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volksmund2_titel allein - gabriela neeb. fotografie

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C.BERND SUCHERS THEATERKNIGGE<br />

FOLGE 2: BEIFALL – RICHTIG GEMACHT<br />

Hans Henny Jahnn, der am meisten<br />

unterschätzte deutschsprachige Romancier<br />

und Dramatiker des 20. Jahrhunderts,<br />

selten gelesen, noch seltener gespielt,<br />

missachtete Goethe. Der Dichterfürst<br />

habe zu allem eine Meinung, spottete<br />

Jahnn, manchmal gleichzeitig<br />

mehrere einander widersprechende Urteile;<br />

überall und zu allem gebe der dichtende<br />

Politiker seinen Senf. Jahnn hat<br />

Recht. Seine Kritik lässt sich indes auch<br />

positiv formulieren: Goethe war<br />

besonders meinungsstark! Auch über<br />

den Beifall hat er sich mehrfach geäußert,<br />

nicht bloß im „Faust“, sondern daneben<br />

häufig in seinen Briefen. Am 27.<br />

Oktober 1787 schrieb er an Philipp Seidel<br />

aus Italien: Beifall lasse sich „wie<br />

Gegenliebe wünschen, nicht erzwingen“.<br />

Nicht falsch, nur ein wenig schlicht, der<br />

Gedanke. Wir haben es alle erlebt:<br />

Manchmal können in der Kunst alle alles<br />

wollen, doch am Ende rühren sich trotzdem<br />

nur wenige Hände. Dafür gellt es<br />

aus vielen Kehlen Buh. Flop also. Gewiss<br />

darf jede Zuschauerin und jeder Zuhörer<br />

Freude ebenso kundtun wie Frust, Lust<br />

und Last. Aber wann und wie?<br />

Fangen wir mit dem Wann an. Wer,<br />

wenn sich der Vorhang teilt, bereits laut<br />

meckert – „Schon schlecht!“ –, ist vorlaut,<br />

ignorant und ein bösartiger Spielverderber.<br />

Unmutsäußerungen verbieten<br />

sich auch während der Vorstellung.<br />

Zwischenrufe sind ungezogen. Wer<br />

glaubt, das Gebotene nicht bis zur Pause<br />

(oder bis zum Schluss) zu ertragen, der<br />

sollte versuchen zu schlafen. Wenn das<br />

nicht gelingen mag, weil die Musik zu<br />

laut dröhnt, der Sitz zu unbequem ist<br />

oder das Saallicht nicht gelöscht wurde,<br />

dann gibt es einen einzigen Aus-Weg<br />

nur: Der leise (!) und stumme (!!) Abtritt,<br />

das Sich-weg-Schleichen; und natürlich<br />

schlägt man die Tür nicht laut (!!!) zu.<br />

Noch etwas finde ich extrem lästig, und<br />

zwar für die Künstler ebenso wie für die<br />

anderen Menschen im Publikum: halblautes<br />

Murren, Kommentieren und das<br />

lebhafte Schütteln des Kopfes oder anderer<br />

Glieder – diese Übung haben einige<br />

professionelle Kritiker sehr gut drauf.<br />

Sie exekutieren sie kontinuierlich und<br />

beharrlich und schaffen damit zweierlei:<br />

Sie äußern schon mal vorab und non-<br />

66 volksmund 2 · suchers theaterknigge<br />

verbal, was sie von der Vorstellung halten;<br />

und sie machen sich damit hübsch<br />

wichtig. Ganz eitle Damen (seltener)<br />

und Herren (eher häufig) begleiten diese<br />

Bewegungen mit halblautem<br />

Gestöhn. Schlimm.<br />

Darf man sich während der Vorstellung<br />

freuen? Klar doch! Aber Zwischenrufe<br />

sollte man lassen, Auftrittsapplaus für<br />

den geliebten Interpreten ist peinlich<br />

und das Klatschen nach einem hübsch<br />

vorgetragenen ersten Satz störend – im<br />

Konzert übrigens ärger als im Schauspiel.<br />

Was fürs Kopfschütteln gilt, gilt<br />

auch fürs Nicken. (Kritikern wird niemand<br />

diese segnende generöse Masche<br />

abgewöhnen.)<br />

