196006.pdf
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Erich Breitling<br />
Die Normung und ih re Entwicklung<br />
Täglich begegnen uns zwei Hauptgruppen<br />
von Normen: die Naturnormen<br />
und die Kunstnormen. Unter<br />
Naturnormen versteht man alle uns<br />
von der Natur bekannten unveränderlichen<br />
Begriffe; so den Tag, die<br />
Gezeiten, den Frühling, den Sommer,<br />
den Herbst und den Winter. Dieses<br />
sind unveränderliche, feste Begriffe,<br />
somit Normen.<br />
Die Kunstnormen dagegen sind von<br />
Menschenhand gemacht; sie sind veränderlich<br />
und sollen sich immer den<br />
jeweiligen Verhältnissen anpassen.<br />
Hierunter fallen auch die DIN-Normen.<br />
Der Deutsche Normenausschuß<br />
hat für das Wort "Normen" folgende<br />
Begriffsfestlegung getroffen:<br />
Norm en sind Gebräuche oder Festlegungen<br />
zur Ordnung des menschlichen<br />
Gemeinschaftslebens.<br />
Es gibt Normen der Sitte, des<br />
Rechts, der Wissenschaft, der Technik,<br />
des Wirtschaftslebens, der Verwaltung<br />
usw. Unsere Sprache, der<br />
Buchstabe, die Zahl, die Normaluhrzeit,<br />
die Festlegung des Tages in<br />
24 Stunden, das Meter, das Kilo usw.<br />
sind Normen. Diese für uns so selbstverständlichen<br />
und eindeutigen Begriffe<br />
hat es nicht immer gegeben.<br />
Menschen haben diese Begriffe in<br />
Form von Normen festgelegt.<br />
Heute sind ,es ,die DIN-Normen,<br />
die uns am meisten interessieren,<br />
obwohl vor den DIN-Normen die<br />
Werksnormen eine nicht zu unterschätzende<br />
Bedeutung hatten. Mit<br />
dem Beginn der Industrialisierung,<br />
zu einer Zeit, wo James Watt die<br />
Dampfmaschine erfand und ein<br />
Franz Haniel Dampfschiffe auf dem<br />
Rhein fahren ließ, im Ruhrgebiet<br />
Kohlengruben entstanden, erkannten<br />
Männer wie Krupp, Borsig, Thyssen<br />
u. a., daß man nur rationell arbeiten<br />
könne, wenn man den Gedanken der<br />
Vereinheitlichung ausbaute.<br />
G emeinschaftsarbeit<br />
Bei der Generalüberholung einer<br />
Lokomotive, etwa alle fünf bis acht<br />
Jahre, wird diese vollständig auseinandergenommen,<br />
so daß dieser Koloß<br />
sich im Laufe unzäJhliger Arbeitsgänge<br />
schließlich in etwa 15000 Einzelteile<br />
auflöst, die alle überprüft,<br />
ergänzt, gemessen, ausgewechselt und<br />
schließlich wieder zu einer Lokomotive<br />
zusammengefügt werden, die<br />
dann mit eigener Kraft das Werk<br />
verläßt. Um alle diese unzähligen<br />
AI1beitsgänge ausführen zu können,<br />
stehen Hunderte teilweise modernste<br />
Werkzeugmaschinen in dem Raum,<br />
an denen Tausende von Händen<br />
gleichzeitig schaffen. Das bis ins<br />
kleinste durchor,ganisierte Zusambuches<br />
im Jahre 1869 war der Schritt<br />
zur Gemeinschaftsarbeit getan. Obwohl<br />
sich in der Folgezeit noch die<br />
verschiedensten Fachgruppen zu Vereinen<br />
und Verbänden zusammengeschlossen<br />
haben und manche Erkenntnisse<br />
gesammelt werden konnten,<br />
brachte der erste Weltkrieg -<br />
hervorgerufen durch die Not - die<br />
Einsicht zur Gründung des Deutschen<br />
Normenausschusses mit dem Ziel der<br />
Vereinhei tlichung.<br />
Man kann es heute kaum glauben,<br />
daß es im ersten Weltkrieg nicht<br />
möglich war, Gewehrmunition verschiedener<br />
Fabrikationsfirmen untereinander<br />
in verschiedenartigen Gewehren<br />
zu verwenden. Ausgefallene<br />
Geschütze, Fahrzeuge und sonstige<br />
Geräte konnten nur in den Herstellerfirmen<br />
repariert werden. Eine Reparatur<br />
hinter der Front war unmöglich.<br />
Im Jahre 1915 wurde der<br />
27jährige Unteroffizier Schächterle<br />
mit der Aufgabe betraut, Lehren für<br />
