Luft im Krankenhaus - Schaffler Verlag
Luft im Krankenhaus - Schaffler Verlag
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Was Hygiene bringt<br />
<strong>Luft</strong> <strong>im</strong> <strong>Krankenhaus</strong><br />
Für raumlufttechnische Anlagen<br />
(RLT) in Krankenanstalten und<br />
anderen Gesundheitseinrichtungen<br />
werden in Österreich jährlich hohe<br />
Summen ausgegeben. Spezielle Normen<br />
regeln die Errichtung und den Betrieb<br />
derartiger Anlagen, in Österreich<br />
ist es die ÖNORM H6020 aus dem Jahr<br />
2007. Vergleichbare Regelwerke gibt<br />
es in Deutschland mit der DIN 1946-4<br />
und in der Schweiz. Im Vordergrund<br />
steht sicherlich die Normierung der<br />
technischen Ausstattung, doch werden<br />
häufig auch hygienische Erfordernisse<br />
als Grund für einzelne Regelungen<br />
angegeben. Durch die Bescheidpraxis<br />
der Behörden hat die ÖNORM H6020<br />
in Österreich verbindlichen Charakter<br />
bekommen. Errichtungs- und Betriebsbewilligungsbescheide<br />
werden nach<br />
dieser Norm erlassen.<br />
Durchsucht man die ÖNORM H6020<br />
nach den Worten „Hygiene“ samt Zusammensetzungen<br />
und „hygienisch“,<br />
so erzielt man 103 Treffer. Also handelt<br />
es sich offensichtlich um ein wichtiges<br />
Anliegen dieser Norm. Hygiene ist definiert<br />
als die Lehre von der Verhütung<br />
von Krankheiten und der Erhaltung und<br />
Festigung der Gesundheit (Deutsche Gesellschaft<br />
für Hygiene und Mikrobiologie,<br />
1980). Wenn man den umfassenden<br />
Gesundheitsbegriff der WHO zugrunde<br />
legt, so sind es drei Bereiche, in denen<br />
die Hygiene in Zusammenhang mit den<br />
RLT zu stellen ist: die Behaglichkeit, die<br />
Vermeidung einer Belastung durch Allergene<br />
und die Verhütung von Infektionen.<br />
Die nötige Behaglichkeit wird durch<br />
Frischluft- und Sauerstoffzufuhr und<br />
durch Abtransport von Gerüchen und<br />
Schadstoffen gewährleistet. In unkritischen<br />
Bereichen eines <strong>Krankenhaus</strong>es<br />
lässt sich dies auch durch Fensterlüftung<br />
bewerkstelligen. Weiters können Befeuchtung und gelegentlich<br />
auch die Abfuhr von übermäßiger Feuchte von Bedeutung<br />
sein, eine Domäne der RLT. Heizung und Kühlung, wesentliche<br />
Faktoren des Wohlbefindens, erfolgen energiesparend durch beheizte<br />
oder gekühlte Bauteile (Fußböden, Decken, Wände und andere<br />
statische Heiz- und Kühlflächen). Nur wenn mit diesen nicht<br />
das Auslangen gefunden wird, sind Heizung und Kühlung durch<br />
Raumlufttechnik kann in Spezialbereichen zur Infektionsprävention<br />
beitragen. Ohne andere Maßnahmen wie Händehygiene,<br />
Asepsis und Antisepsis, hygienegerechte Planung<br />
von Arbeitsabläufen, Isolierung oder gezielte Umgebungsdesinfektion<br />
wird sie jedoch unwirksam bleiben.<br />
Helmut Mittermayer<br />
Die ÖNORM H6020<br />
Die Neufassung der ÖNORM H6020 „Lüftungstechnische Anlagen in medizinisch genutzten<br />
Räumen – Projektierung, Errichtung, Betrieb, Instandhaltung, technische und<br />
hygienische Kontrollen“ berücksichtigt den Paradigmenwechsel. Sie ist aber wie die<br />
meisten Regelwerke ein Kompromiss, der aus der Auseinandersetzung verschiedener<br />
Interessengruppen entstanden ist. Daher gibt es noch vieles, das aus vermeintlich hygienischen<br />
Gründen aufgenommen wurde, aber nach heutiger einhelliger Ansicht der<br />
Hygieniker nur am Rande, wenn überhaupt mit der Prävention von Infektionen zu tun<br />
hat. Immer noch wird <strong>im</strong> Namen der Hygiene außerhalb der kritischen Bereiche viel<br />
zuviel <strong>im</strong> Detail reglementiert. Dennoch ist die Neuauflage ein wesentlicher Fortschritt<br />
in Richtung rationaler Anforderungen an die Raumlufttechnik.<br />
Die Raumklassen nach der jetzt gültigen ÖNORM H6020 werden wie folgt eingeteilt:<br />
Raumklasse H1: Operationsschutzzone <strong>im</strong> OP-Saal<br />
H1a: Operationsschutzzone <strong>im</strong> OP-Saal für Eingriffe mit Implantation von<br />
Fremdmaterial<br />
H1b: Operationsschutzzone <strong>im</strong> OP-Saal für Eingriffe ohne Implantation<br />
von Fremdmaterial<br />
Die Schutzzone soll für H1a mindestens 8 m 2 und für H1b 6-8 m 2 betragen.<br />
Raumklasse H2: Schutzisolierung<br />
