KULTUR//RUHR - Kulturnews
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BÜHNEN // <strong>RUHR</strong><br />
Anselm Weber (*1963 in München) studierte<br />
Germanistik, Anglistik und Philosophie in Berlin.<br />
Er war Regieassistent an den Münchner Kammerspielen<br />
und freier Regisseur unter anderem am<br />
Schauspielhaus Hamburg, in Frankfurt und Wien.<br />
Von 2005 bis 2010 war er Intendant am Grillo Theater<br />
in Essen, seither leitet er das Schauspielhaus Bochum.<br />
Seit 1999 inszeniert Weber auch Opern<br />
Foto: Diana Küster<br />
Kultur//Ruhr: Herr Weber, seit acht Jahren sind Sie Theaterleiter<br />
im Ruhrgebiet, zunächst in Essen, seit 2010 in Bochum. War<br />
das eine bewusste Entscheidung für die Region?<br />
Anselm Weber: Zu Anfang nicht. Nach Essen zu gehen, das war<br />
eine Entscheidung, die daraus entstanden ist, dass mein Team<br />
vor nehmlich im Ruhrgebiet arbeiten wollte. Die Entscheidung,<br />
von Essen nach Bochum zu gehen, war dann der Entwicklung<br />
in Essen geschuldet, dem zunehmenden Spardiktat.<br />
Kultur//Ruhr: Was heißt das denn für Sie: Ruhrgebiet?<br />
Weber: (sehr lange Pause) Tja. Das ist ne gute Frage … Das<br />
Ruhr gebiet ist erstmal ein sehr spezieller Lebensentwurf, der<br />
von außen anders wahrgenommen<br />
wird, als sich die Realität tatsächlich<br />
abspielt. Damit meine ich im<br />
Speziellen, wie unterschiedliche<br />
Communities und Menschen hier<br />
zusammenleben – und wie sie das<br />
trotz der ökonomischen Situation<br />
eigentlich sehr friedlich tun. Ich<br />
finde das eine große soziale Leis tung,<br />
dass diese in der Summe benach -<br />
teiligte Region es trotzdem immer<br />
schafft, Lebensentwürfe zu entwickeln,<br />
die für andere Bereiche und<br />
andere Regionen Vorbild sein können.<br />
Die Schwierigkeit des Ruhrgebiets ist sicher die Dis kre -<br />
panz: Dass man von außen kommend denkt, die müssten doch<br />
alle an einem Strang ziehen. Und dann stellt man fest, dass dem<br />
nicht so ist, dass es über weite Strecken ein sehr ausgeprägtes<br />
Kirchturmdenken gibt.<br />
Kultur//Ruhr: Haben Sie nach acht Jahren eine Antwort, warum<br />
das so ist?<br />
Weber: Das sind Tabuthemen. Auch wenn Sie in größeren politischen<br />
Zusammenhängen fragen, wieso niemals überlegt wurde,<br />
das gesamtheitlicher zu denken, werden Sie immer darauf verwiesen,<br />
dass das schon immer so war. Da geht es dann ins letzte<br />
Jahrhundert und weit darüber hinaus, zu bistümlichen Grenzen<br />
und weiß der Teufel was.<br />
Kultur//Ruhr: Sie hatten vorhin angedeutet, dass Sie Essen wegen<br />
der Sparanforderungen verlassen hätten. Als Sie dann nach<br />
Bochum gingen …<br />
Weber: … bin ich in finanzieller Hinsicht vom Regen in die<br />
Traufe gekommen, genau.<br />
Die lebende<br />
Bibliothek<br />
Der wichtigste Theatermacher des Reviers ist ein Zugezogener:<br />
Anselm Weber, Intendant in Bochum.<br />
Interview: Katharina Grabowski und Falk Schreiber<br />
Kultur//Ruhr: Darauf will ich gar nicht hinaus. Sondern:<br />
Weswegen wechselt man in eine Stadt, die gerade mal 15 Kilo -<br />
meter entfernt ist? Inwiefern ist Bochum anders als Essen?<br />
Weber: Na ja, das Theater in Bochum ist wirklich anders als das<br />
in Essen. Das Schauspielhaus Bochum hat nachweislich eine der<br />
größten Traditionen im europäischen Sprechtheater, und das ist<br />
in Essen nicht so. Inwiefern die Stadt anders ist? In Bochum<br />
habe ich diesen schönen Spruch gelernt: Du kommst quasi aus<br />
dem Rheinland! Das eigentliche Ruhrgebiet beginnt in Bochum,<br />
die westfälische Hochburg, das sind schon wir! Die Essener ge -<br />
hören gefühlt zum Rheinland. Das sind so die Dinge, die man<br />
als Außenstehender lernen muss.<br />
Und darüber hinaus sind die<br />
Städte in ihrem Charakter sehr<br />
unterschiedlich. Essen ist eine<br />
Stadt, die im Strukturwandel vielleicht<br />
ein Stückchen weiter vorne<br />
ist, und Bochum ist eine Stadt, die<br />
gerade extrem gezeichnet ist durch<br />
verschiedene Formen der öko -<br />
nomischen Krise und da sicher<br />
anders kämpfen muss als Essen …<br />
Wobei Essen jetzt auch nicht das<br />
Paradies ist. Es gibt diesen Spruch,<br />
der früher vielleicht mal gestimmt<br />
hat: Essen ist die Stadt der Schreibtische, und in Bochum<br />
wird malocht.<br />
Kultur//Ruhr: Sie haben einmal gesagt, Bochum sei eine Theater -<br />
stadt, für die man ein Gefühl entwickeln müsse.<br />
Weber: Eine Besonderheit ist, dass dieses Publikum ein großes<br />
Gedächtnis hat, ein großes Traditionsbewusstsein. Es gibt einen<br />
Teil des Bochumer Publikums, der schon sehr lange hier ins<br />
Theater geht, seit Schaller, Zadek und Peymann sehr viel ge -<br />
sehen hat und die Erinnerung an diese Aufführungen mit sich<br />
trägt, auch die historische Entwicklung. Und damit hat man im<br />
Grunde so etwas wie eine lebende Bibliothek. Dieses Bewusst sein<br />
über die Tradition ist ein sehr spezielles Bochumer Merkmal.<br />
Auch der Abgleich; da wird schon verglichen. Die Bindung des<br />
Bochumer Publikums hat sehr stark mit der Identifikation mit<br />
den Schauspielern zu tun, und ich würde sagen, man kann es<br />
verknappt beschreiben: Es dauert, bis die Bochumer die Schau -<br />
spieler ins Herz geschlossen haben. Wenn sie sie dann mögen,<br />
dann mögen sie sie sehr.<br />
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