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P.T. MAGAZIN 02/2013

Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung

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Über den Autor<br />

n Prof. Dr. Walter Simon, 1995 bis<br />

20<strong>02</strong> an der Hochschule Rhein-<br />

Main | Lehrstuhl für Unternehmensführung<br />

tätig, schrieb 200<br />

Artikel und 20 Bücher zu gesellschafts-<br />

und personalpolitischen<br />

Themen, mit Focus auf Arbeit<br />

und Führung.<br />

Gesellschaft<br />

Sozialkritik versus Kulturkritik<br />

Die Transformation der Industrie- in eine<br />

dienstleistende Wissensgesellschaft,<br />

Arbeitslosigkeit und ein wenig attraktiver<br />

Mitgliedernutzen sind nicht allein<br />

die Ursache für den Mitgliederschwund.<br />

Eine moderne und finanziell unterfütterte<br />

Personalpolitik unterhöhlte nach<br />

1970 die argumentative Basis für die von<br />

links kommende Kritik. Neue Human-<br />

Ressources-Strategien haben die<br />

Mio.<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Gewerkschaften regelrecht überrumpelt.<br />

Wie stark diese neuen Strategien<br />

wirkten, zeigt die Studie „Der Neue Geist<br />

des Kapitalismus“ (L. Boltanski, E. Chiapello;<br />

1999), wonach sich der Kapitalismus<br />

zwischen 1970 und 1990 neu erfunden<br />

habe. Konzerne wandelten sich von<br />

zentralisierten, integrierten zu schlanken,<br />

atmenden Unternehmen. Vorausgegangen<br />

waren die 1968er-Bewegung<br />

und die sozialen Konflikte, die den Kapitalismus<br />

ideologisch in die Defensive<br />

drängte. Wegen seines sich aus der Profitnotwendigkeit<br />

ergebenden Makels<br />

ist dieser ständig gezwungen, sich zu<br />

legitimieren; mit jenen Menschen, die<br />

ihn durch ihre Arbeit überhaupt erst<br />

realisieren, einen Konsens zu schaffen.<br />

Dieses Einvernehmen war Anfang<br />

der 1970er Jahre gefährdet. Ein neues<br />

Modell war nötig: Als Kräfte der Sozialkritik<br />

mussten Gewerkschaften und<br />

katholische Kirche<br />

Mitgliederschwund im Vergleich 2001-2011: Katholische Kirche evangelische (»KK«), Evangelische Kirche<br />

Kirche in Deutschland (EKD), Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), DGBSPD und CDU<br />

30<br />

0,8<br />

0,7<br />

0,6<br />

0,5<br />

»KK« 24.47 Mio<br />

EKD 23.62 Mio<br />

DGB 6.15 Mio<br />

SPD 489 638<br />

CDU 489 896<br />

2001 20<strong>02</strong> 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Jahr 2011<br />

