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Vergleich der subjektiven Einschätzung des kardiovaskulären ...

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lich die drei Merkmale Bildung, beruflicher Status und Einkommen<br />

misst und die Personen in drei Schichten einordnet, fallen<br />

aufgrund <strong>der</strong> demografischen und soziostrukturellen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

und Konstellationen im Land Sachsen-Anhalt zwangsläufig<br />

mehr Personen in die Zuordnung „untere Schicht“. Dabei<br />

bleibt unklar, welche konkreten Lebensbedingungen sich hinter<br />

den einzelnen Schichten verbergen.<br />

Bei erhöhtem Anteil von Hochrisikopatienten steigt natürlich die<br />

Chance <strong>der</strong> Unterschätzung <strong>des</strong> Risikos und umgekehrt. Hier<br />

sollte aber <strong>der</strong> Fokus auf das mögliche Korrekturpotenzial bei<br />

falscher Einschätzung gelegt werden.<br />

Diskussion<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch allgemein anerkannte<br />

Risikofaktoren hervorgerufen, die wie<strong>der</strong>um lebensstilabhängig<br />

und von gesundheitlichem Verhalten bestimmt sind.<br />

Die Unterschicht-Angehörigen sind trotz <strong>des</strong> gleichen Zugangs<br />

zu medizinischen Leistungen in Deutschland weniger in <strong>der</strong> Lage,<br />

ihr individuelles Gesundheitsverhalten zu verbessern. Die<br />

Tendenz, dass Menschen aus <strong>der</strong> Oberschicht eine deutlich bessere<br />

gesundheitsbezogene Prognose als Menschen <strong>der</strong> Unterschicht<br />

haben, ist sowohl national [7, 8], als auch international<br />

[9, 10] immer wie<strong>der</strong> eindeutig nachgewiesen worden.<br />

Eine Selbsteinschätzung von Patienten, wie diese persönlich ihr<br />

Risiko sehen, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken,<br />

war die Grundlage dieser Untersuchung. 78 % aller eingeschlossenen<br />

Patienten schätzten ihr Risiko, in den nächsten 5 Jahren<br />

an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben, realistisch<br />

ein. 22,7% <strong>der</strong> Patienten <strong>der</strong> Unterschicht unterschätzten und<br />

22,7% <strong>der</strong> Oberschicht überschätzten ihr Risiko. Gesundheitspsychologische<br />

Arbeiten haben gezeigt, dass Personen, wenn sie<br />

nach ihrem Erkrankungsrisiko befragt werden, ihr Risiko oftmals<br />

geringer einschätzen. Die Unterschätzung <strong>des</strong> eigenen Risikos<br />

wird auch als „unrealistischer Optimismus“ bezeichnet [12].<br />

Wie in den bereits zitierten Studien [7, 9, 15] zeigen die Ergebnisse,<br />

dass in <strong>der</strong> Unterschicht die meisten Raucher zu finden sind.<br />

Rauchen ist einer <strong>der</strong> Hauptrisikofaktoren für Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen und hat im Pocock-Score neben Alter und Geschlecht<br />

das stärkste Gewicht für die Berechnung <strong>des</strong> kardiovaskulären<br />

Risikos [5]. Die DHP-Studie [7] konnte über den Zeitraum<br />

von 1984 über 1988 bis 1991 nachweisen, dass <strong>der</strong> Anteil<br />

<strong>der</strong> Raucher in <strong>der</strong> Oberschicht abgenommen, <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong><br />

Raucher in <strong>der</strong> Unterschicht zugenommen hat. Ebenso zeigt die<br />

Monica-Studie [9], dass je niedriger die Ausbildungsdauer, je<br />

niedriger <strong>der</strong> berufliche Status und je niedriger das Einkommen<br />

ist, <strong>des</strong>to mehr geraucht wird. Hoch signifikant zeigt sich auch in<br />

<strong>der</strong> vorliegenden Studie <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Rauchen<br />

und Abweichung <strong>der</strong> <strong>subjektiven</strong> Einschätzung <strong>des</strong> Risikos vom<br />

berechneten Risiko. Dramatisch an<strong>der</strong>e und seltenere To<strong>des</strong>ursachen<br />

werden im Sinne <strong>der</strong> kognitiven Dissonanzreduktion<br />

[14] eher überschätzt, um das eigene Risikoverhalten in Bezug<br />

zu größeren Gefahren besser zu legitimieren. Ursachen dieses<br />

optimistischen Fehlschlusses o<strong>der</strong> defensiven Optimismus können<br />

sowohl in falschen Informationen als auch in <strong>der</strong> individuellen<br />

