18.07.2014 Aufrufe

Königswege der Erkenntnis: 1. Das Interview / Die Befragung ...

Königswege der Erkenntnis: 1. Das Interview / Die Befragung ...

Königswege der Erkenntnis: 1. Das Interview / Die Befragung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 1<br />

Königswege <strong>der</strong> <strong>Erkenntnis</strong>:<br />

<strong>1.</strong> <strong>Das</strong> <strong>Interview</strong> / <strong>Die</strong> <strong>Befragung</strong><br />

Quellen: <strong>1.</strong> E.K. Scheuch: <strong>Das</strong> <strong>Interview</strong> in <strong>der</strong> Sozialforschung. In: König, R. (ed.):<br />

Handbuch <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung. Bd. 2. Grundlegende Methoden<br />

und Techniken <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung. Erster Teil.<br />

Stuttgart: Enke, 1973 (3)<br />

2. Holm, K.: Theorie <strong>der</strong> Frage. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und<br />

Sozialpsychologie, 26 (1974), 1, 91-114<br />

Definition des <strong>Interview</strong>s:<br />

"Unter <strong>Interview</strong> als Forschungsinstrument sei hier verstanden ein planmäßiges<br />

Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch<br />

eine Reihe gezielter Fragen o<strong>der</strong> mitgeteilter Stimuli zu verbalen Informationen<br />

veranlaßt werden soll." (Scheuch 1973, S. 71)<br />

Regeln für die Frageformulierung: "Kunst <strong>der</strong> Formulierung"<br />

Nach Scheuch dienen diese Regeln dazu, grobe Fehler bei <strong>der</strong> Frageformulierung<br />

zu vermeiden. Eine Garantie für gut gestellte Fragen stellen sie noch nicht dar.<br />

Sie dürften daher nur als notwendige Bedingungen für eine erfolgreiche "Frageformulierung"<br />

dienen.<br />

<strong>1.</strong> Wählen Sie eine einfache, sachgerechte Formulierung. Sie sollte folgende<br />

Eigenschaften aufweisen:<br />

<strong>1.</strong> möglichst kurz sein ;<br />

2. einfach, ohne grammatikalisch schwierige Formulierungen wie<br />

"doppelte Verneinungen";<br />

3. sie sollte möglichst nah an <strong>der</strong> Alltagssprache liegen;<br />

4. sie sollte den Wissensstand des Befragten nicht überfor<strong>der</strong>n.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 2<br />

2. Formulieren Sie eindeutig. <strong>Die</strong> Frage sollte ...<br />

<strong>1.</strong> selbst nur eine einzige Frage enthalten;<br />

2. in einem einheitlichen Bezugsrahmen stehen, d.h. bei mehreren<br />

Fragen sollte sie inhaltlich eingebettet sein;<br />

3. Wählen Sie möglichst sachliche, neutrale Formulierungen.<br />

.1 Legen Sie dem Befragten nicht mit <strong>der</strong> Frageformulierung die Antwort<br />

bereits in den Mund, d.h., vermeiden sie um jeden Preis Suggestivfragen.<br />

(Sie sind doch sicher auch <strong>der</strong> Meinung, daß es unbedingt<br />

erfor<strong>der</strong>lich sei ......)<br />

.2 Vermeiden Sie explizit wertende Formulierungen wie "Sittenverfall,<br />

Verbrechensflut, Gewaltkriminalität)<br />

.3 Vermeiden Sie ebenfalls implizit wertende Formulierungen, die mit<br />

wertenden Assoziationen für den Befragten verbunden sind.<br />

.4 Vermeiden Sie Formulierungen, die den Wi<strong>der</strong>stand/Wi<strong>der</strong>willen<br />

des Befragten erregen, wie "Wie oft verprügeln Sie Ihre Ehefrau?".<br />

.5 Vermeiden Sie Formulierungen, die in hohem Maße mit sozialen<br />

Verhaltenserwartungen verbunden sind, bei denen sich <strong>der</strong> Befragte<br />

an <strong>der</strong> "sozialen Erwünschbarkeit" orientiert. (Vgl. Holm 1974)<br />

