Reise nach Ixtlan - Sapientia
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genügend Zeit zu haben, denn um Punkt sechs mußten wir im Wasser sein. Und<br />
wenn dann morgens der Wecker rasselte, sprang er aus dem Bett, setzte die Brille<br />
auf und ging zum Fenster, um hinauszuschauen.<br />
Den Monolog, der dann folgte, konnte ich sogar noch auswendig:<br />
»Hm… etwas bewölkt heute. Hör mal, ich lege mich nochmal gerade für fünf Minuten<br />
hin, ja? Nicht länger als fünf Minuten. Ich will nur eben mal meine Muskeln strecken<br />
und ganz wach werden.«<br />
Und dann schlief er regelmäßig wieder ein – bis zehn Uhr, manchmal bis Mittag.<br />
Was mich am meisten ärgerte, sagte ich zu Don Juan, sei seine Weigerung<br />
gewesen, seine offensichtlich falschen Entschlüsse aufzugeben. Jeden Morgen<br />
wiederholte er dieses Ritual, bis ich schließlich seine Gefühle verletzte, indem ich<br />
mich weigerte, den Wecker zu stellen.<br />
»Das waren keine falschen Entschlüsse«, sagte Don Juan, der offenbar die Partei<br />
meines Vaters ergriff. »Er konnte einfach nicht das Bett verlassen, das ist alles.«<br />
»Auf jeden Fall«, sagte ich, »bin ich immer mißtrauisch gegenüber unrealistischen<br />
Entschlüssen.«<br />
»Und was wäre denn ein realistischer Entschluß?« fragte Don Juan mit verhaltenem<br />
Lächeln.<br />
»Wenn mein Vater sich gesagt hätte, daß er nicht um sechs Uhr morgens, sondern<br />
vielleicht erst um drei Uhr <strong>nach</strong>mittags schwimmen gehen wollte.«<br />
»Deine Entschlüsse verstoßen gegen den Geist«, sagte Don Juan mit sehr ernster<br />
Miene. Ich meinte sogar einen Anflug von Trauer in seiner Stimme zu bemerken. Wir<br />
schwiegen lange. Mein Unwille war verflogen. Ich dachte an meinen Vater.<br />
»Er wollte nicht um drei Uhr <strong>nach</strong>mittags schwimmen. Siehst du das nicht ein?«<br />
fragte Don Juan. Seine Worte ließen mich auffahren.<br />
Ich sagte Don Juan, daß mein Vater schwach gewesen sei, genau wie seine Welt<br />
idealer Taten, die er nie ausgeführt habe. Ich schrie beinah.<br />
Don Juan sagte kein Wort. Er wiegte langsam und rhythmisch den Kopf. Ich war<br />
furchtbar traurig. Es machte mich immer schwermütig, an meinen Vater zu denken.<br />
»Du hieltest dich für stärker, nicht wahr?« fragte er beiläufig. »Ja, das tat ich«, sagte<br />
ich und begann, ihm von all den emotionellen Qualen zu erzählen, die mein Vater mir<br />
zugefügt hatte, aber er unterbrach mich. »War er gemein zu dir?« fragte er. »Nein.«<br />
»War er dir gegenüber kleinlich?« »Nein«.<br />
»Tat er für dich alles, was er konnte?« »Ja.«