Schlösslipost 2009/2010 - Schloessli Ins
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THEMEN Erlebnispädagogik<br />
Erlebnispädagogik THEMEN<br />
versuchen werde, einige Umrisse<br />
ihres Wesens, so wie ich es während<br />
der 14 Jahre unserer Ehe erlebte,<br />
zu skizzieren.<br />
Manche Ihrer Briefe betonen ihre<br />
Engelhaftigkeit: «Sie war ein Engel»<br />
(mehrfach); «ein sanfter Engel»;<br />
«ein Engel, aber im Irdischen beheimatet».<br />
Ich habe es von Anfang an<br />
nie anders erlebt. Sie besass eine<br />
königliche Würde, die streng alles<br />
abwies, was ihren hohen Massstäben<br />
nicht genügte. Daraus erfloss aber<br />
auch ihre gleichmässige Freundlichkeit<br />
und Güte, mit der sie jedem Menschen<br />
begegnete. So ist es verständlich,<br />
dass ihr Wesen von Ihnen mit<br />
verschiedenen Weltkunstwerken in<br />
Beziehung gesetzt wurde: mit einem<br />
ägyptischen Königspaar in Stein,<br />
einem ägyptischen Mumienporträt,<br />
manch frühen russischen Ikonen,<br />
romanischen Madonnen aus Katalonien<br />
oder Bildnissen von El Greco.<br />
Der letzte Vergleich scheint mir der<br />
zwingendste: Toledo ist ihre Stadt,<br />
Toledo und sie gehören zusammen.<br />
In dieser mystischen Stadt, wo sich<br />
nach Rilke Himmel und Erde ständig<br />
durchdringen, lebten viele Jahrhunderte<br />
die drei Weltreligionen,<br />
die das Antlitz Europas prägten,<br />
tolerant und friedlich miteinander.<br />
So machte auch dies die Vielschichtigkeit<br />
und Unergründlichkeit ihres<br />
Wesens aus, dass sich in ihm Duft,<br />
Märchenhaftigkeit und Musikalität<br />
des Maurentums, Stolz und Freiheitsliebe<br />
des westgotisch-arianischen<br />
Christentums sowie die dunklen Abgründe<br />
(«Duende») des kabbalistisch<br />
geprägten spanischen Judentums<br />
vereinten.<br />
Hinzu komme, dass Waltraud Anna<br />
Rudloff eindeutig venus-bestimmt war.<br />
Denn Anael ist der Erzengel der Venus,<br />
Venus aber bedeutet Fähigkeit zur Seelenwärme,<br />
Sinn für die Kunst, Schönheit,<br />
für die Grazie des Lebens und für<br />
die wahre Liebe. Sie bedeutet das<br />
selbstlose Schaffen von inneren und<br />
äusseren Räumen, damit anderes<br />
entstehen kann. So sah sie auch ihre<br />
Aufgabe darin, ihre geliebte Masia<br />
Torrents in Cunit zu einer Begegnungsstätte<br />
zu machen, in der sich geistige,<br />
religiöse und künstlerische Prozesse<br />
bilden können, unabhängig von jedem<br />
Dogma, jeder <strong>Ins</strong>titution, in Freiheit.<br />
Fast bis zuletzt las sie in dem Buch des<br />
Franziskaners Leonardo Boff aus Brasilien:<br />
«Zärtlichkeit und Kraft». Dieser<br />
Titel charakterisiert zusätzlich ihr<br />
Venus-Wesen und dies im schärfsten<br />
Gegensatz zum Ungeist unserer Zeit,<br />
der fast nur noch Brutalität aus<br />
Schwäche kennt. Sie aber tat alles<br />
aus der Kraft der Leichte, fast unbemerkt<br />
und ertrug so ihre schwere<br />
Krankheit; mit heiterer, anmutiger<br />
Lebensgelassenheit und nie versiegender<br />
Fröhlichkeit. Dies alles aber<br />
auf dem Untergrund einer tiefen<br />
Lebenstragik, um die kaum jemand<br />
etwas ahnte.<br />
Schliesslich ist sie in individueller und<br />
höchst intimer, ganz moderner Weise<br />
mit der Gralsströmung verbunden, die<br />
gerade hier in Katalonien beheimatet<br />
ist. Aber dies mag ich hier, an dieser<br />
Stelle nicht weiter erörtern. Nur so<br />
viel: Hineingeboren in die Kräfte des<br />
aufsteigenden äusseren Lichtes am<br />
6. Februar 1929 (am 2. Februar ist Mariä<br />
Lichtmess), starb sie würdig und voll<br />
bewusst in meiner Gegenwart in ihrer<br />
Masia Torrents am 22. September<br />
1988 zur Tag- und Nachtgleiche um<br />
18 Uhr 45, in die beginnende Michaeli-<br />
Woche hinein, wo das äussere Licht<br />
dann wieder seinen Abstieg beginnt.<br />
Für mich war sie Eins und Alles, die<br />
Erfüllung meines Lebens. Uns verbindet<br />
eine mystisch-irdische Liebesgemeinschaft,<br />
die alle Grenzen bürgerlicher<br />
Konvention einfach sprengen<br />
musste. Sie war mir zugleich inspirierende<br />
Muse, Weg-Leiterin zu einer<br />
modernen, freiheitlichen und integralen<br />
Spiritualität, treusorgende mütterliche<br />
Ehefrau, ein ununterbrochener<br />
kluger, kritischer Gsprächspartner<br />
und schliesslich – last not least! – die<br />
entzückendste Geliebte, die ich mir<br />
überhaupt vorstellen kann, die mein<br />
troubadourhaftes Traumbild sogar<br />
noch in der irdischen Realität überstieg.<br />
So beginnt sich auch langsam für mich<br />
die unermessliche Trauer um ihren<br />
physischen Verlust in eine tiefe Dankbarkeit<br />
zu verwandeln, dass ich durch<br />
sie, mit ihr 14 erfüllte Jahre das Wunder<br />
und das Glück der Liebe kosten<br />
durfte. Denn solche Eros-Liebe ist wohl<br />
das kostbarste Himmelsgeschenk. Man<br />
darf es nur ehrfurchtsvoll empfangen,<br />
jedoch irgendeinen Anspruch, dass es<br />
dauern möge, kann man daraus<br />
niemals ableiten.<br />
Dadurch hat sich für mich natürlich<br />
die Notwendigkeit eines völligen<br />
Neu-anfangs in meinem 63. Lebensjahr<br />
ergeben müssen. Nach einem schweren<br />
körperlichen Zusammenbruch habe ich<br />
alle Rechte auf die Masia Torrents aufgegeben<br />
und bin dort ausgezogen. Ich<br />
bleibe aber in Katalonien. Ich besitze<br />
einen Teil eines Castillos aus der Zeit<br />
der Reconquista, aus dem 13./14. Jahrhundert<br />
in La Floresta, Provincia de<br />
Lérida, den meine Frau in weiser Voraussicht<br />
für mich vollkommen neu<br />
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