H2a: reiner Bereich (Schutzzone) in Verbrennungseinheiten<br />
H2b: reiner Bereich (Schutzzone) in Bettenz<strong>im</strong>mern für Sonderbehandlungen<br />
(z.B. Knochenmarktransplantation)<br />
Raumklasse H3: Quellenisolierung<br />
Raumklasse H4: Räume, die nicht in den Raumklassen H1 bis H3 erfasst sind<br />
Das Raumklassenkonzept gilt nur für medizinisch genutzte Räume. Es wird daher sinnvoll<br />
sein, bereits bei der Planung zu definieren, welche Räume als medizinisch genutzt<br />
anzusehen sind. Als nicht medizinisch genutzt gelten beispielsweise Verwaltungs-,<br />
Wirtschafts- und Technikräume, Unterrichts- und Schulungsräume, Bettenreinigung<br />
und –desinfektion, Zentralsterilisation, Tresorraum für radioaktive Substanzen oder<br />
Lager für radioaktive Abfälle. ::<br />
bewegte <strong>Luft</strong> sinnvoll. Hygienische Gründe für die Verwendung<br />
von RLT zur Temperaturregelung, wie sie früher <strong>im</strong>mer wieder<br />
angegeben wurden, bestehen nicht. Fensterlüftung kann je nach<br />
Standort und Jahreszeit eine Belastung durch Allergene bedeuten<br />
und damit eine RLT erforderlich machen. Durch die zumindest<br />
zweistufige Filterung der <strong>Luft</strong> und die Befeuchtung mit Wasserdampf,<br />
wie dies in der ÖNORM H6020 für <strong>Krankenhaus</strong>bauten<br />
16 Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ<br />
51. Jg. (2010), 04 | www.schaffler-verlag.com
Was Hygiene bringt ::<br />
gefordert wird, ist bei ordnungsgemäßem Betrieb eine <strong>Luft</strong>belastung<br />
durch Allergene, auch durch solche, die in der RLT selbst entstünden,<br />
ausgeschlossen.<br />
Exogene Infektionen werden direkt von Mensch zu Mensch übertragen<br />
oder bedürfen eines Vehikels zur Weitergabe der Infektionserreger.<br />
Weitaus wichtigste Überträger von Infektionen in Gesundheitseinrichtungen<br />
sind die Hände des Personals. Es folgen die<br />
Berufskleidung, Gegenstände und Medien mit Kontakt zu Wunden<br />
oder physiologisch ke<strong>im</strong>freien Körperbereichen und solche mit<br />
Kontakt mit weniger gefährdeten Arealen wie der intakten Haut.<br />
Dann erst kommen Staub, <strong>Luft</strong> und patientenferne Oberflächen<br />
wie Wände und Fußböden. Es gibt auch keinerlei Hinweis, dass<br />
zwischen dem Ke<strong>im</strong>gehalt der Raumluft in allgemeinen Stationen<br />
und dem Infektionsrisiko irgendeine Beziehung besteht. Auch bei<br />
hohem Wirkungsgrad würde eine RLT den Ke<strong>im</strong>- und Partikelgehalt<br />
der Raumluft nicht sicher kontrollieren, da Anzahl und Bewegungsaktivität<br />
der Menschen <strong>im</strong> Raum, deren Bekleidung und die Aufwirbelung<br />
von Oberflächen den Partikel- und damit den Ke<strong>im</strong>gehalt<br />
maßgeblich best<strong>im</strong>men.<br />
Paradigmenwechsel für die Operationsabteilung<br />
Was den Operationssaal betrifft, so hat Lidwell in einer nun schon<br />
klassischen Studie in den 1980ern gezeigt, dass sich durch den<br />
Einsatz einer turbulenzarmen Verdrängungsströmung (TAV), auch<br />
als Laminar Air Flow bezeichnet, die Häufigkeit von Wundinfektionen<br />
nach Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen gegenüber<br />
einer konventionellen Belüftung des Operationsfeldes deutlich<br />
vermindern lässt.<br />
Nach heutiger Meinung profitieren Patienten mit Eingriffen am<br />
Knochen und an den großen Gelenken, solche bei denen Fremdkörper<br />
<strong>im</strong>plantiert werden, neurochirurgische Eingriffe am Zentralnervensystem<br />
oder offene Thoraxoperationen vorgenommen werden,<br />
am ehesten von einer aufwendigen Raumlufttechnik, auch wenn<br />
nicht für alle Indikationen Nachweise vorliegen. Für die Schutzisolierung<br />
besonders infektionsgefährdeter Menschen gibt es ebenfalls<br />
keine ausreichenden Studien, die die Notwendigkeit raumlufttechnischer<br />
Maßnahmen belegen. Vorsichtige Aussagen sind<br />
nach dem heutigen Wissensstand jedoch möglich. Für Patienten<br />
mit schweren Verbrennungen scheint die Belastung aus der <strong>Luft</strong><br />
relevant zu sein, daher empfiehlt sich der Einsatz von RLT. Bei der<br />
allogenen Knochenmarktransplantation und bei Patienten mit lang<br />
