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Vision<br />
OPErAtION AtALANtA<br />
„Für den Kommandeur<br />
ist das eine leidige Sache“<br />
Herr Professor Heintschel von Heinegg, kann die<br />
„Operation Atalanta“ die Piraterie beseitigen?<br />
Zunächst einmal: Dass wir einen Einsatz wie „Operation Atalanta“<br />
haben, ist eine tolle Sache. Das ist ein großer Schritt<br />
im Hinblick auf ein System kollektiver Sicherheit. „Atalanta“<br />
kann jedoch nur Symptome beseitigen, das Seegebiet ist zu<br />
groß. Das einzig Sichere wäre Geleitschutz für Schiffe. Das<br />
Problem der Piraten ist nur an Land zu lösen, man muss ihnen<br />
die Operationsbasis nehmen.<br />
Gibt es Einsatzregeln, was genau die Marinen tun dürfen?<br />
Die an „Atalanta“ beteiligten Nationen haben ihre Einsatzregeln,<br />
die „rules of engagement“. Darüber hinaus haben die<br />
beteiligten Länder eigene nationale Einsatzregeln und nationale<br />
Vorbehalte in Bezug auf bestimmte Einsätze. So denkt<br />
keiner der beteiligten Staaten ernsthaft daran, ein gekapertes<br />
Schiff freizukämpfen.<br />
Also verhalten sich die Nationen unterschiedlich?<br />
Absolut. Für den Kommandeur von „Atalanta“ ist das natürlich<br />
eine leidige Sache. Er muss schauen, was welche Einheit<br />
tun darf. Er kann bestimmte Nationen zu bestimmten<br />
Zwecken gar nicht einsetzen.<br />
Die Dänen haben gefangene Piraten während der Mission<br />
wieder freilassen müssen. Warum?<br />
Der Grund liegt im jeweiligen nationalen Recht. Auch<br />
Deutschland tut sich da schwer. Inzwischen gibt es bilaterale<br />
Vereinbarungen mit Kenia, Piraten zu verurteilen. Aber das<br />
macht kein Staat umsonst.<br />
Also ist jeder Fall anders.<br />
Ja, und das stellt die Effektivität von „Atalanta“ infrage. Das<br />
bedeutet, dass Piraten abschätzen können, welche Schiffe sie<br />
mehr fürchten müssen als andere.<br />
Angesichts der Entführungen musste man den Eindruck<br />
gewinnen, als ob Deutschland seine nationalen Interessen<br />
nicht kennen würde. Was war der Grund für das Zögern?<br />
Dahinter steht die überholte Auffassung, dass Auslandseinsätze<br />
der Bundeswehr nicht zulässig seien, sowie das<br />
Trennungsgebot: Die Bundeswehr könne keine polizeilichen<br />
Aufgaben übernehmen. Man meinte, Einsätze gegen Piraten<br />
seien eine Aufgabe der Polizei. Das Verteidigungsministerium,<br />
das Auswärtige Amt und das Justizministerium blockierten<br />
sich gegenseitig. Man brachte einen bunten Strauß von<br />
vermeintlich rechtlichen Bedenken vor. Den Ministerien fehlt<br />
das Verständnis für die Dimension, die Beamten denken so,<br />
als finde Piraterie an Land statt. Die juristische Auffassung ist<br />
jedoch klar: Das Trennungsgebot gilt nicht im Ausland.<br />
Wolff Heintschel von Heinegg ist Korvettenkapitän der Reserve<br />
und lehrt als Seerechtsexperte an der Rechtswissenschaftlichen<br />
Fakultät der EuropaUniversität Viadrina Frankfurt (Oder).<br />
36 | Logistics<br />
Angriff früh erkannt wird, kann der Schiffsführer reagieren:<br />
Er kann das Tempo erhöhen und versuchen, die Boote auszumanövrieren.<br />
Je schneller ein Schiff, desto größer das Risiko<br />
für die Angreifer. Bei bestimmten Geschwindigkeiten<br />
treten hohe Bugwellen auf, die ein Kapitän nutzen kann,<br />
die kleinen Speedboote zu bedrängen. Auch wenn das Schiff<br />
ein hohes Freibord hat, stehen die Chancen gut. Einige Besatzungen<br />
konnten Angriffe erfolgreich mit Löschkanonen<br />
abwehren, andere setzten Schallkanonen ein, die das Trommelfell<br />
der Piraten platzen lassen sollen.<br />
Wie hoch die wirkliche Zahl der angegriffenen Schiffe<br />
ist, weiß niemand. Um zu vermeiden, dass Versicherungen<br />
die Prämien erhöhen, melden nicht alle Reeder. Das sei ein<br />
großer Fehler, sagt Pottengal Mukundan, Chef des International<br />
Maritime Bureau (IMB), das Piraterie weltweit analysiert.<br />
„Die Tatsache, dass ein Schiff in einem bestimmten<br />
Gebiet erfolglos angegriffen wurde, ist eine wertvolle Information.<br />
