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Papst Benedikt XVI. - Kath.de

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1<br />

2<br />

K. Gamber, Liturgie - Dienst vor Gott. Hinführung zum rechten Kultverständnis, Regensburg 1984, 21.<br />

Nach Cyprian, Ep. 74,1; Vinzenz von Lerin, Com. 6.<br />

Michael Schnei<strong>de</strong>r<br />

Zur theologischen Grundlegung <strong>de</strong>s christlichen Gottesdienstes nach<br />

Joseph Ratzinger - <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>.<br />

(14. Januar 2009)<br />

Mit <strong>de</strong>m letzten »Motu proprio« von <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>. ist insofern ein neuer Zustand<br />

nach <strong>de</strong>r Liturgiereform <strong>de</strong>s II. Vatikanum geschaffen, als die »alte Messe« im normalen<br />

Gottesdienstleben <strong>de</strong>r katholischen Kirche wie<strong>de</strong>r zugelassen ist und auch<br />

gefeiert wird. Bei einer solchen Zulassung han<strong>de</strong>lt es sich jedoch letztlich nur um eine<br />

Rechtsäußerung <strong>de</strong>s Lehramtes, die ihr entsprechen<strong>de</strong> Bewußtseinsbildung im<br />

gläubigen Volk <strong>de</strong>r Kirche steht noch aus. Ja, es muß sogar gesagt wer<strong>de</strong>n, daß nun<br />

sogar ein mißlicher Zustand geschaffen ist, <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>r neuen Zulassung <strong>de</strong>r »alten<br />

Messe« ist <strong>de</strong>r Weg zu einer »Reform <strong>de</strong>r Reform« keineswegs betreten, alles bleibt<br />

vielmehr offen und unentschie<strong>de</strong>n. Eine wirkliche Erneuerung im liturgischen Bewußtsein<br />

<strong>de</strong>r Kirche muß grundsätzlicher ansetzen: »Der Ritus <strong>de</strong>r Messe als solcher -<br />

seine Rechtgläubigkeit vorausgesetzt - ist sicher nicht das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>. Es müßte<br />

nicht unbedingt <strong>de</strong>r 'tri<strong>de</strong>ntinische' sein, wie es in <strong>de</strong>r katholischen Kirche von jeher<br />

eine Anzahl von Riten gegeben hat. Man <strong>de</strong>nke neben <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen orientalischen<br />

nur an <strong>de</strong>n ambrosianischen Ritus von Mailand und <strong>de</strong>n mozarabischen von<br />

Toledo, <strong>de</strong>r einst in ganz Spanien gefeiert wur<strong>de</strong>. Wichtiger als <strong>de</strong>r Ritus ist das<br />

rechte Eucharistie- und Gottesdienstverständnis.« 1<br />

Das erfor<strong>de</strong>rliche liturgische Bewußtsein hinwie<strong>de</strong>rum hängt jedoch unmittelbar mit<br />

<strong>de</strong>r »alten Messe« und ihrer theologischen Einordnung zusammen. Han<strong>de</strong>lt es sich<br />

bei ihr nur um einen »Ritus« bzw. die »außergewöhnliche Form« eines katholischen<br />

Gottesdienstes? Ist die »neue Messe« als die »gewöhnliche Form« mithin endgültig<br />

als die »normale« römisch-katholische Liturgie sanktioniert?<br />

<strong>Papst</strong> Stephan lehrte 256: »Nihil innovetur nisi quod traditum est« (Es darf nichts<br />

Neues eingeführt wer<strong>de</strong>n, was gegen die Tradition gerichtet ist) und eine Bestim-<br />

2<br />

mung <strong>de</strong>s II. Vatikanum lautet: »Es sollen keine Neuerungen eingeführt wer<strong>de</strong>n, es sei<br />

<strong>de</strong>nn, ein wirklicher und sicher zu erhoffen<strong>de</strong>r Nutzen <strong>de</strong>r Kirche verlange es« (SC 23).<br />

Die Liturgiereform ging über das hier Gebotene bei weitem hinaus. Wie aber sind die<br />

»Neuerungen« zu beurteilen - angesichts <strong>de</strong>r katholischen Tradition <strong>de</strong>r Liturgie, wie<br />

sie »seit <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Väter« uns überliefert ist.<br />

Des öfteren hat sich Joseph Ratzinger mit Fragen <strong>de</strong>r Liturgie und ihrer Erneuerung<br />

beschäftigt, vor allem in seinen drei Veröffentlichungen: »Ein neues Lied für <strong>de</strong>n<br />

Herrn« (1995), »Der Geist <strong>de</strong>r Liturgie« (2000) und »Gott ist uns nah. Eucharistie: Mitte<br />

<strong>de</strong>s Lebens« (2001). Noch die letzte Buchbesprechung vor seiner Wahl zum <strong>Papst</strong><br />

beschäftigte sich mit einem englisch verfaßten Buch über die organische Entwicklung


3<br />

2<br />

3<br />

<strong>de</strong>r Liturgie. Die folgen<strong>de</strong>n Ausführungen wen<strong>de</strong>n sich bewußt Joseph Ratzinger und<br />

seinem theologischen Verständnis von Liturgie zu, nicht bloß weil er inzwischen als<br />

<strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>. <strong>de</strong>r neue Bischof von Rom ist, vielmehr fin<strong>de</strong>n sich in seinem<br />

Werk zahlreiche wertvolle Hilfen für ein tieferes Verständnis <strong>de</strong>s christlichen Gottesdienstes.<br />

Dabei wird sich zeigen, daß sich gera<strong>de</strong> über die Theologie <strong>de</strong>r Liturgie<br />

ein angemessenes Verständnis <strong>de</strong>s dogmatischen Anliegens Joseph Ratzingers<br />

fin<strong>de</strong>n läßt.<br />

I. Profile<br />

Nicht zuletzt in seinem neuen Buch »Jesus von Nazareth« (2007) setzt sich <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong><br />

mit <strong>de</strong>n wesentlichen geistes- und theologiegeschichtlichen Strömungen<br />

auseinan<strong>de</strong>r, die bis in die heutigen Tage das Denken und Glauben <strong>de</strong>r Kirche bestimmen<br />

und zu einer Anfrage an ihr Verständnis menschlichen Lebens und Glaubens<br />

wer<strong>de</strong>n. Einige seien kurz angeführt, insofern sie nämlich für die Frage nach <strong>de</strong>m<br />

Wesen <strong>de</strong>s christlichen Gottesdienstes von Be<strong>de</strong>utung sind.<br />

1. Kult - Ethos<br />

<strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> tritt mit seinem Jesus-Buch in die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Adolf von<br />

Harnack, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Reich-Gottes-Botschaft Jesu eine doppelte Revolution gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>ntum sah. Zum einen sei diese Botschaft nicht an das Kollektiv <strong>de</strong>s jüdischen<br />

Volkes gerichtet, son<strong>de</strong>rn streng individualistisch, da Jesus <strong>de</strong>n Einzelnen<br />

anspreche und ihn in seiner Wür<strong>de</strong> und seinem Wert hervorhebe. Ferner stehe bei<br />

Jesus nicht mehr das Kultisch-Priesterliche im Vor<strong>de</strong>rgrund, vielmehr sei seine<br />

Botschaft streng moralisch. Diese bei<strong>de</strong>n Ansichten Harnacks übernahmen sogar<br />

katholische Exegeten.<br />

Albert Schweitzer setzt einen neuen Akzent, in<strong>de</strong>m er betont, Jesu Verkündigung <strong>de</strong>s<br />

Reiches Gottes proklamiere das nahe Weltenen<strong>de</strong>, nämlich das Hereinbrechen <strong>de</strong>r<br />

neuen Welt Gottes, eben seiner Herrschaft. Deshalb kommt es nach Rudolf Bultmann<br />

auf die Haltung <strong>de</strong>r »Stetsbereitschaft« an. Jürgen Moltmann wie<strong>de</strong>rum entwickelte im<br />

Anschluß an Ernst Bloch eine »Theologie <strong>de</strong>r Hoffnung«, die Glauben als aktives<br />

Eintreten in die Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft versteht.<br />

<strong>Kath</strong>olische Theologen griffen solches Gedankengut auf und entwickelten eine<br />

säkularistische Um<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Reichsgedankens mit einer neuen Sicht <strong>de</strong>s Christentums,<br />

<strong>de</strong>r Religionen und <strong>de</strong>r Geschichte. Es wird gesagt, die Zeit vor <strong>de</strong>m Konzil sei<br />

bestimmt gewesen von einer Ekklesiozentrik, die danach in eine Christozentrik<br />

Forum <strong>Kath</strong>olische Theologie 1 (2005). Siehe auch die Besprechung von M. Karger in: Deutsche Tagespost Nr. 49 (2005) 6. - Vgl.<br />

3<br />

zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Ausführungen auch: M. Schnei<strong>de</strong>r, Das Sakrament <strong>de</strong>r Eucharistie. Köln 2007; <strong>de</strong>rs., <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>. Zur<br />

3<br />

Einordnung <strong>de</strong>s theologischen Werkes Joseph Ratzingers am Beginn <strong>de</strong>s neuen Pontifikats, Köln 2005; <strong>de</strong>rs., Jesus von Nazareth.<br />

Zum neuen Buch von <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>., Köln 2007.


