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zeitungzur - Schauspiel Frankfurt

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2013/14<br />

Anwesenheit GEMEINSCHAFT Abwesenheit<br />

43<br />

Ich hatte überhaupt nichts<br />

werden und natürlich niemals<br />

ein Beruf werden wollen,<br />

ich hatte immer nur ich werden<br />

wollen.<br />

Wille zur Wahrheit von Thomas Bernhard<br />

Premiere November 2013<br />

Die Idee ist gewesen, der<br />

Existenz auf die Spur zu kommen,<br />

der eigenen wie den andern.<br />

Wille zur Wahrheit von Thomas Bernhard Premiere November 2013<br />

den eigenen Lebensentwurf, der im Fall der Mutter von<br />

Thomas Bernhard eine eigene weibliche Selbstständigkeit<br />

nicht vorsieht: Bernhards Mutter lebt in einer engen<br />

Bindung an ihren eigenen Vater, dessen angestrengt<br />

schriftstellerischen Aspirationen sie eine grenzenlose<br />

Bewunderung entgegenbringt.<br />

Während in den Würdigungen des literarischen Werks<br />

von Thomas Bernhard die in affektiver wie intellektueller<br />

Hinsicht umsichtige Präsenz des Großvaters<br />

Johannes Freumbichler zu Recht angeführt wird,<br />

wenn es darum geht, den Weg Bernhards in die literarische<br />

Sublimierung, die eindrucksvoll bittere Sprachgewalt<br />

einer Weltklage, biografisch zu bestimmen, bleibt<br />

die intime gegen alle Verzweiflung beständige Zuneigung<br />

zur Mutter übersehen. Bernhard, der auf der Ebene<br />

der trivialen Alltagserfahrung sich Vorwürfe anhören<br />

muss, die in ihrer Verachtung nicht drastischer ausfallen<br />

konnten, gelingt es, zu seiner Mutter eine Bindung<br />

aufrechtzuerhalten, so als nehme er sie gegen ihre eigenen<br />

Irrtümer, gegen die Brutalität ihrer Ablehnung des<br />

ungeliebten Sohnes, in einer grandiosen Geste des<br />

Verzeihens in Schutz, als würde er im Unterton ihrer<br />

scharfen Distanz eine Zuneigung erkennen, die unsichtbar<br />

und doch wirkungsvoll bleibt, ja, die zwischen Mutter<br />

und Sohn von dem Geheimnis eines gegen die Welt<br />

gerichteten Überlebenswillens getragen ist. Es ist eine<br />

gegen alle Wahrscheinlichkeit extrem aufopferungsvolle<br />

Liebe. Bernhard, der tagtäglich nach Evidenzen der Zuneigung<br />

vergeblich gesucht hat, führt in einer Art Autosuggestion<br />

ein Zwiegespräch mit der Mutter als ein<br />

gegen alle Kränkungen immer wieder anspruchsvoll und<br />

zuweilen usurpatorisch auftretendes Insistieren auf Einzig<br />

artigkeit. Dieser kaum offen artikulierten Liebe entstammt<br />

das kontinuierliche Sprechen, das im Werk und<br />

seinem fantastischen monologisierenden Stakkato seinen<br />

literarischen Ausdruck findet. Dieser Liebe entstammt<br />

die Moses-Fantasie, wie auch der in seinen<br />

Selbst äußerungen zu einem Heiligen verklärte Großvater.<br />

Dieser schenkt seinem Enkel zwar rührende Aufmerksamkeit,<br />

gleichzeitig verlangt er jedoch im Verfol gen<br />

seiner eigenen literarischen Selbstmission seinen Mitmenschen<br />

eine bis zur Groteske gesteigerte Fügsamkeit<br />

ab. Trotzdem wird er vom jungen Bernhard so<br />

geliebt, als wolle er auch hierbei der Mutter und deren<br />

abwegiger Liebe zu ihrem eigenen Vater folgen:<br />

»Ich beobachtete mit Liebe, wie er schrieb und wie ihm<br />

meine Großmutter dabei aus dem Weg ging, behutsam<br />

lud sie zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Nachtmahl,<br />

wir hatten die Behutsamkeit meinem Großvater<br />

gegenüber zu unserer Hauptdisziplin gemacht, solange<br />

er lebte, war die Behutsamkeit oberstes Gebot. Alles<br />

musste leise gesprochen sein, wir mussten leise gehen,<br />

wir mussten uns ununterbrochen leise verhalten. Der<br />

Kopf ist zerbrechlich wie ein Ei, so mein Großvater, das<br />

leuchtete mir ein, erschütterte mich gleichzeitig.«<br />

Thomas Bernhard: »Ein Kind«<br />

D<br />

ie enge Bindung an den Großvater erscheint somit<br />

