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Katarzyna Kozyra: Looking for Jesus (Filmstill), Foto Courtesy: Żak Branicka<br />

Jesus“ übernimmt, nicht nur <strong>als</strong> suchende Dokumentarin<br />

auftritt. Im Kontakt mit den restlichen Figuren des<br />

Films wird sie selbst zu einer Darstellerin, die stellvertretend<br />

für den Zuschauer in diese eigentümliche Welt<br />

der Osterzeit eintaucht. Kozyra selbst steht im Mittelpunkt<br />

ihrer dokumentarischen Suche, die neben dieser<br />

geschilderten Begegnung unter bisher dreien dieser Art<br />

auch andere Erfahrungen und Momente im Jerusalem<br />

des vergangenen Frühjahres einfängt. Auch das muslimische,<br />

jüdische und weitere christliche Stadtleben<br />

werden zum Thema, wenn Kozyra Mohammed-Anhänger<br />

interviewt, zum Islam konvertierte Pilger begleitet<br />

oder einer orthodoxen Karfreitagsprozession in der Grabeskirche<br />

beiwohnt. Die in diesem Vorschaufilm schon<br />

eingebrachte harte Schnittweise vermengt die Angehörigen<br />

und Pilger all dieser Religionen und Konfessionen<br />

so bunt untereinander, wie das religiöse Leben in Jerusalem<br />

pulsiert.<br />

Dadurch treten die vielen anonymen, aber auch einige<br />

wenige herausgegriffene Figuren dieses Schauspiels <strong>als</strong><br />

Darsteller einer Performance auf, die aus der stetig wiederholten<br />

Folge liturgischer Rituale, strömender Pilgerscharen<br />

sowie aus dem Tränen- und Blitzlichtgewitter<br />

ihrer Teilnehmer besteht. Diese Massenphänomene, in<br />

denen ein kollektiver, aber in seiner Ausprägung vielfältiger<br />

Leib dem einen Gott huldigt, in denen der Einzelne<br />

verschwimmt und untergeht, werden aber auch durch<br />

die Anwesenheit und das Verhalten Katarzyna Kozyras<br />

exemplifiziert, die nicht mehr nur <strong>als</strong> Beobachterin, sondern<br />

selbst <strong>als</strong> Teilnehmerin auftritt. Sie taucht in die<br />

Prozessionen ein, fotografiert und schaudert ebenso,<br />

ist aber – und nur darin offenbart sich ihre Distanz zum<br />

sie überrollenden Geschehen – oftm<strong>als</strong> unsicher und<br />

schüchtern. Dann steht sie inmitten der Ostergemeinde,<br />

traut sich aber nicht, einen dort ebenfalls anwesenden<br />

Jesus anzusprechen. Stattdessen filmt sie aus dem<br />

Hinterhalt (im Übrigen eine der wenigen auffallenden<br />

unkommentierten Szenen), gibt vor, sich selbst aufzunehmen<br />

und muss doch scheitern: Ein sanftes Lächeln<br />

entgleitet dem sorgsam beobachtenden Beobachteten,<br />

dessen barmherziger Blick selbst durch Kamera und<br />

Bildschirm hindurch den Zuschauer trifft.<br />

In diesen raren Momenten, in denen das Persönliche<br />

aus der Masse heraussticht – sei es im Interview, in der<br />

Beobachtung oder im Verhalten und Kommentar der<br />

Künstlerin –, ahnt man, dass in dieser Stadt zu dieser<br />

Zeit oder zumindest in diesem Film Rollen besetzt und<br />

erfüllt werden, die alles andere <strong>als</strong> fest und beständig,<br />

die fließend und manchmal auch willkürlich belegt<br />

sind. Der Jesus aus dem Wohnheim ist kein anderer <strong>als</strong><br />

der Jesus aus der Ostergemeinde oder der unter Tränen<br />

vom Kreuze genommene hölzerne Jesus, ebenso wie<br />

sich der marokkanische Pilger nicht vom Mohammed-<br />

Scholaren oder dem Eseltreiber unterscheidet und auch<br />

Clyde Benson, Joseph Cassel und Leon Gabor ein und<br />

derselbe sind.<br />

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. April in der Galerie<br />

Żak Branicka zu sehen.<br />

Lindenstr. 35, 3. Stock, 10969 Berlin-Kreuzberg<br />

Di–Sa, 11–18h und nach Vereinbarung<br />

Hier werden feste Rollenbegriffe immer wieder durchdekliniert<br />

und ausprobiert, neu besetzt und erweitert,<br />

sodass ein jeder Jesus und ein jeder Pilger ist. Manche<br />

können diese Rolle nur aus einem Wahn heraus besetzen,<br />

andere folgen ihrer festen religiösen Überzeugung.<br />

Eine solche Konvertibilität religiöser Rollen kennt man<br />

bereits aus Christian Jankowskis „Casting Jesus“, auch<br />

in Anwandlungen aus der Geschichte der neuzeitlichen<br />

Stigmata, die entsprechend der lokal verbreiteten Darstellungsgewohnheiten<br />

des gekreuzigten oder auferstandenen<br />

Jesus hier an den Händen und dort an den<br />

Handgelenken auftreten.<br />

Die Erkenntnis hieraus ist, dass die kulturelle Gestaltung<br />

religiöser Inhalte einem kollektiven Prozess unterworfen<br />

ist, der sich in lokalen und zeitlichen Nuancierungen<br />

ausprägt. Glaube und Wahnsinn sind in dieser Hinsicht<br />

und auch für „Looking for Jesus“ nachrangige Dimensionen<br />

einer sich stetig selbst reproduzierenden Kulturpraxis.<br />

Teilnahme und Beobachtung sind ebenfalls keine<br />

grundlegenden Determinanten für den Erfolg dieser<br />

Kulturen, mithin sind sie gar nicht voneinander zu trennen,<br />

wenn Kultur <strong>als</strong> Experiment konstruiert wird, sich<br />

aber unversehens dieser Kontrolle entzieht. So bleibt<br />

sowohl mit Milton Rokeach <strong>als</strong> auch mit Katarzyna Kozyra<br />

zu konstatieren, dass die Wirkkreise der beteiligten<br />

Akteure unmerklich, aber rasch verschwimmen. Wer ist<br />

Darsteller, und wer ist Beobachter einer Performance?<br />

Diese Trennung ist hier nicht mehr möglich.<br />

Online Auktion Nr. 9<br />

Freitag, 21. Juni 2013<br />

18:00 Uhr<br />

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auctionata.com/kunstwerke<br />

Egon Schiele, Liegende Frau, 1916, WV. Kallir D. 1824b<br />

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