Einsichten 2 - Ludwig-Maximilians-Universität München
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Nr. 2/2013<br />
<strong>Einsichten</strong><br />
Der Forschungsnewsletter<br />
<strong>Ludwig</strong>-<strong>Maximilians</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>München</strong><br />
Bildungssystemkritik<br />
Wie muss eine leistungsfähige Bildung aussehen? Über kaum eine andere Frage wird in Deutschland<br />
so leidenschaftlich gestritten. Der Ökonom Ludger Wößmann untersucht sie ganz emotionslos – mit<br />
manchmal unbequemen Erkenntnissen.<br />
Von Nikolaus Nützel<br />
aus diesem Grund viele Schüler bei privaten Trägern angemeldet<br />
werden. Dann zeigen die Daten genau das entgegengesetzte Ergebnis:<br />
hoher Privatschulanteil, insgesamt gute Leistungen.<br />
Wenn Schüler sich nach ihren Möglichkeiten entfalten können, ...<br />
„Ein hoher Anteil an Privatschulen ist gut für das Bildungssystem.“<br />
In Deutschland, mit seinem traditionell sehr staatsorientierten<br />
Schulsystem, kann man mit einer solchen knappen Aussage<br />
ruckzuck ausgesprochen lebhafte Diskussionen befeuern. Ludger<br />
Wößmann hält allerdings nicht sehr viel von Debatten, die sich<br />
nicht um empirische Erkenntnisse kümmern. Er möchte belegbare<br />
Zusammenhänge aufzeigen. Bei der Frage, welchen Einfluss<br />
der Privatschulanteil auf die Leistungsfähigkeit eines Bildungssystems<br />
hat, ist es allerdings nicht ganz einfach, zu objektiven<br />
Befunden zu kommen. Wößmann holte sich daher Hilfestellung<br />
von einer ungewöhnlichen Stelle: von katholischen Kirchenvätern<br />
des 19. Jahrhunderts.<br />
Eine gewisse Kreativität sei gefragt, wenn man ein Bildungssystem<br />
sauber untersuchen wolle, erklärt Wößmann, Professor<br />
für Volkswirtschaftslehre an der LMU und Bereichsleiter am<br />
Münchner ifo Institut. Denn die Gefahr ist groß, plausible Vermutungen<br />
für wissenschaftliche Erkenntnisse zu halten. Doch es<br />
gilt hier, was in allen Wissenschaften gilt: Was plausibel ist, ist<br />
nicht unbedingt korrekt. Wer etwa herausfinden möchte, ob ein<br />
hoher Anteil von Privatschulen gut für die Leistungsfähigkeit des<br />
Bildungssystems eines Landes ist, darf eines nicht machen: Den<br />
Prozentsatz privater Träger und die Ergebnisse eines Landes in<br />
internationalen Bildungs-Vergleichsstudien in eine einfache<br />
Korrelation bringen. Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die<br />
diesen Zusammenhang grob verzerren können.<br />
Ludger Wößmann und seine Mitarbeiter haben sich deshalb auf<br />
die Suche nach einem „natürlichen Experiment“ gemacht. Das<br />
heißt, sie haben nach einem Faktor gesucht, der den Anteil privater<br />
Schulträger in verschiedenen Ländern beeinflusst, ohne dass<br />
dieser Faktor etwas mit klassischer Bildungspolitik zu tun hätte.<br />
Fündig wurden die Forscher, als sie auf eine Entscheidung stießen,<br />
die die römisch-katholische Kirche im 19. Jahrhundert getroffen<br />
hat. Sie wollte damals dafür sorgen, dass überall dort, wo die<br />
staatlichen Bildungssysteme eine stark laizistische Ausrichtung<br />
hatten, ein Angebot an katholische Familien gemacht wird, ihre<br />
Kinder auf kirchliche Privatschulen zu schicken.<br />
Die Intensität des Wettbewerbs zählt<br />
Papst Pius IX veröffentlichte 1864 eine Liste von Irrtümern, denen<br />
gute Katholiken nicht erliegen sollten. In diesem Syllabus errorum<br />
wurde auch aufgezählt, dass Christen ihre Kinder nicht guten<br />
Gewissens auf kirchenferne Schulen schicken könnten. In der<br />
Folge wurden in vielen Ländern neue Schulen in kirchlicher<br />
Träger schaft gegründet. Diese Privatschul-Gründungswelle in<br />
vielen europäischen Ländern hatte also nichts mit der Leistungsfähigkeit<br />
des Bildungssystems zu tun, weder mit der damaligen<br />
noch mit der heutigen.<br />
Auf diese Weise hatten Wößmann und seine Kollegen einen<br />
exogenen Faktor für den Anteil privater Träger in verschiedenen<br />
Ländern identifiziert. Indem sie diesen Faktor mit anderen Einflüssen<br />
gegenrechneten, konnten sie Verzerrungen aus dem<br />
Ländervergleich herausfiltern und das Ergebnis bestätigen, das<br />
sie vermutet hatten: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen<br />
der Intensität des Wettbewerbs zwischen öffentlichen und<br />
privaten Trägern in einem Schulsystem und der Leistungsfähigkeit<br />
dieses Systems.<br />
Wenn das öffentliche Schulsystem besonders schlecht ist, und<br />
deswegen viele Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken, kann<br />
das Ergebnis lauten: hoher Privatschulanteil, insgesamt mäßige<br />
Leistungen des Bildungssystems. Es kann aber auch sein, dass in<br />
einem Land Bildung allgemein sehr hoch bewertet wird – und<br />
Ludger Wößmann weiß, dass er sich mit solchen Feststellungen<br />
bei einer ganzen Reihe von Bildungspolitikern und auch bei<br />
manchen Bildungsforschern nicht beliebt macht. Eine Studie im<br />
Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat aufgezeigt,<br />
dass die einzelnen Privatschulen keine besseren Er-<br />
Seite 9 Nr. 2/2013