Examensklausurenkurs
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Prof. Dr. Christoph Brömmelmeyer<br />
Europa-Universität Viadrina<br />
Frankfurt (Oder)<br />
<strong>Examensklausurenkurs</strong><br />
Sommersemester 2012<br />
am 01.06.2012<br />
Sachverhalt<br />
Teil 1<br />
E ist Eigentümer eines großen Elektromarkts nebst dazugehörigem Parkplatz in Berlin. Der Parkplatz<br />
wurde in der Vergangenheit oftmals von Pkw-Fahrern benutzt, die nicht im Elektromarkt einkaufen. E<br />
möchte dies in Zukunft unterbinden und stellt deutlich sichtbar mehrere Schilder auf, auf denen<br />
darauf hingewiesen wird, dass das Parken auf dem Parkplatz des Elektromarktes nur mit Parkscheibe<br />
(maximale Parkdauer: 1,5 h) und nur für Kunden des Marktes erlaubt sei. Ferner droht E auf den<br />
Schildern das kostenpflichtige Abschleppen von widerrechtlich abgestellten Fahrzeugen an.<br />
E schließt in diesem Zusammenhang einen Vertrag mit dem Abschlepp- und Inkassounternehmen A.<br />
In diesem Vertrag wird A von E beauftragt, unberechtigt parkende oder versperrend abgestellte<br />
Fahrzeuge von dem Parkplatz abzuschleppen, unter der Voraussetzung, dass A sich zuvor<br />
vergewissert hat, dass der Fahrzeugführer nicht in der Nähe ist. Daneben wird A dazu ermächtigt, die<br />
Abschleppkosten einzuziehen. Die so eingezogenen Abschleppkosten sollen laut Vertrag mit der<br />
Werklohnforderung des A gegen E verrechnet werden. Können die Abschleppkosten von A nicht<br />
eingezogen werden, bleibt der Anspruch des A gegen E in voller Höhe bestehen.<br />
Kurz nach Aufstellen der Schilder parkt B seinen Pkw auf dem Parkplatz des E, ohne eine Parkscheibe<br />
auf das Armaturenbrett zu legen. B, der nicht die Absicht hat, den Elektromarkt zu besuchen,<br />
entfernt sich vom Parkplatz. A entdeckt den Pkw des B kurz darauf, schleppt ihn ab und verbringt ihn<br />
auf sein Gelände. B kehrt eine Stunde später zurück und löst den Pkw, nachdem er von dem<br />
Abschleppvorgang erfahren hat, bei A gegen Zahlung von € 150 Abschleppkosten und € 15<br />
Inkassokosten – insgesamt € 165 – aus. Diesen Betrag möchte er nunmehr aber von E ersetzt haben,<br />
da das Abschleppen außer jedem Verhältnis gestanden habe. B weist ferner daraufhin, dass der<br />
Parkplatz fast leer gewesen sei, als er seinen Pkw dort abgestellt habe. Letztlich könne es nicht<br />
angehen, dass A und nicht E als „gestörter Besitzer“ die Entscheidung darüber treffe, dass<br />
abgeschleppt werde. A könne sich auf diese Weise schließlich selbst Aufträge „beschaffen“.<br />
Kann B von E Zahlung der € 165 verlangen? Prüfen Sie umfassend.<br />
Teil 2<br />
Kurze Zeit später bestellt E 20 Modelle des gerade neu auf den Markt kommenden „Fernseher der<br />
Zukunft“ bei dem Hersteller H aus Eindhoven. H sendet 20 Modelle per Lkw an E. Kurz bevor der Lkw<br />
Hannover erreicht, erhält H ein Kaufangebot des Elektrogroßmarktes X aus Hamburg für 20 Modelle<br />
des Typs „Fernseher der Zukunft“ zu einem deutlich höheren Preis. X verlangt schnellstmögliche
Lieferung. Kurzentschlossen leitet H den Lkw, der auf dem Weg zu E war, nach Hamburg zu X um. E<br />
erfährt wenige Stunden nach der Ankunft der Fernseher bei X von dem Geschehen und teilt H mit,<br />
dass dieser jetzt gar nicht mehr leisten brauche. Schließlich würden die Fernseher im Falle einer<br />
erneuten Lieferung deutlich später eintreffen und sich dadurch wesentlich schwieriger verkaufen<br />
lassen. Denn neue Fernsehtypen ließen sich vor allem in der absoluten Anfangszeit ihres Erscheinens<br />
gut verkaufen. H verlangt weiter Kaufpreiszahlung Zug-um-Zug gegen Lieferung neuer Fernseher. X<br />
hat derweil die Fernseher an unbekannte Kunden weiterverkauft.<br />
Kann H von E Zahlung des Kaufpreises verlangen?
