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2011-02: Dekor

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© Springer-Verlag kunst und kirche 03/<strong>2011</strong> 39<br />

Berichte<br />

dann eine Installation des Hamburger<br />

Medien- und Konzeptkünstlers Simon<br />

Wachsmuth, die gut und gerne für die<br />

Ausstellung als Ganze stehen kann: Auf<br />

Glastischen sind mehrere hundert Postkarten<br />

mit den unterschiedlichsten Motiven<br />

angeordnet. Darüber zwei Videobildschirme,<br />

die zwei mit einem Messer<br />

spielende Jungen am Strand und parallel<br />

dazu archäologische Ausgrabungen<br />

zeigen. Sie lassen die Triebkräfte der<br />

Ausstellung erkennen: Den archäologischen<br />

(wissenschaftlichen) Blick, der<br />

verschüttete Bildfragmente wieder zu<br />

Tage fördert; den (keineswegs ungefährlichen!)<br />

spielerischen Blick einer „Fröhlichen<br />

Wissenschaft“, der die aufgefundenen<br />

Fragmente immer wieder neu<br />

zusammensetzt; und schließlich den<br />

„Um Gottes Willen. Kunst und Religion<br />

im Dialog“. Eine Ausstellung in<br />

Willisau<br />

Isabel Zürcher<br />

Die Gasthöfe heissen „Zum Schlüssel“,<br />

„Zum Ochsen“, „Schwanen“ oder<br />

„Kreuz“, und die Kirche steht, wenn<br />

man so will, noch im Dorf, auf der Anhöhe<br />

eines Kalkfelsens am westlichen<br />

Ausläufer der Hauptgasse. Im geräumigen<br />

Gotteshaus finden sich neben<br />

Hochaltar, Kanzel, Orgel oder Opferkerzen<br />

die Fotos jüngst getaufter Säuglinge<br />

und ein rot bemalter Stern, der die<br />

Namen der Verstorbenen aufnimmt. Im<br />

Regal am Ausgang weitere Indizien auf<br />

das Selbstverständnis der katholischen<br />

Kirchgemeinde: Broschüren über klösterliche<br />

formatige Schwarzweissfotografie zeigt<br />

das Zentrum von Willisau nach einem<br />

zerstörerischen Naturereignis: Lawine<br />

oder Bergsturz? Erinnerung oder apokalyptische<br />

Zukunftsvision? – Die Simulation<br />

des Unglücks stellt die kleinstädtische<br />

Beschaulichkeit in Frage und bildet<br />

den Auftakt zur Ausstellung „Um Gottes<br />

Willen – Kunst und Religion im Dialog“.<br />

Als Partnerin des Forschungsprojekts<br />

„Holyspace, Holyways“ der Hochschule<br />

Luzern, Design&Kunst (http://holy.<br />

kunstforschungluzern.ch) hat die Stadtmühle<br />

Willisau (www.stadtmuehlewillisau.ch)<br />

Anteil am interdisziplinären<br />

Dialog. Welche Spuren hinterlassen Riten,<br />

Tradition, Begrifflichkeit und Weltbild<br />

des Religiösen in der zeitgenössischen<br />

Kunst?<br />

Tisch als künstlerisches Werkzeug, mit<br />

Rückzugsorte, Sterbebeglei-<br />

Willisau beherbergte während vier Mo-<br />

dem das bewegliche Spiel der Bilder,<br />

die Suche nach den Regeln ihrer Umformungen<br />

– analog zu Aby Warburgs Tafeln<br />

– eine flexible Spielfläche hat.<br />

Zu sehen sind in diesem Sinne nicht<br />

mehr und nicht weniger als Versuchsanordnungen<br />

– künstlerische Versuche,<br />

die Metamorphosen einer beweglichen<br />

Bilderwelt durch eine spielerisch-beharrliche<br />

„Arbeit an den Formen“ zu<br />

untersuchen – d. h.: eine bewegliche<br />

Bilderwelt auf dem Rücken zu balancieren.<br />

Manch einem mag dieses Tableau<br />

allzu offen und weitschweifig erscheinen<br />

und die anspruchsvolle These, ausgehend<br />

von den Zentrifugalkräften der<br />

Bilder auch noch die Begrenzungen des<br />

Denkens in Bewegung zu setzen, allzu<br />

hoch gegriffen. Dennoch: Entstanden<br />

ist eine im Wortsinn erstaunliche<br />

Ausstellung, ein begehbarer Bilderatlas,<br />

dessen kühne visuelle Balanceakte<br />

einen Einblick in die Werkstube künstlerischer<br />

Kreativität geben und idealerweise<br />

einen zweiten und dritten Blick<br />

provozieren. Gelegenheit dazu ist vom<br />

1. Oktober bis 27. November <strong>2011</strong> in der<br />

Sammlung Falckenberg in Hamburg-<br />

Harburg – nach Madrid und Karlsruhe<br />

die dritte und letzte Station der Ausstellung.<br />

Die Alternative: Der durch einen<br />

umfangreichen einleitenden Essay<br />

(knapp 200 Seiten!) des Kurators erweiterte<br />

Ausstellungskatalog „Atlas – How<br />

tung, Jugendarbeit. „Religion und Kirche<br />

in unübersichtlicher Zeit“, heisst es<br />

da etwa, und die Ermutigung der „starkmütigen<br />

Fürbitterin“ Mutter Bernarda<br />

ist mit einem Aquarell untermalt.<br />

Gegenüber dem Kirchenportal duckt<br />

sich in der Reihe der Altstadthäuser das<br />

lokale Kulturzentrum, die Stadtmühle.<br />

Eine schöne Ausgangslage für ein<br />

Projekt, das die zeitgenössische Kunst<br />

nach dem Faktor des Religiösen befragen<br />

will. Der Abstecher zu St. Peter und<br />

Paul ging an einer grossen Schautafel<br />

vorbei, die Christian Kathriner vor der<br />

Kirche hat aufstellen lassen. Eine quernaten<br />

die Innerschweizer Kunstschaffenden<br />

Judith Albert und Christian<br />

Kathriner, die sich hier dem Thema angenommen<br />

haben. Ihnen kommt denn<br />

in der Präsentation auch eine Sonderstellung<br />

zu. Während Kathriners Schautafel<br />

prominent einen Schatten wirft auf<br />

das einst unverrückbare Bild von Kirche,<br />

halten sich Judith Alberts digitale Werke<br />

in der Black Box und im Bereich des Geheimnisses<br />

auf. Haben wir den kühlen<br />

Zwischenraum mit dem Mühlrad passiert<br />

und den Erweiterungsbau betreten,<br />

empfängt uns ein blauer Stoff, der sich<br />

wundersam geräuschlos zwischen Tür<br />

to Carry the World on One’s Back?“. Judith Albert, Wandlung, 2010, Video, 7‘30“, Farbe, Ton (Foto: Stadtmühle Willisau)

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