andauernder Neutropenie besteht ein hohes Risiko von exogenen<br />
Sch<strong>im</strong>melpilzinfektionen. Daher erscheint es sinnvoll, in den entsprechenden<br />
Stationen geeignete RLT zu installieren. Hier gehen<br />
die Meinungen und damit die Vorgangsweisen in den einzelnen<br />
Kliniken beträchtlich auseinander. Die Praxis zeigt aber, dass sich<br />
das Behandlungsergebnis nicht allein aus dem Grad der Schutzisolierung<br />
vorhersagen lässt. Bei der Quellenisolierung, also dem<br />
Schutz der Umgebung vor besonders gefährlichen Infektionserregern,<br />
wird durch Unterdruck <strong>im</strong> Patientenz<strong>im</strong>mer gegenüber den<br />
angrenzenden Räumen das Austreten kontaminierter <strong>Luft</strong> verhindert.<br />
Zumindest für einzelne Infektionen wie etwa Tuberkulose ist<br />
die Wirksamkeit dieser Maßnahme belegt.<br />
Die Erkenntnis, dass die <strong>Luft</strong> für die Übertragung von Infektionen<br />
nur in Spezialbereichen von Bedeutung ist, hat sich nur langsam<br />
durchgesetzt. Noch <strong>im</strong>mer bestehen unrealistische Vorstellungen<br />
über deren Rolle in der Infektionsübertragung und damit verbunden<br />
mit der Wirksamkeit von RLT. Tatsächlich hat sich aber in der<br />
Fachwelt bereits ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Österreichische<br />
Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin,<br />
die Deutsche Gesellschaft für <strong>Krankenhaus</strong>hygiene und<br />
die schweizerische Gesellschaft für Spitalshygiene fassen diesen<br />
Paradigmenwechsel in einer Stellungnahme zusammen.<br />
1. <strong>Luft</strong> ist kein relevantes Erregerreservoir für endemische postoperative<br />
Infektionen ohne Implantation großer Fremdkörper.<br />
2. Es gibt hinreichende Daten dafür, dass die <strong>Luft</strong> bei Implantation<br />
großer Fremdkörper von Bedeutung ist.<br />
3. Es gibt überzeugende Daten dafür, dass eine Kontamination der<br />
<strong>Luft</strong> <strong>im</strong> unmittelbaren Bereich von OP- und Instrumententisch<br />
eine Kontamination des OP-Feldes zur Folge hat.<br />
4. Es gibt viele Hinweise dafür, dass die <strong>Luft</strong> bei der Erregerübertragung<br />
während der OP <strong>im</strong> Zusammenhang mit epidemischen postoperativen<br />
Infektionen von großer Bedeutung sein kann.<br />
5. Es gibt weder aus klinischen noch aus mikrobiologischen Studien<br />
einen einzigen Hinweis darauf, dass die <strong>Luft</strong> in den an den<br />
OP-Saal angrenzenden oder sogar in den entfernter liegenden<br />
Räumen der OP-Abteilung einen Einfluss auf das postoperative<br />
Wundinfektionsrisiko hat.<br />
Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen: Konzentration auf<br />
das Wesentliche, das sind das Operationsfeld und der Instrumententisch.<br />
Erfüllt werden können die Anforderungen an die <strong>Luft</strong>reinheit<br />
nur durch eine vertikale TAV mit Schwebstofffiltern. In<br />
die Schutzzone müssen das Operationsteam und der Instrumententisch<br />
einbezogen werden. Da es von oben nach unten zu einer<br />
Einengung des turbulenzarmen <strong>Luft</strong>stromes kommt, muss der TAV-<br />
Schirm größer als die Schutzzone sein. Für alle anderen Räume der<br />
OP-Abteilung und des <strong>Krankenhaus</strong>es mit Ausnahme der bereits<br />
erwähnten Sonderbehandlungsstationen ist eine Komfortkl<strong>im</strong>atisierung<br />
mit Grundlüftung und Flächentemperierung ausreichend.<br />
Daraus resultieren geringere <strong>Luft</strong>volumina für unkritische Bereiche,<br />
damit kleiner d<strong>im</strong>ensionierte Anlagen und weniger Platzbedarf.<br />
Für OP-Abteilungen ergeben sich allerdings neue Planungsvorgaben,<br />
die hier zu einem höheren Aufwand führen können.<br />
Insgesamt kommt es aber zu einer Reduktion<br />
der Investitions- und Betriebskosten. ::<br />
Pr<strong>im</strong>. Univ.-Prof.<br />
Dr. Helmut Mittermayer ist Leiter des<br />
Instituts für Hygiene, Microbiologie und<br />
Tropenmedizin am <strong>Krankenhaus</strong> der<br />
Elisabethinen in Linz.<br />
helmut.mittermayer@elisabethinen.or.at<br />
Ausbildung: Qualitätsbeauftragter | www.cqa.de<br />
51. Jg. (2010), 04 | www.schaffler-verlag.com Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 17