Introduction - Nautischer Verein zu Bremen, Bremen
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<strong>Nautischer</strong> <strong>Verein</strong> <strong>zu</strong> <strong>Bremen</strong><br />
5. Seminar 1998<br />
28. Februar 1998<br />
SCHIFFSSICHERHEIT<br />
Positionsbestimmung: Wo stehen wir ?<br />
SCHIFFSSICHERHEIT<br />
POSITIONSBESTIMMUNG: WO STEHEN WIR ?<br />
Kapitän Ronald Wöhrn<br />
NAUTISCHER VEREIN <strong>zu</strong> BREMEN<br />
<strong>Bremen</strong>
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren !<br />
Zu Beginn des letzten Seminars über Schiffsversicherung begrüßte ich Sie mit den<br />
Worten über die Gefahren der Schiffahrt. Heute setzen wir uns mit einem, wie ich meine,<br />
positiven Thema auseinander: SCHIFFSSICHERHEIT. Wenn ich sage positiv, so stelle<br />
ich dabei bereits eine These an den Anfang des Seminars: Seeschiffahrt ist sicher! Wir<br />
werden die Berechtigung dieser These im Laufe des heutigen Tages gemeinsam<br />
erarbeiten. Daß die Seeschiffahrt unsicher sei, ist das Ergebnis einer Story - und der dem<br />
Zwang hoher Einschaltquoten und noch höherer Auflagen unterliegende Journalist will<br />
nun einmal eine Story - ausdrücklich ausgenommen sind die Fachjournalisten. Die<br />
Wahrheit bleibt bei einer Story meistens im Hintergrund, <strong>zu</strong>dem ist die Wahrheit oft<br />
ziemlich langweilig und bei weitem nicht so attraktiv, wie die ein Ereignis umgebenden<br />
Anekdoten und Vermutungen. Doch lassen Sie mich die These, daß Seeschiffahrt sicher<br />
ist, mit folgenden Zahlen belegen.<br />
Zum 1. Januar 1997 bestand die Flotte der Weltseeschiffahrt aus 37.965 Schiffen über<br />
300 RT mit einer Gesamttragfähigkeit von 722.5 Millionen Tonnen Tragfähigkeit auf.<br />
Diese Zahl weist steigende Tendenz auf.<br />
In den Jahren 1986 bis 1990 lag die Zahl der jährlichen Totalverluste, einschließlich der<br />
konstruktiven Totalverluste bei knapp 145 Einheiten. Im Jahr 1991 betrug diese Zahl<br />
plötzlich 174 Einheiten. Ab 1991 jedoch ist eine stetige Abnahme der Totalverluste <strong>zu</strong><br />
verzeichnen, diese lag in 1997 nach Lloyd's List vom 28.01.1998 bei 89 Einheiten, also<br />
fast eine Halbierung der Zahl von 1991!<br />
In Prozentzahlen ausgedrückt sieht die Situation wie folgt aus: Waren 1991 noch 0,4%<br />
der Tonnage als Totalverlust <strong>zu</strong> beklagen, so lag die Zahl 1996 nur noch bei 0,14 %.<br />
Waren 1991 der Anzahl der Schiffe über 500 RT noch 0,45% als Totalverlust <strong>zu</strong><br />
verzeichnen, so waren es 1996 nur noch 0,27% - eine beachtliche Verbesserung, wie ich<br />
meine.<br />
Der relativ hohe Anteil von Trockenfrachttonnage an den Totalverlusten von etwa 60%<br />
täuscht, denn die Trockenfrachttonnage einschließlich der Bulkcarrier und<br />
Passagierschiffe macht immerhin über 75% der Welthandelstonnage aus, gemessen an<br />
der Zahl der Einheiten. Also ist Trockentonnage eher unterdurchschnittlich in<br />
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Totalverluste involviert. Aber auch die Tankertonnage ist sicher, wie uns Herr Dr. Kröger<br />
noch erläutern wird.<br />
Diese Zahlen verbergen aber eine Entwicklung, die dennoch Sorgen bereitet denn<br />
