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Teil 1 - Smart Region

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Band 62 – September 2005<br />

DRV<br />

Schriften<br />

HERAUSGEGEBEN VOM VERBAND DEUTSCHER RENTENVERSICHERUNGSTRÄGER<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong><br />

Eine innovative Maßnahme zur<br />

Bewältigung des demografischen<br />

Wandels<br />

in europäischen <strong>Region</strong>en<br />

September 2005<br />

Download für die folgenden Seiten<br />

Grußworte Seite I bis Seite XX<br />

<strong>Teil</strong> I Seite 5 bis Seite 98


Europas Belegschaften altern – ein Veränderungsprozess, der Unternehmen, den Arbeitsmarkt und<br />

die Politik vor neue Herausforderungen stellt. Im Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> werden innovative Maßnahmen<br />

zum erfolgreichen Umgang mit den künftigen Anforderungen entwickelt.<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> ist ein Projekt im Rahmen des Europäischen Sozialfonds ESF (Art. 6, Innovative<br />

Maßnahmen). Unter dem Titel „Innovative Ansätze zur Bewältigung des Wandels“ beschäftigen sich<br />

dabei europaweit eine Reihe von Projekten mit Fragen des demografischen Wandels und des<br />

Management of Change. Koordiniert vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger arbeiten im<br />

Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> ForscherInnen der Institute INIFES (Augsburg), SÖSTRA (Berlin), der ÖSB<br />

Consulting GmbH (Wien) und des CEDEP der Autonomen Universität Lissabon (UAL) zusammen.<br />

Verantwortlich für diese Ausgabe:<br />

Redaktionsteam:<br />

Dr. Christina Stecker (030) 865 89536 Dr. Christina Stecker (VDR)<br />

Birgit Steppich (030) 865 89545 Dr. Monika Putzing (SÖSTRA)<br />

Petra Hinz (030) 865 89548 Birgit Kriener (ÖSB)<br />

Dr. Andreas Huber (INIFES)<br />

Aktuelle Informationen zum Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Internet:<br />

www.smartregion.net<br />

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> – Eine innovative Maßnahme zur Bewältigung des demografischen Wandels in<br />

europäischen <strong>Region</strong>en<br />

Hrsg.: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.<br />

(DRV-Schriften; Bd. 62, Sonderausgabe der DRV)<br />

ISBN 3-926181-98-2<br />

Herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.<br />

Verantwortlich für den Gesamtinhalt: Hauptschriftleiter Prof. Dr. Franz Ruland, Stellvertreter Dr. Axel<br />

Reimann, Schriftleiter Dr. Dirk von der Heide, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger,<br />

Hallesche Str. 1, 10963 Berlin, Zentrale: Fernruf (030) 865 – 1, Telefax (030) 865 894 00,<br />

Pressestelle: Fernruf (030) 865 – 891 74, Telefax: (030) 865 – 894 25.<br />

Verlag und Anzeigenverwaltung: wdv Gesellschaft für Medien & Kommunikation mbH & Co.OHG,<br />

Postfach 2551, 61295 Bad Homburg, Fernruf (061 72) 670-0, Verlagsort Bad Homburg.<br />

Gesamtherstellung: Central-Druck Trost GmbH & Co. KG, Industriestraße 2, 63131 Heusenstamm,<br />

Fernruf (06104) 606-0.<br />

Verantwortlich für den Anzeigenteil: Walter Piezonka, für Marketing und Vertrieb: Bernd Kremer.<br />

Die Zeitschrift DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG mit den Fachmitteilungen der Deutschen<br />

Rentenversicherung erscheint 12mal jährlich. Preis der Einzelfolge 8,20 Euro incl. MwSt. Bestellungen<br />

nehmen entgegen: der Verlag und der Buchhandel. Abbestellungen nur mit halbjähriger Frist zum<br />

30.06. und 31.12. jedes Jahres. Zahlung jeweils jährlich im Voraus an: wdv, Postbank Frankfurt am<br />

Main, Konto-Nr. 773 08 603, BLZ 500 100 60, Bankkonten: Deutsche Bank AG, Hanau, Konto-Nr. 040<br />

96 49, BLZ: 506 700 09, Frankfurter Sparkasse, Konto-Nr. 705 665, BLZ 500 502 01.<br />

Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben die Auffassung der Verfasser, aber nicht des<br />

Herausgebers wieder. Die Zeitschrift nimmt nur Originalbeiträge an. Der Nachdruck von Beiträgen ist<br />

nur mit Einwilligung der Schriftleitung unter Quellenangabe gestattet. Beiträge sind an die<br />

Schriftleitung, Hallesche Str. 1, 10963 Berlin, zu richten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und<br />

Besprechungsexemplare übernimmt die Schriftleitung keine Gewähr.<br />

Verlag: wdv Gesellschaft für Medien und Kommunikation mbH & Co. OHG, Siemensstraße 6, 61352<br />

Bad Homburg v.d.H., HRA 3087, Bad Homburg v.d.H., Pers.haft. Gesellschafter:Zeitschriften<br />

VVGVerlags- und Verwaltungs-Gesellschaft mbH & Co. KG, HRA 3096, Bad Homburg v.d.H. sowie<br />

VVG Gesellschaft zur Verlagsbeteiligung und Verwaltung mbH, HRB 5544, vertreten durch die<br />

Geschäftsführer Adolf Hilger, Thomas Kuhn, Rolf M. Laufer, Klaus Tonello, jeweils Siemensstraße 6,<br />

61352 Bad Homburg v.d.H.<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Grußwort des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger<br />

Grußwort der Europäischen Kommission<br />

Grußwort des BMWA Österreich<br />

Grußwort des Ressorts für Wirtschaft und Europa des Landes Steiermark<br />

Grußwort der Hans-Böckler-Stiftung<br />

Grußwort der Universität Lissabon (UAL) Portugal<br />

Grußwort der Staatskanzlei Brandenburg<br />

Geleitworte des BMWA Deutschland<br />

I<br />

III<br />

V<br />

VII<br />

IX<br />

XI<br />

XIII<br />

XV<br />

TEIL I<br />

Demografischer Wandel, Arbeitsmarkt und die Chancen für ältere<br />

Erwerbstätige in Europa<br />

1. Christina Stecker, Jürgen Faik<br />

Zum transnationalen EU-Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Kontext europäischer<br />

Strukturförderung 7<br />

2. Ralph Conrads, Andreas Huber<br />

Wandlungsphänomene in Europa, regionale Arbeitsmarktpolitik und<br />

Management am Arbeitsmarkt 17<br />

3. Jürgen Faik, Susanne Heidel, Christina Stecker<br />

Demografischer Wandel, Erwerbstätigkeit Älterer und<br />

Frühverrentung in Europa 41<br />

4. Monika Putzing, Jürgen Wahse<br />

Betriebliche Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber Älteren<br />

– Eine Bestandsaufnahme für Ostdeutschland – 73<br />

TEIL II<br />

Die beteiligten <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>-Staaten<br />

5. Ernst Kistler, Andreas Ebert<br />

Demografischer Wandel und Arbeitsmarkt – Deutschland 101<br />

6. Birgit Kriener, Miša Strobl, Friederike Weber<br />

Österreich: Höchste Zeit für präventive Maßnahmen zur Bewältigung 125<br />

des demografischen Wandels<br />

3


7. Custódio Cónim<br />

Portugal und seine <strong>Region</strong>en – Eine demografische Betrachtung 141<br />

TEIL III<br />

Länderbezogene <strong>Region</strong>alanalysen<br />

8. Andreas Huber, Thomas Staudinger, Ralph Conrads<br />

Die demografische Situation in Bayern (Deutschland) 159<br />

9. Alexander Kühl, Monika Putzing<br />

Land Brandenburg – Aktuelle Situation und Trends der demografischen<br />

Entwicklung (Deutschland) 181<br />

10. Alexander Kühl<br />

Wirkungen der Bevölkerungsentwicklung Thüringens auf den<br />

regionalen Arbeitsmarkt (Deutschland) 207<br />

11. Birgit Kriener, Miša Strobl, Friederike Weber<br />

Das österreichische Bundesland Steiermark als Ausgangspunkt innovativer<br />

regionaler Modelle für alternsgerechtes Arbeiten 229<br />

12. Eduardo de Sousa Ferreira, Rita Ana Domingos<br />

Setúbal – eine krisenempfindliche Halbinsel in Portugal 245<br />

13. Fernando Ribeiro Mendes<br />

Die Wirtschaft der ausgewählten <strong>Region</strong>en in Portugal 253<br />

TEIL IV<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Kontext der europäischen Beschäftigungspolitik:<br />

Resümee und Ausblick<br />

14. Birgit Steppich, Volker Schmitt<br />

Das Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> vor dem Hintergrund der beschäftigungspolitischen<br />

Leitlinien und des neuen Lissabon-Prozesses 265<br />

15. Christina Stecker, Birgit Steppich, Monika Putzing<br />

Erste Erkenntnisse und perspektivischer Ausblick über die nächsten<br />

Projektschritte von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> 283<br />

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren<br />

XXI<br />

4


VDRv<br />

Grußwort des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger<br />

Der Arbeitsmarkt hat für die Rentenversicherung eine außerordentlich hohe<br />

Bedeutung, denn die Beschäftigten finanzieren über ihre Beiträge den größten Anteil<br />

des Rentenvolumens. Die gegenwärtig schwache Konjunktur wirkt in vielfältiger<br />

Weise auf verschiedene Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die<br />

Rentenversicherung bleibt davon nicht verschont. Zu den aktuellen Problemen<br />

kommen die zukünftigen Herausforderungen des demografischen Wandels.<br />

Insbesondere der Alterungsprozess der Erwerbsbevölkerung stellt die sozialen<br />

Sicherungssysteme in Deutschland – wie auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten –<br />

vor historisch einmalige Herausforderungen. Die Anpassung und Fortentwicklung der<br />

gesetzlichen Rentenversicherung an die sich ändernden Verhältnisse ist für den VDR<br />

eine zentrale Aufgabe. Die Beteiligung des Spitzenverbandes der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung an dem EU-Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> überrascht daher nur auf den<br />

ersten Blick. Denn das Forschungsprojekt behandelt einen für die Rentenversicherung<br />

aktuellen und sehr bedeutsamen Themenkomplex: die Alterung der<br />

Erwerbspersonen und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.<br />

Das Thema Altern ist bisher auf nationaler und europäischer Ebene vielfältig, aber<br />

vorrangig deskriptiv behandelt worden. Die Projektidee von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> folgt der<br />

EU-Strategie, dass nationale Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik in der Praxis<br />

auch regional umgesetzt werden muss. Das wichtigste Ziel des durch den<br />

Europäischen Sozialfonds geförderten Projektes ist, zu einer Umkehr der Frühverrentungspraxis<br />

beizutragen und zu einer Erhöhung der Beschäftigungsquoten<br />

Älterer zu gelangen. Dabei geht es darum, praktische „smarte“ Handlungsstrategien<br />

in ausgewählten kleineren <strong>Region</strong>en und bei Betrieben zu entwickeln und zu<br />

erproben, wobei „smart“ als innovativ, zukunftsweisend und nachhaltig verstanden<br />

wird.<br />

I


Dass die EU-Kommission dem VDR und seinen Projektpartnern den Zuschlag für<br />

dieses Projekt erteilt hat, bedeutet uns Anerkennung und Ansporn. Seit jeher ist die<br />

Kooperation sowohl mit den Ministerien und den sonstigen Verwaltungen als auch<br />

mit der Wissenschaft und der Praxis ein besonderes Anliegen des Verbandes. Hierzu<br />

hat der VDR das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) eingerichtet, in dessen<br />

Rahmen das Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> eingebunden ist.<br />

Die Rentenversicherung setzt große Hoffnungen auf verwertbare Projektergebnisse,<br />

die auch für die Praxis bei der Beratung der Versicherten und im Rahmen der<br />

Rehabilitation von anwendungsbezogener Relevanz sein werden.<br />

Mit den auf die regionale Ebene fokussierten und durch die Projektpartner in<br />

ausgewählten Betrieben geplanten Vorhaben befinden wir uns auf einem innovativen<br />

Weg, den anstehenden Herausforderungen der demografischen Entwicklung durch<br />

„Best Practice“-Beispiele zu begegnen. Die konkreten Maßnahmen werden einen<br />

Beitrag leisten, die Beschäftigten und die Unternehmen für den vielschichtigen<br />

Themenkomplex „alternde Belegschaften“, zu dem auch das Rentenzugangsalter<br />

zählt, zu sensibilisieren.<br />

Berlin, im Juli 2005<br />

Prof. Dr. Franz Ruland<br />

II


EUROPÄISCHE UNION<br />

Europäischer Sozialfonds<br />

Innovative Maßnahmen nach Artikel 6<br />

Grußwort der Europäischen Kommission<br />

Der demografische Wandel birgt nicht nur eine neue Herausforderung für die Politik.<br />

Vielmehr wird die Alterung europäischer Belegschaften in absehbarer Zeit den<br />

Arbeitsmarkt in allen Mitgliedsstaaten vor tief greifende Veränderungsprozesse<br />

stellen, deren Auswirkungen in den einzelnen Unternehmen für den einzelnen Arbeitnehmer<br />

direkt wahrnehmbar sein werden.<br />

Um einen erfolgreichen Umgang mit diesen zukünftigen Anforderungen sicherstellen<br />

zu können, fördert die Europäische Kommission innerhalb des Artikel 6 Programms<br />

des Europäischen Sozialfonds (ESF) im Förderzeittraum 2004-2006 „Innovative<br />

Ansätze zur Bewältigung des Wandels“, welche sich in zwei spezifischere Unterthemen<br />

gliedern:<br />

1. Die Bewältigung des demografischen Wandels mit dem Ziel, innovative Initiativen<br />

zur Förderung des aktiven Alterns und zur Steigerung der Beschäftigungsquote<br />

älterer Arbeitnehmer zu unterstützen sowie<br />

2. das Management der Umstrukturierung mit dem Ziel, innovative Lösungen bei der<br />

Umstrukturierung durch Verbesserung der Anpassungs- und Antizipationsfähigkeit<br />

von Arbeitnehmern, Unternehmen und Behörden zu fördern.<br />

Die im Programmplanungszeitraum 2000-2006 geförderten Projekte sollen die<br />

allgemeinen ESF-Interventionen unterstützen, neue Ansätze fördern und Beispiele<br />

vorbildlicher Praktiken aufzeigen, die in die allgemeinen ESF-Aktivitäten übertragen<br />

werden können.<br />

III


Das Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> wurde als eines von 33 geförderten Europäischen<br />

Projekten zur Thematik „Innovative Ansätze zur Bewältigung des Wandels“ im<br />

Dezember 2004 mit einer Laufzeit von 24 Monaten gestartet. Das Kernanliegen des<br />

Projektes <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> ist dabei nicht nur die Untersuchung der Auswirkungen der<br />

demografischen Entwicklungen auf regionale Arbeitsmärkte bzw. der Rolle der<br />

Frühverrentung und letztlich damit die Förderung der Arbeitsfähigkeit für ältere<br />

Beschäftigtengruppen. Ziel ist vielmehr die Ermöglichung alternsgerechten Arbeitens<br />

für alle Beschäftigten und Altersgruppen – nicht zuletzt für die Babyboomer der<br />

starken Geburtsjahrgänge der sechziger Jahre, die in den nächsten Jahren der<br />

Gruppe der älteren ArbeitnehmerInnen angehören werden und dann möglichst lange<br />

im Arbeitsprozess integriert werden sollen, um schließlich gesund in den Ruhestand<br />

überzutreten.<br />

Wie die vorliegende Publikation zeigt, befindet sich das Projekt nach den ersten<br />

sechs Monaten auf einem guten Weg. Es wurden die ersten konkreten Arbeiten,<br />

sowie die Durchführung der ersten Maßnahmen auf Basis der bereits gewonnenen<br />

wissenschaftlichen Befunde in den <strong>Region</strong>en begonnen. Besonders hervorzuheben<br />

ist die positive Resonanz der Akteure in den <strong>Region</strong>en. Dies unterstreicht einmal<br />

mehr die Notwendigkeit innovativer Ansätze, wie sie das Artikel-6-Programm fördert.<br />

Brüssel, im Juli 2005<br />

Brendan Sinnott<br />

Referatsleiter<br />

Europäische Kommission<br />

GD Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit<br />

Weitere Informationen zur Artikel-6-Förderung im Programmplanungszeitraum 2000-2006:<br />

http://europa.eu.int/comm/employment_social/esf2000/article_6-de.htm<br />

IV


Grußwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit –<br />

Österreich<br />

Österreich steht unverändert zur gemeinschaftlichen Verpflichtung der EU, die Beschäftigungsquote<br />

älterer Arbeitnehmer zu erhöhen und damit das europäische Wirtschafts-<br />

und Sozialmodell weiter zu entwickeln. Dazu wurden gezielte Maß-nahmen<br />

in Angriff genommen: Pensionsreform, selektive Lohnnebenkostensenkung, Forcierung<br />

der aktiven Arbeitsmarktpolitik für diese Zielgruppe und dergleichen. Als österreichischer<br />

Wirtschafts- und Arbeitsminister finde ich mich in voller Übereinstimmung<br />

mit verschiedenen Experten, der OECD und der Europäischen Kommission, dass<br />

ältere Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ein unverzichtbares<br />

Potenzial an Humanressourcen darstellen, das substanziell zu<br />

Wirtschaftswachstum und Produktivitätsentwicklung beiträgt.<br />

Damit ist die österreichische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik auf dem<br />

richtigen Weg. Schon jetzt werden die Maßnahmen Österreichs, Anreize für bessere<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen zu schaffen und den Arbeitsmarkt<br />

zu flexibilisieren, auf europäischer und internationaler Ebene anerkannt.<br />

Um diesen Weg weiter zu beschreiten, werden im Projekt „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>“ neue<br />

Lösungsansätze für die Auswirkungen der demografischen Entwicklung erforscht,<br />

innovative Formen der Beschäftigungsverlängerung für ältere Arbeitnehmer entwickelt<br />

und insgesamt ein Beitrag zur Sensibilisierung im Bereich alters- und<br />

alternsgerechten Arbeitens geleistet.<br />

Aus diesen Gründen unterstützt mein Ressort dieses zukunftsweisende internationale<br />

Projekt in Erwartung der weiter führenden Anstöße.<br />

Wien, im Juli 2005<br />

Dr. Martin Bartenstein<br />

V


Grußwort des Ressorts für Wirtschaft und Europa des Landes<br />

Steiermark<br />

Eine große Herausforderung der kommenden Jahre ist die Veränderung der Altersstruktur<br />

der Erwerbstätigen aufgrund der demografischen Entwicklung. Dies erfordert<br />

unterschiedlichste Aktivitäten seitens der Unternehmen, der ArbeitnehmerInnen, aber<br />

natürlich auch der Politik. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sind – möglichst<br />

präventive – Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die von der<br />

Qualifizierung über die innerbetriebliche Arbeitsgestaltung, die bessere Nutzung und<br />

Weiterentwicklung des intergenerativen Wissenstransfers zwischen jungen und<br />

älteren Arbeitskräften bis zum Thema der betrieblichen Gesundheitsvorsorge<br />

reichen. Das Wirtschaftsressort des Landes Steiermark fördert daher bereits seit<br />

einigen Jahren Maßnahmen, die das Thema „Ältere“ zum Inhalt haben. Weiters<br />

wurde eine Koordinationsstelle „Altersgerechte Arbeitswelt Steiermark“ mit dem<br />

Auftrag eingerichtet, im Dialog mit Expertinnen und Experten die einzelnen Initiativen<br />

in diesem Bereich – wie das Projekt „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>“ – abzustimmen, damit die<br />

unterschiedlichen Aktivitäten effizient und den Zusammenhang beachtend zur<br />

Lösung dieser vielschichtigen Gesamtproblematik beitragen.<br />

Graz, im Juli 2005<br />

Landesrat Univ.Prof. DDr. Gerald Schöpfer<br />

VII


VIII


Grußwort der Hans-Böckler-Stiftung<br />

„Alternsgerechtes Arbeiten in innovativen <strong>Region</strong>en“ – mit diesem Projektthema und<br />

den geplanten Analyse- und beispielhaften Umsetzungsarbeiten trifft das Projekt<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> inhaltlich sogar mehrere Forschungs- und Förderungslinien in der<br />

Hans-Böckler-Stiftung. Die Stiftung unterstützt daher das gesamte Vorhaben und<br />

spezifisch das <strong>Teil</strong>projekt von INIFES und verbindet diese Förderung mit großen<br />

Erwartungen an die Ergebnisse und deren praktische Relevanz.<br />

Dass die regionalen Spezifika der demografischen Veränderungen und der weiteren<br />

Rahmenbedingungen für ein alternsgerechtes Arbeiten sehr stark ausgeprägt sind,<br />

das beweisen bereits die ersten Ergebnisse des Vorhabens in diesem Band. Bisher<br />

wurde in einschlägigen Arbeiten der regionale Aspekt leider weitgehend ausgeklammert,<br />

was die Übertragbarkeit mancher Befunde erheblich einschränkt. Mit <strong>Smart</strong><br />

<strong>Region</strong> wird die Suche nach angepassten und integrierten Maßnahmen alternsgerechten<br />

Arbeitens daher ein Stück weit vorangebracht werden. Aus Sicht der Stiftung<br />

kommt dabei – neben dem spannenden internationalen Vergleich – der regionalen<br />

Komparatistik und der Aufbereitung der regionalisierten Daten ein besonderer<br />

Stellenwert zu. Die bisherigen vielfältigen Sensibilisierungs- und Transferaktivitäten<br />

des Projektes und die darauf fußende große Nachfrage nach Zwischenergebnissen<br />

zeigt ja auch, dass die „hautnahen“ <strong>Region</strong>alinformationen ein guter Weg sind, die<br />

eher abstrakten demografischen Fakten zu vermitteln und für das Thema „Alternsgerechtes<br />

Arbeiten“ zu sensibilisieren.<br />

IX


Dazu trägt auch bei, dass das Projekt nicht nur auf einen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisgewinn orientiert ist, sondern sehr praxisverbunden die Gestaltungsaufgaben<br />

betont. Die dabei praktizierte Verbindung von betrieblicher und außerbetrieblicher<br />

Dimension gewinnt durch eine innovative Idee des Vorhabens eine besondere<br />

Attraktivität:<br />

Da sich der VDR dankenswerterweise als Koordinator und als Projektpartner in das<br />

Vorhaben einbringt, wird es erstmals gelingen, demografische und arbeitsmarktbezogene<br />

Informationen gleichzeitig mit Rentenversicherungsdaten mit in den Blick<br />

zu nehmen. Genau an diesem Punkt haben die isolierten Sichtweisen in bisherigen<br />

Debatten (auch in vielen Berichten von Kommissionen etc.) oft zu kurz gegriffen.<br />

Düsseldorf, im Juli 2005<br />

Dr. Gudrun Linne<br />

X


Grußwort der Universidade Autónoma de Lisboa (UAL)<br />

Ebenso wie im restlichen Europa, findet auch in Portugal eine starke Überalterung der<br />

Bevölkerung statt, deren Konsequenzen sich sowohl im sozialen Gefüge der Gesellschaft,<br />

wie auch im System des Sozialschutzes selbst widerspiegeln.<br />

Um diesem Phänomen begegnen zu können, ist es dringend erforderlich, sozialpolitische<br />

Maßnahmen zu enwickeln, welche die älteren Arbeitnehmer dazu anregen, in ihren Arbeitsverhältnissen<br />

zu verbleiben. Damit diese Politik der Anreize jedoch positive Resultate<br />

zeitigen kann, ist es von grundlegender Wichtigkeit, die Fort- und Weiterbildung des einzelnen<br />

Beschäftigten im Laufe seines Lebens, ebenso wie seine mögliche Umschulung auf<br />

neue Aufgaben und neue Tätigkeiten in Betracht zu ziehen, was, in Verbindung mit seiner<br />

Erfahrung, eine produktive berufliche Leistung bis in ein sehr viel höheres Alter gestattet.<br />

Solche Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge können nur anhand eingehender Untersuchungen<br />

der gegenwärtigen Realität durchgeführt werden, auf deren Grundlage ein klares,<br />

kohärentes und wirksames Handeln in der Zukunft aufbauen kann.<br />

Aufgrund dieser Überlegung hat die Universidade Autónoma de Lisboa die Herausforderung<br />

des Projektes „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>“ angenommen, sich an dessen Finanzierung beteiligt und<br />

leistet damit einen Beitrag zur langfristigen Fortentwicklung des Sozialschutzes.<br />

Lissabon, im Juli 2005<br />

Reginaldo Rodrigues de Almeida<br />

Secretário-Geral<br />

XI


XII


Staatskanzlei<br />

Grußwort der Staatskanzlei Brandenburg<br />

Der demografische Wandel hat eine Vielzahl von Facetten. Die in Ostdeutschland<br />

bereits seit Mitte der 1980er Jahre rückläufige und nach 1990 drastisch gesunkene<br />

Geburtenrate führt dazu, dass heute und in Zukunft deutlich weniger junge Menschen<br />

erwerbstätig werden. Im Rahmen des Transformationsprozesses wurden<br />

durch die Frühverrentungspraxis in den 1990er Jahren über die bestehenden gesetzlichen<br />

Instrumente massiv ältere Arbeitnehmer aus der Erwerbstätigkeit ausgegliedert.<br />

Dies führt zu einem drastischen altersstrukturellen Wandel in den Unternehmen<br />

– die Belegschaften altern kollektiv. In Brandenburg werden die Folgen dieses Prozesses<br />

bereits heute deutlich: Während 1998 nur 46% aller Beschäftigten älter als 40<br />

Jahre waren, stieg dieser Anteil bis 2004 bereits auf 56% an!<br />

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die ständige Weiterqualifizierung der<br />

Belegschaften, eine neue Kultur der Nutzung von Erfahrungen und eine aktive <strong>Teil</strong>habe<br />

der Älteren am Arbeitsleben wichtige Grundlagen für die Innovationsfähigkeit<br />

und die langfristige Sicherung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind.<br />

Gleichzeitig sind diese Maßnahmen zwingend notwendige Bedingungen, um die Erwerbsquote<br />

älterer Menschen zu steigern, die Lebensarbeitszeit zu verlängern und<br />

so das tatsächliche an das gesetzliche Renteneintrittsalter heranzuführen.<br />

Der bei <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> verfolgte Ansatz, nicht nur theoretische Lösungen zu beschreiben,<br />

sondern in den beteiligten <strong>Region</strong>en konkrete betriebliche Handlungsstrategien<br />

zu entwickeln und zu erproben, wird ausdrücklich begrüßt. Brandenburg ist gespannt<br />

auf die praktischen Ergebnisse des Projekts und die internationalen „Best Practice“-<br />

Beispiele als Antworten auf die Herausforderungen des demografischen Wandels<br />

und wird den Projektverlauf weiter aktiv begleiten.<br />

Potsdam, im Juli 2005<br />

Dr. Hans-Ulrich Oel<br />

Referat 12: Demografischer Wandel<br />

Staatskanzlei Brandenburg<br />

XIII


XIV


Geleitworte des BMWA Deutschland<br />

Die Auswirkungen demografischer Entwicklungen auf die Arbeitsmärkte sind zentral<br />

für die gesellschafts- und sozialpolitische Entwicklung der nächsten Jahrzehnte. Dies<br />

gilt sowohl für die Europäische Union insgesamt als auch für die Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

So lag beispielsweise in Deutschland im Jahr 2000 der Anteil der 50- bis 65Jährigen<br />

an der erwerbsfähigen Bevölkerung bei rund 30%. Nach nationalen Schätzungen<br />

wird der Anteil dieser Altersgruppe im Jahr 2020 rund 39% betragen. Allein schon<br />

dieser Vergleich zeigt die Herausforderung und Dynamik, vor der wir alle stehen.<br />

Europäische Beschäftigungsstrategie<br />

Die europäische und die deutsche Beschäftigungspolitik sind sich dieser Herausforderung<br />

bewusst. So wird in den Beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen<br />

Union u.a. die Notwendigkeit der Förderung des aktiven Alterns hervorgehoben.<br />

Dies schließt entsprechende Arbeitsbedingungen, einen besseren Gesundheitsschutz<br />

am Arbeitsplatz ebenso ein wie geeignete Arbeitsanreize und die Beseitigung<br />

von Einflussgrößen, die Frühverrentung fördern.<br />

Aus gutem Grund zielt die Strategie der Europäischen Beschäftigungspolitik auf eine<br />

Erhöhung der Beschäftigungsquoten in der Europäischen Union, verbunden mit einer<br />

Verbesserung der Arbeitsplatzqualität. Die Deutschen Beschäftigungspolitischen<br />

Aktionspläne der letzten Jahre zeigen auf, welche Maßnahmen Bund, Länder,<br />

Sozialpartner und Bundesagentur für Arbeit ergreifen, um die<br />

Beschäftigungspolitischen Leitlinien bzw. die dahinter stehenden strategischen<br />

Zielsetzungen in Deutschland umzusetzen.<br />

Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Gruppe der 55- bis 64Jährigen, denn die<br />

Beschäftigungsquote dieser Gruppe ist in Deutschland, ebenso wie in der EU insge-<br />

XV


samt, zu gering. Daher hat sich Deutschland – im Rahmen der Europäischen<br />

Beschäftigungsstrategie – das Ziel gesetzt, die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer<br />

(Altersgruppe 55-64 Jahre) bis zum Jahr 2010 auf 50% zu steigern. Vor dem<br />

Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland ist dies ein sehr<br />

ehrgeiziges Ziel, dessen Umsetzung der breiten Unterstützung der gesamten Gesellschaft<br />

bedarf.<br />

Auch wenn Deutschland gegenwärtig noch deutlich unter dem 50%-Ziel liegt, so<br />

kann man doch positive Entwicklungen hin zu steigenden Erwerbstätigenquoten der<br />

55- bis 64Jährigen beobachten. Von 1994 bis 2004 stieg sie von 36,4% auf 41,2%, in<br />

der Altersgruppe der 55- bis 60Jährigen sogar von 50,6 auf 61,1% und in der Altersgruppe<br />

der 60- bis 65Jährigen von 17,6 auf 25,1% (bei Frauen dieser Altersgruppe<br />

von 9,4 auf 17,6%). Die besondere Herausforderung liegt also bei der Erhöhung der<br />

Erwerbstätigenquoten der 60- bis 65Jährigen.<br />

Beschäftigungspolitische Gesamtstrategie und Aktionsfelder<br />

Um angemessen auf die demografischen Herausforderungen reagieren zu können,<br />

ist ein vielfältiger Ansatz erforderlich. Erst durch die kumulativen Wirkungen von<br />

Maßnahmen- und Initiativen in verschiedenen Handlungsfeldern wird es möglich<br />

sein, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung sozial- und<br />

gesellschaftspolitisch aufzufangen.<br />

Aus Sicht der Bundesebene sind insbesondere die Förderung und der Erhalt der Beschäftigungs-<br />

und Anpassungsfähigkeit von zentraler Bedeutung für die Ausschöpfung<br />

des gesamten Arbeitskräfteangebots, insbesondere mit Blick auf das<br />

Wirtschaftswachstum und die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherung.<br />

Besondere Bedeutung kommen hierbei präventiven Ansätzen zu. Nur beispielhaft zu<br />

nennen ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die darauf zielt, Langzeitarbeitslosigkeit<br />

möglichst zu vermeiden. Etliche der von der Bundesregierung in den letzten Jahren<br />

umgesetzten arbeitsmarktpolitischen Reformen tragen diesem Ansatz Rechnung.<br />

Genereller Ausgangspunkt ist eine zielgerichtete Beschäftigungspolitik, die<br />

quantitativ und qualitativ Breitenwirkung erzielt und hierbei zugleich bestimmten<br />

Zielgruppen, wie insbesondere der Gruppe der Älteren, besondere Aufmerksamkeit<br />

widmet.<br />

XVI


Beschäftigung und Re-Integration Älterer in den Arbeitsmarkt<br />

Um die Beschäftigung und Re-Integration Älterer in den Arbeitsmarkt weiter zu<br />

verstärken, hat Deutschland eine breite Palette von Maßnahmen eingeleitet. Die<br />

Deutschen Beschäftigungspolitischen Aktionspläne 2003 und 2004 gehen hierauf<br />

ausführlich ein und zeigen die diesbezüglichen strategischen Ansätze auf.<br />

Hervorheben möchte ich drei Aktionsfelder:<br />

1. Beschäftigungsstabilisierung durch Abbau von Fehlanreizen,<br />

2. Verbesserung der Eingliederungschancen durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik,<br />

3. Initiativen zur Förderung eines Bewusstseinswandels im Hinblick auf ältere<br />

Menschen in Gesellschaft und Betrieb.<br />

Erhöhung des tatsächlichen Rentenzugangsalters<br />

Ein wichtiger Ansatz betrifft zunächst die Verhinderung von Frühverrentungen bzw.<br />

die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Hierzu wurden in den vergangenen Jahren<br />

die Ausnahmen für den vorzeitigen Bezug der Altersrente Schritt für Schritt<br />

eingeschränkt. Der schrittweise Anhebungsprozess wird sich zunehmend auf dem<br />

Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Zugleich sollen durch eine Verkürzung bei der<br />

Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose auf zukünftig maximal 18<br />

Monate Anreize gesetzt werden, länger im Arbeitsmarkt zu verbleiben. Über die<br />

Verlängerung der Übergangsfrist, die Anfang 2006 enden sollte, wird zurzeit politisch<br />

gerungen.<br />

Förderung der Beschäftigungsfähigkeit durch Arbeitsmarktpolitik<br />

Im Gesamtkontext ist nicht nur das Fordern wichtig, sondern auch das Fördern; d.h.<br />

Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Hier gilt es, Qualifizierungsmaßnahmen<br />

für Arbeitslose und Beschäftigte anzubieten und Unternehmen und Betriebe<br />

zu veranlassen, ältere Menschen im Arbeitsleben zu halten und ihnen eine<br />

Chance bei der Besetzung freier Stellen zu geben.<br />

Zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit gibt es eine Reihe von Fördermöglichkeiten<br />

im Arbeitsförderungsrecht, wie z.B. die Förderung der beruflichen Weiterbildung,<br />

aber auch spezifische Fördermöglichkeiten, die unmittelbar auf Qualifizierung und<br />