4<br />

5<br />

6<br />

<strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>., Jesus von Nazareth. Freiburg-Basel-Wien 2007, 83f.<br />

So J. Pieper über seine erste Begegnung mit R. Guardini; vgl. J. Pieper, Noch wußte es niemand. München 1976, 69ff.<br />

J. Ratzinger, Unterwegs zu Jesus Christus. Augsburg 2003, 68.<br />

3<br />

übergegangen sei. Aber nicht nur die Kirche sei Grund zur Trennung, auch Christus,<br />

wenn er nur <strong>de</strong>n Christen gehöre. Deshalb ist man von <strong>de</strong>r Christozentrik zur Theozentrik<br />

vorangeschritten; da aber Gott schließlich trennend zwischen <strong>de</strong>n Religionen<br />

und zwischen <strong>de</strong>n Menschen stehen kann, ging man zur Regno-Zentrik über. Auch<br />

Jesus habe letztlich das »Reich« verkün<strong>de</strong>t, welches nun aber verstan<strong>de</strong>n wird als<br />

Einsatz für die eine Welt, <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n, für die Gerechtigkeit und die Bewahrung <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung. Der Auftrag <strong>de</strong>r Religionen bestehe darin, sich für dieses Reich einzusetzen<br />

und mit <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>r Religion eigenen I<strong>de</strong>ntität zusammenzuwirken; an<strong>de</strong>re zu<br />

missionieren, scheint nun nicht mehr nötig zu sein. Dies alles birgt letztlich die<br />

verheeren<strong>de</strong> Konsequenz in sich: Gott ist verschwun<strong>de</strong>n, es han<strong>de</strong>lt nur noch <strong>de</strong>r<br />

Mensch. Jesus jedoch, so betont <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong>, habe das Reich Gottes verkün<strong>de</strong>t<br />

4<br />

bzw. das »Reich <strong>de</strong>r Himmel« (Mt). Jesu Botschaft ist ein<strong>de</strong>utig theozentrisch.<br />

Gott offenbarte in Jesus Christus sein vernünftiges Wort, die vollkommene Wahrheit.<br />

Die Heilige Schrift ist »Theo-Logie« im Vollsinn <strong>de</strong>s Wortes: Die Bibel spricht nicht<br />

nur von Gott, sie ist sein Sprechen. Bonaventura folgend, heißt es daraufhin bei<br />

Joseph Ratzinger, daß Gott selbst das eigentliche Subjekt <strong>de</strong>r Theologie ist. Nur Gott<br />

kann authentisch von Gott re<strong>de</strong>n. Alles theologische Re<strong>de</strong>n hat sich <strong>de</strong>shalb am Wort<br />

Gottes in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu orientieren und muß sich in diesem Sinn als eine<br />

»geistliche Wissenschaft« ausweisen.<br />

Dies ist aber nicht nur in einem frömmigkeitsgemäßen Sinn zu verstehen. Romano<br />

Guardini sprach Anfang <strong>de</strong>r zwanziger Jahre <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong>de</strong>rts vom Primat <strong>de</strong>s<br />

Logos vor <strong>de</strong>m Ethos. Aufgabe <strong>de</strong>r Theologie sei, sich selbst zu übersteigen und in<br />

5<br />

<strong>de</strong>r Geschichte Gottes mit <strong>de</strong>n Menschen die Begegnung mit <strong>de</strong>m Sein Gottes zu<br />

ermöglichen. Damit greift Romano Guardini eine Sicht <strong>de</strong>s Glaubens auf, die Irenäus<br />

von Lyon in die Worte faßt: Das Neue und alles Überbieten<strong>de</strong> an Jesus Christus besteht<br />

darin, daß er in die Begegnung mit <strong>de</strong>m unerreichbaren Vater geführt und so die<br />

unübersteigbare Mauer nie<strong>de</strong>rgelegt hat, die <strong>de</strong>n Menschen vom Sein Gottes abhielt.<br />

Die Grundaussage <strong>de</strong>s Neuen Testaments lautet: »Der Mensch hat Platz in Gott<br />

gefun<strong>de</strong>n.« Der Menschsohn erneuert das »Bild« <strong>de</strong>s Menschen, <strong>de</strong>ssen Leben fortan<br />

6<br />

verborgen ist mit Christus in Gott. Hier bezieht sich Joseph Ratzinger bewußt auf die<br />

Aussagen von »Lumen gentium«: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis <strong>de</strong>s<br />

fleischgewor<strong>de</strong>nen Wortes das Geheimnis <strong>de</strong>s Menschen wahrhaft auf [...] Christus,<br />

<strong>de</strong>r neue Adam, macht eben in <strong>de</strong>r Offenbarung <strong>de</strong>s Geheimnisses <strong>de</strong>s Vaters und<br />

seiner Liebe <strong>de</strong>m Menschen <strong>de</strong>n Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine<br />

höchste Berufung« (GS 22; vgl. auch 21; 41). »Wer Christus, <strong>de</strong>m vollkommenen<br />

Menschen folgt, wird auch selbst mehr Mensch« (GS 41).


7<br />

8<br />

J. Ratzinger, Glaube - Wahrheit - Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg-Basel-Wien 2003, 24f.<br />

Ebd., 36f.<br />

4<br />

2. Erfahrung - Ruf<br />

Der erste große Schritt <strong>de</strong>r Religionsgeschichte führte, wie Joseph Ratzinger in<br />

seinem Buch »Glaube - Wahrheit - Toleranz« (2003) darlegt, zum Übergang von <strong>de</strong>n<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>r Primitiven zum Mythos, während <strong>de</strong>r zweite gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Ausbruch<br />

aus <strong>de</strong>m Mythos brachte, und zwar in drei Weisen: »1. In <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>r Mystik, in <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Mythos als bloße symbolische Form <strong>de</strong>sillusioniert und die Absolutheit <strong>de</strong>s<br />

unnennbaren Erlebnisses aufgerichtet wird. Faktisch erweist sich die Mystik dann<br />

allerdings als mythenkonservierend, sie gibt eine neue Begründung für <strong>de</strong>n Mythos,<br />

<strong>de</strong>n sie nun als Symbol <strong>de</strong>s Eigentlichen auslegt. 2. Die zweite Form ist die <strong>de</strong>r<br />

monotheistischen Revolution, <strong>de</strong>ren klassische Gestalt in Israel vorliegt. In ihr wird<br />

<strong>de</strong>r Mythos als menschliche Eigenmacht abgewiesen. Es wird die Absolutheit <strong>de</strong>s im<br />

Propheten ergehen<strong>de</strong>n göttlichen Anrufs behauptet. Dazu kommt als drittes die<br />

Aufklärung, <strong>de</strong>ren erster großer Vollzug in Griechenland geschah: In ihr wird <strong>de</strong>r<br />

Mythos als vorwissenschaftliche Erkenntnisform überwun<strong>de</strong>n und die Absolutheit <strong>de</strong>r<br />

rationalen Erkenntnis aufgerichtet. Das Religiöse wird be<strong>de</strong>utungslos, höchstens<br />

bleibt ihm eine gewisse rein formale Funktion im Sinne eines politischen (= auf die<br />

Polis bezogenen) Zeremoniells. 3. Der dritte Weg ist erst in <strong>de</strong>r Neuzeit, ja eigentlich<br />

erst in <strong>de</strong>r Gegenwart zu seiner vollen Kraft gekommen und scheint noch immer seine<br />

eigentliche Zukunft erst vor sich zu haben. Sein Beson<strong>de</strong>res ist, daß er nicht einen<br />

Weg im Innern <strong>de</strong>r Religionsgeschichte darstellt, son<strong>de</strong>rn vielmehr <strong>de</strong>ren Beendigung<br />

will und aus ihr als aus einer überholten Sache herausführen möchte [...] Heute beruht<br />

die Wirkung Radhakrishnans und seiner Konzeption sicher nicht nur auf <strong>de</strong>ren<br />

religiöser Kraft, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r erstaunlichen Allianz mit <strong>de</strong>m, was man heute<br />

mutatis mutandis die Kräfte <strong>de</strong>r Aufklärung nennen darf.« 7<br />

Die monotheistische Revolution konkretisiert sich nicht in einer mystischen Erfahrung,<br />

son<strong>de</strong>rn im Propheten. Hier ist nicht I<strong>de</strong>ntität gesucht, son<strong>de</strong>rn das Gegenüber<br />

<strong>de</strong>s rufen<strong>de</strong>n Gottes. Die mystische Erfahrung drückt sich in überzeitlichen Symbolen<br />

aus, während <strong>de</strong>r göttliche Anruf datierbar ist im Hier und Jetzt; hier wird Geschichte<br />

gesetzt. Gott wird nicht in einer mystischen Erfahrung geschaut, son<strong>de</strong>rn als Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r<br />

erfahren, bleibt aber selbst im Dunkel: »Wenn aber das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> nicht die<br />

eigene geistliche Erfahrung, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r göttliche Anruf ist, dann sind letzten En<strong>de</strong>s<br />

alle in <strong>de</strong>r gleichen Lage, die diesem Anruf glauben: Ein je<strong>de</strong>r ist in gleicher Weise<br />

gerufen. Während in <strong>de</strong>n mystischen Religionen <strong>de</strong>r Mystiker »erster Hand« und <strong>de</strong>r<br />

Gläubige ‘zweiter Hand’ ist, ist hier ‘erster Hand’ überhaupt nur Gott selbst. Die<br />

Menschen sind samt und son<strong>de</strong>rs zweiter Hand: Hörige <strong>de</strong>s göttlichen Rufs.« So<br />

8<br />

steht <strong>de</strong>r Glauben<strong>de</strong> nicht in einem Kreislauf <strong>de</strong>s immer Gleichen, son<strong>de</strong>rn in einer<br />

Geschichte, die für Neues offen ist, weil Gott selbst in ihr han<strong>de</strong>lt.


