kanarienvögel, in kleinen Käfigen<br />

übereinander gestapelt, flogen gegen Gitterstäbe<br />

und brachen sich das Genick. Graue Geschäftsmän-<br />

101


nerfreuden, bübisch und immerfroh, wenn Leben<br />

verlöscht. Grüne Weihnachten, ein schlechtes Zeichen,<br />

Triebtäter laufen frei herum, nicht gefangen,<br />

zu allem bereit, vergewaltigen die Pfarrerin in der<br />

Sakristei, die doch eigentlich predigen sollte, die<br />

Schreie, alles inszeniert, dachten die in der Kirche<br />

lauernden Besucher. Der Teufel verselbständigt<br />

sich, macht seinen eigenen Laden auf und wirbt die<br />

Kunden Gott ab. Sein Programm ist das bessere:<br />

Geschlachtete Jungfrauen, Meerkatzenblut und tanzende<br />

Puppen. Würfel und Schaufel <strong>sind</strong> die Insignien<br />

des Teufels. Und die Chirurgen murksen herum,<br />

zerstechen alle lebenswichtigen Organe mit<br />

dem Skalpell und überlegen sich, was dann passiert.<br />

Nichts passiert. Und wiederum werden Gastarbeiter<br />

gesucht. Für einen Apfel und ein Ei, der ganze<br />

Schulranzen voll Blut. Aus meinem Dämpfkopf fallen<br />

Flaschen heraus. Zwiebelschmetterlinge liegen<br />

auf meinem Sofa und dünsten einen kinderartigen<br />

Geruch aus. Meine Wohnung ist ein großer Lokomotivbahnhof<br />

in grau gehalten. <strong>Die</strong> Züge fahren<br />

durch meinen Kopf, Polizisten laufen mit goldenen<br />

Weihnachtsglocken durch alle Abteile. Judas sitzt<br />

im Zug in seiner schwarzen Kutte und unterhält sich<br />

mit zwei Kurden: Mahriwan und Faritin heißen sie<br />

und sie unterhalten sich über Karl Valentin, dem<br />

Erzkomiker aus Bayern. Eine Büromaschine dampft<br />

im königlichen Gerichtssaal. <strong>Die</strong> Prozesskosten<br />

102


übernimmt der Kläger. In der Psychiatrie wurde<br />

aufgeräumt, die bunten Pillen weggekehrt und die<br />

Patienten in die Schränke gestellt. Fasching ist vorüber,<br />

die Narren <strong>sind</strong> unter die Räder gekommen,<br />

Biergeruch besudelt die ganze Stadt. <strong>Die</strong> Wahrheit<br />

ist, dass noch niemand… und überhaupt ist noch<br />

niemand… weil noch niemand… wo wir doch<br />

alle… außerdem nicht in diesem Geschäft. So ging<br />

auch dieser Tag seinem Ende entgegen. Fischmundtrockenkeit<br />

und Kochfischübelkeit gepaart mit Spinataufgeregtheit.<br />

Das ist das Ende. An solchen Tagen<br />

ist <strong>nichts</strong> mehr zu erreichen. Fisch und Spinat<br />

führen zu ungewöhnlichen Erregtheitszuständen,<br />

die jegliches Arbeiten und Nachdenken zunichte<br />

machen. An Großstadtablenkungen ist auch nicht zu<br />

denken, weil der Fischbluthochdruck einen unmittelbar<br />

mit dem Tod konfrontiert. Überall im Hirn<br />

Schlaganfälle z<strong>weiter</strong> Ordnung, die das Denken unmöglich<br />

machen. Auch im Normalzustand sterben<br />

Nervenzellen ab und hinterlassen Lücken des Nichtwissens.<br />

Ganze Schluchten existieren im Gehirn, in<br />

denen Gedanken abgestürzt <strong>sind</strong>. Gerade jene, die<br />

sich darauf spezialisiert haben, herauszufinden, was<br />

eigentlich in den Nervenzellenschluchten gedacht<br />

wird, <strong>sind</strong> unmittelbar verrückt geworden.<br />

44. Der ganze Ballsportwahnsinn treibt Deutschland<br />

in den Ruin: Niemand kann arbeiten, weil sich alle<br />

103


die Kreuzbänder gerissen haben. Ansonsten Herzmuskelruptur,<br />

Schädelfraktur, Stammhirnschlaganfall,<br />

Darmriss, Penisbruch. Alle liegen sie zuhause<br />

mit ihren Verletzungen, möglicherweise auch im<br />

Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Wer Ballsport<br />

betreibt, hat immer ein Alibi, warum er nicht arbeiten<br />

kann. „Mir hat der Gegner die Hoden abgerissen.“<br />

– „Ich bin beim Aufwärmen über meinen<br />

Kopf gestolpert.“, so wird es dann am Montag den<br />

Nichtballsportbetreibenden durch den Arzt ausgerichtet,<br />

was dann heißt, dass die Nichtballsportbetreibenden<br />

doppelt so viel arbeiten müssen. Wer<br />

nicht arbeiten will, betreibt Ballsport. Auf dem<br />

Spielrasen gibt sich das arbeitsscheue Ge<strong>sind</strong>el aus<br />

Gesamtdeutschland ein Stelldichein. Und wer etwas<br />

dagegen sagt, der wird sofort mundtot gemacht und<br />

diskreditiert. Ähnlich verhält es sich mit den Skifahrern,<br />

den Mountainbikern, Inline– und Online–<br />

Skatern, den Fit–for–Fuck–Fanatikern, den Nacktbadern<br />

und Nichtschwimmern. Alle Freizeitaktivitäten<br />

werden nur aus dem Grunde ausgeübt, um<br />

möglichst rasch krank zu werden oder gleich tot<br />

umzufallen. Niemand möchte leben, niemand<br />

möchte arbeiten. Lauter Hirntote laufen umher, die<br />

nur noch von den Arbeitgebern künstlich am Leben<br />

erhalten werden. Solche Wahrheiten können jetzt<br />