Re-Integration älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zielen.<br />

XVII


In kleinen und mittleren Unternehmen (bis zu 100 Beschäftigte) wird die Qualifizierung<br />

älterer Arbeitnehmer durch Übernahme der Weiterbildungskosten von der Bundesagentur<br />

für Arbeit gefördert. Dadurch soll die nach wie vor sehr geringe Beteiligung<br />

älterer Arbeitnehmer an der betrieblichen Weiterbildung gesteigert werden.<br />

In dieselbe Richtung, wenn auch nicht altersspezifisch, zielt die Förderung der beruflichen<br />

Weiterbildung durch Vertretung („Job-Rotation“). Danach erhalten Arbeitgeber,<br />

die einem Arbeitnehmer die <strong>Teil</strong>nahme an einer beruflichen Weiterbildung ermöglichen<br />

und dafür einen Arbeitslosen einstellen, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt des<br />

Vertreters. Hierdurch soll die Bereitschaft von Arbeitgebern erhöht werden, Arbeitnehmer<br />

für die berufliche Weiterbildung von der Beschäftigung im Betrieb freizustellen.<br />

Zudem werden gleichzeitig zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitslose<br />

geschaffen.<br />

Bereits seit einigen Jahren können Arbeitgeber, die Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr<br />

einstellen, einen Zuschuss zu den Lohnkosten in Höhe von bis zu 50% des<br />

Arbeitsentgeltes erhalten. Die Befristung von Arbeitsverhältnissen für Arbeitnehmer<br />

ab Vollendung des 52. Lebensjahres ist ohne Einschränkung möglich.<br />

Zudem brauchen Arbeitgeber, die arbeitslose Arbeitnehmer einstellen, die das 55.<br />

Lebensjahr vollendet haben, ihren Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung<br />

nicht mehr zu zahlen. Außerdem wurde eine Entgeltsicherung für ältere arbeitslose<br />

Arbeitnehmer eingeführt, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Sie erhalten die<br />

Differenz zwischen neuem und altem Lohn zu 50% ausgeglichen, wenn sie eine<br />

gegenüber ihrer früheren Beschäftigung niedriger entlohnte Tätigkeit aufnehmen.<br />

Initiative Neue Qualität der Arbeit<br />

Mit Blick auf die Förderung eines Bewusstseinswandels möchte ich hier kurz die<br />

Initiative Neue Qualität der Arbeit (kurz INQA genannt) hervorheben, die u.a. zum<br />

Ziel hat, Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen für den demografischen Wandel<br />

zu sensibilisieren. Diese Initiative ist ein Zusammenschluss von Wirtschaft,<br />

Gewerkschaften, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen sowie Bund und Länder, die<br />

sich alle auf ein gemeinsames Agieren zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Arbeitswelt<br />

verständigt haben.<br />

Die Bandbreite der INQA-Aktivitäten reicht heute von Lösungsvorschlägen zur innovativen<br />

Arbeitsgestaltung über Konzepte und Maßnahmen zur Stärkung des lebens-<br />

XVIII


langen Lernens, über Maßnahmen einer nachhaltigen betrieblichen Gesundheitspolitik<br />

bis hin zu ganzheitlichen branchen-spezifischen Angeboten zur Verbesserung<br />

der Arbeitsplatzqualität und der Betriebskultur.<br />

Mittlerweile unterstützt INQA über 40 Projekte im gesamten Bundesgebiet und bietet<br />

mit einer Datenbank voller guter Beispiele aus der Praxis und einer Informations- und<br />

Beratungshotline umfassende Hilfen für Betriebe an. Unterstützt wird INQA von einer<br />

Vielzahl von Unternehmen, Verbänden und anderen Einrichtungen und Instituten.<br />

Mit Blick auf den demografischen Wandel ist die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />

von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Schwerpunkt von INQA.<br />

Deshalb hat INQA im Herbst 2004 gemeinsam mit den Sozialpartnern und Unternehmen<br />

die Kampagne „30, 40, 50 plus – gesund arbeiten bis ins Alter“ gestartet. Denn<br />

wenn die Potenziale Älterer im Berufsleben genutzt werden sollen, dann muss die<br />

Gestaltung der Arbeitsbedingungen, die Förderung ihrer Gesundheit und ihre lebenslange<br />

Qualifizierung frühzeitig beginnen. Deshalb setzt diese Initiative auch bereits<br />

bei den 30Jährigen an und nicht erst bei der 50Jährigen.<br />

Mittlerweile haben sich im Rahmen von INQA auch Initiativkreise und Netzwerke zum<br />

Thema „Demografischer Wandel“ gebildet, denen eine Vielzahl von Akteuren aus<br />

Wirtschaft, Wissenschaft, von Verbänden und Institutionen angehören. So z.B. der<br />

Autohersteller BMW, das Chemieunternehmen BASF, die Freie Universität Berlin,<br />

einzelne Krankenkassen, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Handwerkskammern,<br />

Landes- und Bundesbehörden und viele andere mehr.<br />

Ideenwettbewerb „Beschäftigungspakte in den <strong>Region</strong>en“<br />

Nicht unerwähnt bleiben kann in einer Publikation, die sich regionalen Projekten verpflichtet<br />

fühlt, der am 15. Juni 2005 von der Bundesregierung gestartete Ideenwettbewerb<br />

„Beschäftigungspakte in den <strong>Region</strong>en". Ziel des Ideenwettbewerbs ist,<br />

die regional vorhandenen Kompetenzen, Ideen und Strukturen für die Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit bei regelmäßig nur erschwert vermittelbaren älteren Langzeitarbeitslosen<br />

zu mobilisieren und zu bündeln. Für die Umsetzung der 50 besten regionalen<br />

Konzepte zur (Wieder-) Eingliederung älterer Langzeitarbeitsloser in den allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt stellt die Bundesregierung den Trägern der Grundsicherung<br />

nach dem SGB II in der ausgewählten <strong>Region</strong> (Arbeitsgemeinschaf ten, zugelassene<br />

XIX


kommunale Träger und allein verantwortliche Agenturen für Arbeit) Mittel bis zu einer<br />

Höhe von 5 Mio. Euro zur Verfügung.<br />

Zielgruppe des Ideenwettbewerbs sind arbeitslos gemeldete Bezieher von Arbeitslosengeld<br />

II ab Vollendung des 50. Lebensjahrs sowie Personen, die ohne eine Förderung<br />

voraussichtlich in absehbarer Zeit ebenfalls zu dieser Personengruppe gehören<br />

werden. Antragsberechtigt sind die Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaften, des<br />

zugelassenen kommunalen Trägers oder der Agentur für Arbeit, die in der jeweiligen<br />

<strong>Region</strong> Aufgaben der Grundsicherung nach dem SGB II wahrnimmt. Die lokalen und<br />

regionalen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sowie alle anderen maßgeblichen<br />

regionalen Akteure sollen eng einbezogen werden. Die Ideen sollen bis Mitte<br />

Juli eingereicht und die Prämierung am 1. September 2005 erfolgen.<br />

Fazit<br />

Zieht man ein kurzes Fazit, so ist festzustellen, dass die beschäftigungspolitischen<br />

Leitlinien auch mit Blick auf die demografischen Herausforderungen die richtigen<br />

Politikfelder benennen. Was wir aber noch gesellschaftlich benötigen, ist ein grundlegender<br />

Bewusstseinswandel, damit in der Gesellschaft Alter nicht länger mit<br />

„Defiziten“ assoziiert wird. Um diesen Bewusstseinswandel zu befördern, gibt es<br />

vielfältige Initiativen und Maßnahmen unter Einbindung und Mitwirkung der Sozialpartner,<br />

wie auch in den Deutschen Beschäftigungspolitischen Aktionsplänen<br />

dargelegt.<br />

Darüber hinausgehend benötigen wir in der Gesellschaft einen präventiveren Ansatz<br />

im Sinne eines altersgerechten Arbeitens, nicht zuletzt auch für die Gruppe, die in<br />

den nächsten Jahren ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden. Diesem<br />

wichtigen Bereich, der die Initiative INQA auch Rechnung trägt, müssen wir uns in<br />

Zukunft gesamtgesellschaftlich noch intensiver zuwenden.<br />

Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihnen bzw. den Projektträgern des EU-Projektes<br />

„<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> – Alternsgerechtes Arbeiten in innovativen <strong>Region</strong>en“ im Namen<br />

des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit einen erfolgreichen Verlauf des<br />

Projektes.<br />

Berlin, im Juli 2005<br />

Christiane Voß-Gundlach<br />

XX


TEIL I<br />

Demografischer Wandel,<br />

Arbeitsmarkt<br />

und die Chancen für<br />

ältere Erwerbstätige in Europa


1. Zum transnationalen EU-Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Kontext<br />

europäischer Strukturförderung<br />

Christina Stecker, Jürgen Faik, VDR<br />

1. Europäische Strukturförderung und innovative Maßnahmen<br />

nach Artikel 6 des europäischen Sozialfonds<br />

Die Europäische Union (EU) hat sich die Förderung der regionalen Angleichung des<br />

Lebensstandards und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in ihrem<br />

Gemeinschaftsgebiet zur Aufgabe gemacht. Das wichtigste Finanzierungsinstrument<br />

der EU bilden dabei die Strukturfonds, die sich in einen Sozialfonds (ESF), einen<br />

europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), ein Finanzinstrument zur<br />

Förderung der Fischerei (FIAF) und einen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die<br />

Landwirtschaft (EAGFL) aufgliedern. In der Regel sind die einzelnen Strukturfonds<br />

auf eines oder mehrere spezifische Ziele konzentriert. Es bestehen jedoch auch eine<br />

Reihe gemeinsamer Ziele, wie etwa „Nachhaltige Entwicklung“, „Entwicklung von Beschäftigung<br />

und Humanressourcen“, „Umweltschutz“ oder „Förderung der Chancengleichheit<br />

von Männern und Frauen“. 1<br />

1999 wurden die Strukturfonds durch Vereinfachung und Reduktion der Ziele auf<br />

zwei gebietsabhängige und ein thematisches Ziel reformiert. Die herausragende<br />

Bedeutung dieser drei Ziele zeigt sich am Anteil von knapp 94% der Fördermittel der<br />

Strukturfonds. 2 Insgesamt stehen den Strukturfonds Mittel in Höhe von rund 195<br />

Milliarden Euro im Siebenjahreszeitraum 2000 bis 2006 für Projekte zur Verfügung. 3<br />

Mit Ziel 1, das von allen vier Fonds gefördert wird, wird der Anschluss von <strong>Region</strong>en<br />

mit Entwicklungsrückstand an den EU-Durchschnitt angestrebt. Darunter fallen<br />

<strong>Region</strong>en, deren Pro-Kopf-Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) unter 75% des EU-<br />

Durchschnitts liegt, abgelegene Gebiete und <strong>Region</strong>en mit geringer Bevölkerungsdichte.<br />

Auf die rund 50 Ziel-1-<strong>Region</strong>en mit einem EU-Bevölkerungsanteil von 22%<br />

(bzw. 83 Millionen Menschen) entfallen 69,7% der Gesamtausgaben der Strukturfonds.<br />

Dies entspricht im Programmplanungszeitraum 2000 bis 2006 135,9 Milliarden<br />

Euro. Im Rahmen der Ziel-2-Förderung soll in Gebieten mit Strukturproblemen der<br />

wirtschaftliche und soziale Wandel im Industrie- und Dienstleistungssektor unterstützt<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Vgl. Europäische Kommission 2004: 7.<br />

Vgl. http://europa.eu.int/comm/regional_policy/intro/regions5_de.htm (12.03.05).<br />

Vgl. http://europa.eu.int/comm/employment_social/esf2000/faqs-de.htm (12.03.05).<br />

7


werden. Auf das zweite Ziel, das hauptsächlich über Mittel des Sozialfonds (ESF)<br />

und des <strong>Region</strong>alfonds (EFRE) finanziert wird, werden zwischen 2000 und 2006 22,5<br />

Milliarden Euro oder 11,5% der Gesamtausgaben der Strukturfonds entfallen. In den<br />

betroffenen Gebieten leben rund 18% der EU-Bevölkerung bzw. 68 Millionen EU-<br />

Bürger.<br />

Im ausschließlich über den Sozialfonds (ESF) finanzierten thematischen Ziel 3<br />

stehen die Modernisierung der allgemeinen und beruflichen Bildungs- und Ausbildungssysteme<br />

sowie die Anpassung der politischen Konzepte für Bildung und Beschäftigung<br />

im Mittelpunkt. Das dritte Ziel umfasst die gesamte EU-Bevölkerung,<br />

sofern diese nicht bereits unter Ziel 1 gefasst ist, und entspricht einem Anteil von<br />

12,3% bzw. 24,1 Milliarden Euro der Gesamtausgaben der Strukturfonds im Programmplanungszeitraum<br />

2000-2006. 4<br />

Wie an Hand der drei Ziele deutlich wird, bildet der ESF das wichtigste Instrument<br />

der Europäischen Union für die Entwicklung der Humanressourcen und die Verbesserung<br />

der Funktion des Arbeitsmarktes, worunter auch Maßnahmen zur Vermeidung<br />

und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung gefasst<br />

werden. Als ältester der vier Strukturfonds der Europäischen Union wurde der Europäische<br />

Sozialfonds (European Social Fund, ESF) bereits 1957 gegründet. Er stützt<br />

sich auf Artikel 123 der Römischen Verträge, der die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten<br />

in der EU über die Förderung der Beschäftigung sowie der geografischen<br />

und qualitativen Mobilität der Arbeitnehmer vorsieht. 5 Im Rahmen der europäischen<br />

Beschäftigungsstrategien und Leitlinien unterstützt der ESF die von jedem<br />

Mitgliedstaat im jährlichen Nationalen Aktionsplan für Beschäftigung (NAP) dargelegten<br />

Aktionen und Umsetzungsstrategien. Mit Mitteln des ESF werden über konkrete<br />

Aktionen hinaus jedoch auch innovative Maßnahmen gefördert, die der Erforschung<br />

von neuen inhaltlichen oder organisatorischen Ansätzen im Beschäftigungsbereich<br />

dienen und Vorschläge für mögliche künftige Politiken und Programme beinhalten.<br />

Mittels dieser so genannten Artikel-6-Maßnahmen und -Zuschüsse werden<br />

besonders Pilotprojekte und Studien sowie der Erfahrungs- und Informationsaus-<br />

4<br />

5<br />

Vgl. Europäische Kommission, Der ESF 2000 bis 2006 in Deutschland, http://europa.eu.int/esf<br />

(12.03.2005).<br />

Vgl. http://europa.eu.int/comm/employment_social/esf2000/glossary-de.htm (12.03.05). Weitere<br />

ausführliche Informationen (teilweise in englischer Sprache) zur Entstehung und zu Reformen des<br />

ESF sowie zu den einzelnen Programmphasen und Inhalten – auf die sich auch die folgenden<br />

Ausführungen stützen – finden sich auf der Homepage der Europäischen Kommission; siehe<br />

http://europa.eu.int/comm/employment_social/esf.<br />

8


tausch gefördert. Der ESF kann maximal 0,4% seiner jährlichen Mittelausstattung für<br />

die Förderung innovativer Maßnahmen bereitstellen. 6 Insgesamt stehen dem ESF<br />

damit für den siebenjährigen Programmplanungszeitraum 2000 bis 2006 rund 63<br />

Milliarden Euro zur Verfügung. 7<br />

Warum diese zusätzlichen Artikel-6-Maßnahmen lanciert werden, erklärt sich aus<br />

dem möglichen Nutzen dieser innovativen Ansätze: Die EU erhofft sich positive<br />

Erfahrungen mit der Erprobung neuer Konzepte, die argumentative Stützung neuer<br />

Hypothesen wie auch bewährter Verfahren und damit letztlich einen Wissens- und<br />

Erfahrungsaustausch, der eine Nutzung dieser Ergebnisse auch in allen anderen<br />

Förderbereichen des Europäischen Sozialfonds erlaubt. Als direkte Schnittstelle<br />

zwischen Politik und Praxis sollen die innovativen Maßnahmen nach Artikel 6 daher<br />

nicht nur politische Inhalte an Vertreter der Praxis vermitteln, sondern gleichzeitig die<br />

Praktiker an der Politikgestaltung auf europäischer Ebene beteiligen. Dadurch erhofft<br />

man sich ein Klima, in dem neue politische Initiativen und Anregungen operativ<br />

umgesetzt und berücksichtigt werden können.<br />

Allerdings sind innovative Maßnahmen, die gemäß Artikel 6 ESF als förderwürdig<br />

anerkannt werden, stets an einen thematisch von der Europäischen Kommission abgesteckten<br />

Rahmen, an so genannte Programmplanungszeiträume, gebunden. In<br />

den drei möglichen Antragsrunden im Programmplanungszeitraum 2000 bis 2006<br />

werden jeweils maximal 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, wobei sich der<br />

Kofinanzierungsbeitrag der Europäischen Kommission für ein Projekt auf mindestens<br />

300.000 Euro, aber höchstens 3 Millionen Euro im Zweijahreszeitraum beläuft. Da<br />

die Maßnahmen durch den ESF nicht hundertprozentig gefördert werden, kommen<br />

weitere öffentliche und private Finanzquellen in den Mitgliedstaaten hinzu. Für die<br />

Verbreitung und Übertragung von Innovationen aus den Projekten nach Artikel 6 auf<br />

die allgemeinen ESF-Aktivitäten werden etwa 5% der in 2005 und 2006<br />

bereitgestellten Haushaltsmittel eingesetzt.<br />

Die im Zweijahresrhythmus festgelegten primären Themenbereiche bezogen sich<br />

beispielsweise in 2001 und 2002 auf die „Anpassung an die neue Wirtschaft im<br />

Rahmen des sozialen Dialogs“. Aktuell stehen umfassende Strategien zur Verlängerung<br />

des Erwerbslebens im Zentrum der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS)<br />

6<br />

7<br />

Zu den rechtlichen Rahmenbestimmungen und Empfehlungen für die Durchführung nach Artikel 6<br />

vgl. Europäische Kommission 2001, hier S. 11.<br />

Vgl. http://europa.eu.int/comm/employment_social/esf2000/glossary-de.htm (12.03.05).<br />

9


und der beschäftigungspolitischen Leitlinien wie auch im Mittelpunkt der Offenen Methode<br />

der Koordinierung (OMK), hier insbesondere auf dem Feld der Rentenpolitik<br />

(siehe dazu auch den Beitrag von Steppich/Schmitt in diesem Band). Auch im Programmplanungszeitraum<br />

2000-2006 trägt nach der Verordnung des ESF daher besonders<br />

der Sozialfonds zur Verwirklichung der Europäischen Beschäftigungsstrategie<br />

und Durchführung der jährlich festgelegten beschäftigungspolitischen Leitlinien<br />

bei.<br />

Vor diesem Hintergrund erfährt neuerdings der Zusammenhang zwischen Beschäftigung<br />

und Bevölkerungsalterung eine wachsende Aufmerksamkeit seitens der Europäischen<br />

Union, so dass vermehrt Maßnahmen zur Förderung des „aktiven Alterns“<br />

ergriffen werden sollen. 8 Für die Jahre 2004 bis 2006 wurde daher von der Kommission<br />

das Thema „Innovative Ansätze zur Bewältigung des Wandels“ zur ESF-Artikel-<br />

6-Förderung aufgelegt, 9 wobei sich die förderfähigen innovativen Maßnahmen in<br />

zwei spezifische Unterthemen aufgliedern:<br />

1. Die Bewältigung des demografischen Wandels mit dem Ziel, innovative Initiativen<br />

zur Förderung des aktiven Alterns und zur Steigerung der Beschäftigungsquote<br />

älterer Arbeitnehmer zu unterstützen sowie<br />

2. das Management der Umstrukturierung mit dem Ziel, innovative Lösungen bei<br />

der Umstrukturierung durch Verbesserung der Anpassungs- und Antizipationsfähigkeit<br />

von Arbeitnehmern, Unternehmen und Behörden zu fördern.<br />

Antragsberechtigt im Sinne des ESF sind auf europäischer, nationaler, regionaler<br />

oder lokaler Ebene tätige Organisationen der Sozialpartner, öffentliche und private<br />

Unternehmen, Organisationen ohne Erwerbszweck, Einrichtungen für die allgemeine<br />

und berufliche Bildung sowie Behörden und Verwaltungen, die auf der regionalen<br />

NUTS-3-Ebene 10 tätig und in einem EU-15-Mitgliedsland ansässig sind. Als förder-<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Vgl. zur empirischen Lage der europäischen Mitgliedstaaten und den beschäftigungspolitischen<br />

Strategien der EU Stecker 2004a.<br />

Vgl. Europäische Kommission 2001 zur Durchführung von innovativen Maßnahmen nach Artikel 6<br />

der ESF-Verordnung.<br />

Zur Vereinheitlichung und kohärenten Untergliederung des Gemeinschaftsgebietes für statistische<br />

Zwecke entwickelte Eurostat bereits vor mehr als 25 Jahren gemeinsam mit Dienststellen der<br />

Europäischen Kommission eine Systematik der regionalen Gebietseinheiten, die so genannte<br />

Nomenclature of territorial units for statistics (NUTS). Die Klassifizierung von regionalen Verwaltungseinheiten<br />

erfolgt hierarchisch auf drei Ebenen anhand von festgelegten Bevölkerungsgrenzen:<br />

Ebene 1 (NUTS 1) fasst <strong>Region</strong>en mit einer Bevölkerung zwischen 3 und 7 Millionen Personen zusammen,<br />

Ebene 2 (NUTS 2) <strong>Region</strong>en mit 800.000 bis zu 3 Millionen Personen, und Ebene 3<br />

(NUTS 3) schließlich <strong>Region</strong>en mit 150.000 bis 800.000 Personen; vgl. Amtsblatt der<br />

Europäischen Union vom 26. Mai 2003. Auf der Ebene von NUTS 1 gliedert sich das Gemeinschaftsgebiet<br />

der EU-25 in der Fassung von 2003 in 89, auf der Ebene NUTS 2 in 254 und auf der<br />

Ebene NUTS 3 in 1.214 <strong>Region</strong>en; siehe für <strong>Region</strong>altabellen und weitere Erläuterungen Eurostat,<br />

http://europa.eu.int/comm/eurostat/ramon/nuts/home_regions_de.html.<br />

10


fähige Anträge gelten nur Maßnahmen mit transnationalem Charakter bzw. die <strong>Teil</strong>nahme<br />

von Organisationen aus mindestens zwei Mitgliedstaaten der ursprünglichen<br />

EU-15-Mitgliedsländer, wobei entsprechende Organisationen aus den neuen Beitrittsländern<br />

(EU-25) an Seminaren, Konferenzen und Austauschmaßnahmen teilnehmen<br />

sollen.<br />

2. Hintergründe, Ziele und Prioritäten des ESF-Projektes <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong><br />

Am 31. Oktober 2003 forderte die Europäische Kommission in ihrem Amtsblatt<br />

C262/22 zur Einreichung von Vorschlägen zum Thema „Innovative Ansätze zur<br />

Bewältigung des Wandels“ (VP/2003/021) auf. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger<br />

(VDR) reichte gemeinsam mit seinen Projektpartnern das in der hier<br />

vorliegenden DRV-Schrift vorgestellte Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> zur ersten Antragsfrist<br />

am 18. Februar 2004 in Brüssel ein. Aus insgesamt 219 Vorschlägen, darunter<br />

lediglich 100 als förderfähig anerkannten, wurde <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> von Mitarbeitern des<br />

federführenden Referats EMPL/C/4 sowie einem mit 13 externen Experten eingesetzten<br />

Bewertungsausschuss zur Förderung ausgewählt. Die Prüfung der Anträge<br />

erfolgte nach den Kriterien Förderfähigkeit des Antragstellers und des Antrags, Beurteilung<br />

der Qualität des Antrags und Fähigkeit des Antragstellers, die vorgeschlagenen<br />

Maßnahmen durchzuführen. Insgesamt werden europaweit neben <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong><br />

zum Unterschwerpunkt „Bewältigung des demografischen Wandels“ weitere 13<br />

Projekte im Planungszeitraum 2004 bis 2006 gefördert.<br />

Mit dem ESF-Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> (VP/2004/0331) sollen die Gründe für die<br />

gängige Frühverrentungspraxis systematisch benannt und in der Folge innovative<br />

Gestaltungselemente für eine Verlängerung der Beschäftigung von heute 35–<br />

45Jährigen untersucht werden. Die wissenschaftliche Analyse konzentriert sich dabei<br />

auf vier Ebenen: 1. Nationale Rahmenbedingungen, 2. regionale Besonderheiten<br />

sowie 3. und 4. die jeweilige betriebliche und individuelle Realität. Für den Schwerpunkt<br />

„<strong>Region</strong>ale Besonderheiten“ wurden acht Pilotregionen ausgewählt, darunter<br />

zwei in Österreich, vier in Deutschland und zwei in Portugal, wobei entsprechend der<br />

Antragsvorgaben zwei Beitrittsländer der EU – Slowenien und Polen – im Projekt mit<br />

Beobachterstatus beteiligt sind. Insgesamt hat das Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> zum Ziel,<br />

auf den genannten vier Ebenen ansetzende integrierte Maßnahmebündel zu identifizieren<br />

und einem transnationalen Vergleich zu unterziehen. Die Ergebnisse werden<br />

evaluiert und auf breiter regionaler und nationaler Ebene diskutiert und veröffentlicht.<br />

11


Die nachfolgende Übersicht 1 fasst die wichtigsten Eckdaten zu <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> noch<br />

einmal im Überblick zusammen:<br />

Übersicht 1: Projektziele, innovativer Forschungsansatz und Projektlaufzeit<br />

Ziel des<br />

Projektes<br />

Innovativer<br />

Forschungsansatz<br />

Systematische Analyse der Ursachen für Frühverrentung bzw. niedrige Beschäftigungsquoten<br />

Älterer; Definition, Erprobung, Evaluation und Standardisierung<br />

innovativer Gestaltungselemente für eine Verlängerung der Beschäftigung von 35–<br />

45Jährigen und Älteren zur Flankierung des demografischen Wandels (anwendungsorientiertes<br />

Projekt, „Good-Practice“-Beispiele)<br />

Wissenschaftliche Analyse auf vier Ebenen: Nationale Rahmenbedingungen, regionale<br />

Besonderheiten, betriebliche und individuelle Ebene (integrierter Ansatz)<br />

Transnationaler Vergleich von integrierten Maßnahmenbündeln in 8 Pilotregionen (2<br />

in Österreich, 4 in Deutschland, 2 in Portugal; mit Beobachterstatus: Slowenien und<br />

Polen)<br />

Sensibilisierung und Aktivierung regionaler Akteure, Verbreitung und Mainstreaming<br />

der Projektergebnisse durch Netzwerkgründung (Datenbank, Newsletter, Publikationen)<br />

und zwei internationale Konferenzen mit Beteiligung von Ministerien, regionalen<br />

Arbeitsämtern und osteuropäischen Ländern<br />

Projektlaufzeit 24 Monate (01.12.2004 bis 30.11.2006)<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

Vor diesem Hintergrund liegen die Prioritäten von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> zusammengefasst in<br />

- der wissenschaftlichen Analyse von Frühverrentungsursachen, Beschäftigungsbedingungen<br />

und -problemen im regionalen und internationalen Vergleich,<br />

- der Auswahl bzw. Entwicklung von Maßnahmen auf betrieblicher und überbetrieblicher<br />

Ebene und der Umsetzung entsprechender Maßnahmen in den<br />

Projektregionen,<br />

- der Sensibilisierung von Akteuren und der Öffentlichkeit zum Thema Altern und<br />

Arbeitsmarkt sowie<br />

- der umfassenden begleitenden Evaluierung.<br />

Das Kernanliegen des Projektes ist dabei nicht nur die Untersuchung der Auswirkungen<br />

der demografischen Entwicklungen auf regionale Arbeitsmärkte bzw. der Rolle<br />

der Frühverrentung und letztlich damit die Förderung der Arbeitsfähigkeit für ältere<br />

Beschäftigtengruppen. Denn unter präventiven Gesichtspunkten kann es nicht alleine<br />

um altersgerechtes Arbeiten für heute bereits Ältere gehen. Ziel ist vielmehr die Ermöglichung<br />

alternsgerechten Arbeitens für alle Beschäftigten und Altersgruppen –<br />

nicht zuletzt für die Babyboomer (d.h. die starken Geburtsjahrgänge der 1960er<br />

Jahre), die in den nächsten Jahren ältere ArbeitnehmerInnen sein werden und dann<br />

gesund in den Ruhestand übertreten sollen.<br />

12


3. <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>: Zuschussgeber, Verbund- und Kooperationspartner<br />

Als Antragsteller und finanzverantwortlicher Koordinator des zweijährigen Projektes<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> übernimmt der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger die<br />

Projektleitung wie auch teilweise Aufgaben der begleitenden wissenschaftlichen<br />

Forschung und Datenaufbereitung. Die im Vorfeld der Antragstellung geknüpften<br />

internationalen Kontakte betrafen sowohl potenzielle Projektpartner und<br />

Drittmittelgeber wie auch Kooperationspartner aus den alten und neuen EU-Mitgliedstaaten.<br />

Als Partner im Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> arbeiten auf inhaltlicher Ebene die<br />

folgenden Organisationen intensiv mit:<br />

1. Neben dem VDR,<br />

2. die ÖSB Consulting GmbH (Österreich),<br />

3. das Forschungszentrum für internationale Wirtschaftsfragen CEDEP, angesiedelt<br />

an der Universidade Autónoma de Lisboa (Portugal),<br />

4. das Internationale Institut für Empirische Sozialökonomie gGmbH INIFES<br />

(Deutschland) und<br />

5. das Institut für Sozialökonomische Strukturanalysen SÖSTRA GmbH<br />

(Deutschland).<br />

Im Rahmen der Förderung seitens des Europäischen Sozialfonds sind nicht unerhebliche<br />

Finanzierungsbeiträge zu leisten. Neben dem VDR und den Partnerorganisationen<br />

konnten als weitere Zuschussgeber für Geldmittel gewonnen werden:<br />

1. Das Österreichische Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Österreich),<br />

2. das Wirtschaftsressort des Landes Steiermark (Österreich) sowie<br />

3. die Hans-Böckler-Stiftung (Deutschland).<br />

Schließlich bestanden zum Zeitpunkt der Antragsgenehmigung für die geforderte Beteiligung<br />

der neuen EU-Beitrittsländer mit Beobachterstatus sowie das Mainstreaming<br />

des Projektes und der Projektergebnisse neben den Zuschussgebern zunächst<br />

Kooperationsvereinbarungen mit<br />

1. dem Ministry of Labour, Family and Social Affairs Slovenia (Slowenien),<br />

2. der Sachsen Consult Poznan GmbH (Polen),<br />

3. dem <strong>Region</strong>almanagement Graz & Graz-Umgebung (Österreich),<br />

4. dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Landesorganisation Steiermark<br />

(Österreich),<br />

5. der Kammer für Arbeiter und Angestellte für die Steiermark (Österreich),<br />

13


6. der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) Steiermark<br />

(Österreich),<br />

7. der Grazer Woche (Österreich),<br />

8. der IHK Projektgesellschaft Frankfurt/Oder (Deutschland) und<br />

9. der <strong>Region</strong>aldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit (Deutschland).<br />

Die Zahl der Kooperationspartner hat sich mittlerweile in allen Projektregionen um<br />

weitere Akteure und Institutionen erweitert.<br />

4. Zum Inhalt des Buches<br />

Die vorliegende Publikation stellt die Ergebnisse der ersten Internationalen<br />

Arbeitstagung und Workshop „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> – Ein Blick auf Forschungsansätze und<br />

regionale Arbeitsmärkte“ vor, die am 20. und 21. Juni 2005 in Berlin stattfand.<br />

Insofern dient der hier vorliegende Tagungsband neben der Darstellung des<br />

Projektes selbst der Präsentation erster Projektergebnisse. Nach dem hier gegebenen<br />

Überblick über die Inhalte, Ziele und Partner des transnationalen EU-Projektes<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Kontext der europäischen Strukturförderung stellen Ralph Conrads<br />

und Andreas Huber (beide INIFES) im ersten Buchteil die Thematik Wandlungsphänomene<br />

und Management am Arbeitsmarkt in europäischer und regionaler<br />

Sichtweise vor. Dies ist für die Analyse der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Veränderungsprozesse ebenso von Bedeutung wie der in allen europäischen<br />

Ländern zu beobachtende demografische Wandel, der sowohl im Kontext der<br />

Erwerbstätigkeit der Älteren wie auch der Frühverrentung zu sehen ist (Beitrag von<br />

Jürgen Faik, Susanne Heidel, Christina Stecker; VDR). Die Bedingungen, unter<br />

denen eine Steigerung der Erwerbsquoten von Älteren und eine Umkehr der<br />

Frühverrentungspraxis erfolgen kann, sind dabei in hohem Maße von betrieblichen<br />

Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber älteren Beschäftigten abhängig, wie die<br />

Ergebnisse der empirischen Untersuchung in den einzelnen deutschen Bundesländern<br />

von Monika Putzing und Jürgen Wahse (beide SÖSTRA) verdeutlichen.<br />

Im zweiten <strong>Teil</strong> des vorliegenden Bandes werden die nationalen Rahmenbedingungen<br />

der beteiligten „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>-Länder“<br />

- Deutschland (Ernst Kistler und Andreas Ebert, beide INIFES),<br />

- Österreich (Birgit Kriener, Miša Strobl, beide ÖSB, und Friederike Weber,<br />

prospect) und<br />

14


- Portugal (Custódio Cónim, CEDEP)<br />

skizziert. Entsprechend dem Forschungsdesign des Projektes folgen die zugehörigen<br />

<strong>Region</strong>alanalysen, die damit die Grundlage für einen transnationalen Vergleich und<br />

„Good-Practice“-Modelle bieten sollen. Die regionenspezifischen Bedingungen<br />

werden daher im dritten <strong>Teil</strong> anhand der „<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>s“<br />

