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TECHNIK<br />
Stiche pro Minute. Das Arbeitsprinzip: „Eine<br />
Hakennadel wird von oben durch das<br />
Nähgut geführt, nimmt den Faden unter<br />
dem Stoff auf und zieht diesen auf die<br />
Oberseite des Nähgutes. Während sie die<br />
nach oben geführte Fadenschlinge ,festhält‘,<br />
sticht sie ein Stückchen versetzt erneut<br />
in den Stoff ein. Nun greift sich die Hakennadel<br />
wieder den Faden und zieht ihn<br />
jetzt sowohl durch das Nähgut als auch<br />
durch die festgehaltene Schlinge. Damit<br />
ist die erste Schlinge durch die neu entstandene<br />
zweite fixiert und kann freigegeben<br />
werden." Dasselbe geschieht mit allen<br />
weiteren Schlingen. Thimonniers Maschine<br />
besaß noch keinen Stofftransport, die<br />
Näherin oder der Näher mussten den Stoff<br />
selbst weiterbewegen. Je gleichmäßiger<br />
dieser Vorgang ausgeführt wurde, desto<br />
ebenmäßiger fiel die Stichlänge aus. Thimonnier<br />
versuchte in den nächsten Jahren<br />
immer wieder, eine fabrikmäßige Nähmaschinenproduktion<br />
aufzubauen, was ihm<br />
jedoch nicht gelang. Der Grund für das<br />
Scheitern lag vermutlich auch an seinem<br />
Heimweh. Noch in der Aufbauphase flüchtete<br />
er 1831 zurück in seinen Heimatort<br />
Amplepuis bei Lyon. Im britischen Manchester<br />
wurde er später ebenfalls nicht<br />
glücklich. Hier sollte er seinen neu entwickelten<br />
Cousobrodeur für die Firma Lakeman<br />
in Serie bauen, brach seinen Aufenthalt<br />
aber nach wenigen Monaten ab.<br />
Amerikanischer Durchbruch<br />
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Ähnlich unglücklich wie Madersperger<br />
agierte Walter Hunt (1796-1859). Der New<br />
Yorker kam anders als Krems, Madersperger<br />
oder Thimonnier nicht aus dem<br />
Textilgewerbe, sondern war Mechaniker<br />
und erfand einige bemerkenswerte Gegenstände<br />
– die Sicherheitsnadel, eine<br />
Straßenreinigungsmaschine, einen Messerschleifer<br />
– und 1834 eine Doppelstich-<br />
Schiffchen-Maschine, die er jedoch nicht<br />
zur Nähfähigkeit brachte. Hunt löste sich<br />
von der Vorgabe, das Handnähen oder<br />
Häkeln nachzuahmen. Er erkannte, dass<br />
man zwei Fäden für eine feste Maschinennaht<br />
benötigte, die man von oben und unten<br />
an das Nähgut heranführen und verknüpfen<br />
musste. Dafür setzte er ein Schiffchen<br />
ein, in dem sich der zweite auf einer<br />
Spule aufgewickelte Faden befand.<br />
Auf dieser Zwei-Faden-Technik basierte<br />
Elias Howe’s (1819-1867) erstellter Urtyp<br />
Elias Howe, Boston, USA, Doppelsteppstich-Nähmaschine,<br />
um 1846<br />
Barthélémy Thimonnier, St. Etienne, Frankreich,<br />
Kettenstich-Nähmaschine, 1831<br />
Singer Nr. 1, Doppelsteppstich-Nähmaschine mit<br />
gerader Schiffchenbahn, USA, 1855<br />
einer Doppelstich-Nähmaschine, die auch<br />
brauchbar war und 1846 patentiert wurde.<br />
Sie leistete die Arbeit von vier bis sechs<br />
Näherinnen. Howe’s Versuche gehören zu<br />
den zahlreichen Geschichten um die Entstehung<br />
der Nähmaschine. In Boston hörte<br />
er seinen Chef – ein Hersteller von<br />
Spinn- und Webmaschinen – zu einer<br />
Kundin sagen: „Wer eine Maschine erfände,<br />
die nähen kann, würde ein Vermögen<br />
machen." Diese Idee ließ Howe nicht mehr<br />
ruhen: „Er beobachtete die Finger seiner<br />
Frau beim Nähen und versuchte zuerst,<br />
deren Handbewegungen maschinell umzusetzen<br />
(…) Er tüftelte so lange, bis er eine<br />
Nähmaschine erschaffen hatte, die 250<br />
feste Stiche in der Minute nähte. Bei einem<br />
Wettbewerb gegen geübte Handnäherinnen<br />
nähten die Frauen 50 Stiche pro Minute,<br />
seine Maschine jedoch 300". Howes<br />
Unglück war, dass die Zeitgenossen sich<br />
nicht für seine Erfindung interessierten<br />
und er keinen Hersteller fand. Auch sein<br />
Versuch, in England zu reüssieren, schlug<br />
fehl. Sein Misserfolg lag neben dem hohen<br />
Preis auch an den noch vorhandenen Unzulänglichkeiten<br />
der Maschine, sie konnte<br />
nur wenige Stiche hintereinander ausführen,<br />
der Faden besaß zu wenig Spannung,<br />
die Nadel brach häufig ab. Er veräußerte<br />
aus finanziellen Gründen sein Patent und<br />
kehrte ernüchtert in die USA zurück. Wie<br />
das Leben so spielt: Inzwischen hatte Howe’s<br />
Erfindung ihre Anerkennung gefunden.<br />
Trotz ihrer Mängel waren die patentierten<br />
Teile und ihre Kombination wesentlich,<br />
sie wurden von anderen Erfindern aufgegriffen<br />
und verbessert. Als Howe einen