Lösungsvorschlag<br />
Teil 1<br />
Nachgebildet: BGH, Urteil vom 05.06.2009 – V ZR 144/08<br />
Fundstellen: RÜ 8/2009, S. 490; Fallbearbeitung JuS 8/2009, S. 711<br />
B gegen E auf Zahlung von € 165<br />
A. Anspruch auf Erstattung der Abschleppkosten (€ 150)<br />
I. Vertragliche Ansprüche (-)<br />
E hat klare Bedingungen an einen Vertragsschluss geknüpft, die vorliegend<br />
nicht erfüllt wurden; damit kein Angebot durch E<br />
II. Anspruch aus § 812 I S. 1, Var. 1 BGB 1<br />
1. E müsste etwas erlangt haben:<br />
Zahlung des B zwar direkt an A<br />
E erlangt durch diese Zahlung jedoch Befreiung von der Werklohnforderung des<br />
A, da der Vertrag A-E eine entsprechende Verrechnungsabrede enthält<br />
2. durch Leistung des B?<br />
a. Leistung = bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens<br />
b. Zahlung des B zwar direkt an A<br />
c. Entscheidend für bereicherungsrechtl. Leistung aber: Zweck der Zahlung (aus<br />
Sicht des Leistungsempfängers)<br />
Hier aus der Sicht des A:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A und B haben keine rechtliche Beziehung, da A durch das<br />
Abschleppen an E leisten will und von diesem entlohnt wird<br />
sieht in der Zahlung keine Leistung des B an sich<br />
Vielmehr will B evtl. bestehende Forderung des E in Höhe der<br />
Abschleppkosten erfüllen<br />
ob A den an ihn gezahlten Betrag behalten darf, bestimmt sich<br />
demnach ausschließlich nach dem Verhältnis A-E<br />
A dient somit bereicherungsrechtl. nur als Zahlstelle für E<br />
1 Alle folgenden Paragraphen ohne Bezeichnung sind solche des BGB.
Leistung des B an E (+)<br />
3. Leistung ohne rechtlichen Grund?<br />
In Betracht kommen verschiedene Rechtsgründe:<br />
a. Möglicher Rechtsgrund: berechtigte GoA gem. §§ 677, 683 S. 1, 670?<br />
(1) Geschäftsbesorgung i.S.v. § 677: jedes aktives Tun (weites Verständnis)<br />
auch Abschleppen eines Pkw ist umfasst (+)<br />
(2) Fremdes Geschäft (vgl. § 677)?<br />
In wessen Rechts- und Interessenkreis liegt Geschäft?<br />
<br />
entscheidend: liegt eine Besitzbeeinträchtigung durch B vor?<br />
hinsichtlich des besetzten Stellplatz: teilweise<br />
Besitzentziehung<br />
hinsichtlich des restlichen Parkplatzes: Besitzstörung<br />
(auch andere Wertung vertretbar, z.B. Besitzstörung bzgl.<br />
besetzten Stellplatz)<br />
Damit:<br />
<br />
<br />
einerseits: eigenes Geschäft des E (+), weil Beseitigung der durch<br />
das Parken verursachten Besitzstörung und Besitzentzug in<br />
seinem Interesse liegt<br />
andererseits: Pflicht des B als Halter des Pkw zur Beseitigung der<br />
Störung Interessenkreis und Geschäft des B (+)<br />
Bei eigenem und fremden Interesse: teilweiser<br />
Fremdcharakter genügt zur Bejahung des „fremden Geschäfts“<br />
sog. „auch fremdes Geschäft“ (+)<br />
(3) Fremdgeschäftsführerwille (vgl. §§ 677, 687)?<br />
Bei obj. fremdem Geschäft: widerlegliche Vermutung des<br />
Fremdgeschäftsführungswillen (aA, die FGW nicht vermutet, ist nicht<br />
praktikabel)<br />
Gem. § 686 schadet es nicht, dass E den B als Geschäftsherrn nicht kennt
Fremdgeschäftsführerwille: (+)<br />
(4) Ohne Auftrag (vgl. § 677)<br />
(+); keine vertragliche oder vertragsähnliche Berechtigung des E ersichtlich<br />
(5) Berechtigung zur Geschäftsführung (vgl. § 683 S. 1)?<br />
Geschäftsführung im objektiven Interesse des B und entspricht seinem<br />
