Die Muster- knaben - Rondo
Die Muster- knaben - Rondo
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J<br />
Jazz<br />
Jack DeJohnette<br />
Special Edition<br />
●●●●●<br />
ECM/Universal<br />
(4 CDs, 174 Min.,<br />
1979–1984)<br />
Auch mit siebzig ist Jack DeJohnette<br />
der jungenhafte Schlagzeuger,<br />
der in der Nachfolge von Tony<br />
Williams zum Fackelträger der afro-amerikanischen<br />
Trommeltradition<br />
wurde. […] Seine Gesamtbegabung<br />
entfaltete sich von 1979<br />
bis 1984 und ist bei ECM auf den<br />
LPs Special Edition, Tin Can Alley,<br />
Inflation Blues und Album Album<br />
dokumentiert.<br />
Mit einer CD-Box dieser vier<br />
Alben feiert ECM jetzt seinen großen<br />
Star. Der huldigte damals seiner<br />
Vorliebe für Bläser. Zum Einsatz<br />
kamen die Meister ihrer Instrumente.<br />
Das waren zunächst<br />
die Saxofonisten David Murray<br />
und Arthur Blythe, dann Chico<br />
Freeman und John Purcell. Letzteres<br />
Gespann wurde später um<br />
den Trompeter Baikida Carroll erweitert.<br />
[…] DeJohnette verstärkte<br />
seine immer geschmeidiger werdenden<br />
Bläsersätze à la Ellington<br />
mit der Melodica, und streng dosiert<br />
ist er als Pianist einer quasi<br />
ernüchterten Jarrett-Schule<br />
zu hören. Dank der Studiotechnik<br />
kann er sich dabei selber am<br />
Schlagzeug begleiten. Als die Jazzwelt<br />
innovative akustische Musik<br />
schon in fusionierten elektrischen<br />
Klangwogen untergehen<br />
sah, war Jack DeJohnette’s Special<br />
Edition Leuchtturm und Verheißung.<br />
Schön, dass sie wieder vernommen<br />
wird<br />
<br />
Thomas Fitterling<br />
In The Country<br />
Sunset Sunrise<br />
●●●●○<br />
ACT/Edel<br />
(65 Min., 5/2012)<br />
Als Piano-Trio aus Skandinavien<br />
zu kommen, kann eine ziemliche<br />
Bürde sein. Weil man stets Gefahr<br />
läuft, mit dem legendären schwedischen<br />
Dreier e.s.t. verglichen zu<br />
werden. Das gilt für die Norweger<br />
von „In The Country“ im be-<br />
[…] Eins aber meidet die<br />
51-Jährige: den swingenden<br />
Combo-Jazz der 1950er. Ihrem<br />
„What Keeps Mankind Alive“ ist<br />
eine bedrohliche, unerbittlich<br />
rumorende Rock-Basis unterlegt,<br />
und der „Train To Heaven“ fährt mit<br />
kreischenden Nebengeräuschen<br />
auf pulsierenden Beats – und<br />
bricht ins Unbestimmte ab. Der<br />
„September Song“ bewegt sich<br />
zwischen perlenden Regentropfen-Tönen,<br />
und „Mack The<br />
Knife“ lebt in einer scheinbar<br />
heilen Krimi-Welt – allerdings<br />
stören diese ein stark verzögertes<br />
Echo und spitze Gitarrensounds.<br />
„Surabaya Johnny“ ist ihr nur ein<br />
paar Pfiffe wert, und im Titelsonderen<br />
Maße. Schließlich sind<br />
Pianist Morten Qvenild, Bassist<br />
Roger Arntzen und Schlagzeuger<br />
Pål Hausken mittlerweile bei<br />
ACT unter Vertrag, eben jenem Label,<br />
das Esbjörn Svensson und den<br />
Seinen einst den Durchbruch in<br />
Europa bescherte.<br />
Keine Ahnung, ob das gewollt<br />
ist oder nicht: Aber der „Birch<br />
Song“, der Auftakt von „Sunset<br />
Sunrise“, klingt mit dem schleppenden<br />
Besen-Groove sowie in der<br />
Melodieführung fast genauso wie<br />
„Believe Beleft Below“, der größte<br />
Balladen-Hit der schwedischen<br />
Superstars. Im späteren Verlauf<br />
verliert das Stück allerdings jegliche<br />
Ähnlichkeit mit der charakteristisch<br />
sonnigen e.s.t.-Melancholie.<br />
Das Klavier rutscht in einen<br />
Bass-Abgrund, merkwürdige Störgeräusche<br />
sind zu vernehmen, die<br />
sich wie das Zirpen eines elektronischen<br />
