Stagione #2 - Theater an der Wien
Stagione #2 - Theater an der Wien
Stagione #2 - Theater an der Wien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Oper im Dezember<br />
Neruda, Catán – „Il Postino“ in <strong>Wien</strong><br />
Der künstlerische Betriebsdirektor Sebasti<strong>an</strong> F. Schwarz schil<strong>der</strong>t die Entstehung <strong>der</strong> neuen Oper.<br />
Wer am Uraufführungsabend seiner Oper<br />
Il Postino vor D<strong>an</strong>iel Catán steht, könnte<br />
meinen, einen 10jährigen Buben vor sich<br />
zu haben, dem gleich <strong>der</strong> Weihnachtsm<strong>an</strong>n<br />
persönlich erscheinen soll. Seine quirlige<br />
Aufregung lässt Catán gleich um einige<br />
Jahrzehnte jünger erscheinen. G<strong>an</strong>z sicher<br />
erwartet m<strong>an</strong> in ihm nicht den erfolgreichsten<br />
lateinamerik<strong>an</strong>ischen Opernkomponisten<br />
unserer Zeit. In <strong>der</strong> Tat ist <strong>der</strong> 61-jährige<br />
vierfacher Großvater und g<strong>an</strong>z und gar<br />
nicht unerfahren im Präsentieren von<br />
Opernuraufführungen. Die hier <strong>an</strong> diesem<br />
heißen Septemberabend von <strong>der</strong> Los Angeles<br />
Opera uraufgeführte Oper Il Postino<br />
ist bereits Catáns viertes Werk für die<br />
Opernbühne.<br />
Catáns erste Oper La Hija de Rappaccini<br />
wurde 1994 in S<strong>an</strong> Diego uraufgeführt<br />
und liegt als Highlighteinspielung zusammen<br />
mit seinem Orchesterwerk Mariposa<br />
Obsidi<strong>an</strong>a bei Naxos vor. Dem Erfolg dieser<br />
von Catán als eher orchesterlastig, <strong>der</strong><br />
deutschen Tradition verpflichtet beschriebenen<br />
Oper folgte 1994 Florencia en el<br />
Amazonas. Für dieses Werk arbeitete Catán<br />
eng mit dem Autor <strong>der</strong> literarischen<br />
Vorlage Die Liebe in den Zeiten <strong>der</strong> Cholera<br />
Gabriel García Márquez zusammen. Florencia<br />
wurde bereits von einigen großen<br />
amerik<strong>an</strong>ischen Opernhäusern aufgeführt<br />
und erlebte 2006 in Heidelberg seine europäische<br />
Erstaufführung.<br />
Salsipuedes – eine schwarze Komödie – ist<br />
Catáns dritte Oper. Sie wurde zum 50. Jubiläum<br />
des Opernhauses von Houston in<br />
Auftrag gegeben. Und während m<strong>an</strong> am<br />
<strong>Theater</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> europäischen<br />
Erstaufführung von Il Postino arbeitet, ist<br />
seine nächste Oper bereits in Entstehung.<br />
Die Uraufführungsrechte für Meet John Doe<br />
hat sich bereits die Universität von Texas<br />
in Austin gesichert, die Uraufführung findet<br />
im Herbst 2012 statt.<br />
Il Postino basiert auf dem gleichnamigen<br />
Film aus dem Jahre 1994 über die fiktive<br />
Freundschaft zwischen dem Postboten<br />
Mario und dem großen chilenischen Dichter<br />
Pablo Neruda. Dabei streicht Catán in<br />
unserem Gespräch einen Satz aus dem<br />
Film hervor, <strong>der</strong> ihn beson<strong>der</strong>s inspiriert<br />
hat: „Poesie gehört nicht demjenigen,<br />
<strong>der</strong> sie schreibt, son<strong>der</strong>n demjenigen, <strong>der</strong><br />
sie nutzt.“ Nach diesem Motto bedient<br />
sich Catán für das Libretto großzügig bei<br />
Neruda und arbeitet sowohl das zu Grunde<br />
liegende Buch von Antonio Skármeta<br />
wie auch die Filmfassung von Michael<br />
Radford nach seinen Bedürfnissen um.<br />
Skármeta siedelt die Geschichte um den<br />
lernbegierigen jungen Briefträger im Chile<br />
<strong>der</strong> 1970er Jahre <strong>an</strong> und stellt damit sehr<br />
konkrete politische Bezüge her (Boykott<br />
<strong>der</strong> sozialistischen Regierung durch die<br />
USA und Westeuropa, Militärputsch gegen<br />
die Allende-Regierung 1973). Catán –<br />
wie auch <strong>der</strong> Film – wählt einen weniger<br />
konkreten Zeitraum, <strong>der</strong> die ruhigeren<br />
