Nr. 57 - Soziale Welt
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2<br />
P O L I T I K<br />
Schnell fertig ist der Guido mit dem Wort……<br />
„Du sollst das Wort aus dem Koalitionsvertrage<br />
stets unnützig im Munde führen,<br />
damit es dir gut gehe und du Karriere<br />
machst auf Erden“. So das Credo jedes<br />
Koalitionspolitikers. Wir haben die sozialen<br />
Aussagen aus den Koalitionsversprechen<br />
von Rot/Grün veröffentlicht<br />
(nichts davon wurde gehalten, es folgte<br />
die unsozialste Regierung, die Deutschland<br />
jemals hatte), die von Schwarz-Rot<br />
(nur heiße Luft, nichts getan) und nun<br />
ist Schwarz-Gelb dran.<br />
…. Doch hart im Raume stoßen sich die<br />
Sachen. Aus klarer Geldnot wird erst einmal<br />
nichts getan, sondern man ist überein gekommen,<br />
die Steuerschätzung abzuwarten<br />
– als ob es da zu überraschendem Reichtum<br />
kommen könnte. Aber eins nach dem Anderen<br />
– erst einmal die lange Liste der Versprechungen<br />
und Pläne.<br />
Teil III des Koalitionsvertrages trägt den<br />
Titel „<strong>Soziale</strong>r Fortschritt durch Zusammenhalt<br />
und Solidarität“. Sehr schöne Prosa<br />
auf 30 Seiten Text, aber inhaltlich dünn<br />
und überaus ausufernd – schöne Worte für<br />
alles von Altersvorsorge über Integration bis<br />
zu absoluten Nichtigkeiten wie inhaltsleere<br />
Unterstützungsaussagen für die Olympiade<br />
2018 in München. Das meiste sagt nichts,<br />
den überwiegenden Rest braucht keiner und<br />
der Rest müsste erläutert werden, damit man<br />
versteht, was wirklich die Kosequenzen sein<br />
können.<br />
Beispiel Ehe und Familie: hehre, aber hohle<br />
Worte über die hohe Bedeutung der Familie,<br />
ein Lippenbekenntnis zu mehr Kindern<br />
durch günstigere Rahmenbedingungen für<br />
Familien. Oder in dürren Worten: ab 2013<br />
ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 €,<br />
ggfs. als Gutschein. (N.B.: Die Familienministerin<br />
der letzten Regierung liebt zwar die<br />
Gutscheinregelung, aber die ist klar verfassungswidrig.)<br />
Und Ausdehnung des Teilelterngeldes<br />
auf bis zu 28 Monate.<br />
Im Bereich Jugendliche wird eine Mini-<br />
Reform im Kinder- und Jugendhilfesystem<br />
angekündigt. Dito eine Aufarbeitung der<br />
Die tun was<br />
Schutzbestimmungen unter Berücksichtigung<br />
der europarechtlichen Vorgaben (das ist<br />
ohnehin Pflicht und damit eine Leerausage).<br />
Ganz konkret wird angekündigt, die Höchststrafe<br />
für Mord im Jugendstrafrecht auf 15<br />
Jahre Jugendstrafe zu erhöhen, eine sinnlose<br />
Verbeugung vor populistischen Schreihälsen.<br />
Die Senioren sollen besser eingegliedert,<br />
die Lohnunterschiede zwischen Mann<br />
und Frau durch ein „beratungsunterstütztes<br />
Lohntestverfahren“ abgebaut werden – mehr<br />
Bürokratie mit zweifelhaftem Ergebnis. Im<br />
Bereich Integration wird die Bedeutung der<br />
Deutschkenntnisse der Migranten hervorgehoben<br />
– und gleich wieder untergraben, weil<br />
die Orientierungskurse zwar stundenmäßig<br />
aufgestockt werden, aber für Kenntnisse über<br />
„die Funktionsweise unseres demokratischen<br />
Rechtsstaats“ gewidmet werden sollen. Um<br />
die gelüste der Bürokraten zu befriedigen,<br />
soll das Instrument eines Integrationsvertrages<br />
geschaffen werden. Und schließlich:<br />
„Droht wegen mangelnder Deutschkenntnisse<br />
der Eltern eine Beeinträchtigung des<br />
Kindeswohls, soll … eine Verpflichtung zur<br />
Teilnahme am Integrationskurs möglich<br />
sein.“ Der Schulbesuch von Kindern von<br />
Menschen mit ungeklärter Aufenthalts- oder<br />
Bleiberechtsregelung soll erleichtert werden,<br />
was bitter notwendig ist. Dafür werden die<br />
Leistungen für Asylbewerber „in Hinblick<br />
auf das Sachleistungsprinzip“ evaluiert werden.<br />
Heißt: Gutscheine statt Bargeld.<br />
Ehrenämter sollen gestärkt und von Bürokratie<br />
und Haftungsrisiken entlastet werden,<br />
ebenso sollen die Angebote für das Freiwillige<br />
<strong>Soziale</strong> Jahr ausgeweitet werden. Doch dunkel<br />