- Bayern (Andreas Huber, Thomas Staudinger und Ralph Conrads; INIFES),<br />

- Brandenburg (Alexander Kühl und Monika Putzing; SÖSTRA),<br />

- Thüringen (Alexander Kühl, SÖSTRA),<br />

- Steiermark (Birgit Kriener, Miša Strobl, beide ÖSB, und Friederike Weber,<br />

prospect) sowie<br />

- in den zwei portugiesischen <strong>Region</strong>en der Peninsula von Setúbal (Eduardo de<br />

Sousa Ferreira und Rita Ana Domingos; CEDEP) und Alto Alentejo (Fernando<br />

Ribeiro Mendes; CEDEP)<br />

vorgestellt.<br />

Im vierten <strong>Teil</strong> analysieren Birgit Steppich und Volker Schmitt (beide VDR) die Bedeutung<br />

des Projektes vor dem Hintergrund der europäischen beschäftigungspolitischen<br />

Leitlinien und der Offenen Methode der Koordinierung in den Sozialsystemen<br />

im Zuge des neuen Lissabon-Prozesses. Abgerundet wird der Band von Christina<br />

Stecker, Birgit Steppich (beide VDR) und Monika Putzing (SÖSTRA) mit einer<br />

Zusammenfassung der ersten Erkenntnisse und einem perspektivischen Ausblick<br />

über die weiteren Projektschritte von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>.<br />

15


Literaturverzeichnis<br />

Amtsblatt der Europäischen Union: Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 des Europäischen<br />

Parlamentes und des Rates vom 26. Mai 2003, Luxemburg 2003.<br />

Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission über die Durchführung von<br />

innovativen Maßnahmen nach Artikel 6 der Verordnung des Europäischen<br />

Sozialfonds im Programmplanungszeitraum 2000-2006, KOM (2000) 894 endg.<br />

(12.01.2001), Brüssel 2001.<br />

Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung und Soziales, Referat C4:<br />

Innovation durch den Europäischen Sozialfonds, Luxemburg 2004.<br />

Stecker, Christina: Die neue deutsche Aktivierungspolitik im europäischen Ländervergleich<br />

und Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. In: Deutsche<br />

Rentenversicherung, Heft 3/2004a, S. 164-184.<br />

Stecker, Christina: Förderung des „aktiven Alterns“ in Europa – Empirische Bestandsaufnahme<br />

und beschäftigungspolitische Strategien in der Europäischen<br />

Union. In: Deutsche Rentenversicherung, Heft 11-12/2004b, S. 750-777.<br />

16


2. Wandlungsphänomene in Europa, regionale<br />

Arbeitsmarktpolitik und Management am Arbeitsmarkt<br />

Andreas Huber, Ralph Conrads, INIFES<br />

1. Wirkungen des Wandels auf den Arbeitsmarkt in Europa<br />

Die Europäische Union steht am Anbeginn einer Periode, die weitreichende Veränderungen<br />

für Europa und seine Bürger nach sich ziehen. In Zeiten vermehrter Globalisierung,<br />

Dezentralisierung und Deregulierung sowie fortschreitendem technischen<br />

und demografischen Wandel, veränderten Arbeits(markt)bedingungen und neuen<br />

Anforderungen für das Zusammenspiel von Familie, Arbeit und Bildung sucht die EU<br />

nach wirtschaftlichen und sozialen Modernisierungsstrategien und nimmt sich mit<br />

wachsender Intensität dem Thema „Bewältigung des Wandels“ an (Europäische<br />

Kommission 2004: 3). Um im Rahmen der Lissabonner Strategie für Wachstum und<br />

Beschäftigung und der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) den Herausforderungen<br />

gewachsen zu sein, werden „Innovative Ansätze zur Bewältigung des<br />

Wandels“ 1 gefördert, damit Strukturschwächen auf den europäischen Arbeitsmärkten<br />

abgebaut werden. Im Rahmen der Programmumsetzung setzt die Europäische Kommission<br />

in ihrem Verständnis des Wandels auf zwei Schwerpunktthemen für Forschungs-<br />

und Umsetzungsansätze: Demografischer Wandel und Umstrukturierung.<br />

Die heutige Zeit ist vor allem davon geprägt, dass die Intensität und die Geschwindigkeit,<br />

mit der sich der Wandel vollzieht, besonders auffällig sind (Huber 2004, Deuringer<br />

2000). Bei gleichzeitiger Verknappung der Ressourcen Zeit und Geld ist eine zunehmende<br />

Komplexität und Dynamik von Wirkungsmechanismen zu erkennen<br />

(Doppler/Lauterberg 2000). Während sich gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />

und politische Systeme drastisch ändern (Ende des „Kalten Krieges“, Zusammenbruch<br />

der „Aktienmarktblase“, EU-Erweiterung und Vertrauenskrise durch zunehmenden<br />

weltweiten Terrorismus), steht die EU in einer veränderten Welt vor der<br />

Aufgabe, Reformen im zunehmend komplexen System von Arbeitsmarkt und Wirtschaft<br />

zu lancieren (Hochrangige Sachverständigengruppe 2004: 11). Eine konstruktive<br />

und explizite Auseinandersetzung mit Wandlungsphänomenen und die Bereitschaft<br />

zu Veränderungen werden unabdingbar. Personen, <strong>Region</strong>en oder Organisationen,<br />

die nicht imstande oder nicht bereit dazu sind, drohen ins soziale oder wirt-<br />

1<br />

Zur Historie der EBS und der (neuen) Lissabon-Strategie siehe auch den Artikel von Steppich/-<br />

Schmitt sowie zum Hintergrund von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> im Rahmen des Förderprogramms Stecker/Faik<br />

in diesem Band.<br />

17


schaftliche Abseits zu geraten. Denn das ehrgeizige Ziel der Lissabon-Strategie von<br />

2000 als „Instrument des Wandels“, Europa zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten<br />

wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“ (Hochrangige<br />

Sachverständigengruppe 2004: 9), gerät im Angesicht der Intensität der Wandlungsprozesse<br />

ins Straucheln: Die Zunahme der Beschäftigungsquote auf über 70% ist<br />

nicht so stark wie gewünscht (von 62,5% auf 64,3% zwischen 1999 und 2003), und<br />

es handelt sich dabei zudem um viele <strong>Teil</strong>zeit- bzw. geringfügige Arbeitsverhältnisse<br />

(Hochrangige Sachverständigengruppe 2004: 12), was dem Ziel von „mehr und besseren<br />

Arbeitsplätzen zum <strong>Teil</strong> widerspricht. Darüber hinaus gelang es nicht, die Beschäftigungsquote<br />

von älteren Arbeitskräften auf über 50% anzuheben und die öffentlichen<br />

bzw. wirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) auf<br />

über 3 bzw. 2% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu steigern – dies, um nur einige<br />

der Indikatoren zu nennen.<br />

Erschwert wird der erhoffte erfolgreiche Wandel zu einer europäischen Wissens- und<br />

Dienstleistungsgesellschaft noch von zwei anderen bedeutenden Entwicklungen:<br />

Drastische Veränderungen in der demografischen Struktur Europas und die Verschärfung<br />

der Ungleichheiten in der EU durch die Erweiterung zwingen zu politischen<br />

Reformen in den Sicherungs- und Finanzsystemen. „Increased life expectancy and<br />

reduced fertility rates in Europe create a tension between social welfare systems and<br />

labour market. According to the Commission’s Employment Observatory (spring<br />

2003), the 16-29 years age group will decline by 13 million people between 1995 und<br />

2015 […]. At the same time, the number of 50-64 year olds will in-crease by 16 million”<br />

(European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions<br />

2004: 2).<br />

Des Weiteren ist über die in diesem Band ausführlich besprochenen demografischen<br />

Aspekte hinaus für den erfolgreichen Wandel in eine Wissensgesellschaft für Europa<br />

von Bedeutung, inwiefern seine Bevölkerung die nötigen Voraussetzungen mit sich<br />

bringt und unter dementsprechenden Umständen arbeiten und leben kann, um die<br />

Herausforderung des Wandels annehmen zu können. Die Arbeitsfähigkeit von Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmern wird im Wesentlichen durch ihre Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten bestimmt. Qualifikation wird für den Einzelnen zunehmend zu der zentralen<br />

Voraussetzung, um am Arbeitsmarkt teilhaben zu können. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

arbeitslos zu werden ist für gering Qualifizierte in Europa bedeutend höher als<br />

für hoch Qualifizierte. Für die EU sind qualifizierte ArbeitnehmerInnen ein wichtiges,<br />

18


wenn nicht das zentrale Potenzial, um im Wettbewerb mit den USA und Asien konkurrenzfähig<br />

zu sein. Die Sachverständigengruppe unter dem Vorsitz von Wim Kok<br />

geht davon aus, dass zukünftig in der EU 30% der Arbeitskräfte unmittelbar bei der<br />

Erzeugung und Verbreitung von Wissen in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig<br />

sein müssen (Hochrangige Sachverständigengruppe 2004: 22). Die Bevölkerung im<br />

erwerbsfähigen Alter in der EU-15 setzte sich im Jahr 2003 aus etwa 37% Niedrigqualifizierten,<br />

43% mit mittlerer Qualifikation sowie 20% mit höherer Qualifikation zusammen.<br />

Den höchsten Anteil an niedrigqualifizierten Erwerbspersonen weisen vor<br />

allem die südeuropäischen Länder Portugal, Spanien, Italien und Griechenland auf.<br />

Der höchste Anteil an Hochqualifizierten findet sich dagegen in Finnland, Dänemark<br />

und Großbritannien (jeweils 27%). In Österreich und Deutschland liegen die Anteile<br />

der niedrigqualifizierten Erwerbspersonen bei 26 bzw. 23% und damit unter dem EU-<br />

Schnitt. Bei hochqualifizierten Personen liegt der Anteil in Österreich mit 14% jedoch<br />

deutlich unter dem europäischen Durchschnitt, während er in Deutschland fast 21%<br />

aufweist (Europäische Kommission 2004). Auffällig ist dabei, dass die geschlechtsspezifischen<br />

Unterschiede in Deutschland im europäischen Vergleich am größten<br />

sind. Während von den Männern 24,3% eine hohe Qualifikation aufweisen, sind dies<br />

bei den Frauen nur 16,8%. Diese landes- bzw. geschlechtsspezifischen Unterschiede<br />

haben jedoch deutliche Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: „In 2003, the average<br />

employment rate in the EU25 for the high-skilled was 82,5% […]. […] the average<br />

employment rate for the low-skilled being 46,6%“ (European Commission 2004: 32).<br />

Im Umkehrschluss ist die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden für niedrigqualifizierte<br />

Personen im erwerbsfähigen Alter mit 11,2% deutlich höher als für hochqualifizierte<br />

Personen (4,9%). Während in Österreich die Gefahr der Arbeitslosigkeit für<br />

niedrigqualifizierte Erwerbspersonen deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt<br />

(8,8%), zeigt sich die Gefahr der Arbeitslosigkeit in Deutschland durch ein zu geringes<br />

Qualifikationsprofil mit 15,7% sehr deutlich. Ursachen für die deutlichen Unterschiede<br />

innerhalb der EU im Qualifikationsprofil liegen zum einen in den Beschäftigungs-<br />

und Bildungssystemen, der Ausrichtung der Innovations- und Technologiepolitik,<br />

dem Fortschreiten des Strukturwandels in eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft<br />

und dem Erfolg der Bewältigungsstrategien zur Begleitung dieses<br />

Strukturwandels. Ein Indiz für das Auftreten von Problemen im Strukturwandel ist das<br />

verstärkte Auftreten von Arbeitsmarktungleichgewichten (mismatches), die von einer<br />

Suche nach Arbeitskräften mit bestimmten Anforderungsprofilen geprägt ist, während<br />

19


gleichzeitig viele Personen in derselben Branche, <strong>Region</strong>, Land etc. eine Stelle suchen.<br />

Oft ist die Ursache hierfür ein „qualifikatorisches Mismatch“, das besonders<br />

Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau in <strong>Region</strong>en mit ausgeprägter Technologie-<br />

und Innovationspolitik betrifft (Conrads et al. 2004). Dies ist dann auch meist<br />

der Engpass, an dem die Steigerung der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft ins<br />

Stocken gerät bzw. eine große Gruppe der Beschäftigten an positiven Entwicklungen<br />

in High-Tech-<strong>Region</strong>en nicht beteiligt wird (Conrads/Huber 2000).<br />

Diese kurzen empirischen Exkurse in die zwei Hauptfacetten des Wandels, wie sie<br />

im Rahmen der ESF-Artikel 6-Programmumsetzung gesehen werden, sollen die<br />

Herausforderungen aufzeigen, denen sich die gestaltenden wie die betroffenen<br />

Akteure am Arbeitsmarkt bei einem „Management of Change“ zu stellen haben, um<br />

den Anforderungen durch die beschriebenen Umbrüche gewachsen zu sein. Im Folgenden<br />

soll es nun vor allem darum gehen, wie sich die Wandlungsphänomene für<br />

die Arbeitsmarktgestaltung auswirken und welche Anforderungen für einen erfolgreichen<br />

Verlauf zu erfüllen sind.<br />

2. Arbeitsmarktpolitik im Wandel: Reformen und die Renaissance der<br />

<strong>Region</strong> in der Arbeitsmarktpolitik<br />

Vor allem in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften besteht ein Missverhältnis<br />

zwischen Theorie und Praxis, zwischen empfundenem Änderungsbedarf in der Politik<br />

und den zu realisierenden Reformen. Diese offensichtliche Diskrepanz ist auch in der<br />

Arbeitsmarktforschung festzustellen. Auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik<br />

werden daher die Rufe nach einem „Management of Change“ lauter.<br />

Das „Management of Change“ ist ein aus der Betriebswirtschaft entliehener Be-griff<br />

und findet momentan seine praktische Anwendung vor allem in großen Unternehmen.<br />

Ein solches „Management of Change“ hat die politischen Entscheidungsprozesse<br />

und die Wirkungszusammenhänge bei politischen Umsetzungsvorhaben<br />

optimal zu koordinieren. Eine besondere Rolle spielt dabei die wissenschaftliche Beratung<br />

und Begleitung in diesem Umfeld (Ramge/Schmid 2003). Besonders bedenklich<br />

für die Arbeitsmarktforschung ist der mangelnde Erfolg bestehender Arbeitsmarkt-<br />

und Beschäftigungspolitik in Deutschland. Seit dem Ende der Kohl-Ära<br />

herrscht in Deutschland eine hohe Erwartungshaltung, den Reformstau vor allem am<br />

Arbeitsmarkt aufzulösen und den Eindruck eines Stillstandes in Deutschland zu<br />

beenden. Obwohl die Schwachstellen in Deutschland seit Jahren bekannt sind,<br />

20


gelingt es kaum, die von vielen Seiten als notwendig eingeschätzte Veränderung tatsächlich<br />

in die Realität umzusetzen. Färber (2003) geht in Bezug auf die Umsetzung<br />

von Reformvorhaben am Arbeitsmarkt davon aus, dass relativ geringe Diskrepanzen<br />

in vielen Feldern der Beschäftigungsforschung darin bestehen, was gemacht werden<br />

müsste. Daher stellt sich die einfache Frage, warum sich diese Umsetzungslücke,<br />

durch die Politik nicht schließen lässt (Färber 2003). In der Analyse politikwissenschaftlicher<br />

Befunde zum „Management of Change“ ist festzustellen, dass beispielsweise<br />

der Entscheidungsprozess bei Arbeitsmarktreformen in der Bundesrepublik<br />

Deutschland durch eine international vergleichsweise beträchtliche Zahl von „Vetospielern“<br />

einen extrem hohen Konsensbedarf voraussetzt (Schmidt 2000).<br />

Politische Entscheidungsprozesse sind vielfältiger und daher meist auch komplizierter<br />

als Entscheidungsverfahren in Unternehmen und Betrieben. Die Beziehung<br />

zwischen Entscheidungsfindung und Ergebnis bleibt in der Politik meist diffus und undurchschaubar<br />

(Pierson 2000). Gerade politische Systeme, die auf konsensdemokratische<br />

Elemente aufbauen und somit einem gewissen Verhandlungszwang unterliegen,<br />

durchlaufen intransparente Entscheidungsprozesse und sind für den Wähler<br />

schwer zu erkennen und zu verstehen. Um so mehr ist die Politik darauf angewiesen,<br />

bei Kompromissen Abstriche vom Idealkonzept zu machen, Zugeständnisse an<br />

Interessengruppen einzugehen, einleuchtende, klare Ergebnisse zu präsentieren und<br />

komplexe Zusammenhänge polarisierend und vereinfachend darzustellen: „Die Logik<br />

des politischen Prozesses bringt die Politik dazu, Komplexität zu reduzieren, einzelne<br />

Elemente aus kohärenten Maßnahmenbündeln herauszulösen, Interdependenzen zu<br />

vernachlässigen, Vorschläge umzuformen und zu verwässern oder gar sachlich<br />

falsch aufzunehmen“ (Rabe 2003: 114).<br />

Dies trifft in jedem Fall auch auf die Beziehungen im Feld der Arbeitsmarktpolitik zu,<br />

denn hier ist die Zahl der „Vetospieler“ immens hoch, man bedenke die langen Verhandlungen<br />

zur Umsetzung der „Hartz“-Reformen“, die zahlreichen Auseinandersetzungen<br />

der Regierung mit verschiedenen Interessengruppen, mit der Opposition<br />

und natürlich vor allem mit den davon Betroffenen, mit den Arbeitslosen. Hierin ist<br />

auch eine Ursache zu sehen, warum Beschäftigungspolitik in den letzten Jahren<br />

dahin tendiert, sich dezentraler zu organisieren, d.h. warum die Richtung auf eine<br />

stärker lokale und regionale Arbeitsmarktpolitik hinweist.<br />

21


Laut Breunig (2003) entstanden erste Ansätze einer kommunal organisierten Arbeitsvermittlung<br />

durch regionale Zünfte im Mittelalter. Mit der Entstehung der Bundesanstalt<br />

für Arbeit 1969 durch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wurde ein lokaler territorialer<br />

Gestaltungsspielraum zur Förderung beruflicher Bildung realisiert. Doch erst<br />

mit dem Sozialgesetzbuch III von 1998 wurden die Aufgaben der deutschen Bundesanstalt<br />

für Arbeit derart neu geordnet, dass der Einsatz der arbeitsmarktpolitischen<br />

Instrumente stark dezentralisiert wurde. Damit erlangen die Arbeitsämter die Kompetenz,<br />

in relativer eigener Zuständigkeit über Umfang und Instrumenten-Einsatz in der<br />

Beschäftigungspolitik zu entscheiden. Dies steht im Einklang mit den Forschungen<br />

des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit<br />

(IAB), das seit Jahren an Evaluations- und Arbeitsmarktindikatoren arbeitet, die<br />

regionale Arbeitsmarktbedingungen und deren Entwicklungspotenziale berücksichtigen<br />

(Monitoring und Projektionen). Darüber hinaus fordert Breunig (2003) die bestmögliche<br />

Kenntnis folgender <strong>Teil</strong>bereiche:<br />

1. Aktuelle Wirtschaftsstruktur und ihre Entwicklungspotenziale.<br />

2. Quantitative und qualitative Dimension des Arbeitskräfteangebots.<br />

3. Pendler- und Wanderungsverflechtung.<br />

In der in den letzten Jahren zunehmenden Fokussierung auf die <strong>Region</strong> als Handlungsfeld<br />

der Beschäftigungspolitik wird eine Gegenbewegung zur Globalisierung gesehen<br />

(Hilpert/Kistler 2003: 56). Dieser Fokus-Wechsel hat verschiedene Ursachen.<br />

Insbesondere der starke Bedeutungsverlust des Nationalstaates durch weltweite<br />

Handelsbeziehungen und das Entstehen internationaler Konzerne sowie die Flexibilisierung<br />

der Produktion, die je nach Ausrichtung, Lage und Verflechtungsgrad spezifische<br />

Rahmenbedingungen benötigt, führt sowohl zu einer Internationalisierung der<br />

Wirtschaftspolitik als auch zu einer Verschiebung politischer Zuständigkeiten nach<br />

unten: zu einer „<strong>Region</strong>alisierung der <strong>Region</strong>alpolitik“ (Huebner 1996). Demgemäß<br />

richtet sich heute die Perspektive von Beschäftigungspolitik nicht auf lediglich exogen<br />

bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten, sondern genauso auf die innere Struktur einer<br />

<strong>Region</strong>. „Wie sich eine <strong>Region</strong> entwickelt, hängt demnach sowohl von exogenen als<br />

auch von endogenen Faktoren ab. Weltmarkt und nationale (konjunkturelle und<br />

strukturelle) Entwicklung geben zwar den Rahmen für eine regionale Wirtschaft ab,<br />

aber wie diese auf die exogenen Bedingungen reagiert, wird sehr stark von ihrer inneren<br />

Struktur und ihren sozialen und kulturellen Qualitäten bestimmt“ (Häußermann/Siebel<br />

1995: 218).<br />

22


Ein Hemmnis in der fehlenden Ausrichtung auf eine regionale Arbeitsmarktpolitik wird<br />

vor allem darin gesehen, dass sich zu zahlreichen Forschungsfeldern ein völlig heterogener<br />

bzw. disperser Forschungsstand zeigt. Zudem gelingt es Ansätzen lokaler<br />

Ökonomie nicht, die in sie gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Doch ein wesentlicher<br />

Nutzen gerade in der Betrachtung der widersprüchlichen empirischen Erkenntnisse<br />

liegt in der lokalen oder regionalen Dimension. Die Komplexität moderner Arbeitsmarktphänomene<br />

erfordert einen Gestaltungsprozess auch auf räumlich überschaubarer<br />

Ebene (Hild 1997: 13). Durch die Problemnähe einer lokalen oder regionalen<br />

Beschäftigungspolitik, lassen sich Konzeptumsetzungen durch ein Maß an Betroffenheit<br />

und Problemnähe leichter gestalten. „<strong>Region</strong>ale Selbstorganisation – etwa im<br />

Bereich von regionalen Bündnissen für Arbeit oder der Arbeitslosenhilfe – erfordert<br />

bei den Betroffenen immer ein gewisses Eigeninteresse und einen erkennbaren Nutzen.<br />

Wird aber dieser von den Betroffenen erkannt, folgen häufig entsprechende<br />

Reaktionen. Diesen basisgesteuerten (bottom-up) Impulsen und lokalen Steuerungsmöglichkeiten<br />

wird eine größere Dauerhaftigkeit (Nachhaltigkeit) als hoheitlichen<br />

Formen (top-down) der Steuerung zugesprochen […]“ (Hilpert/Kistler 2003: 59).<br />

Lokale und regionale Beschäftigungsstrategien verfolgen vielfältige Zielsetzungen,<br />

wie unter anderem die Motivation und Integration bislang benachteiligter Gruppen auf<br />

dem Arbeitsmarkt, den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, die stärkere Berufseingliederung<br />

von Frauen oder die Förderung von lebenslangem Lernen und permanente<br />

Kompetenzentwicklung. Für die Organisation moderner, den zukünftigen Aufgaben<br />

angepasster Arbeitsmarktkulturen ist vor allem die regionale Ebene geeignet, da sie<br />

die komplexen Sachzusammenhänge überschaubarer werden lässt. Die räumliche<br />

Nähe der Akteure und Institutionen ermöglicht umfassende Lernprozesse, bereichsund<br />

trägerübergreifende Maßnahmen, die Steuerung von Arbeitsmarktprozessen<br />

sowie den schnellen und effektiven Austausch zwischen den Akteuren. In der Konsequenz<br />

richtet sich auch die Europäische Beschäftigungsstrategie zunehmend auf die<br />

regionale Ebene aus. 2<br />

Die erstrebte Umsetzung von Zielsetzungen in der Lösung der Arbeitsmarktprobleme<br />

führte in den letzten Jahren zu einer wahren Flut von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen,<br />

die auf die regionale und lokale Ebene zugeschnitten sind. Dies steht ferner<br />

2<br />

1997 wurde in Luxemburg im Rahmen der Einführung der Europäischen Beschäftigungsstrategie<br />

die beschäftigungspolitische Leitlinie zur Erstellung lokaler Aktionspläne von der EU eingeführt.<br />

Seitdem erfährt die lokale und regionale Dimension eine kontinuierliche Verstärkung in der<br />

Europäischen Beschäftigungspolitik.<br />

23


im Einklang mit einer Dezentralisierung von Arbeitsverwaltungsaufgaben nach dem<br />

neuen Sozialgesetzbuch (SGB III) (Hilpert/Huber 2001: 252 f.), dem „Job-AQTIV“-<br />

Gesetz und der Stärkung der Arbeitsverwaltung vor Ort durch die „Hartz“-Gesetze<br />

(Job-Center/PersonalServiceAgenturen etc.). Insbesondere mit dem 2002<br />

vorgelegten Reformkonzept „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ („Hartz“-<br />

Kommission) wurde der Bundesagentur ein neues Leitbild - die Berücksichtigung von<br />

Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt - gegeben. Um die Steuerung der so<br />

gestiegenen Aufgabenstellung der Bundesagentur für Arbeit zu ermöglichen, ist eine<br />

stärkere Berücksichtigung regionaler Gesichtspunkte von Nöten.<br />

Die wesentlichen Vorteile der regionalen Dimension für die Beschäftigungspolitik<br />

lassen sich wie folgt zusammenfassen:<br />

1. Nähe zum Arbeitsmarktgeschehen: Entgegen aller mit Globalisierung und Mobilitätssteigerung<br />

verbundenen neoklassischen Hoffnungen auf eine Konvergenz regionaler<br />

Arbeitsmarktperformanzen ist eine zunehmende Heterogenisierung lokaler Arbeitsmärkte<br />

zu beobachten. Unterschiedliche lokale Problemlagen werden zum einen<br />

durch traditionelle wirtschaftsräumliche Strukturen begründet, zum anderen durch<br />

unterschiedliche Betroffenheit durch neue Phänomene (Grenzöffnung, Marktentwicklung<br />

etc.). Arbeitsplätze und Beschäftigung werden hauptsächlich von Unternehmen<br />

geschaffen. Aus diesem Grunde ist die Unterstützung der unternehmerischen<br />

Aktivität und der Entwicklung von Unternehmen eine zentrale Funktion erfolgreicher<br />

Beschäftigungspolitik. Die Kommunen sind bedeutende und direkte Ansprechpartner<br />

für Unternehmen, da sie durch eine aktive, abgestimmte Wirtschaftsförderung<br />

sehr wichtige Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung geben können.<br />

Dies ermöglicht auch eine effektivere Nutzung vorhandener Potenziale. Nicht nur im<br />

neuen SGB III wird deshalb eine verstärkte <strong>Region</strong>alisierung der Arbeitsmarktpolitik<br />

gefordert. Auch in den <strong>Region</strong>en selbst, wo der Problemdruck am spürbarsten wirkt,<br />

wird immer mehr eine regional gezielte, ja gar eine endogen generierte<br />

Arbeitsmarktpolitik, verbunden mit zielgenauem Mitteleinsatz etc., gefordert. Die<br />

Praxis zeigt, dass auf der Ebene von Arbeitsamtsbezirken die hierzu notwendigen<br />

Konsensleistungen, die Mobilisierung der relevanten Akteure oder die Umsetzungsvoraussetzungen<br />

wesentlich leichter herzustellen sind als auf Landes- oder gar<br />

Bundesebene. Die bislang vorstelligen Projekte gehen aber über den Status singulärer<br />

lokaler Beschäftigungsinitiativen nur selten hinaus.<br />

24


2. Höhere Anpassungsfähigkeit an regionale Problemvielfalt gewährleistet regional<br />

„sensible“ Beschäftigungspolitik. So wird beispielsweise ein komplexer und flexibler<br />

Instrumenteneinsatz im Sinne einer hochwertigen Dienstleistungsorientierung auf der<br />

lokalen Ebene erleichtert. Auf allen Maßstabsebenen kann immer weniger von einem<br />

Arbeitsmarkt gesprochen werden. Abhängig von der Qualifikation der Erwerbspersonen,<br />

den Pendlerverflechtungen, der lokalen Nachfrage o.ä. gestalten sich Arbeitsmärkte<br />

als geschichtete Kontinuen. Instrumente auf nationalstaatlicher oder Landesebene<br />

verlieren angesichts der Diversifizierung disparitärer Beschäftigungsprobleme<br />

bis zu ihrer lokalen Zielebene vielfach an Wirkung. Eine effektive Arbeitsmarktpolitik<br />

muss zudem über die klassischen Instrumente hinaus weitere Bezugspunkte, wie etwa<br />

Nachfrage- und Angebotsentwicklung, Weiterbildungsinstrumente, Bedarfsanalysen,<br />

Qualifikationsprognosen etc. umfassen. Die Vielzahl der relevanten Aufgaben<br />

kann von den amtlichen Institutionen heute kaum (noch) bewerkstelligt werden. Die<br />

zunehmende Komplexität der Beschäftigungsstruktur und –defizite erfordern zum einen<br />

eine exaktere Zielansprache, was nur in einem detaillierteren Maßstab (auf lokaler<br />

und regionaler Ebene) möglich ist. Zum anderen ist neben der konzeptionellen Arbeit<br />

und angesichts der freien Fördermittel, wie sie auch das neue Sozialgesetzbuch<br />

(SGB III) vorsieht, ein gesteigertes Maß an Umsetzungsarbeit nötig. Derartige Projekte<br />

sind bislang rudimentär. Beispielsweise in der Beratung wird ein besonderer<br />

Schwerpunkt künftig wohl im Wesentlichen bei der an modernen Dienstleistungsansprüchen<br />

ausgerichteten Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen liegen.<br />

3. Beseitigung von Diskriminierungen am Arbeitsmarkt ist auf der lokalen Ebene<br />

besonders wirksam (vgl. Gemeinschaftsinitiative EQUAL in: Bundesministerium für<br />

Arbeit und Sozialordnung 2001: 235 ff.). Lokale Beschäftigungsinitiativen spielen<br />

hierbei eine große Rolle zur Stabilisierung und zur Neuschaffung von Beschäftigung,<br />

insbesondere aber bei der Hilfe für benachteiligte Personengruppen und andere<br />

Zielgruppen der Arbeitsmarktpolitik. Benachteiligte Jugendliche, Frauen, Migranten,<br />

Langzeitarbeitslose und andere Gruppen brauchen Brücken in Beruf und Arbeit, die<br />

am besten von auf ihre konkreten Bedürfnisse abgestimmten lokalen Angeboten -<br />

lokalen „Übergangsarbeitsmärkten“ - geschaffen werden können.<br />

25


4. Initiierung regionaler Lernprozesse: Das „lebenslange Lernen“ kann und soll von<br />

Städten und <strong>Region</strong>en wirksam gefördert werden. 3 Wirkliche Verhaltensänderungen<br />

werden nicht durch einen höheren Problemdruck, sondern in erster Linie durch einen<br />

höheren Identifikationsgrad der betroffenen Akteure mit den entwickelten Konzepten<br />

hergestellt. Erst durch die Ausschöpfung der regionalen Eigenkräfte, die vielfach ihrer<br />

eigenen lokalen Logik folgen und nur unter Kenntnis der regionalen Lebenswelten<br />

(Mentalitäten, Vorerfahrungen, Akteurskonstellationen etc.) verständlich sind, können<br />

nachhaltige Stabilisierungseffekte im Sinne einer „Lernenden <strong>Region</strong>“ erzielt werden.<br />

Durch die Unterstützung von Weiterbildung in Betrieben, durch die Schaffung von betriebs-<br />

und wohnortnahen Weiterbildungsangeboten und durch die Sensibilisierung<br />

und Mobilisierung von Arbeitnehmern und Betrieben für Weiterbildung und Qualifizierung,<br />

kann die traditionelle Wirtschaftsförderung wirksam und nachhaltig ergänzt<br />

werden.<br />

5. „Social mobilization“ und lokal organisiertes Sozialkapital: Kommunen können in<br />

besonderer Weise Partnerschaften und Kooperationsnetzwerke zwischen Unternehmen,<br />

Staat, gesellschaftlichen Gruppen und zwischen verschiedenen öffentlichen<br />

Einrichtungen/Institutionen herstellen. Durch breite Bündnisse kann das „soziale Kapital“<br />

in der <strong>Region</strong> erhalten und vergrößert werden, was Grundlage auch für eine<br />

wirtschaftliche Entwicklung ist, an der alle Gruppen der Gesellschaft teilhaben können<br />

und das die Spaltung in „Gewinner“ und „Verlierer“ des ökonomischen Fortschritts<br />

überwindet. Beispiele: Das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ in<br />

Deutschland und das Programm URBAN auf europäischer Ebene zeigen, wie durch<br />

die interdisziplinäre Verknüpfung von Handlungsfeldern der Stadtentwicklung, auch<br />

der Beschäftigungspolitik, im Quartier und auf lokaler Ebene neue Impulse verliehen<br />

werden können.<br />

6. Kontrolle und Evaluierung sowie „therapeutische Steuerung“ sind besser durchführbar:<br />

Aufgrund der bestehenden methodischen Unsicherheiten auf der übergeordneten<br />

Ebene (Makroebene) wird für eine verstärkte Betrachtung der regionalen<br />

Ebene unter besonderer Bezugnahme auf die bisher oftmals vernachlässigten<br />

Implementationsbedingungen von Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik plädiert.<br />

Gegenwärtig gewinnt die Evaluierung von arbeitsmarkt- wie regionalpolitischen<br />

Maßnahmen immer stärker an Bedeutung. Speziell von Seiten der EU wird die Wei-<br />

3<br />

Vgl. Modellprojekte wie ADAPT oder das BMBF-Förderprogramm „Lernende <strong>Region</strong> – Förderung<br />

von Netzwerken“.<br />

26


terentwicklung der Evaluationsmethoden im Hinblick auf die Steuerung der<br />

Strukturfonds und des ESF gefordert. In der wissenschaftlichen Debatte existiert<br />

zurzeit eine Vielzahl von Methoden, die zur Evaluation arbeitsmarkt- wie<br />

regionalpolitischer Maßnahmen eingesetzt wird, deren jeweilige Unzulänglichkeit<br />

aber nicht ausreichend diskutiert wird. Zurzeit werden auch Forschungsvorhaben<br />

durchgeführt, die die bestehenden Methoden kritisch überprüfen sollen und die<br />

