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KULTUR//RUHR - Kulturnews

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Helge Schneider (*1955 in Mülheim an der Ruhr) ist seiner<br />

Heimatstadt Zeit seines Lebens treu geblieben. Heute wohnt er<br />

auf einem Bauernhof außerhalb von Mülheim.<br />

Der Pointenversemmler und Antikomiker Schneider wurde<br />

durch seinen Mix aus Klamauk und anspruchsvollem Jazz<br />

bekannt, ist darüber hinaus aber noch als Moderator,<br />

Schriftsteller, Drehbuchautor, Komponist und Studiomusiker in<br />

Erscheinung getreten. Von Christoph Schlingensief lernte er das<br />

Handwerkszeug, um eigene Filme zu drehen, in denen er immer<br />

auch Hautpdarsteller ist. Aktuell ist Helge Schneider mit der Tour<br />

„With Love in my Fingers“ auf Tour. Anfang August erschien seine<br />

CD „Sommer, Sonne, Kaktus!“. Am 10. Oktober startet sein Film<br />

„00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ in den Kinos.<br />

Foto: meine Supermaus GmbH<br />

Nachbar gegenüber eingezogen und hat einfach immer geklagt,<br />

es sei zu laut. Der hat gewonnen, das Ding ist zugemacht worden.<br />

So geht es vielen Clubs. Die City ist leer! Und da, wo Kultur<br />

früher auch stattgefunden hat, in Kneipen zum Beispiel, da hat<br />

mal jemand auch so Gitarre gespielt oder Klavier oder Trompete.<br />

Oder ein Bergarbeiterblasorchester ist durch die Stadt marschiert.<br />

Dat siehste nicht mehr, das ist weg!<br />

Kultur//Ruhr: Jetzt sind wir schon zehn Minuten im Gespräch<br />

und noch ganz negativ.<br />

Schneider: Wir sind total negativ. Und pass auf: Positiv an dem<br />

Ganzen aber ist, dass man bis zehn Uhr 96 Dezibel laut sein<br />

kann. Das ist etwa so laut wie ein mittleres Motorrad. So, jetzt:<br />

Themawechsel.<br />

Kultur//Ruhr: Ja, Positives übers Ruhrgebiet!<br />

Schneider: Das Positive am Ruhrgebiet sind die Menschen. Und<br />

mittlerweile auch das noch immer erhaltene Bewusstsein der<br />

Bescheidenheit. Ich bin hineingewachsen in diese Gesellschaft,<br />

da war das richtig noch Kohlenpott. Wäsche aufgehängt, dann<br />

war die nach zwei Stunden schwarz. Weil da so viele Hütten<br />

waren, Eisenhütten, Bergwerke und so weiter. Kohlestaub überall.<br />

Und von den Menschen, die da wohnten, kamen ganz viele<br />

aus Polen, Tschechei, Russland und haben sich vermischt mit<br />

der Bevölkerung im Ruhrgebiet, und das waren alles Menschen,<br />

die viel gearbeitet haben. Für Stahl zum Beispiel. Das Ruhr gebiet<br />

wurde ja immer verächtlich Kohlenpott genannt. In den 60er-<br />

Jahren noch, auch in den 70ern.<br />

Kultur//Ruhr: Das ist aber nicht mehr so. Die Zechen wurden still -<br />

gelegt und zu Kulturstätten oder Freizeit anlagen umgewandelt.<br />

Schneider: Trotzdem, die Mentalität dieser Menschen, die damals<br />

gedacht haben: Wir sind irgendwie nix! Die ist immer noch<br />

erhalten. Bei den Ureinwohnern. Das heißt: Man ist nicht arrogant.<br />

Man ist schon offen, man ist weltoffener als in manch<br />

anderen Gebieten. Und das ist das Schöne am Ruhrgebiet.<br />

Kultur//Ruhr: Können Sie mit den umgewandelten Zechen<br />

etwas anfangen?<br />

Schneider: Ich fand das immer so ein bisschen schickimicki. Mit<br />

der Brechstange auch so ein bisschen die Kultur da reingebrochen.<br />

Aber es hat schon ne tolle Atmosphäre, wenn du in einem ehemaligen<br />

Stahlwerk plötzlich Sonny Rollins siehst. Das hat Sonny<br />

Rollins auch selber gesagt. Das sei ein Ort, wo er gerne noch<br />

einmal wiederkommen würde. In Deutschland wollte er nicht<br />

spielen, aber in der Bochumer Zeche und in Hamburg. Die alten<br />

Dinger hatten so einen Charme von der Baustruktur her, viele<br />

wurden dann auch unter Denkmalschutz gestellt, und das war gut.<br />

Kultur//Ruhr: Auf der Homepage der Wirtschaftsförderung<br />

Metropolruhr GmbH werden Sie als Ruhr-Juwel geführt.<br />

Nennen Sie mir doch mal Ihre Perlen des Ruhrgebiets.<br />

Schneider: Die Ruhr selber. Die Natur natürlich. Die Brom -<br />

beeren. Die Überwucherung. Gut ist: Zwischen den Städten gibt<br />

es ein Abkommen, da gibt es immer Naturschutzgebiete. Da ist es<br />

gut. Dann: Wo ehemals Zechenbahnen gefahren sind, sind jetzt<br />

überall Fußgängerwege. Oder Fahrradwege. Du kannst von Essen<br />

nach Oberhausen mit dem Fahrrad fahren auf schönen Wegen.<br />

Kultur//Ruhr: Sie haben jetzt nichts aus dem Kulturbereich im<br />

engeren Sinn genannt. Ist Ihnen das aufgefallen?<br />

Schneider: Doch, das ist ja Kultur. Kultur ist nicht nur, dass es<br />

irgendwo ne Stadthalle gibt. Wo Menschen, die sonst nie rausgehen,<br />

sich dann samstags da hinsetzen und ein Konzert anhören.<br />

Ihre Leute nicht kennen, mit denen sie da noch sitzen. Und<br />

dann wieder zu Hause sind und die Büchse Bier aufmachen. Weil:<br />

Man geht ja nicht mehr in ne Kneipe. Das ist für mich keine<br />

Kultur. Kultur ist: rausgehen, Menschen treffen, etwas machen,<br />

etwas entstehen lassen. So ist ja auch Jazz entstanden! Oder auf<br />

Beerdigungen, von mir aus auch da. Kultur kann man nicht<br />

kaufen, Kultur kann nur entstehen. Man kann sie machen. Und<br />

Plätze, auf denen man Kultur machen kann, gibt’s natürlich<br />

genug. Aber erstmal muss man dahin kommen. Und wo sind<br />

die Plätze? Das meinte ich von Anfang an, denn das Gespräch<br />

hat angefangen mit diesen Fußgängerzonen und diesen<br />

Bauwerken. Dort wird Kultur zerstört.<br />

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