ist der Rede Sinn im Bereich Zivildienst:<br />
„Die künftige Struktur der Wehrpflicht wird<br />
sich im Zivildienst widerspiegeln“. Könnte<br />
es sein, dass die Wehrpflicht wider besseres<br />
Wissen nur noch aufrechterhalten wird, damit<br />
der für die sozialen Einrichtungen so bedeutsame<br />
Zivildienst nicht kippt?<br />
<strong>Soziale</strong> Hilfe und Sozialversicherungen<br />
Die FDP nämlich. Für ihre Mitglieder. Mit der DKV wurde ein Gruppenvertrag geschlossen,<br />
wonach FDP-Mitglieder private Krankenversicherungen zu Sonderkonditionen abschließen<br />
können. Heftige Erregung bei anderen Parteien, allerdings Theaterdonner, weil<br />
solche Gruppenvereinbarungen absolut legal und durchaus üblich sind, nicht nur für Krankenversicherungen.<br />
Ähnliche Vereinbarungen zwischen Anbietern und Berufsgruppen sind<br />
gang und gäbe: Von den Anglern und Jägern bis zu den Pfarrern und Bestattungsunternehmern<br />
gibt es solche Verträge. Jawohl – auch für Journalisten. Für Beamte sowieso. Nur – die<br />
FDP ist die einzige Partei, die bislang so etwas abgeschlossen hat. Und der Zeitpunkt war<br />
wieder einmal Fettnäpfchen vom Feinsten: Während Bürger Normalverbraucher gerade<br />
seine Post öffnet und 8 € im Monat mehr bezahlen soll als erste Aktion der Koalition in Sachen<br />
Gesundheitspolitik, winkt dem FDP-Mitglied ein besserer Tarif. Klientelpolitik oder<br />
nur politische Blindheit? Man urteile selbst.<br />
RS<br />
Wir von der <strong>Soziale</strong>n <strong>Welt</strong> haben stets<br />
dagegen gekämpft, die Unterstützung von<br />
Arbeitslosen als soziale Leistung zu betrachten.<br />
Arbeitslosigkeit ist die Folge verfehlter<br />
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Unterstützung<br />
ist somit dem Bürger geschuldet<br />
und zwar ohne Diskussion um Fördern und<br />
Fordern (sollte wahrheitsgemäßer Düpieren<br />
und Drangsalieren heißen). Richtigerweise<br />
beginnt diese Passage der Koalitionsvereinbarung<br />
auch mit der Arbeitsmarktpolitik. Leider<br />
ist dies Kapitel wachsweich ausgefallen.<br />
Neue Lösungsansätze sollen geprüft werden,<br />
wie „Bürgerarbeit“ oder Vermittlungsscheine<br />
ab Beginn der Arbeitslosigkeit – kleine<br />
Schritte in ungewisse Richtung. Die Hinzuverdienensmöglichkeiten<br />
sollen verbessert<br />
werden, der Freibetrag für das Schonvermögen<br />
„wesentlich“ erhöht werden – auf stolze<br />
750 Euro pro Lebensjahr. Die selbst genutzte<br />
Immobilie soll umfassend geschützt werden.<br />
Wieder eine Reihe kleiner Schritte in<br />
die richtige Richtung, die aber sofort große<br />
Fragen aufreißt. Was ist mit denen, die man<br />
schon um ihr Häuschen gebracht hat? Noch<br />
keine Antwort<br />
Eine Strukturreform wird angekündigt,<br />
um Länder und Kommunen zur Anstellung<br />
von Langzeitarbeitslosen einzuspannen. Das<br />
gipfelt in einem „Mustervertrag“ und der<br />
gleichzeitigen Ankündigung einer bürgerfreundlichen<br />
Verwaltung. Man darf gespannt<br />
sein, wie sich dieser Widerspruch in sich<br />
selbst auflösen kann.<br />
Kosten für Unterkunft, Energie- und Nebenkosten<br />
sollen überprüft und pauschalisiert<br />
werden, um Transparenz und Rechtssicherheit<br />
zu erhöhen. Ziel ist es, der Klageflut<br />
gegen Hartz IV-Bescheide die rechtliche<br />
Basis zu entziehen. Ob sich das für die sehr<br />
strapazierten Geldbeutel der Leistungsempfänger<br />
positiv oder negativ auswirken wird,<br />
muss sich erst noch herausstellen. Eine Zusammenfassung<br />
der Sozialleistungen soll<br />
angestrebt werden – hier hat die FDP das<br />
Wort „bedarfsorientiertes Bürgergeld“ eingeschmuggelt.<br />
Dabei wird es wohl auch bleiben,<br />
zumindest für diese Legislaturperiode.<br />
Noch einige andere lang überfällige Regeländerungen<br />
sind angekündigt: Verbesserung<br />
bei Erwerbsminderung, Stabilisierung<br />
in der Künstlersozialversicherung, endlich<br />
die Durchsetzung der UN-Konvention über<br />
die Rechte von Menschen mit Behinderungen.<br />
Die Altersarmut soll bekämpft werden –<br />