wirklichen oder mutmaßlichen Willen?<br />
Hier:<br />
<br />
Obj. Interesse des B: richtet sich nach objektiver Nützlichkeit<br />
B wird von Beseitigungspflicht nach §§ 862, 1004 BGB befreit<br />
objektive Nützlichkeit (+)<br />
<br />
Tatsächl. Wille: zum Ztp. der Übernahme des Geschäfts nicht<br />
feststellbar<br />
damit mutmaßl. Wille entscheidend: alle Umstände des<br />
Einzelfalls sind zu berücksichtigen; hier: Fall des Abschleppens ist<br />
umstritten<br />
B hat i.d.R. bei lebensnaher Betrachtung keinen<br />
dahingehenden mutmaßlichen Willen, dass sein Fahrzeug<br />
abgeschleppt wird<br />
arg.: Wille als tatsächliches Element ist lebensnah zu beurteilen;<br />
rechtl. Gesichtspunkte (Befreiung von der Beseitigungspflicht) an<br />
dieser Stelle nicht entscheidend<br />
(andere Auffassung ist mit entsprechender Begründung<br />
vertretbar)<br />
<br />
§ 679 BGB: Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens?<br />
öffentliches Interesse verlangt Beseitigung der Störung?<br />
Erneut umstritten<br />
1. Meinung: bei jeder Störung der öffentlichen Sicherheit und<br />
Ordnung ist ein öffentliches Interesse gegeben; hier: Verstoß<br />
gegen die objektive Rechtsordnung durch unberechtigtes Parken<br />
auf fremden Grund öff. Interesse (+)
2. Meinung: § 679 setzt ein besonderes öffentliches Interesse an<br />
der Wahrung der Rechtsordnung voraus: nur wenn zur<br />
Vermeidung von konkreten, öffentlichen Interessen notwendig;<br />
hier: kein besonderes Interesse ersichtlich; Parkplatz war fast<br />
leer; bloße Verletzung der formalen Rechtsposition des B öff.<br />
Interesse (-)<br />
2. Meinung überzeugender: Behörden sind primär zuständig;<br />
nur wenn besonderes Interesse vorliegt soll Bürger kostenpflichtig<br />
in den Rechtskreis eines anderen eingreifen dürfen<br />
damit: öff. Interesse (-)<br />
andere Auffassung vertretbar: dann wäre unter „Erforderlichkeit<br />
der Aufwendungen“ weiter und insbesondere mögliche<br />
Einschränkungen durch das „Erforderlichkeit“-Kriterium zu<br />
prüfen; vgl. zu den Gesichtspunkten unten „haftungsausfüllende<br />
Kausalität“ unter § 823 I<br />
(6) Ergebnis: berechtigte GoA stellt keinen Rechtsgrund im Rahmen des § 812 I<br />
S. 1 Var. 1 dar<br />
b. Möglicher Rechtsgrund: Schadensersatzanspruch aus § 823 I?<br />
(1) Anwendbarkeit des Deliktsrechts<br />
§ 993 I HS 2: wenn EBV (+) Deliktsrecht (-)<br />
<br />
Liegt EBV vor? hängt davon ab, ob in dem Parken eine<br />
Besitzentziehung – und nicht nur eine Besitzstörung – gesehen<br />
wird (vgl. bei der GoA-Prüfung unter „fremdes Geschäft“)<br />
Kann hier aber offenbleiben, da die Voraussetzungen des § 992<br />
vorliegen:<br />
schuldhaft begangene Eigenmacht i.S.d. § 858 I liegt vor, da B<br />
gegen den Willen des E seinen Pkw auf dem Parkplatz parkt<br />
(2) Zurechenbare Handlung des B<br />
(+) durch Abstellen des Pkw auf Parkplatz<br />
(3) Verletzung eines in § 823 I genannten Rechtsguts?<br />
<br />
Eigentum wohl nicht verletzt, da es an einer Substanzverletzung<br />
fehlt
Berechtigter Besitz aber „sonstiges Recht“ im Sinne der<br />
Vorschrift<br />
berechtigter Besitz durch Parken beeinträchtigt (+)<br />
(4) Haftungsbegründende Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden (+)<br />
(5) Schaden: Abschleppkosten i.H.v. € 150<br />
(6) Haftungsausfüllende Kausalität<br />