• ungeachtet der <strong>zu</strong>m 1. Juli 1998 für Bulkcarrier, Fahrgastschiffe und Tanker über 500<br />
RT international verbindlich in Kraft tretenden Vorschriften des ISM-Code und der<br />
ebenfalls in Kraft tretenden überarbeiteten Vorschriften der STCW-Konvention,<br />
• ungeachtet der vielen anderen entwickelten Sicherheitsvorschriften für Ro-/Ro-<br />
Fahrgastschiffe und Bulkcarrier, über die wir im Laufe des heutigen Tages von den<br />
einzelnen Referenten noch Details hören werden,<br />
• ungeachtet der internationalen Bemühungen der nationalen Aufsichtsbehörden, des<br />
<strong>zu</strong>nehmenden Sicherheitsbewußtseins von bestimmten Flaggenstaaten und der<br />
Klassifikationsgesellschaften,<br />
• ungeachtet der wohl einmalig und als vorbildlich <strong>zu</strong> nennenden internationalen<br />
Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Port State Control Wesens,<br />
• ungeachtet der vereinten Bemühungen der Haftpflichtversicherer, also der P&I Clubs<br />
haben wir insbesondere in den letzten Monaten eine unverhältnismäßig hohe Zahl von<br />
Verlusten an Menschenleben beklagen müssen. Wenn auch die Besat<strong>zu</strong>ng des vor den<br />
Azoren auseinandergebrochenen Containerschiffes geborgen werden konnte, so mußten<br />
doch 26 Seeleute des vor Neufundland ebenfalls auseinandergebrochenen in Ballast<br />
fahrenden Bulkcarriers ihr Leben lassen, wie viele andere Seeleute auf kleineren Schiffen<br />
im Mittelmeer und in Fernost. Jedes auf See verlorenes Menschenleben ist ein<br />
Menschenleben <strong>zu</strong>viel.<br />
Deshalb wollen wir uns heute fragen, ob der Kurs eigentlich noch stimmt? Deshalb wollen<br />
wir heute eine Positionsbestimmung im internationalen Bemühen um die Verbesserung<br />
der Schiffssicherheit vornehmen.<br />
Wir wollen uns innerhalb dieses Seminars nicht mit spektakulären Unfällen wie dem der<br />
ESTONIA oder anderen Passagierschiffen beschäftigen. Hier<strong>zu</strong> ist viel geschrieben und<br />
noch mehr spekuliert worden. In diese Spekulationen lassen wir uns nicht hineinzwängen.<br />
Denn die uns allen innewohnende Verantwortung sagt uns, daß wir nur mit klarem<br />
Verstand und ohne Emotionen in der Lage sind, die Situation unserer eigenen, der<br />
maritimen Industrie, <strong>zu</strong> erfassen, <strong>zu</strong> analysieren und die richtigen Schlußfolgerungen <strong>zu</strong><br />
ziehen.<br />
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Es nützt uns auch nichts, wenn wir mit dem Finger auf andere Transportindustrien zeigen.<br />
Dennoch möchte ich einen kurzen Blick auf den in der öffentlichen Meinung als "sicher"<br />
angesehenen Luftverkehr werfen. Eine dpa-Meldung in der Zeitung am 7.2.1998 hat mich<br />
aufschrecken lassen. Diese Meldung liest sich wie folgt:<br />
Bei Sicherheitskontrollen an ausländischen Flugzeugen auf deutschen Flughäfen<br />
sind seit Mitte 1996 rund 85 Prozent der überprüften Jets beanstandet worden. Bei<br />
insgesamt 840 Checks gab es nur in 125 Fällen keinerlei Einwände, in 386 Fällen<br />
wurden "leichte Sicherheitsbeanstandungen" festgestellt. Bundesverkehrsminister<br />
Wissmann betonte <strong>zu</strong>gleich, daß eine Rüge nicht automatisch bedeute, daß ein<br />
sicherer Weiterflug nicht möglich sei.<br />