ausgesprochen werden, wo wir uns nun im Zentrum<br />

meines Weltwerkes befinden. Bedingungsloser <strong>als</strong><br />

104


je zuvor will ich fortan Wahrheiten ans Licht zerren<br />

und vor der staunenden Öffentlichkeit ausschlachten.<br />

Zu meiner Rechten liegt ein Lineal. Ich frage<br />

mich, warum der Affe Affe heißt. Auf dem affenbraunen<br />

Koffer sitzt ein koffergelber Affe und<br />

trinkt starken Kaffee. Der Pfaffe ist der Affe. In der<br />

Karaffe liegt ein zerstückelter Affe. Ich schaffe mir<br />

Affen. <strong>Die</strong> schlaffen Affen gaffen in die Karaffen<br />

und sahen den zerstückelten Affen. Der Affe ist<br />

dem Menschen ähnlich, wie man so sagt. Ich glaube<br />

nicht, dass die Erde rund ist, ich gehe davon aus,<br />

dass es die Erde überhaupt nicht gibt. <strong>Die</strong> Erde ist<br />

Illusion, und da spielt es gar keine Rolle, ob sie nun<br />

eine runde oder eine scheibenförmige Illusion ist.<br />

Ich werde überwacht vom Arbeitsamt und vom<br />

Bundesnachrichtendienst. Todesschützen stehen in<br />

der gegenüberliegenden Apotheke und warten darauf,<br />

dass ich mir eine Blöße gebe. Meine Fenster jedoch<br />

bestehen aus Panzerglas, die Vorhänge <strong>sind</strong><br />

zugezogen und ich laufe mit einer kugelsicheren<br />

Weste herum, die aus Keramikkacheln zusammengeflickt<br />

ist. Mein Computer digitalisiert die Welt,<br />

niemand wird ihn abstellen können, ich verfüge<br />

über ein Notstromaggregat. Ich bin der gute Hirte.<br />

Niemand wird mangeln, der zu mir kommt. Ich<br />

habe die Worte des Lebens, für jeden mindestens<br />

eines, die Welt erklärt sich mir, mein Gehirn schreibe<br />

ich nieder in diesen Zeilen für die Nachwelt, da-<br />

105


mit sie mich und mit mir die gesamte Welt anhand<br />

dieses Weltwerkes rekonstruieren kann. Ich pflege<br />

Beziehungen zu nichtatomaren Lebensformen und<br />

lasse mir von elektromagnetischen Kapazitäten die<br />

Welt erklären. Um mich herum eine Horde Halbaffen,<br />

die <strong>nichts</strong> verstehen und alle erschlagen, die<br />

den Eindruck erwecken, etwas zu verstehen. <strong>Die</strong>se<br />

Halbaffen werden von der phönizischen Weltmacht<br />

blutig niedergeschlagen werden, was diese aber<br />

nicht wissen, da sie ja nicht einmal Ahnung von der<br />

Gegenwart haben, und erst recht nicht von zukünftigen<br />

Ereignissen. Alles müssen diese Halbaffen atomar<br />

erschließen. Damit befinden sich diese Halbaffen<br />

aber auf dem Holzweg, denn atomar lässt sich<br />

<strong>nichts</strong> erschließen. Subatomar kann man alles erschließen:<br />

die Metawellen sagen uns die Zukunft<br />

voraus und mit Hilfe der Infraskopie lässt sich jede<br />

Wahrheit aufspüren. Aber was rede ich? Wer das<br />

liest, hat gar nicht die Fähigkeit dazu. Sie <strong>sind</strong> ja<br />

schon alle auf ihren Diazepamwolken der Wirklichkeit<br />

entschwebt, die der Autor hier in so eindringlicher<br />

Weise beschrieben hat. Aber mit schweren<br />

LSD–Geschützen werde ich ihre Himmelsfahrzeuge<br />

abschießen, und die Meskalingranaten tun das Ihrige.<br />

Danke Gott, dass es Weihnachten ist: Meine<br />

weißen Schuppen auf dem blauen Teppichboden.<br />

106


45. Das Minuszeichen läuft wild im Kreis umher<br />

und verhindert dadurch die Position. <strong>Die</strong> Ziffern<br />

hocken auf ihren Stühlen und schauen zu. Und du<br />

und du… und so <strong>weiter</strong>. Der Sohnemann ist verwegen.<br />

Er ist an allem Schuld: Arbeitslosigkeit, Atomkrieg<br />

und so <strong>weiter</strong>. Der Sohnemann ist schuld, an<br />

allem. Der Vordermann lenkt nicht. Das Verderben<br />

ist groß. Meine Sätze <strong>sind</strong> kurz und werden immer<br />

kürzer. Ich verwende das Wort und sehr häufig. Ich<br />

liebe Vergleiche. Ich bin das Negativum der Weltgeschichte.<br />

Ich bin der ewig Gestrige, der Einfallslose,<br />

der von der Weltgesellschaft ausgespotzt werden<br />

muss wie ein vergammeltes Wurstbrot. Mein<br />

Hormonhaushalt ist natürlich durcheinander: Unter<br />

dem Strich keine Gewinne, sondern nur ein fettes<br />

Minus. Mein Hormonsaldo stimmt nicht. Zu meiner<br />

Rechten liegt ein Lineal, das zugleich auch <strong>als</strong> Rechenschieber<br />

benutzt werden kann. Ebenfalls zu<br />

meiner Rechten ein verschwitztes und vollgeregnetes<br />

Hemd. Normalerweise immer zu meiner Linken,<br />

diesmal ausnahmsweise zu meiner Rechten. Unter<br />

mir befinden sich meine heiligen Füße, die ich nicht<br />

riechen kann, weil es zu kalt ist in meinem Zimmer.<br />

Wie ja jeder weiß, werden Gerüche in warmer Luft<br />

besser transportiert <strong>als</strong> in kalter Luft. Ich bin kreidebleich.<br />

