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Handbuch Patientenverfügung

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Die PatVerfü<br />

bestehenden und nicht (mehr) gewollten „Betreuung“ entledigen möchte (siehe Kapitel ). Wenn ein forensisches<br />

Verfahren nach §63StGB oder §64 StGB droht, wirkt eine PatVerfü zwar unterstützend in der Verweigerung,<br />

mit einer forensischen GutachterIn zu sprechen, die Lage ist jedoch für Betroffene weitaus schwieriger. (Mehr<br />

im Kapitel „Möglichkeiten bei einem sich anbahnenden Verfahren nach §63 StGB (forensische Psychiatrie)“.)<br />

Gleichzeitig kann mit der PatVerfü auch für andere Eventualitäten als die Bedrohung durch Zwangspsychiatrie,<br />

wie z.B. den Komafall, Vorsorge getroffen werden. Sie brauchen also keine zweite <strong>Patientenverfügung</strong> dafür,<br />

sondern können alles in dieses eine Dokument eintragen.<br />

Konsequenzen bedenken<br />

Eine <strong>Patientenverfügung</strong> zu erstellen ist immer eine höchstpersönliche Entscheidung. Die mit einer <strong>Patientenverfügung</strong><br />

realisierte Selbstbestimmung bedeutet, die Verantwortung und somit auch eventuell negative Konsequenzen,<br />

die entstehen könnten, voll und alleine zu tragen. Dabei kann es auch um Fragen um Leben oder Tod gehen.<br />

Das betrifft besonders die Frage, wenn jemand mit seiner <strong>Patientenverfügung</strong> festlegen möchte, ob im Falle eines<br />

langanhaltenden Komas alle medizinischen Mittel, die der Lebensverlängerung oder -erhaltung dienen, maximal<br />

genutzt werden sollen oder nicht. Auch in Bezug auf psychiatrische Interventionen sollte sich jede/r über den<br />

eigenen Standpunkt klar werden. Was die Inanspruchnahme sogenannter psychiatrischer „Hilfen“ und „Therapien“<br />

angeht, kann man/frau unterschiedlicher Ansicht sein. Die Einen halten sie für sinnvoll, sogar wenn es sich<br />

um eine Zwangs-‚Beglückung‘ handelt. Die Anderen sind der Meinung, dass Ihnen die Psychiatrie keine wesentliche<br />

Verbesserung ihrer Lebensumstände bietet oder dass deren (vermeintliche) „Hilfen“ im Gegenteil sogar noch<br />

zusätzlich schaden und suchen sich daher nicht- psychiatrische Unterstützung für die Bewältigung ihrer Krisen<br />

und Probleme. Wer eine <strong>Patientenverfügung</strong> des Typs PatVerfü verfasst und nutzt, der/die schließt für sich sämtliche<br />

psychiatrische Zwangsmaßnahmen aus, einschließlich der unerwünschten Etikettierung mit einer psychiatrischen<br />

Diagnose. Auch wenn Sie eine PatVerfü besitzen, ist es Ihnen freilich belassen, (weiterhin) die Praxis<br />

von niedergelassenen PsychiaterInnen aufzusuchen oder auch sich freiwillig auf eine offene psychiatrische Station<br />

zu begeben, wenn Ihnen danach ist. Sie brauchen die PatVerfü in solchen Fällen nicht zu erwähnen bzw. nicht<br />

vorzuzeigen. Dies birgt jedoch Risiken: Da beides damit verbunden ist, sich dort eine „psychische Krankheit“<br />

diagnostizieren zu lassen, kann es unter Umständen passieren, dass solch eine freiwillig herbeigeführte Situation in<br />

psychiatrische Gewalt und Zwang umschlägt. Um wirklich sicher zu gehen, dass Sie nicht, ehe Sie sich versehen,<br />

„fixiert“ in der Geschlossenen liegen oder dass das, was Sie so alles im Eifer psychiatrischem Personal erzählt<br />

hatten, weiter gereicht wird, um ein Gutachten zu erstellen, mit dem versucht wird, Sie zu entmündigen, reden Sie<br />

am besten nie mit psychiatrischem Fachpersonal über sich, jedenfalls nicht im Rahmen deren Arbeit. (Weiteres<br />

zu diesem Spiel mit dem Feuer siehe Abschnitt „Zu den Risiken des freiwilligen oder genötigten Aufsuchens von<br />

psychiatrischen oder psychologischen Einrichtungen“ ab Seite Seite 36.)<br />

Eine PatVerfü kann auch, genauso wie jede andere <strong>Patientenverfügung</strong> „jederzeit formlos widerrufen werden“<br />

, so steht es im Gesetz zur <strong>Patientenverfügung</strong> § 1901a BGB, Absatz 1. Bevor Sie eine PatVerfü verfassen, ist<br />

es dennoch wichtig, dass Sie sich klar werden darüber, ob Sie psychiatrischen Zwang für sich grundsätzlich, in<br />

jeder möglichen Situation und in jeder Form ablehnen – und um das zu realisieren, ist unseres Wissens nach die<br />

PatVerfü zurzeit das einzig effektive Rechtsinstrument – oder ob es für Sie Situationen gibt, für die Sie wünschen,<br />

dass die Psychiatrie Ihnen gegenüber Zwang anwenden sollte. Wenn Sie zum Beispiel der Ansicht sind, Zwangspsychiatrie<br />

soll versuchen, Sie vor Selbsttötung zu retten, dann ist die PatVerfü nicht das Richtige für Sie. Wir als<br />

NutzerInnen der PatVerfü bestehen hingegen darauf, dass auch bei der Entscheidung zum Freitod unser Recht auf<br />

Selbstbestimmung gewahrt bleibt und hoffen, in verzweifelten Lebenssituationen einfühlsame Hilfe angeboten<br />

zu bekommen, die wir freiwillig annehmen (können). Unserer Erfahrung nach ist sogar gerade das Erleiden von<br />

psychiatrischem Zwang und seinen weiteren Folgen (Erfahrung von brutaler Gewalt bzw. Folter; Langzeitschäden<br />

durch die ungewollt eingenommenen ‚Psychopharmaka‘; soziale Folgen daraus, als „psychisch Kranke/r“ verleumdet<br />

worden zu sein) ein häufiger Grund für Menschen, sich das Leben zu nehmen oder dass Menschen, wenn<br />

sie nach einem Selbsttötungsversuch in die Psychiatrie geraten, es erst recht tun, anstatt dass sie neuen Lebensmut<br />

schöpfen. Noch eins sollten Sie in diesem Zusammenhang bedenken: „Ein bisschen Zwang“ geht nicht: Entweder<br />

Sie schließen psychiatrischen Zwang bereits mit Verweigerung von „Untersuchung/Diagnosen“ aus oder Sie lassen<br />

ihn zu und dann können Sie sich in aller Regel nicht mehr aussuchen, wann und was mit ihnen gemacht wird,<br />

denn dann ist psychiatrischer Willkür Tür und Tor geöffnet.<br />

Sollten Sie sich also zu einer PatVerfü entschließen, dann darf, um volle Freiheit vor psychiatrischem Zwang zu<br />

gewährleisten, keines der entsprechenden Elemente aus dem Muster-Formular (siehe ab Seite 52) fehlen. Wer<br />

lediglich in puncto Zwangspsychiatrie Vorsorge treffen möchte, kann Teil C) streichen. Der Rest muss so bleiben,<br />

wie er ist bzw. soll lediglich ausgefüllt werden und kann ggf. ergänzt werden (siehe unten).<br />

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