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Sprachmuster und Sprachsymbole in rechtsextremen Musikszenen<br />
DFG-Projekt 2006-2010<br />
Projektleitung: Prof. Dr. Peter Schlobinski & Prof. Dr. Michael Tewes<br />
propager les principes de la vraie liberté. In letzter Konsequenz war das ein bisher in der Politik unbekanntes<br />
ideologisches Expansionsprogramm. Die Revolutionäre selbst sahen sich in der Rolle von ‚missionaires’ und<br />
‚apôtres’ für ein neues politisches ‚crédo’ [...].!“ Da „die Revolutionäre ihr ideologisches Aktionsprogramm<br />
selbst in Analogie zu dem der christlichen Kirchen setzten“, faßten die Revolutionsgegner den Verdacht, daß<br />
„eine im Geheimen wirkende Organisation“ aufgebaut werden sollte, „die das nicht revolutionierte Europa<br />
bedrohte. Diese vermeintliche Organisation wurde in Analogie zu der christlichen Kirche als politische<br />
Bekehrungsanstalt angesehen und gleich dieser als ‚Propaganda’ bezeich<strong>net</strong>.“ Schubart schrieb 1790 in seiner<br />
Zeitung ‚Vaterlandschronik’: „Ein allgemeiner Verschwörungsplan soll, von Adramelech und Moloch in der<br />
Hölle geschmiedet, dem Klub der Propaganda zu Paris mitgetheilt worden seyn und sich nun durch ganz Europa<br />
verbreiten. Freiheit und Gleichheit sollen die Haupträder dieses infernalischen Maschinenwerks seyn ...<br />
Hundertmal schrieb man mir schon dies aus Deutschland und aus Frankreich. [...]“ Etwa bis zur Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts sind „zwei Voraussetzungen für den Gebrauch des Wortes maßgebend: a) es muß von einer<br />
Gesellschaft, wenigstens wohl von einer deutlich erkennbaren Gruppe von Personen die Rede sein; b) es muß<br />
eine fortschrittliche Ideologie im weitesten Sinne vertreten werden.“ Zwischen 1840 und 1850 wird ein<br />
deutlicher Wandel in der Verwendung des Ausdrucks erstmals erkennbar. Propaganda bezeich<strong>net</strong> (wenn man<br />
von der römischen Propaganda-Kongregation absieht) nicht mehr eine Institution, Gruppierung, Zentrale, die die<br />
Verbreitung von Ideen steuert, sondern die Aktion der Verbreitung selbst. Die neue Bedeutung wird<br />
dokumentiert durch die Wendung Propaganda machen, die jetzt auftritt. Ein früher deutscher Beleg findet sich<br />
1842 bei Wilhelm Weitling, der neben „Brüderlichkeit“ und „Socialer Bildung“ auch „Propaganda“ zum<br />
Vereinszweck seinen ‚Kommunistischen Bildungsvereins’ in der Schweiz rech<strong>net</strong>e. Wer in den Verein eintreten<br />
wollte, mußte sich einem „Examen der Propaganda“ unterziehen und Auskunft geben, „ob er die verflossene<br />
Woche Propaganda gemacht habe und welche“. Marx lehnte Weitlings konspirative Propaganda ab, die nach<br />
seiner Ansicht dem geschichtlichen Prozeß revolutionärer Veränderung nicht entsprach. „Keine mündliche<br />
Propaganda, keine Konstituierung von geheimer Propaganda, überhaupt das Wort Propaganda auch in Zukunft<br />
nicht mehr gebrauchen.“ Das änderte sich, nachdem in den Debatten der Frankfurter Nationalversammlung<br />
1848/49 zuerst bei den Linken, später allgemein, die Frage der Propaganda, der Werbung für politische Ideen<br />
über die eigene Partei, den eigenen Staat hinaus, positiv beantwortet worden war. A. Ruge erklärte am 27.7.1848<br />
in der Paulskirche: „Die Intervention der Gewalt und Tyrannei ist überall das schmachvolle Unrecht, die<br />