<br />
<br />
Schaden äquivalent kausal aus Rechtsgutverletzung (+) (ohne<br />
Parken des B wären die Abschleppkosten nicht entstanden)<br />
Schaden adäquat kausal aus Rechtsgutverletzung?<br />
für objektiven Betrachter ist Reaktion des E nicht jenseits<br />
aller Wahrscheinlichkeit; hier: (+)<br />
<br />
Schaden von Schutzzweck der Norm umfasst?<br />
eigenverantwortliches Handeln des E tritt zwischen<br />
Rechtsgutverletzung und Schadenseintritt<br />
damit entscheidend: durfte sich E herausgefordert fühlen?<br />
o<br />
Durch Handlung des B herausgefordert?<br />
(+) unberechtigtes Parken provoziert Handlung des E<br />
o Handlung des E keine ungewöhnliche Reaktion /<br />
nachvollziehbar?<br />
(+) § 859 I, III gewährt E explizit das Recht, Selbsthilfe<br />
zu üben; Vorgehen war angekündigt; zeitliche<br />
Grenze des § 859 III eingehalten<br />
o Keine Einschränkung durch § 242? (+)<br />
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt: kein<br />
milderes Mittel für E ersichtlich<br />
Parkplatz war fast leer: kein Verstoß gegen § 242, da<br />
Eigentümer/ Besitzer gegen verbotene Eigenmacht<br />
unabhängig davon vorgehen darf, welches Ausmaß<br />
diese hat
A und nicht E als gestörter Besitzer trifft Entscheidung<br />
über Abschleppvorgang: E durfte Dritten zur Überwachung<br />
seines Grundstücks einschalten; damit<br />
kein rechtl. Anhaltspunkt, warum Entscheidung durch<br />
A B verletzen könnte; zusätzlich: schonendes Vorgehen<br />
des A war vertraglich vereinbart<br />
o Angemessenheit der Kosten? (+)<br />
Kosten zwar höher als wirtschaftlicher Schaden, aber<br />
um wirksamen Besitzschutz zu gewährleisten, muss<br />
einzige Reaktionsmöglichkeit (Abschleppen) möglich<br />
sein (vgl. Wertung des § 859)<br />
Abschleppkosten absolut gesehen im Rahmen des<br />
Üblichen<br />
Zwischenergebnis: haftungsausfüllende Kausalität (+)<br />
(7) Ergebnis:§ 823 I ist Rechtsgrund im Rahmen des § 812 I S. 1 Var. 1<br />
c. Möglicher Rechtsgrund: Schadensersatzanspruch aus § 823 II i.V.m. 858 I<br />
(1) Verstoß gegen Schutznorm i.S.d. § 823 II<br />
Schutzgesetz: soll Einzelnen oder bestimmten Personenkreis vor<br />
Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes schützen<br />
<br />
<br />
§ 858: Schutznorm (+); soll Besitzer vor Verlust Besitzrecht<br />
schützen<br />
B hat gg. § 858 verstoßen (vgl. oben)<br />
(2) Schaden im sachlichen Schutzbereich des Gesetzes: (+)<br />
Aus Zusammenhang zw. § 858 und § 859 ergibt sich, dass auch die<br />
Voraussetzungen des § 859 gegeben sein müssen; daneben darf kein Verstoß<br />
gegen § 242 vorliegen vgl. oben<br />
(3) Ergebnis: § 823 II i.V.m. § 858 ist Rechtsgrund im Rahmen des § 812 I S. 1<br />
Var. 1<br />
4. Ergebnis: Anspruch B gg. C aus § 812 I S. 1 Var. 1 (-)
B. Anspruch auf Erstattung der Inkassokosten (€ 15)<br />
Anspruch aus § 812 I S. 1, Var. 1<br />
1. E müsste etwas erlangt haben (+), vgl. oben<br />
2. durch Leistung des B (+), vgl. oben<br />
3. Leistung ohne rechtlichen Grund?<br />
a. Tatbestände der § 823 I und §§ 823 II i.V.m. 858 liegen vor, vgl. oben<br />
b. haftungsausfüllende Kausalität zw. Rechtsgutverletzung und Schaden?<br />
BGH: Inkassokosten werden in ähnlichen Fallgestaltungen auch sonst nicht<br />
ersetzt; es handelt sich um Folgeschäden, die B nicht zugerechnet werden<br />