Totenvogels ausnehmen.<br />
Womit der eigentliche Grundton<br />
der Aufnahme angeschlagen<br />
wäre.<br />
„Sunset Sunrise“ wird ungeachtet<br />
seiner friedlich-meditativen<br />
Oberfläche von einer permanenten<br />
Spannung bestimmt. Oftmalige<br />
Klangverfremdungen und<br />
vom Klavier gehämmerte Achtel<br />
erzeugen eine düstere, bedrohliche<br />
Stimmung. Und selbst, wenn<br />
es mal etwas heiterer zugeht wie<br />
in dem skurrilen „Steelplants“,<br />
wähnt man sich keineswegs behaglich<br />
auf dem Lande, wie es<br />
der Bandname andeutet, sondern<br />
eher in einer fehlfarbenen Science-Fiction-Landschaft.<br />
e.s.t.-Epigonen? Von wegen.<br />
Mit „Sunset Sunrise“ beweisen „In<br />
The Country“, dass sie mehr mit<br />
Edvard Grieg oder Radiohead gemeinsam<br />
haben als mit Esbjörn<br />
Svensson<br />
Josef Engels<br />
Caroline Henderson<br />
Lonely House<br />
●●●●○<br />
Sony<br />
(45 Min., kein Aufnahmedatum)<br />
Meilenstein<br />
John Coltrane<br />
Van-<br />
The Complete 1961 Village<br />
guard Recordings<br />
38<br />
Impulse!/Universal<br />
IMP 42322<br />
(11 /1961, 4 CDs)<br />
„COLTRANE: The<br />
Complete 1961 Village<br />
Vanguard Recordings“.<br />
Man beachte, wie die Rezeption<br />
durch diese Titelgebung gelenkt wird, die unauffällig<br />
ein wenig in die Irre führt. Denn gerade<br />
nicht die Fokussierung auf ein monomanisches<br />
Saxofongenie macht die eigentliche<br />
Bedeutung dieser Aufnahmen aus; sie sind<br />
vielmehr das wichtigste Dokument der Partnerschaft<br />
mit Eric Dolphy, der im Juni 85 Jahre<br />
alt geworden wäre. Er sollte eigentlich mit<br />
auf den Titel, denn anders als die Zusammenarbeit<br />
mit Johnny Hodges, die Coltrane noch<br />
als Anfänger ausweist oder die Union mit<br />
Pharoah Sanders, die letztlich ein Kräftemessen<br />
zwischen Lehrer und Schüler darstellt,<br />
handelt es sich hier um eine Begegnung mit<br />
einem gleichrangigen, stilistisch andersgearteten,<br />
aber nicht weniger innovativen und<br />
eigenständigen Saxofonisten.<br />
Sie erregte Aufsehen – und Kopfschütteln:<br />
Coltrane hatte mittlerweile alle traditionellen<br />
Vorstellungen saxofonistischen Schönklangs<br />
über den Haufen geworfen. Er schrie,<br />
raste, tobte, bebte mit einer selten zuvor so<br />
stark entwickelten Eruptivkraft auf dem Saxofon;<br />
sein Klang war beißend scharf geworden,<br />
trübte sich oder quäkte. <strong>Die</strong> sich überschlagenden<br />
Stimmen von Gospelpredigern, die Intensität<br />
von Schlangenbeschwörern spiegelten<br />
sich in seinem Tenor- bzw. Sopran-Sound.<br />
Dolphys Spiel zeugt kaum weniger von Besessenheit<br />
und Getriebenheit als das Coltranes.<br />
In rasenden Läufen voller unerwarteter<br />
Intervallsprünge, Wendungen und Atempausen<br />
hüpft und windet er sich scheinbar atonal<br />
durch harmonische Labyrinthe, die um ein<br />
Vielfaches komplexer sind als der vergleichsweise<br />
statische Hintergrund von der Rhythmusgruppe,<br />
die aus McCoy Tyner (p), Reggie<br />
Workman bzw. Jimmy Garrison (b), Elvin Jones<br />
bzw. Roy Haynes (dr) besteht. Dabei gackert,<br />
kreischt und blökt der quirlige Mann,<br />
der gern zum Zwitschern der Vögel übte,<br />
auf Altsax und Bassklarinette wie eine aufgescheuchte<br />
Menagerie. Dass der frei chromatisch<br />
empfindende Dolphy Coltranes Konzeption<br />
des modalen Jazz nicht ganz unterschreiben<br />
konnte – er improvisierte über<br />
hinzugedachte Harmoniegerüste – macht den<br />
Kontrast zwischen den beiden Saxofonisten<br />
besonders spannend. Marcus A. Woelfle