Weiterentwicklung ausgewählter Methoden beschreiben.<br />

3. Stärkung der lokalen und regionalen Ebene durch die Europäische<br />

Beschäftigungspolitik<br />

Die Beschäftigungspolitik in Europa ist nach dem Grundsatz einer Mehrebenendialektik<br />

aufgebaut (Roth/Schmid 2002). Sie ist im Vergleich zu nationalstaatlichen Beschäftigungspolitiken<br />

noch ein relativ junges Politikfeld und weist eine erhebliche<br />

„Binnenkomplexität“ und „Entgrenzung“ (Loslösung der Politik von territorialer Übereinstimmung)<br />

auf, die bereits die Aufgabe einer Politikformulierung (gemäß Policy-<br />

Ansatz) sowie die entsprechende Implementation durch Steuerungsprobleme<br />

ungemein erschweren (siehe Abbildung 1).<br />

Abbildung 1: Das Steuerungsmodell in der Arbeitsmarkt- und<br />

Beschäftigungspolitik – Die EU als „kooperativer“ Staat<br />

Lokale Ebene (Steuerungsfähigkeit: abnehmend)<br />

Moderierender Staat<br />

Steuerungsstaat<br />

Interventionsstaat<br />

Staat<br />

Steuerungsintensität: hoch<br />

Kooperativer<br />

Staat<br />

Steuerungsfähigkeit:<br />

integrativ<br />

Min. Staat/ Marktsteuerung<br />

Markt<br />

Steuerungsintensität: gering<br />

Europäische Union<br />

Supranationale Steuerung<br />

Intergouvernementalismus<br />

Supranationale Ebene (Steuerungsfähigkeit: abnehmend)<br />

Quelle: Roth/Schmid 2002: 15<br />

27


„Entgrenzung geht mit der Verringerung politischer Steuerungsfähigkeit des Staates<br />

einher, weil die Reichweite seines Handelns territorial begrenzt, die Adressaten<br />

seiner Politik aber transnational beweglich oder gar exterritorial verankert sind. Die<br />

gemeinsame Ausübung von Souveränität in der EU erweitert den Handlungsrahmen,<br />

bindet die Mitgliedstaaten der EU jedoch in komplexe Entscheidungsprozesse ein,<br />

die mit den Problemen der horizontalen Koordination in Verhandlungssystemen<br />

belastet sind“ (Jachtenfuch/Kohler-Koch 1996: 22).<br />

Die Europäische Union wird hierbei aus politikwissenschaftlicher Sicht als politisches<br />

System angesehen, das sich bislang herkömmlichen Klassifikationen entzieht und<br />

sich durch das „dynamische Mehrebenensystem“ mit Einzigartigkeit und Komplexität<br />

und entgegen vieler landläufiger Vorurteile gemäß vergleichender Systemforschung<br />

mit einer zunehmenden Systemqualität auszeichnet (Roth/Schmid 2002).<br />

Mit dem „Amsterdamer Vertrag“ (1997) erhielt das Thema Beschäftigung erstmals<br />

seinen festen Platz auf der politischen Agenda der Union. Die Verbindlichkeit, die<br />

Beschäftigungspolitik untereinander anzugleichen und die Schaffung von mehr und<br />

besseren Arbeitsplätzen zu begünstigen, wurde auf dem Luxemburger „Beschäftigungsgipfel“<br />

(1997) mit der Formulierung einer Europäischen Beschäftigungsstrategie<br />

konkret umgesetzt. Seitdem fördert die Europäische Beschäftigungsstrategie<br />

auch die Entwicklung einer territorialen Dimension der Beschäftigungspolitik – eine<br />

Entwicklung, die in den letzten Jahren durch die Ausarbeitung regionaler und lokaler<br />

Aktionspläne in ganz Europa untermauert wurde. Die Unterstützung der lokalen Beschäftigungsentwicklung<br />

in der Europäischen Beschäftigtenstrategie (EBS) dient im<br />

Wesentlichen der Implementierung der Ziele des Europäischen Rates von Lissabon<br />

Anfang 2000 und der Agenda 2000 (z.B. Vollbeschäftigung, Erhöhung der Beschäftigungsquote<br />

etc.). Die Zielsysteme sind als Aufgabe für Gebietskörperschaften durch<br />

lokale Aktivitäten mit Leben zu füllen. Wichtige Arbeitsgebiete liegen hierbei in der<br />

Dezentralisierung der Verwaltung, der Stärkung des Freiwilligensektors und der Verwaltung<br />

des Sozialkapitals. „Die lokale und regionale Dimension ist in mehrerer Hinsicht<br />

bedeutend für die Europäische Beschäftigungsstrategie: Zum einen gilt es,<br />

lebenslanges Lernen mit der Hinwirkung auf Lerneffekte vor Ort zu etablieren. […]<br />

Zum anderen werden Arbeitsplätze im Endeffekt lokal geschaffen. Daher sind lokale<br />

Aktionspläne für Beschäftigung zu schaffen.“ 4<br />

4 Auszug der transkriptierten Rede von Frau Diamantopolou (EU-Kommissarin für Beschäftigung<br />

28


Lokale und regionale Beschäftigungspolitik kann die übergeordneten Strategien in<br />

vielerlei Hinsicht vervollständigen und durch ihren Anteil essentiell zum Fortschritt<br />

nationaler und europäischer Beschäftigungspolitik beitragen (Schulze-Böing 2000).<br />

Bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Verarmung kommt es<br />

ausschlaggebend auf die Mobilisierung der lokalen Kollektive an. Daher werden<br />

lokale und regionale Verwaltungen, Gebietskörperschaften und andere lokale<br />

Akteure zu bedeutenden Partnern in der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen<br />

Entwicklung in ganz Europa. In der Dezentralisierung wird ein möglicher Weg<br />

gesehen, um die Qualität des Dienstleistungsangebots zu verbessern und adäquat<br />

auf die Nachfrageseite anzupassen. Ebenso ist den Bedürfnissen und Möglichkeiten<br />

der örtlichen Wirtschaft auf diese Weise leichter Rechnung zu tragen. Die sich aus<br />

der Europäischen Beschäftigungsstrategie ergebenden Aufgaben lassen sich in vier<br />

„Säulen“ zusammenfassen:<br />

1. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit<br />

2. Entwicklung des Unternehmergeistes<br />

3. Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer<br />

Beschäftigten<br />

4. Förderung der Chancengleichheit.<br />

Die sich daraus ableitenden und für die Entwicklung der so genannten Nationalen<br />

Aktionspläne (NAPs) maßgeblichen „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“ beschreiben<br />

konkrete Handlungsschwerpunkte. Diese nationalen Pläne sollen nach dem<br />

Willen der Union durch „Lokale Aktionspläne“ (LAPs) und „Territoriale Beschäftigungspakte“<br />

ergänzt werden. Diese bilden den Rahmen für die Implementation der<br />

europäischen Förderinstrumente, insbesondere des Europäischen Sozialfonds<br />

(ESF). Ziel ist es, die Arbeitsmarkteffekte der strukturpolitischen Interventionen zu<br />

forcieren. Die Erstellung von LAPs ist eine große Herausforderung und erst ganz<br />

wenige Kommunen in Europa, etwa die Stadt Malmö in Schweden, haben sich dieser<br />

Aufgabe auf der Basis eines breiten politischen Konsenses gestellt. „All actors at the<br />

regional and local levels, including the social partners, must be mobilised to implement<br />

the European Employment Strategy by identifying the potential of job creation<br />

at local level and strengthening partnerships to this end” (Ecotec Consulting 2003: 3).<br />

Territoriale Beschäftigungspakte sind Allianzen auf regionaler beziehungsweise loka-<br />

und Soziales) beim „European Forum on local development and employment“ am 16. Mai 2003 in<br />

Rhodos.<br />

29


ler Ebene, um in der jeweiligen <strong>Region</strong> Beschäftigung zu schaffen und zu sichern.<br />

Die Pakte basieren auf breiten Partnerschaften mit Vor-Ort-Akteuren der Privatwirtschaft,<br />

Sozialpartnern, Bürgerinitiativen, Handels- und Handwerkskammern, Bildungsträgern,<br />

Forschungsinstituten, Universitäten/Fachhochschulen, Vereinen,<br />

Technologiezentren sowie mit Vertretern von Gebietskörperschaften. Überregionale<br />

Partner eines „Territorialen Beschäftigungspaktes“ können Politiker und Vertreter von<br />

Landesregierungen, Begleitausschüsse für Strukturfondsinterventionen der EU und<br />

regionale Entwicklungsgesellschaften sein. <strong>Region</strong>sspezifisch werden die Zuschnitte<br />

der Partnerschaften unterschiedlich gestaltet (Besse/Guth 2000: 53 ff.). Die ersten<br />

Bewertungsergebnisse zur Arbeit der Pakte sind so ermutigend, dass der Ansatz der<br />

Beschäftigungsförderung auf lokaler Ebene durch die Bildung von Bündnissen in die<br />

Strukturfondsverordnungen 2000–2006 aufgenommen wurde (Europäische Kommission<br />

1999).<br />

Ebenso bedeutende Steuerungsmöglichkeiten für die regionale Ebene im Rahmen<br />

der EBS fallen in den Bereich der Strukturfonds (z.B. Europäischer Sozialfonds).<br />

Insbesondere die Gemeinschaftsinitiativen EQUAL (beispielsweise durch den Zwang<br />

zur Selbstorganisation in lokalen/regionalen Entwicklungspartnerschaften), Urban<br />

und Leader und die innovativen Maßnahmen (Artikel 6) im Rahmen des Europäischen<br />

Sozialfonds und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, bieten ein<br />

hohes Umsetzungspotenzial für die Steuerung lokaler und regionaler Beschäftigungspolitik,<br />

das es auszuschöpfen gilt.<br />

4. Deutsche Erfahrungen bei der Realisierung kooperativ ausgerichteter<br />

Beschäftigungspolitik<br />

Allein der Ansatz, Instrumente wie die „Territorialen Beschäftigungspakte“ bei der<br />

Umsetzung der lokalen Dimension der Europäischen Beschäftigtenstrategie,<br />

„Entwicklungspartnerschaften“ zur Realisierung der Gemeinschaftsinitiative EQUAL<br />

oder der „Lernenden <strong>Region</strong>en“ (BMBF) zur Verwirklichung des Prinzips des lebenslangen<br />

Lernens einzusetzen, zeigt die Problematik, Konzepte und Strategien europäischer<br />

und nationaler Beschäftigungspolitik in die Realität umzusetzen. „Nach<br />

mehr als 50 Europaveranstaltungen haben wir zwar viele Menschen erreicht, aber<br />

zum Engagement hat das nur sehr selten geführt“ (Flore 2003: 1).<br />

30


Auch Hilpert und Huber (2002) erkennen zahlreiche Schnittstellenprobleme in der<br />

Verwirklichung von beschäftigungspolitischen Prinzipien und schließen: „Gefordert ist<br />

additiv eine regionale Arbeitsmarktpolitik, die sich in erster Linie durch ihre dezentrale<br />

Steuerbarkeit, durch ihr breiteres Arbeitsmarktverständnis und durch ihre Umsetzungsorientierung<br />

auszeichnet. Von den bestehenden lokalen Institutionen werden<br />

diese Anforderungen bislang nur ungenügend erfüllt“ (Hilpert/Huber 2001: 39).<br />

Um den beschriebenen Durchführungsproblemen am Arbeitsmarkt zu begegnen,<br />

kommt es immer wieder zu „symbiotischen“, dreiseitigen Kooperationsbündnissen<br />

zwischen Staat, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Bereits 1967 wurde mit<br />

der „Konzertierten Aktion“ versucht, in der Dreiersymbiose einen bestehenden Durchführungs-<br />

bzw. Reformstau in der Arbeitsmarktpolitik aufzubrechen. Das 1996 von<br />

Bundeskanzler Kohl gestartete und von Schröder weitergeführte „Bündnis für Arbeit“<br />

führt diesen Ansatz fort. 5<br />

4.1 Die Konzertierte Aktion<br />

Die Idee der „Konzertierten Aktion“ liegt in der Einbindung der Verbände in die Wirtschaftspolitik.<br />

Das lang gehegte Vorhaben konnte mit dem Eintritt der SPD in die<br />

große Koalition in Angriff genommen werden. 1966 konnte mit der Ausarbeitung und<br />

der Ausgestaltung der „Konzertierten Aktion“ gestartet werden. Kernidee der „Konzertierten<br />

Aktion“ war der Versuch, durch einen permanenten Informationsfluss wirtschaftliche<br />

Prozesse abzustimmen. Infolgedessen sollte ein rationales und gezielteres<br />

Verhalten erreicht werden. Das Resultat des Vorhabens war dann aber eher ein<br />

regelmäßiges Zusammentreffen der Akteure als ein tatsächlich ausdrücklich abgestimmtes<br />

Verhalten. Dies lag auch daran, dass das Gremium im Laufe der Zeit ständig<br />

anwuchs. 1977 umfasste das Gremium über 100 Personen; in diesem Jahr fand<br />

die „Konzertierte Aktion“ dann auch ihr Ende. Der Hauptnutzen der „Konzertierten<br />

Aktion“ wird weniger in ihren abgestimmten Tariflohnentwicklungen gesehen, die mit<br />

dem Ausbruch einer Streikwelle im Sommer 1969 als Fehlschlag endeten (Deutsches<br />

Industrie-Institut 1970), sondern vielmehr darin, einen Beitrag dazu geleistet<br />

5<br />

Es sei an dieser Stelle nochmals deutlich darauf hingewiesen, dass es hier nun nicht um eine<br />

politische oder wissenschaftlich-sachliche Einordnung und Bewertung der Kooperationsbündnisse<br />

geht, sondern darum, zu überlegen, inwiefern es den Kooperationsbündnissen gelang, Ideen und<br />

Beschlüsse zu „implementieren“, sprich in Gesetzesvorhaben und tatsächlich durchgeführte<br />

Maßnahmenbündel umzumünzen. Wenn also hierbei von „Erfolgen“ gesprochen wird, geht es im<br />

Sinne der Implementationsforschung darum, inwiefern es das jeweilige „Management of Change“<br />

leisten konnte, Grundsätze, Visionen etc. in die Realität umzusetzen.<br />

31


zu haben, dass die Gewerkschaften in die soziale Marktwirtschaft erfolgreich integriert<br />

werden konnten (Ramge 2003). Daher sind der „Konzertierten Aktion“ eher<br />

nicht beabsichtigte Effekte zuzuschreiben, und sie ist nicht als ein erfolgreiches,<br />

kontrolliertes, zielgerichtetes „Management of Change“ anzusehen.<br />

4.2 Bündnis für Arbeit<br />

Das „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ war nach dem Scheitern der Kohl-<br />

Regierung von Gerhard Schröder nach seinem Wahlsieg wieder belebt worden. Es<br />

hieß „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. Im Bündnis waren<br />

im Gegensatz zur „Konzertierten Aktion“ nur die vier Spitzenverbände der Wirtschaft<br />

und der Deutsche Gewerkschaftsbund mit den drei größten Einzelgewerkschaften<br />

vertreten. Die begrenzte <strong>Teil</strong>nehmerzahl war ein großer Vorteil gegenüber der<br />

„Konzertierten Aktion“. Kritisiert wird am „Bündnis für Arbeit“, dass ihm ein adäquater<br />

theoretischer Überbau fehlte. Nur auf die positiven Erfahrungen europäischer<br />

Nachbarländer zu verweisen und den Bedarf eines konsensualen Ansatzes zu<br />

artikulieren, um der wachsenden Komplexität in den Wirtschafts-, Sozial- und Finanzsystemen<br />

gerecht zu werden (Schröder 1999: 49 ff.), ermöglicht kein angemessenes<br />

zielgerichtetes Handeln. Bis auf die „Thesen zur Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik“,<br />

die stark in das „Job-AQTIV-Gesetz“ einflossen (Fels 2001), gelang es der wissenschaftlichen<br />

Beratung kaum, ihre Positionen im „Bündnis“ gegen den Widerstand mal<br />

der Gewerkschaften (Niedriglohnsektor) oder mal der Arbeitgeber (Chancengleichheit<br />

der Geschlechter) zu realisieren (Schmid 2003, Pfarr/Vogelheim 2002).<br />

4.3 „Hartz“-Kommission<br />

Die rot-grüne Bundesregierung hat im Frühjahr 2002 eine Kommission unter Leitung<br />

des VW-Vorstandsmitglieds Dr. Peter Hartz eingesetzt, um Lösungsvorschläge für<br />

die Verringerung der Arbeitslosigkeit zu erarbeiten. Die gesetzliche Regelung der<br />

Vorschläge der „Hartz“-Kommission ist z.T. bereits realisiert oder steckt noch im Gesetzgebungsverfahren.<br />

Die mit diesen Gesetzesänderungen angestrebte strategische<br />

Neuausrichtung wirkt sich insbesondere in folgenden Bereichen aus:<br />

• einer effektiveren Vermittlung und einem frühzeitigeren Beginn der Vermittlungsbemühungen,<br />

• einer neuen Balance zwischen betrieblicher Flexibilität und Arbeitnehmerrechten<br />

– wie der Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften,<br />

32


• neuen Brücken zwischen unterschiedlichen Erwerbsphasen wie zwischen abhängiger<br />

und selbstständiger Beschäftigung oder<br />

• des Übergangs in den Ruhestand, einer besseren Zusammenarbeit und Vernetzung<br />

unterschiedlicher Institutionen – wie zwischen Arbeits- und Sozialamt.<br />

Ein besonders bedeutender Vorschlag sieht vor, PersonalServiceAgenturen (PSA) zu<br />

errichten, in die Arbeitslose vermittelt und Unternehmen und Betrieben vorübergehend<br />

überlassen werden. In der verleihfreien Zeit soll ihnen Qualifizierung und Fortbildung<br />

angeboten werden. Die Einrichtung von Job-Centern durch die Arbeitsagenturen,<br />

die arbeitslose Personen „aus einer Hand” in ihren vielfältigen Fragen<br />

beraten, sie vermitteln und ggf. zur Qualifizierung veranlassen, sollen ganzheitlich<br />

bedarfsorientierte und verbindliche Integrationsangebote entwickeln.<br />

Aus Sicht der wissenschaftlichen Beratung, die sowohl beim „Bündnis für Arbeit“ als<br />

auch bei der „Hartz“-Kommission beteiligt war, werden bereits jetzt die noch nicht abgeschlossenen<br />

Umsetzungen der Beschlüsse der „Hartz“-Kommission als erfolgreichstes<br />

der vorgestellten Kooperationsinstrumente angesehen (Schmid 2003 sowie<br />

Eichhorst/Hassel 2002). Die Gründe sind nachfolgend kurz zusammengefasst:<br />

• Beteiligung von kooperationswilligen Persönlichkeiten und Vermeidung einer<br />

„Patt-Situation“ von Interessengruppen,<br />

• im Gegensatz zum „Bündnis für Arbeit“ lag der „Hartz“-Kommission eine Vision<br />

zugrunde – nämlich der Versuch einer Implementation des VW-Modells in die<br />

nationale Beschäftigungspolitik,<br />

• strategisches Vorgehen im Entscheidungsprozess: Beziehen von klaren Positionen<br />

und Akzeptanz von möglichen Belastungen bestimmter Klientels, Ausübung<br />

von Druck auf Interessengruppen durch den Zwang zu einer einvernehmlichen<br />

Lösung,<br />

• Ideenreichtum und Steuerungsvermögen durch die Person Peter Hartz,<br />

• hohe Glaubwürdigkeit von Reformvorschlägen durch den Beweis ihrer Anwendbarkeit.<br />

5. „Management of Change“ am Arbeitsmarkt und Umsetzungskonsequenzen<br />

für <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong><br />

Betrachtet man gerade Gestaltungsprojekte wie <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>, die in komplexen<br />

Systemen wie dem Arbeitsmarkt agieren, so bedarf es einer strategischen Vorbereitung<br />

mit Analyse, Folgenabschätzung, Zielentwicklung und Umsetzungskonzept.<br />

Dem trägt auch der Projektaufbau von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> Rechnung. Fern- und Nebenwirkungen<br />

sind am Arbeitsmarkt schwer prognostizierbar oder kontrollierbar und kön-<br />

33


nen zu Fehlentwicklungen führen. In der Folge können ursprünglich intendierte Wirkungen<br />

gemindert werden oder sich sogar ins Gegenteil verkehren. Beispiele für<br />

solche Irrtümer oder Fehlleistungen lassen sich immer wieder finden und sind neben<br />

Nachlässigkeiten auch oft Logikfehlern zuzuschreiben. Eine weitere Fehlerquelle sind<br />

ungenügende Informationen. Dies zeigen Ergebnisse der wirtschaftspsychologischen<br />

Implementationsforschung oder „Change Management“-Programme (Gattermeyer/Al-<br />

Ani 2001). Insbesondere die Vielzahl und Komplexität der denkbaren relevanten<br />

Einflussgrößen für die Gestaltungsziele von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> erfordern ein dementsprechendes<br />

Problemverständnis. In Abbildung 2 sind einige dieser Einflussfaktoren<br />

(ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Angabe einer Priorität) aufgelistet. Dabei ist<br />

zu beachten, dass die Zuordnung zu den einzelnen Ursachen/Einflusskategorien<br />

nicht durchgehend trennscharf möglich ist bzw. das Zusammenwirken der multifaktorellen<br />

Ursachenbündel (gerade für bestimmte Gruppen von Personen, Branchen,<br />

<strong>Region</strong>en etc.) entscheidend ist. Denn das beste Systemverständnis in <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong><br />

kann nicht weiterhelfen, wenn nicht ausreichend Erkenntnisse vorhanden sind, die<br />

Situation richtig zu beurteilen. In der Konsequenz kommt man zu der ernüchternden<br />

wie simplen Erkenntnis, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Durchführung von<br />

Veränderungsprozessen die Beseitigung der beschriebenen oder anderer<br />

Fehlerarten ist. Durchführungsprobleme zeigen dabei immer wieder, welch hohen<br />

Stellenwert die Art der Entscheidungsfindung für den späteren Erfolg hat.<br />

34


Abbildung 2:<br />

Multifaktorelle Einflussbündel auf die Entscheidung über die<br />

Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen<br />

Individuum<br />

- Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund<br />

- Qualifikation, Lernfähigkeit<br />

- Beruf, Tätigkeit<br />

- Beschäftigungsfähigkeit<br />

- Gesundheitszustand (objektiv/subjektiv),<br />

- Erwerbsbiografie (Erwerbsstatus,<br />

Belastungserfahrungen, etc.)<br />

- Ehrenamtliches Engagement<br />

- Behinderung/Erwerbsminderungen<br />

- Räumliche/ Soziale Mobilitätsbereitschaft<br />

- Einkommen (individuell, HH-Einkommen, Art)<br />

- Haushaltszusammensetzung (Kinder, Partner etc)<br />

- Lebensplanung (auch von anderen HH-<br />

Mitgliedern)<br />

- Finanzielle Verpflichtungen<br />

- Betreuungsaufgaben für andere Personen<br />

- Rentenvoraussetzungen<br />

- Erwartete/erworbene Rentenansprüche<br />

- Ansprüche auf andere Alterseinkünfte<br />

- Arbeitsorientierung (Motivation, Zufriedenheit)<br />

- Abfindungen/Erwartungen)<br />

- Unsicherheiten (bspw. über Alterseinkünfte)<br />

- Gesellschaftliche Einflüsse:<br />

o Gesellschaftliche Akzeptanz von<br />

Frühverrentung bzw. Alterserwerbstätigkeit<br />

o (schichtspezifische?) Bewertung der<br />

Lebensstile und Lebenslagen durch Familie,<br />

Freunde, Kollegen etc.<br />

Betrieb<br />

- Branche<br />

- Arbeitsbelastung, -beeinträchtigung,<br />

Arbeitsbedingungen<br />

- Altersstruktur<br />

- FuE-Intensität<br />

- Wettbewerbsfähigkeit<br />

- Beschäftigungsentwicklung (generell,<br />

abteilungsbezogen)<br />

- Arbeitsorganisation<br />

- Wissensmanagement, betriebliche<br />

Qualifizierungspraxis<br />

- Angebot alternsgerechter Arbeitsplätze/ Altersteilzeit<br />

- altersgemischte Teams<br />

- Akzeptanz bei Kollegen/Vorgesetzten<br />

- Verdienstentwicklung<br />

- Geschäftsentwicklung<br />

- Kern-/Randbelegschaften, Einbindung in<br />

Betriebsablauf<br />

- Nachfolgerregelungen<br />

- Exportquote<br />

- Hierarchien<br />

- Regelung bei <strong>Teil</strong>zeit-Erwerbsminderung<br />

Beschäftigung bzw.<br />

Nichterwerbstätigkeit<br />

Rechtlicher Rahmen<br />

- Rentenregelungen (gegenwärtig,<br />

programmiert)<br />

- Abschlagsregelungen<br />

- Zugangsmöglichkeiten (Frühinvalidität)<br />

- Tarifverträge zur ATZ<br />

- Entwicklungen in der Pflegeversicherung<br />

- Regelungen über weitere<br />

Alterseinkommensquellen<br />

(Betriebsrenten, Lebensversicherungen<br />

etc.)<br />

- Kündigungsschutz<br />

- Steuerrecht<br />

<strong>Region</strong>aler Arbeitsmarkt<br />

- regionale Wirtschaftsstruktur<br />

- Cluster-Effekte<br />

- Branchenspezifische Konjunkturverläufe<br />

- Beschäftigten- und Arbeitslosenentwicklung<br />

- Altersstruktur der Beschäftigten und Arbeitslosen<br />

- <strong>Region</strong>ale, branchen-, geschlechts-, lohn-,<br />

qualifikations- und altersspezifische (Un-)<br />

Ausgewogenheit von Angebot und Nachfrage<br />

(mismatch)<br />

- Zugang zu (Verkehrs-)Infrastruktur<br />

- Kommunikationswege, Datenlage und Transparenz<br />

- Angebot an /Praxis bei zweitem Arbeitsmarkt, (Weiter)<br />

Bildungsangebot, Umschulung, Mobilitätsförderung<br />

- Praxis bei <strong>Teil</strong>-Erwerbsminderungen<br />

- (<strong>Region</strong>ale) Entwicklung der Frühverrentung<br />

- relative altersspezifische Lohnkurven<br />

- Verbleibquoten<br />

Quelle: Eigene Darstellung INIFES: 2005<br />

Aus diesen Überlegungen ergeben sich Kriterien für <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>, anhand derer die<br />

Herausforderung durch den Wandel bewältigt werden soll:<br />

Reflexion: In <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> werden Maßnahmen mit zahlreichen Reflexionsschritten<br />

ständig präzise und langfristig vorbereitet. Regelmäßige und intensive Beratungen<br />

mit den Partnern werden durchgeführt. Frühzeitige Pilotmaßnahmen sollten daher<br />

35


immer in Bereichen stattfinden, in welchen geringe Unsicherheitsfaktoren zu verzeichnen<br />

sind.<br />

Analyse: Im Umgang mit Informationen ist eine möglichst hohe Transparenz der<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>s zu erzielen, Fern- und Nebenwirkungen von möglichen Maßnahmen<br />

sind zu bedenken. Die Bewertung und Reflexion der Daten wird fachkundig, im<br />

Bedarfsfall von externen Experten, vollzogen und wird im längerfristigen Verlauf von<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> wiederholt.<br />

Konkretes Zielsystem: Bei der Formulierung des Zielsystems wird eine möglichst genaue<br />

Konkretisierung stattfinden, um eine genaue Zielansprache zu ermöglichen. Inhaltlich<br />

erzielen die Partner einen breiten Konsens einer strategischen Vision für alle<br />

<strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>s: Die Situation von älteren und alternden Personen am Arbeitsmarkt<br />

ist heute aber vor allem auch für zukünftige Entwicklungen nachhaltig zu verbessern.<br />

Dosierung: Die Umsetzung der Ziele sollte durch verschiedene fein dosierte<br />

Maßnahmen erfolgen und nicht durch eine isolierte aber starke Maßnahme. In<br />

<strong>Region</strong>alkonferenzen bestimmen die <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>-Akteure Handlungsbedarf, Arbeitsprogramm<br />

und Maßnahmenabstimmung.<br />

Schwerpunkt: Eine thematische Schwerpunktbildung je nach regionalem Handlungsdruck<br />

ist für eine Umsetzung immer wichtig. Erfolgreiche Projekte zeichnen sich<br />

durch eine angemessene Prioritätensetzung aus, ohne sich allzu sehr in Nebenschauplätze<br />

zu verwickeln. In den <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong>s werden die Maßnahmen dem Projektverlauf<br />

angepasst, denn Schwerpunktverlagerungen sind für einen erfolgreichen<br />

Projektabschluss fast immer notwendig.<br />

Anpassungen: Steuernde Eingriffe werden behutsam und mit nicht allzu hoher<br />

Häufigkeit erfolgen. Systembedingte zeitliche Verzögerungen sind durch Kontinuität<br />

und Stabilität geduldig abzuwarten. Daher wird durch eine möglichst frühzeitige –<br />

aber nicht überstürzte – Umsetzung den innovativen Maßnahmen genügend<br />

zeitlicher Rahmen gegeben, um zu wirken.<br />

Selbstverständlich stellt sich nun die Frage nach weiteren relevanten Kriterien für den<br />

Erfolg von <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> sowie deren Verallgemeinerbarkeit. Wie kann man Fehlentwicklungen<br />

in Zukunft besser einschränken? Dies kann ein regionales Arbeitsmarktmanagement<br />

durch die Schaffung einer professionellen Kooperationskultur<br />

erreichen, einschließlich die gezielte Nutzung und Implementation von Erfahrungen<br />

aus erfolgreichen Beispielen (Mainstreaming).<br />

36


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(Hrsg.): Schriftreihe Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit<br />

08, www.bündnis.de, 2001: S. 40-87.<br />

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Lösungsansatz lokaler Beschäftigungsprobleme. In: Raumordnung und Raumforschung.<br />

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Hochrangige Sachverständigengruppe: Die Herausforderung annehmen. Die<br />

Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Luxemburg: 2004.<br />

Huber, A.: Management of Change als Steuerung sozialräumlicher Gestaltungsprozesse.<br />

Ein Beitrag zur angewandten sozialgeographischen Implementationsforschung.<br />

Terra Facta Nr. 3. Augsburg: 2004.<br />

Huebner, M.: <strong>Region</strong>alisierung und kommunale Zusammenarbeit. Dezentrale Kooperation<br />

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38


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der öffentlichen Verwaltung e.V., Werkstattbericht 5. Münster 2003: S. 68-94.<br />

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Schulze-Böing, M.: <strong>Teil</strong>habe, Qualifizierung und Aktivierung – lokale Beschäftigungspolitik<br />

in europäischer Perspektive. Herten: 2000.<br />

39


3. Demografischer Wandel, Erwerbstätigkeit Älterer und<br />

Frühverrentung in Europa<br />

Jürgen Faik, Susanne Heidel, Christina Stecker, VDR<br />

1. Vorbemerkung<br />

Seit den späten 1960er Jahren – in denen man für das Phänomen starker Geburtsjahrgänge<br />

in dieser Dekade den Begriff „Babyboom“ fand – sinkt in Europa die Nachkommenschaft<br />

der Elterngenerationen auf nicht bestandserhaltendes Niveau ab. Mit<br />

anderen Worten: Die Bevölkerung schrumpft. Zugleich wurden die Menschen, nicht<br />

zuletzt dank des medizinischen Fortschritts, europaweit immer älter. Die mit einer<br />

schrumpfenden und älter werdenden Bevölkerung einhergehenden wirtschaftlichen<br />

und sozialstaatlichen Probleme treffen die Staaten der Europäischen Union etwa in<br />

gleichem Ausmaß. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch die länderspezifische Performance<br />

gemäß ausgewählter Kriterien – etwa hinsichtlich der Beschäftigungsquoten<br />

der 55- bis 64Jährigen, der geschlechtsspezifischen Differenz in der Erwerbstätigkeit<br />

Älterer oder des Verhältnisses von Beschäftigungsquoten Jüngerer zu<br />

denen Älterer – im europäischen Vergleich recht unterschiedlich. Nicht in allen<br />

Mitgliedstaaten findet sich eine geringe Erwerbsbeteiligung 55- bis 64jähriger<br />

Arbeitnehmer oder eine niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen. Nicht zuletzt aus<br />

diesem Grund sind transnationale Vergleiche – wie sie etwa das Projekt <strong>Smart</strong><br />

<strong>Region</strong> verfolgt – für die Identifikation von Maßnahmebündeln und Innovationen<br />

unabdingbar. Neben Maßnahmen zur Steigerung der Erwerbsquote – vor allem der<br />

Frauen und der älteren Beschäftigten – erfährt insbesondere die Umkehr der<br />

Frühverrentungspraxis große Aufmerksamkeit seitens der Europäischen Union. So<br />

wird im Bericht der Taskforce Beschäftigung „eine radikale Änderung der politischen<br />

Maßnahmen, weg von einer Kultur des Vorruhestands hin zu umfassenden<br />

Strategien für aktives Altern” 1 betont. Die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit der<br />

derzeit 35-50Jährigen gilt in diesem Zusammenhang als wichtigste Herausforderung.<br />

Der nachfolgende Beitrag setzt sich entsprechend vor dem Hintergrund des europaweit<br />

zu beobachtenden Alterungsprozesses, auf den in Kapitel 2 eingegangen wird,<br />

mit den Themen Erwerbstätigkeit Älterer (Kapitel 3) und Frühverrentung in Europa<br />

1<br />

Taskforce Beschäftigung 2003: 9.<br />

41


(Kapitel 4) auseinander. Auf diese Weise werden Hintergrundinformationen für die<br />

<strong>Region</strong>albetrachtungen in den weiteren Buchbeiträgen gegeben.<br />

Konkret wird im <strong>Teil</strong> Erwerbstätigkeit Älterer neben einer kurzen Erörterung der<br />

Arbeitslosigkeit Älterer auf die Beschäftigungsquoten Älterer Bezug genommen.<br />

Hierbei erfolgt auch eine Kontrastierung der empirischen Quoten mit den politischen<br />

Zielvorgaben. In struktureller Perspektive wird zwischen geschlechter-, kohorten- und<br />

qualifikationsbezogenen Beschäftigungsquoten differenziert.<br />

Der Frühverrentungsthematik wird durch Bezugnahme auf ausgewählte wichtige<br />

Einflussfaktoren der Frühverrentung nachgegangen. Im Einzelnen handelt es sich<br />

um die Faktoren Altersgrenzen, Rentenformel, Arbeitslosen- und Invaliditätsversicherung.<br />

