8 volksmund · lebensecht ANDREAS TOBIAS > KARTOFFELSALAT IM VIER JAHRESZEITEN Es war Mittag, und ich war bereit. Hatte alles gepackt, die Wände meiner alten Wohnung frisch gestrichen, Löcher ausgebessert und überputzt. Gleich würde der Vermieter zur Übergabe kommen. Dann würde ich mein Auto verkaufen, und abends war ich noch mit einem Autoren im Hotel „Vier Jahreszeiten“ verabredet. Meine ganzen Möbel standen schon in der neuen Wohnung in München. Es war ein schwieriger Tag, ich hatte sieben Jahre in Hamburg gelebt und wollte überhaupt nicht nach München. Man verabschiedet sich von allen, aber am Schluss stehen nicht alle Freunde da und winken. Man ist dann plötzlich <strong>allein</strong>e. Der Vermieter ließ auf sich warten. Ich dachte mir: Okay, dann räum’ ich noch mein Auto aus. Ich packte alles aus dem Handschuhfach zusammen und warf es in die Mülltonne vor dem Haus. Dann kam der Kofferraum dran. Alles rein in den großen Container. Ein großer, metallener Kasten war das, knapp zwei Meter hoch, mit drei Klappen für den Müll. Dann tauchte der Vermieter auf. Ich übergab ihm die Wohnung, alles super. Ich fuhr zum Hauptbahnhof, sperrte meine Tasche in ein Schließfach und fuhr den ganzen Nachmittag in Hamburg herum. Schließlich hatte ich ja noch Benzin im Tank. Gegen Sechs wurde es dunkel, und ich fuhr zum Schrotthändler. So 50 Euro kriege ich noch, dachte ich. Es war ein alter Ford Fiesta, rot, ich hatte ihn für 500 Euro gekauft. Er hatte vier Jahre gehalten, mit vier Unfällen. Ein super Auto, so eckig. Ich kam beim Schrotthändler an, legte ihm meinen Fahrzeugbrief hin und war überzeugt: Jetzt läuft alles glatt. Schließlich war mein Zeitplan ja schon recht eng. Dann sagte er: „Ich brauche noch den Fahrzeugschein.“ „Den Fahrzeugschein?“ „Ja, den Fahrzeugschein.“ „Ah! Der war im...oh Gott.“ Der war im Handschuhfach. Und ich hatte alles weggeworfen. In nicht mal mehr einer Stunde musste ich im Hotel sein. Ich flehte den Schrotthändler an, aber er blieb hart. Ich hätte noch mal nach Hamburg kommen und mein Auto ummelden müssen, um einen neuen Fahrzeug- schein zu bekommen. Es half nichts, ich musste zurück zum Müll. Und zwar schnell. Ich fuhr zu meinem Haus und fand neben dem Container einen kleinen Tisch, den jemand entsorgt hatte. Ich schob den Tisch an den Container, stieg darauf und räumte den ganzen Müll raus. Alles auf die Straße. Daneben stand ein roter VW-Bus mit einer Großfamilie, fünf Kinder und zwei Erwachsene, die kuckten zu. Ich immer wieder rausgeräumt, Feuerzeug an, reingekuckt. Immer tiefer. Irgendwann war nur noch ein halber Meter Müllschicht drin, und ich steckte vom Kopf bis zum Gürtel im Container, in der Klappe. Und als ich da so drinstecke und leuchte und leuchte, rutsche ich plötzlich mit meinem Gürtel vom Klappenrand ab. WOMP! Ich falle zuerst in einen Haufen Kartoffelsalat, der muss schon Wochen alt gewesen sein. Dann kippt mir eine Kiste Katzenstreu in den Nacken, natürlich auch gebraucht. Meine Füße kucken oben aus der Klappe. Dann höre ich das Lachen aus dem Bus und denke: Ich liebe Hamburg, und das ist der Abschluss, oder was? Ich sollte hier nicht weg. Das ist die Strafe. Und während ich so kopfüber im Müll liege, mache ich mein Feuerzeug an, sehe diesen schimmeligen Kartoffelsalat und dann, vor mir, wirklich vor mir liegt: der Fahrzeugschein. Ich kletterte aus der Mülltonne, sagte „Hallo“ zur Familie, aber die lachte nur und lachte. Mit fünf Kindern. Das war peinlich. Ich räumte den Müll wieder ein, stieg ins Auto und düste los. In der Zwischenzeit hatte es angefangen zu regnen, ich hatte nur ein T-Shirt an und war total voll Müll, überall in den Haaren und im Gesicht der Kartoffelsalat. Ich wischte mein Gesicht am Beifahrersitz ab. Der Schrotthändler gab mir 50 Euro bar auf die Hand, ich rannte zur U-Bahn und ab ins Vier Jahreszeiten. Als ich dort ankam, war ich durchgeschwitzt, nass vom Regen und voll Müll. Das Wasser aktivierte die Gerüche zusätzlich. Der Autor sagte als erstes: „Sag mal, nach was riechst du denn?“ Dann saßen wir da, aßen Canapés, tranken unglaublich teuren Tee, den er bezahlte, und ich erzählte ihm die Geschichte. Ein dreckiger Abschluss. In München würde so etwas nicht passieren. Es ist viel zu sauber hier.
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