2012 Oktober / Lebenshilfe Freising / Tausendfüßler-Magazin
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SEIT 2010 gibt es in Bielefeld<br />
„Die Wortfinder e.V. – Kreatives<br />
Schreiben & Literatur von besonderen<br />
Menschen und Menschen in besonderen<br />
Lebenslagen“. Jedes Jahr<br />
schreibt der Verein einen Literaturwettbewerb<br />
für Menschen mit geistiger<br />
Behinderung aus. <strong>2012</strong> wurden<br />
fast 600 Beiträge zum Thema „Kunst<br />
und Lebenskunst“ eingereicht. Eine<br />
Jury hat die diesjährigen Preisträger<br />
ausgewählt: 69 Autorinnen und Autoren<br />
wurden im September geehrt.<br />
Ihre Texte erscheinen in einem Literarischen<br />
Wandkalender für das Jahr<br />
2013. Dazu wurden sechs Sonderpreise<br />
vergeben. Diese Beiträge, sowie<br />
14 weitere von den Kalendertexten,<br />
werden als Postkarte gedruckt.<br />
Astrid Wucherpfennig<br />
Ich weiß nicht mehr, wann es war – auf jeden Fall ist<br />
Andrea (das ist meine Bezugsbetreuerin) eines Tages<br />
zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich für<br />
die Ausstellung „50 Jahre <strong>Lebenshilfe</strong> Landesverband<br />
Bayern“ auch eine Holzfigur gestalten möchte. Was<br />
der Landesverband Bayern ist, weiß ich nicht – auch<br />
nicht, was es heißt, eine Holzfigur zu gestalten – aber<br />
ich mag Andrea und ich bin dabei. – Das kann ich<br />
nicht sagen, aber Andrea kennt mich lange genug<br />
und „kann aus meinem Gesicht lesen“. Andrea sagt,<br />
Anna unterstützt uns – Anna ist eine andere Mitarbeiterin<br />
auf der Gruppe, wo ich wohne. Anna ist voll in<br />
Ordnung – also legen wir los.<br />
Andrea hat mich im Bett aufgesetzt – die haben so<br />
einen Kinästhetik-Kurs gemacht – seitdem macht das<br />
richtig Spaß – das Aufsetzen. Naja – auf jeden Fall hat<br />
sich Anna neben mich gestellt und mich festgehalten,<br />
alleine sitzen kann ich nicht. Und dann habe ich so ein<br />
Knistern gehört – ich sehe nur sehr wenig – Anna hat<br />
gesagt, ich bekomme Plastiktüten an die Füßchen,<br />
damit die nicht voll Farbe werden. Anna sagt immer<br />
„Füßchen“ zu meinen Füßen. Gefällt mir das? Ja, eigentlich<br />
schon.<br />
Auf jeden Fall fragt Andrea mich dann, welche Farbe<br />
ich für meine Holzfigur haben will. Farbe – weiß ich<br />
auch nicht. Halt etwas, was zu mir passt – freundlich,<br />
offen, jung, aufregend. Andrea sagt, sie nimmt gelb<br />
– Anna findet es gut – also warum nicht? Andrea hält<br />
mir einen Pinsel unter die Nase – damit ich die Farbe<br />
rieche. „Gelb“ riecht irgendwie komisch, aber auch interessant.<br />
Gelb passt.<br />
Andrea bestreicht meine Füße – das kitzelt ein bisschen.<br />
Und dann spüre ich, wie meine Füße fest gegen<br />
etwas Hartes – die Holzfigur – gedrückt werden. Das<br />
kenne ich schon – das etwas gegen die Füße drücken<br />
– das machen sie immer, wenn „ich mich aufsetze“ –<br />
das tut mir gut. Dann ziehen sie das Holzteil wieder<br />
weg und Anna ruft ganz begeistert „Das ist ja supertoll“<br />
und Andrea hält mir etwas vor die Nase, was ich<br />
nur schemenhaft erkenne und sie ist so stolz auf mich.<br />
Wenn Anna und Andrea stolz auf mich sind, dann bin<br />
ich es auch – ich strecke mich gleich noch ein bisschen<br />
mehr, halte meinen Kopf hoch und lächle. Das war damals<br />
– vor irgendeiner Zeit.<br />
Heute fragt mich Andrea, ob ich wieder bei einem<br />
Wettbewerb mitmachen möchte – bei den „Wortfindern“<br />
oder so ähnlich. Ich sage: Ja, wenn du die Worte<br />
für mich findest, dann mache ich wieder mit.<br />
Diese Worte wurden gefunden am<br />
6. Mai <strong>2012</strong> in Zwiesprache von Astrid<br />
Wucherpfennig und Andrea Krieger.<br />
VOLL DABEI – DIE SEITE VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG // 9