Bei den Überprüfungen durch die eigens dafür eingerichtete "Task Force" des<br />
Luftfahrtbundesamtes kamen in 263 Fällen "Sicherheitsdefizite" an den Tag, in 59<br />
Fällen "gravierende Sicherheitsdefizite". Bei sechs Maschinen waren die Mängel<br />
so erheblich, daß ein Startverbot ausgesprochen werden mußte. In einem Fall<br />
wurde sogar die Einfluggenehmigung entzogen.<br />
Die Sicherheitsxperten haben festgestellt, daß auf Flügen nach Deutschland<br />
immer seltener überalterte Maschinen eingesetzt werden.<br />
Herr Kapitän Kiehne ist sicherlich der Fachmann, der diese Zahlen in Relation <strong>zu</strong> der Zahl<br />
der anläßlich von Port State Kontrollmaßnahmen festgestellten Mängel setzen wird.<br />
Auffällig ist allerdings der letzte Satz der eben zitierten Meldung, wonach immer seltener<br />
überalterte Maschinen auf Flügen nach Deutschland eingesetzt werden. Die ist sicherlich<br />
ein Phänomen, das auch in der Seeschiffahrt beobachtet werden kann, daß immer<br />
seltener überalterte Tonnage, die den überwiegenden Anteil der Zahl der Totalverluste<br />
stellt, nach Nordeuropa kommt. Diese Tonnage hat sich zwischenzeitlich andere<br />
Fahrtgebiete ausgesucht.<br />
Herr Dr. Kröger vom Verband Deutscher Reeder wird sich in seinem Referat mit der Rolle<br />
des Managements und nicht zeitgemäßer Tonnage auseinandersetzen.<br />
Im Anschluß hieran hören wir Herrn Kapitän Hesse von der IMO, der uns über den<br />
derzeitigen Stand der IMO im Bemühen um die Verbesserung der Seeschiffahrt<br />
unterrichten wird und welche Rolle die IMO in Zukunft spielen kann.<br />
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Herr Dipl.-Ing. Hormann vom Germanischen Lloyd wird uns über die Aufgaben der<br />
Klassifikationsgesellschaften und deren Position auf dem Kurs <strong>zu</strong> noch mehr<br />
Schiffssicherheit informieren, insbesondere aber auch, ob der sog. "Schiffs-TÜV" in der<br />
Lage ist, den sich selbst gesetzten Kursen <strong>zu</strong> folgen oder ob eine Kurskorrektur<br />
erforderlich ist.<br />
Herr Kapitän Larsen von der Assuranceforeningen GARD aus Arendal in Norwegen<br />
berichtet von den Maßnahmen, die dieser P&I Club getroffen hat, um sicher<strong>zu</strong>gehen, daß<br />
nur noch "Quality Tonnage" versichert wird, eine vielfach geäußerte Forderung doch die<br />
Prämien <strong>zu</strong> erhöhen, um sog. "Sub-Standard-Tonnage" das Leben schwer <strong>zu</strong> machen.<br />
Kaskoversicherer, oftmals im Hintergrund arbeitend, haben ebenfalls Maßnahmen<br />
ergriffen, den noch verbliebenen Risiken in Form von mangelhaft gepflegten Schiffen die<br />
Möglichkeiten <strong>zu</strong>r Absicherung ihrer schwimmenden Vermögenswerte <strong>zu</strong> erschweren.<br />
Hierüber berichtet Herr Kapitän Zahalka.<br />
Herr Kapitän Stender Petersen aus Kopenhagen berichtet über die vielfältigen<br />
Bemühungen der BIMCO, des Baltic and International Maritime Council, ein<br />
internationaler Zusammenschluß aus Reedern und Maklern, wie Seeschiffahrt noch<br />
sicherer gemacht werden kann.<br />
Was auch immer geschehen ist oder in Zukunft geschehen wird im gemeinsamen<br />
Bemühen um die Schiffssicherheit, kann nur dann Erfolg haben, wenn es effektiv<br />
