seitenbühne Nr. 27 - Staatsoper Hannover
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Ballett<br />
Ferien daheim verbrachte. Zu der Zeit war sie in der Kompanie von<br />
Jörg Mannes in Bremerhaven. Zwei Jahren später folge ich ihr nach<br />
Deutschland. Zunächst konzentrierte ich mich ganz darauf, die Sprache<br />
zu lernen, aber dann bot Jörg Mannes mir einen Job als Musikalischer<br />
Assistent an.<br />
Franco Und dabei hatte Samuel keine Ahnung – weder von Musik<br />
noch vom Ballett …<br />
Azevedo … aber ich wollte das sehr gerne machen. Anfangs musste<br />
ich natürlich viel lernen, auch wie die Schritte heißen.<br />
Franco Jörg hat Samuel zu Beginn sehr geholfen, mittlerweile kann<br />
man sich eine Probe ohne ihn gar nicht vorstellen. Manchmal wissen<br />
wir nicht, wo wir sind, aber er weiß es immer.<br />
Azevedo Ich mache das inzwischen sechs Jahre und notiere alles<br />
– natürlich auf meine eigene Art in einer Mischung aus Portugiesisch,<br />
Deutsch, Englisch und ein bisschen Französisch, das könnte<br />
sonst niemand entziffern.<br />
Knöß Erinnert ihr euch eigentlich noch an euren ersten Eindruck<br />
von Deutschland?<br />
Piza Ich war begeistert. München war so schön, alles war so sauber.<br />
Die Schule: ein riesiges weißes Studio mit Spiegeln rundum. Das<br />
alles war wie ein Traum für mich, der plötzlich wahr wurde.<br />
Franco Ich war nicht so begeistert …<br />
Moretti Ich auch nicht. Die Stadt war superklein. Am ersten Wochenende<br />
hatte ich nichts zum Essen zu Hause, denn in São Paulo<br />
kann man jeden Tag 24 Stunden lang einkaufen und in Wiesbaden<br />
war alles zu. Das war ein Schock.<br />
Franco Ich kam im Januar an. In Brasilien war Hochsommer, und<br />
hier war es so kalt. Dazu kam, dass ich meine Eltern und beiden<br />
Schwestern sehr vermisste. Ich war wie ein Küken, das aus dem<br />
Nest gefallen war ...<br />
Azevedo Als ich nach Bremerhaven kam, war ich wirklich schockiert,<br />
denn eine so kleine Stadt hatte ich nie zuvor gesehen.<br />
Piza Ich erinnere mich, dass ich anfangs 100 Euro zum Leben hatte.<br />
Heute weiß ich nicht mehr wie, aber es ging. Vieles war allerdings<br />
auch billiger als bei uns – vor allem das Fleisch. Daheim gab es selten<br />
welches, und ich war so begeistert, dass ich in den ersten zwei bis<br />
drei Monaten täglich Reis mit Fleisch, Fisch und Hühnchen aß. Als ich<br />
dann Besuch bekam und hören musste, ich sei ein bisschen »mopsig«<br />
geworden, habe ich meine Ernährung sofort wieder umgestellt.<br />
Franco Ich fand hier alles sehr schnell; überall ging es so zack-zack.<br />
In Brasilien ist das anders, man nimmt sich mehr Zeit.<br />
Lopes Von Europa war ich schon zuvor fasziniert. Als ich hier ankam<br />
und dann Dinge, von denen ich gehört oder gelesen hatte, mit eigenen<br />
Augen sehen und erleben konnte, war ich überwältigt. Diese<br />
Begeisterung hat mir bestimmt geholfen, mich von Anfang an gut<br />
anzupassen, aber mein Herz hängt nach wie vor an Brasilien. Ich<br />
bin sicher, dass ich meine brasilianische Seite nie verlieren werde,<br />
weil ich das auch nicht will.<br />
Franco Die Deutschen denken immer, so muss es sein – und so muss<br />
es dann sein. Brasilianer denken, so muss es sein, aber wenn es so<br />
dann nicht klappt, findet sich irgendwie ein anderer Weg.<br />
Piza Wir stressen uns nicht so sehr und denken, dass wir nicht alles<br />
haben müssen – und können dann tatsächlich auch mit weniger<br />
auskommen. Deutschen fällt das schwerer.