Angstabwehr liegen und damit auch Selbstwertschutz stützende<br />

Funktionen innehaben.<br />

Der Zusammenhang zwischen eigenem gesundheitlichem Verhalten,<br />

<strong>der</strong> damit verbundenen Generierung von Risikofaktoren<br />

und dem damit verbundenen Anstieg <strong>des</strong> Erkrankungsrisikos<br />

wird unserer Untersuchung zufolge von <strong>der</strong> Unterschicht weit<br />

weniger wahrgenommen als von <strong>der</strong> Mittel- und Oberschicht.<br />

Pancoli et al. [13] konnte nachweisen, dass das Wissen über<br />

Schlaganfallrisiken in <strong>der</strong> Bevölkerung nicht gut verankert ist<br />

und Kothari [11] zeigt auf, dass die Hälfte <strong>der</strong> Schlaganfallopfer<br />

keinen einzigen Risikofaktor für Schlaganfall benennen konnte<br />

und nur ein Viertel mehr als einen Risikofaktor.<br />

Personen mit niedrigem Bildungsstatus finden sich häufiger in<br />

hausärztlicher Behandlung [16], Personen mit höherem Bildungsstatus<br />

suchen eher die Spezialisten auf [17]. Da 70–80 %<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung min<strong>des</strong>tens einmal pro Jahr einen Hausarzt aufsuchen<br />

(Herrmann und Schwantes 2002) [18], kommt <strong>der</strong> Risikobewertung<br />

und -vermittlung durch Hausärzte eine Schlüsselrolle<br />

zu.<br />

Auffällig war die Tatsache, dass die „Unterschätzer“ im Mittel<br />

11-mal pro Jahr den Hausarzt aufsuchen, während die „realistischen<br />

Schätzer“ im Schnitt 8-mal pro Jahr und die „Überschätzer“<br />

im Schnitt 10-mal pro Jahr den Hausarzt konsultieren. Bedeutung<br />

hat dieses Ergebnis hinsichtlich <strong>der</strong> potenziellen Beratungsmöglichkeiten<br />

<strong>des</strong> Hausarztes in Bezug auf gesundheitsför<strong>der</strong>liches<br />

Verhalten. Es mangelt diesen Ergebnissen zufolge nicht<br />

an <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Kontakte mit dieser Patientengruppe, son<strong>der</strong>n<br />

möglicherweise daran, wie diese genutzt werden.<br />

Die Interaktion zwischen Hausarzt und Patient spielt eine zentrale<br />

Rolle im Prozess <strong>der</strong> Erkenntnis individueller Gesundheitsrisiken<br />

[19, 20]. Soziokulturelle Merkmale <strong>der</strong> Patienten beeinflussen<br />

dabei die Arzt-Patient-Kommunikation. Mit sinken<strong>der</strong><br />

sozialer Schichtzugehörigkeit verringern sich z.B. die Zahl <strong>der</strong><br />

Informationen an die Patienten, da unterschiedliche Sprachco<strong>des</strong><br />

(Elaborierter vs. Restringierter Sprachcode) das Rollenverhalten<br />

<strong>der</strong> Beteiligten beeinflussen und die Kommunikation erschweren.<br />

Je niedriger <strong>der</strong> soziale Status <strong>des</strong> Patienten ist, <strong>des</strong>to<br />

kürzer ist die Konsultationsdauer und geringer die Chance, dass<br />

Patienten von sich aus Fragen stellen und Erwartungen äußern<br />

[21].<br />

Beson<strong>der</strong>s die „Unterschätzer“ ihrer Risiken, welche vier- bis<br />

fünfmal so häufig in den Mittel- und Unterschichten als in <strong>der</strong><br />

Oberschicht zu finden sind (Abb. 3), könnten von gezielteren<br />

hausärztlichen Beratungen, die an den Ressourcen <strong>der</strong> Menschen<br />

mit erhöhten Risiken ansetzen und ihre gesundheitsbezogenen<br />

Kompetenzen för<strong>der</strong>n, profitieren. Hier bietet sich die „Gesundheitsorientierte<br />

Gesprächsführung – (GOG)“, die als lösungsorientierter<br />

Gesprächsansatz entwickelt wurde [22], an. Ein solches<br />

Gespräch stellt hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an die fachliche Kompetenz<br />

und die kommunikativen Fähigkeiten <strong>des</strong> Arztes.<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Studie: Die Studie wurde im Rahmen eines allgemeinmedizinischen<br />

Teilprojektes <strong>des</strong> Kompetenznetz Schlaganfall<br />

durchgeführt, geför<strong>der</strong>t durch das Bun<strong>des</strong>ministerium für<br />

Forschung und Technologie (BMBF).<br />

Originalarbeit<br />

439<br />

Lorenz H-J et al. <strong>Vergleich</strong> <strong>der</strong> <strong>subjektiven</strong> … Z Allg Med 2006; 82: 435 –440

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