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Einsichten 2 - Ludwig-Maximilians-Universität München

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Nr. 2/2013<br />

<strong>Einsichten</strong><br />

Der Forschungsnewsletter<br />

<strong>Ludwig</strong>-<strong>Maximilians</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>München</strong><br />

„Es gibt auch einen Werther-Defekt“<br />

Tätigkeit, mit der die Deutschen am meisten Zeit verbringen.<br />

Nicht zuletzt durch die Social-Web-Anwendungen und vor allem<br />

die nahezu 100-prozentige Marktdurchdringung mit mobilen<br />

Endgeräten ist die Zeit, die gerade Jugendliche im Netz verbringen,<br />

extrem gestiegen. Aber: Die Zahl der expliziten Suizidberichte,<br />

auf die man in Zusammenhang mit dem Werther-Effekt<br />

immer geschaut hat, ist vergleichsweise klein, das belegen Studien.<br />

Da stellt sich doch die dringende Frage: Welche Medieninhalte<br />

sind es dann?<br />

Und, welche sind es?<br />

Scherr: Da können wir bislang nur Vermutungen anstellen. Denn<br />

noch ist völlig unklar, wie groß die Bandbreite ist. Können Berichte<br />

über Unfälle, Kriege oder Katastrophen eine Wirkung<br />

zeigen? Oder fiktionale Darstellungen von Schicksalsschlägen,<br />

aber auch von Reichtum, Jugend, Schönheit? Sind es Berichte<br />

über die Wirtschaftskrise oder gar über Sportereignisse? Ein verlorenes<br />

Champions-League-Finale ist ja auch eine hochemotionale<br />

Angelegenheit. Ich will damit überhaupt nichts ins Lächerliche<br />

ziehen, ich will nur zeigen: Die Forschung tappt da ziemlich im<br />

Dunklen. Und unklar ist auch, wie gerade depressive Personen<br />

Medieninhalte rezipieren. Bekannt ist, dass bei ihnen bestimmte<br />

Formen von Wahrnehmungsverzerrungen eine große Rolle<br />

spielen können.<br />

Wie werden Sie vorgehen, um auf möglichst viele dieser Fragen<br />

zu ersten Antworten zu kommen?<br />

Scherr: Es wird eine bevölkerungsrepräsentative Telefonbefragung<br />

geben. Die Größe der Stichprobe muss bei etwa 2000<br />

Personen liegen, wenn wir wie das Robert-Koch-Institut davon<br />

ausgehen, dass das Lebenszeitrisiko, an einer Depression zu erkranken,<br />

zwischen 10 und 20 Prozent liegt. Die Teilnehmer sollen<br />

in der Befragung einerseits zu verschiedenen Aspekten ihres<br />

Medienkonsums Auskunft geben, zu Mediennutzungs- und Zuwendungsverhalten<br />

beispielsweise. Auf der anderen Seite stellen<br />

wir Fragen zu ihrer Persönlichkeitsstruktur und etwaigen depressiven<br />

Neigungen. In einem zweiten Schritt werden wir nach<br />

der Erhebung diese beiden Aspekte mit statistischen Methoden<br />

assoziieren, um daraus Hypothesen für weitere Forschungen abzuleiten.<br />

Noch einmal von den Mediennutzern zu den Medienmachern:<br />

Gibt es leichtsinnige Praktiken in Deutschland?<br />

Scherr: Eigentlich ist die Sensibilität für das Thema hoch. Aber<br />

nehmen Sie den Fall des Bundesliga-Torwarts Robert Enke, der<br />

sich Ende 2009 das Leben nahm. Bei Personen, die wie er besonders<br />

stark im öffentlichen Fokus stehen, und bei denen der Fall<br />

verschiedene Nachrichtenfaktoren bedient, lassen manche Medien<br />

die Zurückhaltung fahren. Die Lokalmedien in Hannover, wo<br />

Enke zuletzt spielte, und Umgebung berichteten deutlich intensiver<br />

als die großen deutschlandweit erscheinenden Qualitätszeitungen.<br />

Prominente Fälle bringen Journalisten offenbar in Zugzwang, das<br />

Thema doch zu bringen.<br />

Scherr: Nicht nur der Fall Enke zeigt, dass auch der Ton die Musik<br />

macht. Zumindest online, wo Platz nicht so teuer ist, weisen manche<br />

Medien in einem Abspann darauf hin, dass sie im Normalfall<br />

gar nicht über Suizide berichten, sie in diesem Fall wegen des •<br />

großen öffentlichen Interesses aber eine Ausnahme machen. Und<br />

meist ergänzen sie noch den Hinweis auf eine Seelsorge-Hotline.<br />

Interview: Martin Thurau<br />

Sebastian Scherr, Jahrgang 1984, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung<br />

der LMU.<br />

<br />

Seite 17 Nr. 2/2013

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