Handbuch Patientenverfügung
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Psychiatrischer Zwang und<br />
seine rechtlichen Grundlagen<br />
haben, sie sollten töten oder stehlen („psychisch Kranke“) oder ob ihre Eifersucht oder Gier sie zur Tat getrieben<br />
haben („psychisch Gesunde“); ob sie mit dem Auto jemanden aus Fahrlässigkeit überfahren haben oder ob es<br />
geschehen ist, weil sie angeblich „psychisch krank“ waren (in diesem Falle interessieren andere Begründungen<br />
nicht mehr). Die strafrechtlichen Folgen sind weitreichend:<br />
§ 63 StGB „Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus“ :<br />
„Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten<br />
Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem<br />
psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt,<br />
dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er<br />
deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.”<br />
§ 64 StGB “Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ :<br />
„(1) Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im<br />
Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch<br />
begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt,<br />
weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die<br />
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge<br />
ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.<br />
(2) Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person<br />
durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor<br />
dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten<br />
abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.”<br />
Die Anstalten der psychiatrischen Forensik nach § 63 oder § 64 StGB werden – obgleich sie mit den für Gefängnisse<br />
typischen Elementen wie Überwachungsanlagen, hohe Zäunen, etc., ausgestattet sind – nicht Gefängnis,<br />
sondern Krankenhaus genannt. Auch das Einsperren dort dient angeblich in erster Linie zur „Heilung“: Die angeblich<br />
„psychisch kranken“ StraftäterInnen werden so lange vorgeblich „therapiert“ und verwahrt, bis sie von den<br />
psychiatrischen GutachterInnen als nicht mehr „gefährlich“ eingestuft werden. Es dient angeblich nicht der Bestrafung,<br />
da die zu InsassInnen Verurteilten ja angeblich gar nicht schuldfähig seien. Das hat Annelie Prapolinat in<br />
ihrer Dissertation „Subjektive Anforderungen an eine ‚rechtswidrige Tat‘ bei § 63 StGB“ 34 dazu veranlasst, die<br />
bemerkenswerte Schlussfolgerung zu ziehen, dass es sich bei den bestraften Verhaltensweisen um Irrtümer handelt,<br />
die gar nicht bestraft werden dürften.<br />
Der Aufenthalt im psychiatrischen Maßregelvollzug geht über die Haftstrafe in zwei wesentlichen Punkten hinaus:<br />
1. In der forensischen Psychiatrie werden zwangsweise Psychopharmaka verabreicht und sogenannte andere<br />
„Therapien“ aufgezwungen.<br />
2. In der Praxis fallen die Haftzeiten bei psychiatrisch entmündigten StraftäterInnen bei ein und derselben Straftat<br />
erheblich länger aus – in Jahren gerechnet kann das auch bis zum Zehnfachen sein – als für die als schuldfähig<br />
befundenen StraftäterInnen, die ihre Tat nicht wegen einer angeblichen „psychischen Krankheit“ begangen<br />
haben sollen. Die Verlängerung oder Beendigung der Haftzeit in der Forensik ist allein abhängig von der „Prognose“<br />
der psychiatrischen GutachterInnen. Die Begutachtung findet beim § 63 StGB einmal jährlich statt 35<br />
und so ist für die InsassInnen nicht absehbar, wann und ob sie überhaupt aus der Anstalt entlassen werden. 36<br />
34 Prapolinat, Annelie: Subjektive Anforderungen an eine „rechtswidrige Tat“ bei § 63 StGB: Eine kritische Würdigung der Lehre des<br />
Bundesgerichtshofes von der Unbeachtlichkeit spezifisch krankheitsbedingter Irrtümer. Saarbrücker Verlag für Rechtswissenschaften 2009.<br />
ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2004/2271/<br />
35 Die Fristen zur Überprüfung werden durch § 67e StGB wie folgt geregelt:<br />
„(1) Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu<br />
erklären ist. Es muß dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen.<br />
(2) Die Fristen betragen bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sechs Monate, in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Jahr,<br />
in der Sicherungsverwahrung zwei Jahre.“<br />
36 Hier findet sich die Parallele zur sogenannten Sicherungsverwahrung: Die Länge des Eingesperrtseins derer, die sich in Sicherungsverwahrung<br />
befinden, hängt ebenfalls von der sogenannten Prognose der GutachterInnen über ihre „Gefährlichkeit“ ab und kann eventuell lebenslang<br />
sein.<br />
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