9<br />

10<br />

11<br />

Die Frage ist nur, ob Gott auch ohne die Menschheit selig wäre.<br />

5<br />

J. Ratzinger, Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart-München 2000, 175.<br />

Ebd.<br />

II. Konsequenzen<br />

An <strong>de</strong>n dargestellten Profilierungen, die Joseph Ratzinger am Spezifikum <strong>de</strong>s christlichen<br />

Glaubens vornimmt, lassen sich wichtige Folgerungen für ein authentisches<br />

Verständnis <strong>de</strong>r Liturgie fin<strong>de</strong>n.<br />

1. Feier <strong>de</strong>r Mysterien <strong>de</strong>s Lebens Jesu<br />

Christliche Mystik kennt die Versuchung, im mystischen Akt alles vor Gott verschwin<strong>de</strong>n<br />

zu lassen, so daß es scheint, ein Mystiker brauche sich nicht mehr mit <strong>de</strong>r<br />

Menschheit Christi zu beschäftigen. Doch am konkreten Leben Jesu vorbei gibt es<br />

keinen Zugang zu Gott. Denn unser Leben ist Gottes Leben selber. Die Menschwerdung<br />

<strong>de</strong>s Logos besagt mehr als ein einzelnes Vorkommnis in einer fertigen Welt, sie<br />

ist ontologisch das Ziel <strong>de</strong>r Schöpfung, das alles in <strong>de</strong>r Welt neu disponiert. Der<br />

Logos wird nicht in einem statischen Sinn Mensch, er tritt vielmehr in die Geschichte<br />

als ihre Fülle und ihr En<strong>de</strong> ein: Die Heilsgeschichte ist die fortschreiten<strong>de</strong> Inbesitznahme<br />

<strong>de</strong>r Welt durch Gott. Der Mensch existiert, weil Gott sich als Mensch wollte,<br />

9<br />

so daß alles menschliche Leben zuerst und zuletzt Gottes Leben ist. Insofern muß<br />

je<strong>de</strong> christliche Anthropologie von <strong>de</strong>r Christologie her entworfen wer<strong>de</strong>n: Der<br />

Mensch ist im vollsten Sinn Mensch, als er Gottes Existenz in die Welt hinein ist.<br />

Es fällt auf, welche zentrale Be<strong>de</strong>utung gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Inkarnation in <strong>de</strong>r Theologie<br />

Joseph Ratzingers zukommt. Dabei beruft er sich auf <strong>de</strong>n französischen Jesuitentheologen<br />

Henri <strong>de</strong> Lubac und seine Aussage, »<strong>de</strong>r bevorzugte Platz <strong>de</strong>s Mysteriums<br />

sei das Leben Christi. Die Taten darin seien zwar einerseits echte menschliche Taten,<br />

aber es seien eben auch Taten einer göttlichen Person. De Lubac wörtlich: ‘Den Sinn<br />

<strong>de</strong>s Lebens Christi fassen, heißt eindringen in die göttliche Wirklichkeit’« . Gott wie<br />

10<br />

auch <strong>de</strong>r Sinn menschlicher Existenz wer<strong>de</strong>n sichtbar und faßbar im Leben Christi.<br />

Joseph Ratzinger führt im Gespräch mit Peter Seewald aus: »Ich glaube, das Wesentliche<br />

ist, daß man im allmählichen Eindringen und Mitleben <strong>de</strong>s Lebens Christi<br />

überhaupt erst <strong>de</strong>n Lebensstoff und die Lebensgrundlage hat, in <strong>de</strong>r einem das<br />

Verstehen Gottes zuteil wer<strong>de</strong>n kann. Die Worte Jesu sind gewiß von einer unersetzlichen<br />

Be<strong>de</strong>utung, aber wir dürfen Christus nicht auf Worte allein reduzieren. Das<br />

Fleisch, wie Johannes sagt, gehört mit dazu, es ist das gelebte Wort, das dann eben<br />

bis ins Kreuz hineinführt. Nur wenn wir <strong>de</strong>n ganzen, vitalen Zusammenhang <strong>de</strong>r Gestalt<br />

Jesu betrachten, sprechen auch die Worte in jener Größe, die ihnen innewohnt.«<br />

11<br />

Der bevorzugte Ort <strong>de</strong>r Offenbarung ist das Leben Christi, wie es in <strong>de</strong>r Liturgie<br />

gefeiert und vergegenwärtigt wird. Die Taten Christi sind echte menschliche Taten, in


12<br />

13<br />

14<br />

Augustinus, Epist.187, c.11, n.34 (PL 33,845).<br />

R. Guardini, Religion und Offenbarung I. Würzburg 1958, 227f.<br />

J. Ratzinger, Glaube - Wahrheit - Toleranz, 73.<br />

6<br />

unsere Geschichte hineingestellt - aber es sind Taten einer göttlichen Person. In je<strong>de</strong>r<br />

von ihnen macht Gott sich menschlich sichtbar und faßbar. Den Sinn <strong>de</strong>s Lebens<br />

Jesu Christi fassen heißt unmittelbar eindringen in die göttliche Wirklichkeit. »Wie<br />

kannst du sagen: Zeige uns <strong>de</strong>n Vater? Philippus, wer mich sieht, sieht <strong>de</strong>n Vater«<br />

(vgl. Joh 14,9). Das Leben Jesu ist das Mysterium schlechthin, so daß es bei Augustinus<br />

heißt: »Non est aliud Dei mysterium nisi Christus. - Es gibt kein an<strong>de</strong>res<br />

12<br />

Mysterium Gottes als Christus« , ja, es gibt kein größeres Mysterium Gottes als das<br />

Leben Christi selbst.<br />

Je<strong>de</strong> Darlegung <strong>de</strong>r Liturgie hat bei <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und <strong>de</strong>r Offenbarung in<br />

Christus anzusetzen. Der christliche Glaube ist kein Produkt einer inneren Erfahrung,<br />

13<br />

son<strong>de</strong>rn Ereignis, das von außen auf uns zutritt. Das gilt schon für die Grundinhalte<br />

<strong>de</strong>s Glaubens, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Offenbarung: »Trinität ist nicht Gegenstand unserer<br />

Erfahrung, son<strong>de</strong>rn etwas, was von außen gesagt wer<strong>de</strong>n muß, als ‘Offenbarung’ von<br />

außen her an mich herantritt. Das gleiche gilt von <strong>de</strong>r Menschwerdung <strong>de</strong>s Wortes,<br />

die eben ein Ereignis ist und nicht in innerer Erfahrung gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Dieses<br />

Zukommen von außen ist für <strong>de</strong>n Menschen skandalös, <strong>de</strong>r nach Autarkie und Auto-<br />

14<br />

nomie strebt« .<br />

2. Primat <strong>de</strong>s Logos vor <strong>de</strong>m Ethos<br />

Gott befreit <strong>de</strong>n Menschen nicht nur von aller Sün<strong>de</strong> und heiligt ihn mit seiner Gna<strong>de</strong>,<br />

er läßt ihn auch einen Blick in sein verborgenes Wesen tun, das selbst <strong>de</strong>n Engeln unbekannt<br />

bleibt. Als Gott seinen Sohn am Kreuz für die Menschen dahingibt, läßt er in<br />

<strong>de</strong>r Offenbarung seines dreifaltigen Wesens zugleich einen Strahl seines Lichtes, in<br />

<strong>de</strong>m er selbst wohnt, in das Leben <strong>de</strong>r Menschen dringen. Somit gilt im Glauben und<br />

in <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r Primat <strong>de</strong>s Logos vor <strong>de</strong>m Ethos.<br />

Wird <strong>de</strong>r Glaube unter <strong>de</strong>m Primat <strong>de</strong>s Logos verstan<strong>de</strong>n, ergibt sich eine wichtige<br />

Korrektur im Verständnis <strong>de</strong>ssen, worin die einzigartige Be<strong>de</strong>utung Jesu zu sehen ist.<br />

Die Frage, wer Jesus sei, reduziert sich heute zuweilen nur noch auf die Frage, woher<br />

er <strong>de</strong>nn sei. Es ist jedoch ein voreiliges, ja falsches Verständnis von Historie, zu<br />

glauben, man habe einen Sachverhalt erfaßt, wenn sein Entstehungsprozeß geklärt<br />

ist. Für das Johannes-Evangelium läßt sich Jesus nicht durch Rückführung auf<br />

Historie erkennen, son<strong>de</strong>rn nur durch <strong>de</strong>n Geist, also nur durch sich selbst.<br />

Christliche Moral ist mehr als Ethik; sie ist Ausdruck <strong>de</strong>r seinshaften Verwurzelung in<br />

