Volksbühnen-Spiegel 1/2013 - Freie Volksbühne Berlin
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Wie gehen wir mit der<br />
Freiheit der Kunst um?<br />
Aus einem gegebenen Anlass baten wir die <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-Vereine,<br />
Meinungen zum Thema „Wie gehen wir<br />
mit der Freiheit der Kunst um?“ mitzuteilen. Manche<br />
Besucherverluste gehen auf die Spielplanauswahl oder<br />
die Inszenierungen unserer Theater zurück. Dennoch<br />
wollen wir Neues ermöglichen. Dieser Spagat beschäftigt<br />
viele von uns in ihrer Arbeit.<br />
Düsseldorfer <strong>Volksbühne</strong><br />
Anfang Mai bekam das Thema eine besondere Brisanz,<br />
als in Düsseldorf die in die Nazi-Zeit verlegte„Tanhäuser“-Inszenierung<br />
von Burkhart C. Kosminski nach<br />
massivem Protest abgesetzt wurde. Die Zeitungen berichteten,<br />
dass Besucher ärztliche Hilfe suchten. Da<br />
kommen Erinnerungen auf an Frühgeburten, als in 18.<br />
Jahrhundert die ersten deutschen Shakespeare-Aufführungen<br />
stattfanden, oder ans Ende des 19. Jahrhunderts,<br />
als man mit den realistischen Dramen Gerhart<br />
Hauptmanns nicht zurande kam. In der Presse wurde<br />
jetzt gestritten, ob die Düsseldorfer Aufführung zurecht<br />
abgesetzt wurde.<br />
Die Düsseldorfer <strong>Volksbühne</strong> gab uns dazu aus ihrer<br />
Sicht einen Bericht:<br />
„Mit der Premiere Tannhäuser und der Sängerkrieg<br />
auf Wartburg am 4.5.<strong>2013</strong> in der Deutschen Oper am<br />
Rhein hatte Düsseldorf in der Saison 2012/<strong>2013</strong> einen<br />
Skandal in der Kulturwelt ausgelöst. Bereits während<br />
der Vorstellung kam es zu Tumulten, da drastische<br />
Holocaust- und Erschießungsszenen gezeigt wurden.<br />
Anschließend mussten sich Besucher teilweise in ärztliche<br />
Behandlung begeben.<br />
Auch die Mitglieder der Düsseldorfer <strong>Volksbühne</strong><br />
haben sehr emotional auf die Tannhäuser-Premiere<br />
reagiert. Besucher schilderten, auf welch hohem Niveau<br />
die Solisten sangen, dass die Inszenierung aber als<br />
abstoßend empfunden wurde. Bereits zugesandte Karten<br />
für weitere Vorstellungen wurden zurückgegeben.<br />
Trotz der in der Presse viel gelobten musikalischen<br />
Darbietung fragen unsere Mitglieder auch die konzertante<br />
Vorstellung nicht nach.“<br />
Erfahrungen in anderen Mitgliedsstädten<br />
Wir haben auch Erfahrungen anderer Mitgliedsstädte<br />
erhalten. Sie tendieren zu einem Arrangement mit den<br />
gebotenen Vorstellungen. Das Thema ist damit gewiss<br />
nicht ad acta zu legen. Die Tagung in Jeddingen (siehe<br />
Ankündigung in dieser Ausgabe Seite 10) wird es noch<br />
einmal aufgreifen. Hier die weiteren Stellungnahmen:<br />
<strong>Freie</strong> <strong>Volksbühne</strong> <strong>Berlin</strong><br />
„Es gibt nichts, was Kunst nicht darf. Die große Freiheit,<br />
die sich heutige Regisseure nehmen, um mit dramatischen<br />
Stoffen in neuer, häufig zerstörerischer Form<br />
umzugehen, ist vollkommen legitim.<br />
Die Frage ist jedoch, für wen wird das Stück gemacht<br />
und wie wird das verstanden. Allzu lange haben<br />
es die Einrichtungen der darstellenden Kunst versäumt,<br />
ihr Publikum für ihre Ideen einzunehmen und die teilweise<br />
radikalen Bearbeitungen der Stücke dem Publikum<br />
auch zu vermitteln. Bloße Konfrontation führt vielleicht<br />
zur gewünschten Verstörung, bringt aber wenig<br />
für das nachhaltige Verständnis eines Stoffes. Wenn es<br />
dann, wie in der Düsseldorfer Tannhäuser- Inszenierung,<br />
zu massiven Reaktionen des Publikums kommt,<br />
kann die Antwort nicht sein, dass die Inszenierung, die<br />
sich offenbar die Auseinandersetzung mit Wagners<br />
2<br />
Antisemitismus vorgenommen hat, einfach vom Spielplan<br />