4. Vermeiden Sie den Eindruck, den Befragten einer Prüfung o<strong>der</strong> eines<br />

Examens zu unterziehen.<br />

5. Unterschätzen Sie nicht die kognitive und fachliche Kompetenz des Befragten.<br />

6. Versuchen Sie nicht, sich dem Befragten zu stark zu nähern, indem Sie sich<br />

einer übergroßen Vereinfachung <strong>der</strong> Sprache bedienen. <strong>Die</strong>s kann vom<br />

Befragten als Anbie<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Herablassung empfunden werden und<br />

seine Bereitschaft zur Kooperation deutlich negativ beeinflussen.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 3<br />

Regeln für die Konstruktion von Antwortvorgaben:<br />

Bei <strong>der</strong> Verwendung geschlossener Fragen empfiehlt Scheuch auf die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Antwortvorgaben eben soviel Mühe und Zeit zu verwenden, wie für die<br />

Frageformulierung selbst.<br />

Seine Regeln für die Konstruktion von Antwortvorgaben dienen wie<strong>der</strong>um nur<br />

als "Faustregeln", um grobe Fehler zu vermeiden:<br />

<strong>1.</strong> Je mehr Antwortvorgaben Sie verwenden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

daß Sie den Befragten verwirren.<br />

2. Je komplexer Ihre Antwortvorgaben ausfallen - lange Sätze anstatt Stichworte<br />

- , desto eher müssen Sie Listenabfragen o<strong>der</strong> Karten verwenden.<br />

3. Je weniger vertraut die benutzten Antwortvorgaben dem Befragten sind,<br />

desto kürzer muß Ihre Kategorienliste (Anzahl <strong>der</strong> Vorgaben) sein.<br />

4. Achten Sie bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Antwortvorgaben darauf, daß diese Vorgaben<br />

das gesamte Spektrum möglicher Antworten abdecken.<br />

5. Je länger und je komplexer Ihre Antwortvorgaben ausfallen, desto wahrscheinlicher<br />

ist das Auftreten von Reihungseffekten. Eine Abhilfe können<br />

hierbei Kartenvorgaben darstellen, wenn bei jedem Befragten das "Kartenspiel"<br />

neu gemischt wird.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 4<br />

Regeln für die Planung eines Fragebogens<br />

Scheuch unterscheidet zwischen <strong>der</strong> Makro- und Mikroplanung des Fragebogens.<br />

Während erstere sich auf die Abstimmung <strong>der</strong> einzelnen Fragekomplexe aufeinan<strong>der</strong><br />

bezieht, legt letztere die Reihenfolge einzelner Fragen innerhalb eines<br />

Fragekomplexes o<strong>der</strong> einer Fragebatterie fest. Er definiert eine Fragebatterie "als<br />

einen Satz von Fragen, die den gleichen Ermittlungspunkt durch verschiedene<br />

Formulierungen zu klären suchen" (Scheuch 1973, S. 90)<br />

Regeln zur Mikroplanung:<br />

<strong>1.</strong> Beachten Sie bei <strong>der</strong> Festlegung <strong>der</strong> Reihenfolge den "Ausstrahlungseffekt"<br />

(halo effect). Er ist darauf zurückzuführen, daß jede Frage einen<br />

Bezugsrahmen für die ihr nachfolgende Frage setzt, wobei <strong>der</strong> Befragte<br />

sich bemüht seine Antworten möglichst wi<strong>der</strong>spruchslos zu gestalten.<br />

2. Emotional bewegende Fragen sind am ehesten geeignet den Ausstrahlungseffekt<br />

vorangegangener Fragen zu neutralisieren.<br />

3. Mit zunehmen<strong>der</strong> Entfernung von <strong>der</strong> sendenden Frage nimmt <strong>der</strong> Ausstrahlungseffekt<br />

ab. Plazieren Sie deshalb Fragen, die beson<strong>der</strong>s empfindlich<br />

für den Ausstrahlungseffekt sind, weit auseinan<strong>der</strong> im Fragebogen.<br />

