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Handbuch Patientenverfügung

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Einleitung<br />

Nach jahrelanger Diskussion ist am 18.6.2009 endlich das neue Gesetz zur rechtlichen Regelung von <strong>Patientenverfügung</strong>en<br />

verabschiedet worden und am 1.9.2009 in Kraft getreten. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurde<br />

die PatVerfü entwickelt. Mit dieser speziellen Form von <strong>Patientenverfügung</strong> wird es zur Entscheidung jedes Einzelnen,<br />

ob er/sie es in Zukunft noch weiter zulässt, als angeblich „geisteskrank“ oder „psychisch krank“ bezeichnet<br />

werden zu können oder, durch eine PatVerfü geschützt, diese Möglichkeit ausschließt. Die Besonderheit der<br />

PatVerfü ist, dass sie auch für den Psychiatriebereich Selbstbestimmung garantiert. Mit ihr wird jeglicher unerwünschte<br />

psychiatrische Eingriff in den Körper, jede Freiheitsberaubung, die sich auf eine psychiatrische „Diagnose“<br />

gründet wie auch Entmündigung mittels ungewollter Bestellung eines sogenannten „rechtlichen Betreuers“<br />

rechtsverbindlich ausgeschlossen. Die PatVerfü ist markenrechtlich geschützt, das Formular steht aber im Internet<br />

zum kostenlosen Download und zur nicht-kommerziellen Nutzung für alle Interessierten frei zur Verfügung.<br />

Die PatVerfü wird von einem Bündnis verschiedener Organisationen und von Juristen, die sich in der „Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>Patientenverfügung</strong> der Rechtsanwälte“ zusammengetan haben, herausgegeben. Zeitgleich mit der<br />

Entscheidung des Bundestags am 18.6. 2009 stellten wir unsere Internetseiten rund um die PatVerfü unter<br />

www.PatVerfü.de ins Netz. Dieser Tag der lang ersehnten Verabschiedung des <strong>Patientenverfügung</strong>sgesetzes war<br />

für uns ein Freudentag, denn seine konsequente Umsetzung bedeutet das Ende der Zwangspsychiatrie, wie wir sie<br />

kennen. Eine Unlogik besteht jedoch noch darin, dass aufgrund des Fortbestehens der psychiatrischen Zwangsgesetze<br />

(siehe das Kapitel „Psychiatrischer Zwang und seine rechtlichen Grundlagen“) psychiatrische Einmischung<br />

gegen den erklärten Willen nur durch eine <strong>Patientenverfügung</strong> des Typs PatVerfü abgewehrt werden kann und<br />

nicht umgekehrt von vornherein ausgeschlossen ist. Das ist uns Anlass, die PatVerfü mit einer breiten Informationskampagne<br />

bekannt zu machen, so dass sich mit der zunehmenden Nutzung das Schlupfloch zu einem Tor aus<br />

der Zwangspsychiatrie heraus erweitert. Wir wollen über das Gesetz zur <strong>Patientenverfügung</strong>, seine Möglichkeiten<br />

und Konsequenzen informieren und einem breiten Publikum eine konsequente Nutzung im Sinne der Selbstbestimmung<br />

ermöglichen. Wir berufen uns ausdrücklich auf die Menschenrechte.<br />

So ist auch dieses <strong>Handbuch</strong> dazu da, die LeserInnen zu bestärken, ihre durch das <strong>Patientenverfügung</strong>sgesetz<br />

gegebenen Rechte wahrzunehmen und als (künftige) NutzerInnen der PatVerfü den Umgang mit ihr zu erleichtern.<br />

Um verständlich zu machen, wie die PatVerfü funktioniert, werden zuerst die rechtlichen Grundlagen der<br />

Zwangspsychiatrie in der BRD auf den drei gesetzlichen Ebenen ausführlich beschrieben sowie die rechtliche<br />

Diskussion um Zwangsbehandlung und Zwangsunterbringung, die vor der Regelung der <strong>Patientenverfügung</strong> eine<br />

Rolle spielte, angesprochen. Die Zwangspsychiatrie unterscheidet „Menschen“ von angeblich „psychisch Kranken“,<br />

denen die Menschenrechte entzogen werden. Der Abschnitt „Zwangspsychiatrie contra Menschenrechte<br />

und UN-Behindertenrechtskonvention“ thematisiert in einem knappen Überblick die durch die Zwangspsychiatrie<br />

zugefügten Menschenrechtsverletzungen und deren Unvereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention.<br />

Gute Gründe, sich mit einer PatVerfü zu wehren, benennt finden sich auch im Abschnitt „Zwangspsychiatrie<br />

in Zahlen und die Willkür psychiatrischer „Diagnostik““: Die dort angeführten statistischen Daten zeigen über<br />

das zahlenmäßige Ausmaß der Zwangspsychiatrie hinaus auch, dass Zwangspsychiatrie Jede/n treffen kann, weil<br />

die „Diagnosen“, die Voraussetzung für Zwangsmaßnahmen sind, willkürlich und abhängig von den jeweiligen<br />

GutachterInnen sind, die sie stellen. Das Kapitel „Wille und Wohl“ beschreibt die politische Wende, die mit der<br />

Entscheidung des Bundestages für das <strong>Patientenverfügung</strong>sgesetz ihren rechtlichen Ausdruck bekommen hat: Die<br />

Zeiten, als andere – ÄrztInnen und RichterInnen – definierten, was das angeblich „objektive“ Wohl eines Menschen<br />

sei und was zu diesem angeblich „objektiven“ Wohle eines Menschen gegen dessen erklärten Willen zu<br />

unternehmen oder zu unterlassen sei, sind nun endlich Vergangenheit.<br />

Im praktischen Hauptteil des Buches werden die PatVerfü und ihre Einsatzmöglichkeiten Schritt für Schritt erklärt<br />

und darauf hingewiesen, was beim Aufsetzen der PatVerfü und für deren effektive Nutzung beachtet werden<br />

sollte. Im Abschnitt „Die gesetzlichen Grundlagen der PatVerfü im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)“ ab Seite<br />

22 sind alle für die PatVerfü wichtigen Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches als Ganzes abgedruckt.<br />

In anderen Kapiteln werden dann einzelne Passagen daraus erklärt. Das Formular der PatVerfü befindet sich im<br />

Anhang des Buches ab Seite 52. Die „Hinweise (nicht nur) für Richter, Betreuer, Psychiater“sind nicht nur<br />

für die genannten Berufsgruppen lehrreich, um zu wissen, was sie beachten müssen, um im Sinne des neuen <strong>Patientenverfügung</strong>sgesetzes<br />

zu handeln, es umzusetzen und um sich nicht gegen die Selbstbestimmungsrechte und<br />

die (körperliche) Integrität einer Person der Freiheitsberaubung und Körperverletzung strafbar zu machen – sie<br />

bieten auch für InhaberInnen einer PatVerfü weitere Verständnismöglichkeit über die Funktionsweise ihrer <strong>Patientenverfügung</strong>.<br />

Der Abschnitt „Gerichtlich bestätigt: Mit PatVerfü keine Zwangsbegutachtung!“ präsentiert ein<br />

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