Christus. Der Menschensohn eröffnet <strong>de</strong>m Menschen nicht nur eine neue Verhaltensweise;<br />

das Leben in Christus geht über eine Gesinnungsnachfolge hinaus, es entfaltet<br />

sich als eine neue Weise <strong>de</strong>r Begegnung mit <strong>de</strong>m Sein Gottes. »Für uns ist Christus«,<br />

schreibt Nikolaus Kabasilas, »nicht mehr bloß ein Vorbild, das wir nachahmen sollen,


15<br />

16<br />

17<br />

Nikolaus Kabasilas, Über das Leben in Christus (PG 150,612D-613A).<br />

Augustinus, Sermo 304,4 (PL 38,1397).<br />

D. Staniloae, L'homme, image <strong>de</strong> Dieu dans le mon<strong>de</strong>, in: Contacts 84 (1973/4) 297ff.<br />

7<br />

auch nicht mehr nur ein Gesetzgeber, <strong>de</strong>m zu gehorchen ist. Er ist auch nicht bloß die<br />

Ursache für unsere Gerechtigkeit, son<strong>de</strong>rn selber das Leben und die Gerechtigkeit in<br />

15<br />

uns.« Jesus Christus ist keineswegs bloß ein I<strong>de</strong>albild menschlichen Lebens und<br />

Vorbild menschlicher Tugen<strong>de</strong>n; er führt auf <strong>de</strong>n Weg zum Vater. Augustinus schreib<br />

16<br />

t: »ascendit Christus in caelum: sequamur eum« .<br />

Alles Tun im Glauben bleibt <strong>de</strong>m Sein nachgeordnet, <strong>de</strong>nn was <strong>de</strong>r Mensch durch<br />

Christus in <strong>de</strong>n Sakramenten und in <strong>de</strong>r Liturgie empfängt, ist mehr, als er je selbst<br />

<strong>de</strong>nken und verwirklichen kann. Der Logos ist die Quelle göttlichen Lebens, wie er<br />

auch <strong>de</strong>r ganzen Schöpfung innewohnt und alles in ihr seine Gestalt annimmt.<br />

Alles im Leben <strong>de</strong>s Menschen ist »worthaft«, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Logos »hat nicht nur eine Welt<br />

gleich einem in vielfältigen Weisen inkarnierten Wort erschaffen; er hat auch ein Sub-<br />

17<br />

jekt erweckt, das dieses Wort verstehen kann« . Das Geschenk <strong>de</strong>s neuen Lebens in<br />

Christus annehmend, lernt <strong>de</strong>r Mensch, seinem Leben und <strong>de</strong>r Welt nicht mehr ein<br />

menschliches Siegel (nämlich das <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>) aufzudrücken, son<strong>de</strong>rn das Siegel <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Lebens in Christus.<br />

Die Christusförmigkeit übersteigt je<strong>de</strong> Christusfrömmigkeit, sie erwächst aus <strong>de</strong>r lebendigen<br />

Beziehung <strong>de</strong>s einzelnen zum Menschensohn als <strong>de</strong>m In-Bild <strong>de</strong>s eigenen<br />

Lebens. In Christus zu einer »neuen Schöpfung« gewor<strong>de</strong>n (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15),<br />

läßt <strong>de</strong>r Mensch sich und sein Leben von <strong>de</strong>r Wirklichkeit <strong>de</strong>s neuen Lebens in Jesus<br />

Christus prägen. In Liturgie, Frömmigkeit und geistlichem Leben naht sich <strong>de</strong>r Mens<br />

ch aus <strong>de</strong>r Gesamtgestalt seines kreatürlichen Wesens <strong>de</strong>m unerforschlichen und<br />

unbegreiflichen Gott, nicht aus irgen<strong>de</strong>inem Trieb, einmal fromm zu sein, son<strong>de</strong>rn um<br />

sich mit seiner ganzen Existenz <strong>de</strong>m Mysterium Gottes hinzugeben, das seinem<br />

Leben urbildhaft eingeprägt ist. So hat <strong>de</strong>r Mensch, alles faktisch Gegebene übersteigend,<br />

schon jetzt, durch Glaube und Taufe, Anteil am göttlichen Leben und an allem,<br />

was <strong>de</strong>r Schöpfung verheißen ist.<br />

3. Lebendiges Gefüge <strong>de</strong>r Tradition<br />

Nicht die jeweilige Gemein<strong>de</strong> bestimmt, was Liturgie ist, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r lebendige<br />

Organismus <strong>de</strong>r Kirche, mit <strong>de</strong>n ihr eigenen Kräften und Gesetzen. So hat die Kirche<br />

ihre eigene liturgische Tradition zu wahren und zugleich offen zu sein für die Zeichen<br />

<strong>de</strong>r Zeit. Selbst die höchste kirchliche Autorität darf die Liturgie nicht beliebig än<strong>de</strong>rn,<br />

son<strong>de</strong>rn nur in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r kirchlichen Überlieferung. Nicht Beliebigkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn Gehorsam im Glauben ist je<strong>de</strong>r Autorität in <strong>de</strong>r Kirche auferlegt. In diesem<br />

Sinn ist <strong>de</strong>r Ritus eine »Vor-Gabe« <strong>de</strong>r Kirche an die Kirche, die kon<strong>de</strong>nsierte Gestalt<br />

lebendiger Überlieferung.<br />

Joseph Ratzinger bezeichnet es als »Reduktionismus einer abstrakten Sakramenten-


18<br />

J. Ratzinger, Aus meinem Leben. Erinnerungen, Stuttgart 1998, 78.<br />

8<br />

theologie«, wenn nach Auffassung neuscholastischer Theologen die Substanz auf Materie<br />

und Form <strong>de</strong>s Sakraments reduziert wird, in<strong>de</strong>m man lehrt: »Brot und Wein sind<br />

die Materie <strong>de</strong>s Sakraments, die Einsetzungsworte sind seine Form. Nur dies ist<br />

notwendig, alles an<strong>de</strong>re kann geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.« Mit einer solchen Auffassung<br />

wür<strong>de</strong>n »Mo<strong>de</strong>rnisten und Traditionalisten« die Liturgie als eine lebendige Ganzheit<br />

und als »lebendiges Gefüge gestaltgewor<strong>de</strong>ner Tradition« aus <strong>de</strong>m Blick verlieren.<br />

Ein pastoraler Pragmatismus wirkt sich genauso zerstörerisch auf die Liturgie aus wie<br />

ein Archäologismus, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r ältesten Schicht <strong>de</strong>r römischen<br />

Liturgie viele überlieferten Elemente einfach als »Wucherungen« ausschei<strong>de</strong>t. Liturgie<br />

ist vielmehr etwas Lebendiges, das nicht rein »logisch nach einem rationalistisch-historischen<br />

Maßstab« verläuft. Deshalb haben die »Experten nicht das letzte<br />

Wort in <strong>de</strong>r Liturgiereform«. Nach <strong>de</strong>m II. Vatikanum hatten die Fachleute nicht selten<br />

das Sagen und die Liturgie wur<strong>de</strong> zum Experimentierfeld praktischer und pastoraler<br />

Theorien; man erkannte nicht mehr <strong>de</strong>utlich genug, daß Liturgie niemals etwas ist,<br />

was wir machen, son<strong>de</strong>rn etwas, zu <strong>de</strong>m wir hinzutreten. So gilt es, künftig stärker<br />

<strong>de</strong>n »Primat Gottes« in <strong>de</strong>r Liturgie zu sichern und in <strong>de</strong>r Art und Weise liturgischen<br />

Feierns <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n zu lassen.<br />

Joseph Ratzingers Verständnis <strong>de</strong>r Liturgie ist zur Gänze nur nachvollziehbar, wenn<br />

man es in das Gesamt seiner Theologie stellt. Nach<strong>de</strong>m er über Augustinus seine Promotionsarbeit<br />

geschrieben hatte, kam er mit Gottlieb Söhngen überein, eine Habilitationsschrift<br />

über Bonaventura anzufertigen. Das Thema kam aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r<br />

Fundamentaltheologie, und zwar ging es um <strong>de</strong>n Offenbarungsbegriff <strong>de</strong>s »Doctor<br />

seraphicus«. Wur<strong>de</strong> zur Zeit <strong>de</strong>r Neuscholastik Gottes Selbsterschließung in Christus<br />

vor allem als göttliche Mitteilung <strong>de</strong>r Wahrheit verstan<strong>de</strong>n und blieb damit <strong>de</strong>m<br />

intellektuellen Vermögen <strong>de</strong>s Menschen zugeordnet, so griff <strong>de</strong>r Habilitant in seiner<br />

vorgelegten Arbeit das damals neu aufkommen<strong>de</strong> heilsgeschichtliche Verständnis <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung auf: »Offenbarung erschien nun nicht mehr einfach als Mitteilung von<br />

Wahrheiten an <strong>de</strong>n Verstand, son<strong>de</strong>rn als geschichtliches Han<strong>de</strong>ln Gottes, in <strong>de</strong>m<br />

sich stufenweise Wahrheit enthüllt« . Dieser Ansatz war für die damalige Zeit neu.<br />

18<br />

Der Neuansatz sollte nicht nur auf <strong>de</strong>m II. Vatikanum be<strong>de</strong>utsam wer<strong>de</strong>n, er steht auch<br />

im Einklang mit <strong>de</strong>r frühchristlichen Theologie, wie sie heute noch in <strong>de</strong>r Ostkirche<br />

fortlebt. So sieht die frühe Kirche die einzigartige Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Liturgie darin, daß<br />

sie zu jener mündlichen Überlieferung <strong>de</strong>r Offenbarung gehört, die im kirchlichen<br />