4. Sequentiell aufgebaute Fragebatterien führen zu einer kumulativen Wirkung<br />

des Ausstrahlungseffekts und haben deshalb eine höhere Wirkung.<br />

Vermeiden Sie deshalb die häufige Verwendung sequentiell aufgebauter<br />

Fragebatterien.<br />

5. Je stärker eine Frage den <strong>Interview</strong>ten emotional betrifft, desto höher ist<br />

ihr Ausstrahlungseffekt. Vermeiden Sie deshalb das direkte Aufeinan<strong>der</strong>treffen<br />

von emotionalen Fragen.<br />

6. Verwenden Sie ausschließlich die Technik des "Trichterns" (funneling),<br />

indem Sie von allgemeineren zu spezielleren Themenfragen übergehen.<br />

7. Verwenden Sie seltener die Technik des "umgekehrten Trichterns" (reversed<br />

funneling), indem Sie von speziellen Sachfragen zu allgemeineren<br />

Fragen übergehen. <strong>Die</strong>se Form ist nur sinnvoll, wenn <strong>der</strong> Befragte an<br />

konkreten Beispielen in den Fragekomplex eingeführt werden soll.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 5<br />

Regeln für die Makroplanung des Fragebogens<br />

<strong>Die</strong>se Regeln dienen ebenfalls nur als Faustregeln, <strong>der</strong>en Beachtung jedoch vor<br />

manchem Fehlgriff schützen kann.<br />

<strong>1.</strong> Ordnen Sie inhaltlich wichtige Fragen im mittleren Drittel des Fragebogens<br />

an, da dort die Spannungs- / Interessenkurve des Befragten ihr Maximum<br />

erreicht.<br />

2. Ordnen Sie die Fragekomplexe eher nach psychologischen als nach rein<br />

sachlogischen Kriterien an. Hierdurch gewährleisten Sie am ehesten eine<br />

annäherungsweise natürliche Gesprächssituation.<br />

3. Beanspruchen Sie das Zeitbudget des Befragten nicht maßlos. <strong>Die</strong><br />

Schmerzgrenze bei standardisierten <strong>Befragung</strong>en liegt bei maximal 1 1/2<br />

Stunden.<br />

4. Plazieren Sie sozio-demographischen und sozio-ökonomischen Fragen am<br />

Ende des Fragebogens, da Ihre Beantwortung wenig Aufwand erfor<strong>der</strong>t.<br />

5. Plazieren Sie am Anfang <strong>der</strong> Fragebogens Einleitungsfragen, die zum<br />

"Warmwerden" zwischen <strong>Interview</strong>er und Befragten dienen.<br />

6. Führen Sie unbedingt einen Pretest (Voruntersuchung) mit erfahrenen<br />

<strong>Interview</strong>ern durch.<br />

7. Testen Sie im zweifelsfalle mehrere Versionen Ihres Fragebogenentwurfs,<br />

um die beste zu ermitteln.<br />

8. Führen Sie nach weitgehenden Abän<strong>der</strong>ungen des Fragebogenentwurfes<br />

einen weiteren Pretest durch.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 6<br />

Scheuchs Lehre vom <strong>Interview</strong>en:<br />

Scheuch unterscheidet idealtypisch drei <strong>Interview</strong>modelle, die im folgenden<br />

anhand von Verhaltensregeln charakterisiert werden:<br />

Grundannahme: Befragter antwortet nur wi<strong>der</strong>willig und gibt offensichtlich<br />

falsche Antworten.<br />

<strong>1.</strong> Modell des "weichen <strong>Interview</strong>ens" nach Rogers<br />

Regeln:<br />

<strong>1.</strong> Stellen Sie als <strong>Interview</strong>er ein enges Vertrauensverhältnis zum Befragten<br />

her, ohne sich mit seinen Ansichten zu identifizieren. D.h., versuchen Sie<br />

Einfühlungsvermögen (Empathie) zu entwickeln.<br />

2. Motivieren Sie den Befragten ständig zur Mitarbeit, indem sie ihn loben<br />

und helfend zur Seite stehen.<br />

3. Betrachten Sie den Befragten als "gleichrangigen Partner". Versuchen Sie<br />

nicht, ihn zu täuschen o<strong>der</strong> zu überlisten. ( Kooperatives <strong>Interview</strong>)<br />