die Austauschbarkeit der Munition<br />
und Gewehrteile zu entwickeln.<br />
Idee w ird Wirkli chkeit<br />
Als eifriger Verfechter des Normalisierungsgedankens<br />
war Schächterle<br />
Im Lok-Sanatorium<br />
(Fortsetzung von Seite 12)<br />
Bei dieser Ausbesserung geht es<br />
aber nicht nur um die Behebung von<br />
offensichtlichen Schäden - es geht<br />
vor allem um die Erhaltung des Materials<br />
und die Verkehrssicherheit.<br />
Nicht allein der Mensch braucht<br />
alljährlich eine gründliche Dberholung.<br />
Genauso geht es mit dem<br />
rollenden Material bei der Eisenbahn,<br />
das einem ständigen Verschleiß und<br />
einer dauernden Abnützung ausgesetzt<br />
ist. Tagaus - tagein, Sommer<br />
und Winter, bei Hitze und Kälte, in<br />
glühender Sonne und bei strömendem<br />
Regen, legt es täglich oft viele Hunderte<br />
von Kilometern zurück. Schon<br />
allein die Tatsache eines monate- und<br />
jahrelangen ständigen Gebrauches<br />
macht in regelmäßigen Abständen<br />
eine gründliche Durchsicht und Kontrolle<br />
aller beanspruchten Teile notwendig.<br />
So kommen Lokomotiven<br />
und Wagen nach einer bestimmten<br />
Anz;ahl von Fahrkilometern in ein<br />
Sanatorium, das in der nüchternen<br />
Sprache der Fachleute Eisenbahnausbesserungswerk<br />
heißt.<br />
In der Bundesrepublik gibt es 43<br />
solcher Werke. Von ihrem Vorhan-<br />
Aus dieser Erkenntnis entstanden<br />
die Werksnormen, die aus Gründen<br />
der Konkurrenz als Geheimdokumente<br />
behandelt wurden. Leider hat<br />
man viel später erkannt, daß die<br />
Industrie erst richtig zur Entfaltung<br />
kommen konnte, wenn sich die Unternehmer<br />
zu re~en Austauschgesprächen<br />
an einen Tisch setzten.<br />
Mit der Gründung des Vereins<br />
Deutscher Ingenieure im Jahre 11\56<br />
und mit der Herausgabe des Profildensein<br />
oder ihrer Tätigkeit merkt<br />
der Reisende fast nichts. Für ihn ist<br />
es selbstverständlich, daß der fahrbereite<br />
Zug pünktlich am Bahnsteig<br />
steht, wenn er seine Reise antreten<br />
will. Von der Eisenbahn kennt er nur<br />
die Bahnhöfe, die Lokomotiven und<br />
Wagen sowie die Bahnbeamten, mit<br />
denen er unmittelbar zu tun hat. Was<br />
sich hinter den Kiulissen des Eisenbahnbetriebes<br />
abspielt, damit der<br />
Zugverkehr reibungslos und mit<br />
einem Höchstmaß an Sicherheit<br />
klappt, davon ahnt er kaum etwas.<br />
menspiel all dieser einzelnen Arbeitsgänge<br />
durchzieht die Hallen als das<br />
Hohelied der Arbeit.<br />
Das Werk ist eine Maschinenbauund<br />
Elektrofabrik, und seine Fertigungsgebiete<br />
reichen von der Feinmechanik<br />
in der Instrumenten- und<br />
Schaltwerkreparatur bis zur Schwerindustrie<br />
im Kesselbau. Es unterscheidet<br />
sich von einem anderen Betrieb<br />
der eisenschaffenden Industrie<br />
nur dadurch, daß es keine neuen<br />
Gegenstände erzeugt, sondern die<br />
Fahrzeuge der Bundesbahn planmäßig<br />
überholt.<br />
Im Laufe von fünfundzwanzig Jahren<br />
haben z. B. fast 25 OOO ~Dampflokomotiven<br />
ein solches Werk durchlaufen.<br />
Dazu kommen noch 8000 elektrische<br />
Lokomotiven und 2000 elektrische<br />
Triebwagen, und die 250 000<br />
in dieser Zeit reparierten Güterwagen<br />
ergeben, aneinandergereiht,<br />
einen Zug von Paris bis Moskau.<br />
Die Eisenbahnausbesserungswerke<br />
der Deutschen Bundesbahn sind die<br />
Sanatorien des rollenden Materials,<br />
d:e den gesamten Lokomotiv- und<br />
Wagenpark in bestem Zustand halten<br />
und die größte Sicherheit für Mensch<br />
und Ladegut garantieren.<br />
Joachim Senckpiel<br />
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