Leben und Brauchtum weitergegeben wird. Dazu heißt es bei Basilius von Caesarea<br />

in seinem Werk »Vom Heiligen Geist«: »Wer hat uns schriftlich gelehrt, daß die auf<br />

<strong>de</strong>n Namen unseres Herrn Jesus Christus Hoffen<strong>de</strong>n sich mit <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>s Kreuzes<br />

bezeichnen? Welcher Buchstabe hat uns angewiesen, uns beim Gebet nach Osten<br />

zu richten? Die Worte <strong>de</strong>r Epiklese beim Weihen <strong>de</strong>s eucharistischen Brotes und <strong>de</strong>s<br />

Kelches <strong>de</strong>r Segnung - wer von <strong>de</strong>n Heiligen hat sie uns schriftlich hinterlassen? Wir


19<br />

20<br />

Zit. nach Basilius von Cäsarea, Über <strong>de</strong>n Heiligen Geist. Eingel. und übers. von Manfred Blum, Freiburg 1967, 98f.<br />

9<br />

begnügen uns ja nicht mit <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r Apostel o<strong>de</strong>r das Evangelium anführen, son<strong>de</strong>rn<br />

sprechen vorher und nachher noch an<strong>de</strong>res aus <strong>de</strong>r ungeschriebenen Lehre,<br />

was von großer Be<strong>de</strong>utung für das Mysterium ist. Wir segnen auch das Wasser <strong>de</strong>r<br />

Taufe und das Öl <strong>de</strong>r Salbung und außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Täufling selbst. Auf welche schriftlichen<br />

Zeugnisse stützen wir uns da? Lassen wir uns dabei nicht von <strong>de</strong>r verschwiegenen<br />

und geheimnisvollen Überlieferung leiten?« Offenbarung wie auch ihre An-<br />

19<br />

nahme im Glauben <strong>de</strong>s Menschen und in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r Kirche gehören <strong>de</strong>mnach<br />

zusammen.<br />

Basilius bezeichnet die ungeschriebene Tradition als »Dogma«; die geschriebene<br />

hingegen, welche er als »Kerygma« <strong>de</strong>finiert, ist in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und in <strong>de</strong>n<br />

Werken <strong>de</strong>r Kirchenväter überliefert. Dem Dogma kommt es zu, das Kerygma auszulegen<br />

und zu vertiefen, nicht mit Worten und Begriffen, son<strong>de</strong>rn im Vollzug <strong>de</strong>r Sakramente<br />

wie auch im Leben <strong>de</strong>r Kirche und im Alltag <strong>de</strong>s Christen. Bei<strong>de</strong>, Kerygma<br />

20<br />

und Dogma, bil<strong>de</strong>n die apostolische Tradition. Darin wird <strong>de</strong>utlich, daß es nach<br />

Basilius in <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r Liturgie nicht bloß um eine Frage <strong>de</strong>s Ritus und <strong>de</strong>r Zelebrationsweise<br />

geht. Liturgie ist gefeiertes Dogma und gehört damit zur unaufgebbaren<br />

Überlieferung <strong>de</strong>s christlichen Glaubens.<br />

Die Glaubensregel blieb lange nicht aufgeschrieben, sie war mehr o<strong>de</strong>r weniger mit<br />

<strong>de</strong>m konkreten Leben <strong>de</strong>r glauben<strong>de</strong>n Kirche i<strong>de</strong>ntisch. Seit aber die Autorität <strong>de</strong>r<br />

sprechen<strong>de</strong>n Kirche wie auch <strong>de</strong>r apostolischen Nachfolge in die Schrift eingeschrieben<br />

ist, kann sie von ihr nicht mehr getrennt wer<strong>de</strong>n. Doch die Offenbarung und<br />

die »viva vox« <strong>de</strong>r apostolischen Nachfolge liegen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift voraus und<br />

sind mit ihr nicht i<strong>de</strong>ntisch: Die Offenbarung ist größer und umfassen<strong>de</strong>r als das in<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift Enthaltene. Deshalb heißt es bei Ratzinger: Offenbarung meint<br />

nicht nur jenen Akt, in <strong>de</strong>m Gott sich seinen Geschöpfen kundtut, son<strong>de</strong>rn auch »<strong>de</strong>n<br />

Akt <strong>de</strong>s Empfangens, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>m Menschen diese Zuwendung Gottes aufgeht und zur<br />

Offenbarung wird. Alles in Worten Festzuhalten<strong>de</strong>, also auch die Schrift, ist dann<br />

Zeugnis von Offenbarung, aber nicht die Offenbarung selbst. Und nur die Offenbarung<br />

selbst ist auch im eigentlichen Sinn 'Quelle', die Quelle, aus <strong>de</strong>r die Schrift sich<br />

speist. Wird sie von diesem Lebenszusammenhang <strong>de</strong>r Zuwendung Gottes im Wir <strong>de</strong>r<br />

Glauben<strong>de</strong>n abgelöst, dann ist sie aus ihrem Lebensgrund herausgerissen und nur<br />

noch 'Buchstabe', nur noch 'Fleisch'« .<br />

21<br />

Das evangelische Prinzip »Sola scriptura« erweist sich insofern als unzureichend, als<br />

es die Kirche mit ihrer Überlieferung und Liturgie in ihrer konstitutiven Be<strong>de</strong>utung für<br />

das Leben aus <strong>de</strong>m Glauben außer acht läßt.<br />

Der unmittelbare Zusammenhang von Offenbarung, Schrift und Kirche wird auf <strong>de</strong>m<br />

21<br />

Das Kerygma wird verkün<strong>de</strong>t, das Dogma bleibt »verschwiegen«, wie Basilius sagt, <strong>de</strong>nn nur im Schweigen läßt sich die Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Geheimnisse bewahren und vor aller Gewohnheit und Gewöhnlichkeit schützen.<br />

J. Ratzinger, Vom Wie<strong>de</strong>rauffin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Mitte. Grundorientierungen, Freiburg-Basel-Wien 1997, 94.


22<br />

So J. Ratzinger in seinem Kommentar zu »Dei Verbum«, in: LThK II (1967), 498- 528, hier 522.<br />

10<br />

II. Vatikanum immer wie<strong>de</strong>r betont. Offenbarung meint das gesamte Sprechen und<br />

Tun Gottes an <strong>de</strong>n Menschen, also jene Wirklichkeit, von <strong>de</strong>r die Heilige Schrift<br />

Zeugnis ablegt, welche aber die Heilige Schrift nicht allein ist. In DV 9 heißt es: »So ergibt<br />

sich, daß die Kirche ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift allein schöpft.« Überlieferung, Heilige Schrift und Lehramt <strong>de</strong>r Kirche sind<br />

<strong>de</strong>rart »unmittelbar miteinan<strong>de</strong>r verknüpft und einan<strong>de</strong>r zugesellt, daß keines ohne die<br />

an<strong>de</strong>ren besteht und daß alle zusammen, je<strong>de</strong>s auf seine Art, durch das Tun <strong>de</strong>s einen<br />

Heiligen Geistes wirksam <strong>de</strong>m Heil <strong>de</strong>r Seelen dienen« (DV 10). Die Kirche bleibt somit<br />

keine gesetzliche Institution, son<strong>de</strong>rn eine »lebendige Überlieferung«, die, wie Ratzinger<br />

sagt, »gleichsam lebendiger Ausdruck <strong>de</strong>r 'Perpetuierung' <strong>de</strong>s Christusge-<br />

22<br />

heimnisses im Leben <strong>de</strong>r Kirche« ist.<br />

Das Dogma, das eine geoffenbarte Wahrheit ausdrückt, die wie ein unerforschliches<br />

Mysterium erscheint, muß sich je<strong>de</strong>r im Glauben durch einen seelischen Prozeß, nicht<br />

zuletzt gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Mitfeier <strong>de</strong>r Liturgie, so aneignen, daß er nicht das Mysterium<br />

seiner Erkenntnisweise anpaßt, son<strong>de</strong>rn selbst eine tiefgreifen<strong>de</strong> Umgestaltung, eine<br />

innere Umwandlung seines Geistes erfährt, um schließlich zu <strong>de</strong>r mystischen Erfahrung<br />

<strong>de</strong>ssen fähig zu wer<strong>de</strong>n, was das Dogma ausdrückt. Nach östlicher Auffassung<br />

muß <strong>de</strong>r Mensch in einer ständigen inneren Transformation sein Denken und Leben<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit <strong>de</strong>s Glaubens angleichen, statt die Dogmen seinem Denkvermögen und<br />

seiner Fassungskraft anzupassen.<br />

4. Gegenwartsfülle<br />

Bei seiner Predigt zur Eröffnung <strong>de</strong>s Konklaves nimmt Cardinal Ratzinger Bezug auf<br />

die Lesung aus Eph 4,11-16. Mit <strong>de</strong>n Worten aus Psalm 68 heißt es in <strong>de</strong>m Brief an die<br />

Gemein<strong>de</strong> von Ephesus, daß Christus, während er zur Höhe hinaufstieg, »<strong>de</strong>n Menschen<br />