4. Betonen Sie stets die Perspektive <strong>der</strong> gemeinsamen Problemlösung (Kooperatives<br />

<strong>Interview</strong>)<br />

2. Modell des "neutralen <strong>Interview</strong>s"<br />

Regeln:<br />

<strong>1.</strong> Verhalten Sie sich möglichst distanziert gegenüber dem Befragten.<br />

Entwickeln Sie keinesfalls gegenüber dem Befragten Empathie.<br />

2. Betrachten Sie die <strong>Interview</strong>situation als "reine Arbeitsbeziehung". Spielen<br />

Sie Ihre Rolle als Profi und lassen Sie sich nicht auf den Befragten ein.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 7<br />

3. Modell des "harten <strong>Interview</strong>s"<br />

Regeln:<br />

<strong>1.</strong> Nehmen Sie gegenüber dem Befragten eine möglichst autoritäre Position<br />

ein.<br />

2. Verhören Sie ihn regelrecht, indem Sie ihm auf die Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit<br />

o<strong>der</strong> Unstimmigkeiten seiner Antworten hinweisen.<br />

3. Versuchen Sie möglichst überlegen aufzutreten.<br />

Normalfall <strong>der</strong> Sozialforschung:<br />

Modifizierte Form des neutralen <strong>Interview</strong>s:<br />

<strong>1.</strong> <strong>Interview</strong>er versucht als "distanzierter Partner" zu aufzutreten.<br />

2. <strong>Interview</strong>er hilft dem Befragten als Interpret.<br />

3. <strong>Interview</strong>er versucht Interventionen von dritter Seite - Ehepartner, Freundin,<br />

Familienangehörige- zu verhin<strong>der</strong>n, da diese zu Verzerrungen führen.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 8<br />

Der <strong>Interview</strong>er als Fehlerquelle<br />

<strong>1.</strong> Scheininterviews. Der <strong>Interview</strong>er füllt den Fragebogen ohne <strong>Interview</strong><br />

aus. Abhilfe: Nachbefragung des Befragten: Hat das <strong>Interview</strong> wirklich<br />

am .. .. .. stattgefunden?<br />

2. Fälschung von <strong>Interview</strong>teilen. <strong>Interview</strong> füllt Teile des Fragebogens<br />

selbst aus. Merken Sie sich, je besser Sie die <strong>Interview</strong>er über Ihre Forschungshypothesen<br />

aufklären, desto mehr fälschen die <strong>Interview</strong>er die<br />

Antworten in <strong>der</strong> Richtung des erwarteten/unterstellten Zusammenhangs.<br />

3. Vorurteile und Meinungen des <strong>Interview</strong>ers können den Befragten beeinflussen,<br />

indem er durch Gestik, Mimik o<strong>der</strong> Erörterungen den Befragten in<br />

<strong>der</strong> von ihm präferierten Richtung manipuliert.<br />

4. Vorurteile können die Selektivität <strong>der</strong> Wahrnehmung des <strong>Interview</strong>ers bei<br />

Protokollierung offener Fragen stark beeinflussen. Hierbei tritt <strong>der</strong> sogenannte<br />

"confirmation bias" in Aktion. D.h., wir erinnern uns nur <strong>der</strong><br />

Argumente, die unsere präferierte Meinung stützen. An<strong>der</strong>e Argumente<br />

pflegen wir zu übersehen.<br />

5. Differenzen im Sozialen Status, des Geschlechts, Alters und <strong>der</strong> ethnischen<br />

Zugehörigkeit können das Antwortverhalten des Befragten stark beeinflussen.<br />

6. <strong>Die</strong> Anwesenheit dritter Personen beim <strong>Interview</strong> führt ebenfalls zu Verzerrungen<br />

im Antwortverhalten, da diese dem Befragten wi<strong>der</strong>sprechen<br />

bzw. zu schamhaften Verschweigen animieren können.<br />

7. <strong>Die</strong> unzureichende Bezahlung des <strong>Interview</strong>ers senkt deutlich seine Leistungsmotivation.<br />

