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Einsichten 2 - Ludwig-Maximilians-Universität München

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Nr. 2/2013<br />

<strong>Einsichten</strong><br />

Der Forschungsnewsletter<br />

<strong>Ludwig</strong>-<strong>Maximilians</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>München</strong><br />

Bildungssystemkritik<br />

sicht gewaltige Auswirkungen: „Es gibt einen enorm starken<br />

sozioökonomischen Einfluss auf die Schulwahl.“<br />

Wenn Ludger Wößmann darüber spricht, in welchem Ausmaß die<br />

Schulkarriere eines Kindes in Deutschland von seinem Elternhaus<br />

abhängt, wird der nüchterne Wissenschaftler fast ein wenig<br />

emotional. Ein Fakt sei „sehr sauber gemessen“, erklärt er: Wenn<br />

man Kinder, die über die gleichen kognitiven Fähigkeiten verfügen,<br />

vergleicht, zeigt sich ein klares Bild: Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

ein Akademikerkind aufs Gymnasium geht, ist viermal so hoch wie<br />

bei einem Arbeiterkind. „Nicht um vier Prozent höher, sondern<br />

viermal höher!“ setzt Wößmann nach, um diese Diskrepanz zu<br />

betonen, die in Deutschland so groß ist wie in kaum einem anderen<br />

entwickelten Land.<br />

Doch es gebe ein vergleichsweise einfaches Mittel, mit dem sich<br />

dieses Ungleichgewicht verringern ließe. Im internationalen Vergleich<br />

zeigt sich: Je später Kinder auf verschiedene Schularten<br />

aufgeteilt werden, desto geringer ist der Einfluss der Herkunft<br />

auf die letztlich erzielten Bildungsleistungen. Dieses Mittel gegen<br />

soziale Segregation in der Praxis anzuwenden, sei hierzulande<br />

aber kaum durchsetzbar, räumt Wößmann mit einem Anflug von<br />

Resignation in der Stimme ein: „In Deutschland heißt es immer,<br />

das wäre der Untergang des Abendlandes. Dabei macht fast das<br />

gesamte Abendland das schon lange so.“ Gesamtschulen anzubieten,<br />

ändert seiner Ansicht nach allerdings nichts am Grundproblem.<br />

„Dann haben Sie zwei oder drei Schularten, bei denen<br />

die Kinder früh aufgeteilt werden – und daneben eine vierte<br />

Schulart, bei der die Kinder länger zusammenbleiben. Das bringt<br />

fürs Gesamtsystem gar nichts.“<br />

Wobei er immer wieder betont: Als Wissenschaftler gehe es ihm<br />

nicht darum, was er persönlich für richtig oder gerecht hält. Er<br />

untersucht nur die Frage, wie sich vergleichbare Chancen für<br />

Kinder unterschiedlicher Herkunft herstellen lassen. „Wenn wir<br />

sagen, dass gerechte Bildungschancen ein politisches Ziel sind –<br />

und das sagen ja alle Parteien – dann muss man einfach feststellen:<br />

Eine frühe Aufteilung passt damit nicht zusammen.“<br />

Gerade wenn es um die Verteilung von Chancen geht, ist Wößmann<br />

mit aktuellen politischen Entscheidungen ausgesprochen<br />

unzufrieden. Die Einführung des Betreuungsgeldes hält er für<br />

„kontraproduktiv“. Denn eine Erkenntnis sei durch internationale<br />

Studien empirisch bestens abgesichert: Je jünger Kinder sind,<br />

desto mehr profitieren sie von Förderung. Übertragen auf das<br />

deutsche Betreuungsgeld heiße das: „Wenn das Bildungsbürgertum<br />

Kleinkinder zuhause betreut und nicht in eine Kita bringt,<br />

Die Chancen, aufs Gymnasium zu gehen und das Abitur zu machen,<br />

sind selbst bei gleichen Fähigkeiten höchst ungleich verteilt.<br />

macht das keinen großen Unterschied; viele dieser Kinder bekommen<br />

wahrscheinlich hier wie dort Anregungen. Aber das<br />

Kind einer alleinerziehenden Langzeitarbeitslosen könnte von<br />

einer guten Kita möglicherweise wirklich profitieren. Doch für<br />

die Mutter sind 150 Euro richtig viel Geld.“<br />

Wößmann ist sich bewusst, dass die Debatte sehr heikel und<br />

emotionsgeladen ist. Es liegt ihm fern, Eltern der sogenannten<br />

„bildungsfernen Schichten“ vorzuwerfen, dass nicht auch sie das<br />

Beste für ihre Kinder wollten. Doch die Studienlage sei eindeutig:<br />

„Das sind genau die Kinder, für die die frühkindliche Bildung<br />

extrem wichtig wäre. Deswegen wird das Betreuungsgeld so<br />

extrem kontraproduktiv wirken.“ Natürlich müsse man einige<br />

Jahre warten, wenn man diese Vermutung empirisch prüfen wollte.<br />

Doch der Bildungsökonom ist sicher, dass seine Prognose in jedem<br />

Fall bestätigt würde: „Das ist eine superleichte Vorhersage.“<br />

Gewaltige Verluste<br />

Warum beschäftigt sich eigentlich ein Volkswirt so intensiv mit<br />

Themen der Bildungspolitik? Wößmann muss nicht zögern, um<br />

diese Frage zu beantworten. Wenn Kinder und Schüler ihre Möglichkeiten<br />

nicht entfalten können, ist das ganz allgemein ein Verlust<br />

für die Gesellschaft. Es ist aber auch ein Verlust, der sich<br />

ökonomisch beziffern lässt. Aus internationalen Vergleichen lässt<br />

sich ein Zusammenhang ableiten zwischen den Leistungen der<br />

Schüler eines Landes auf der einen Seite – und dem Wachstum<br />

der Wirtschaftsleistung pro Kopf auf der anderen Seite. „Dieser<br />

Zusammenhang ist ganz eindeutig und lässt sich auch immer<br />

wieder bestätigen“, betont Ludger Wößmann. In einem nächsten<br />

Schritt lasse sich daher beziffern, welche Verluste es für eine<br />

Volkswirtschaft bedeutet, wenn Schüler über bestimmte Fähigkeiten<br />

nicht verfügen. Und diese Verluste können gewaltig sein.<br />

Die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der 15-jährigen in<br />

Deutschland beim Rechnen nicht über das Niveau der Grundschule<br />

hinauskomme, mindere die deutsche Wirtschaftsleistung<br />

<br />

Seite 11 Nr. 2/2013

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