vorerst allerdings nur durch einen Vorschlag.<br />
Einzige „harte“ Aussage: „Wir führen in dieser<br />
Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem<br />
in Ost und West ein.“<br />
Schöne Aussagen und schöne Aussichten<br />
– wäre da nicht die Gewissheit, das dies alles<br />
nur in einer Wirtschaft mit deutlichem<br />
Wachstum durchführ-, weil finanzierbar<br />
ist. Doch von dem erwünschten deutlichen<br />
Wachstumsschub ist noch nichts zu sehen.<br />
RS<br />
(Bildquellen dpa, rp)<br />
Amerikanische<br />
Verhältnisse<br />
Schwarz/Gelb oder besser Gelb/<br />
Schwarz, denn die Initiative und der<br />
Drive bei der neuen Regierungskoalition<br />
liegt eindeutig bei der FDP, hat was<br />
Neues: Man orientiert sich wissentlich<br />
oder unwissentlich an den USA. Leider<br />
an den schlimmsten Auswüchsen<br />
der US-amerikanischen Politik, dem<br />
Give-and-Take im Kapitol. Das geht so:<br />
Man nehme das Lieblingsthema eines<br />
großen Teil der einen Partei, verbinde es<br />
– natürlich ohne jeden logischen Bezug<br />
– mit dem Lieblingsthema der anderen<br />
Partei und hat wunderbarerweise einen<br />
Gesetzesentwurf. Den versteht zwar keiner,<br />
aber das macht nichts. Nun eines<br />
macht noch was: Man braucht einen publikumswirksamen,<br />
zugkräftigen Titel. Ist<br />
der gefunden, kann man der Verabschiedung<br />
durch ein schläfriges Parlament sicher<br />
sein und ebenso des Beifalls der Presse,<br />
die nur auf Präsentation und schönen<br />
Schein achtet und nicht auf Inhalte. So<br />
regiert man erfolgreich. Und manchmal<br />
kommt sogar etwas Sinnvolles dabei raus.<br />
Die Regierung hat regiert und als<br />
Erstes kam so ein amerikanischer Gesetzentwurf<br />
raus, der im Eilgang durch<br />
das vorgeschriebene parlamentarische<br />
Verfahren gehetzt wird. Familienministerin<br />
von der Leyen und die alten Weiber<br />
beiderlei Geschlechts der CDU haben<br />
sich in Sachen Kindergeld ausleben<br />
können. Das hilft zwar nichts, weil das<br />
Geld – siehe letzte Ausgabe – bei den<br />
benachteiligten Kindern der unteren<br />
Einkommensgruppen schlicht nicht ankommt.<br />
Und auch die FDP durfte ein<br />
Lieblings-Wahlkampfthema in eherne<br />
Worte fassen, die Erbschaftssteuer. Diese<br />
ehernen Gesetzesworte gelten solange,<br />
bis die Ausführungsvorschriften erlassen<br />
sind. Aber man kann ein Wahlversprechen<br />
bis zum Bruch als erfüllt abhaken.<br />
Oh ja – der Titel. Publikumswirksam<br />
wurde das Ganze „Konjunkturbeschleunigungsprogramm“<br />
genannt. Nicht nur<br />
sprachlich unsäglich, sondern auch widersinnig.<br />
Was soll denn hier die Konjunktur<br />
beschleunigen – erhöhte Nachfrage<br />
nach Windeln von Proctor&Gamble<br />
und Kinderklamotten aus Oshkosh/<br />
Wisconsin und China? Oder das sozialverträgliche<br />
Frühableben von ältlichen<br />
mittelständischen Unternehmen, die nur<br />
darauf gewartet hatten, dass ihre Erben<br />
ihr Werk steuerfrei schnellstmöglich verscherbeln<br />
können? Peinliches Schweigen<br />
in Regierung, Parteien und Fraktionen.<br />
Nichts gegen die Sache. Alles gegen<br />
die Form und das Verfahren. So macht<br />
man keine Politik, sondern Flickwerk.<br />
Das allerdings könnte durchaus Absicht<br />
sein. Wie auch bei der vorgesehenen Reform<br />
von ALG II, kommen so gesetzliche<br />
Regelungen zustande, die klare<br />
Kontraste zur bisherigen Regelung erzeugen.<br />
Im Bereich der Versorgung für<br />
Kinder liegt die Hauptlast bei den ohnehin<br />
meist pleiten Städten – der Bund<br />
verspricht sich ganz klar neue Rechte,<br />
wenn er für die eigenen Gesetze zahlen<br />
muss. Mit der Erbschaftssteueränderung<br />
wie auch die Zuverdienst-Regelung für<br />
ALG II wird das bisherige Steuersystem<br />
immer tiefer unterlaufen. Der CDU, die<br />
am liebsten gar nichts tun möchte in der<br />
Tradition von Helmut Kohl und seiner<br />
politischen Ziehtochter Angela Merkel,<br />
wird nichts anders übrig bleiben, als<br />
aufseufzend der FDP in das Abenteuer<br />
einer nächsten Steuerreform zu folgen.<br />
RS