Den Großteil meines Lebens habe ich schon<br />

gelebt, ein kleiner Rest bleibt noch übrig, den ich<br />

mit beständigem Schreiben versuche zu über-<br />

107


ücken, was mir bislang ganz gut gelungen zu sein<br />

scheint. Holzfäller blasen in ihre Hörner, weil Morgen<br />

der Versöhnungstag sein wird. Allerdings wird<br />

ihr Geblase von den Autos übertönt. Nur in meinem<br />

Kopf höre ich sie noch blasen, sonst nicht mehr wegen<br />

der vielen Autos. Immer noch starrt mich die<br />

Papierfrau von hinten rechts an. Ich beachte sie aber<br />

diesmal nicht so sehr. Übrigens bin ich in der Lage,<br />

meine Unterhosen zu waschen. Auch möchte ich<br />

nicht unerwähnt lassen, dass ich mir im Frühling<br />

Rhabarberkompott gemacht habe. Vielleicht werde<br />

ich wieder Blut spenden gehen. Und zu meinem<br />

Geburtstag werde ich mein Zimmer mit Sparlampen<br />

und Girlanden ausschmücken und mit meinem Gewehr<br />

auf den Präsidenten schießen. Vielleicht sollte<br />

ich auch die Scharniere meiner Zimmertür einölen<br />

und meinen Rücken gegen den Sonnenbrand. Ehrenwimpel,<br />

Schlachtbier, Donnerstagsfrüchte – so<br />

soll der hundsgemeine Weiterleser begrüßt werden.<br />

Kasernenhofabteilungen bewacht der Torsten, der<br />

so stark kurzsichtig ist, dass er Eindringlinge niem<strong>als</strong><br />

würde erschießen können. Torsten wird vom<br />

Tibor, der mit der zielstrebigen Geologiestudentin<br />

verheiratet ist, unterdrückt. Tibor erlaubt dem Torsten<br />

nicht zu furzen und sagt auch ständig gemeine<br />

Dinge zu ihm: „Sag, dass du saugst!“ oder „Saug!<br />

Sag es!“ Sieh, dass du <strong>weiter</strong>kommst. Hier hast du<br />

108


<strong>nichts</strong> verloren! Geh <strong>weiter</strong>! Mir wurde mal so richtig<br />