Abhilfe:<br />

<strong>1.</strong> Möglichst zufällige Zuweisung von <strong>Interview</strong>ern und Befragten schließt<br />

systematische Effekte weitgehend aus.<br />

2. <strong>Interview</strong>führung über ein Computer-Assisted-Personal-<strong>Interview</strong>-Programm<br />

auf einem Notebook, bei dem <strong>der</strong> <strong>Interview</strong>er die Antworten direkt<br />

eingibt.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 9<br />

Der Befragte als Fehlerquelle:<br />

<strong>1.</strong> Unwilligkeit die Wahrheit zu sagen.<br />

2. Mangelnde Ernsthaftigkeit und wechselnde Stimmungslagen.<br />

3. Überfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gedächnisleistung bei Verhaltensfragen mit langem<br />

Zeithorizont.<br />

4. Überschätzung des Informationsstands des Befragten.<br />

5. Falsche Annahmen über den Bewußtseinsgrad <strong>der</strong> Zieldimension beim<br />

Befragten.<br />

6. Zu hohes Ausmaß an unterstellter Bereitschaft zur Selbsterforschung.<br />

7. Tendenz des Befragten bei unangenehmen Fragen "keine Angabe/keine<br />

Meinung" anzugeben bzw. anzukreuzen.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 10<br />

Regeln für die Gestaltung des Gruppeninterviews<br />

Gleichzeitige <strong>Befragung</strong> mehrerer Personen<br />

Regeln:<br />

<strong>1.</strong> Wählen Sie einen Gruppenumfang von 5 - 10 Personen.<br />

2. Achten Sie darauf, daß kein Teilnehmer die Diskussion zu sehr dominiert<br />

und die Meinungsführerschaft an sich reißt.<br />

3. Ermutigen Sie "schweigende Personen" zur aktiven Teilnahme.<br />

4. Versuchen Sie möglichst homogene Gruppen zu formieren. Vermeiden Sie<br />

große Statusunterschiede, indem sie beispielsweise Sekretärinnen mit<br />

ihrem Chef o<strong>der</strong> Studenten und ihrem Professor in jeweils eine Gruppe<br />

zusammenfassen. Nahezu egalitäre Gruppen bilden hierbei die beste Informationsquelle.<br />

5. Protokollieren sie den Verlauf <strong>der</strong> Gruppendiskussion möglichst objektiv<br />

über eine Videoaufnahme o<strong>der</strong> einen Tonbandmitschnitt, da sie zum einen<br />

als Diskussionsleiter mit <strong>der</strong> gleichzeitigen Protokollierung überfor<strong>der</strong>t<br />

sind und zum an<strong>der</strong>en ihr subjektives Gedächnisprotokoll systematische<br />

Verzerrungen im Sinne des „confirmation bias“ aufweisen kann.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 11<br />

Gültigkeit und Verläßlichkeit von <strong>Interview</strong>s<br />

Definition <strong>der</strong> Verläßlichkeit:<br />

"Unter Verläßlichkeit (reliability) versteht man vorherrschend die Stabilität eines<br />

Ergebnisses bei wie<strong>der</strong>holten Messungen bzw. die Unabhängigkeit eines Resultats<br />

von einem einmaligen Messvorgang bzw. die Reproduzierbarkeit eines<br />

Wertes unter den gewählten Versuchsbedingungen." (Scheuch 1973, S. 134)<br />

Definition <strong>der</strong> Gültigkeit:<br />

"Gültigkeit (validity) ist demgegenüber die Eigenschaft eines Ergebnisses, auch<br />

das wie<strong>der</strong>zugeben, was man bei <strong>der</strong> Interpretation von ihm glaubt, daß es dies<br />

wie<strong>der</strong>gibt." (a.a.O.)<br />

Faustregel:<br />

Ein Erhebungsverfahren kann keine größere Gültigkeit besitzen als es verläßlich<br />

ist. Umgekehrt stellt die Verläßlichkeit nur eine notwendige Bedingung aber<br />

keine hinreichende für die Gültigkeit dar.<br />

Formen <strong>der</strong> Gültigkeit: nach Cook & Campell 1977,<br />

S. 105f.<br />

- Konstruktvalidität: Gültigkeit <strong>der</strong> Operationalisierungsschritte<br />

