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Inhalt – Michaeli 2010 - Freundeskreis Camphill eV

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Michaelswende<br />

Aus: Gerhard Winkel, Spuren der Engel,<br />

Urachhaus, ISBN 3-87838-968-X<br />

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung<br />

des Verlages<br />

Merkwürdig, wie das Jahr regelmäßig auch<br />

einen geistigen Rhythmus hat, der das Erleben<br />

und das Denken bestimmt! Draußen fallen<br />

jetzt die Kastanien von den Bäumen,<br />

Ahornbäume glühen gelegentlich noch einmal<br />

im Rot des Vorherbstes auf, es raschelt<br />

schon überall vom gefallenen Laub, die Winterrosetten<br />

der Disteln liegen zwischen allem<br />

wie frühe Vorboten der Schneekristalle. Von<br />

Tag zu Tag werden die Bäume lichter. Man<br />

merkt ihnen an, dass sie ihre innere Form,<br />

den Schriftzug aus Stamm, Ästen und Zweigen,<br />

bald freigeben werden. Sie warten darauf,<br />

ob jemand lesen kann.<br />

Das Jahr der Natur hat jetzt Erntezeit. Auch<br />

ich werde in dieser Zeit gefragt, was ich hervorgebracht<br />

habe. Bin ich gewachsen? Gab<br />

es viele Früchte? Waren sie gut und sind sie<br />

reif geworden? Dieser Prozess spielt sich in<br />

mir in jedem Jahr ab, seit ich bewusst zu leben<br />

versuche. Ich erfahre ihn immer wieder<br />

neu und kenne ihn doch schon genau. Ich<br />

weiß, dass viele das ähnlich erleben. Im<br />

Herbst, in jedem Herbst sterben sie gleichsam<br />

mit der Natur einen kleinen Tod. So<br />

komme auch ich zur Probe auf die Seelenwaage<br />

des Michael, fühle seinen gewaltigen<br />

Anspruch und empfinde mein Ungenügen in<br />

durchsichtiger Klarheit. Sie ist jedoch nicht<br />

niederdrückend. Meist hat sie sogar eine<br />

4<br />

ganz gewöhnliche Ordnungsphase zur Folge.<br />

Plötzlich werden Briefe geordnet und endlich<br />

beantwortet, Bücher werden zurückgegeben,<br />

Liegen-Gebliebenes wird infolge eines inneren<br />

Impulses aufgegriffen und erledigt.<br />

Manchmal verliert sich das Interesse auch in<br />

längst Vergangenem und wandert gleichsam,<br />

von den Zweigen ausgehend, zurück bis in<br />

die ältesten Jahresringe des Stammes. Der<br />

Jahreslauf beschert mir Anfang Oktober regelmäßig<br />

ein sanftes Gericht. Es ist buchstäblich<br />

Erntezeit, in der ich gleichzeitig die<br />

Geburt eines neuen Versuchs fühle. Es ist mit<br />

Händen zu greifen, dass Michael in dieser<br />

Zeit besonders kräftig wirkt und mich fragt, ob<br />

ich den Abstieg in das Reich des Todes wagen<br />

will. Er weiß, ich will. So nimmt er mich<br />

mit. Der November wird der einsamste Monat<br />

des Jahres. Fast ohne jede Hoffnung fühle<br />

ich mich, alleingelassen. Nebel und Dunkel<br />

umgeben Gefühle und Denken. Es ist, als ob<br />

ich mitten zwischen lieben Menschen begraben<br />

wäre. Sinnlosigkeitsgefühle kommen auf<br />

und widersprechen der leuchtenden Klarheit<br />

des Oktobers. Ja, die Gefühle selbst beginnen<br />

abzusterben. Selbst die Bekanntheit des<br />

Vorgangs und der Wille reichen nicht aus,<br />

diesen Todesgang zu umgehen.<br />

Zu Advent dann ist es wirklich erlebbar, wie<br />

wenn ein winziges Licht aufleuchtete. Das ist<br />

hier keine Metapher, kein Symbol, kein bloßes<br />

Gefühl, sondern eine geistig reale Wirklichkeit,<br />

die Beobachtung des eigenen Seelenweges<br />

unter dem Geleit der Geistwesen.<br />

Doch die Adventszeit ist leise, wie das Einstimmen<br />

eines Orchesters, ohne hervortre-

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