Eine Schlussbetrachtung (Kapitel 5) rundet den Beitrag ab. Sie gibt einen summarischen<br />

Überblick über die hier relevante Fragestellung, betont aber auch – über die<br />

hier vorgestellten Ergebnisse hinaus – die Notwendigkeit der Ausdehnung der Zielgruppe<br />

auf die derzeit jüngeren Kohorten (ab 35 Jahren).<br />

2. Demografischer Wandel in Europa<br />

2.1 Bisherige demografische Entwicklung<br />

Die demografische Entwicklung ist zu einem der beherrschenden Themen vieler<br />

wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse in Deutschland und Europa<br />

geworden, weil eine älter werdende Bevölkerung vielfältige Konsequenzen für die<br />

verschiedensten Lebensbereiche hat. Dabei ist das Thema nicht neu bzw. sind die<br />

heute zu beob-achtenden und in der Zukunft zu erwartenden Tendenzen bereits seit<br />

langem vom Grundsatz her bekannt.<br />

Die Alterung der Bevölkerung hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Einen Anstieg der<br />

Lebenserwartung und einen Rückgang der Geburtenraten. Wie die nachfolgende<br />

Abbildung 1 zeigt, ist die Lebenserwartung der Männer und der Frauen in der bisherigen<br />

EU zwischen 1960 und 2002 um mehr als acht Jahre angestiegen. Gleichzeitig<br />

nahm die Anzahl der Kinder pro Frau ab (siehe Abbildung 2). Sie sank von etwa 2,6<br />

Kinder pro Frau in 1960 auf etwa 1,5 Kinder pro Frau im Jahr 2002. Damit wird die<br />

Geburtenrate, die zur Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig wäre (2,1 Kinder<br />

pro Frau), unterschritten. Interessant ist die Tatsache, dass die Geburtenraten in den<br />

42


neuen EU-Mitgliedstaaten heute im Durchschnitt niedriger sind als in den bisherigen,<br />

obwohl sie z.B. in den 1980er Jahren noch darüber lagen.<br />

Diese Trends führen sowohl in den alten als auch in den neuen Mitgliedstaaten der<br />

EU dazu, dass der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung zunimmt (siehe<br />

Abbildung 3). Kamen im Jahr 1960 in den bisherigen Mitgliedstaaten noch etwa 29<br />

ältere Menschen (über 60Jährige) auf 100 Menschen im Erwerbsalter (das hier von<br />

20 bis unter 60 Jahren festgelegt ist), so ist deren Zahl bis zum Jahre 2002 auf knapp<br />

40 Personen angestiegen. Das Verhältnis der Anzahl der Personen im Erwerbsalter<br />

zur Anzahl der Personen im Rentenalter verschob sich in diesem Zeitraum<br />

entsprechend von 3,4:1 zu 2,5:1. Auch in den neuen Mitgliedstaaten der EU ist<br />

dieser Trend festzustellen.<br />

Abbildung 1:<br />

85<br />

80<br />

75<br />

Lebenserwartung bei Geburt 1960-2002<br />

in Jahren<br />

75,8<br />

74,8<br />

72,9<br />

72,6<br />

81,6<br />

81,1<br />

70<br />

65<br />

67,4<br />

67,1<br />

60<br />

1960 1970 1980 1990 2000 2002 1960 1970 1980 1990 2000 2002<br />

Männer<br />

EU-15<br />

EU-25<br />

Frauen<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Europäische Kommission: Bevölkerungsstatistik, 2004, Tab.<br />

E-4, E-5<br />

43


Abbildung 2:<br />

Totale Fertilitätsrate 1960 - 2002<br />

Kinder pro Frau<br />

3<br />

2,5<br />

2,6<br />

2,6<br />

2,4<br />

2,3<br />

2<br />

1,5<br />

1,8<br />

1,9<br />

1,6<br />

1,6<br />

1,5 1,5 1,5 1,5<br />

1<br />

0,5<br />

0<br />

1960 1970 1980 1990 2000 2002<br />

EU-15<br />

EU-25<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Europäische Kommission: Bevölkerungsstatistik, 2004, Tab.<br />

D-4<br />

Abbildung 3:<br />

Altenquotient 1960 - 2000<br />

- Anzahl der 60Jährigen und Älteren in % der Personen von 20 bis unter 60 Jahren -<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

39,2<br />

37,9<br />

36,2<br />

34,8 33,8 34,1<br />

35,2<br />

32,9<br />

29,3 28,2<br />

1960 1970 1980 1990 2000<br />

EU-15<br />

EU-25<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Europäische Kommission, Bevölkerungsstatistik, 2004, Tab.<br />

C-8<br />

44


2.2 Erwartete demografische Entwicklung<br />

Schätzungen sowohl auf nationaler deutscher Ebene (z.B. 10. koordinierte<br />

Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes) als auch auf<br />

internationaler Basis gehen davon aus, dass die Alterung der Bevölkerung auch in<br />

Zukunft voranschreiten wird. So prognostizieren die Vereinten Nationen, dass die<br />

mittlere fernere Lebenserwartung der Männer bei Geburt in den bisherigen<br />

Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2050 um etwa 5 Jahre ansteigen wird, die der Frauen<br />

um etwa 4,6 Jahre. 2 In den neuen Mitgliedstaaten liegt die Lebenserwartung im<br />

Moment im Durchschnitt etwas niedriger; die Schätzungen gehen jedoch davon aus,<br />

dass die Steigerungen in Zukunft stärker sein werden. So wird für die Männer in der<br />

gesamten EU-25 bis zum Jahr 2050 eine Zunahme der Lebenserwartung bei Geburt<br />

um 5,4 Jahre, bei den Frauen um 4,8 Jahre vermutet (vgl. Abbildung 4).<br />

Entgegen dem bisherigen Trend zu einer Abnahme der Geburtenraten unterstellen<br />

diese Schätzungen für die Zukunft einen Anstieg der Geburtenraten (siehe<br />

Abbildung 5). Trotzdem ändert dies nichts daran, dass das Verhältnis von älteren zu<br />

jüngeren Menschen in Zukunft voraussichtlich weiter ansteigen wird (siehe<br />

Abbildung 6). Der Altersquotient wird in einigen Ländern – den Schätzungen der<br />

Vereinten Nationen zufolge – auf über 60% ansteigen. Das heißt, auf 100 Menschen<br />

im Erwerbsalter werden dann mehr als 60 Menschen im Rentenalter kommen, wobei<br />

das Erwerbsalter hier mit 15 Jahren beginnt und das Rentenalter bei 65 Jahren liegt.<br />

Wie Abbildung 6 zeigt 3 , sind alle Länder in der EU von dieser Entwicklung betroffen,<br />

jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Von den bisherigen Mitgliedstaaten werden<br />

voraussichtlich Spanien, Griechenland und Italien die stärkste Alterung erleben,<br />

während bei den neuen Mitgliedstaaten vermutlich Slowenien die stärkste<br />

demografische Veränderung bewältigen muss.<br />

2<br />

3<br />

Projektionen von Eurostat oder der OECD weichen von den hier dargestellten Schätzungen der<br />

UN zwar ab, prognostizieren aber einen gleichen Trend. Nach Berechnungen von Eurostat lauten<br />

die prognostizierten Vergleichszahlen zu Abbildung 4 für die EU-15-Länder: Steigerung der<br />

Lebenserwartung der Männer von 2000/2005 bis 2045/2050 von 75,0 auf 80,0 Jahre und der<br />

Frauen von 81,3 auf 85,5 Jahre. Entsprechend lauten die Vergleichszahlen von Eurostat in<br />

Abbildung 5 für 2000/2005 1,5 Kinder pro Frau (UN: 1,48) und für 2045/2050 1,7 Kinder pro Frau<br />

(UN: 1,85).<br />

Die in Abbildung 6 ebenso wie in den weiteren Abbildungen genutzten Abkürzungen bedeuten:<br />

EU-25 = Aggregat der EU-25, EU-15 = Aggregat der EU-15, B = Belgien, CZ = Tschechische<br />

Republik, DK = Dänemark, D = Deutschland, EE = Estland, EL = Griechenland, E = Spanien, F =<br />

Frankreich, IRL = Irland, I = Italien, CY = Zypern, LV = Lettland, LT = Litauen, L = Luxemburg, HU<br />

= Ungarn, MT = Malta, NL = Niederlande, A = Österreich, PL = Polen, PT = Portugal, SI =<br />

Slowenien, SK = Slowakische Republik, FIN = Finnland, S = Schweden, UK = Vereinigtes<br />

Königreich; vgl. VDR 2004: 6.<br />

45


Abbildung 4:<br />

Lebenserwartung bei Geburt 2000 - 2050<br />

in Jahren, prospektive Schätzungen der UN<br />

88<br />

84<br />

80<br />

76<br />

75,4<br />

74,5<br />

80,4<br />

79,9<br />

81,6<br />

81,0<br />

86,2<br />

85,8<br />

72<br />

68<br />

2000-<br />

2005<br />

2005-<br />

2010<br />

2015-<br />

2020<br />

2025-<br />

2030<br />

2035-<br />

2040<br />

2045-<br />

2050<br />

2000-<br />

2005<br />

2005-<br />

2010<br />

2015-<br />

2020<br />

2025-<br />

2030<br />

2035-<br />

2040<br />

2045-<br />

2050<br />

Männer<br />

Frauen<br />

EU-15<br />

EU-25<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 107f.; Datenbasis: United<br />

Nations Population Division 2003: World Population Prospects: The 2002 Revision,<br />

Population Database<br />

Abbildung 5:<br />

Totale Fertilitätsrate 2000 - 2050<br />

Kinder pro Frau, prospektive Schätzungen der UN<br />

2<br />

1,6<br />

1,2<br />

0,8<br />

0,4<br />

0<br />

2000-2005 2005-2010 2015-2020 2025-2030 2035-2040 2045-2050<br />

EU-15<br />

EU-25<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 101; Datenbasis: United Nations<br />

Population Division 2003: World Population Prospects: The 2002 Revision,<br />

Population Database<br />

46


Abbildung 6:<br />

Altersquotient 2010 - 2050<br />

Anzahl der 65Jährigen und Älteren in % der Personen von 15 bis unter 65 Jahren, prospektive Schätzungen der UN<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

EU-<br />

25<br />

EU-<br />

15<br />

B CZ DK D EE EL E F IRL I CY LV LT L HU MT NL A PL PT SI SK FIN S UK<br />

2010 2030 2050<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 109; Datenbasis: United Nations<br />

Population Division 2003: World Population Prospects: The 2002 Revision,<br />

Population Database<br />

3. Zur Erwerbstätigkeit Älterer in Europa<br />

3.1 Beschäftigungspolitische EU-Leitlinien (“Active Ageing“)<br />

Die Finanzierung sozialer Sicherung und das Arbeitsmarktgeschehen sind<br />

grundsätzlich stark miteinander korreliert. Dies gilt sowohl für beitrags- als auch für<br />

steuerfinanzierte Sicherungssysteme. Eine hohe Beschäftigung sichert<br />

Verteilungsspielräume im Bereich der sozialen Sicherung et vice versa.<br />

Problematisch sind in diesem Kontext nicht zuletzt die dauerhaft hohen<br />

Arbeitslosenzahlen. Die Arbeitslosenquote Älterer (55-64 Jahre) liegt EU-15-weit bei<br />

gut 6% (siehe Abbildung 7). Nur Deutschland (11,3%), Finnland (7,3%) und Spanien<br />

(7,1%) haben eine höhere Arbeitslosenquote im Vergleich zu diesem<br />

Durchschnittswert. Am niedrigsten sind die Arbeitslosenquoten Älterer in Irland<br />

(2,4%) und in Luxemburg (1,6%).<br />

47


Abbildung 7:<br />

Arbeitslosenquoten Älterer (55-64 Jahre) in der EU-15 2004<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A P FIN S UK<br />

Arbeitslosenquote (in %)<br />

Land<br />

Quelle: OECD 2005: 241-243<br />

Auch die geringen Beschäftigungsquoten älterer Erwerbspersonen sind – gerade vor<br />

dem Hintergrund des in Kapitel 2 skizzierten Alterungsprozesses – sehr<br />

problematisch. Dies ergibt sich u.a. dadurch, dass die mit den geringen<br />

Beschäftigungsquoten einhergehenden Frühverrentungen Humankapitalverluste und<br />

Minderungen des Wachstumspotenzials mit sich bringen, die bei Besserung der<br />

wirtschaftlichen Lage nur schwer bzw. gar nicht mehr umkehrbar sind. Nebenbei<br />

bemerkt, gibt es keine signifikanten Belege für die Behauptung, dass ältere<br />

Arbeitskräfte in unzureichendem Maße zu einem Beschäftigungswachstum in den<br />

Boom-Branchen einer Volkswirtschaft beitragen würden. 4 Definiert sind die hier<br />

verwendeten Beschäftigungsquoten im Übrigen überwiegend als Verhältnis der<br />

Erwerbstätigen im Alter von 55-64 Jahren zur Gesamtpopulation der 55-64Jährigen. 5<br />

Die Relevanz der doch recht niedrigen Beschäftigungsquoten der älteren Bevölkerung<br />

in der EU dokumentiert sich auch in den verschiedenen beschäftigungspolitischen<br />

Leitlinien der EU (Lissabon 2000, Stockholm 2001, Barcelona 2002). Auf den<br />

Europa-Gipfeln von Lissabon und Stockholm wurde die Steigerung der durchschnitt-<br />

4<br />

5<br />

Vgl. Strategiepapier der EU-Kommission zum „aktiven Altern“ vom 03.03.2004.<br />

Allgemein wird die Beschäftigungsquote definiert als Verhältnis der Erwerbstätigen einer<br />

bestimmten sozioökonomischen Gruppe zur Gesamtpopulation dieser Gruppe; vgl. VDR 2004:<br />

119.<br />

48


lichen EU-Beschäftigungsquote von 63 auf 67% bis 2005 sowie auf 70% bis zum<br />

Jahre 2010 als Ziel ausgegeben. Des Weiteren wurde speziell für die Gruppe der 55-<br />

64Jährigen ein Zielwert von 50% für die Beschäftigungsquote bis zum Jahr 2010 genannt<br />

(siehe dazu unten, Abbildung 16). 6 Seit Stockholm und Barcelona sind zudem<br />

die Bevölkerungsalterung und die langfristige Tragfähigkeit der Altersversorgung<br />

einschließlich der Sicherung angemessener und nachhaltiger Renten als zukünftige<br />

Herausforderungen anerkannt. Um diese Zielvorgaben zu erreichen, bedarf es aus<br />

Sicht der Europäischen Kommission einer Vielzahl von Maßnahmen im Rahmen der<br />

Wirtschaftspolitik und der europäischen Beschäftigungsstrategie „Making work pay“<br />

(„Arbeit lohnend machen“). 7 Diese Strategie umfasst auch die Förderung des „aktiven<br />

Alterns“. 8<br />

3.2 EU-Beschäftigungsquoten Älterer<br />

3.2.1 EU-Beschäftigungsquoten Älterer allgemein<br />

Die Problematik geringer Beschäftigungsquoten Älterer zeigt sich auf Basis von Abbildung<br />

8 darin, dass sich die EU-durchschnittliche Beschäftigungsquote älterer<br />

Arbeitskräfte (55-64 Jahre) sowohl in den EU-25- als auch in den EU-15-Ländern nur<br />

leicht oberhalb der 40-Prozent-Grenze bewegt (40,2% bzw. 41,7%). Oberhalb der<br />

50-Prozent-Grenze befinden sich aktuell lediglich Schweden, Dänemark,<br />

Großbritannien, Portugal, Estland, Irland und Zypern. Deutschland, Tschechien,<br />

Finnland, Litauen, Spanien, die Niederlande, Griechenland, Frankreich, Luxemburg<br />

und Lettland sind nahe dem EU-Durchschnitt angesiedelt. Einen Anteil von weniger<br />

als 35% weisen die neuen Beitrittsländer Slowakei, Slowenien, Polen und Ungarn<br />

ebenso wie die alten EU-Länder Belgien, Italien und Österreich auf. 9<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

Vgl. hierzu die Ausführungen in Stecker 2004b: 761 und 771-774.<br />

Zur Europäischen Beschäftigungsstrategie und Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit<br />

siehe Stecker 2004a.<br />

Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2002: 3, sowie die Kommissionsmitteilung<br />

KOM 2004 146 endg.<br />

Siehe ausführlich Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen<br />

2003, und ebenfalls KOM 2004: 146 endg.<br />

49


Abbildung 8:<br />

Beschäftigungsquoten Älterer (55-64 Jahre) in der EU 2003<br />

70<br />

60<br />

50<br />

Beschäftigungsquote (in %)<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

EU-25 EU-15 B CZ DK D EE EL E F IRL I CY LV LT L HU MT NL A PL PT SI SK FIN S UK<br />

Land<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 52-53, Datenbasis: Eurostat,<br />

Datenbank New Cronos 2004<br />

Betrachtet man die Veränderungsraten der Beschäftigungsquoten älterer Arbeitskräfte<br />

(55-64 Jahre) in Abbildung 9, so fällt für den Zeitraum 1994-2003 auf, dass in<br />

Deutschland, Italien und Portugal die Quoten für die älteren Männer rückläufig<br />

waren. In den drei genannten Ländern wurde diese Entwicklung jedoch durch<br />

Zugewinne in der Beschäftigung älterer Frauen überkompensiert, so dass sich per<br />

Saldo dort – wie auch bei allen anderen EU-15-Staaten – positive Wachstumsraten<br />

für die Beschäftigungsquoten Älterer ergaben. Spitzenreiter bei den Beschäftigungszuwächsen<br />

älterer Arbeitnehmer ist Luxemburg mit einem Zuwachs in der gesamten<br />

Beschäftigungsquote von 5,6%, gefolgt von den Niederlanden (4,9%) und Finnland<br />

(4,6%). Über dem EU-15-Durchschnittswachstum bezüglich der Beschäftigungsquoten<br />

Älterer in Höhe von +1,7% liegen zudem Irland, Spanien, Belgien, Dänemark<br />

und – ganz schwach – Großbritannien; alle anderen Länder haben unterdurchschnittliche<br />

Veränderungsraten. Der für den Beobachtungszeitraum in allen EU-15-Ländern<br />

festzustellende (leichte) Anstieg der Beschäftigungsquoten älterer Arbeitskräfte kam<br />

vornehmlich durch die Ausweitung der Beschäftigung älterer Frauen zustande. Die<br />

Beschäftigungszuwächse bei den älteren Frauen waren in allen EU-15-Staaten (mit<br />

gewisser Ausnahme Schwedens) markant höher als diejenigen der älteren Männer.<br />

50


Abbildung 9:<br />

Veränderung der Beschäftigungsquoten älterer Arbeitskräfte (55-64 Jahre) in der EU-15 1994-2003<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

Veränderung (in %)<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

-1<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A PT FIN S UK<br />

Land<br />

Insgesamt Männer Frauen<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 52-57, Datenbasis: Eurostat,<br />

Datenbank New Cronos 2004<br />

3.2.2 EU-Beschäftigungsquoten Älterer nach Geschlecht<br />

Geschlechterdifferenziert ergibt sich EU-durchschnittlich ein aktueller Unterschied<br />

von fast 20 Prozentpunkten zwischen der Beschäftigungsquote älterer Männer und<br />

der älterer Frauen sowohl für die alte EU-15 (51,6% versus 32,2%) als auch für die<br />

neue EU-25 (50,3% versus 30,8%). 10 In sämtlichen EU-Mitgliedstaaten sind – wie<br />

Abbildung 10 ausweist – die Quoten der Männer überwiegend deutlich höher als die<br />

der Frauen. Lediglich in den nordischen Ländern Finnland und Schweden sind die<br />

Differenzen recht gering.<br />

Von den alten EU-Ländern sind die geschlechterbezogenen Differenzen in<br />

Griechenland, Spanien und Irland besonders markant und betragen dort mehr als 30<br />

Prozentpunkte. Von den neuen EU-Ländern sind die entsprechenden Differenzen in<br />

Tschechien, Zypern, Malta und der Slowakei 30 Prozentpunkte oder größer. Dies<br />

scheint die Orientierung an klassischen Erwerbsmustern in diesen Ländern widerzu-<br />

10<br />

Vgl. dazu auch Stecker 2004b: 762, 764: Übersicht 6, mit Zahlenangaben auch zu Norwegen und<br />

den Beitrittskandidaten Bulgarien, Rumänien, Türkei.<br />

51


spiegeln. Unterhalb der Fünf-Prozentpunkte-Marke bewegen sich die Differenzen<br />

lediglich in Finnland und Schweden. Auch Frankreich hat eine vergleichsweise geringe<br />

Differenz von weniger als zehn Prozentpunkten.<br />

Abbildung 10:<br />

Beschäftigungsquoten älterer Frauen und älterer Männer (jeweils 55-64 Jahre) in der EU 2003<br />

80<br />

70<br />

60<br />

Beschäftigungsquote (in %)<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

EU-<br />

25<br />

EU-<br />

15<br />

B CZ DK D EE EL E F IRL I CY LV LT L HU MT NL A PL PT SI SK FIN S UK<br />

Land<br />

Frauen<br />

Männer<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 54-57, Datenbasis: Eurostat,<br />

Datenbank New Cronos 2004<br />

Über die Zeit hinweg zeigen sich die nachfolgend in Abbildung 11 dargelegten<br />

geschlechterbezogenen Veränderungen in den Beschäftigungsquoten (in der EU-15<br />

von 1994 bis 2003). Hinsichtlich der Differenz in den Beschäftigungsquoten älterer<br />

Männer versus älterer Frauen zeigt sich eine abnehmende Wachstumsrate im EU-<br />

15-Maßstab; d.h. dass sich die Beschäftigungsquoten der älteren Frauen zwar langsam,<br />

aber stetig denen der älteren Männer annähern. Ausnahmen stellen in diesem<br />

Zusammenhang allerdings Spanien, die Niederlande und Großbritannien dar: Dort<br />

hat sich seit 1994 ein durchschnittlicher Anstieg der betreffenden Differenz ergeben.<br />

52


Abbildung 11:<br />

Veränderung der Beschäftigungsquoten-Differenzen älterer Männer versus älterer Frauen<br />

in der EU-15 1994-2003<br />

2<br />

1<br />

0<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A PT FIN S UK<br />

Veränderung (in Prozent)<br />

-1<br />

-2<br />

-3<br />

-4<br />

-5<br />

-6<br />

Land<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 54-57, Datenbasis: Eurostat,<br />

Datenbank New Cronos 2004<br />

3.2.3 EU-Beschäftigungsquoten Älterer im Vergleich mit 15-64Jährigen<br />

Vergleicht man die Beschäftigungsquote Älterer (55-64 Jahre) mit der allgemeinen<br />

Beschäftigungsquote (15-64 Jahre), so ergibt sich in Abbildung 12 EU-weit eine Differenz<br />

von 23 Prozentpunkten (EU-25) bzw. 22 Prozentpunkten (EU-15). In Belgien,<br />

Österreich, Slowenien und der Slowakei ist die Beschäftigungsquote Älterer gar um<br />

mehr als 30 Prozentpunkte geringer als die allgemeine Beschäftigungsquote. Auch in<br />

Deutschland ist die entsprechende Differenz in Höhe von 26 Prozentpunkten<br />

markant, in Portugal – mit etwas mehr als 15 Prozentpunkten – hingegen EUunterdurchschnittlich.<br />

Lediglich in Schweden ist die korrespondierende Differenz geringer<br />

als 5 Prozentpunkte, was auch ein Beleg für eine recht homogene Beschäftigungsstruktur<br />

in Schweden (zumindest nach den Kriterien Alter und Geschlecht) ist.<br />

In sämtlichen anderen EU-Mitgliedstaaten beträgt diese Differenz mehr als zehn<br />

Prozentpunkte, wobei Griechenland noch am nächsten an der Zehn-Prozentpunkte-<br />

Grenze liegt.<br />

53


Abbildung 12:<br />

Differenz zwischen der allgemeinen Beschäftigungsquote (15-64 Jahre) und der<br />

Beschäftigungsquote Älterer (55-64 Jahre) in der EU 2003<br />

40<br />

35<br />

30<br />

Differenz (in Prozentpunkten)<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

EU-<br />

25<br />

EU-<br />

15<br />

B CZ DK D EE EL E F IRL I CY LV LT L HU MT NL A PL PT SI SK FIN S UK<br />

Land<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 46-47 und 52-53, Datenbasis:<br />

Eurostat, Datenbank New Cronos 2004<br />

Abbildung 13 zeigt, dass sich die Differenz zwischen der allgemeinen<br />

Beschäftigungsquote (15-64 Jahre) und der Beschäftigungsquote Älterer (55-64<br />

Jahre) von 1994-2003 EU-15-weit nicht wesentlich verändert hat. Demgegenüber hat<br />

sie sich im ohnehin schon „egalitären“ Schweden nochmals um über sechs<br />

Prozentpunkte verringert.<br />

54


Abbildung 13:<br />

Veränderung der Differenz zwischen der allgemeinen Beschäftigungsquote (15-64 Jahre) und der<br />

Beschäftigungsquote Älterer (55-64 Jahre) in der EU-15 1994-2003<br />

6<br />

4<br />

2<br />

Veränderung (in Prozent)<br />

0<br />

-2<br />

-4<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A PT FIN S UK<br />

-6<br />

-8<br />

Land<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004. 46-47 und 52-53, Datenbasis:<br />

Eurostat, Datenbank NewCronos 2004<br />

3.2.4 EU-Beschäftigungsquoten Älterer nach Qualifikationsniveau<br />

Differenziert man die Beschäftigungsquoten Älterer (55-59 Jahre bzw. 60-64 Jahre)<br />

nach Qualifikationsstufen (Hohe Qualifikation versus Geringe Qualifikation), so bestätigt<br />

sich der allgemein bekannte Befund (vgl. u.a. Reinberg/Hummel 2005) durchgängig,<br />

dass die Beschäftigungsquoten der gering Qualifizierten (zum <strong>Teil</strong> markant) unterhalb<br />

den Beschäftigungsquoten hoch Qualifizierter liegen. In Griechenland, Irland,<br />

Italien, Luxemburg, Polen und Großbritannien führt dies dazu, dass dort die gering<br />

qualifizierten „jüngeren Alten“ (55-59 Jahre) niedrigere Beschäftigungsquoten als die<br />

hoch qualifizierten „älteren Alten“ (60-64 Jahre) aufweisen – also den Alterstrend in<br />

der Beschäftigung 11 überlagern (siehe Abbildung 14).<br />

11<br />

Hiermit ist gemeint, dass mit zunehmendem Alter die Beschäftigungsquoten zurückgehen.<br />

55


Abbildung 14:<br />

Beschäftigungsquoten nach Qualifikation und Altersgruppen (55-64 Jahre)<br />

in der EU-15 2001<br />

100<br />

90<br />

80<br />

Beschäftigungsquote (in %)<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A PT FIN S UK<br />

Land<br />

55-59 Jahre, hohe Qualifikation 55-59 Jahre, geringe Qualifikation 60-64 Jahre, hohe Qualifikation 60-64 Jahre, geringe Qualifikation<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach EU-Kommission 2003b: 15<br />

In den Altersklassen ab 40 Jahren liegen die EU-15-Durchschnitte für die Beschäftigungsquoten-Differenzen<br />

von hoch und gering qualifizierten Arbeitskräften bei 23,5<br />

Prozentpunkten (40-44 Jahre), 25,3 Prozentpunkten (45-49 Jahre), 28,6 Prozentpunkten<br />

(50-54 Jahre), 32,9 Prozentpunkten (55-59 Jahre) und 22,6 Prozentpunkten<br />

(60-64 Jahre), wie aus Abbildung 15 ersichtlich ist.<br />

56


Abbildung 15:<br />

Beschäftigungsquoten-Differenzen zwischen hoch und gering qualifizierten Arbeitskräften nach<br />

Altersklassen in der EU-15 2001<br />

60<br />

50<br />

Differenz (in Prozentpunkten)<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

EU-15 B DK D EL E F IRL I L NL A P FIN S UK<br />

Land<br />

40-44 Jahre 45-49 Jahre 50-54 Jahre 55-59 Jahre 60-64 Jahre<br />

Quelle: Eigene Berechnungen nach EU-Kommission 2003b: 15<br />

3.2.6 Korrelation zwischen Erwerbsaustrittsalter und Beschäftigungsquote<br />

Älterer<br />

Erwartungsgemäß korreliert die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer mit dem<br />

Erwerbsaustrittsalter stark positiv. Dementsprechend weisen Mitgliedstaaten mit den<br />

niedrigsten (höchsten) Beschäftigungsquoten auch meist ein niedrigeres (höheres)<br />

durchschnittliches Erwerbsaustrittsalter auf. 12 Die Korrelation zwischen Erwerbsaustrittsalter<br />

und Beschäftigungsquote der 55-64Jährigen für das Jahr 2002 ist in Abbildung<br />

16 ausgewiesen, wobei der zugehörige Korrelationskoeffizient +0,8502<br />

beträgt. 13<br />

12<br />

13<br />

Siehe zur Methodik zur Bestimmung des Strukturindikators „Durchschnittliches Erwerbsaustrittsalter“<br />

das Arbeitsdokument der EU-Kommission 2003b: Anhang 2: 19. Allerdings sind den verschiedenen<br />

Berechnungsmethoden enge methodische Grenzen gesetzt; vgl. kritisch Behrendt 2003.<br />

Eigene Berechnung an Hand der Abbildung 16 zugrunde liegenden Daten; vgl. in diesem Kontext<br />

VDR 2004: 53, 64.<br />

57


Abbildung 16:<br />

65<br />

Die Zielvorgaben von Barcelona und Stockholm im Jahr 2002<br />

64<br />

Durchschnittliches<br />

Erwerbsaustrittsalter<br />

63<br />

62<br />

61<br />

60<br />

59<br />

SI<br />

I<br />

L<br />

HU<br />

A<br />

F<br />

EU25<br />

D<br />

LV<br />

NL<br />

E<br />

EU15<br />

CZ<br />

EL<br />

LT<br />

FIN<br />

IRL<br />

CY<br />

P<br />

EE<br />

UK<br />

DK<br />

S<br />

58<br />

B<br />

57<br />

SK<br />

PL<br />

Zielvorgabe Stockholm 50%<br />

56<br />

20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70<br />

Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte (% der 55-64-Jährigen)<br />

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2004: 8, Datenbasis: Eurostat, Arbeitskräfteerhebung,<br />

Jahresmittelwerte<br />

Am linken Rand von Abbildung 16 liegen Polen und die Slowakei: Dort geht ein niedriges<br />

Erwerbsaustrittsalter (56,9 Jahre bzw. 57,5 Jahre) mit geringen Beschäftigungsquoten<br />

Älterer (26,1% bzw. 22,8%) einher. Demgegenüber befindet sich Schweden<br />

am äußersten rechten Rand: Hier ist ein hohes Erwerbsaustrittsalter (63,2 Jahre) mit<br />

einer hohen Beschäftigungsquote Älterer (68,0%) gekoppelt.<br />

Betrachtet man das Erwerbsaustrittsalter differenziert nach dem durchschnittlichen<br />

Austrittsalter von Männern und Frauen, so zeigt sich ein doch recht überraschendes<br />

Bild (Abbildung 17): Das Erwerbsaustrittsalter unterscheidet sich zwischen Männern<br />

und Frauen lediglich um 0,5 Jahre im Durchschnitt der EU-15-Mitgliedstaaten im Jahr<br />

2002. Größere Abweichungen zwischen den Geschlechtern ergeben sich in der EU-<br />

15 nur in Dänemark und den Niederlanden. Mit Ausnahme von Irland und Spanien<br />

liegt in der EU-15 das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter der Männer über demjenigen<br />

der Frauen.<br />

58


Abbildung 17:<br />

Durchschnittliches Erwerbsaustrittsalter nach Geschlecht, 2002<br />

64<br />

63<br />

62<br />

61<br />

Alter (in Jahren)<br />

60<br />

59<br />

58<br />

57<br />

56<br />

55<br />

EU-15 B DK D E F IRL I NL A PT FIN S UK<br />

Land<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR):<br />

Europa in Zeitreihen 2004, Frankfurt am Main 2004: 64ff., Datenbasis: Eurostat,<br />

Datenbank New-Cronos 2004<br />

Das tatsächliche Austrittsalter liegt in allen Ländern (weit) unterhalb der gesetzlich<br />

vorgesehen Altersgrenzen für den Renteneintritt. Aus diesem Grund wurde auf dem<br />

Gipfel von Barcelona (2002) die Erhöhung des tatsächlichen (effektiven) Erwerbsaustrittsalters<br />

um etwa fünf Jahre bis 2010 anvisiert. 14 Insofern ergänzt sich die Zielvorgabe<br />

von Stockholm mit der Zielvorgabe von Barcelona: In beiden Fällen ist eine<br />

stärkere Arbeitsmarktbeteiligung älterer Arbeitskräfte die Voraussetzung zur Zielerreichung.<br />

Die Ziele sind weitgehend komplementär: Während im Stockholm-Ziel die Erhöhung<br />

des Beschäftigungsniveaus der 55- bis 64Jährigen im Zentrum steht, betont<br />

das Barcelona-Ziel die Erhöhung des Erwerbsaustrittsalters.<br />

14<br />

Vgl. Arbeitsdokument der EU-Kommission 2003b: 2.<br />

59


Nach den in Abbildung 17 dargelegten Daten zeigt sich, dass erwerbstätige ältere<br />

Männer und erwerbstätige ältere Frauen zu einem nahezu gleichen, von Land zu<br />

Land allerdings unterschiedlichen, Erwerbsaustrittsalter tendieren. Diese Feststellung<br />

– ein relativ ähnliches Erwerbsverhalten von Männern und Frauen – könnte<br />

hinsichtlich der allgemeinen wie auch der geschlechtsspezifischen Beschäftigungsquote<br />

