17.07.2014 Aufrufe

2011-02: Dekor

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Laura Hanemann und Peter Schüz<br />

stattungskultur, welche Philippe Ariès in seinem Klassiker<br />

„Die Geschichte des Todes“ vor 30 Jahren anmahnte. 2 Ariès<br />

beschreibt mit glänzender Recherche und kulturgeschichtlicher<br />

Darstellungskraft, wie in der europäischen Moderne der<br />

traditionelle Umgang mit Tod und Vergänglichkeit sukzessive<br />

in eine Art Todesvergessenheit umschlug. Er spricht von<br />

dem „gezähmten“ oder gar vom „ins Gegenteil verkehrten<br />

Tod“ angesichts der Tatsache, dass ein Todesfall oftmals kaum<br />

noch das frühere Stillstehen und Innehalten eines ganzen sozialen<br />

Gefüges bedeutet. Heute wird in den meisten Fällen<br />

der sofortige medizinische Abtransport der Leiche eingeleitet,<br />

wenn der Verstorbene nicht ohnehin zu den fast 80 Prozent<br />

gehört, die – nicht selten alleine und erschreckend anonym –<br />

im Krankenhaus sterben. Kurzum, Kolumbarien scheinen das<br />

euphorische Gefühl zu erzeugen, nicht nur die Krise der leeren<br />

Kirchen zu lösen, sondern diese Krise auch noch in den<br />

Gewinn der Reanimation der Bestattungskultur verkehren zu<br />

können. Die Toten, einst abgeschoben und aus der Welt der<br />

Ewig-Jungen auf flurbereinigte Gräberfelder verbannt, kehren<br />

zurück mitten in das Zentrum des Ortes, in die Kirche. Die<br />

„Von-Beileidsbekundungen-bitten-wir-Abstand-zu-nehmen-<br />

Gesellschaft“ wendet sich scheinbar wieder den letzten Dingen<br />

zu, gibt der letzten Ruhe neuen Raum.<br />

Doch die Win-Win-Euphorie hat einen etwas zu sauberen Beigeschmack.<br />

Zu gut scheint die Kolumbarienbewegung in die<br />

Der Tod im Kino: „Stadt der Engel“ (Originaltitel:<br />

Reihe der Beschleunigungs- und Vorsorgeprozesse zu passen,<br />

City of Angels), Deutschland/USA 1998<br />

die die Lebensplanung in modernen Gegenwartsgesellschaften<br />

kennzeichnen. Organspendeausweis, Vorsorgeuntersuchungen,<br />

Patientenverfügungen – ist die frühzeitige Reservierung<br />

Linie geht es hierbei um Sicherheiten und Wahlmöglichkeiten.<br />

Durch präzise kalkulierbare Finanzierungskonzepte sollen den eines Platzes im Kolumbarium mit sauberer Gravur nur eine<br />

Haltern eines Urnenplatzes undurchsichtige und unberechenbare<br />

Kosten erspart werden. Die abnehmende Familien- und kritisch fragen dürfen, ob es den Befürwortern der Kolumba-<br />

weitere Facette spätmodernen Todesmanagements? Man wird<br />

Ortsgebundenheit vieler Menschen machen die Möglichkeit rien tatsächlich um eine Revitalisierung der Bestattungskultur<br />

einer frühzeitigen Selbstfinanzierung des eigenen Begräbnisses<br />

sowie die wegfallende Grabpflege besonders attraktiv. Ein mehr um eine Art der Lebensverlängerung durch Zeitgewinn,<br />

und eine Rückkehr des memento mori geht oder nicht viel-<br />

Kolumbarium verspricht also Unabhängigkeit und Planungskomfort.<br />

Doch auch die räumlichen Vorzüge eines Kolumbainnovativen<br />

Bestattungsreform erhofft. Dem häufig propagier-<br />

den man sich von der administrativen und organisatorischriums<br />

in einer Kirche erscheinen bemerkenswert: Den immer ten Gewinn an alltagsunterbrechenden und den Tod vergegenwärtigenden<br />

Elementen steht folglich der Vorwurf einer noch<br />

älteren Trauernden sowie den immer mehr auf Mobilität und<br />

Zeitmanagement angewiesenen jungen Menschen kommt die viel stärker defragmentierten und beschleunigten Umgangsweise<br />

mit dem Tod gegenüber.<br />

Rückkehr der Toten in die Innenstadt entgegen. Von den häufig<br />

weit ausgelagerten Großfriedhöfen wandert der Begräbnisort<br />

wieder in die Kirche in der Ortsmitte.<br />

2. Beschleunigung als Antwort auf den Tod:<br />

Die Internetseiten der Kolumbarien lesen sich teilweise wie Soziologische Impulse zum gesellschaftlichen<br />

Hochglanzbroschüren. Ob Regen oder Sonnenhitze, ob Dunkelheit<br />

oder Eisglätte: ein Kolumbarium garantiert den barri-<br />

Hartmut Rosas viel beachtetes Buch „Beschleunigung. Die<br />

Umgang mit dem Lebensende<br />

erefreien und bequemen Besuch der Toten. Garderobe, Toiletten<br />

und Sitzgelegenheiten sind ebenso selbstverständlich wie 2005 erschienen und beschreibt die ungeheure Beschleuni-<br />

Veränderung der Zeitstrukturen der Moderne“ ist erstmals<br />

Räumlichkeiten für stille Trauer und Andacht, Kerzenanzünden<br />

und Gebete. Dem Gestaltungsspielraum in einer ausge-<br />

Strukturprinzip. Die Geschwindigkeitssteigerung von Transgung<br />

des Lebenstempos als ein die Moderne vorantreibendes<br />

dienten Kirche in Sachen Service, Kunst und Kreativität scheinen<br />

keine Grenzen gesetzt zu sein. Man bekommt bei diesen mit sozialen Beschleunigungsdynamiken und neuen gesellport,<br />

Kommunikation und Produktion ist demnach verbunden<br />

Schilderungen den Eindruck, Kolumbarien in Kirchen seien, schaftlichen Zeitstrukturen. Vor dem Hintergrund komplexer<br />

neben ihrer wunderbaren Eigenschaft Kirchen zu bewahren, Veränderungen der spätmodernen Gegenwartsgesellschaft –<br />

geradezu die Lösung für alle Probleme in der modernen Be- Stichworte sind hier Individualisierung, Flexibilisierung und<br />

© Springer-Verlag kunst und kirche 03/<strong>2011</strong> 19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!