2011-02: Dekor
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Villö Huszai<br />
klärte er resolut, und man glaubt dem nüchternen Keiser und<br />
erfolgreichen Schweizer Geschäftsmann diese Distanzierung<br />
von aller Metaphysik sofort. Doch dann präzisiert der Medienpionier<br />
der 50er- und 60er Jahre mit einem Funkeln in den<br />
Augen, virtuelle Ewigkeit interessiere ihn durchaus. Und solange<br />
er könne, stehe er etoy zur Verfügung.<br />
Um etoys Totenkult ganz zu überblicken, muss auch noch<br />
der Sarkophag Erwähnung finden, ein umgebauter Fracht-<br />
Container, dessen Innenwände etoy zu einer Art Rundum-<br />
Bildschirm umgebaut haben: Wände, Decke und Boden sind<br />
mit 17.000 LED-Zellen gleichsam tapeziert. Auf diesem Bildschirm<br />
spielen etoy Daten aus den Datenkapseln ab, momentan<br />
dominiert Sepp Keiser noch. Hinter jeder LED-Zelle kann<br />
Totenasche eingelagert werden, mit anderen Worten: Der Sarkophagus<br />
bietet Platz für 17.000 Urnengräber. Es sind kleine<br />
Behälter, die nicht Platz bieten für die Asche eines „ganzen“<br />
Menschen, und das hat auch einen tieferen Sinn: Die Künstlergruppe<br />
will mit ihrem Totenkult keine Konkurrenz zu anderen<br />
Totenkulten sein, sondern versteht ihr Angebot eher als<br />
eine Ergänzung oder Erweiterung der herkömmlichen Praxis. M∞ SARCOPHAGUS in Black Rock Desert/Nevada (Foto: etoy)<br />
Deswegen beansprucht etoy nicht die ganze Asche eines Piloten.<br />
Einem herkömmlichen Begräbnis der restlichen Totenasche<br />
steht nichts im Wege.<br />
ihre Kunst allgemein, und Mission Eternity im Besonderen,<br />
Obwohl man etoy als Netzkunstgruppe bezeichnen kann, hat<br />
Etoy will ihre Piloten nicht exklusiv, aber sie will sie auf sicher.<br />
Wer etoys Totenkult in Anspruch nehmen will, muss ei-<br />
Von Anfang an war etoy – parallel zu ihren Aktionen im World<br />
nichts von einem Hoax ohne Verankerung in der realen Welt.<br />
nen Vertrag, ein „Mortal Remains Agreement“ unterzeichnen. Wide Web – auch immer im physischen Raum präsent. Als<br />
Damit sichert sich etoy unter anderem gegen Angehörige ab, sich die Gruppe Anfang der 90er Jahre in Zürich formierte,<br />
die nach dem Tod des Piloten vielleicht nichts mehr wissen geschah dies erst nur durch die Uniformierung der ursprünglich<br />
sieben Agenten. Die technoiden Anzüge in der Alarmfar-<br />
wollen von dem ungewöhnlichen letzten Willen des Verstorbenen,<br />
sich von etoy (mit)begraben zu lassen. Denn obwohl be Orange, die kurzgeschorenen Köpfe tauchten in der Stadt<br />
ein Kunstprojekt, meinen es etoy ernst mit ihrer Dienstleistung.<br />
Mission Eternity ist keine Als-ob-Veranstaltung, keine Kunstaktion „Digital Hijack“, mit der die Gruppe 1996 auf ei-<br />
da und dort auf, man hatte einen etoy-Agenten erspäht. Die<br />
Konzeptkunst beispielsweise; die sich einen neuen Totenkult nen Schlag berühmt wurde, war zwar eine Aktion im Virtuellen:<br />
Benutzer von Suchdiensten wurden – virtuell – auf die<br />
nur ausdenkt, aber ihn in Realität gar nicht praktizieren will.<br />
„Hoax“ hiessen im Internet-Jargon der 90er Jahre solche rein Homepage von etoy entführt, was den Surferinnen und Surfern<br />
die Manipulierbarkeit der Suchdienst-Dienstleistung spie-<br />
konzeptuellen Gedankenspiele, für die es nur eine Idee und<br />
eine entsprechende Website brauchte.<br />
lerisch vor Augen führte. Doch als sie für diese Kunstaktion<br />
den „Prix Ars Electronica“, die damals höchste Auszeichnung<br />
für elektronische Kunst, erhielten, präsentierten sie sich an<br />
der Preisverleihung mit einer Installation, die ihre Homepage-<br />
Struktur nachbildete; das Publikum konnte in der Installation<br />
herumklettern.<br />
Bald darauf legte sich etoy Frachtcontainer zu. Mit dem Sarkophag<br />
sind es nun drei Container, die etoy rund um die Welt<br />
touren lässt und immer wieder als realen, nicht-virtuellen<br />
Ausstellungsraum fürs Publikum öffnet. Sind die Container<br />
gerade nicht unterwegs zu einer neuen Ausstellung, dann findet<br />
man sie im Zürcher Quartier Binz auf einer Brache aufgestellt<br />
und voll im Betrieb: Die Container sind etoys Zentrale,<br />
und jedes Jahr wieder der Ort, wo sich die Aktionäre<br />
der Kunst-Aktiengesellschaft etoy zur obligaten Versammlung<br />
treffen. Doch etoys stärkste Verankerung in der Realität sind<br />
die Menschen, aus denen sich das Kollektiv zusammensetzt:<br />
M∞ RAW DATA from TEST PILOT Mr. Keiser scaned between spring 2006 Die Gruppe inszeniert sich als Aktiengesellschaft, aber beobachtet<br />
man die Leute bei der Arbeit, wie kürzlich bei der<br />
and winter 2007 (Foto: etoy)<br />
© Springer-Verlag kunst und kirche 03/<strong>2011</strong> 33