nicht als endliche Ankunft eines früh traumatisierten<br />

Menschen, sondern als Fortsetzung der<br />

psychosozialen Obdachlosigkeit im Schatten einer<br />

grandiosen großväterlichen Verkennung. Bernhard gerät<br />

in die bedrückende Delegation, das vergebliche<br />

Bemühen um die Anerkennung als Schriftsteller nun<br />

stellvertretend zu übernehmen. So betrachtet rückt<br />

auch und gerade der Großvater in die Abfolge von<br />

Verkennungen ein:<br />

»Der Mensch lechzt von Natur aus nach Liebe, von Anfang<br />

an. Nach Zuwendung, Zuneigung, die die Welt zu<br />

vergeben hat. Wenn einem das entzogen wird, kann<br />

man hundertmal sagen, man sei kalt und sehe und höre<br />

das nicht. Es trifft einen mit aller Härte. Aber das gehört<br />

eben dazu, dem kann man nicht ausweichen.«<br />

»Von einer Katastrophe in die andere«, Thomas Bernhard im Gespräch<br />

mit Asta Scheib<br />

D<br />

as besondere einer Kränkung der Art, wie sie Thomas<br />

Bernhard erfahren hat, tritt darin zu Tage: Noch<br />

in der Entfernung, die die Mutter ihm tagtäglich demonstriert,<br />

in der sternenweiten Einsamkeit, die ihn umgibt,<br />

kreiert er sie sich als seine Verbündete. Er fantasiert<br />

sich in ihre Welt hinein und zieht selbst aus ihrer<br />

Einsamkeit als einer Frau, die sich der Mutterschaft zu<br />

verweigern sucht, die Kraft für die eigene Lebenszuversicht.<br />

Die Mutter, die sich entzieht, erscheint für das<br />

heranwachsende Kind paradoxerweise in der Unerreichbarkeit<br />

als eine einzige Vollkommenheit.<br />

»K<br />

unstwerke folgen ihrem Formgesetz, indem sie<br />

ihre Genesis verzehren« (Th. W. Adorno) – daran<br />

ist angesichts der brennenden Suggestivität der<br />

bernhardschen autobiografischen Texte zu erinnern.<br />

Die sozialisatorischen Erfahrungen eines desaströs aufgeschichteten<br />

Lebens in der Verkennung der Realität<br />

mögen als solche eindrucksvoll sein. Zieht man aber<br />

den sozialgeschichtlichen Hintergrund, die bäuerliche<br />

Herkunft, die politische Situation eines begeistert die<br />

nationalsozialistische Okkupation feiernden Österreichs,<br />

die zerbrochenen Familienbeziehungen von Menschen,<br />

die sich aus der Enge ihrer Lebensumgebung<br />

überstürzt zu befreien versuchen, zieht man all dies hinzu,<br />

so verliert die Drastik des biografischen Exposés<br />

von Thomas Bernhard allerdings ihre Singularität. Sie<br />

wird eben nichts anderes als eine Vorlage. Aber Vorlage<br />

für was? Was hier in die Sache der Kunst übersetzt wird<br />

und fern von einem Erschauern angesichts der Idiosynkrasie<br />

eines Lebens berührt, was in diesem Sinne auch<br />

das künstlerische Darstellungsmotiv übersteigt und von<br />

den biografischen Ausgangsbedingungen unabhängig<br />

geworden ist, ist ein Gebilde, das der Erfahrung der<br />

Resonanzlosigkeit und Obdachlosigkeit eine Sprache<br />

verleiht. Es handelt sich nicht um eine mystifizierte Einsamkeit<br />

des Ich, vielmehr um eine kommunikative Situation,<br />

die die Gabe des Sprechens verweigert und somit<br />

dem Menschen die Möglichkeit einer Weltverortung<br />

nimmt. In dieser Bedrohung, in der vitalen Geselligkeit<br />

mit anderen, den »Lebensmenschen«, unter deren Zuspruch<br />

man sich anerkannt weiß, von der Abwesenheit<br />

überfallen zu werden, hierin mag die zeitübergreifende<br />

Schönheit der Texte liegen. Noch in der stilisierten<br />

Penetranz ihrer Wiederholung, in den Klagen, die die<br />

Provokation aller Institutionen des sozialen Lebens –<br />

inklusive des Staates – einschließt, erinnern sie an den<br />

Anspruch des Menschen auf die Würde des Sprechens,<br />

auf die elementare Geste der Antwort.<br />

1 Thomas Bernhards Geburtsort.<br />

2 René A. Spitz war ein österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker und<br />

Wegbereiter von Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie.

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