<strong>der</strong> theoretischen Begriffe auf beobachtbare<br />

Indikatoren<br />

- Statistische Konklusionsvalidität: Gültigkeit des unterstellten "kausalen<br />

Effekts" von x auf y.<br />

- Externe Validität: Gültigkeit des Schlusses von <strong>der</strong> Stichprobe<br />

auf die Grundgesamtheit. (Problem<br />

<strong>der</strong> Verallgemeinerbarkeit)<br />

- Interne Validität: Zuverlässigkeit <strong>der</strong> Messung


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 12<br />

Regeln für die Vorhersage <strong>der</strong> Verläßlichkeit <strong>der</strong> Messung<br />

(Scheuch 1973, S. 137)<br />

"a)<br />

Wenn sich die Lage des Befragten in Bezug auf die Untersuchungsmerkmale<br />

zwischen zwei Beobachtungsperioden verän<strong>der</strong>t, dann ist die Verläßlichkeit<br />

<strong>der</strong> Angaben geringer, als wenn keine solche Verän<strong>der</strong>ung vorlag.<br />

b) <strong>Die</strong> Verzerrungen von Angaben über die Vergangenheit gehen in die<br />

gleiche Richtung wie die in <strong>der</strong> Zwischenzeit tatsächlich erfolgten Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

c) <strong>Die</strong> Größe <strong>der</strong> Verzerrungen von Angaben über die Vergangenheit ist<br />

tendenziell proportional zur Größe <strong>der</strong> inzwischen erfolgten Verän<strong>der</strong>ungen.<br />

d) Je kürzer <strong>der</strong> Zeitabstand zwischen Ereignis und Bericht darüber, um so<br />

enger die Übereinstimmung; je geringer <strong>der</strong> zeitliche Abstand zwischen<br />

zwei Angaben, um so höher die Übereinstimmung.<br />

e) Je mehr sich die Situation <strong>der</strong> Datenermittlung gleichen, desto größer ist<br />

die Übereinstimmung.<br />

f) Am höchsten ist die Konstanz von Angaben für angenehme Ereignisse; sie<br />

ist geringer für unangenehme Ereignisse und am geringsten für neutrale<br />

Ereignisse.<br />

g) Je weniger die verlangten Angaben einen Bezug zum Verhalten und zu<br />

objektiven (d.h. prinzipiell von Dritten beobachtbaren) Sachverhalten<br />

besitzen, desto ungenauer ist die Erinnerung an den vergangenen Zustand.<br />

h) <strong>Die</strong> Verläßlichkeit von Verteilungen insgesamt (Bruttoverläßlichkeit) liegt<br />

sehr viel höher als die Nettoverläßlichkeit und gibt keinerlei Aufschluß<br />

über die letztere.<br />

i) Qualitative Merkmale scheinen tendenziell stabiler als quantitative Merkmale<br />

zu sein; Angaben über das bloße Vorkommen von Ereignissen sind<br />

stabiler und speziell unabhängiger von <strong>der</strong> Person <strong>der</strong> <strong>Interview</strong>ers als<br />

Angaben über Häufigkeiten.


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 13<br />

j) Je größer die emotionale Besetzung eines Themas für den Befragten, desto<br />

stabiler die Angaben selbst angesichts verzerren<strong>der</strong> Einflüsse.<br />

k) Je marginaler die Situation des Antwortenden, desto geringer die Verläßlichkeit.<br />

Nimmt man einfache demographische Merkmale als Ausdruck <strong>der</strong><br />

"Marginalität", so ist für folgende Untergruppen die Verläßlichkeit von<br />

Angaben tendenziell geringer als durchschnittlich: extrem hohe o<strong>der</strong> niedrige<br />

Schulbildung, extrem hohes o<strong>der</strong> niedriges Berufsprestige, extreme<br />