SPD<br />

Quelle: www.ekd.de, www.dgb.de, www.statista.com, www.dbk.de (Stand 2011)<br />

CDU<br />

Linksorganisationen der Wind aus den<br />

Segeln genommen; als Verantwortungsträger<br />

mussten Gewerkschaften in das<br />

Gesellschaftssystem integriert und sozialpolitische<br />

Zugeständnisse gemacht<br />

werden.<br />

Neben der von den Gewerkschaften<br />

getragenen Sozialkritik existierte die<br />

den Medien, der Literatur, Wissenschaft<br />

und Kunst entstammende Kulturkritik.<br />

Sie transportierte andere Inhalte als die<br />

Sozialkritik. Während es letzterer um<br />

Verteilungsgerechtigkeit, Armutsbekämpfung<br />

und soziale Sicherheit ging,<br />

forderte die Kulturkritik Reformen in<br />

Richtung Eigenverantwortung, Respekt,<br />

Kreativität, Authentizität, Selbstentfaltung<br />

und Sinnhaftigkeit. Dieses Gedankengut<br />

fiel auf fruchtbaren Boden und<br />

fand in der Gesellschaft viel Resonanz.<br />

Erfahrungen mit dem real existierenden<br />

Sozialismus führten auch Linksintellektuelle<br />

in das Lager der Kulturkritik.<br />

Der Kapitalismus „erkannte“, dass<br />

sich die Kulturkritik eignete, der Sozialkritik<br />

ihre Kraft und Wirkung zu<br />

nehmen und sich neu zu legitimieren.<br />

Forderungen intellektueller Kulturkritiker<br />

fanden Eingang in das Schriftgut<br />

von Management-Vordenkern wie<br />

Peter Drucker oder Alvin Toffler. Diese<br />

erkannten schnell, dass Selbstentfaltung,<br />

Sinnhaftigkeit und Autonomie<br />

neue Produktivitätsquellen sein können,<br />

um dem Kapitalismus der verkrusteten<br />

Familienbetriebe der 1960er Jahre ein<br />

„menschliches Antlitz“ zu geben. Der<br />

Kapitalismus griff also die Forderungen<br />

und Wünsche nach vernunftbasierten<br />

Arbeitsformen auf. Das Neo-Management<br />

wurde zur Vorhut einer Revolution<br />

von oben. Der Kapitalismus hatte seine<br />

Kritiker gefressen (M. Hartmann, 2003).<br />

Integration oder Ausgrenzung?<br />

Die Hauptprobleme der deutschen<br />

Gewerkschaften sind externer Herkunft.<br />

Ein Gemisch aus ökonomischen und<br />

sozio-kulturellen Herausforderungen<br />

erfordert Anpassungen, zu denen sie<br />

bisher nicht in der Lage waren und<br />

wohl auch in Zukunft nicht sein werden.<br />

Deutschlands Industriegewerkschaften<br />

sind Relikte des Industriezeitalters.<br />

Industriearbeiter sind der „Vermögenskern“<br />

der Gewerkschaftsorganisationen.<br />

Sie ermöglichen dank ihrer Beiträge<br />

Arbeitskämpfe zur Durchsetzung von<br />

Lohnforderungen. Daraus resultiert ein<br />

legitimer Anspruch, auf Entscheidungen<br />

Einfluss zu nehmen. Diese innergewerkschaftliche<br />

Mehrheitsgruppe, ist<br />

gesamtwirtschaftlich in der Minderheit,<br />

bestimmt aber über Form, Inhalt und<br />

Richtung ihrer Gewerkschaft. Da bleibt<br />

wenig Raum für Teilzeitbeschäftigte<br />

oder gar Arbeitslose. Die Interessen der<br />

Arbeitsplatzbesitzer stehen über denen<br />

der Erwerbssuchenden.<br />

Ausblick<br />

Um 2030 herum werden unsere Gewerkschaften<br />

zahnlosen Tigern gleichen.<br />

Die benannten Probleme sind Gegenstand<br />

wissenschaftlicher Studien und<br />

der innergewerkschaftlichen Diskussion.<br />

An Empfehlungen mangelt es nicht.<br />

Trotzdem scheint der Eunucheneffekt<br />

zu wirken. Man weiß zwar, wie es gehen<br />

könnte, aber man kann es nicht. Eine wie<br />

auch immer geartete Langfristlösung<br />

des gewerkschaftlichen Schrumpfungsprozesses<br />

wird an kurzfristigen Individualinteressen<br />

der Funktionsträger, an<br />

leeren Kassen und an inter- und intraorganisatorischen<br />

Widersprüchen scheitern.<br />

Es steht schlecht um die Zukunft<br />

dieser verdienstvollen Traditionsorganisationen<br />

der Arbeiterbewegung. Industriegewerkschaften<br />

werden sich auf<br />

wenige Großunternehmen beschränken<br />

und tendenziell den Charakter von<br />

Betriebsgewerkschaften annehmen.<br />

Teilzeitarbeiter und Freiberufler passen<br />

nicht in das Korsett. Aus der IG Metall<br />

wird IGM-Daimler, IGM-Volkswagen<br />

oder IGM-Thyssen werden. Dafür sorgen<br />

auch Betriebsräte, wie im Streitfall<br />

Porsche/Volkswagen sichtbar wurde. Die<br />

Erfahrung zeigt, dass Krisenzeiten für<br />

Gewerkschaften nie gute Zeiten sind. In<br />

den letzten beiden Großkrisen – Finanzkrise<br />

ab 2007, Staatsschuldenkrise im<br />

Euroraum ab 2009 – gehörten sie nicht<br />

zu den Gewinnern. Ob und inwieweit<br />

sich hierdurch die Arbeitsbeziehungen<br />

zum Nachteil der Arbeitnehmer verschlechtern,<br />

bleibt abzuwarten. Man<br />

darf die prekären Arbeitsverhältnisse bei<br />

Schlecker und Takko nicht auf Branchen<br />

und Betriebe übertragen, die im Sog<br />

der Wissensökonomie auf hochkarätige<br />

Facharbeiter, Techniker und Ingenieure<br />

angewiesen sind. Hier gilt: Wer attraktive<br />

Mitarbeiter haben will, muss attraktive<br />

Arbeitsverhältnisse bieten. n<br />

Walter Simon<br />

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16 P.T. <strong>MAGAZIN</strong> 2/<strong>2013</strong><br />

SANGERHAUSEN<br />

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