Geschenke« gab (Eph 4,8). Der Cardinal<strong>de</strong>kan führt hierzu aus: »Der Sieger verteilt<br />

Geschenke. Und diese Geschenke sind Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten<br />

und Lehrer. Unser Dienst ist ein Geschenk Christi für die Menschen, um seinen Leib<br />

aufzubauen - die neue Welt. Laßt uns unseren Dienst auf diese Weise leben, als<br />

Geschenk Christi an die Menschen!« So die Frage, wie <strong>de</strong>r neu gewählte <strong>Papst</strong> seinen<br />

eigenen Dienst versteht und ausgeübt haben will.<br />

Mit Bezug auf die »Instruktion über die kirchliche Berufung <strong>de</strong>s Theologen« vom 24.<br />

Mai 1990 nimmt Cardinal Ratzinger als Präfekt <strong>de</strong>r Glaubenskongregation Stellung zu<br />

<strong>de</strong>r Auffassung, »daß es Lehrentscheidungen überhaupt nur dort geben kann, wo die<br />

Kirche Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen darf; außerhalb dieses Bereichs wür<strong>de</strong> nur<br />

das Argument zählen, eine gemeinsame Gewißheit <strong>de</strong>r Kirche also unmöglich sein« .<br />

23<br />

Joseph Ratzinger sieht in einer solchen Einschränkung <strong>de</strong>s Lehramtes eine typisch<br />

westliche Verengung bzw. Verrechtlichung <strong>de</strong>s Glaubens. Joseph Ratzinger führt<br />

23<br />

J. Ratzinger, Wesen und Auftrag <strong>de</strong>r Theologie. Versuche zu ihrer Ortsbestimmung im Disput <strong>de</strong>r Gegenwart, Einsie<strong>de</strong>ln 1993, 98.


24<br />

25<br />

26<br />

Ebd., 98f.<br />

J. Ratzinger, Der Geist <strong>de</strong>r Liturgie, 138.<br />

11<br />

weiter aus, in<strong>de</strong>m er mit Blick auf die aktuelle Situationen schreibt: »Wenn heute für<br />

viele die ganze Liturgie zum Spielfeld privater 'Kreativität' gewor<strong>de</strong>n ist, die sich beliebig<br />

austoben kann, falls nur die Wandlungsworte bleiben, so ist immer noch dieselbe<br />

Verkürzung <strong>de</strong>s Blicks am Werk, die einer typisch westlichen Fehlentwicklung entspringt<br />

und in <strong>de</strong>r Ostkirche ganz un<strong>de</strong>nkbar wäre.« Man verliert <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r<br />

24<br />

Liturgie, wenn man sie auf das juristische Minimum bzw. die rubrizistische Einhaltung<br />

gottesdienstlichen Verhaltens reduziert, während alles an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m jeweiligen Belieben<br />

überlassen bleibt.<br />

Bei einem Ritus geht es nicht um Theorien und Gedankengeflechte über Gott, son<strong>de</strong>rn<br />

um die rechte Weise <strong>de</strong>r Anbetung - im Nachvollzug <strong>de</strong>r wahren »Eucharistia« <strong>de</strong>s<br />

Herrn, die er auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>r Kreuzigung vollzogen hat. »Ein Wort Kants abwan<strong>de</strong>lnd,<br />

könnte man sagen: Liturgie bezieht alles von <strong>de</strong>r Inkarnation auf die Auferstehung,<br />

aber auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Kreuzes. ‘Ritus’ ist also für <strong>de</strong>n Christen eine<br />

konkrete, Zeiten und Räume übergreifen<strong>de</strong> gemeinschaftliche Gestaltung <strong>de</strong>s durch<br />

<strong>de</strong>n Glauben geschenkten Grundtypus von Anbetung, die ihrerseits [...] immer die<br />

ganze Praxis <strong>de</strong>s Lebens einbezieht. Ritus hat also seinen primären Ort in <strong>de</strong>r Liturgie,<br />

aber nicht nur in ihr. Er drückt sich auch aus in einer bestimmten Weise, Theologie<br />

zu treiben, in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>s geistlichen Lebens und in <strong>de</strong>n rechtlichen Ordnungsformen<br />

<strong>de</strong>s kirchlichen Lebens.« 25<br />

Mit einer solchen Bestimmung <strong>de</strong>s »Ritus« ist es nach Joseph Ratzinger kaum<br />

vorstellbar, daß es in <strong>de</strong>r Römischen Kirche über längere Zeit mehrere Riten geben<br />

kann. Sven Conrad zitiert einen Brief Joseph Ratzingers an Heinz Lothar Barth vom<br />

26<br />

23. Juni 2003: »Ich glaube aber, daß auf Dauer die römische Kirche doch wie<strong>de</strong>r einen<br />

einzigen römischen Ritus haben muß; die Existenz von zwei offiziellen Riten ist in <strong>de</strong>r<br />

Praxis für die Bischöfe und Priester nur schwer zu ‘verwalten’.«<br />

Über <strong>de</strong>n künftigen Ritus <strong>de</strong>r Römischen Kirche führt Joseph Ratzinger aus: »Der Römische<br />

Ritus <strong>de</strong>r Zukunft sollte ein einziger Ritus sein, auf Latein o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>ssprache<br />

gefeiert, aber vollständig in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s überlieferten Ritus stehend;<br />

er könnte einige neue Elemente aufnehmen, die sich bewährt haben, wie neue Feste,<br />

einige neue Präfationen in <strong>de</strong>r Messe, eine erweiterte Leseordnung - mehr Auswahl<br />

als früher, aber nicht zuviel - eine ‘Oratio fi<strong>de</strong>lium’, d.h. eine festgelegte Fürbitt-Litanei<br />

nach <strong>de</strong>m Oremus vor <strong>de</strong>r Opferung, wo sie früher ihren Platz hatte.« Eine solche<br />

27<br />

Äußerung darf so ausgelegt wer<strong>de</strong>n, daß Joseph Ratzinger neben <strong>de</strong>r Liturgie <strong>de</strong>r<br />

Reform <strong>de</strong>s II. Vatikanum gleichzeitig keine zweite, nämlich die <strong>de</strong>r alten tri<strong>de</strong>nti-<br />

27<br />

Es besteht hier auch kein ähnlicher Zustand, wie es bei <strong>de</strong>n byzantinischen Riten <strong>de</strong>r Fall ist (z.B. Chrysostomus- und Basilius-<br />

Liturgie). Vgl. dazu M. Schnei<strong>de</strong>r, Die Göttliche Liturgie. Eine theologische Hinführung zur Liturgie unserer Väter unter <strong>de</strong>n<br />

Heiligen Basilius und Johannes Chrysostomus, Köln 2005.<br />

Zit. nach S. Conrad, Kirche besteht als Liturgie. Das liturgische Anliegen von <strong>Papst</strong> <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>., in: PMT 32 (2006) 13-36, hier<br />

33 (in diesem Artikel fin<strong>de</strong>n sich auch viele an<strong>de</strong>re wertvolle Anregungen für unser Thema).


28<br />

29<br />

Ebd., 99f.<br />

Ebd.<br />

12<br />

nischen Messe, für möglich hält. Ein Einheitsritus aus alter und neuer Messe ist für<br />

Joseph Ratzinger keine Lösung, vielmehr ist grundsätzlicher anzusetzen.<br />

Die Heilige Messe ist nach Odo Casel nicht nur die unblutige Erneuerung bzw. Vergegenwärtigung<br />

<strong>de</strong>s Kreuzesopfers am Altar, vielmehr wird <strong>de</strong>n Gläubigen das ganze<br />

Heilsmysterium, das in Tod und Auferstehung seinen Höhepunkt erreicht hat, in <strong>de</strong>n<br />

Kultmysterien <strong>de</strong>r Kirche zugänglich und gegenwärtig, auf daß es das Leben aus <strong>de</strong>m<br />

Glauben in all seinen Dimensionen bestimmt. Die Liturgie ist keine Frömmigkeitsübung,<br />

in <strong>de</strong>r nur das Ereignis <strong>de</strong>r Kreuzigung <strong>de</strong>s Herrn gefeiert wird, son<strong>de</strong>rn sie<br />

läßt das ganze Heilsgeschehen bis hin zu seiner Wie<strong>de</strong>rkunft gegenwärtig wer<strong>de</strong>n.<br />

Was von <strong>de</strong>n Sakramenten gilt, muß in gleicher Weise auch vom Glauben gesagt wer<strong>de</strong>n.<br />

Für die frühe Kirche reduzierte sich die Glaubenslehre keineswegs auf das<br />

unmittelbar dogmatisch festgelegte Glaubensgut, so daß alles an<strong>de</strong>re bloßes »Argument«<br />

und <strong>de</strong>r theologischen Debatte überlassen bleibt. Vielmehr wur<strong>de</strong> die Glaubenslehre<br />

als ein lebendiges Gefüge verstan<strong>de</strong>n und als solches im Glaubensbekenntnis<br />

festgehalten. Der Kirche ist die Gabe <strong>de</strong>s unfehlbaren Wortes übertragen:<br />

»Aber Sinn behält dies doch nur, wenn eine solche im Einzelfall notwendig gewor<strong>de</strong>ne<br />

Fixierung einer Grenze eingeborgen bleibt in ein Lebensgefüge gemeinsamer Gewißheit<br />