das Gehirn gewaschen.<br />

46. Island ist sehr weit weg, es schwimmt wie ein<br />

Speckstück in der Suppe. <strong>Die</strong> Grönländer fraßen es<br />

auf und rülpsten nachher überaus unartig. Ich laufe<br />

in einem kaltwarmen Traumdorf umher und komme<br />

in die Nähe eines roten Backsteinhauses, sehr hoch,<br />

vier Stockwerke, sehr viel Wiese davor, auch einige<br />

Menschen, mit denen ich aber irgendwie <strong>nichts</strong> zu<br />

tun habe. Eigentlich scheint die Sonne, aber es ist<br />

alles sehr kalt. Hans Dampf isst eine Portion Pommes<br />

Frites. Mir ist das überaus unangenehm. Aber<br />

Hans Dampf macht oft etwas, das mir überaus unangenehm<br />

ist. In meinen Träumen merke ich, dass<br />

ich sehr alt bin. In der Art wie ich träume, habe ich<br />

sichere Anhaltspunkte, dass mich die Gesellschaft<br />

schon längst abgeschrieben hat. Industriemechaniker<br />

gehen mit spottenden Blicken an mir vorbei, sie<br />

finden es geradezu lächerlich, dass ich meinen Willen<br />

meinen Gliedmaßen nicht mitteilen kann. <strong>Die</strong><br />

Gliedmaßen gehören mir nicht sondern der Gesellschaft.<br />

Sie erhebt einen Anspruch auf meine Gliedmaßen<br />

und kann diesen Anspruch auch durchsetzen.<br />

Es kann <strong>als</strong>o gesagt werden, dass ich mich an<br />

der Körperwelt nicht beteiligen kann. In der Körperwelt<br />

gibt es keinen Platz für mich. Nur in der<br />

Welt des Verstandes und des Geistes kann ich han-<br />

109


deln. Aber auch das könnte sich schon bald <strong>als</strong> Illusion<br />

herausstellen. Da gibt es auch andere, die mir<br />

im Kasernenhoftton Befehle erteilen und meinen<br />

Geist nicht gerne frei schweben sehen. Der Hans<br />

Dampf der Gemütlichkeit versaut alle Kinder, indem<br />

er sie schändet. Deren Leben ist versaut bis in<br />

alle Ewigkeit. Der Motor brummt, der Bär brummt<br />

und das Geschäft brummt, nachdem es angekurbelt<br />

worden ist. Ei, wer kurbelt denn da? Ist’s der Kurbelmeister?<br />

Oder ist es eher der… Alle <strong>sind</strong> wir<br />

schlecht, da gibt es keine Ausnahmen! Der Bestimmung<br />

des Lebens nachkommen – das ist alles, was<br />

möglich ist. Gut sein, kann niemand, das schafft<br />

auch niemand. Jeder muss böse sein, der in dieser<br />

Welt lebt. Nur der Bestimmung des Lebens kann<br />

man nachkommen, alles andere ist unmöglich.<br />

47. Epochemachender Unsinn: Es gilt Kraftfahrzeugen<br />

hartnäckig nicht auszuweichen. Dazu <strong>sind</strong> alle<br />

Bundesbürger aufgerufen: Kraftfahrzeugen hartnäckig<br />

nicht auszuweichen. Einfach stehen bleiben<br />

und sich überfahren lassen. Man stelle sich vor:<br />

Überall in Deutschland weichen die Bundesbürger<br />

den Kraftfahrzeugen nicht aus. Ein beruhigender<br />

Gedanke. Bestimmt der… Ein Ehepaar, türkisch–<br />

griechisch, sie ist sehr krank, er ist Raucher. Das<br />

Schummelmonster treibt sein Unwesen im Kindergarten<br />

und ich verreibe meinen Rotz zwischen die<br />

110


Finger. Spaltendiebe und Schaltgetriebe in diesem<br />

epochemachenden Werk, der Zwerg im Garten, die<br />

toten Menschen in der Kirche, der um sich schießende<br />

Pfarrer verhaftet, zu feige für Selbstmord,<br />

wird angeklagt wegen mehrfachen Mordes in der<br />

Kirche. Und das Blut der Pfarrerin sickert aus der<br />

Sakristei, die lauernden Gottesdienstbesucher springen<br />

auf und <strong>sind</strong> erstaunt, ihre Schreierei keine<br />

Schauspielerei. Und andere sitzen auf der Empore<br />

und trinken Limonade. Nach dem Gottesdienst gibt<br />

es zur Stärkung Wiesenkompott und Wiener Würstchen.<br />

<strong>Die</strong> Polizei stärkt sich. <strong>Die</strong> Frauen <strong>sind</strong> blau,<br />

