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NFV_10_2010 - Rot Weiss Damme

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Denise auf dem Weg zur Fähre.<br />

Der „kleine Ballack“<br />

von Wangerooge<br />

Die zwölfjährige Insulanerin Denise Matthis spielt seit dieser<br />

Saison auf dem Festland Fußball – Per Fähre und Flieger zum Training<br />

Denise beim Schusstraining.<br />

Mit einem Ruck setzt sich die Schmalspurbahn<br />

in Bewegung. Der kleine<br />

Bahnhof der Insel bleibt langsam<br />

zurück – und mit ihm die Eltern, die winkend<br />

am Bahnsteig stehen. Denise Matthis<br />

schiebt die Kapuze ihres Pullovers noch ein<br />

bisschen tiefer ins Gesicht und zieht sich<br />

auf der Plattform zwischen den Waggons<br />

in den Windschatten zurück. Still schaut sie<br />

auf die Salzwiesen, die auf der Fahrt zum<br />

Hafen an ihr vorbeiziehen. Der Abschied<br />

fällt ihr jedes Mal schwer.<br />

Die Zwölfjährige ist auf dem Weg zum<br />

Fußballtraining auf dem Festland. Erst am<br />

Tag darauf wird sie nach Wangerooge zurückkehren,<br />

dann per Flugzeug. Mit der<br />

Fähre würde sie es nicht rechtzeitig zum<br />

Unterricht in der Inselschule schaffen. Die<br />

Nacht verbringt sie in der Familie ihres<br />

Trainers.<br />

Alles in allem sind es gut 17 Stunden,<br />

die Denise für diese Übungseinheit mit den<br />

D- und C-Juniorinnen bei Eintracht Wangerland<br />

opfert. Am Wochenende – zu den<br />

Punktspielen – sind es noch mehr. Meistens<br />

bleibt sie gleich für zwei Partien. Sonnabends<br />

spielt sie mit der einen, sonntags<br />

mit der anderen Mannschaft.<br />

Der Zug hat nach kurzer Fahrt sein Ziel<br />

erreicht. Im Strom der Tagestouristen und<br />

Inselurlauber besteigt Denise im Hafen die<br />

weiße Fähre und sucht sofort die Treppe zu<br />

einem der Aufenthaltsräume unter Deck.<br />

Hier hat sie Ruhe. Außer ihr nehmen nur<br />

zwei Familien auf einer der vielen Sitzbänke<br />

Platz. Durch die Bullaugen blicken sie fast<br />

auf Höhe der Wellen auf die graue Nordsee.<br />

Denise kramt ihr Matheheft aus dem Rucksack.<br />

Zu Hause hat die Zeit für die Schulaufgaben<br />

nicht gereicht.<br />

Bis vor kurzem habe sie die Insel nur<br />

selten verlassen, „um zum Arzt zu gehen, zu<br />

shoppen oder Verwandte zu besuchen“,<br />

sagt das Mädchen mit den grün, gelb, pink<br />

und schwarz lackierten Fingernägeln während<br />

der Überfahrt. Erst seit diesem Sommer<br />

legt bzw. hebt sie ein- bis zwei Mal pro Woche<br />

alleine in Richtung Harlesiel ab. Obwohl<br />

sie Heimweh hat und vor allem ihre Zwillingsschwester<br />

Jaqueline vermisst, nimmt sie<br />

den Aufwand gerne in Kauf. „Eigentlich<br />

macht es viel Spaß“, nickt sie und wendet<br />

sich wieder den Bruchrechnungen zu. Denise<br />

will unbedingt Fußball spielen, und auf<br />

Wangerooge ist das nur eingeschränkt möglich.<br />

Zwar gibt es hier mit dem TuS einen<br />

Fußballverein, aber es mangelt an Spielern.<br />

Eine eigene Mädchenmannschaft zusammenzubekommen,<br />

ist bei nur rund<br />

1.200 Inselbewohnern und 92 Mitgliedern<br />

im TuS nahezu ausgeschlossen. Wolfgang<br />

Tröndle, Vorsitzender des Vereins, ist froh, in<br />

dieser Saison überhaupt mal wieder eine<br />

Mannschaft für den offiziellen Spielbetrieb<br />

des Niedersächsischen Fußballverbandes<br />

(<strong>NFV</strong>) angemeldet zu haben. Die Jugendteams,<br />

in denen immer gleich mehrere Jahrgänge<br />

zusammengefasst sind, treten nur<br />

sporadisch gegen Urlaubermannschaften<br />