<strong>de</strong>s Glaubens. Wichtiger als <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Unfehlbarkeit ist daher <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r<br />

28<br />

auctoritas« . Kein Staat wird sich auf die Formulierung und Einhaltung unfehlbar<br />

richtiger Lösungen beschränken. Keine Schule, keine Familie, keine Gemein<strong>de</strong> und<br />

keine Klostergemeinschaft kann überleben, wenn ihre Lebensregeln und Gesetzmäßigkeiten<br />

nicht von einer letzten rechtmäßigen »Autorität« gestützt sind. So verhält<br />

es sich auch mit <strong>de</strong>r Kirche; ihr Leben basiert nicht bloß auf einer äußeren, rein rechtlichen<br />

Gesetzgebung.<br />

Wird die Liturgie als jener Vollzug verstan<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>m alle in <strong>de</strong>m einen Glauben <strong>de</strong>r<br />

Kirche miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind, wird sich die verbindliche Gestalt <strong>de</strong>r äußeren<br />

Riten und - soweit erfor<strong>de</strong>rlich - die beste Form ihrer Erneuerung fin<strong>de</strong>n lassen.<br />

Anschließend kommt Joseph Ratzinger zu einer Folgerung, die gewiß für sein Pontifikat<br />

maßgeblich sein wird und auch im Gespräch mit <strong>de</strong>r Ostkirche eine wichtige<br />

Brücke schlägt: »Verbindlichkeit kann nicht allein <strong>de</strong>m 'Unfehlbaren' zukommen; sie<br />

liegt in <strong>de</strong>r lebendigen Gesamtgestalt <strong>de</strong>s Glaubens, die als solche immer wie<strong>de</strong>r<br />

aussagbar sein muß, um nicht im Gewirr wechseln<strong>de</strong>r Hypothesen zu verschwin-<br />

29<br />

<strong>de</strong>n.« Der Glaube beruht auf keiner autoritären Fixierung, er ist die Mitgift Jesu Christi<br />

an seine Kirche und das Leben in <strong>de</strong>r Nachfolge.<br />

5. Communio sanctorum<br />

Nach Hansjürgen Verweyen ist »das alles an<strong>de</strong>re als ritualistisch-liturgische Verständnis<br />

<strong>de</strong>s ‘Meßopfers’« bei Joseph Ratzinger »die wohl wichtigste Konstante in <strong>de</strong>r


30<br />

31<br />

H. Verweyen, Joseph Ratzinger - <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>., 135.<br />

13<br />

Entwicklung seines Denkens« , trotz aller Wi<strong>de</strong>rsprüche und neuen Deutungen, die<br />

30<br />

er bei ihm aufzeigt.<br />

Die eucharistische Feier ist mehr als ein ritueller Vollzug eines Gott geschul<strong>de</strong>ten<br />

Dienstes. Seit <strong>de</strong>r Scholastik wird die Verehrung Gottes durch <strong>de</strong>n Menschen in das<br />

Tugendsystem eingeordnet, <strong>de</strong>r »Kult« gilt als eine Verwirklichung <strong>de</strong>r Kardinaltugen<strong>de</strong>n,<br />

speziell <strong>de</strong>r Gerechtigkeit. Gebührt es doch <strong>de</strong>m Geschöpf, seinem Schöpfer <strong>de</strong>n<br />

geschul<strong>de</strong>ten Kult (cultus <strong>de</strong>bitus) <strong>de</strong>r Anbetung und Verehrung entgegenzubringen.<br />

Diese Sicht setzte sich im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt endgültig durch und fand Aufnahme in das<br />

Kirchenrecht von 1917 (c.1256).<br />

Dadurch, daß »das Mahl - noch dazu in neuzeitlichen Bil<strong>de</strong>rn gedacht - zur normativen<br />

I<strong>de</strong>e für die liturgische Feier <strong>de</strong>r Christen wur<strong>de</strong>«, ist nach Joseph Ratzinger »eine<br />

Klerikalisierung eingetreten, wie sie vorher nie existiert hatte. Nun wird <strong>de</strong>r Priester -<br />

<strong>de</strong>r Vorsteher, wie man ihn jetzt lieber nennt - zum eigentlichen Bezugspunkt <strong>de</strong>s<br />

Ganzen [...] Ihn muß man sehen, an seiner Aktion teilnehmen, ihm antworten; seine<br />

Kreativität trägt das Ganze [...] Die Wendung <strong>de</strong>s Priesters zum Volk formt nun die<br />

Gemein<strong>de</strong> zu einem in sich geschlossenen Kreis. Sie ist - von <strong>de</strong>r Gestalt her - nicht<br />

mehr nach vorne und oben aufgebrochen, son<strong>de</strong>rn schließt sich in sich selber. Die<br />

gemeinsame Wendung nach Osten war nicht ‘Zelebration zur Wand’, be<strong>de</strong>utete nicht,<br />

daß <strong>de</strong>r Priester ‘<strong>de</strong>m Volk <strong>de</strong>n Rücken zeigt’: So wichtig war er gar nicht genommen.<br />

[...] Es han<strong>de</strong>lte sich [...] vielmehr um Gleichrichtung von Priester und Volk, die sich<br />

gemeinsam in <strong>de</strong>r Prozession zum Herrn hin wußten. Sie schließen sich nicht zum<br />

Kreis, schauen sich nicht gegenseitig an, son<strong>de</strong>rn sind als wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Gottesvolk im<br />

Aufbruch [... ] zum kommen<strong>de</strong>n Christus, <strong>de</strong>r uns entgegengeht« . Als Volk Gottes<br />

31<br />

auf <strong>de</strong>m Weg bil<strong>de</strong>t die Liturgie feiern<strong>de</strong> Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>n »Leib Christi« in <strong>de</strong>r »communio<br />

sanctorum«. Mit <strong>de</strong>m Bekenntnis zur »communio sanctorum« ist sowohl die Gemeinschaft<br />

mit <strong>de</strong>n »sancti« wie auch mit <strong>de</strong>n »sancta« gemein.<br />

Erst wenn bei<strong>de</strong> Dimensionen zusammengesehen wer<strong>de</strong>n, läßt sich, so betont Joseph<br />

Ratzinger, das Wesen <strong>de</strong>r Wandlung in <strong>de</strong>r Heiligen Messe tiefer erfassen. Transsubstantiation<br />

meint die Verwandlung <strong>de</strong>r ganzen Substanz <strong>de</strong>s Brotes und Weines in die<br />

Substanz <strong>de</strong>s Leibes und Blutes Christi, während die Akzi<strong>de</strong>ntien von Brot und Wein<br />

unverän<strong>de</strong>rt anhalten. Aber Leib und Blut Christi kommen nicht zu Brot und Wein<br />

hinzu, son<strong>de</strong>rn diese wer<strong>de</strong>n in eine neue, höhere Seinsordnung aufgenommen: »Der<br />

Herr bemächtigt sich«, schreibt Joseph Ratzinger, »<strong>de</strong>s Brotes und <strong>de</strong>s Weins, er hebt<br />

sie gleichsam aus <strong>de</strong>n Angeln ihres gewöhnlichen Seins in eine neue Ordnung hinein;<br />

auch wenn sie rein physikalisch gleich bleiben, sind sie zutiefst An<strong>de</strong>res gewor<strong>de</strong>n.« 32<br />

Das Verständnis <strong>de</strong>r Begriffe »Substanz« und »Akzi<strong>de</strong>ntien« hat sich in <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

32<br />

J. Ratzinger, Der Geist <strong>de</strong>r Liturgie. Eine Einführung, Freiburg 2006, 69f.<br />

J. Ratzinger, Eucharistie - Mitte <strong>de</strong>r Kirche. Vier Predigten, München 1978, 59f.; <strong>de</strong>rs., Das Problem <strong>de</strong>r Transsubstantiation und<br />

die Frage nach <strong>de</strong>m Sinn <strong>de</strong>r Eucharistie, in: Tübinger Theologische Quartalschrift 147 (1967) 129-158, bes. 153f.