Männer grün – oder rot. Oranger Blinker, Psychose<br />

seit zwanzig Jahren. Kapitalverbrechen jeden Sonntag<br />

in der Kirche, verängstigte Frauen, die um ihr<br />

Seelenheil bangen, das geistliche Personal jedoch<br />

ohne Erbarmen. Regen fällt und verdünnt ihre Empörung:<br />

Gott schafft das geistige Personal ab und<br />

das Kalb… Springfledermäuse al dente gekocht<br />

schwimmen in dem großen schwarzen Topf aufgedunsen.<br />

Heute ist ein großer Tag, sie werden serviert<br />

anlässlich des soundsovielsten Todestages des<br />

rumänischen Kardin<strong>als</strong>. Kriminalfall nennt man<br />

das. <strong>Die</strong> Gastronomie brummt. Hartnäckige Kardinäle<br />

mit Krummstock und Bleiketten, die getragen<br />

werden von ihren harten Nacken. Siegerfrauen<br />

mit großen Nasen und schwarzen Haaren, die beständig<br />

reden, die an der Käsetheke ungefragt einen<br />

111


tiefen Einblick in ihr Familienleben geben, der alle<br />

peinlich berührt, Verkäuferin und Kunden zugleich.<br />

Je größer die Nase, desto geschwätziger das Weib.<br />

„Bitteschön“, fragte die Verkäuferin und die<br />

schwarze Dame sprach: „Hundertfünfzig Gramm<br />

Bärlauchkäse für meinen Mann, der impotent ist.“<br />

48. Nirgendwo dabei sein, ausgestoßen, eine Null<br />

mit negativem Vorzeichen. Dass ich doch, um meine<br />

Beckenbodenmuskulatur zu stärken, einen<br />

Volkshochschulkurs Bauchtänzerei belegen solle,<br />

meinte sie, meine Gesangslehrerin, die mir auch<br />

schon empfohlen hat, Bachblüten zu nehmen.<br />

Bauchtänzerei <strong>als</strong> Mann? Meine Zweifel erschlug<br />

sie gleich im Voraus: Seien Sie ein Pionier, der erste<br />

Mann, der Bauchtänzerei betreibt. Dann können<br />

Sie sich auch sicher sein, dass viele Männerschwänze<br />

auf Sie warten. Sie <strong>sind</strong> doch bestimmt homosexuell,<br />

oder? Sagen Sie jetzt <strong>nichts</strong>, ich weiß es. An<br />

der Art, wie sie singen, habe ich erraten, dass sie<br />

homosexuell sein müssen. Lassen Sie Ihrer Ihnen<br />

nicht bewussten Homosexualität freien Lauf und<br />

stärken Sie Ihre Beckenbodenmuskulatur durch<br />

Bauchtänzerei. Aber wenn mir meine Homosexualität<br />

gar nicht bewusst ist, wie kann ich dann überhaupt…<br />

So zu denken, ist der erste Fehler! Glauben<br />

Sie einer erfahrenen Gesangslehrerin und akzeptieren<br />

Sie, dass Sie homosexuell sein müssen. Oder<br />

112


wollen Sie mit mir schlafen? Fellatio oder so. Und<br />

Ihre Augenbrauen – dass Sie die immer bis zum<br />

Himmel aufreißen, das ist ein sicheres Zeichen dafür,<br />

dass Sie alle Emotionen unterdrücken. Das ist<br />

dermaßen krankhaft, dass Sie alle Menschen, denen<br />

Sie begegnen, darauf hinweisen müssen, dass sie<br />

ein medizinisches Augenbrauenproblem haben. Ansonsten<br />

laufen die Ihnen schreiend weg. Und weil<br />

Sie keine Gesichter erkennen können – sagen Sie<br />

es! Sagen Sie es jedem! Wenn Sie an der Käsetheke<br />

<strong>sind</strong>, sagen Sie: „Grüß Gott, ich kann keine Gesichter<br />

erkennen. Seien Sie <strong>als</strong>o nicht verwundert, wenn<br />

ich Sie nicht erkennen kann und geben Sie mir bitte<br />

hundertfünfzig Gramm Bärlauchkäse.“ Sie werden<br />

sehen, wie sehr… <strong>Die</strong> Tür zuschlagen so laut, dass<br />

der Keller zusammenfällt, die Frau niederschreien<br />

und den Mieter sadistisch angrinsen. Ständig im<br />

Garten und Bescheid wissen, warum es mit<br />

Deutschland den Bach runter geht: wegen der Homosexualen<br />

und wegen den Ausländern, die „viel<br />

zu viele Kinder haben“. Klar, Herr R., der Vermieter,<br />

hat eine Arschlochfrisur, und Frau R., die Vermieterin,<br />

einen viel zu großen Hundekopf gekrönt<br />

mit gefärbtem Althaar. Wenn sie wieder im Garten<br />

herumrennen und herumklopfen und mähen, schneiden<br />

und beschauen und die Katze rufen. Da wird<br />

ein Gartenzaun renoviert, um abgerissen und durch<br />

eine Panzersperre ersetzt zu werden. Wegen der<br />

113


Nachbarn, wie sie sagen. <strong>Die</strong> Kinder spielen nämlich,<br />

erfahre ich. Und solange die Kinder noch frei<br />

herumlaufen und nicht rechtsmäßig verurteilt <strong>sind</strong>,<br />

muss man sich schützen, sagen sie. Nicht bedacht<br />

haben sie, dass der Feind in dem eigenen Haus<br />

hockt. Sie denken, der Mieter sei ein harmloser klerikaler<br />

Piepser, in Wirklichkeit hat er alle Waffen<br />

auf dem Küchentisch ausgebreitet und überlegt<br />

sich, ob er Frau R. köpfen oder Herrn R. erschießen<br />

soll. Axt und Beil liegen bereit, die Schusswaffe im<br />

Halfter. Wie sie sich mit Kissen bedecken, wie sie<br />

die Tischdecke glatt streichen! Ihr Tod steht unmittelbar<br />

bevor. Beschlossen, abgesegnet. Überall Homosexuale,<br />

sagen sie, und die Russen haben zu viele<br />

Kinder. Weiterhin nimmt die Weltverschwörung<br />

der Juden bedrohliche Formen an. Ganz Amerika<br />

sei durchseucht von diesen Juden. Nicht, dass man<br />

etwas gegen die Juden hätte – Gott bewahre! –, aber<br />

das muss auch gesagt werden können in einem demokratischen<br />

Land. Und die christdemokratische<br />