können, da sie nicht der Schadensbeseitigung dienen, sondern nur die<br />
außergerichtliche Abwicklung erleichtern darum: haftungsausfüllende<br />
Kausalität (-) kein Schadensersatzanspruch kein Rechtsgrund i.S.d. § 812 I<br />
S. 1 Var. 1<br />
(aA mit entsprechender Begründung vertretbar)<br />
4. Ergebnis: B kann von E Ersatz der Inkassogebühren i.H.v. € 15 verlangen.<br />
Teil 2<br />
H gegen E auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II<br />
I. Anspruch entstanden?<br />
wirksamer Kaufvertrag zwischen H und E (+)<br />
II.<br />
Anspruch untergegangen?<br />
1. § 326 I S. 1: Entfallen der Kaufpreiszahlungspflicht auf Grund von Unmöglichkeit der<br />
Leistungspflicht bei H?<br />
a. Gegenseitiger Vertrag (+)<br />
b. Unmöglichkeit der Übereignung und Übergabe der Fernseher durch H auf Grund<br />
der Umleitung der Fernseher wegen § 275 I?<br />
<br />
Ursprünglich war eine Gattungsschuld vereinbart, § 243 I
Konkretisierung der Gattungsschuld zu einer Stückschuld nach § 243 II?<br />
Voraussetzung: „seinerseits Erforderliche getan“<br />
Was erforderlich ist, richtet sich nach der Parteivereinbarung,<br />
insbesondere nach der Art der Schuld<br />
Hier: H soll an K versenden; damit Bring- oder Schickschuld<br />
keine genaue Vereinbarungen ersichtlich; nach § 269 III kann allein<br />
aus dem Umstand, dass sich H zur Versendung auf seine Kosten bereit<br />
erklärt hat, nicht geschlossen werden, dass der Leistungsort beim<br />
Gläubiger sein soll, mithin eine Bringschuld vereinbart wurde damit<br />
bleibt nur die Schickschuld<br />
<br />
<br />
Bei Schickschuld: Aussonderung und Verpackung sowie Übergabe an<br />
Transportperson mit Ziel Richtung Gläubiger ist geschuldet<br />
hier durch H erfolgt; Konkretisierung (+)<br />
Die Fernseher, auf die sich die Konkretisierung bezog, sind an<br />
unbekannte Kunden verkauft worden damit Unmöglichkeit der<br />
Übereignung und Übergabe dieser Fernseher grundsätzlich (+)<br />
c. Aber: Entkonkretisierung möglich?<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
H.M.: Konkretisierung grds. bindend aus Gründen des Gläubigerschutzes;<br />
Gläubiger muss Möglichkeit haben, schon vor Erfüllung über Ware zu<br />
disponieren<br />
Ausnahme: nach § 242 einzuschränken, wenn dem Gläubiger durch<br />
Auswechslung der Sache nicht der geringste Nachteil entsteht<br />
a.A.: vorläufige Bindung, aber jederzeit rücknehmbar, da § 243 II nur dem<br />
Schuldnerschutz diene, der darauf verzichten könne<br />
Streitentscheidung erforderlich, da nach der h.M. in diesem Fall keine<br />
Entkonkretisierung möglich ist: für E wäre der Austausch des<br />
Leistungsgegenstandes mit Nachteilen verbunden, da er neu gelieferte<br />
Fernseher durch den Zeitverlust nicht so gut verkaufen könnte wie die<br />
konkretisierten Modelle<br />
Beide Ansichten vertretbar; Lösungsvorschlag folgt h.M.<br />
Entkonkretisierung (-)<br />
d. Ergebnis: Unmöglichkeit nach § 275 I (+) Anspruch untergegangen<br />
III.<br />
Ergebnis: H hat keinen Anspruch aus § 433 II gegen E auf Zahlung des Kaufpreisanspruch<br />
Sollte in der Streitentscheidung der Mindermeinung gefolgt werden, ist eine<br />
Entkonkretisierung möglich und hier auch erfolgt. Der Anspruch aus § 433 II wäre dann<br />
nicht nach § 275 I untergegangen. H könnte in diesem Fall Kaufpreiszahlung Zug-um-Zug<br />
gegen Lieferung neuer 20 Fernseher verlangen.