1950er Jahre einschließt, und damit die<br />
Möglichkeit bietet, die Geschichte in einen<br />
bedeutend weiteren politischen Kontext<br />
zu stellen und so Unrecht grundsätzlich<br />
und generell <strong>an</strong>zupr<strong>an</strong>gern. Der Film wie<strong>der</strong>um<br />
konzentriert sich vorr<strong>an</strong>gig auf<br />
die Titelfigur und nutzt die Gestalt Nerudas<br />
eher als Katalysator für die Entwicklung,<br />
das Wachstum Marios. Catán war es<br />
ein Bedürfnis, <strong>der</strong> Größe Nerudas, seiner<br />
Poesie, auch seiner politischen Bedeutung<br />
Rechnung zu tragen, ihn als gleichwertigen<br />
h<strong>an</strong>dlungs- und emotionstragenden Partner<br />
neben den Titelhelden zu stellen.<br />
Wer über seine Musik liest, trifft auf viele<br />
Vergleiche mit den großen Komponistennamen,<br />
begegnet Strawinski, Strauss ebenso<br />
wie Puccini. Catán selbst möchte seine<br />
musikalischen Wurzeln gar nicht verstecken,<br />
ist stolz auf das reiche Erbe, mit<br />
welchem ausgestattet er nun seiner sp<strong>an</strong>ischen<br />
Kultur zu Wort verhilft.<br />
„M<strong>an</strong> muss nicht musikalische Waise<br />
sein, um originell zu sein. In diesem Sinn<br />
gestehe ich gern den großen Einfluss, den<br />
die Meister von Monteverdi bis Alb<strong>an</strong><br />
Berg auf meine musikalische Bildung<br />
hatten.“ G<strong>an</strong>z bewusst hätte er sich zum<br />
Studium dieser Vorbil<strong>der</strong> nach Europa begeben.<br />
So studierte er zunächst Philosophie<br />
und Musik <strong>an</strong> den Universitäten von<br />
Sussex und Southampton in Engl<strong>an</strong>d, bevor<br />
er 1977 nach weiterführenden Studien<br />
in Musiktheorie und Komposition <strong>an</strong><br />
<strong>der</strong> Princeton University zum Doktor <strong>der</strong><br />
Musik promovierte. Mittlerweile ist er US-<br />
Bürger, lebt mit seiner Frau, einer Harfenistin,<br />
in Pasadena und ist so, teils aufgrund<br />
<strong>der</strong> Nähe zum Heimatl<strong>an</strong>d, teils bedingt<br />
durch den großen lateinamerik<strong>an</strong>ischen<br />
Anteil <strong>der</strong> Bevölkerung Kaliforniens, seiner<br />
Sprache und Kultur weiterhin eng verbunden.<br />
Überhaupt sei das Zusammenspiel<br />
von Sprache und Kultur für ihn sehr bedeutend.<br />
Es sei wie beim Film, meint Catán.<br />
Die deutsche Synchronisierung eines<br />
sp<strong>an</strong>ischen Films macht diesen nicht zu einem<br />
deutschen Film. Der Film tr<strong>an</strong>sportiert<br />
eine Kultur, eine Geschichte, die unverkennbar<br />
sp<strong>an</strong>isch bleiben wird. Wie viel<br />
intensiver wird jedoch diese Kultur wahrgenommen,<br />
wenn m<strong>an</strong> dem Film in <strong>der</strong><br />
Originalsprache folgen k<strong>an</strong>n, Sprachmelodien,<br />
Idiome, Dialekte ihn bereichern, das<br />
Erleben von Kultur vertiefen. „Mittlerweile<br />
gibt es vier sp<strong>an</strong>ischsprachige Opern unter<br />
meinem Namen. Nun k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> beginnen<br />
zu verstehen, welche Aspekte <strong>der</strong><br />
sp<strong>an</strong>ischen Kultur ich vermitteln möchte.“<br />
Vor Freude über die Teilnahme des Arnold<br />
Schoenberg Chores stiegen ihm die<br />
Tränen in die Augen und vor Glück über<br />
die Tatsache, dass eines seiner Werke nun<br />
im traditionsreichen <strong>Theater</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />
aufgeführt würde, möge ihm schier das<br />
Herz zerspringen – so D<strong>an</strong>iel Catán im<br />
Gespräch. Nun, auch auf diese Gefahr<br />
hin haben wir den Komponisten zur<br />
Premiere von Il Postino nach <strong>Wien</strong> eingeladen<br />
und werden Sorge tragen, dass gen<strong>an</strong>nte<br />
Freude und Glück eher als Inspiration<br />
für eine weiterhin fruchtbare Arbeit<br />
dienen mögen.<br />
8