Partei wird endlich aufräumen mit dem ganzen Ge<strong>sind</strong>el<br />

im Dorf. Weil das muss man schon Adolf<br />

Hitler lassen: zu seiner Zeit gab es keine Verbrecher,<br />

die unsere Töchter belästigt haben, die hat er<br />

alle fortschaffen lassen, sagen sie. In dem Moment<br />

ergreife ich meine Luger, Kaliber 7,65 mm, und<br />

schieße dem Herrn R. ins Gesicht. Er blutet das<br />

Sofa voll, Frau R. denkt gleich ans Putzen, denn<br />

114


was sollen die Nachbarn von uns denken, sagt sie,<br />

wird aber von mir auch erschossen. Ich sage ihnen<br />

nicht, dass meine Luger zuvor einem Erzfaschisten<br />

gehört hat. Herr R. gurgelt vor sich hin, sein Gehirn<br />

habe ich verfehlt, sein Gesicht jedoch zerschmettert.<br />

Was nützt Ihnen nun Ihre Panzersperre, frage ich<br />

ihn, aber er antwortet mir nicht. Schlussendlich reiße<br />

ich Frau R. ihr verfaultes Herz aus ihrer Brust<br />

und werfe es der Katze zum Fraß vor. Ich steige in<br />

den grünen Mercedes von Herrn R. und fahre zur<br />

Kirche, um den Leichnam von der Pfarrerin zu<br />

schänden, die ein Bekannter von mir in der Sakristei<br />

umgebracht hat, beschließe aber im letzten Augenblick,<br />

sie doch nicht zu schänden, weil sie es gar<br />

nicht wert ist, geschändet zu werden. Ich gebiete<br />

meinem Bekannten, von dieser Frau endlich abzulassen<br />

– sie sei doch längst tot, sehe er denn das<br />

nicht? Er brauche nicht mehr zuzustechen, und außerdem<br />

werden die Gottesdienstbesucher langsam<br />

unruhig – und in den grünen Mercedes einzusteigen.<br />

Wir wollen nach Schweden fahren. Wir hören<br />

„O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhard<br />

und unterhalten uns über nichtatomare Zusammenhänge.<br />

<strong>Die</strong> Ghule tun das Ihrige, fressen an den<br />

frisch zurückgelassenen Leichnamen, bis irgendwann<br />

einmal <strong>nichts</strong> mehr von ihnen übrig bleiben<br />

wird. Auf unserer Fahrt nach Schweden begegnet<br />

uns mein Chef, der mit einem blauen Dreirad auf<br />

115


der Autobahn fährt. <strong>Die</strong> Energie des grünen Mercedes<br />

überwältigt den Chef und lässt Brei zurück. Wir<br />

fahren <strong>weiter</strong>. Mein Bekannter schießt immer wieder<br />

mal aus dem Fenster. Um Gott zu töten, wie er<br />

sagt. An Weihnachten wird an und Pfirsich Wein<br />

getrunken. Flug– und Feuerzeug. Lug und Trug.<br />

Bariumnitrat.<br />

49. In dem Königreich gab es keinen Klebstoff<br />

mehr. Das bedauerten sie sehr und lauerten in ihren<br />

Ecken wegen des großen Königs, der sich in dieser<br />

Gegend alle vier Jahre blicken ließ. Wien war in der<br />

Schlinge und ab heute ist die Wiese nicht mehr<br />

grün. Blaue Raben aßen und fraßen Lieses Linsengericht<br />

und vergaßen die schnöde Langeweile.<br />

Hüftknochen schweben in den Lüften und der große<br />

König kam mit dem großen Degen. Und die Panther<br />

lauerten in den Ecken. Der Deich war gebrochen<br />

und Jochen gab keinen Laut mehr von sich. Sie<br />

nickten in dieser Gegend ziemlich häufig, alle vier<br />

Jahre. Und das Geläute regte niemanden auf. Sie<br />

zersprengten sich in Teile und ihre Brocken flogen<br />

in die Lüfte, teils mal auch eine Hüfte. Ein grauer<br />

Panther kam mit der Liese, die Gas gab, um nicht<br />

die Häute zu beunruhigen. Samstags wurden die<br />

Flecken des Scheichs größer, weil er den Degen<br />

niem<strong>als</strong> erneuerte. Der Krieg gegen die Perser war<br />

ziemlich heftig und die Marmelade schmeckte<br />

116


ziemlich deftig. In dieser Gegend gab es <strong>nichts</strong> zu<br />

verlieren außer ein paar Brocken von gestern. Und<br />

der König kam mit seinem großen Degen. <strong>Die</strong> Lüfte<br />

saßen auf dem Floß und sie schwammen einer unbekannten<br />

Zukunft entgegen. So sagt man im Königreich,<br />

es sei ein Segen, dass es keinen Klebstoff<br />

mehr gab. Schneeflocken verbreiten Langeweile.<br />

Panther spielten mit den Raben und die Perser<br />

schauten zu mit all ihren Gaben. Vier Jahre flogen<br />

sie durch die Lüfte und der große König kam mit<br />

seinem Degen und trat auf die grüne Wiese. Das<br />

blaue Wasser floss hinab und verwandelte sich in<br />

Raben, die dem großen König dienten. Riemenschuhe<br />

hatten sie an und sangen flotte Lieder, obzwar<br />

sie der schnöden Langeweile nicht entkommen<br />

konnten. <strong>Die</strong> Wiese war ja auch nicht mehr<br />

Grün und alle Kälber gehäutet. Trocken die Sonne,<br />

würzig der Wein.<br />

50. Will man sich das eigene Schreiben unmöglich<br />

machen, dann frage man sich: Was soll ich schreiben?<br />

Sollte dies nicht ausreichen, dann frage man<br />

sich: Warum soll ich schreiben? Spätestens dann<br />

wird einem die Sinnlosigkeit eines jeglichen<br />

Schreibunterfangens bewusst werden, denn es<br />

könnte ja sein, dass man völlig grundlos schreibt.<br />

So sprach er zu mir. Aber seine Rede ist unsinnig,<br />

denn ich bin kein Schriftsteller und will auch keiner<br />

117


werden, das hatte er wohl vergessen, weswegen er<br />

dann auch begonnen hatte, mir Ratschläge bezüglich<br />

der Schriftstellerei zu geben. Ich sah mich in<br />

