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Vermischtes | Sezession 48 · Juni 2012<br />
schichte promoviert wurde. Seine Promotionsarbeit,<br />
Nemesis at Potsdam (1977), gilt <strong>als</strong><br />
Standardwerk zu den Vertreibungen der Deutschen<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg, die deutsche<br />
Übersetzung erfuhr 14 Auflagen. 2008<br />
veröffentlichte er in so pointierter wie grundlegender<br />
Form seine 50 Thesen zu Vertreibung.<br />
Hierin präsentierte er 17 historische und 18<br />
völkerrechtliche Thesen, die gewisse Schlußfolgerungen<br />
zwangsläufig nach sich ziehen. De<br />
Zayas betrachtet die Vertreibung der Deutschen<br />
nicht nur historisch in ihren umfassenden<br />
Zusammenhängen (Verträge von Versailles,<br />
St. Germain, Trianon, Ribbentrop-Molotow-Pakt,<br />
Generalplan Ost), sondern vor allem<br />
in ihrer menschenrechtlichen Dimension.<br />
Für de Zayas ist der Zweite Weltkrieg zwar<br />
der Anlaß, nicht aber die Ursache der Vertreibung<br />
gewesen. Seine Thesen beziehen vehement<br />
Stellung gegen die Bagatellisierung der Vertreibung,<br />
gegen Aufrechnungen, gegen Kollektivschuld,<br />
gegen die Täter/Opfer-Dichotomie. Weil<br />
dergleichen historisch gerecht, aber nicht unbedingt<br />
zeitgeistig korrekt ist, kam es im vergangenen<br />
Jahr zu einem kleinen Sturm im Wasserglas,<br />
<strong>als</strong> das hessische Sozialministerium seine<br />
Broschüre in einigen hundert Exemplaren unter<br />
anderem an Abendschulen und Studienseminare<br />
verteilte.<br />
Das geschah in kluger Absicht: Die Broschüre<br />
ist auch eine in didaktischer Hinsicht<br />
hervorragende Zusammenstellung, die sich für<br />
Schulunterricht und Erwachsenenbildung bestens<br />
eignet. Soeben ist das formidable Büchlein<br />
im gleichen Verlag auch in englischer Sprache (50<br />
Theses on the Expulsion of the Germans from<br />
Central and Eastern Europe 1944–1948, Berlin/<br />
London: Verlag Inspiration Un Ltd. 2012, 72 S.,<br />
8 €) erschienen.<br />
Vertreibung ist keine Bagatelle<br />
Der amerikanische Völkerrechtler Alfred de<br />
Zayas war hoher UNO-Beamter und Chef der<br />
Petitionsabteilung im Büro des UN-Hochkommissars<br />
für Menschenrechte in Genf. Er wirkte<br />
unter anderem in den UN-Ausschüssen gegen<br />
Folter und gegen Rassendiskriminierung mit;<br />
heute ist er UNO-Sonderberichtserstatter und<br />
Professor an der Geneva School of Diplomacy.<br />
Er sitzt im Beirat des Zentrums gegen Vertreibungen<br />
und zählte zu den Unterzeichnern des<br />
skandalträchtigen »Appel de Blois« (Sezession<br />
27/2008). In den siebziger Jahren war de Zayas<br />
nach Göttingen gekommen, wo er in Ge-<br />
Exklusionen, überall<br />
Neben der medizinischen Wissenschaft spricht<br />
auch die Gemeinschaftskunde gelegentlich von<br />
»Syndromen«. Hier wie dort werden bestimmte<br />
Krankheitszeichen unter dem Deckel eines Begriffs<br />
zusammengeführt. Seit Jahren geht die<br />
Rede vom GMF-Syndrom, im wesentlichen hat<br />
der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer es<br />
entdeckt. Drei seiner Schüler legen nun dar, welche<br />
Ausprägungen dieses Syndrom der »Gruppenbezogenen<br />
Menschenfeindlichkeit« haben<br />
kann. Darunter fallen weitverbreitete feindselige<br />
und diskriminierende Einstellungen gegenüber<br />
zwölf gesellschaftlichen Gruppen. Heitmeyers<br />
Schüler vermeiden es, von »Obdachlosen«,<br />
»Fremden« etc. zu reden, im Vordergrund steht<br />
das Menschsein der Betroffenen. Also geht es um<br />
»abwertende« Einstellungen gegenüber »Menschen,<br />
die Asyl suchen«, »Menschen mit einem<br />
anderen Geschlecht« oder »Menschen mit religiösen<br />
Überzeugungen wie das Judentum oder<br />
den Islam« (sic!). Stilprobe der vorliegenden Erörterung<br />
über das »empirisch geprüfte GMF-Syndrom«:<br />
»Im Einklang mit der funktionalistischen<br />
Beschreibung von Vorurteilen <strong>als</strong> Stabilisatoren<br />
sozialer Ungleichheit konnten wir empirisch zeigen,<br />
daß die Befürwortung von Leistungs- und<br />
Erfolgsprinzipien, die <strong>als</strong> spezifische Gerechtigkeitsprinzipien<br />
einer fundamentalen Legitimation<br />
sozialer Ungleichheit dienen, signifikant mit<br />
einer Menschenfeindlichkeit gegen gegenwärtig<br />
statusniedrige Gruppen zusammenhängt.«<br />
Wem dieser Tobak nicht stark genug ist, der<br />
darf bei Anatol Stefanowitsch über »Sprache und<br />
Ungleichheit« weiterlesen. Stefanowitsch beklagt,<br />
daß das diskriminierende Potential scheinbar<br />
neutraler Unterscheidungen oft bestritten werde.<br />
Wer naiv von Mann und Frau, von schwarzen<br />
und weißen Menschen spreche, gebrauche »relativ<br />
substanzlose Kategorisierungen«. Es sei<br />
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