Prüfung der Primäransprüche im Rahmen der (nachträglichen)<br />
Unmöglichkeit (Bsp.: Kaufvertrag zwischen K und V)<br />
I. Anspruch des K auf Übergabe und Übereignung der Sache gegen V<br />
aus § 433 I S. 1 BGB<br />
1. Anspruch entstanden?<br />
Kaufvertrag § 433 I S. 1 (+)<br />
2. Anspruch untergegangen?<br />
§ 275 I: Unmöglichkeit (+) Anspruch untergegangen (+)<br />
3. Erg.: kein Anspruch auf Lieferung der Sache K gegen V<br />
II. Anspruch auf Kaufpreiszahlung V gegen K aus § 433 II BGB<br />
1. Anspruch entstanden?<br />
Kaufvertrag § 433 II (+)<br />
2. Anspruch untergegangen?<br />
Grundsatz: § 326 I S. 1 Hs. 1: Gegenleistungspflicht erlischt kein<br />
Kaufpreiszahlungsanspruch<br />
Ausnahmen siehe Prüfungsschema § 326 BGB<br />
3. Ergebnis
Prüfung des § 326 I BGB<br />
1.) Wirksamer gegenseitig verpflichtender Vertrag<br />
2.) Unmöglichkeit wegen § 275 BGB<br />
3.) Keine Ausnahmen (d.h.: kein vorheriger Übergang der<br />
Gegenleistungsgefahr)<br />
- Vertretenmüssen einer Leistungsunmöglichkeit durch den<br />
Gläubiger, Obliegenheitsverpflichtung, vertragliche<br />
Risikoübernahme (§ 326 II 1. 1 Var. 1 BGB)<br />
- Annahmeverzug des Gläubigers und Schuldner hat<br />
Unmöglichkeit nicht zu vertreten (§ 326 II 1 Var. 2 BGB) (§ 300<br />
Abs.1 beachten)<br />
- § 326 III BGB und §§ 446, 447 BGB (beachte aber § 474 II BGB),<br />
§ 644 BGB, § 615 BGB<br />
4.) Rechtsfolge<br />
a.) Gegenleistungspflicht erlischt<br />
b.) Rückforderung einer bereits erbrachten Gegenleistung (§§ 346 I,<br />
326 IV BGB)<br />
c.) Rücktrittsrecht des Gläubigers (§§ 326 V, 323 I, 346 ff. BGB)
Unmöglichkeit bei Gattungsschulden<br />
1) § 275 Abs.1: Unmöglichkeit<br />
2) Nur wenn Konkretisierung nach § 243 Abs.2<br />
3) Ob Konkretisierung: abhängig von Parteivereinbarung<br />
4) Parteivereinbarung auslegen: Hol-, Schick- oder Bringschuld<br />
(§ 269)<br />
5) Voraussetzungen Hol-, Schick- oder Bringschuld erfüllt?<br />
Holschuld: gesetzlicher Normalfall (§ 269 I), die Sache muss vom<br />
Schuldner ausgesondert und der Gläubiger darüber verständigt werden,<br />
dass die Sache zur Abholung bereit liegt.<br />
Schickschuld: der Schuldner muss neben der Aussonderung, die Sache an<br />
eine Transportperson übergeben.<br />
Bringschuld: der Schuldner muss die Sache aussondern und dem<br />
Gläubiger an dessen Wohnsitz anbieten.