seinem Raum um. Klein und verfault war sein Altersheimzimmer,<br />

in dem er nun schon seit neun Jahren<br />

hauste. Ein paar alte Computer standen in der<br />

Ecke, ich saß auf einem rotzgrünen Sessel, er auf<br />

einem ebensolchen Sofa. <strong>Die</strong>ser alterfahrene<br />

Schriftsteller dachte, ein jüngerer Kollege hätte ihn<br />

besucht, dem er nun Ratschläge erteilen könne. Ich<br />

aber bin kein Schriftsteller, im Gegenteil, ich bin im<br />

Grunde genommen sein Schlächter, ich bin nämlich<br />

der Altenpfleger von der Station IV, die auch den<br />

Tiernamen Esel trug. Seine Insulinspritze hatte ich<br />

ihm gegeben, was wollte er noch? Zweihundert Patienten<br />

warteten noch darauf, dass ich ihnen ihre Insulinspritze<br />

gebe. Aber ich widersprach ihm nicht,<br />

ich wusste, dass er dement war und dass es folglich<br />

sinnlos war, ihm zu widersprechen. Ich sei Torsten,<br />

behauptete er immer wieder, ich sei doch der große<br />

Herr Torsten, der schon seit vierzig Jahren an einer<br />

Schreibblockade litt. <strong>Die</strong>se Schreibblockade wolle<br />

er mir gründlich austreiben, sagte er und furzte. Seine<br />

Scheiße sickerte in dieses rotzgrüne Sofa ein, ich<br />

nahm das hin und tat <strong>nichts</strong>, obwohl ich der Pfleger<br />

bin. Seit neun Jahren hauste er nun in diesem Loch,<br />

Station IV, die Esel. Und ich seit sechs Jahren Pfleger,<br />

sein Pfleger, der Pfleger <strong>weiter</strong>er zweihundert<br />

118


Menschen, die alt waren, aber nicht daran dachten<br />

zu sterben. Wodka und Insulin war das einzige, wonach<br />

diese alten Menschen verlangten, ob man sie<br />

wickelte oder nicht, war ihnen egal, ja eigentlich sogar<br />

scheißegal. Und da pupste der Alte mich an, die<br />

Scheiße floss durch das rotzgrüne Sofa auf den<br />

orangen Teppich. Was soll ich schreiben, sagte er,<br />

sei eine überflüssige Frage, denn man schreibt ja<br />

automatisch immer etwas, das könne man ja auch<br />

gar nicht verhindern, höchstens dadurch, dass man<br />

sich frage, was man schreiben soll. Dann erst bekäme<br />

man Angst, es könne einem <strong>nichts</strong> einfallen.<br />

Man wird sich bewusst, dass es möglicherweise gar<br />

<strong>nichts</strong> gibt, worüber man schreiben könne. Und die<br />

tödlichste aller Fragen: Warum schreibe ich? Fragt<br />

man sich diese Frage, dann fragt man sich, ob das<br />

eigene Schreiben in irgendeiner Weise autorisiert<br />

sei, was man selbstverständlich verneinen müsse,<br />

denn kein Gott und kein Mensch hat einen jem<strong>als</strong><br />

autorisiert, das zu schreiben, was man schreibt, im<br />

Gegenteil: alle Menschen und alle Götter <strong>sind</strong> dagegen,<br />

dass man überhaupt irgendetwas schreibt.<br />

Schreiben ist ziel- und sinnlos, sagte er. Und was<br />

immer auch man schreibe, es sei grundsätzlich und<br />

in jeder Hinsicht f<strong>als</strong>ch. Da starb er plötzlich, der<br />

Alte, die Insulinspritze ragte noch aus seinem<br />

Bauch. So ließ er mich im Stich, was ich allerdings<br />

nicht bedauerte. Wie schlimm ist es, für einen<br />

119


Schriftsteller gehalten zu werden, ohne es zu sein.<br />

Nein, mein Schock saß nicht tief, seinen Tod habe<br />

ich einfach so hingenommen. Ich schaute mich<br />

noch mehrm<strong>als</strong> in seinem Zimmer um und stand<br />

auf. Ich dachte an meinen Mord: Herr R. hätte nicht<br />

sagen sollen, dass er es pervers fände, in einem<br />

warmen Zimmer zu schlafen, wie ich es täte. Hätte<br />

er bloß nicht gesagt, dass er in einem warmen Zimmer<br />

nicht schlafen könne und alle für Perverse hielt,<br />

die in einem warmen Zimmer schlafen können,<br />

dann könnte er heute noch leben. Aber so hatte er<br />

sein eigenes Todesurteil ausgesprochen. Plötzlich<br />

fiel mir ein Traum ein: Wie ich immer im Winter<br />

im Freien lief, in Orten und auf Straßen und es ist<br />

dunkel und die Leute <strong>sind</strong> alle nicht ansprechbar,<br />

obwohl ich sie alle sehen kann. Sicherlich gab es<br />

nie viele Leute in diesem Traum, aber immerhin<br />

doch so viele... Aber ich hatte keine Schnittmenge<br />

mit denen! Unaufhörliches Gehen im Winter. Und<br />

Kinder habe ich nicht. Ich schloss die Tür, verließ<br />

den Alten, der gerade gestorben ist und mich zeitlebens<br />

für einen Autor gehalten hat. Auf dem Flur begegnete<br />

ich Erdmute, eine Hilfskraft. Sie grüßte<br />

mich nicht, weil ich ein geistig Verschnittener sei.<br />

Arrogant reckte sie ihr Kinn in die Höhe. Im gebärfähigen<br />

Alter wäre sie, ledig ebenfalls. Aber Kinder<br />

wolle sie keine von mir. So lief sie an mir vorbei,<br />

schaute die Leuchtstoffröhren an, die an der Decke<br />

120


ihren Platz hatten. Der Alte ist gestorben, rief ich<br />

ihr hinterher. Ich rieche es, sagte Erdmute und verschwand<br />

hinter der Ecke. Nun war ich allein. Kinder<br />

habe ich nicht. Der Tod überschattete mein Leben.<br />

Umgekippte Sonnenblumen lagen vor meinen<br />

Füßen. Da sah ich, wie Strahlen ausgingen vom<br />

Fernseher, der im Aufenthaltsraum stand. Es waren<br />

Strahlen des Heils, die die Luft durchschnitten und<br />

mich erreichten. Nicht, Kunigunde, schrie ich,<br />

