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Handbuch Patientenverfügung

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Psychiatrischer Zwang und<br />

seine rechtlichen Grundlagen<br />

stige als auch dauerhafte Aufenthalte der Betreuten. In Verbindung mit dem Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“<br />

sind die BetreuerInnen ermächtigt, über die Art und den Ort des Wohnens der Betroffenen zu bestimmen.<br />

Wie vom oben zitierten Prof. Thieler angesprochen, ist erfahrungsgemäß häufig der Fall, dass die BetreuerInnen<br />

die von den Betroffenen ehemals eigens angemietete Wohnung auflösen und diese stattdessen in einer<br />

gemeindepsychiatrischen Einrichtung oder in einem Pflegeheim unterbringen. Wie auch in der Reportage des BR<br />

gezeigt, kann dies für die Betroffenen plötzlich erfolgen, ohne deren Einwilligung und sogar ohne Vorwarnung.<br />

Der Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“ umfasst auch die Entscheidung über eine Unterbringungsmaßnahme<br />

im Sinne des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen<br />

Gerichtsbarkeit (FamFG), Buch 7 – Verfahren in Freiheitsentziehungssachen (§§ 415 - 432) bzw. nach § 1906<br />

BGB (vgl. unten). Obliegt BetreuerInnen die „Gesundheitssorge“, können sie über medizinische Eingriffe und<br />

Behandlungen der Betroffenen (mit-) entscheiden. Dieser Aufgabenkreis ermächtigt sie insbesondere auch dazu,<br />

zwangsweise Unterbringungen in die stationäre Psychiatrie zu veranlassen. Sprich: Immer, wenn ein/e BetreuerIn<br />

meint, die/der Bevormundete sei gerade besonders „therapiebedürftig“, kann er oder sie bei Gericht beantragen,<br />

dass eine (zwangsweise) Unterbringung in der Geschlossenen inklusive der üblichen dortigen psychiatrischen<br />

Zwangsmaßnahmen zu angeblichen Heilzwecken und zur Sicherheit der Anstaltsordnung vorgenommen wird und<br />

bekommt den Antrag in der Regel auch vom Gericht genehmigt. (Weiteres dazu siehe unten.) Die „Vermögenssorge”<br />

befugt BetreuerInnen dazu, über das finanzielle Vermögen der Entmündigten zu entscheiden. Abgesehen<br />

von der grundsätzlichen menschenrechtlichen Illegalität der gesamten Zwangs-„Betreuung“ – und insbesondere<br />

Illegalität aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention – läuft z.B. die gewaltsame Unterbringung von<br />

„Betreuten“ in einer Psychiatrie in der Praxis zumeist auf Grund des Betreuungsrechts ‚legal‘ ab, während der<br />

Aufgabenkreis „Vermögenssorge“ viele Möglichkeiten bietet, sich ‚illegal‘ an vermögenden Entmündigten persönlich<br />

zu bereichern. So kann die Übernahme einer Betreuung für BerufsbetreuerInnen zu einem ausgesprochen<br />

lukrativen Geschäft werden. Aus ähnlich egoistischen Gründen gibt es Angehörige, die ihre Verwandten mit Hilfe<br />

der psychiatrischen Diagnose „Demenz“ entmündigen lassen und die amtliche „Betreuung“ selber übernehmen,<br />

um diese dann in geschlossene Anstalten abschieben zu können und ggf. derer Vermögen und Immobilien habhaft<br />

werden zu können. Der Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ gibt den BetreuerInnen die Befugnis<br />

zum stellvertretenden Umgang mit Ämtern, Behörden und Versicherungen. So kann auch in behördlichen Angelegenheiten<br />

und vor Gericht ohne die Unterschrift des Vormunds unter Umständen nichts vom Betroffenen alleine<br />

getätigt werden. Als weiterer Aufgabenkreis kann „Postkontrolle“ angeordnet werden.<br />

Die umfangreicheren Maßnahmen bedürfen einer gerichtlichen Genehmigung für ihre Umsetzung. Doch auch<br />

hierbei zeigt sich in der Praxis, dass die Vormundschaftsgerichte bzw. die sogenannten „Betreuungsgerichte“, wie<br />

sie der Gesetzgeber zum 1.9.2009 umdeklariert hat, sich genauso wie bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung<br />

(nach Psychisch-Kranken-Landesgesetzen) verhalten, d.h. den Anträgen der Psychiatrie und den ihr hörigen<br />

BetreuerInnen zum vorgeblichen „Wohl“ Folge leisten.<br />

Nach dem Celler Urteil von 2005 – Rechtsunsicherheit und neue Perspektiven:<br />

Spätestens seit dem Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Celle von 2005 (und dann seinem weiteren Urteil von<br />

2007) ist in Juristenkreisen und in der Öffentlichkeit die Rechtmäßigkeit der bisherigen Praxis der BetreuerInnen<br />

und der Gerichte infrage gestellt worden. Es besteht erhebliche Rechtsunsicherheit darüber, ob das Betreuungsgesetz<br />

tatsächlich den „BetreuerInnen“ erlaubt, in bestimmten Bereichen, wie der ärztlichen Behandlung, gegen den<br />

erklärten (sogenannten „natürlichen“) Willen der „Betreuten“ zu entscheiden sowie darüber, ob eine Behandlung<br />

mit Zwang vollzogen werden darf. 18<br />

Unter § 1906 BGB „Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung” ist in diesem Zusammenhang<br />

interessant:<br />

“(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden<br />

ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil<br />

1. aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des<br />

Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen<br />

Schaden zufügt, oder<br />

2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff<br />

notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann<br />

18 Siehe auch Wolfgang Lesting: Vollzug ohne Vollzugsrecht. Zur fehlenden gesetzlichen Grundlage des Vollzugs der zivilrechtlichen Unterbringung.<br />

In: Recht & Psychiatrie 3/2010<br />

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