an. Tröndle zeigt viel Verständnis für die Situation<br />

von Denise: „In ihrem Alter ist es ein<br />

Riesenproblem auf der Insel zu sein. Hier<br />

kann man sich nicht einfach ins Auto setzen,<br />

um zum Training zu fahren“, sagt Tröndle,<br />

Portrait<br />

der auf Wangerooge ein Juweliergeschäft<br />

betreibt. Zusammen mit anderen Unternehmern<br />

und Sponsoren hat er sich bereit erklärt,<br />

Denise zu unterstützen. Die Initialzündung<br />

dazu gab Denise’ Mutter.<br />

Im Mai rief sie beim Vorsitzenden des<br />

<strong>NFV</strong>-Kreises Friesland, Heinz Lange, an. Denise’<br />

Mutter schilderte ihm den Ehrgeiz, mit<br />

dem ihre Tochter seit ihrem 6. Lebensjahr<br />

Fußball spielt und ihre Befürchtung, Denise’<br />

Talent könnte auf der Insel sprichwörtlich im<br />

Sande verlaufen. Heinz Lange wandte sich<br />

nach diesem Gespräch an Dieter Galski, der<br />

im Jugendausschuss des <strong>NFV</strong>-Kreises aktiv<br />

ist. Galski arrangierte innerhalb von einem<br />

Tag ein Probetraining in der Auswahlmannschaft.<br />

„Da waren sie ganz begeistert von<br />

Denise“, erinnert sich Denise’ Mutter, die ihre<br />

Tochter kurzerhand nach Varel begleitete.<br />

Denise’ Technik, ihre Übersicht und vor allem<br />

ihr knallharter Schuss fielen sofort auf.<br />

Über Dieter Galski wurde der Kontakt<br />

zu Heiko Harders in Hohenkirchen hergestellt.<br />

Harders ist einer dieser im positiven<br />

Sinn Fußballverrückten. Drei Mädchenteams<br />

trainiert er bei Eintracht Wangerland, dazu<br />

die Damenmannschaft. Ohne lange zu überlegen,<br />

fuhr er nach Wangerooge, um auszuloten,<br />

ob Denise bei der Eintracht mittrainieren<br />

könne. „Ich würde es auch machen,<br />

wenn sie zwei linke Beine hat“, sagt der 45-<br />

Jährige. Aber Denise sei eben „ein Riesentalent“.<br />

Sie sei „sehr offensivstark“ und spiele<br />

„wie ein kleiner Ballack“. Wenn sie den Ball<br />

annehme, „ist immer gleiche eine Seitbewegung“<br />

lobt Harders. Er ist sicher: „Sie hat<br />

das Zeug für den Sprung nach ganz vorne.“<br />

Vor allem dank des Einsatzes von Heiko<br />

Harders haben Denise, ihre Eltern, der <strong>NFV</strong><br />

und einige Sponsoren ihre Kräfte gebündelt.<br />

Seit Juli pendelt die Sechstklässlerin jetzt<br />

zwischen ihrem Zuhause auf der Insel und<br />

den Fußballplätzen auf dem Festland. Die<br />

Kosten für die Fahrten und Flüge in dieser<br />

Saison sind gesichert. Danach müsse man<br />

weiterschauen, sagen alle Beteiligten.<br />

Auf der Fähre hat Denise ihre Matheaufgaben<br />

inzwischen beendet und steht auf<br />

dem Oberdeck. Das Schiff erreicht gerade<br />

Harlesiel. Von der Reling aus schaut Denise<br />

dem Anlegemanöver zu. Unter ihrer Kapuze<br />

ragen ein paar dunkelblonde Strähnen hervor<br />

und flattern im Wind. Noch immer trennen<br />

sie rund 15 Kilometer Autofahrt vom<br />

Trainingsplatz. Im Normalfall warten Heiko<br />

Harders oder dessen Frau Andrea bereits,<br />

um Denise abzuholen.<br />

Als sie knapp zwanzig Minuten später<br />

bei der Mannschaft eintrifft, sind die Gedanken<br />

an die Insel, ihre Eltern und die Zwillingsschwester<br />

schnell vergessen. Die Mädchen<br />

begrüßen sie und kurz darauf bittet<br />

Heiko Harders auch schon zur ersten Aufwärmübung.<br />

Denise kann wieder das machen,<br />

was sie am liebsten macht: Fußball<br />

spielen. Text und Fotos: Gordon Päschel<br />

Oktober 20<strong>10</strong> 13

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