2011-02: Dekor
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Laura Hanemann und Peter Schüz<br />
stattungskultur, welche Philippe Ariès in seinem Klassiker<br />
„Die Geschichte des Todes“ vor 30 Jahren anmahnte. 2 Ariès<br />
beschreibt mit glänzender Recherche und kulturgeschichtlicher<br />
Darstellungskraft, wie in der europäischen Moderne der<br />
traditionelle Umgang mit Tod und Vergänglichkeit sukzessive<br />
in eine Art Todesvergessenheit umschlug. Er spricht von<br />
dem „gezähmten“ oder gar vom „ins Gegenteil verkehrten<br />
Tod“ angesichts der Tatsache, dass ein Todesfall oftmals kaum<br />
noch das frühere Stillstehen und Innehalten eines ganzen sozialen<br />
Gefüges bedeutet. Heute wird in den meisten Fällen<br />
der sofortige medizinische Abtransport der Leiche eingeleitet,<br />
wenn der Verstorbene nicht ohnehin zu den fast 80 Prozent<br />
gehört, die – nicht selten alleine und erschreckend anonym –<br />
im Krankenhaus sterben. Kurzum, Kolumbarien scheinen das<br />
euphorische Gefühl zu erzeugen, nicht nur die Krise der leeren<br />
Kirchen zu lösen, sondern diese Krise auch noch in den<br />
Gewinn der Reanimation der Bestattungskultur verkehren zu<br />
können. Die Toten, einst abgeschoben und aus der Welt der<br />
Ewig-Jungen auf flurbereinigte Gräberfelder verbannt, kehren<br />
zurück mitten in das Zentrum des Ortes, in die Kirche. Die<br />
„Von-Beileidsbekundungen-bitten-wir-Abstand-zu-nehmen-<br />
Gesellschaft“ wendet sich scheinbar wieder den letzten Dingen<br />
zu, gibt der letzten Ruhe neuen Raum.<br />
Doch die Win-Win-Euphorie hat einen etwas zu sauberen Beigeschmack.<br />
Zu gut scheint die Kolumbarienbewegung in die<br />
Der Tod im Kino: „Stadt der Engel“ (Originaltitel:<br />
Reihe der Beschleunigungs- und Vorsorgeprozesse zu passen,<br />
City of Angels), Deutschland/USA 1998<br />
die die Lebensplanung in modernen Gegenwartsgesellschaften<br />
kennzeichnen. Organspendeausweis, Vorsorgeuntersuchungen,<br />
Patientenverfügungen – ist die frühzeitige Reservierung<br />
Linie geht es hierbei um Sicherheiten und Wahlmöglichkeiten.<br />
Durch präzise kalkulierbare Finanzierungskonzepte sollen den eines Platzes im Kolumbarium mit sauberer Gravur nur eine<br />
Haltern eines Urnenplatzes undurchsichtige und unberechenbare<br />
Kosten erspart werden. Die abnehmende Familien- und kritisch fragen dürfen, ob es den Befürwortern der Kolumba-<br />
weitere Facette spätmodernen Todesmanagements? Man wird<br />
Ortsgebundenheit vieler Menschen machen die Möglichkeit rien tatsächlich um eine Revitalisierung der Bestattungskultur<br />
einer frühzeitigen Selbstfinanzierung des eigenen Begräbnisses<br />
sowie die wegfallende Grabpflege besonders attraktiv. Ein mehr um eine Art der Lebensverlängerung durch Zeitgewinn,<br />
und eine Rückkehr des memento mori geht oder nicht viel-<br />
Kolumbarium verspricht also Unabhängigkeit und Planungskomfort.<br />
Doch auch die räumlichen Vorzüge eines Kolumbainnovativen<br />
Bestattungsreform erhofft. Dem häufig propagier-<br />
den man sich von der administrativen und organisatorischriums<br />
in einer Kirche erscheinen bemerkenswert: Den immer ten Gewinn an alltagsunterbrechenden und den Tod vergegenwärtigenden<br />
Elementen steht folglich der Vorwurf einer noch<br />
älteren Trauernden sowie den immer mehr auf Mobilität und<br />
Zeitmanagement angewiesenen jungen Menschen kommt die viel stärker defragmentierten und beschleunigten Umgangsweise<br />
mit dem Tod gegenüber.<br />
Rückkehr der Toten in die Innenstadt entgegen. Von den häufig<br />
weit ausgelagerten Großfriedhöfen wandert der Begräbnisort<br />
wieder in die Kirche in der Ortsmitte.<br />
2. Beschleunigung als Antwort auf den Tod:<br />
Die Internetseiten der Kolumbarien lesen sich teilweise wie Soziologische Impulse zum gesellschaftlichen<br />
Hochglanzbroschüren. Ob Regen oder Sonnenhitze, ob Dunkelheit<br />
oder Eisglätte: ein Kolumbarium garantiert den barri-<br />
Hartmut Rosas viel beachtetes Buch „Beschleunigung. Die<br />
Umgang mit dem Lebensende<br />
erefreien und bequemen Besuch der Toten. Garderobe, Toiletten<br />
und Sitzgelegenheiten sind ebenso selbstverständlich wie 2005 erschienen und beschreibt die ungeheure Beschleuni-<br />
Veränderung der Zeitstrukturen der Moderne“ ist erstmals<br />
Räumlichkeiten für stille Trauer und Andacht, Kerzenanzünden<br />
und Gebete. Dem Gestaltungsspielraum in einer ausge-<br />
Strukturprinzip. Die Geschwindigkeitssteigerung von Transgung<br />
des Lebenstempos als ein die Moderne vorantreibendes<br />
dienten Kirche in Sachen Service, Kunst und Kreativität scheinen<br />
keine Grenzen gesetzt zu sein. Man bekommt bei diesen mit sozialen Beschleunigungsdynamiken und neuen gesellport,<br />
Kommunikation und Produktion ist demnach verbunden<br />
Schilderungen den Eindruck, Kolumbarien in Kirchen seien, schaftlichen Zeitstrukturen. Vor dem Hintergrund komplexer<br />
neben ihrer wunderbaren Eigenschaft Kirchen zu bewahren, Veränderungen der spätmodernen Gegenwartsgesellschaft –<br />
geradezu die Lösung für alle Probleme in der modernen Be- Stichworte sind hier Individualisierung, Flexibilisierung und<br />
© Springer-Verlag kunst und kirche 03/<strong>2011</strong> 19