Propaganda der Freiheit und Humanismus dagegen ist das welthistorische Recht der Völker und ihres Geists.“<br />
Auch Karl Marx spricht nun von „Propaganda der Zivilisation“, die das „revolutionäre Deutschland“ gegen<br />
Rußland machen solle, um „sich nach innen frei zu machen, indem es nach außen befreit“. Aber auch der<br />
nationalkonservative L.C. Aegidi gebrauchte den Ausdruck Propaganda mit positiver Wertung im Titel seiner<br />
anonymen Schrift ‚Zur Propaganda der national-konstitutionellen Partei’, in der er zur „Propaganda für die<br />
national-konstitutionelle Reform, die hohe Propaganda der deutschen Staatsreformation“ auffordert. Dennoch<br />
bleibt die Verwendung von Propaganda mit positiver Wertung ein Kennzeichen der radikalen Linken,<br />
umsomehr als der Ausdruck nach 1848 zu einem Schlagwort der Anarchisten wurde. 1869 prägten Sergej<br />
Netschajew und Michail Bakunin die Formel Propaganda der Tat, die sich eindeutig auf terroristische Aktionen<br />
bezog und den Ausdruck Propaganda wieder mit der Vorstellung revolutionärer Subversion verband. Die<br />
Sozialdemokratie ging daher überwiegend zurückhaltend mit dem Ausdruck um und bevorzugte bis 1918 zur<br />
Bezeichnung der Parteiwerbung den Ausdruck Agitation. (Im Leninismus und Kommunismus nahm der<br />
Wortgebrauch eine eigene Entwicklung, die hier nicht berücksichtigt werden soll.) In der zweiten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts bildet sich eine neue Verwendungsweise von Propaganda heraus, die 1907 in der 6. Auflage von<br />
‚Meyers Lexikon’ registriert wird: „Der Ausdruck Propaganda ist neuerdings auch in die Geschäftssprache<br />
übergegangen und bedeutet hier die Gesamtheit der zur Verbreitung von Erzeugnissen (Waren, Schriften)<br />
erforderlichen Mittel (Anzeigen, Reklame etc.).“ War Propaganda schon als Bezeichnung für die<br />
Produktwerbung zu einem häufig gebrauchten Wort geworden, so machte es der Erste Weltkrieg zu einem<br />
omnipräsenten „Schlagwort der psychologischen Kriegsführung“ (Schieder/Dipper). In seinen 1919<br />
erschienenen ‚Kriegserinnerungen’ schuldigt Ludendorff die nach seiner Ansicht verfehlte deutsche<br />
Kriegspropaganda als Ursache des verlorenen Krieges an: „Das Heer fand keinen Bundesgenossen in einer<br />
starken von der Heimat ausgehenden Propaganda. Deutschland versagte im Kampf gegen die Psyche der<br />
feindlichen Völker, während sein Heer auf den Schlachtfeldern siegreich war.“ Diese These wurde damals<br />
weithin akzeptiert. Auch Hitler übernahm sie. Er widmet der Kriegspropaganda in ‚Mein Kampf’ ein eigenes<br />
Kapitel.<br />
> Hitler führt in ‚Mein Kampf’ seine Propagandamaximen, die in der Sache und für den Sprachgebrauch des<br />
Nationalsozialismus maßgeblich wurden, auf seine Auseinandersetzung mit dem Beispiel der „sozialistischmarxistischen<br />
Organisationen“ und vor allem die Erfahrungen mit der Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs<br />
zurück. „Bei meinem aufmerksamen Verfolgen aller politischen Vorgänge hatte mich schon immer die Tätigkeit<br />
der Propaganda außerordentlich interessiert. Ich sah in ihr ein Instrument, das gerade die sozialistischmarxistischen<br />
Organisationen mit meisterhafter Geschicklichkeit beherrschten und zur Anwendung zu bringen<br />
verstanden. Ich lernte dabei schon frühzeitig verstehen, daß die richtige Verwendung der Propaganda eine<br />
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