C. Bernd Sucher ist Jurymitglied beim<br />

Festival Radikal Jung 2008<br />

Wie sich äußern, nachdem der Vorhang<br />

gesenkt oder zugezogen wurde, also<br />

dann, wenn alles vorbei ist? Wer jubeln<br />

will, juble, klatsche, schreie. Bravo für<br />

einen Mann, Brava für eine Frau, Bravi<br />

für mehrere – wes Geschlechts auch<br />

immer. Nichts ist einzuwenden gegen<br />

die Mode, johlend zu loben nach Art der<br />

Karl-May-Indianer. Gewarnt werden<br />

muss indes vorm Pfeifen. Denn der oder<br />

die Angepfiffene, Ausgepfiffene, Be-,<br />

Um- oder Verpfiffene kann schlecht<br />

unterscheiden, ob das Gellen preist oder<br />

verreißt. Also Pfeifen sein lassen.<br />

Damit ist nun auch schon geklärt, wie<br />

sich endlich Unzufriedenheit ausdrükken<br />

lässt. Verweigerung von Applaus ist<br />

die nobelste, höflichste Form. Buhrufe<br />

sind eine Steigerung. Beschimpfungen –<br />

Schwachsinn, Hohlkopf, Stümper, Idiot<br />

und ähnliche Nettigkeiten – gehören<br />

sich nicht!<br />

Wie auch immer man seinen Tadel ausdrückt<br />

– bevor man ihn ausdrückt, sollte<br />

man sich ein wenig Zeit lassen. Sollte<br />

nachdenken, sollte abwägen. Sich selbst<br />

zu begründen versuchen, warum man<br />

(so) enttäuscht ist. Zuweilen ist die Ursache<br />

für den Unmut weniger die Aufführung,<br />

also das mangelnde Können<br />

von Autoren, Regisseuren, Sängern oder<br />

Schauspielern, als vielmehr das eigene<br />

Vorurteil und – auch das gibt es – die<br />

eigene emotionale Lage. Wer sich nicht<br />

überraschen lassen will, wird verstört<br />

reagieren auf alles, was er nicht kennt,<br />

was ihn verblüfft, weil es ungewohnt<br />

ist; wird jede Regelverletzung, jeden<br />

Konventionsbruch geißeln.<br />

Was für das Essen gilt, gilt dummerweise<br />

auch so oft für die Kunst. Was der Bauer<br />

nicht kennt, (fr)isst er nicht, heißt für die<br />

Kunst: Ich will wieder erkennen, wieder<br />

hören, was ich schon gesehen, gelesen,<br />

vernommen habe. Die Gefahr, unzufrieden<br />

zu werden, wächst in dem Maße,<br />

in dem die Künstler sich von dem schon<br />

Dagewesenen lösen, Regeln verletzen und<br />

Seh- und Hörgewohnheiten missachten.<br />

Ergo: Bevor man Buh brüllt oder blökt;<br />

bevor man den Saal verlässt, aufgepasst!<br />

Wer ist schuld am Missvergnügen? Die<br />

Macher oder die Zumacher? Die Produzenten<br />

oder die Rezipienten? Mich verblüfft<br />

es immer wieder aufs Neue, wie<br />

schnell manche Zuschauer urteilen und<br />

verurteilen, vor der Pause schon, in der<br />

Pause, nach der Vorstellung. Jeder, der<br />

verurteilt, sollte zuvor sein Urteil überprüfen.<br />

Denn eines ist allemal sicher:<br />

Die Künstler haben sich in jedem Fall<br />

und immer länger auseinandergesetzt<br />

mit dem Stoff, haben – sind sie verantwortungsbewusst<br />

und fleißig – gearbeitet.<br />

Wollten das Beste.<br />

Und noch eines sollte bedacht werden:<br />

Ein Lob lässt sich einfacher und weniger<br />

folgenreich zurücknehmen als ein Tadel.<br />

Die Verletzungen, die Buhrufer bei<br />

den Künstlern anrichten, sind in den<br />

meisten Fällen weit größer, als die selbst<br />

ernannten Scharfrichter der Kunst es<br />

sich vorstellen können. Deshalb meine<br />

Forderung: Im Zweifel für die Künstler.<br />

Immer! Bravi!<br />

FOTO: NINA URBAN

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