kontrolliert wird. Diese Kontrollen üben neben den Klassifikationsgesellschaften u.a. die<br />
Hafenstaaten aus. Über die Ergebnisse dieser Kontrollen und auf welch vielfältige Art und<br />
insbesondere in welchen geographischen Gebieten diese stattfinden, berichtet Herr<br />
Kapitän Kiehne von der See-Berufgenossenschaft aus Hamburg.<br />
Schließlich wird uns Herr Kapitän Roos als Hafenkapitän von <strong>Bremen</strong> und Präsident der<br />
International Harbour Masters' Association darüber aufklären, ob er <strong>zu</strong>sammen mit den<br />
Kollegen an Bord nur das letzte Glied der Kette ist und insbesondere, wo er die vielen<br />
festgehaltenen Schiffe dann lassen will, wenn man den Meldungen Glauben schenken<br />
kann, daß überall in der Welt Schiffe festgehalten werden.<br />
Lassen Sie mich auf die der Medienmeinung offenbar entgegenstehende Eingangsthese<br />
<strong>zu</strong>rückkommen: "Seeschiffahrt ist sicher!" Ich bin der Auffassung, daß auch eine effektive<br />
und positiv ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle spielt, genauso wie die<br />
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Darstellung der maritimen Industrie selbst und ihre Bedeutung für den Welthandel und<br />
damit für die Versorgung der Weltbevölkerung. Solange wir es <strong>zu</strong>lassen, daß dem<br />
unrasierten und in den Häfen dieser Welt an Land flanierenden Kapitänen und seinen<br />
Seeleuten der gepflegte Flugkapitän und die gestylte Stewardess vor dem<br />
hochglänzenden Flugzeug dargestellt wird, solange der Luftverkehr einerseits mit dem<br />
exotischen Charme fernöstlicher Stewardessen wirbt, eine Schiffsbesat<strong>zu</strong>ng andererseits<br />
als "bunt <strong>zu</strong>sammengewürfelter Haufen" bezeichnet wird, solange dürfen wir uns nicht<br />
über das negative Image der Seeschiffahrt wundern. Es ist doch erstaunlich <strong>zu</strong> sehen,<br />
daß bei Kollisionen auf See stets danach gefragt wird, ob Alkohol eine Rolle spielte. Ich<br />
persönlich habe es kaum erlebt, daß dieselbe Frage von den öffentlichen Medien mit der<br />
selben Vehemenz auch bei Flugzeugunfällen erhoben wird. Erst kürzlich wurde im<br />
Ständigen Fachausschuß des Deutschen Nautischen <strong>Verein</strong>s die Frage "Alkohol an Bord"<br />
behandelt - und nach entsprechenden Auswertungen von wasserschutzpolizeilichen<br />
Untersuchungen festgestellt, daß Alkohol in der Seeschiffahrt als Unfallursache keine<br />
Rolle spielt, wie es etwa im Straßenverkehr der Fall ist.<br />
Haben wir also vielleicht etwas falsch gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, soweit<br />
die Darstellung der Seeschiffahrt und der auf den Schiffen arbeitenden Menschen<br />
betroffen ist? Haben wir es versäumt, die Seeschiffahrt dar<strong>zu</strong>stellen, wie sie wirklich ist,<br />
nämlich sicher und umweltfreundlich? Wenn dies so sein sollte, so ist es allerhöchste Zeit,<br />
hier die Position <strong>zu</strong> bestimmen und eine Kurskorrektur vor<strong>zu</strong>nehmen!<br />
Doch lassen Sie uns <strong>zu</strong>nächst den Ausführungen der Herren Referenten unsere<br />
Aufmerksamkeit schenken.<br />
Ronald Wöhrn - 28.02.1998<br />
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