durchschreite nicht die Strahlen des Heils! Aber<br />

Kunigunde verstand mich nicht und blieb jetzt sogar<br />

stehen. <strong>Die</strong> Verbindung war unterbrochen, ich wand<br />

mich in Schmerzen, Kunigunde schaute mich fassungslos<br />

an. Kunigunde, tu deinen <strong>Die</strong>nst und geh<br />

<strong>weiter</strong>, keuchte ich auf dem Boden liegend. Kunigunde<br />

blockierte mit ihrem Körper die Strahlen des<br />

Heils, die vom Fernseher ausgingen. Ich glaubte,<br />

sterben zu müssen. Kunigunde rannte davon, schreiend.<br />

Und warm umspielten mich wieder die Strahlen<br />

des Heils. Ich lächelte, stand aber nicht mehr<br />

auf vom Boden, blieb einfach liegen und ließ mich<br />

von den Strahlen des Heils wärmen. Aber ich spürte,<br />

wie sich digitaler Unmut im Flur ausbreitete. Der<br />

Tod, der Alte! Seine Computer, die im Zimmereck<br />

lagen, habe ich nicht berücksichtigt. Immer noch digitalisierten<br />

diese Eckcomputer die Welt. Ich schrie.<br />

<strong>Die</strong> Strahlen des Heils wurden von mir abgelenkt<br />

und schlussendlich abgesaugt. Ich litt Qualen. Und<br />

121


ein blauer Mann kam auf mich zu. Nicht, schrie ich.<br />

Aber ich wurde nicht gehört. Der blaue Mann<br />

schlug mich nieder, mein Kopf prallte gegen die<br />

Wand. Kunigunde und Erdmute… Aber dann wachte<br />

ich wieder auf – in der grauen Irrenanstalt. Zebrafinken<br />

starrten mich an. Sie saßen auf dem Fensterbrett<br />

und unterhielten sich über mich. Hellweißes<br />

Licht strömte aus diesem Fenster über die tuschelnden<br />

Köpfe der Zebrafinken hinweg. Ich bemerkte<br />

die gelbe Flasche, die an einem Tropfer aufgehängt<br />

worden war. Mir wurde eine Limonadeninfusion<br />

gelegt, dachte ich. Und im Traum sah ich mich in<br />

der Kirche auf einer Kloschüssel hocken. Gottesdienstbesucher<br />

liefen an mir vorbei, während ich<br />

meine Würste in die Schüssel drückte. Und ein<br />

Brummen wurde immer lauter, ich begann mich im<br />

Kreis zu drehen, meine Würste flogen in alle Himmelsrichtungen,<br />

ich drehte mich immer schneller,<br />

das Brummen wurde immer lauter. Und ich selbst<br />

sah mich. Den Schuft bringe ich um, dachte ich,<br />

und tat es auch. Aber dann wachte ich wieder auf –<br />

in der grauen Irrenanstalt und sah nur den Oberarzt<br />

über mich gebeugt. Sie <strong>sind</strong> <strong>als</strong>o der berühmte Herr<br />

Soundso, sprach mich der Oberarzt an. Ich nickte.<br />

Was haben denn heute die Zebrafinken zu Ihnen gesprochen,<br />

wollte der Oberarzt wissen, aber ich gab<br />

ihm keine Antwort. Darauf zu einer Krankenschwester:<br />

Ab sofort die doppelte Dosis Ritalin. <strong>Die</strong><br />

122


Nackte nickte und verabreichte mir eine Dosis. Ich<br />

schlief ein.<br />

51. Als der geselchte Popbub zum Weiberrainer<br />

ging, wurde er von vielen Verdachtsdepressiven<br />

überrascht, die blind über die Wiese gingen, um so<br />

für den Sinn des Lebens offen zu werden. Der geselchte<br />

Popbub setzte sein Kinderschokoladenlächeln<br />

auf, denn er wusste, dass er nur so den Weiberrainer<br />

an seinen Dauererziehungsauftrag erinnern<br />

konnte, den er an ihm ausüben sollte. Der geselchte<br />

Popbub war es gewohnt, Kukuruzsäcke zu<br />

schleppen. In letzter Zeit war der Weiberrainer depressiv,<br />

nicht etwa verdachtsdepressiv, sondern so<br />

richtig depressiv, denn es hatte ihn ein Weib verlassen.<br />

Deswegen begann er sich mit Philosophie zu<br />

beschäftigen, und die Anwesenheit des geselchten<br />

Popbuben war ihm auch ganz recht, denn so konnte<br />

er besser seine innere Leere überbrücken, die die<br />

Weiber in ihm hinterlassen hatten. Der geselchte<br />

Popbub in seiner Kinderschokoladenexistenz war<br />

eine Kuriosität, denn nie verging ihm sein Kinderschokoladenlächeln,<br />

immer hatte er es parat, so wie<br />

andere ihr Gebiss oder ihre Lesebrille parat hatten.<br />

Der geselchte Popbub trank gerne Bananenmilchshakes<br />

mit viel Zucker und wenig Eis. Er war eine<br />

Kuriosität, weil er alle Verbrechen der Welt beging,<br />

dies aber mit einer Heiterkeit ertrug. Wir <strong>sind</strong> an-<br />

123


ders <strong>als</strong> der geselchte Popbub: Kaum haben wir eine<br />

Oma beklaut, wünschen wir uns schon einen Strick,<br />

an dem wir uns aufhängen können. Nicht so der geselchte<br />

Popbub: Das war die Kuriosität, dass er nie<br />

ein schlechtes Gewissen hatte, es auch gar haben<br />

nicht konnte.<br />

52. Ich schrie auf. Der geselchte Popbub wollte ich<br />

nicht sein. Was für ein schrecklicher Traum! Ich<br />

dachte sofort an den Wellensittich, den ich zerquetscht<br />

hatte. Vor Angst gestorben. Ich schaute<br />

mich in meinem Zimmer um und versicherte mich,<br />

dass ich alleine war und kein Oberarzt da. Mein<br />

Blick fiel zuerst aufs Mischpult. Dann sah ich das<br />

Volk, das mir mit Gewaltanwendungen drohte. In<br />

meiner Hilflosigkeit injizierte ich mir zehn Milliliter<br />

Sauerstoff. Kompliziert. Ein Todestraum ging<br />

mir auf: Ihre Blicke ernten die Glasblumen.<br />

124

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