Älterer zu einem wichtigen Ansatzpunkt für zukünftige Maßnahmen werden.<br />

Das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter ist in der hier verwendeten Operationalisierung<br />

die auf Personen derselben Alterskohorte bezogene Wahrscheinlichkeit der<br />

Fortsetzung der Erwerbstätigkeit im Jahr t (Änderungen der Erwerbstätigkeit gegenüber<br />

dem vorhergehenden Jahr t-1). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung erfasst die<br />

Altersgruppe der 50- bis 70Jährigen und Älteren, wobei die Wahrscheinlichkeit der<br />

Fortsetzung der Erwerbstätigkeit von 100% bis auf 0% stetig abnimmt. 15<br />

Zu beachten an dieser Berechnungsweise ist unter anderem, dass nicht der Beginn<br />

des Rentenbezugs, sondern das Alter des Ausscheidens aus dem Arbeitsmarkt<br />

erfasst wird. Gerade dieser Zusammenhang ist für das Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> – bzw.<br />

für alle über Artikel-6-ESF geförderten Projekte im Programmplanungszeitraum<br />

2004-2006 – die wichtigere Dimension, um Ansatzpunkte für ein Umsteuern des<br />

frühen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben zu finden. Bis zum tatsächlichen<br />

Rentenbeginn können unter Umständen noch Zeiten von Arbeitslosigkeit, Krankheit<br />

oder Invalidität liegen bzw. können andere Sozialleistungen anstelle der Rente<br />

bezogen werden. Methodisch bedenklich ist ferner der Vergleich der<br />

Erwerbsbeteiligung pro Alterskohorte bzw. die Schätzung der Erwerbsbeteiligung<br />

einer Kohorte anhand der Vorgängerkohorten. Systematisch überschätzt<br />

(unterschätzt) wird dann beispielsweise das Ausmaß des Erwerbsaustritts einer<br />

Kohorte in einem bestimmten Lebensalter, wenn die allgemeine Erwerbsneigung<br />

zunimmt (sinkt). 16<br />

4. Frühverrentung in Europa – die institutionellen Regelungen<br />

Die den Abbildungen 16 und 17 zugrunde liegenden Daten deuten an, dass in allen<br />

Ländern der Austritt aus dem Erwerbsleben im Durchschnitt vor Erreichen des gesetzlichen<br />

Rentenalters erfolgt. Untersuchungen auf der Ebene der EU haben ergeben,<br />

dass fast 57% der Personen zwischen 55 und 64 Jahren in den bisherigen Mit-<br />

15<br />

16<br />

Vgl. zur Methodik Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003a.<br />

Vgl. Behrendt 2003: 56ff.<br />

60


gliedstaaten „inaktiv“, das heißt weder erwerbstätig noch arbeitslos, sind. 17 In den<br />

1970er Jahren sank die Erwerbsquote der Männer, insbesondere bei geringer Qualifikation<br />

und manueller Tätigkeit, erst ab einem Alter von über 60 Jahren. Inzwischen<br />

beginnt die Erwerbsquote bereits ab einem Alter von 50 Jahren rapide zu sinken.<br />

Demgegenüber liegt die Erwerbsquote der Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren heute<br />

über dem Wert von 1970 und geht langsamer zurück. Allerdings beginnen die Erwerbsquoten<br />

der Frauen bereits ab einem Alter von 45 Jahren zu sinken. 18<br />

Die Entscheidung zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben wird hierbei von vielen<br />

verschiedenen Faktoren beeinflusst. Diese liegen nicht nur im Rentensystem selbst,<br />

sondern auch in anderen Systemen der sozialen Sicherung, wie z.B. der Arbeitslosenversicherung.<br />

Auch das Steuersystem, tarifrechtliche Regelungen, betriebliche<br />

Gegebenheiten und die persönliche Situation jedes Einzelnen spielen eine Rolle. Die<br />

folgende Übersicht 1 gibt eine Zusammenstellung möglicher entscheidungsrelevanter<br />

Gründe.<br />

Übersicht 1: Mögliche Gründe für den Erwerbsaustritt (Auswahl)<br />

Rentenversicherung<br />

Tarifliche Regelungen<br />

Andere Bereiche der<br />

Sozialversicherung<br />

Persönliche Situation<br />

Gesetzliches Rentenalter<br />

Sonderregelungen für vorgezogenen Rentenbeginn<br />

Rentenformel<br />

Fixierung von Altersgrenzen<br />

Senioritätsregelungen beim Lohn<br />

Vorruhestandsregelungen<br />

Arbeitslosenversicherung<br />

Regelungen bei Krankheit und Invalidität<br />

Krankheit, Behinderungen<br />

Familiäre Aufgaben (Betreuung, Pflege Angehöriger)<br />

Persönliche Erfahrungen (z.B. Unzufriedenheit am Arbeitsplatz,<br />

Haltung gegenüber älteren Arbeitnehmern, Altersdiskriminierung)<br />

Arbeitsmarktlage National und regional unterschiedliche Bedingungen<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

Insgesamt wurden in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene ökonomische Anreize<br />

zum frühzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben gesetzt. Sowohl auf Betriebsebene<br />

als auch flankiert durch die sozialen Sicherungssysteme führten Vorruhestandsregelungen<br />

und Frühverrentungen zu einem niedrigen Beschäftigungsstand<br />

17<br />

18<br />

Vgl. Social Protection Committee 2004: 4.<br />

Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2002: 6.<br />

61


älterer Arbeitnehmer. Die Europäische Kommission regte daher im Rahmen der<br />

Strategie „Arbeit lohnend machen“ eine Wirkungsanalyse von Lohnniveau,<br />

Mindestlöhnen, Sozialleistungen (Arbeitslosengeld und andere Transferleistungen,<br />

Erwerbsminderungsrenten, reguläre Renten) und der Besteuerung der Beschäftigten<br />

an, um die (Wechsel-)Wirkungen auf die Arbeitsangebotsentscheidung zu eruieren. 19<br />

Neben dem Abbau finanzieller Anreize zum frühzeitigen Ausstieg aus dem<br />

Erwerbsleben sind gleichzeitig Maßnahmen zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit<br />

älterer Arbeitnehmer notwendig. Zu Maßnahmen zur Verlängerung<br />

der Lebensarbeitszeit gehören etwa alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen,<br />

wie Maßnahmen der Arbeitsgestaltung und Personalentwicklung oder neue Produktions-<br />

und Organisationsmethoden, aber auch Maßnahmen im Zuge des<br />

„lebenslangen Lernens“.<br />

Ziel der nachfolgenden Abschnitte ist es herauszuarbeiten, welche institutionellen<br />

Gegebenheiten in den Ländern der EU bestehen, die einen Austritt aus dem<br />

Erwerbsleben vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters ermöglichen. Dabei<br />

werden die Rentenversicherung und die anderen Zweige der Sozialversicherung im<br />

Mittelpunkt stehen. Andere entscheidungswirksame Tatbestände – gerade auch auf<br />

der betrieblichen Ebene vor Ort – werden hier vorerst nicht betrachtet. In späteren<br />

Publikationen im Rahmen des Projektes <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> werden aber genau diese<br />

konkreten Bedingungen genauer analysiert und dokumentiert.<br />

4.1 Altersgrenzen<br />

Ein wichtiger Bestimmungsfaktor für den Ausstieg aus dem Erwerbsleben ist das<br />

gesetzliche Rentenalter. Dieses liegt, wie bereits aus den Abbildungen 16 und 17<br />

ersichtlich, in allen Ländern der EU in der Regel über dem tatsächlichen Erwerbsaustrittsalter.<br />

Im Zuge der Reformen der Rentensysteme sind auf nationaler Ebene die<br />

gesetzlichen Altersgrenzen in vielen Ländern angehoben worden. Von diesem<br />

Prozess sind bisher meist die Frauen betroffen gewesen, weil die Regelaltersgrenze<br />

für Frauen in zahlreichen Ländern bislang unter der der Männer lag. Die Reformen<br />

führten in der Regel dazu, dass die Altersgrenze der Frauen auf die der Männer<br />

angehoben wurde. Das gesetzliche Rentenalter beträgt danach in den meisten<br />

Ländern der EU 65 Jahre (vgl. Tabelle 1). Dieser Prozess ist jedoch sehr unterschiedlich<br />

weit fortgeschritten. So wurde in Portugal die Altersgrenze der Frauen auf<br />

19<br />

Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2002: 12.<br />

62


die der Männer bereits zwischen 1994 und 2000 angehoben, in Belgien läuft die<br />

Anhebung derzeit bis zum Jahr 2009, während sie im Vereinigten Königreich erst<br />

zwischen 2010 und 2020 und in Österreich gar erst zwischen 2024 und 2033<br />

erfolgen wird. Die betreffenden Reformen sind also mit zum <strong>Teil</strong> sehr langen Übergangsfristen<br />

verbunden. 20<br />

Darüber hinaus lassen neuere Rentenreformen einen weiteren Trend erkennen: Die<br />

Flexibilisierung des gesetzlichen Rentenalters. So wurde bei Rentenreformen in<br />

Schweden 21 , Finnland und Italien eine Spanne eingeführt, innerhalb derer der<br />

Renteneintritt erfolgen kann. Der Zeitraum reicht dabei von 57–65 Jahren in Italien<br />

über 61–67 Jahre in Schweden bis hin zu 62–68 Jahren in Finnland im privaten<br />

Sektor. 22 Bei diesen Modellen variiert die Rentenhöhe automatisch mit dem<br />

gewählten Zeitpunkt des Renteneintritts und im Falle von Italien und Schweden<br />

zusätzlich mit der zukünftigen Lebenserwartung der Kohorte. Insofern verbinden<br />

diese Rentensysteme einen doppelten Anreiz zum längeren Verbleib im Erwerbsleben,<br />

weil nicht nur jedes Jahr des früheren Renteneintritts zu Abschlägen führt,<br />

sondern die steigende Lebenserwartung automatisch (negativ) in der Rentenhöhe<br />

berücksichtigt wird.<br />

20<br />

21<br />

22<br />

Vgl. Europäische Kommission: MISSOC, verschiedene Ausgaben.<br />

Länder, die ihre Alterssicherung nach dem schwedischen Vorbild des Notional Defined Contribution<br />

Systems (NDC) reformieren, sind im Übrigen neben Italien auch Lettland und Polen.<br />

Vgl. Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit: Datenbanken, 2004.<br />

63


Tabelle 1: Altersgrenzen im europäischen Vergleich<br />

lAND<br />

NEUE GESETZLICHE<br />

BISHERIGE GESETZLICHE<br />

ALTERSGRENZE<br />

ALTERSGRENZE (IN JAHREN)<br />

(IN JAHREN)<br />

Frauen Männer Frauen Männer<br />

B 63 65 65 -<br />

CZ 55-59 61 63 63<br />

DK 67 67 65 65<br />

D 65 65 - -<br />

EE 59 63 63 -<br />

EL 60 65 65 -<br />

E 65 65 - -<br />

F 60 60 - -<br />

IRL 65 / 66 65 / 66 - -<br />

I 60 65 57-65 57-65<br />

CY 65 65 - -<br />

LV 60 62 62 -<br />

LT 59 62,5 60 -<br />

L 65 65 - -<br />

HU 62 62 - -<br />

MT 60 61 - -<br />

NL 65 65 - -<br />

A 60 65 65 -<br />

PL 60 65 - -<br />

PT 65 65 - -<br />

SI 56-63 58-65 - -<br />

SK 62 62 - -<br />

FIN 65 65 62-68 62-68<br />

S 65 65 61-67 61-67<br />

UK 60 65 65 -<br />

Quelle:Eigene Darstellung nach Europäische Kommission: MISSOC 2004, S. 175 ff., 457 ff.,<br />

739 ff.<br />

Neben den gesetzlichen Regelaltersgrenzen gibt es in vielen Rentensystemen in den<br />

Ländern der EU Möglichkeiten eines vorzeitigen Renteneintritts (vgl. Abbildung 18).<br />

Entsprechende Renten werden beispielsweise gewährt für Beschäftigte in schweren<br />

und gesundheitsschädlichen Berufen (z.B. Spanien, Griechenland, Portugal), bei Arbeitslosigkeit<br />

(z.B. Finnland, Österreich, Portugal), bei langer Versicherungsdauer<br />

(z.B. Belgien, Griechenland, Frankreich, Italien) oder für Mütter minderjähriger oder<br />

behinderter Kinder (z.B. Griechenland).<br />

64


Abbildung 18:<br />

Altersgrenzen für vorgezogene Altersrenten<br />

A<br />

I<br />

Auslaufen der vorgez. Rente bei langer Versicherungsdauer<br />

Abschaffung der vorgez. Rente bei Arbeitslosigkeit<br />

55 56 1 / 2 Frauen<br />

bei Arbeitslosigkeit und langer Versicherungsdauer<br />

60 61 1 / 2 Männer<br />

55 57 Dienstaltersrente<br />

EL<br />

E<br />

60<br />

55 60<br />

Altersrente bei schweren und ungesunden Berufen<br />

61 vorgezogener Ruhestand<br />

FIN<br />

60<br />

60<br />

60<br />

62<br />

62<br />

Altersrente<br />

indiv. vorgezogene Rente<br />

62 Rente bei Arbeitslosigkeit<br />

D<br />

60 65<br />

60 63<br />

63 65<br />

Langj. Versicherte<br />

für Schwerbehinderte<br />

bei Arbeitslosigkeit<br />

1995<br />

1997<br />

1999<br />

2001<br />

2003<br />

2005<br />

2007<br />

2009<br />

2011<br />

2013<br />

2015<br />

2017<br />

2019<br />

2021<br />

2023<br />

2025<br />

2027<br />

2029<br />

2031<br />

2033<br />

2035<br />

Quelle: Eigene Darstellung nach Europäische Kommission: MISSOC, verschiedene<br />

Ausgaben ab 2001<br />

Im Bereich der vorzeitigen Altersrenten haben sich in den vergangenen Jahren die<br />

meisten Reformen vollzogen: Es ist ein allgemeiner Trend zur Einschränkung dieser<br />

vorzeitigen Renteneintrittsmöglichkeiten festzustellen. So wurden beispielsweise mit<br />

der Rentenreform in Österreich im Jahre 2003 die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit<br />

und die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer abgeschafft.<br />

In der Rentenreform 2003 in Frankreich wurde die Mindestversicherungsdauer<br />

für den Rentenzugang mit 60 Jahren im öffentlichen Dienst von 37,5 Jahren<br />

auf 40 Jahre ausgedehnt; für alle Versicherten in der Privatwirtschaft und im öffentlichen<br />

Dienst wird die Versicherungsdauer ab 2012 von 40 auf 41 Jahre angehoben.<br />

Auch in Finnland wurden in vergangenen Reformen die Voraussetzungen für den<br />

Bezug der Rente bei Arbeitslosigkeit und der individuell vorgezogenen Rente (eingeschränkte<br />

Erwerbsfähigkeit) verschärft; beide sind seit 2005 im privaten Sektor abgeschafft.<br />

Eine Verschärfung der Voraussetzungen findet auch in Belgien statt. Die<br />

Mindestversicherungsdauer für den vorzeitigen Bezug der Altersrente mit 60 Jahren<br />

wird von 28 auf 35 Jahre angehoben. Dieser Prozess ist bereits im Gange und wird<br />

2005 abgeschlossen sein. Insgesamt ist also eine Verringerung der Möglichkeiten,<br />

65


vorzeitig in den Ruhestand zu treten, erfolgt: Spezielle Altersrenten wurden<br />

abgeschafft, und Anspruchsvoraussetzungen für einen vorzeitigen Renteneintritt<br />

wurden verschärft. 23<br />

Diesen „Negativanreizen“ zur Vermeidung eines vorzeitigen Austritts aus dem Erwerbsleben<br />

stehen aber auch „Positivanreize“ zum längeren Verbleib im Erwerbsleben<br />

gegenüber. Im Rentensystem ist dabei speziell die Möglichkeit einer <strong>Teil</strong>rente zu<br />

nennen. Diese Möglichkeit einer Kombination von reduzierter Erwerbstätigkeit und<br />

dem Bezug einer <strong>Teil</strong>rente ist im deutschen Rentensystem schon länger bekannt.<br />

Obgleich Schweden über die höchste Erwerbsquote der älteren Arbeitnehmer innerhalb<br />

der Europäischen Union verfügt, wurde auch hier mit der jüngsten Rentenreform<br />

die Kombination von Erwerbseinkommen mit einer 25-, 50- und 75-prozentigen <strong>Teil</strong>rente<br />

oder einer Vollrente ermöglicht. In Österreich gab es bis Ende des Jahres 2003<br />

die Möglichkeit, eine vorzeitige Alterspension neben einer eingeschränkten unselbstständigen<br />

Erwerbstätigkeit zu beziehen. In der Mehrzahl der Länder der EU besteht<br />

diese Möglichkeit heute allerdings nicht.<br />

4.2 Rentenformel<br />

Ein weiterer Anreiz für den Rentenzugang ist in der Rentenformel zu sehen. Dabei<br />

gibt es in den Ländern der EU verschiedene Einflussfaktoren auf die Höhe der<br />

späteren Rente. Zu nennen sind in diesem Kontext z.B. das Erwerbseinkommen und<br />

die Versicherungsdauer. Bislang bestanden in einigen Ländern Systeme, in denen<br />

das Einkommen der besten fünf oder zehn Jahre maßgeblich für die Höhe der Rente<br />

war. Darüber hinaus existieren Systeme, in denen die Rente nach Erreichen einer<br />

bestimmten maximalen Versicherungsdauer nicht mehr steigt. Von beiden<br />

Gestaltungsprinzipien gehen negative Anreize für eine Fortsetzung der<br />

Erwerbstätigkeit nach Erreichen der jeweiligen Voraussetzungen aus.<br />

In den vergangenen Jahren fanden hier Reformen statt, die den der Rentenberechnung<br />

zugrunde liegenden Einkommenszeitraum ausdehnten. Dieser wurde in<br />

Österreich mit der Reform 2003 von den besten 15 auf die besten 40 Jahre 24 , in<br />

Frankreich von den besten 10 auf die besten 25 Jahre 25 , in Finnland von den letzten<br />

23<br />

24<br />

25<br />

Vgl. Europäische Kommission: MISSOC, verschiedene Ausgaben; Internationale Vereinigung für<br />

soziale Sicherheit: Datenbanken, verschiedene Jahrgänge.<br />

Zur Rentenreform in Österreich 2003 vgl. www.sozialversicherung.at.<br />

Eine Übersicht über Rentenreformen in Frankreich findet sich z.B. bei Kaufmann 2002.<br />

66


10 Jahren auf das durchschnittliche Lebenseinkommen 26 und in Portugal von den<br />

besten 10 Jahren auf das durchschnittliche Lebenseinkommen 27 erhöht. Auch die<br />

neuen Rentensysteme in Schweden und Italien unterstreichen diesen Trend mit der<br />

Einbeziehung des gesamten Erwerbslebens in die Berechnung der Rente. 28<br />

Anstelle der früheren steuerfinanzierten, preisindexierten garantierten Grundrente für<br />

alle Wohnbürger wurde etwa in Schweden eine beitragsfinanzierte, lohnindexierte,<br />

einkommensproportionale Alterssicherung für Erwerbstätige eingeführt, der nunmehr<br />

ein (durchgängiges) Einkommen über 40 Erwerbsjahre zugrunde liegen soll. 29 Die<br />

neue flexible Rentenberechnung erfordert jedoch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit,<br />

um das gleiche Rentenniveau zu erreichen wie noch die Vorgängerkohorten.<br />

Dies ist also ebenfalls eine Entwicklung, die die Bestrebungen zur Verlängerung<br />

des Erwerbslebens unterstützt, weil sich so eine längere Erwerbstätigkeit<br />

auch in einer höheren Rente niederschlägt.<br />

4.3 Arbeitslosenversicherung<br />

Anreizwirksame Regelungen im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit Älterer bzw. auf das<br />

Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben ergeben sich aber nicht nur aus dem<br />

Rentensystem. In der Arbeitslosenversicherung setzen z.B. großzügigere Regelungen<br />

für ältere Arbeitslose Anreize zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. In den<br />

meisten Mitgliedstaaten der EU gibt es für ältere Arbeitslose höhere Leistungen, oder<br />

sie können die Leistungen über einen längeren Zeitraum beziehen. In manchen<br />

Ländern erhalten sie spezielle Leistungen, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />

erloschen ist. Schließlich sind die Anforderungen an die Verfügbarkeit der Älteren für<br />

den Arbeitsmarkt mitunter weniger streng als bei jüngeren Arbeitslosen. 30<br />

Auch hier ist aber bereits ein Trend zur Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen<br />

und gleichzeitigen „Aktivierung“ der älteren Arbeitnehmer durch Unterstützung bei<br />

der Suche nach Beschäftigung zu beobachten. 31 So soll in Deutschland die maximale<br />

Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose von 32 auf 18 Monate<br />

gekürzt werden. In Belgien wurde das Alter, ab dem ältere Arbeitslose dem Arbeits-<br />

26<br />

27<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

Vgl. Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit: Datenbanken, 2004.<br />

Vgl. Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit: Datenbanken, 2004.<br />

Vgl. Europäische Kommission: MISSOC, verschiedene Jahrgänge; Internationale Vereinigung für<br />

soziale Sicherheit: Datenbanken, verschiedene Jahrgänge.<br />

Information zur schwedischen Rentenreform finden sich z.B. unter www.fk.se.<br />

Vgl. Social Protection Committee 2004.<br />

Vgl. Stecker 2004b: 768.<br />

67


markt nicht mehr zur Verfügung stehen müssen, von 50 auf 58 Jahre angehoben.<br />

Auch in den Niederlanden wurden die Anforderungen an ältere Arbeitslose verschärft:<br />

Brauchten sie bislang ab einem Alter von 57 ½ Jahren dem Arbeitsmarkt nur<br />

noch passiv zur Verfügung zu stehen, müssen sie sich in Zukunft aktiv um eine neue<br />

Arbeit bemühen, wobei prinzipiell der Bezug der Arbeitslosenunterstützung für ältere<br />

Arbeitslose bis zum 65. Lebensjahr möglich ist.<br />

In den Niederlanden wird dem Problem der ausgedehnten Frühverrentungspolitik<br />

nicht zuletzt mit dem Abbau steuerlicher Vergünstigungen für den Vorruhestand<br />

begegnet. Ähnlich wie in Deutschland werden finanzielle Anreize für Arbeitgeber<br />

über steuerliche Einstellungsanreize und Subventionen gesetzt. Diese umfassen<br />

direkte Zuschüsse und niedrigere Sozialbeiträge, beispielsweise in den Niederlanden<br />

über eine rückläufige Altersentlohnung und in Deutschland über die Befreiung von<br />

der Arbeitslosenversicherung bei Einstellung älterer Arbeitnehmer. Dem Ziel der<br />

Bekämpfung des „Scheinruhestands“ dient auch die Kostenbeteiligung der<br />

niederländischen Arbeitgeber an der Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer über 57 ½<br />

Jahren. 32 In Finnland und Österreich laufen Renten, die wegen Arbeitslosigkeit<br />

bezogen werden konnten, aus. Im Vereinigten Königreich und in Dänemark ist eine<br />

intensivere Unterstützung der älteren Arbeitslosen für eine Rückkehr in den<br />

Arbeitsmarkt vorgesehen. 33<br />

4.4 Invaliditätsversicherung<br />

In vielen Fällen sind auch Krankheit bzw. Invalidität der Grund für ein vorzeitiges<br />

Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Laut Erhebungen der Europäischen<br />

Kommission beziehen mehr als ein Fünftel der 60-64jährigen Männer in Irland,<br />

Luxemburg, den Niederlanden, Finnland und Schweden Leistungen der Invaliditätsversicherung.<br />

34 In diesem Zusammenhang spielen die Bedingungen am Arbeitsplatz<br />

selbst eine große Rolle. Häufig sind gesundheitliche Probleme älterer Arbeitnehmer<br />

(aber nicht nur dieser) auf schlechte Arbeitsbedingungen zurückzuführen, weshalb<br />

eine ihren Bedürfnissen entsprechende Arbeitsgestaltung bzw. Rehabilitation nötig<br />

ist. 35<br />

32<br />

33<br />

34<br />

35<br />

Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003c: 19.<br />

Vgl. Social Protection Committee 2004: 16 f.<br />

Vgl. Social Protection Committee 2004: 18.<br />

Vgl. Behrendt 2003: 63.<br />

68


Ohne Frage ist in diesem Zusammenhang aber auch die Ausgestaltung der Systeme<br />

für Leistungen bei Krankheit und Invalidität von Bedeutung für den Ausstieg aus dem<br />

Erwerbsleben. Hier unterscheiden sich die Systeme in den einzelnen Ländern sehr<br />

stark hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen. So wird in den Niederlanden bereits<br />

ab einer 15%igen Erwerbsminderung eine geringe Invaliditätsrente gewährt, während<br />

in Großbritannien und Irland beispielsweise eine 100%ige Erwerbsminderung<br />

vorausgesetzt wird. Darüber hinaus berücksichtigen verschiedene Länder, wie z.B.<br />

Belgien, Dänemark, Deutschland, Luxemburg und Portugal neben den medizinischen<br />

Faktoren auch Arbeitsmarktgesichtspunkte. 36 Auf beiden Wegen kann eine<br />

Frühverrentung älterer Arbeitnehmer erreicht werden.<br />

Auch hier zeigt sich aber eine Tendenz zur Verschärfung der Voraussetzungen für<br />

den Bezug von Leistungen und eine Verstärkung der Bemühungen zur<br />

(Re-)Integration Älterer in den Arbeitsmarkt. 37 So soll es in den Niederlanden künftig<br />

einen Zugang zu staatlichen Erwerbsminderungsrenten nur noch für vollständig Erwerbsgeminderte<br />

geben. 38 In Österreich wurden die vorzeitigen Alterspensionen<br />

wegen geminderter Arbeitsfähigkeit abgeschafft, und in Deutschland wurde die<br />

Altersgrenze für Erwerbsminderungsrenten heraufgesetzt.<br />

5. Schlussbemerkungen<br />

Europas Gesellschaften altern. Dies ist zum einen auf einen Anstieg der Lebenserwartung<br />

und zum anderen auf einen Rückgang der Geburtenraten zurückzuführen.<br />

Vor diesem Hintergrund stellen sich die relativ hohen Arbeitslosenquoten und die<br />

relativ niedrigen Beschäftigungsquoten Älterer (im Verhältnis zu Arbeitslosen- und<br />

Beschäftigungsquoten der unter 55Jährigen) als großes Problem dar. In Bezug auf<br />

die Beschäftigungsquoten zeigen sich überdies in der Regel in der EU große Differenzen<br />

zwischen den Geschlechtern, zwischen den Alterskohorten und zwischen den<br />

Qualifikationsstufen. Immerhin ergibt sich über die Zeit hinweg ein Trend zur Erhöhung<br />

der Beschäftigungsquoten Älterer, insbesondere älterer Frauen. Innerhalb der<br />

EU sind die dargelegten sozioökonomischen Differenzen – im Übrigen auf einem<br />

hohen Beschäftigungsquoten-Niveau – in Schweden am wenigsten ausgeprägt, das<br />

insofern als „Best-Practice-Beispiel“ dienen kann.<br />

36<br />

37<br />

38<br />

Vgl. Fenge/Gebauer/Holzner et. al. 2003: 67 ff.<br />

Vgl. Stecker 2004b: 769.<br />

Vgl. Sociaal Economische Raad: Advisory Report on the Cabinets disability Insurance Policy,<br />

2004/02 E.<br />

69


Mit diesen Befunden steht die Frühverrentungsthematik im engen kausalen Zusammenhang.<br />

In der Vergangenheit wurde die Frühverrentung mitunter als Weg zur Lösung<br />

der Arbeitsmarktprobleme Älterer gesehen. Die hiermit verbundenen Probleme<br />

haben erst teilweise zu einer Umkehr in der Frühverrentungspolitik geführt. So zeigen<br />

sich zwar realiter Reformbestrebungen in Richtung längerer Lebensarbeitszeiten, die<br />

allerdings durch die nach wie vor gängige Praxis des Vorruhestands – hier häufig<br />

über die Sozialsysteme (Arbeitslosigkeit vor Rentenbezug, Inanspruchnahme der<br />

vollen oder teilweisen Erwerbsminderungsrenten u.a.) – zumindest teilweise konterkariert<br />

werden. Um jedoch auch in Zukunft die Beschäftigungsfähigkeit vor dem Hintergrund<br />

der Bevölkerungsalterung und längeren Lebenserwartung zu fördern und<br />

möglichst lange zu erhalten, ist die Ausdehnung der Zielgruppe auf die derzeit jüngeren<br />

Geburtskohorten bereits ab 35/40 Jahren notwendig. Dabei kann es nicht nur<br />

einseitig um Maßnahmen zur Rehabilitation älterer Arbeitnehmer gehen, sondern<br />

entsprechende Maßnahmen müssen gleichzeitig zur Prävention und beruflichen<br />

Qualifikation und Weiterbildung („Lebenslanges Lernen“) bereits bei jüngeren Arbeitnehmern<br />

ab 35 Jahren ansetzen, damit ein möglichst langes und gesundes Berufsleben<br />

möglich wird.<br />

Die Betriebe sind auf ihre in den nächsten Jahrzehnten kollektiv alternden Belegschaften<br />

nur unzureichend vorbereitet, wenn sie sich überhaupt der damit verbundenen<br />

Problematik schon bewusst sind (vgl. dazu den Beitrag von Putzing/Wahse in<br />

diesem Band). Doch auch die Politikverantwortlichen, die Sozialpartner und die einzelnen<br />

Arbeitnehmer müssen umdenken, besonders wenn die demografischen und<br />

arbeitsmarktpolitischen Bedingungen auf der Bundes-, Länder- und Gemeindeebene<br />

sehr unterschiedlich sind (vgl. insbesondere die <strong>Region</strong>alanalysen in <strong>Teil</strong> III dieses<br />

Bandes). Die lokalen Akteure sind im Zweifelsfall besser informiert darüber, was in<br />

ihren Landkreisen und Gemeinden funktioniert, notwendig und auch umsetzbar ist.<br />

Pauschallösungen und Ansätze auf nationalstaatlicher Ebene erscheinen also nicht<br />

hilfreich bzw. nur wenig geeignet, den Herausforderungen einer alternden Bevölkerung<br />

und der derzeitigen Beschäftigungsproblematik zu begegnen (vgl. Kistler/Ebert<br />

in diesem Band). Hier ist ein Ansatzpunkt des Projektes <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> die Sensibilisierung<br />

der politischen, betrieblichen und sozialpartnerschaftlichen Akteure für das<br />

Thema Alters- und alternsgerechtes Arbeiten in den Unternehmen wie auch in der<br />

Öffentlichkeit (Mainstreaming). Darüber hinaus werden regional nachhaltige und<br />

70


innovative Konzepte erprobt, die wiederum unter Berücksichtigung der gesammelten<br />

Erfahrungen und regionalen Besonderheiten EU-weit übertragbar sein könnten<br />

(siehe zu den nächsten Schritten im Projekt <strong>Smart</strong> <strong>Region</strong> den Beitrag von<br />

Stecker/Steppich/Putzing in diesem Band).<br />

Literaturverzeichnis<br />

Behrendt, Christina: Internationale Erfahrungen bezüglich des Renteneintritts.<br />

Jahrestagung 2002 des Forschungsnetzwerkes Alterssicherung (FNA) am 5. und<br />

6. Dezember 2002 in Dresden. DRV-Schriften Band 42. Bad Homburg 2003: S.<br />

55-64.<br />

Fenge, Robert; Gebauer, Andrea; Holzner, Christian et.al.: Alterssicherungssysteme<br />

im internationalen Vergleich: Finanzierung, Leistungen, Besteuerung, München<br />

2003.<br />

Kaufmann, Otto: Die Reform der Alterssicherung in Frankreich: eine unendlichen<br />

Geschichte. In: Die Angestelltenversicherung 9/2002.<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vom Europäischen Rat in<br />

Stockholm angeforderter Bericht: 'Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und<br />

Förderung des aktiven Alterns'. KOM 2002 9 endg., Brüssel 2002 (24.01.2002).<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Beschäftigung in Europa 2003.<br />

Jüngste Tendenzen und Ausblick in die Zukunft (Juli 2003). Luxemburg 2003a.<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen:<br />

Die Zielvorgaben von Stockholm und Barcelona: Die Beschäftigungsquote<br />

der älteren Arbeitskräfte und das Erwerbsaustrittsalter anheben,<br />

Brüssel 2003b, (02.04.2003).<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Modernising Social Protection for<br />

more and better Jobs - a comprehensive approach contributing to making work<br />

pay. Com 2003 842 Final, Brüssel 2003c (30.12.2003).<br />

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Anhebung der Beschäftigungsquote<br />

älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters. KOM 2004 146 endg.,<br />

Brüssel 2004 (03.03.2004).<br />

Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD): Employment<br />

Outlook, Paris 2005.<br />

Reinberg, Alexander/Hummel, Markus: Höhere Bildung schützt auch in der Krise vor<br />

Arbeitslosigkeit. In: IAB-Kurzbericht. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />

der Bundesagentur für Arbeit. Nürnberg 2005.<br />

Sociaal Economische Raad: Advisory Report on the Cabinets Disability Insurance<br />

Policy, 2004/02 E.<br />

Social Protection Committee: Promoting Longer Working Lives Through Better Social<br />

Protection Systems, Brüssel 2004.<br />

Stecker, Christina: „Die neue deutsche Aktivierungspolitik im europäischen<br />

Ländervergleich und Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit“. In:<br />

Deutsche Rentenversicherung, Heft 3/2004a: S. 164-184.<br />

71


Stecker, Christina: Förderung des „aktiven Alterns“ in Europa – Empirische<br />

Bestandsaufnahme und beschäftigungspolitische Strategien in der Europäischen<br />

Union. In: Deutsche Rentenversicherung, Heft 11-12/2004b: S. 750-777.<br />

Taskforce Beschäftigung: Jobs, Jobs, Jobs. In Europa mehr Beschäftigung schaffen.<br />

Bericht der Taskforce Beschäftigung unter dem Vorsitz von Wim Kok, Brüssel<br />

2003.<br />

Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR): Europa in Zeitreihen 2004,<br />