Einkommensverhältnisse, Minoritätenkonfessionen."<br />

Allgemeine Regeln für die Einschätzung <strong>der</strong> Gültigkeit<br />

(Konstruktvalidität) nach Scheuch (1973, S. 143f.)<br />

"a)<br />

Je geringer die Beziehung einer Frage zu beobachtbaren Verhalten, um so<br />

geringer ist die Gültigkeit <strong>der</strong> Angaben.<br />

b) Je weniger man annehmen kann, daß ein Befragter bereits über eine Frage<br />

reflektiert hat, um so geringer ist die Gültigkeit.<br />

c) Je weniger bewußt dem Befragten <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Frage ist, je weniger<br />

"rational" das Verhalten ist, um so geringer ist die Gültigkeit.<br />

d) Je eher <strong>der</strong> Befragte eine Frage als Bedrohung empfindet, um so geringer<br />

ist die Gültigkeit <strong>der</strong> Antwort.<br />

e) Unterscheidet man zwischen <strong>1.</strong> Tatsachenfragen, 2. Beurteilungsfragen<br />

(d.h. solchen, bei denen <strong>der</strong> Befragte ein bewußt subjektives Urteil abgeben<br />

soll), 3. Einstellungsfragen und 4. Meinungsfragen, so ist diese Reihenfolge<br />

zugleich eine Folge abnehmen<strong>der</strong> Gültigkeit.<br />

f) Je marginaler die Position eines Antwortenden in bezug auf das Thema<br />

einer Frage und sogar den Gegenstand einer <strong>Befragung</strong>, um so geringer ist<br />

die Gültigkeit.<br />

g) Je marginaler die allgemeine soziale Position eines Befragten, um so geringer<br />

ist tendenziell die Gültigkeit <strong>der</strong> Antworten. Jedoch:


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 14<br />

h) Ungültigkeit von Antworten bei einzelnen Befragten ist überwiegend<br />

punktuell; es besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, daß ein Befragter,<br />

<strong>der</strong> bei einem Thema ungültige Antworten gab, auch zu einem an<strong>der</strong>en<br />

Thema ungültige aussagen wird. Nur ein geringer Prozentsatz <strong>der</strong> Ungültigkeit<br />

kann auf konsistent ungültige Antwortende zurückgeführt werden.<br />

i) Fragen über gegenwärtige Sachverhalte besitzen eine höhere Gültigkeit als<br />

Fragen über Vergangenheit und Zukunft, und Fragen über Vergangenes<br />

besitzen - gleicher Zeitabstand zur Gegenwart vorausgesetzt - eine größere<br />

Gültigkeit als Fragen über die Zukunft."


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 15<br />

Holms Theorie <strong>der</strong> Frage (1974)<br />

Konstitutive Regeln:<br />

<strong>1.</strong> "Man sollte versuchen für die Zieldimension «quantitative Fragen» zu<br />

formulieren. Derartige Fragen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie den<br />

Befragten dazu veranlassen, mit einer Quantität zu antworten («ich arbeite<br />

42 Stunden»), o<strong>der</strong> daß <strong>der</strong> Frage ein bestimmtes Antwortschema beigegeben<br />

wird, dessen einzelnen Kategorien Zahlen zugeordnet werden<br />

können, von denen behauptet werden darf, daß sie kardinaler Art sind".<br />

(S. 99)<br />

2. "Um die Chance zu erhöhen, daß man Fragen mit befriedigen<strong>der</strong> Treffgenauigkeit<br />

(Validität) erhält, sollte man für eine Zieldimension möglichst<br />

viele Fragen formulieren." (S.101)<br />

3. "Der Sozialforscher soll zu ermitteln versuchen, ob die Zieldimension im<br />

Persönlichkeitssystem des Befragten verbalisiert und vorformuliert vorliegt".<br />

4. "Frageformulierungen sollen möglichst kurz sein (d.h. so wenig Worte wie<br />

möglich umfassen). Vor allem sollen sie keine Worte enthalten, die mit<br />

(vermutlich) hohem Reizwert auf Fremddimensionen messen." (S.106)<br />

5. "Wenn man gezwungen wird, indirekt zu formulieren (weil die Zieldimension<br />

nicht verbalisiert ist o<strong>der</strong> weil <strong>der</strong> Befragte sonst die sozial erwünschte<br />

