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Die merkwürdige Scheu<br />

beim Reden über Krieg<br />

Stefan Bayer/Matthias Gillner<br />

(Hrsg.): Soldaten im Einsatz.<br />

Sozialwissenschaftliche und<br />

ethische Reflexionen,<br />

Berlin: Duncker & Humblot<br />

2011. 344 S., 62 €<br />

Bei der Bundeswehr müßte eigentlich<br />

etwas in Bewegung<br />

kommen: Die Einsatzrealität<br />

in Afghanistan, die Aussetzung<br />

der Wehrpflicht und die<br />

forcierte Umstellung auf eine<br />

Einsatzarmee – all das muß<br />

Konsequenzen für das Selbstverständnis<br />

der Armee haben.<br />

Welche das sein könnten,<br />

müßte endlich einmal mit<br />

Bestimmtheit gesagt werden.<br />

Denn die Bundeswehr hat es<br />

seit langem mit einem Paradoxon<br />

zu tun: Sollte der Einsatz<br />

in Afghanistan einerseits<br />

gelehrt haben, daß die Realität<br />

anders aussieht, <strong>als</strong> es sich<br />

mancher ausgemalt hatte, so<br />

bleibt doch andererseits eine<br />

merkwürdige Scheu bestehen,<br />

die richtigen Fragen zu stellen<br />

(etwa die, ob es sinnvoll ist,<br />

aus Frauen Soldaten zu machen).<br />

Diese Situation ist deshalb<br />

paradox, weil nur realistische<br />

Antworten auf diese<br />

Fragen dazu beitragen, unnötige<br />

Opfer zu vermeiden.<br />

Insofern hat der vorliegende<br />

Band immerhin<br />

den richtigen Titel.<br />

Doch leider verbirgt sich zwischen<br />

den Buchdeckeln eine<br />

Ansammlung von Aufsätzen,<br />

die nur in den wenigsten<br />

Fällen bereit sind, kritische<br />

Fragen zu stellen. Positiv<br />

ist hingegen, daß sich alle Beiträge<br />

an der aktuellen Situation<br />

orientieren und es thematisch<br />

eigentlich nur eine abseitige<br />

Untersuchung gibt: »Bilder<br />

des indigenen Kriegers in<br />

der russischen Literatur«.<br />

Der Rest bewegt sich auf dem<br />

vorgegebenen Feld. Es gibt<br />

strategische Untersuchungen<br />

über den Sinn des Afghanistankriegs,<br />

über die Erfahrungen<br />

der zivil-militärischen Zusammenarbeit,<br />

über den Rückhalt<br />

der Bundeswehr in der Bevölkerung,<br />

über das Bundeswehrehrenmal,<br />

den Sanitätsdienst<br />

im Krieg, Sexualität im Einsatz<br />

(in dem erst einmal pauschal<br />

die deutschen Soldaten des Ersten<br />

und Zweiten Weltkriegs<br />

zu Vergewaltigern erklärt werden!)<br />

und eine Vielzahl von<br />

Texten zu ethischen Aspekten,<br />

die vor allem von der moralischen<br />

Verantwortung des<br />

Offiziers in Ausnahmesituationen<br />

und den entsprechenden<br />

Berufsleitbildern handeln.<br />

Zu diesem Aspekt ist auch ein<br />

Vortrag des ehemaligen Generalinspekteurs<br />

Schneiderhan<br />

abgedruckt – er mußte<br />

bekanntlich im Zusammenhang<br />

mit der sogenannten<br />

Kunduz-Affäre zurücktreten.<br />

Darin nimmt er die<br />

Kernaufgabe des Offiziers,<br />

die militärische Führung,<br />

ausdrücklich <strong>als</strong> Ausgangspunkt<br />

für seine Überlegungen<br />

zum Berufsbild desselben.<br />

Es sagt viel über den Zustand<br />

der Bundeswehr, daß Schneiderhan<br />

in dieser<br />

Rede (an der Führungsakademie<br />

der<br />

Bundeswehr!) eigens<br />

an diese Kernaufgabe<br />

erinnern<br />

muß. Letztlich will<br />