Frankfurt am Main 2004.<br />

72


4. Betriebliche Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber Älteren<br />

- Eine Bestandsaufnahme für Ostdeutschland -<br />

Monika Putzing, Jürgen Wahse, SÖSTRA<br />

Alle Prognosen zur demografischen Entwicklung lassen in den nächsten 50 Jahren<br />

auch für Deutschland einen spürbaren demografischen Wandel erwarten. Wesentliche<br />

Konsequenz dieser Prozesse wird die Zunahme des Durchschnittsalters der<br />

Bevölkerung sowie des Erwerbspersonenpotenzials sein. Die deutsche Bevölkerung<br />

wird bis zum Jahr 2050 um ca. sieben Jahre altern. 1 Allerdings wird diese Entwicklung<br />

nicht voll auf die Alterung der Betriebsbelegschaften durchschlagen, dennoch<br />

altern auch diese – und zwar um etwa zwei Jahre. Angesichts der bereits zu Beginn<br />

der 1990er Jahre eingeleiteten Veränderungen zur Regelung des Renteneintrittsalters<br />

– dabei wird von einem Paradigmenwechsel, dem Übergang von der Früh- zur<br />

Spätverrentung gesprochen 2 – werden dem Arbeitsmarkt künftig nicht nur mehr<br />

ältere Personen zur Verfügung stehen, sie werden zudem auch länger als bisher im<br />

Erwerbsleben verbleiben.<br />

Mit der politischen Neujustierung der Rentenregelung ist auch eine stärkere Hinwendung<br />

der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Thematik „Ältere im Erwerbsleben“<br />

in Deutschland festzustellen. Die größte Herausforderung, die von dieser gegenwärtig<br />

zu bewältigen ist, dürfte wohl darin bestehen, Strategien und methodische<br />

Vorgehensweisen zu entwickeln, damit dieses Thema in seiner Bedeutung erkannt<br />

und in der Folge in konkretes praktisches Handeln umgesetzt wird.<br />

Die Bedingungen dafür gestalten sich in Deutschland derzeit noch immer nicht sehr<br />

günstig. Die jahrzehntelange Frühverrentungspraxis, die unter anderem in der nach<br />

wie vor sehr geringen Erwerbsquote 3 dieser Personengruppe ihren Niederschlag fin-<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland wird 2050 voraussichtlich 48 Jahre betragen,<br />

gegenwärtig liegt es bei 41 Jahren. In Ostdeutschland altert die Bevölkerung ebenfalls um<br />

sieben Jahre, allerdings vollzieht sich der Alterungsprozess ausgehend von einem deutlich höheren<br />

Durchschnittsalter. Dieses liegt derzeit bei 43 Jahren, im Jahr 2050 voraussichtlich bei fast 50<br />

Jahren. Eigene Berechnungen auf Grundlage: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung<br />

Deutschlands von 2002 bis 2050. 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden:<br />

Juni 2003.<br />

Der Terminus Frühverrentung meint den Austritt älterer Erwerbspersonen aus dem Arbeitsleben<br />

deutlich vor Erreichen des gesetzlich festgelegten Renteneintrittsalters. Spätverrentung bedeutet<br />

vor diesem Hintergrund den Renteneintritt zum Zeitpunkt des gesetzlich fixierten Alters.<br />

Erwerbsquote = Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung in der jeweiligen Altersgruppe<br />

73


det 4 , hat unter anderem dazu geführt, dass derzeit nur in rund 60% der deutschen<br />

Firmen Ältere beschäftigt sind. Zusätzlich erschwert wird die Sensibilisierung der<br />

Unternehmen für diese Thematik durch das hohe Niveau der Arbeitslosigkeit. Die<br />

zum Jahresbeginn 2005 erstmals überschrittene Fünf-Millionen-Grenze der Zahl der<br />

amtlich registrierten Arbeitslosen 5 lässt im Denken vieler Betriebe keinerlei Mangel<br />

an Arbeits- sowie Fachkräften erwarten. Schließlich gibt es in der Gesellschaft, insbesondere<br />

in der Wirtschaft, Unklarheiten und Vorurteile über das Leistungsvermögen<br />

und die Leistungsbereitschaft Älterer. Die Kategorie Alter ist meist negativ<br />

belegt und wird vielfach mit geringer Leistungskraft gleichgesetzt. In Anbetracht des<br />

demografischen Wandels ist es erforderlich, die Potenziale der älteren Erwerbspersonen<br />

unvoreingenommen einzuschätzen, ihre tatsächlichen Vorzüge wie auch<br />

deren Schwächen und Defizite zu bestimmen und zu bewerten. Dies zu klären, ist<br />

eine Voraussetzung dafür, zu wissen, wie deren Leistungsfähigkeit bis zum<br />

Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auf dem erforderlichen hohen Niveau erhalten<br />

bzw. den veränderten Anforderungen entsprechend weiterentwickelt werden kann.<br />

Zugleich ließe sich damit eine Antwort darauf finden, ob die Bewältigung des<br />

wirtschaftsstrukturellen Wandels und insbesondere innovativer Entwicklungen mit<br />

älter werdenden Belegschaften möglich ist und wie diese gegebenenfalls darauf<br />

vorzubereiten sind.<br />

Einen empirisch verlässlichen und repräsentativen Einblick in die betrieblichen Sichtund<br />

Verhaltensweisen gegenüber Älteren gestattet in der Bundesrepublik gegenwärtig<br />

das IAB-Betriebspanel. Diese im Auftrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit durchgeführte Arbeitgeberbefragung<br />

wird für Westdeutschland seit 1993 und für Ostdeutschland seit 1996 jährlich<br />

erhoben. Ziel der Untersuchung ist es, aktuelle repräsentative Daten über die Be-<br />

4<br />

5<br />

Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit,<br />

die auf der Basis der OECD-Statistiken zur Erwerbsbeteiligung im Altersbereich von 55 bis 64 Jahren<br />

durchgeführt wurden, belegen die geringe Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe in Deutschland.<br />

Dort kommt man zu folgendem Ergebnis: „Deutschland hat im Vergleich der Industrieländer<br />

einen schlechten Mittelfeldplatz in der Erwerbsbeteiligung Älterer.“ Im Rahmen der analysierten 18<br />

Länder liegt Deutschland an 11. Stelle. Vgl.: Koller, B.; Bach, H.-U.; Brix, U.: Ältere ab 55 Jahren –<br />

Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit. In: IAB Werkstattbericht,<br />

Ausgabe Nr. 5/16.4.2003: S. 7<br />

Durch Inkrafttreten der neuen Arbeitsmarktregelungen zum 01.01.2005 – die Einführung des sogenannten<br />

Arbeitslosengeldes II (ALG II) hat sich die Grundlage zur Erfassung der Anzahl der<br />

Arbeitslosen verändert. Ein <strong>Teil</strong> der vormaligen SozialhilfeempfängerInnen, die nun das ALG II<br />

erhalten, bislang aber nicht zu den Arbeitslosen gezählt wurden, findet nun Eingang in die Arbeitslosenstatistik.<br />

Daher hat sich die amtlich ausgewiesene Zahl der als arbeitslos gemeldeten Personen<br />

mit Übergang zum Jahr 2005 spürbar erhöht (Dezember 2004: 4,46 Mio. Arbeitslose/Arbeitslosenquote:<br />

10,8%; Januar 2005: 5,04 Mio. Arbeitslose/Arbeitslosenquote: 12,1%).<br />

74


schäftigungsentwicklung und deren Bestimmungsgrößen zu ermitteln. In die Erhebung<br />

sind insgesamt fast 16.000 Betriebe einbezogen (Ostdeutschland: rund 6.000<br />

Betriebe; Westdeutschland: 10.000 Betriebe).<br />

Mit der Befragungswelle aus dem Jahre 1997 fand die Altersproblematik erstmalig<br />

Berücksichtigung. 2002 wurde dieser thematische Schwerpunkt so ausgebaut, dass<br />

für die Bundesrepublik erstmals eine umfangreiche und empirisch abgesicherte,<br />

repräsentative Einschätzung der Beschäftigungssituation älterer ArbeitnehmerInnen<br />

im Betrieb vorgenommen werden konnte. Die besondere Bedeutung dieser<br />

Erhebungswelle verbindet sich mit der damit vorliegenden Leistungseinschätzung für<br />

ältere Erwerbstätige durch die Betriebe selbst. Erstmals liegen damit belastbare<br />

Ergebnisse über die unterschiedliche Ausprägung einzelner Leistungsparameter bei<br />

jüngeren und älteren ArbeitnehmerInnen vor. 2002 wurde hinterfragt, wie die Unternehmen<br />

mit „ihren“ beschäftigten Älteren umgehen und wie sie sich gegenüber<br />

älteren Arbeit-suchenden verhalten. Daran ansetzend wurden mit dem IAB-Betriebspanel<br />

2004 die konkreten Gründe für das Einstellungsverhalten der Unternehmen<br />

gegenüber Älteren, insbesondere die Motive der Nicht-Einstellung erfasst.<br />

Neben einer bundesweit einheitlichen Erhebung bietet das IAB-Betriebspanel<br />

zugleich den Vorteil, die Daten jeweils nach <strong>Region</strong>en, Berufen, Branchen, Betriebsgrößenklassen<br />

usw. differenziert betrachten und bewerten zu können. Das kommt<br />

dem Erfordernis entgegen, das Alterungsproblem der Betriebe nicht als ein pauschaliertes<br />

anzusehen, sondern die sehr unterschiedlichen Befindlichkeiten und Planungshorizonte,<br />

aber auch die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen in Rechnung<br />

zu stellen.<br />

Nachfolgend werden vorrangig Daten aus den Panelerhebungen für Ostdeutschland<br />

– das betrifft die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-<br />

Anhalt, Sachsen, Thüringen und Berlin (Ost) – genutzt. 6<br />

1. Betriebliche Wahrnehmung der Alterung von Betriebsbelegschaften<br />

Erstmalig im Jahre 1997 und dann wiederholt in den Jahren 2000 und 2004 konnte<br />

mit dem IAB-Betriebspanel untersucht werden, ob und wie die Unternehmen die Alterungsproblematik<br />

reflektieren. Eingebettet in eine Frage zu Personalproblemen war<br />

6<br />

SÖSTRA wertet das IAB-Betriebspanel seit 1996 sowohl für Ostdeutschland insgesamt als auch<br />

für die einzelnen neuen Bundesländer sowie Berlin-Ost aus.<br />

75


es den Befragten möglich, neben einem zu hohen Personalbestand, dem Nachwuchs-,<br />

Personal- und Fachkräftemangel, einer hohen Lohnkostenbelastung sowie<br />

dem Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarf auch die Überalterung als ein Problem<br />

der aktuellen Personalentwicklung anzugeben. Einzuräumen ist hier, dass der<br />

Begriff der Überalterung negativ belegt und auch unsinnig ist. Wertfrei sollte besser<br />

von Alterung gesprochen werden. Zielstellung der im Panel angesprochenen Überalterungsproblematik<br />

war es, Hinweise darauf zu erhalten, wie die Betriebe in Bezug<br />

auf die Alterung der Betriebsbelegschaft derzeit sensibilisiert sind. Das lässt Rückschlüsse<br />

darauf zu, wie die Unternehmen mit der Problematik umgehen.<br />

Im Kontext personalpolitischer Probleme wird der Überalterung der Betriebsbelegschaft<br />

seit Beginn der Erhebung im Jahr 1997 nur geringe Bedeutung beigemessen.<br />

In Ostdeutschland wurde diese im Durchschnitt nur von höchstens 4% der Unternehmen<br />

als ein personalpolitisches Problem thematisiert (vgl. Abbildung 1). Den<br />

gleichen geringen Stellenwert nahm sie auch nach Einschätzung der westdeutschen<br />

Unternehmen ein. Das spricht dafür, dass die Betriebe derzeit in Bezug auf die Überalterungsproblematik<br />

keinen nennenswerten Handlungsbedarf sehen.<br />

Abbildung 1: Personalprobleme der Betriebe Ostdeutschlands in den Jahren<br />

1997, 2000 und 2004 (Anteil der befragten Betriebe in %)<br />

60<br />

50<br />

40<br />

Prozent<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

zu hoher<br />

Personalbestand<br />

Personalmangel<br />

Nachwuchsmangel<br />

Schwierigkeit<br />

bei Fachkräftebeschaffung<br />

Überalterung<br />

Weiterbildungsund<br />

Qualifizierungsbedarf<br />

hohe<br />

Lohnkostenbelastung<br />

keine Personalprobleme<br />

1997 9 2 2 11 4 5 41 45<br />

2000 6 3 4 13 3 4 28 56<br />

2004 6 2 4 8 4 4 28 59<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2004<br />

76


Anderen Problemen der personalpolitischen Entwicklung wurde ein wesentlich höherer<br />

Stellenwert beigemessen. An vorderster Stelle wurden die hohen Lohnkosten als<br />

Problem benannt. Zugleich machten die Unternehmen auf Schwierigkeiten aufmerksam,<br />

Fachkräfte zu rekrutieren, wobei die westdeutschen Betriebe diese allerdings<br />

kritischer als die ostdeutschen sahen. Folgende Ergebnisse sollten hinterfragt<br />

werden:<br />

Erstens ergibt sich die Frage, was sich hinter der Bewertung „Überalterung“ verbirgt.<br />

Da es dafür keine klar definierte Vorgabe für die Betriebe gegeben hat, ist davon<br />

auszugehen, dass sich damit ein sehr individuelles Verständnis verbindet. Zum<br />

Spektrum möglicher Interpretationsansätze können Aspekte gehören, die unmittelbar<br />

mit Leistungs- und Weiterbildungsdefiziten älterer Belegschaftsmitglieder korrelieren.<br />

Daher können sich hinter „Überalterung“ tatsächliche Flexibilitäts- und Leistungsprobleme<br />

verbergen, aber auch eine unzureichende Weiterbildungsbereitschaft.<br />

Ebenfalls könnte das Antwortverhalten mit solch oft geäußerten Kritikpunkten wie<br />

einem veralteten theoretischen Wissen der Älteren im Zusammenhang stehen.<br />

Mit dem Antwortverhalten können aber auch über das eigentliche Leistungsproblem<br />

hinausgehende Fragen angesprochen sein – wie zum Beispiel folgende:<br />

- Es kann Indiz für eine Veränderung der Arbeitsplatzanforderungen in Richtung auf<br />

jüngere Arbeitskräfte sein. Gerade innovative Branchen wie Informatik, Werbung<br />

oder Telekommunikation arbeiten in der Regel mit sehr jungen MitarbeiterInnen,<br />

sodass in deren Reflexion schon ein Durchschnittsalter von 35 Jahren als hoch<br />

gelten kann.<br />

- Ein Problem in Bezug auf die Überalterung kann auch mit steigenden Lohnkosten<br />

im Alter auftreten. Das bedeutet, nicht eine mit dem Alter verbundene Leistungsminderung,<br />

sondern die höhere Lohnkostenbelastung ist die eigentliche Ursache.<br />

- Hinter der Antwort der Unternehmen kann aber auch „lediglich“ die gegenwärtig<br />

ungelöste Frage der Nachfolge in der Geschäftsführung stehen.<br />

Zweitens ist es von Interesse zu hinterfragen, welche Betriebe es vorrangig sind, die<br />

die Überalterung der Belegschaft als personalpolitisches Problem wahrnehmen. Hier<br />

ist davon auszugehen, dass sich hinter dem Durchschnittswert zum <strong>Teil</strong> stark abweichende<br />

Einzelwerte in den verschiedenen Wirtschaftszweigen aber auch bei den Betriebsgrößenklassen<br />

verbergen können.<br />

Eine Auswertung des IAB-Betriebspanels nach der Betriebsgröße ergab zwei interessante<br />

Sachverhalte: Die Betrachtung in Abhängigkeit von der Anzahl der Mitarbeiter-<br />

Innen zeigt zunächst mit steigenden Belegschaftsmitgliedern eine zunehmende<br />

77


Wahrnehmung der Überalterung. Lediglich 2% der Betriebe mit bis zu 4 Beschäftigten<br />

sehen dieses. In der Betriebsgrößenklasse 5 bis 19 Beschäftigte beläuft sich<br />

dieser Anteil auf 4%. Der Anteil steigert sich erst merklich in den größeren Betrieben<br />

(20 bis 99 MitarbeiterInnen: 16%; 100 bis 499 MitarbeiterInnen: 22%, ab 500 Beschäftigte:<br />

27%). Dies dürfte ein Indiz für das bei größeren Unternehmen deutlich<br />

stärkere Gewicht personalpolitischer Strategien sein und ordnet sich in den Trend<br />

ein: Je größer der Betrieb ist, desto häufiger werden Personalprobleme und damit<br />

auch die Überalterung als ein solches genannt.<br />

Ein anderer Blickwinkel auf das Überalterungsproblem ergibt sich, wenn die Unternehmen<br />

differenziert nach ihrem Anteil der Älteren an den Beschäftigten insgesamt<br />

untersucht werden. Zu den Firmen, in denen das Überalterungsproblem konzentriert<br />

angesprochen worden ist, gehörten jene, die einen Anteil der Älteren an den<br />

Beschäftigten bis zu 20% sowie zwischen 20 und 40% angaben. Hierbei handelte es<br />

sich mit 47,4% vorrangig um Klein- und Kleinstbetriebe. 16,4% der Firmen mit bis zu<br />

4 Beschäftigten sowie 31,1% der Betriebe mit bis zu 19 MitarbeiterInnen identifizierten<br />

für sich ein Überalterungsproblem. Mit der Zunahme der Beschäftigtengröße der<br />

Unternehmen verliert dieses jedoch an Bedeutung. Dies spricht dafür, dass es bei<br />

einer geringen Personaldecke offenbar wesentlich komplizierter ist, eine Alterung der<br />

Belegschaft zu kompensieren. Gerade in kleineren Betrieben besteht mit dem Ausscheiden<br />

Älterer die Gefahr des Verlustes an LeistungsträgerInnen und damit an<br />

Know-how, wenn dies durch die Verbleibenden nicht ersetzt werden kann. Das dürfte<br />

ebenfalls vor allem Folge der hier oft fehlenden gezielten, auf die Zukunft orientierenden<br />

Personalpolitik sein.<br />

Die meisten Betriebe, die 2004 auf Probleme einer Überalterung hingewiesen haben,<br />

gehören zur Öffentlichen Verwaltung (15%), zur Branche Bergbau/Energie/Wasser<br />

(11%) sowie zum Verarbeitenden Gewerbe (7%). Daraus lässt sich schlussfolgern:<br />

Das Problem der Überalterung zeigt sich gegenwärtig nicht flächendeckend, sondern<br />

eher individuell. Beträchtliche Unterschiede bestehen auch innerhalb der Branchen:<br />

Verwiesen beispielsweise lediglich 4% der im Dienstleistungsbereich tätigen Betriebe<br />

auf eine Überalterung, so waren es im Bereich Erziehung und Unterricht hingegen<br />

13%.<br />

Drittens bleibt abzuklären, inwieweit das Antwortverhalten dafür spricht, ob es ein<br />

Überalterungsproblem gar nicht gibt oder dass es „nur“ nicht wahrgenommen wird.<br />

78


Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist mithilfe des Panels schwierig, aber das<br />

Antwortverhalten sollte zumindest als Indiz gewertet werden, dass die übergroße<br />

Mehrheit der Unternehmen Fragen der Altersstruktur ihrer Belegschaft derzeit nicht<br />

im Blick hat. Damit lässt sich schlussfolgern: Erst recht sind die Betriebe nicht für die<br />

bevorstehende Alterung ihrer MitarbeiterInnen sensibilisiert. Folglich ist in Bezug auf<br />

die zu erwartende Alterung der Betriebsbelegschaften eine verstärkte Sensibilisierungsarbeit<br />

gegenüber den Personalverantwortlichen zu leisten.<br />

Wie ist dieses „Nichtsehen“ des Alterungsprozesses des Erwerbspersonenpotenzials<br />

zu erklären? Das dürfte im Wesentlichen mit der geringen Präsenz Älterer im Wirtschaftsleben<br />

zusammenhängen. Jene Betriebe, die Ältere beschäftigen, repräsentieren<br />

gegenwärtig nur eine <strong>Teil</strong>größe des bundesdeutschen Unternehmensbestandes<br />

(ca. 60%), wobei sich die Situation in Abhängigkeit von der Branche, der Betriebsgröße,<br />

der Berufsgruppe sowie dem regionalen Umfeld sehr differenziert gestaltet.<br />

Außerdem dürfte diese Einschätzung auch im Kontext der nach wie vor weit<br />

verbreiteten Frühverrentungsmentalität zu betrachten sein. „Unerwünschte“ Ältere<br />

waren für die Unternehmen bisher insofern kein Problem, da sie sich ihrer bei Bedarf<br />

relativ unproblematisch, oft sogar bei weitgehender Übereinstimmung der<br />

Interessenlage von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen entledigen konnten.<br />

Schließlich darf die Arbeitsmarktlage nicht außer Acht gelassen werden. Das anhaltend<br />

hohe Niveau der Arbeitslosigkeit und die Betroffenheit aller Altersgruppen von<br />

Erwerbslosigkeit erlaubt eine nahezu unbegrenzte Rückgriffsmöglichkeit der Unternehmen<br />

auf Arbeitskräfte im Allgemeinen und auf Jüngere im Besonderen. Vor dem<br />

Hintergrund des massenhaften Angebotes an (jüngeren) Erwerbspersonen einerseits<br />

und den bestehenden Vorbehalten und Vorurteilen gegenüber Älteren andererseits<br />

konzentrieren sich die Betriebe gegenwärtig auf die Einstellung jüngerer Altersgruppen.<br />

Von Ausnahmen abgesehen – etwa wo es um die Absicherung des Bedarfes an<br />

Fachkräften geht – besteht für die deutschen Betriebe im Allgemeinen derzeit keine<br />

Notwendigkeit, verstärkt auf ältere Erwerbspersonen zurückzugreifen. Auch von<br />

daher stellen die Alterung der Belegschaften und die sich daraus ergebenden Anforderungen<br />

an eine langfristige strategische Personalplanung zurzeit in vielen Unternehmen<br />

kein relevantes Thema dar.<br />

Die Ambivalenz der Alterungsproblematik ergibt sich mit besonderer Schärfe für Ostdeutschland.<br />

Neben der im Vergleich zum früheren Bundesgebiet hier deutlich kom-<br />

79


plizierteren Lage auf dem Arbeitsmarkt ist dabei die ökonomische Situation der<br />

Unternehmen von Bedeutung. Die erforderliche Zukunftsorientierung wird von tagesaktuellen<br />

betriebswirtschaftlichen Überlegungen deutlich überlagert. Bei den von den<br />

ostdeutschen Betrieben angesprochenen Hauptproblemfeldern (hohe Lohnkosten-<br />

Belastungen, Schwierigkeiten bei der Fachkräfte-Rekrutierung, zu hoher Personalbestand)<br />

handelt es sich um Faktoren, die ganz unmittelbar und vor allem kurzfristig auf<br />

die betrieblichen Handlungsspielräume und –resultate Einfluss haben. In manchen<br />

Unternehmen dürften diese Personalprobleme so gravierend sein, dass selbst vorhandene<br />

und auch erkannte Alterungsprozesse der Belegschaft nur sehr begrenzt<br />

wahrgenommen oder sogar verdrängt werden.<br />

2. Betriebliche Einschätzungen zur Leistungs- und Weiterbildungsbereitschaft<br />

älterer ArbeitnehmerInnen<br />

Eine Behauptung, die sich hartnäckig hält, wenn es um die Beschäftigung sowie um<br />

die Externalisierung Älterer geht, ist deren geringere Leistungsfähigkeit. Wenngleich<br />

in den letzten Jahren auch durch die gerontologische Forschung zahlreiche gegenteilige<br />

Befunde erbracht werden konnten, so mangelte es bislang an einer fundierten<br />

und empirisch abgesicherten Einschätzung, insbesondere aus betrieblicher Sicht. Mit<br />

der Befragung im Rahmen des IAB-Betriebspanels im Jahre 2002 konnten einige<br />

dieser Lücken durch die Bereitstellung einer empirisch abgesicherten Datenbasis für<br />

Deutschland geschlossen werden. Zur Bilanzierung des Leistungspotenzials der<br />

Belegschaft und damit sowohl der jüngeren als auch der älteren MitarbeiterInnen<br />

wurden in die Erhebung des IAB-Betriebspanels aus dem Jahre 2002 folgende 12<br />

Eigenschaften bzw. Leistungsparameter von ArbeitnehmerInnen einbezogen: Erfahrungswissen,<br />

körperliche Belastbarkeit, psychische Belastbarkeit, Kreativität, Arbeitsmoral/Arbeitsdisziplin,<br />

Flexibilität, Lernfähigkeit, Qualitätsbewusstsein, theoretisches<br />

Wissen, Teamfähigkeit, Loyalität und Lernbereitschaft.<br />

2.1 Zur Wertschätzung einzelner Leistungsparameter durch die Betriebe<br />

Einen Überblick darüber, welchen Stellenwert die Unternehmen den erfragten 12<br />

Parametern beimessen, vermittelt Abbildung 2. Hierzu hatten die Befragten die<br />

Möglichkeit einer Gewichtung: Eine Eigenschaft konnte entweder als sehr wichtig,<br />

wichtig oder als weniger wichtig bewertet werden.<br />

80


Abbildung 2: Durchschnittswert* der einzelnen Eigenschaften/Leistungsparameter<br />

nach ihrer Bedeutung für die Arbeitsplätze im Betrieb,<br />

Ostdeutschland 2002<br />

Arbeitsmoral, Arbeitsdisziplin<br />

Qualitätsbewusstsein<br />

138<br />

143<br />

Flexibilität<br />

Erfahrungswissen<br />

126<br />

130<br />

Lernbereitschaft<br />

Lernfähigkeit<br />

Loyalität<br />

Teamfähigkeit<br />

121<br />

121<br />

120<br />

118<br />

theoretisches Wissen<br />

Kreativität<br />

psychische Belastbarkeit<br />

körperliche Belastbarkeit<br />

110<br />

108<br />

108<br />

108<br />

0 20 40 60 80 100 120 140 160<br />

* Je höher der Durchschnittswert, desto wichtiger die Eigenschaft.<br />

Hell dargestellt sind in der Grafik jene Eigenschaften, die im gängigen Verständnis<br />

sowohl als Vorzug der Älteren (Erfahrungswissen) als auch als Kritikpunkt an ihnen<br />

(Lernbereitschaft und –fähigkeit, Theoriewissen) betrachtet werden.<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

Nach Selbsteinschätzung der Unternehmen werden Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin,<br />

Qualitätsbewusstsein sowie Flexibilität und Erfahrungswissen als jene<br />

Leistungskriterien hervorgehoben, denen für die betriebliche Arbeit mit Abstand die<br />

höchste Bedeutung beigemessen wird. Im Vergleich dazu haben jene Kriterien, die<br />

immer wieder als Argumente für ein frühzeitiges Ausscheiden Älterer aus dem<br />

Erwerbsleben sprechen bzw. die als Hemmnis für eine Wiedereinstellung älterer<br />

Personen gelten (Lernbereitschaft/Lernfähigkeit, Theoriewissen), eine deutlich<br />

geringere Bedeutung für die betrieblichen Abläufe. Auch viele andere<br />

Externalisierungsargumente gegenüber Älteren können infrage gestellt werden,<br />

wenn beispielsweise Kreativität oder die körperliche bzw. psychische Belastbarkeit<br />

nach Einschätzung der Betriebe in der Leistungsskala nur eine relativ geringe Rolle<br />

spielen. Diese an Älteren häufig kritisierten Leistungsparameter sind also aus<br />

betrieblicher Sicht eher von nachgeordneter Bedeutung (vgl. Abbildung 3).<br />

81


Abbildung 3: Beurteilung der einzelnen Eigenschaften/Leistungsparameter<br />

nach ihrer Bedeutung für die Arbeitsplätze im Betrieb,<br />

Ostdeutschland 2002 (in %)<br />

Arbeitsmoral, -disziplin<br />

Qualitätsbewusstsein<br />

Flexibilität<br />

Erfahrungswissen<br />

Lernfähigkeit<br />

Teamfähigkeit<br />

Loyalität<br />

Lernbereitschaft<br />

Körperliche Belastbarkeit<br />

Kreativität<br />

Theoretisches Wissen<br />

Psychische Belastbarkeit<br />

85 15 0<br />

76 23 1<br />

62 37 2<br />

55 42 3<br />

45 52 3<br />

44 47 9<br />

44 52 4<br />

44 54 2<br />

34 48 18<br />

32 51 17<br />

31 59 10<br />

30 56 14<br />

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%<br />

sehr wichtig wichtig weniger wichtig<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

2.2 Differenzierte Bewertung älterer und jüngerer Beschäftigter bei<br />

einzelnen Eigenschaften<br />

Ein weiteres Ergebnis des IAB-Betriebspanels aus dem Jahre 2002 besagt, dass die<br />

Leistungsfähigkeit jüngerer und älterer Erwerbstätiger durch die Betriebe unterschiedlich<br />

eingeschätzt wird. Jüngere wie Ältere weisen also jeweils ein spezifisches<br />

Leistungsportefeuille auf. Mit diesem jeweils spezifischen Leistungs- und Kompetenzprofil<br />

bringen beide Personengruppen besondere Potenziale aber auch Defizite in<br />

den Betrieb ein; sie tragen jeweils in sehr individueller Weise zum Erfolg unternehmerischen<br />

Handelns bei. Das spricht letztlich dafür, dass eine Leistungsoptimierung<br />

der Belegschaft nur durch eine gute Synthese zwischen Jüngeren und Älteren zu erreichen<br />

ist. Eine ausgeglichene Altersstruktur in den Arbeits-Teams verhindert einerseits<br />

das „Abreißen“ des Wissenstransfers und den Verlust von Erfahrungen gegenüber<br />

den jeweils nachrückenden ArbeitnehmerInnengenerationen andererseits.<br />

In Bezug auf die Bedeutung älterer Belegschaftsmitglieder widerspiegelt das Antwortverhalten<br />

der befragten Unternehmen folgende interessante Sachverhalte:<br />

82


Erstens ist auffällig, dass für die einzelnen Leistungsparameter überwiegend keine<br />

Unterschiede in der Leistungsfähigkeit von Jüngeren und Älteren ausgewiesen<br />

werden. Die Kategorie „kein Unterschied“ unterstellt dabei eine bei Jüngeren und<br />

Älteren gleichermaßen ausgeprägte Leistungsfähigkeit. Der mittlere Balken in<br />

Abbildung 4, der diese „Gleichwertigkeit“ beider Personengruppen verdeutlicht,<br />

weist darauf hin, dass - lediglich mit einer Ausnahme - Jüngere und Ältere<br />

überwiegend als gleichermaßen leistungsfähig betrachtet werden. Die geringste<br />

einheitliche Leistungsbewertung beider Personengruppen wird, wie zu erwarten war,<br />

bei der körperlichen Belastbarkeit gesehen: Aber letztlich meinten auch hier<br />

immerhin noch zwei Drittel der Befragten, diesbezüglich keine Leistungsunterschiede<br />

erkennen zu können.<br />

Abbildung 4: Vergleich der Eigenschaften/Leistungsparameter von jüngeren<br />

und älteren Beschäftigten, Ostdeutschland 2002 (Angaben in %)<br />

Teamfähigkeit<br />

Loyalität<br />

Lernbereitschaft<br />

Kreativität<br />

Psychische Belastbarkeit<br />

Flexibilität<br />

Theoretisches Wissen<br />

Qualitätsbewusstsein<br />

Lernfähigkeit<br />

Arbeitsmoral, -disziplin<br />

Körperliche Belastbarkeit<br />

Erfahrungswissen<br />

7 86 8<br />

5 83 12<br />

17 78 4<br />

17 76 7<br />

14 75 11<br />

16 74 9<br />

16 73 11<br />

4 72 24<br />

28 69 3<br />

4 68 28<br />

28 66 6<br />

4 43 55<br />

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%<br />

eher bei Jüngeren kein Unterschied eher bei Älteren<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

Die größte Übereinstimmung zwischen Jung und Alt wurde bei der Teamfähigkeit<br />

erreicht. Hier gaben 86% der Firmen an, keine Unterschiede festzustellen.<br />

Überraschend sind auch die Ergebnisse zum Theoriewissen sowie zur<br />

Lernbereitschaft und Lernfähigkeit: Hier sehen rund drei Viertel der Unternehmen<br />

keinen Unterschied zwischen Alt und Jung. Die Lernbereitschaft wird sogar von 78%<br />

aller Betriebe als gleich groß eingeschätzt.<br />

83


Zweitens: Die bereits angedeutete Ausnahme betrifft das Erfahrungswissen.<br />

Lediglich 43% der Befragten gaben hier eine Übereinstimmung zwischen Jung und<br />

Alt an. Keinem anderen Parameter wurde eine derart geringe Gleichwertigkeit für die<br />

beiden Personengruppen beigemessen. Dem steht gegenüber, dass 53% der<br />

Betriebe das Erfahrungswissen eher unter der älteren Mitarbeiterschaft als<br />

ausgeprägt betrachteten. Dieser Leistungsparameter wird insofern als der<br />

entscheidende Vorzug der Älteren gesehen.<br />

Drittens: Die nach Dafürhalten der Unternehmen wichtigsten Erfordernisse der<br />

Arbeitsplätze sind – soweit Unterschiede wahrgenommen werden – vorrangig bei<br />

Älteren ausgeprägt. Besonders deutlich ergibt sich das für die Eigenschaften<br />

Arbeitsmoral/Arbeitsdisziplin (28% eher bei Älteren) sowie beim Qualitätsbewusstsein<br />

(24% eher bei Älteren). In Ergänzung zum Erfahrungswissen verfügen damit<br />

vorrangig die älteren Belegschaftsmitglieder über Eigenschaften, die von den<br />

Betrieben als besonders wichtig eingestuft worden sind. Damit zeichnet sich für die<br />