Denn in demselben Gebiet gibt es meist kurz danach<br />
weitere Angriffe gegen Schiffe.“ Die Piraten operieren zum<br />
Teil bis zu 250 Seemeilen vor der somalischen Küste. Dazu<br />
brauchen sie Mutterschiffe als Stützpunkte, von denen aus<br />
sie in kleinen, schnellen Booten ihre Angriffe starten. Mukundan:<br />
„Man sollte sich auf diese Mutterschiffe konzentrieren<br />
und sie durchsuchen. Sind Waffen an Bord, handelt<br />
es sich um Piraten. Man sollte ihre Waffen vernichten, dann<br />
müssen sie an die Küste, um sich neu zu bewaffnen.“<br />
Die Piraten lernen schnell dazu. Bei jedem erfolgreichen Überfall<br />
konnten sie sich logistisch besser ausstatten. Gekaperte<br />
Schiffe werden geplündert, elektronische Geräte ausgebaut.<br />
So erfahren die Banden mithilfe des Automatischen Identifikationssystems<br />
AIS die wichtigsten Daten vorbeifahrender<br />
Schiffe: Schiffsnamen, Größe, Flaggenstaat, Ziel,<br />
Kurs, Geschwindigkeit und Ladung. Und das bei Schiffen,<br />
die jenseits des Horizonts fahren. Weitere nützliche Mittel<br />
Fotos: dpa, laif (2) Grafik: KircherBurkhardt Infografik<br />
{ Pottengal Mukundan }<br />
»Man sollte die Mutterschiffe durchsuchen.<br />
Sind Waffen an Bord, handelt es sich um<br />
Piraten, und man sollte die Waffen vernichten.«<br />
sind die Satnavs, Navigationsgeräte, die die günstigste Route<br />
berechnen. Jeder Schiffsführer nutzt sie, um Treibstoff zu<br />
sparen. So fahren die Frachter wie auf einer Perlenschnur<br />
aufgereiht immer dieselben Strecken. Genau dort liegen die<br />
Mutterschiffe auf der Lauer.<br />
Lange Zeit zögerten die westlichen Staaten, entschieden gegen<br />
die Piraten vorzugehen. Dabei erlauben nationale und internationale<br />
Gesetze härtere Einsätze gegen Piraten, sagen<br />
Seerechtler. Allein es fehlte der politische Wille. Die Wende<br />
kam mit der Entführung der „Sirius Star“. Deutlicher als<br />
frühere Überfälle zeigte der Angriff die Verwundbarkeit des<br />
AFRIKA<br />
ÄTHIOPIEN<br />
KENIA<br />
Mogadischu<br />
JEMEN<br />
Golf von Aden<br />
SOMALIA<br />
Eyl<br />
Indischer Ozean<br />
Auf Patrouille: Ein deutscher<br />
MarineSoldat beobachtet die<br />
Küste Dschibutis<br />
„AtALANtA“-EINSAtZ vOr SOMALIA<br />
Spezialtruppen<br />
1 Versorgungsschiff<br />
3 Fregatten<br />
250 km<br />
3 Aufklärungsflugzeuge<br />
N<br />
Festgesetzt: Ein Soldat bewacht vor einem Gefängnis in Somalia<br />
inhaftierte Piraten. Ihre Zukunft in dem instabilen Land ist ungewiss<br />
Auf dem trockenen: Gefangene Piraten in Somalia<br />
Welthandels auf. Reeder, die auf alternative Routen ausweichen,<br />
müssen bei einer um 20 Tage längeren Fahrt von Asien<br />
nach Europa pro Strecke mit Mehrkosten von 2,3 Millionen<br />
Euro rechnen, wie der Verband Deutscher Reeder erklärt.<br />
Mittlerweile hat die EU eine militärische Mission begonnen:<br />
„Operation Atalanta“, die erste maritime Operation der<br />
Union. Mussten die Schiffe der NATO im Indischen Ozean<br />
bisher fast tatenlos zusehen, wie Piraten mit gekaperten<br />
Frachtern davonfuhren, können Piratenschiffe nun geentert<br />
und versenkt werden. Es liegt auf der Hand, dass in einem<br />
Seegebiet der Größe Westeuropas sechs Fregatten und<br />
Zerstörer, wenngleich durch Hubschrauber und Aufklärungsflugzeuge<br />
unterstützt, einen schweren Stand haben.<br />
Die Lösung liegt auf dem Land. Politiker fordern, die<br />
Operation auf Somalia auszuweiten. Nur wenn sich die<br />
Piraten nicht mehr in einem rechtsfreien Raum bewegten<br />
und Kenia und Jemen ihre Küsten konsequent bewachten,<br />
könne man die Lage befrieden. Unvergessen sind allerdings<br />
die Erfahrungen der USA, die bei dem Einmarsch in Somalia<br />
1994 eine herbe Niederlage erlitten.<br />
Den Piraten indes, die den Supertanker „Sirius Star“ enterten<br />
und nach millionenschwerem Lösegeld wieder freigaben,<br />
hat ihre Beute kein Glück gebracht. Einige von ihnen<br />
ertranken, als ihr Schnellboot unter der Last geplünderter<br />
Gegenstände in der rauen See kenterten. ■<br />
www.icc-deutschland.de<br />
Logistics | 37