Antwort gibt), sollte man sich bemühen, so direkt wie möglich zu formulieren.<br />

Dadurch wird die Fremdbestimmtheit minimiert. Ist man sich<br />

nicht sicher, ob die beiden Gründe, die zur indirekten Formulierung berechtigen,<br />

vorliegen o<strong>der</strong> nicht, dann sollte man, um alle Eventualitäten zu<br />

berücksichtigen, indirekte aber auch (im Fragebogen an an<strong>der</strong>er Stelle)<br />

direkte Fragen stellen." (S.107)<br />

6. "Der Sozialforscher muß entscheiden. ob <strong>der</strong> Faktor <strong>der</strong> sozialen Wünschbarkeit<br />

eine stärkere Antwortverzerrung bewirkt als die Fremdbestimmtheit.<br />

Dann muß er indirekt so formulieren, daß dem Befragten die eigentliche<br />

Zieldimension unbekannt bleibt. Da man nie sicher weiß, ob die soziale<br />

Wünschbarkeit o<strong>der</strong> die Fremdbestimmtheit <strong>der</strong> stärker verzerrende<br />

Faktor ist, wird die beste Strategie sein, zuerst indirekte Fragen und dann<br />

(im Fragebogen weiter hinten) direkte Fragen zu stellen." (S.111)


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 16<br />

7. "Eine Frage darf nicht zu allgemein formuliert sein (schon gar nicht im<br />

Stile eines Allgemeinplatzes); sie muß noch so spezifisch-konkret formuliert<br />

sein, daß sie in den Befragten (nach Vermutung des Sozialforschers)<br />

eine eindeutige Zieldimension anspricht. Geschieht dies nicht, dann wird<br />

eine Ja-Sage-Tendenz erweckt (die hier als eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> sozialen<br />

Wünschbarkeit interpretiert wird)." (S.113)


Dr. Wolfgang Langer - IV Methoden <strong>der</strong> empirischen Sozialforschung I - SoSe 2000 18<br />

<strong>Die</strong> Empfehlungen von Edwards für die Formulierung von Items / Statements (zu<br />

bewertenden Aussagen) zur Messung einer Einstellungsdimension:<br />

Quelle: Edwards, A.L.: Techniques of Attitude Scale Construction. New<br />

York, S. 14ff.<br />

„Vermieden werden sollten Statements,<br />

<strong>1.</strong> die sich auf die Vergangenheit statt auf die Gegenwart beziehen;<br />

2. die Tatsachen beschreiben o<strong>der</strong> als Tatsachenbeschreibungen aufgefaßt<br />

werden können;<br />

3. die vom Befragten nicht eindeutig interpretiert werden können;<br />

4. die sich nicht auf die Einstellung beziehen, um die es geht;<br />

5. denen alle o<strong>der</strong> keine Befragten zustimmen.<br />

Statements sollten<br />

6. den gesamten affektiven Bereich <strong>der</strong> interessierenden Einstellung abdekken;<br />

7. einfach, klar und direkt formuliert sein;<br />

8. kurz sein und nur selten mehr als 20 Worte umfassen;<br />

9. immer nur einen vollständigen Gedanken enthalten;<br />

10. keine Worte wie „alle“, „immer“, „niemand“ und „niemals“ enthalten;<br />

1<strong>1.</strong> Worte wie „nur“, „gerade“ und „kaum“ nur in Ausnahmefällen enthalten;<br />

12. aus einfachen Sätzen und nicht aus Satzgefügen o<strong>der</strong> Satzverbindungen<br />

bestehen;<br />

13. keine Worte enthalten; die den Befragten unverständlich sein können;<br />

14. keine doppelten Verneinungen enthalten.<br />

Alle Items einer Skala sollten nur eine Dimension (z.B. eine zu messende Einstellung)<br />

erfassen, die resultierende Skala sollte also „eindimensional“ sein.“<br />

(Schnell, Hill & Esser 1999, S. 173)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!