Rundbrief 2. Halbjahr - Hospizkreis Minden e.V.
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16 Titelthema II<br />
Zukunftsperspektiven<br />
»Zukunft und Tod – passt das zusammen?«<br />
1. Thomas A. 45 Jahre, an Krebs erkrankt, sterbend.<br />
Als ich Herrn A. Ende letzten Jahres kennenlernte, war er<br />
sich der Schwere seiner Erkrankung bewusst, hatte aber Wünsche<br />
und Hoffnungen für die Zukunft. Diese Wünsche hatten<br />
einen engen Zeitrahmen – und haben sich trotzdem nicht<br />
erfüllt. Die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben, war ein<br />
stetiges Hinschauen und Abschiednehmen von diesen Wünschen.<br />
Herr A. ging sehr reflektiert mit seinem Sterben um. Er<br />
schaute ganz bewusst hin, auch auf die Dinge, die unbedingt<br />
noch erledigt werden mussten. Er schaute auf sein Leben, wie<br />
er es verbracht hatte, und auf das, wofür er gerne noch gelebt<br />
hätte. Ganz bewusst nahm er Abschied, dieses Abschiednehmen<br />
war nicht einfach. Für den Umgang mit seinem Leben und<br />
Sterben habe ich Herrn A. bewundert und mich manches Mal<br />
gefragt, wie das für mich wäre.<br />
Hier ein Auszug aus unseren Gesprächen:<br />
Was ist für Sie Zukunft?<br />
Zukunft ist für mich die Frage: Lohnt sich das noch? Lohnt<br />
es sich noch, etwas zu planen? Lohnt es sich noch, das Leben<br />
zu planen? Ist Zukunft eine Frage von Zeit?<br />
Zukunft ist für mich auch Abschied von Erwartungen an<br />
das Leben, die ich hatte. Lange Zeit war ich nicht bereit, eine<br />
Familie zu gründen, Kinder zu haben, und als ich bereit war,<br />
war es das Leben nicht mehr. Ich hatte noch viel vor, wollte<br />
noch so viele Orte auf der Welt sehen, mich von all dem zu<br />
verabschieden, ist auch Zukunft. Auch als ich schon wusste,<br />
dass ich bald sterben muss, hab ich noch die Küche umgeplant<br />
... Irgendwann war das nicht mehr wichtig.<br />
Planen Sie Zukunft?<br />
Ja, aber es ist mehr ein Zuendebringen. Das heißt, ich schließe<br />
Sachen ab, z. B. meine Steuern, ich war beim Notar, ich<br />
plane meine Beerdigung. Ich versuche, meinen Angehörigen<br />
klarzumachen, dass ich sterbe. Ich plane Zukunft, indem ich<br />
mir das Hospiz angesehen habe und überlege, wann ich dorthin<br />
umziehe. Das ist meine Zukunft.<br />
Gibt es für Sie eine Zukunft nach dem Tod?<br />
Nein, ich glaube, dass der Tod alles beendet.<br />
hospizkreis minden rundbrief 02|2012<br />
Von Elvira Gahr, Hospizkoordinatorin<br />
Heike B., 45 Jahre alt, drei Kinder: Elf Jahre, neun Jahre,<br />
drei Jahre, das zweite Mal verwitwet.<br />
Ich kenne Frau B. durch ihren letzten Mann, mit dem ich befreundet<br />
war. Der Tod ihres ersten Mannes war wie ein Schock,<br />
erzählt Frau B., die zu dem damaligen Zeitpunkt 39 Jahre alt<br />
war, die beiden Söhne waren drei und neun Jahre alt. Ihr Mann<br />
hatte einen schweren Infarkt und ist auf der Fahrt ins Krankenhaus<br />
verstorben. Dann mit 40 Jahren habe sie Bernd kennengelernt<br />
und die Söhne hätten ihn gleich als Stiefvater gesehen.<br />
Ich kann mich noch gut an die Zeit des Kennenlernens<br />
erinnern, und wie begeistert Bernd von seiner „neuen Familie“<br />
sprach. Für ihn war das die Erfüllung seiner Träume, die ganz<br />
große Liebe, mit der er schon gar nicht mehr gerechnet hatte.<br />
Sein größter Wunsch, „einmal Vater werden“, erfüllte sich zwei<br />
Jahre später. Dann geschah das Unfassbare: Der Krebs, der vor<br />
Jahren als besiegt galt, brach kurz nach der Geburt der gemeinsamen<br />
Tochter wieder aus. Nach nur drei Jahren Beziehung<br />
verstarb Bernd nach langem Kampf an seinem Krebsleiden.<br />
Zwei Jahre später habe ich Heike um ein Interview gebeten,<br />
um von ihr zu erfahren, wie damals bei der schweren Erkrankung<br />
und dem Sterben von Bernd für sie Zukunft aussah, und<br />
was heute Zukunft für sie bedeutet.<br />
Als Bernd die Krebsdiagnose bekam, wie war Zukunft<br />
in dem Augenblick für Euch?<br />
Unsere Zukunft war [von] Angst geprägt. Gibt es eine gemeinsame<br />
Zukunft? Wie wird diese gemeinsame Zukunft aussehen?<br />
Wie begrenzt ist die Zukunft? Hat diese Zukunft Lebensqualität?<br />
Zu diesem Zeitpunkt zog sich Bernd völlig aus<br />
dem Familienleben zurück. Die ungeklärte Situation machte<br />
uns sehr zu schaffen.<br />
Dann kam der Zeitpunkt, an dem klar wurde, dass es keine<br />
Aussicht auf Heilung gab. Bernds Zustand verschlechterte<br />
sich immer mehr. Mittlerweile hatte sich durch das massive<br />
Tumorwachstum eine Querschnittslähmung eingestellt, die inoperabel<br />
war.<br />
Als er nach seiner zweiten Lungenentzündung im<br />
Krankenhaus verstarb, wie hat sich der Begriff<br />
Zukunft da für dich geändert?<br />
Als klar war, wohin die Erkrankung führt, war da eine innere<br />
Trauer. Sein Sterben Stück für Stück mitzuerleben, hat mich<br />
sehr angestrengt und hat ein Gefühl der Perspektivlosigkeit<br />
hervorgerufen. Nach Bernds Tod hatte ich ein Gefühl innerer<br />
Ruhe, aber auch eine Trauer der verlorenen Liebe. Auf der anderen<br />
Seite war eine große Erleichterung, dass er es geschafft<br />
hat. Zukunft hieß für mich in dieser Zeit, dass meine Kinder<br />
diese Situation meistern.<br />
Jetzt sind zwei Jahre vergangen, was heißt Zukunft<br />
jetzt für dich?<br />
Ich schaue nach vorn, durch die Kinder lebt ein Stück Vergangenheit<br />
weiter. Vor kurzem habe ich einen netten Mann<br />
kennengelernt und wir planen eine gemeinsame Zukunft.<br />
Von Elvira Gahr, Hospizkoordinatorin