älteren Beschäftigten ein Leistungs- und Kompetenzprofil ab, das sie als eine<br />

besonders wertvolle Humankapitalressource charakterisiert.<br />

2.3 Gleiches Leistungsvermögen Älterer und Jüngerer in der Gesamtbilanz<br />

Die Aussage, wonach Jüngere und Ältere ein differenziertes Leistungs- und Kompetenzprofil<br />

aufweisen, beantwortet allerdings noch nicht die Frage, ob bzw. in welchem<br />

Maße eine dieser Personengruppen in der Summe betrachtet über ein Potenzial<br />

verfügt, das den Betrieben einen höheren Nutzen erbringt. Hierzu führt die Untersuchung<br />

aus dem Jahre 2002 zu folgender Erkenntnis: Ältere Erwerbstätige bleiben<br />

in der quantitativen Bilanz aller 12 Leistungsparameter und gewichtet über den<br />

eingeschätzten Stellenwert der verschiedenen Leistungsparameter aus Sicht der Unternehmen<br />

nicht hinter den Jüngeren zurück. Die Befragungsergebnisse stützen von<br />

daher die Aussage, wonach Ältere insgesamt ebenso leistungsfähig sind wie Jüngere.<br />

So weist Abbildung 5 für Ostdeutschland einen errechneten durchschnittlichen<br />

Leistungsindex für die Älteren in Höhe von 105% und für Westdeutschland in Höhe<br />

von 107% aus – ein Ergebnis, das auf ein Leistungspotenzial hindeutet, das sogar<br />

noch leicht über dem der Jüngeren liegt. Neben dem bereits skizzierten Stärken-<br />

Schwächen-Profil ist es insbesondere auch diese Gesamtbewertung der Älteren, die<br />

dafür spricht, dass die Leistungsfähigkeit sowie die Produktivität vordergründig nicht<br />

vom Lebensalter abhängen, sondern vom Umgang mit den Beschäftigten, ihrem effi-<br />

84


zienten Einsatz, den Arbeitsbedingungen, der Art der Tätigkeit, der Lernbereitschaft<br />

und Lernfähigkeit.<br />

Abbildung 5: Bewertung aller Leistungsparameter für ältere Beschäftigte<br />

(Leistungsfähigkeit Jüngerer = 100), Ostdeutschland 2002<br />

Erfahrungswissen<br />

288<br />

Arbeitsmoral, -disziplin<br />

162<br />

Qualitätsbewusstsein<br />

151<br />

Loyalität<br />

116<br />

Teamfähigkeit<br />

102<br />

Theoretisches Wissen<br />

Psychische Belastbarkeit<br />

Flexibilität<br />

Kreativität<br />

Lernbereitschaft<br />

Körperliche Belastbarkeit<br />

Lernfähigkeit<br />

61<br />

59<br />

93<br />

92<br />

88<br />

82<br />

77<br />

Ostdeutschland<br />

Westdeutschland<br />

105<br />

107<br />

0 50 100 150 200 250 300<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

2.4 Fazit<br />

Die mithilfe des IAB-Betriebspanels 2002 vorgenommene erste systematische Erhebung<br />

zur Erfassung und Bewertung der Leistungspotenziale Älterer in Deutschland<br />

ermöglicht es, die Kategorie „Alter“, die bislang per se mit einer geringeren Leistungsfähigkeit<br />

gleichgesetzt wurde und damit zugleich als Argument zur Externalisierung<br />

benutzt wurde, zu objektivieren. Es ist daher gelungen, ein wesentlich realistischeres<br />

Bild für diese Personengruppe zu zeichnen. Ältere Beschäftigte sind insgesamt<br />

ebenso leistungsfähig wie Jüngere, wobei beide Personengruppen durchaus<br />

ein abweichendes Stärke-Schwächen-Profil erkennen lassen. Ältere können daher<br />

als LeistungsträgerInnen und damit als eine wichtige Ressource für die Unternehmen<br />

definiert werden. Diese nunmehr empirisch abgesicherte Erkenntnis hilft, viele der<br />

bislang weit verbreiteten pauschalen Wertungen und Vorurteile gegenüber dieser<br />

Personengruppe zu widerlegen.<br />

85


Die vorliegenden Befunde verweisen damit zugleich einerseits auf gute<br />

Voraussetzungen für die Gestaltung des demografischen Wandels unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Alterung des Erwerbspersonenpotenzials. Sie sprechen dafür,<br />

dass auch eine älter werdende Belegschaft in der Lage sein wird, den Anforderungen<br />

von Innovation und Wettbewerb stand zu halten. Andererseits sollte diese Erkenntnis<br />

aber nicht dazu verleiten, die betrieblichen Alterungsprozesse dem Selbstlauf zu<br />

überlassen. Es wird Aufgabe von Politik und Wirtschaft wie auch von Individuen und<br />

Weiterbildnern sein, diesen Prozess gezielt zu steuern und aktiv zu gestalten.<br />

Allerdings werfen die Erkenntnisse auch weitere Fragestellungen auf:<br />

- Es ist davon auszugehen, dass das IAB-Betriebspanel den in den Betrieben<br />

mittels der bisherigen Frühverrentungspraxis vollzogenen Prozess der<br />

„Bestenauslese“ unter der Beschäftigtengruppe der Älteren reflektiert.<br />

Untersuchungen haben erkennen lassen, dass diese Personengruppe im<br />

Vergleich zu den jüngeren Altersjahrgängen durchschnittlich eine höhere<br />

Qualifikation aufweist. 7 Wenn mit der allmählichen Durchsetzung des<br />

Paradigmenwechsels wieder eine durchmischtere Älterengruppe in den Betrieben<br />

präsent sein wird, dann können sich derartige Ergebnisse zum<br />

Leistungsvermögen der Älteren durchaus auch ändern, evtl. weniger positiv,<br />

insgesamt aber wesentlich differenzierter ausfallen.<br />

- Die Panelerhebung abstrahiert bei den betrachteten Älteren davon, dass es sich<br />

hierbei um eine heterogene Gruppe handelt. Es wird eine Personengruppe<br />

betrachtet, die 15 Jahre Altersdifferenz umfasst. Zweifellos bestehen damit<br />

Differenzierungen – beispielsweise zwischen den rentenfernen und den<br />

rentennahen Personen. Künftige Untersuchungen sollten diesem Umstand stärker<br />

Rechnung tragen. Bei einem differenzierteren methodischen Herangehen kann es<br />

dann auch durchaus möglich sein, dass die Gruppe der Älteren in Bezug auf ihre<br />

Leistungspotenziale in sich unterschiedlich bewertet wird. Einige der gängigen<br />

Vorbehalte können dann möglicherweise auf die eine oder andere Gruppe<br />

durchaus zutreffen.<br />

Mit dem künftig größeren Gewicht, das die älteren Jahrgänge im Erwerbsleben und<br />

damit im betrieblichen Arbeitsprozess erlangen werden, sind vielfältige wissenschaftliche<br />

Untersuchungen vorzunehmen, die die nach wie vor bestehenden Wissenslücken<br />

immer weiter schließen. Die Klärung heute noch vieler offener Fragen wird<br />

darüber entscheiden, dass alle Akteure besser als bisher für die spezifischen Potenziale<br />

Älterer sensibilisiert werden und deren Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung<br />

bzw. Neueinstellung Älterer den künftigen Erfordernissen gerecht wird.<br />

7<br />

Diese Befunde ergeben sich in Auswertung des Mikrozensus, einer einprozentigen Stichprobe<br />

aller deutschen Haushalte.<br />

86


3. Widersprüchliches Verhalten der Unternehmen im Umgang mit „ihren“<br />

älteren MitarbeiterInnen<br />

Wurde bisher der Frage nachgegangen, wie die Unternehmen die Leistungen ihrer<br />

älteren Beschäftigten bewerten, soll nun diskutiert werden, wie mit dieser Personengruppe<br />

in der betrieblichen Praxis umgegangen wird. Wie engagieren sich die Firmen<br />

für den Erhalt und die Förderung der Leistungspotenziale „ihrer“ Älteren? Anhaltspunkte<br />

für den Umgang mit den in den Betrieben beschäftigten, also den „eigenen“<br />

Älteren bietet ebenfalls das im Jahre 2002 erhobene IAB-Betriebspanel. Der Fokus<br />

wurde dabei auf personalpolitische Maßnahmen gegenüber diesen Belegschaftsmitgliedern<br />

gerichtet. Damit kann Antwort darauf gegeben werden, ob Ältere heute eine<br />

Zielgruppe betrieblicher Personalpolitik sind. Das Antwortverhalten erweist sich als<br />

ein Gradmesser dafür, inwieweit die Unternehmen gegenwärtig für das Erfordernis<br />

sensibilisiert sind, auch die Leistungspotenziale dieser Beschäftigtengruppe zu<br />

fördern. Es gibt letztlich Auskunft über den bestehenden betrieblichen Handlungsbedarf<br />

vor dem Hintergrund der künftigen Alterung des Erwerbspersonenpotenzials.<br />

In Ostdeutschland führten 2002 lediglich 18% der befragten Firmen Maßnahmen für<br />

ihre älteren ArbeitnehmerInnen durch (Westdeutschland: 20% - vgl. Abbildung 6). In<br />

der Bilanz zeigt sich damit ein eher verhaltenes Engagement der Betriebe gegenüber<br />

ihren älteren Beschäftigten.<br />

Die Erklärungsansätze für solch eine Zurückhaltung der Unternehmen dürften vielfältig<br />

sein. Da die Älteren in ihrer Leistungsbereitschaft und –fähigkeit den Jüngeren in<br />

der Gesamtbilanz nicht nachstehen, wird offenbar kein gesonderter Handlungsbedarf<br />

gesehen. Damit könnte sich beispielsweise erklären, dass lediglich 2% der Betriebe<br />

in Ostdeutschland und 3% in Westdeutschland die Leistungsanforderungen der<br />

Arbeitsplätze für Ältere herabsetzen. Auch das Erfahrungswissen der Älteren könnte<br />

eine Rolle spielen. Sicherlich setzen die Firmen außerdem auf die Eigeninitiative der<br />

Älteren. Viele werden so argumentieren: Die Erfahrungen der Älteren einerseits und<br />

das Bemühen, den eigenen Arbeitsplatz so lange wie möglich behalten zu wollen<br />

andererseits, kombiniert mit der ausgeprägten Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin,<br />

bringen bei den älteren Beschäftigten ein hohes Maß an Eigeninitiative hervor.<br />

Schließlich ist dieses Verhalten der Betriebe einmal mehr im Kontext der bisherigen<br />

Frühverrentungspraxis zu betrachten. Da es bisher gängig war, viele Arbeitskräfte<br />

vorfristig in den Ruhestand zu verabschieden, wird sich auch ein betriebliches Den-<br />

87


ken ausgeprägt haben, das Investitionen in eine Personengruppe, die das<br />

Unternehmen ohnehin bald verlassen wird, als unnötig erachtet.<br />

Abbildung 6: Maßnahmen der Betriebe in Ost- und Westdeutschland in Bezug<br />

auf die Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen 2002<br />

(alle Betriebe mit Älteren, Angaben in %)<br />

Ostdeutschland<br />

Westdeutschland<br />

100%<br />

100%<br />

90%<br />

90%<br />

80%<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

82<br />

70%<br />

60%<br />

80<br />

50%<br />

50%<br />

40%<br />

40%<br />

30%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

18<br />

20%<br />

10%<br />

20<br />

0%<br />

0%<br />

mit Maßnahmen ohne Maßnahmen<br />

mit Maßnahmen ohne Maßnahmen<br />

Betriebliche Maßnahmen<br />

Altersteilzeit<br />

8<br />

12<br />

Altersgemischte<br />

Arbeitsgruppen<br />

6<br />

7<br />

Einbeziehung in<br />

Weiterbildung<br />

6<br />

7<br />

Herabsetzung der<br />

Leistungsanforderungen<br />

2<br />

3<br />

Besondere Ausstattung<br />

der Arbeitsplätze<br />

Altersgerechte<br />

Weiterbildungsangebote<br />

Andere Maßnahmen für<br />

Ältere<br />

1<br />

1 1 2<br />

1<br />

1<br />

Ostdeutschland<br />

Westdeutschland<br />

0 2 4 6 8 10 12 14<br />

Prozent<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

Priorität bei den Maßnahmen der Betriebe in Ost- und Westdeutschland in Bezug auf<br />

die Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen hatte im Jahre 2002 das Instrument der<br />

Altersteilzeit. 8 8% der ostdeutschen und 12% der westdeutschen Betriebe nutzten<br />

8<br />

Mit dem Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (auch Altersteilzeitgesetz<br />

genannt) wurden mit Wirkung zum 01.08.1996 für ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen<br />

Rahmenbedingungen für Vereinbarungen über Altersteilzeitarbeit geschaffen. Altersteilzeit als<br />

ein Arbeitsmarktinstrument ermöglicht älteren Beschäftigten einen „gleitenden“ Ausstieg aus dem<br />

Erwerbsleben, denn das Altersteilzeitgesetz bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit lange vor<br />

Erreichung des gesetzlichen Renteneintrittsalters zu verringern und dabei auch vorfristig aus dem<br />

88


diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen (vgl. vorstehende Abbildung). Das belegt nicht<br />

nur, dass für die Unternehmen in Deutschland die Externalisierung der älteren<br />

Belegschaftsmitglieder nach wie vor auf der Tagesordnung steht. Die Daten zeugen<br />

zugleich vom hohen Stellenwert dieses Instrumentariums, wenn es um die<br />

„Entwicklung“ der Ressourcen der älteren Mitarbeiterschaft geht – Externalisierungsinstrumente<br />

haben vor allen anderen personalpolitischen Strategien Vorrang. Die für<br />

Westdeutschland zu verzeichnende Abweichung resultiert nicht nur aus der höheren<br />

Anzahl vorhandener Großbetriebe, sondern auch aus der Tatsache, dass die<br />

überwiegende Anzahl der Betriebe in Ostdeutschland in der heutigen Form erst seit<br />

1990 besteht.<br />

Zugleich legen die Betriebe auf die altersgemischte Zusammensetzung der Arbeitsgruppen<br />

bzw. auf die Einbeziehung Älterer in betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen<br />

Wert. Diese Initiativen werden jeweils von 7% der ostdeutschen und 6%<br />

der westdeutschen Betriebe durchgeführt. Bei Qualifizierungen präferiert 1% der<br />

Unternehmen spezielle Weiterbildungsangebote für Ältere.<br />

Bilanzierend lässt sich in Bezug auf das heutige Engagement der Unternehmen zur<br />

Förderung ihrer älteren Belegschaftsmitglieder festhalten: Personalpolitische Maßnahmen<br />

für Ältere werden lediglich durch einen kleinen <strong>Teil</strong> der Betriebe angeboten.<br />

Die geringe quantitative Nutzung der Instrumente ist zudem an die Inanspruchnahme<br />

eines nur eingeschränkten Spektrums gekoppelt. Es dominiert die Altersteilzeit, die<br />

vor allem der Externalisierung dient. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen zur<br />

Förderung älterer Erwerbstätiger weiter zu relativieren: Von einer gezielten<br />

Entwicklung der Kompetenzen und Potenziale Älterer seitens der ArbeitgeberInnen<br />

kann heute keine Rede sein. Erst recht sind kaum innovative Ansätze erkennbar.<br />

Vor allem mit Blick auf den erwarteten zunehmenden Anteil Älterer im betrieblichen<br />

Alltag ist diese geringe Aufmerksamkeit gegenüber Älteren problematisch. Diese<br />

Aussage erhärtet sich vor allem angesichts fehlender Angebote einer altersgerechten<br />

Qualifizierung. Insgesamt sprechen die Erhebungsergebnisse dafür, dass den Betrieben<br />

noch nicht ausreichend bewusst ist, dass die hohe Leistungsfähigkeit der Äl-<br />

Erwerbsleben auszuscheiden. Die Modifizierung dieses spezifischen Frühverrentungsmodells zum<br />

01.07.2004 hat z.B. durch Heraufsetzung der Alters für die Inanspruchnahme der Altersteilzeit die<br />

Bedingungen für den vorzeitigen Eintritt Älterer in den Ruhestand verschlechtert, dennoch wird<br />

damit die Externalisierung dieser Personengruppe fortgesetzt. Dies zeugt davon, dass ungeachtet<br />

der politischen Forderung, Ältere schon heute möglichst lange im Erwerbsleben zu halten, im<br />

Rahmen des Paradigmenwechsels im Sinne der Rechtssicherheit längerfristige Übergangsregelungen<br />

Anwendung finden.<br />

89


teren nicht per se vorhanden ist und auch nicht zum Nulltarif zu haben ist, sondern<br />

dass personalpolitisch auch etwas dafür getan werden muss, damit die durch die<br />

Betriebe dokumentierte hohe Leistungsfähigkeit Älterer erhalten bleibt bzw. richtig<br />

genutzt wird. Damit ist erheblicher betrieblicher Handlungsbedarf definiert.<br />

4. Einstellungsverhalten der Unternehmen gegenüber Älteren<br />

Eine weitere Fragestellung, die mithilfe des IAB-Betriebspanels erhellt werden kann,<br />

bezieht sich auf den Umgang der Unternehmen mit „fremden“ Älteren. Wenn den<br />

„eigenen“ Älteren auf der einen Seite große Wertschätzung hinsichtlich ihrer<br />

Leistungsparameter zuteil wird, wie verhalten sich die Unternehmen gegenüber jenen<br />

älteren Erwerbspersonen, die auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sind?<br />

Antworten darauf ermöglichen die Paneluntersuchungen sowohl aus dem Jahre 2002<br />

als auch aus der jüngsten Erhebungswelle des Jahres 2004. 2002 wurde der Frage<br />

nachgegangen, inwieweit die Betriebe die Einstellung Älterer überhaupt in Erwägung<br />

ziehen und unter welchen Bedingungen dies erfolgt. 2004 wurden erstmals Gründe<br />

für das zu beobachtende Einstellungsverhalten gegenüber Älteren hinterfragt.<br />

4.1 Betriebliches Einstellungsverhalten gegenüber älteren BewerberInnen<br />

In Bezug auf das Einstellungsverhalten lassen sich drei Typen von Unternehmen<br />

identifizieren. Erstens gibt es Firmen, die grundsätzlich keine Älteren einstellen. In<br />

Ostdeutschland betrifft das 16% und in Westdeutschland 15% der Betriebe. Eine<br />

zweite Gruppe von Firmen ist bereit, Ältere ohne jegliche Vorbedingungen als MitarbeiterInnen<br />

zu gewinnen. Im Jahre 2002 war mit 45% der befragten ostdeutschen<br />

Betriebe knapp weniger als die Hälfte dazu bereit. Die Bereitschaft, Ältere ohne<br />

bestimmte Voraussetzungen einzustellen, ist mit 57% in Westdeutschland deutlich<br />

höher, was einerseits auf die dort bessere Arbeitsmarktsituation hinweisen,<br />

andererseits auch Ausdruck eine stärker auf größere Betriebseinheiten<br />

ausgerichteten Unternehmensstruktur sein dürfte. Drittens schließlich wollen 39% der<br />

ostdeutschen bzw. 28% der westdeutschen Firmen Ältere nur dann einstellen, wenn<br />

damit bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.<br />

Diese Daten machen die bestehenden Vorbehalte der Unternehmen gegenüber<br />

„externen“ älteren Erwerbspersonen deutlich. Sie verweisen vor dem Hintergrund der<br />

zu erwartenden demografischen Entwicklung zugleich auf das Ausmaß der erforder-<br />

90


lichen Sensibilisierung und der zu erbringenden Anstrengungen, um die Betriebe<br />

zum Umdenken zu bewegen. Bemerkenswert am Antwortverhalten der Betriebe ist,<br />

dass die positive Leistungsbewertung der bereits beschäftigten Älteren keine<br />

Entsprechung findet, wenn es um die Einstellung „fremder“ Älterer, speziell älterer<br />

Arbeitsloser geht. Der Umgang mit den eigenen, noch im betrieblichen<br />

Arbeitsprozess verbliebenen älteren ArbeitnehmerInnen und das<br />

Einstellungsverhalten gegenüber betriebsfremden Älteren sind von daher zwei<br />

unterschiedliche Probleme, hinter denen sich völlig verschiedenartige<br />

Verhaltensmuster verbergen. Damit spielt die geringere Nachfrage nach Älteren eine<br />

eigenständige Rolle, wenn es um die Beurteilung der Arbeitsmarktrisiken,<br />

insbesondere die Wiedereinstellungschancen älterer Arbeitsuchender geht. 9<br />

Dass es offensichtlich Vorbehalte gegenüber Älteren gibt, verdeutlichen die von den<br />

Betrieben genannten Bedingungen, unter denen sie ältere BewerberInnen überhaupt<br />

einstellen würden. Jede fünfte ostdeutsche Firma gab an, einen Älteren einzustellen,<br />

wenn dafür eine Einstellungsbeihilfe (Lohnkostenzuschuss) durch die Arbeitsverwaltung<br />

gewährt wird (Westdeutschland: 6%). Dieses Antwortverhalten reflektiert<br />

zwei interessante Sachverhalte. Zum einen kommt darin eine gewisse Fördermentalität<br />

zum Ausdruck. Die seit rund einer Dekade in Ostdeutschland installierten<br />

vielfältigen Förderangebote haben teilweise auch unter den ArbeitgeberInnen zu<br />

einer Auffassung geführt, bei der Einstellung von Beschäftigten auf Förderangebote<br />

zurückzugreifen (vgl. Abbildung 7). Der Rückgriff auf derartige Arbeitsmarktinstrumente<br />

ist generell zu beobachten, und er ist nicht auf eine bestimmte Altersgruppe<br />

beschränkt. Allerdings wurden für Personen ab dem 55. Lebensjahr zusätzliche Instrumente<br />

geschaffen, die diese für die Betriebe besonders interessant machen sollten.<br />

Zum anderen widerspiegelt sich darin der bestehende Kostendruck oder zumindest<br />

die darum geführte Diskussion. Ältere ArbeitnehmerInnen sind für einige Betriebe<br />

auf Grund des „Senioritätsprinzips“ oft teurer, weil in einigen Branchen wie dem<br />

öffentlichen Dienst Angestellte unter anderem in Abhängigkeit vom Alter entlohnt<br />

werden. Diese Praxis wird in der öffentlichen Diskussion oft pauschaliert, und es wird<br />

davon ausgegangen, dass auch neu eingestellte Ältere prinzipiell teurer seien als<br />

9<br />

Die geringe Nachfrage nach älteren BewerberInnen ist auch einem Struktureffekt geschuldet,<br />

nämlich dem Rückgang der Branchen mit höheren Beschäftigtenanteilen Älterer. Vgl.: Bernhard<br />

Boockmann, Thomas Zwick: Betriebliche Determinanten der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer,<br />

in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, IAB der Bundesagentur für Arbeit, 37. Jahrgang 2004:<br />

Heft 1, S. 53<br />

91


Jüngere. Dem Rechnung tragend, sollen verschiedene arbeitsmarktpolitische<br />

Instrumente wie beispielsweise befristete Zuschüsse zu den Lohnkosten helfen, die<br />

Kosten zumindest zeitweilig zu verringern.<br />

Abbildung 7: Einstellungsbereitschaft der Betriebe gegenüber älteren BewerberInnen<br />

2002 (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in %)<br />

Ostdeutschland<br />

Westdeutschland<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

mit<br />

Bedingungen<br />

39%<br />

keine<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

16%<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

ohne<br />

Bedingungen<br />

45%<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

mit<br />

Bedingungen<br />

28%<br />

keine<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

15%<br />

Einstellungsbereitschaft<br />

ohne<br />

Bedingungen<br />

57%<br />

Art der Einstellungsbedingungen<br />

nur mit LKZ<br />

nur wenn es keine<br />

jüngeren Bewerber gibt<br />

6<br />

9<br />

8<br />

20<br />

vorzugsweise als<br />

<strong>Teil</strong>zeitkräfte<br />

nur mit befristetem<br />

Vertrag<br />

6<br />

7<br />

8<br />

8<br />

Ostdeutschland<br />

W estdeutschland<br />

andere Voraussetzungen<br />

8<br />

8<br />

0 5 10 15 20 25<br />

Prozent<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2002<br />

Im Vergleich zu diesem Arbeitsmarktinstrument werden alle anderen Einstellungsbedingungen<br />

aus Sicht der ost- wie auch der westdeutschen Unternehmen nahezu<br />

gleichwertig gehandhabt. 9 bzw. 8% der Unternehmen würden nur dann auf ältere<br />

ArbeitnehmerInnen zurückgreifen, wenn keine jüngeren verfügbar wären. <strong>Teil</strong>zeitarbeit<br />

wäre für jeweils 8% der Firmen eine gangbare Variante und 7 bzw. 6% würden<br />

nur einen befristeten Vertrag abschließen. Diese Vorstellungen zeigen, dass es vielfältige<br />

Überlegungen seitens der Unternehmen gibt, wenn es um die Einstellung Älterer<br />

geht. Einerseits zeigt sich dabei die „Notnagelvariante“: Besser ein älterer als gar<br />

kein Beschäftigter. Andererseits verweist die Orientierung auf eine <strong>Teil</strong>zeit- und auf<br />

eine befristete Beschäftigung von Älteren auf die „Hintertür-Praktik“ – ein Verfahren,<br />

92


das garantiert, sich der Älteren bei Bedarf schnell und unkompliziert wieder<br />

entledigen zu können. Es ist von den Unternehmen also ein vielgliedriger<br />

Selektionsmechanismus entwickelt worden, der sicherstellt, dass nur so viele Ältere<br />

wie dringend benötigt Zugang finden.<br />

4.2 Gründe für die Nichteinstellung Älterer<br />

Auf den ersten Blick deuten diese Ergebnisse auf diskriminierende Praktiken<br />

gegenüber älteren Arbeitsuchenden hin. In Auswertung des IAB-Betriebspanels 2004<br />

ist es nun erstmals möglich, vorläufige Antworten zu geben, welche Motivation bei<br />

den Betrieben eine Rolle spielt, wenn sie ältere BewerberInnen nicht oder nur zu<br />

bestimmten Konditionen einstellen und worin die wichtigsten Gründe dafür liegen.<br />

Das maßgebliche Kriterium für die Beurteilung des Einstellungsverhaltens der Firmen<br />

war die zuletzt besetzte Stelle. 14% aller im ersten Halbjahr 2004 zuletzt besetzten<br />

Stellen fielen zu Gunsten älterer BewerberInnen aus, dementsprechend 86% auf<br />

jüngere. Gemessen am Anteil der über 50Jährigen an den Beschäftigten in<br />

Ostdeutschland von 24% (2004) wurden damit in den ostdeutschen Betrieben<br />

unterdurchschnittlich viele Ältere eingestellt. In Westdeutschland wurden sogar nur<br />

11% aller Stellen durch Ältere besetzt (bei einem Beschäftigtenanteil von 21% im<br />

Jahre 2004).<br />

Die Gründe für diese Situation sind vielfältig und relativieren bisherige Vorstellungen<br />

und Wertungen zum Einstellungsverhalten der Firmen. Eine erste zentrale Erkenntnis<br />

besteht interessanterweise darin, dass die Nichteinstellung keineswegs<br />

ausschließlich auf eine eventuelle restriktive Einstellungspraxis der Unternehmen<br />

zurückzuführen ist, sondern in nicht geringem Maße auch dem Verhalten der<br />

BewerberInnen selbst geschuldet ist. Denn für etwa drei Viertel (74%) aller im ersten<br />

Halbjahr 2004 zuletzt besetzten Plätze gab es von vornherein keine Bewerbungen<br />

seitens Älterer. Diese Größenordnung resultiert überwiegend aus dem individuellen<br />

Verhalten bei Bewerbungen (71%) und zum geringen <strong>Teil</strong> aus restriktiven<br />

Ausschreibungspraktiken der Unternehmen. Altersbegrenzte, das heißt ältere<br />

BewerberInnen von vornherein ausgrenzende Ausschreibungen, gab es nur in 3%<br />

der Betriebe. Zum anderen entschieden sich weitere 12% der Unternehmen infolge<br />

betriebsinterner Gründe gegen eine Einstellung Älterer (vgl. Abbildung 8).<br />

93


Abbildung 8:<br />

Einstellungsverhalten der Betriebe gegenüber Älteren in Ostdeutschland<br />

(Anteil an den im ersten Halbjahr 2004 zuletzt<br />

besetzten Stellen in %)<br />

Stelle explizit für Jüngere<br />

ausgeschrieben<br />

3% Ältere Bewerber<br />

eingestellt<br />

14%<br />

Keine Älteren eingestellt<br />

12%<br />

Es gab keine<br />

Bewerbungen Älterer<br />

71%<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2004<br />

Vieles spricht dafür, dass das mit dem Panel 2004 empirisch nachgewiesene<br />

BewerberInnenverhalten Ausdruck eines in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Bildes<br />

ist, nach dem Ältere in einem modernen Betrieb nur wenig bis keine Chancen hätten.<br />

So dominiert verstärkt seit den 1990er Jahren der „Jugendwahn“ die Diskussion bei<br />

der Zusammensetzung von Betriebsbelegschaften. Gegenwärtig tritt diese einseitige<br />

Betrachtungsweise zwar schrittweise in den Hintergrund, dennoch müssen im<br />

BewerberInnenverhalten offensichtlich vorhandene Hemmschwellen überwunden<br />

werden - etwa dergestalt: „Ich habe in meinem Alter von vornherein keine Chance.“<br />

Wenn es gelingen soll, die Anzahl Älterer an den Neueinstellungen zu erhöhen, dann<br />

setzt das ein aktiveres und engagierteres Bewerbungsverhalten bei den<br />

Stellensuchenden selbst voraus. Dieser Personenkreis ist von daher als eine<br />

eigenständige Zielgruppe der Sensibilisierungs- und Motivierungsarbeit seitens<br />

Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu betrachten.<br />

Ein zweites Ergebnis besteht darin, dass es neben „prinzipiellen“ Vorbehalten gegenüber<br />

Älteren seitens der Betriebe durchaus auch eine Reihe realer, plausibler Hemmnisse<br />

bei deren Neueinstellung gibt. Es liegen also durchaus auch objektive und so-<br />

94


mit berechtigte Gründe vor, wenn die Entscheidung zu Ungunsten Älterer ausfällt. Mit<br />

dem Panel 2004 liegen Informationen vor, mit denen hinterfragt wird, warum Betriebe<br />

bei der letzten Stellenbesetzung den/die ältere(n) Bewerber/-in ablehnten und sich<br />

für eine(n) Jüngere(n) entschieden haben. „Nachvollziehbar“ ist, dass bestimmte<br />

Arbeiten körperlich und psychisch nur von jüngeren Arbeitskräften auszuführen sind,<br />

dass die Tätigkeit älterer Arbeitskräfte die vorhandene Altersstruktur der Firma<br />

sprengen würde, dass bestimmte Qualifikationsprofile bei älteren ArbeitnehmerInnen<br />

nicht vorhanden waren. Diese Gründe für die Ablehnung Älterer basieren also auf<br />

Defiziten bei der Qualifikation, bei der sozialen Kompetenz, bei der Altersstruktur, im<br />

Tätigkeitsprofil usw. Für ca. 83% der Unternehmen, die sich bei der konkreten<br />

Einstellung gegen den/die ältere(n) Bewerber/-in entschieden, waren die genannten<br />

Beweggründe entscheidend (vgl. Abbildung 9).<br />

Abbildung 9: Gründe für die Nichteinstellung Älterer im ersten Halbjahr 2004<br />

in Ostdeutschland (in %)<br />

Defizit bei Qualifikationsprofil<br />

/<br />

sozialer<br />

Kompetenz<br />

69%<br />

keine Älteren<br />

eingestellt<br />

12%<br />

Ältere passen<br />

nicht zur<br />

Altersstruktur im<br />

Betrieb<br />

14%<br />

schlechte<br />

Erfahrungen<br />

8%<br />

prinzipielle<br />

Vorbehalte<br />

9%<br />

Quelle: SÖSTRA-Grafik, IAB-Betriebspanel 2004<br />

Gleichzeitig haben 17% aller Betriebe, die Ältere ablehnten, ihre Stellen mit Jüngeren<br />

besetzt, nicht weil es objektive, „nachvollziehbare“ Gründe dafür gab, sondern weil<br />

die Betriebe mit der Einstellung Älterer gravierende Probleme verbinden. Diese bestehen<br />

zum einen in eigenen schlechten Erfahrungen mit der Arbeit Älterer und zum<br />

anderen in befürchteten Schwierigkeiten, ohne dass dafür auf eigene Erfahrungen<br />

zurückgegriffen werden kann. Diese betriebliche Denk- und Handlungsweise kann<br />

bereits in die Nähe von Altersdiskriminierung gerückt werden (vgl. Abbildung 9).<br />

95


Auf der Grundlage der aktuellen empirischen Befunde bleibt festzustellen, dass<br />

altersdiskriminierende Einstellungspraktiken in deutschen Unternehmen ganz offenbar<br />

nicht der Hauptgrund für eine Ablehnung Älterer sind. Diese sind zwar<br />

vorhanden, aber nur in einer Minderheit der Betriebe. Ein alleiniges Ansetzen an der<br />

Diskriminierungsproblematik und damit die weitgehende Reduzierung des Einstellungsverhaltens<br />

der Betriebe auf ein moralisch-ethisches Problem würden daher<br />

kaum zu einer stärkeren Berücksichtigung älterer BewerberInnen führen. Demgegenüber<br />

scheint das betriebliche Hauptproblem bei der Einstellung Älterer im nicht passfähigen<br />

Qualifikationsprofil und in einer unzureichenden sozialen Kompetenz der<br />

BewerberInnen zu liegen. Defizite in diesem Bereich sah immerhin die deutliche<br />

Mehrheit der Unternehmen, die vor allem aus diesem Grund den/die ältere(n) Bewerber/-in<br />

ablehnten. Künftig zu entwickelnde Handlungsstrategien sollten diesen Sachverhalt<br />

unbedingt berücksichtigen.<br />

Sicherlich besteht hier auch weiterer Forschungsbedarf. So sind insbesondere unter<br />

dem Aspekt der Nicht-Passfähigkeit von angebotener und nachgefragter Qualifikation<br />

Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren zu identifizieren. Eventuelle Besonderheiten<br />

seitens Älterer sind herauszuarbeiten und auf ihre Ursachen zu hinterfragen.<br />

Ebenso sind wirksame Gegenstrategien zu entwickeln, wie es gelingen kann,<br />

Angebot und Nachfrage besser in Übereinstimmung zu bringen. Adressaten dürften<br />

sowohl die Unternehmen als auch die Erwerbspersonen selbst sein.<br />

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