Schneiderhan damit<br />

nur verdeutlichen,<br />

daß dieser<br />

Begriff des militärischen<br />

Führers<br />

vielfach umhegt<br />

und begrenzt werden<br />

muß, um im 21. Jahrhundert<br />

noch Gültigkeit zu haben.<br />

Auch wenn Schneiderhan<br />

von den Spitzenoffizieren<br />

<strong>als</strong> Verantwortungselite<br />

spricht, darf man sich davon<br />

nicht täuschen lassen, heißt<br />

es doch an anderer Stelle: Die<br />

»in der Demokratie verankerten<br />

Werte [wie Frieden, Menschenwürde,<br />

Sicherheit, Recht]<br />

geben ihm [dem Offizier] Halt<br />

und einen inneren Kompaß,<br />

um auch schwierigste Situationen<br />

psychisch und moralisch<br />

bestehen zu können«.<br />

Hier ist noch immer die Ausrichtung<br />

an der sogenannten<br />

»Inneren Führung« zu spüren,<br />

um deren Fortbestehen sich der<br />

Soziologe Elmar Wiesendahl<br />

ernsthafte Sorgen macht, denn<br />

immerhin habe die Bundeswehr<br />

durch deren Einführung<br />

mit der »unsäglichen deutschen<br />

Militärvergangenheit«<br />

gebrochen. Er sieht zwei neue<br />

mögliche Leitbilder heraufziehen:<br />

Athen und Sparta bzw.<br />

Ordnungshüter (miles protector)<br />

und Kämpfer (miles bellicus).<br />

Die völlig schiefen Anleihen<br />

bei der Antike lassen dabei<br />

Schlimmes befürchten, wenn<br />

es sich wirklich, wie der Autor<br />

behauptet, um zwei konkurrierende<br />

Denkschulen an der Führungsakademie<br />

handeln soll.<br />

Der beste Text des Bandes<br />

stammt von dem Historiker<br />

Martin Kutz, der früher Wissenschaftlicher<br />

Direktor an<br />

der Führungsakademie war.<br />

Er zeigt in seinem »Versuch<br />

über die rationale Art Krieg zu<br />

führen: Das Beispiel Afghanistan«<br />

die Leichtfertigkeit, mit<br />

der man sich vor mehr <strong>als</strong> zehn<br />

Jahren in das »Abenteuer« Afghanistan<br />

gestürzt hat und in<br />

welch ungünstige Lage sich<br />

schon die Amerikaner manövriert<br />

hatten: »In dieses<br />

Umfeld sind die<br />

deutschen Kräfte hineingestolpert.<br />

Ohne<br />

hinreichende Ausrüstung,<br />

ohne hinreichende<br />

logistische<br />

Verbindungen« Kutz<br />

formuliert abschließend<br />

sieben Lehren<br />

aus dem Dilemma Afghanistan.<br />

Eine lautet:<br />

»Kriege dürfen<br />

nie ohne konkretes<br />

und erreichbares Kriegsziel begonnen<br />

werden.« Gleichzeitig<br />

müsse man bei der Kriegsplanung,<br />

gut konservativ, »immer<br />

von der denkbar schlechtesten<br />

Möglichkeit für die eigenen<br />

Aktivitäten ausgehen«.<br />

Der einzige Wermutstropfen,<br />

und das verbindet Kutz<br />

mit den restlichen Beiträgern,<br />

ist eine gewisse Unernsthaftigkeit,<br />

wenn er abschließend<br />

schlußfolgert, daß<br />

es am besten sei, sich solcher<br />

Dinge wie Krieg durch Geldzahlungen<br />

zu entziehen.<br />

Das hätte für den Afghanistaneinsatz<br />

sogar eine Option<br />

sein können, läßt aber<br />

für den Fall eines existentiellen<br />

Konfliktes Schlimmes befürchten<br />

– solange zumindest,<br />

wie »Macht immer noch<br />

aus Gewehrläufen« (Martin<br />

van Creveld) hervorgeht.<br />

Erik Lehnert<br />

Bücher<br />

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