genommen wird, weil genau diese Verstörung<br />
stattfindet. Vielmehr müssten alle Beteiligten nicht über<br />
den vermeintlichen Skandal, sondern möglichst über<br />
das Werk miteinander sprechen.<br />
Theaterpädagogik ist für Kinder und Jugendliche<br />
heute dank des großen Engagements vieler an den<br />
meisten Häusern ein elementares Angebot. Es fehlt<br />
jedoch an Vermittlungsangeboten für Erwachsene. Hier<br />
liegt ein künftiges Aufgabenfeld für die <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-<br />
Vereine, die als Einrichtungen der kulturellen (Volks-)<br />
Bildung dieses Thema zu ihrem machen könnten, übrigens<br />
auch, um den gestrengen Blicken der Finanzämter<br />
und der Aufsichtsbehörden ihre Gemeinnützigkeit zu<br />
beweisen. Das ist bisher noch nicht besonders intensiv<br />
verfolgt worden, soweit ich das überblicke. Als <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong><br />
müssen wir die Mitglieder an die Bühnenangebote<br />
heranführen, nicht der bloßen Empörung eines<br />
Teils des Publikums Raum geben. Wie sagt es unser<br />
<strong>Berlin</strong>er Blogger Reinhard Wengierek: ‚Selbstzensur<br />
durch die Intendanz ist nichts weiter als blanke Feigheit.’Sorgen<br />
wir für das Gespräch zwischen Künstlern<br />
und Publikum.“ Alice Ströver, Geschäftsführerin<br />
<strong>Volksbühne</strong> Bremerhaven<br />
„In Bremerhaven geht man recht behutsam um mit der<br />
Kunst. Zum Beispiel legt man eine Kammeroper Der<br />
Leuchtturm so geschickt in den Spielort Schifffahrtsmuseum<br />
inmittem maritimer Prachtstücke, dass die Zuschauer<br />
allein schon davon tief beeindruckt sind. Hingegen<br />
erscheint in Mefistofele die gesamte Bühne in<br />
Schall und Rauch aufgelöst. Welch ein Unterschied<br />
zum Fin-de-siecle-Grafen von Luxemburg, wo der Spagat<br />
zwischen glänzender Pariser Kulisse und dem<br />
Hauch des morbiden 19, Jahrhunderts spürbar werden<br />
lässt. Anders im Bereich Schauspiel, wo Der Volksfeind<br />
von Ibsen recht kämpferisch daherkommt oder im<br />
Fleisch ist mein Gemüse, wo man Heinz voller Alkohol<br />
und mit Schlagersehnsucht im Herzen das Lebensgefühl<br />
der 80er als eine Hymne an das Leben sich ausufern<br />
lässt. Übrigens als Spielort ausgerechnet die<br />
Hochschule für Nautik, wo sonst gibt es solche Leute?<br />
Im Schauspiel Wie im Himmel über die Musik, die Du<br />
hörst, wird deutlich gemacht, dass es sich um einen<br />
Ausdruck von oder ein Flehen um die Liebe handelt.<br />
Dank des Chorensembles bringt das Stück Enthusiasmus<br />
auf die Bretter. Gegenteil: Die Waisen, angefangen<br />
als Candlelight-Dinner und sich entwickelnd als Psychothriller<br />
über das Fremde im Eigenen. Neuester Auftritt<br />
im Amtsgericht: Arbeit macht Glück, ein eindringliches<br />
szenisches Forschungsvorhaben über zu viel und zu<br />
wenig Arbeit. Das kommt in den weiten Archiven des<br />
Gerichts sicher sehr viel perplexer daher als auf jeder<br />
Bühne. In Arbeit: Odysse: Klima was wohl für die Kompetenzstadt<br />
Bremerhaven einen spannenden Diskurs<br />
verspricht.<br />
Fazit; Wer mit der Kunst so behutsam freiheitlich<br />
umgeht, (an welchen Spielorten auch immer) wird auch<br />
die Chance nutzen, um neues Publikum fürs Theater zu<br />
begeistern.<br />
Eilert Bruns, Schriftführer<br />
Hamburger <strong>Volksbühne</strong><br />
„Tatsächlich hatten wir eine Zeitlang sehr stark das<br />
Gefühl, dass gerade die Staatstheater mit ihren Subventionen<br />
künstlerisch gern einmal neue Wege gehen,<br />
die aber eher zum Zuschauerschwund geführt haben.<br />
Mittlerweile scheint sich da aber etwas zu verändern.<br />
Natürlich haben wir Mitglieder, die aus eben diesem<br />
Grunde nur laut aufstöhnen, wenn sie das Wort‚Staatstheater’hören,<br />
aber zunehmend - und durchaus auch