Schauspielhaus Zürich Zeitung #9
Schauspielhaus Zürich Zeitung #9
Schauspielhaus Zürich Zeitung #9
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28 Ins Theater mit ...<br />
Brigitte von der<br />
29<br />
Crone<br />
„Der Prozess“: Dagna Litzenberger Vinet und Markus Scheumann<br />
Seit März dieses Jahres ist Dr. Brigitte<br />
von der Crone Verwaltungsratspräsidentin<br />
des <strong>Schauspielhaus</strong>es. Sie arbeitet als<br />
Rechtsanwältin in <strong>Zürich</strong>.<br />
Am 12.September besuchte sie die<br />
Premiere von „Der Prozess“ in der Regie<br />
von Barbara Frey. Am Tagnach der<br />
Premiere hat sie unseren Fragebogen<br />
beantwortet.<br />
Vonwoher kamen Sie zu der Vorstellung<br />
ins <strong>Schauspielhaus</strong>?<br />
Ich kam von einem kleinen Znacht zu<br />
Hause. Da wir gleich um die Ecke wohnen,<br />
habe ich nur fünf Minuten zum Theater.<br />
Kannten Sie den Text vorher?<br />
Ja, ich kannte den Text. Ich habe ihn in<br />
jungen Jahren gelesen. Auch wusste<br />
ich, dass er einmal von Orson Welles<br />
verfilmt wurde, habe diesen Film<br />
aber nicht gesehen. Dass bzw. ob es<br />
auch Bühnenfassungen gibt, war mir<br />
nicht bekannt. In diesem Sinne war es<br />
für mich am Donnerstag in doppelter<br />
Hinsicht eine Premiere.<br />
In welcher Stimmung waren Sie in dem<br />
Moment, als im Zuschauerraum das Licht<br />
ausging?<br />
Ich war infreudiger Anspannung,<br />
Saisoneröffnung mit Kafka, wunderbar!<br />
Haben Sie während der Vorstellung<br />
gelacht, und wenn ja, worüber?<br />
Die Szene mit Siggi Schwientek als alter<br />
Anwalt senkrecht im Bett fand ich<br />
grossartig, ja, da habe ich gelacht.<br />
Ansonsten eigentlich nicht. Es gibt nach<br />
meiner Auffassung auch keine lustigen<br />
Passagen im Stück.<br />
Hat Sie etwas an der Vorstellung berührt?<br />
Wenn ja, was?<br />
Das einsame Leben von Josef K. ist<br />
trostlos, das hat mich berührt. Im Theater<br />
ist das aber weniger ausgeprägt als im<br />
Text selbst.<br />
Entsprach die Aufführung Ihren<br />
Erwartungen? Wenn ja, wie sahen diese<br />
aus? Wenn nein, warum nicht?<br />
Ich hatte keine konkreten Erwartungen.<br />
Anders als bei Stücken, die für die Bühne<br />
geschrieben sind, weiss man nicht,<br />
was einen erwartet und wie der Text<br />
umgesetzt werden wird. Bei Barbara<br />
Frey weiss ich, und ging deshalb davon<br />
aus, dass sie sich sehr intensiv mit<br />
dem Text auseinandersetzen und eine<br />
perfekt durchdachte Arbeit machen<br />
würde. Das hat auch zugetroffen, ich fand<br />
die Inszenierung ausgezeichnet.<br />
Hatten Sie während des Zusehens den<br />
Gedanken, dass es besser gewesen<br />
wäre, wenn Sie sich vor Ihrem Besuch<br />
noch einmal genauer über den Text<br />
und den Autor informiert hätten?<br />
Ich hatte noch Zeit, das Programmheft zu<br />
studieren. Das hat mir weitere<br />
Informationen geliefert.<br />
Finden Sie, dass die Aufführung etwas<br />
mit Ihnen zu tun hat? Wenn ja, was?<br />
Da ich selbst Anwältin bin, habe ich der<br />
damaligen Reputation meines Berufsstandes<br />
natürlich etwas mehr Beachtung geschenkt<br />
als wahrscheinlich jemand anderer.<br />
Mein Schluss war aber, dass sich der<br />
Rechtsstaat –obwohl er auch im Text<br />
mehrfach als solcher vorkommt –seit<br />
Kafkas Lebzeiten deutlich weiter entwickelt<br />
hat. Da muss man daher abstrahieren.<br />
Zudem lebte er in einer generell schwierigen<br />
Zeit. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass<br />
wir Anwälte heutzutage gerade wegen<br />
der grösseren Rechtssicherheit in unserem<br />
Rechtsstaat einen besseren Ruf geniessen<br />
als damals –ich jedenfalls erlebe das<br />
glücklicherweise so.<br />
Was denken Sie als Juristin über Kafkas<br />
Werk? Gibt es Parallelen zur heutigen<br />
Rechtsprechung?<br />
<strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Zürich</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> <strong>#9</strong><br />
Herausgegeben von der<br />
<strong>Schauspielhaus</strong> <strong>Zürich</strong> AG<br />
Zeltweg 5, 8032 <strong>Zürich</strong><br />
www.schauspielhaus.ch<br />
Intendanz Barbara Frey<br />
Kafka hat eine Welt beschrieben, die<br />
mit dem damaligen unsicheren und<br />
intransparenten System zusammenhing<br />
und überdies war erjemand, der die<br />
Welt als schwieriges Umfeld erlebte.<br />
Direkte Parallelen sehe ich in unserer<br />
Rechtsprechung glücklicherweise keine.<br />
Hingegen scheint mir das Stück ein<br />
flammendes Plädoyer für „due process“<br />
zu sein. Das ist auch bei uns wichtig und<br />
sollte nie verloren gehen. Unser Problem<br />
liegt heute aber mehr bei Instanzen<br />
staatlicher Verwaltung im Umgang mit<br />
Bürgern oder etwa imöffentlichen<br />
und kurzen Prozess der Medien als<br />
beispielsweise im Strafprozess, in dem<br />
diese Standards weitgehend gewährleistet<br />
sind.<br />
Wie zufrieden waren Sie mit dem<br />
Publikum? Haben Sie sich geärgert oder<br />
gefreut? Worüber?<br />
Es wurde oft anStellen gelacht, an<br />
denen ich nichts Lustiges entdecken<br />
konnte. Aber darüber geärgert habe<br />
ich mich nicht. Ich erlebe das fast<br />
bei jeder Vorstellung. Die Menschen<br />
sind unterschiedlich und haben<br />
auch einen unterschiedlichen Humor.<br />
Der Applaus am Schluss war toll,<br />
in diesem Sinne habe ich mich über<br />
das Premierenpublikum gefreut!<br />
Haben Sie sich nach der Vorstellung<br />
über das Stück unterhalten? Oder haben<br />
Sie auf dem Heimweg noch über etwas<br />
nachgedacht, das mit der Aufführung zu<br />
tun hatte?<br />
Ja, wir haben uns mit Bekannten gefragt,<br />
was wohl die Beweggründe waren,<br />
diesen Text überhaupt für die Bühne zu<br />
Redaktion Andreas Karlaganis,<br />
Eva-Maria Krainz, Gwendolyne Melchinger,<br />
Julia Reichert, Andrea Schwieter<br />
(Redaktionsleitung), Karolin Trachte<br />
Fotos<br />
Prisca Baumann S.24/25, Raphael Hadad<br />
S.22/23, Matthias Horn S.1/6/8/16 unten/<br />
17/28/32, Birgit Hupfeld S.10,<br />
T+T Fotografie S.4/7/13/16 oben/<br />
18/20/26, PD S.14<br />
adaptieren. Später haben wir uns darüber<br />
unterhalten, dass die Schauspieler<br />
wieder einmal eine grossartige Leistung<br />
gezeigt haben, insbesondere auch<br />
deshalb, weil jeder etwa vier Rollen<br />
spielte, die z.T. unterschiedlicher nicht<br />
hätten sein können. So spielt etwa<br />
Klaus Brömmelmeier einerseits den scharf<br />
bellenden Onkel und unmittelbar darauf<br />
kommt er als Künstler barfuss auf<br />
die Bühne. Nur Herr K.spielt immer sich<br />
selbst –Markus Scheumann auch<br />
ganz wunderbar, keine Frage –aber alle<br />
anderen wandeln sich laufend. Diese<br />
Regie passt hervorragend zum Stück, ja,<br />
setzt die ganze Ambivalenz des Textes<br />
perfekt um, fanden wir.<br />
Welche Frage würden Sie dem Regieteam<br />
dieser Aufführung gerne stellen?<br />
Was waren die Beweggründe, den Text<br />
auf die Bühne zu bringen? Kafka als<br />
Person oder der Inhalt des „Prozesses“?<br />
Welches Stück würden Sie gerne als<br />
nächstes sehen?<br />
Da ich lange Theaterstücke liebe,<br />
hätte ich gegen eine Bühnenadaption<br />
von „Anna Karenina“ absolut gar<br />
nichts einzuwenden. Ein wunderbares<br />
Gesamtkunstwerk. Ich würde aber<br />
gerne auch einmal etwas von Ernest<br />
Hemingway sehen, z.B. eine meiner<br />
Lieblingsgeschichten „The Short<br />
and Happy Life of Francis Macomber“<br />
aus „The Snows of Kilimanjaro“.<br />
Gestaltung velvet.ch/Nina Oppliger<br />
Druck Speck Print AG, Baar<br />
Auflage 20000<br />
Erscheint am 4.Oktober 2013<br />
Partner des <strong>Schauspielhaus</strong>es <strong>Zürich</strong>