14<br />

wesentlich gewan<strong>de</strong>lt. Im Mittelalter meinte »Substanz« das unsichtbare Wesen, das<br />

aller Wirklichkeit zugrun<strong>de</strong> liegt, während heute darunter meist das verstan<strong>de</strong>n wird,<br />

was für das Mittelalter das Akzi<strong>de</strong>nz war. So kommt es zum Mißverständnis eines<br />

eucharistischen Materialismus, als ob die Akzi<strong>de</strong>ntien von Brot und Wein verwan<strong>de</strong>lt<br />

wür<strong>de</strong>n. Christus ist aber in <strong>de</strong>r Eucharistie nicht wie eine naturale Sache (secundum<br />

modum naturae), son<strong>de</strong>rn auf personale Weise (secundum modum personae) gegenwärtig:<br />

Die eucharistischen Gaben sind die realisieren<strong>de</strong>n Zeichen <strong>de</strong>r personalen Gegenwart<br />

<strong>de</strong>s Auferstan<strong>de</strong>nen und <strong>de</strong>r sakramentalen Vergegenwärtigung <strong>de</strong>s Heilsgeschehens<br />

- und zwar auf die Kirche als <strong>de</strong>n Leib Christi hin.<br />

Der eucharistische Leib Christi wie <strong>de</strong>r ekklesiale Leib Christi als »communio« <strong>de</strong>r<br />

33<br />

Glauben<strong>de</strong>n bil<strong>de</strong>n ein einziges Sakrament. Hierzu heißt es in 1 Kor 10,16f.: »Ist <strong>de</strong>r<br />

Kelch <strong>de</strong>s Segens, über <strong>de</strong>n wir <strong>de</strong>n Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi?<br />

Ist nicht das Brot, das wir brechen, Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum<br />

sind wir viele ein Leib; <strong>de</strong>nn wir alle haben teil an <strong>de</strong>m einen Brot.« Paulus stellt sogar<br />

das Kelchwort <strong>de</strong>m Brotwort voran, um <strong>de</strong>n Zusammenhang von Eucharistie und<br />

Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Die Gemein<strong>de</strong> Christi baut sich durch die<br />

Eucharistie auf: ein Christus - ein Brot - eine Kirche. Augustinus bringt dies in die<br />

Worte: »Wenn ihr selbst also Leib Christi und seine Glie<strong>de</strong>r seid, dann liegt auf <strong>de</strong>m<br />

eucharistischen Tisch euer eigenes Geheimnis ... Ihr sollt sein, was ihr seht, und sollt<br />

34<br />

empfangen, was ihr seid.« Demnach wäre es eine falsche Sicht <strong>de</strong>r Heiligen Messe,<br />

wenn nur die Wandlung als Höhepunkt <strong>de</strong>r Eucharistie angesehen wird. Die eucharistische<br />

Gegenwart <strong>de</strong>s Herrn zielt auf die Kommunion: Durch sie wer<strong>de</strong>n wir zu<br />

Glie<strong>de</strong>rn am Leib Christi und erhalten Anteil am göttlichen Leben.<br />

Wird <strong>de</strong>r Zusammenhang zwischen <strong>de</strong>m sakramentalen und <strong>de</strong>m ekklesialen Leib<br />

Christi übersehen, kommt es zu einer Individualisierung und Privatisierung im Eucharistieverständnis.<br />

Cyprian bemerkt: »Unser Gebet ist öffentlich und allgemein, und<br />

wenn wir beten, beten wir nicht für eine Einzelperson, son<strong>de</strong>rn für das ganze Volk,<br />

35<br />

<strong>de</strong>nn das ganze Volk ist eins.« Ambrosius hebt hervor: »Christus nämlich ist <strong>de</strong>r<br />

Glaube aller, die Kirche aber eine gewisse Form <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, das gemeinsame<br />

Recht aller: gemeinsam ist ihr Beten, gemeinsam ihr Wirken, gemeinsam ihre Prü-<br />

36<br />

fung.« Thomas von Aquin versteht es gera<strong>de</strong> als »die Gna<strong>de</strong>ngabe <strong>de</strong>s Heiligen Geistes«,<br />

daß er unter <strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>r Koinonia, also <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>s Glaubens<br />

leben läßt: »Es gibt nicht auf <strong>de</strong>r einen Seite ein uneigentliches moralisches o<strong>de</strong>r<br />

persönliches Opfer und daneben ein eigentliches kultisches, son<strong>de</strong>rn das erste ist die<br />

37<br />

res <strong>de</strong>s letzteren, in <strong>de</strong>m dieses erst seine eigentliche Wirklichkeit hat.« Das Leben<br />

33<br />

34<br />

35<br />

36<br />

37<br />

Vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen von Th. Schnei<strong>de</strong>r, Wir sind sein Leib. Meditationen zur Eucharistie, Mainz 1977.<br />

Augustinus, Sermo 272.<br />

Cyprian, De dominica oratione 8.<br />

Ambrosius, De officiis I,29.<br />

J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von <strong>de</strong>r Kirche. München 1954, 213f.


38<br />

15<br />

unter <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>s Heiligen Geistes dient <strong>de</strong>m Aufbau <strong>de</strong>s Leibes Christi, wie<br />

Paulus seine Gemein<strong>de</strong>n mahnt: »Lebt in völligem Gleichklang, habt nur einen<br />

gemeinsamen Geist, einen Gedanken« (1 Kor 1,10). Pascal bringt das neue geisterfüllte<br />

Gesetz in die Worte: »ein Leib, gebil<strong>de</strong>t aus <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>rn« . Irenäus setzt<br />

38<br />

die Gabe <strong>de</strong>s Geistes mit <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>r Koinonia im Glauben in eins: »Wo die<br />

Kirche ist, da ist <strong>de</strong>r Geist Gottes, und wo Gottes Geist, da die Kirche und die Gesamtheit<br />

<strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>.« Koinonia meint Gemeinschaft durch das gemeinsame Trinken<br />

39<br />

aus <strong>de</strong>rselben Quelle, die Christus »in seinem Ostern« ist. Die Einheit <strong>de</strong>s Leibes<br />

Christi hat ihren Grund in <strong>de</strong>r Eucharistie. Sie besteht über die Zeiten hinweg und<br />

vereint die irdische Kirche mit <strong>de</strong>r himmlischen.<br />

Joseph Ratzinger nimmt hier Augustins Ausführungen über <strong>de</strong>n Leib Christi auf und<br />

wen<strong>de</strong>t sie auf die »communio sanctorum« an: »Der Götterkult <strong>de</strong>s Er<strong>de</strong>nstaates ist<br />

nicht nur überflüssig, son<strong>de</strong>rn verkehrt und schädlich. Allein die civitas, die <strong>de</strong>m<br />

einen Gott opfert, ist im Recht. Ihr Opfer besteht in <strong>de</strong>m Einssein in Christus. Das<br />

Opfer, das sie darbringt, ist sie selbst. Opferpriester und Opfergabe fallen hier zusammen.«<br />

Der mystische Leib Christi, die Kirche, bringt Gott das verwan<strong>de</strong>lte Brot<br />

40<br />

als <strong>de</strong>n »wahren Leib Christi«: Dies be<strong>de</strong>utet eine Überordnung <strong>de</strong>s Tischs über das<br />

Tabernakel: »Deswegen ist <strong>de</strong>r Tisch <strong>de</strong>m Tabernakel übergeordnet, weil Christus an<br />

uns appelliert, sein Tabernakel zu sein in dieser Welt [...] Messe ist [...] die gemeinsame<br />

Mahlfeier zwischen Gott und Mensch [...] Sie ist Vollzug <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>r<br />

Christen miteinan<strong>de</strong>r auf Grund <strong>de</strong>s Geheimnisses, daß Gott selbst in Christus unser<br />

Bru<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n wollte.« In<strong>de</strong>m sich die Gläubigen in die Selbsthingabe Jesu hinein-<br />

41<br />

nehmen lassen, wer<strong>de</strong>n sie selbst, so eine Grundaussage <strong>de</strong>r eucharistischen Theologie<br />

Joseph Ratzingers, zum »Aufbewahrungsort« <strong>de</strong>s Osterlammes. 42<br />

Je<strong>de</strong> Erfahrung von Gott führt in <strong>de</strong>n Dienst am Nächsten: Das Apostolat sagt, was<br />

die Kirche ist, die Geringsten sagen, wohin die Kirche gehört. Deutlich wird dies in<br />

<strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r Eucharistie. Nach <strong>de</strong>r Liturgie bricht die Erfahrung nicht ab, sie wird zur<br />

Sendung. Die Erfahrung <strong>de</strong>s Glaubens ergänzt, was mangelt, um »das zu wer<strong>de</strong>n,<br />

woran wir rühren«, wie es in einem Gebet <strong>de</strong>r Liturgie heißt.<br />

Der Sendungscharakter christlicher Erfahrung ist nicht zu verstehen ohne die Dimension<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft im Glauben. Keiner geht allein <strong>de</strong>n Weg zu Gott. Wer Jesus<br />

nachfolgt, tut dies in Gemeinschaft mit <strong>de</strong>r Kirche, welche die Braut und damit das eigentliche<br />

Subjekt <strong>de</strong>r Nachfolge <strong>de</strong>s Bräutigams Christus ist. Die Gemeinschaft im<br />

Glauben grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Taufe. Durch die Taufe ist <strong>de</strong>r Christ in die Kirche eingeglie-<br />

39<br />

40<br />

41<br />

42<br />

Pascal, Fragm. 473 (B. Pascal, Über die Religion und über einige an<strong>de</strong>re Gegenstän<strong>de</strong>. Hrsg. von E. Wasmuth, Hei<strong>de</strong>lberg 1946,<br />

221).<br />

Irenaeus, Adversus Haereses III 24,1.<br />

J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes, 214f.<br />

J. Ratzinger, Grundgedanken <strong>de</strong>r eucharistischen Erneuerung <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts, in: Klerusblatt 40 (1960) 208-211, hier 209.<br />

H. Verweyen, Joseph Ratzinger - <strong>Benedikt</strong> <strong>XVI</strong>. Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007, 140.


43<br />

16<br />

<strong>de</strong>rt, so daß fortan sein Leben im Glauben eine konkrete Gestalt erhält durch »qualifi-<br />

43<br />

zierte Teilnahme am Ganzen« : »Christ wer<strong>de</strong>n heißt communio wer<strong>de</strong>n und damit in<br />

die Wesensweise <strong>de</strong>s Heiligen Geistes eintreten. Es kann daher aber auch nur durch<br />

<strong>de</strong>n Heiligen Geist geschehen, <strong>de</strong>r die Kraft <strong>de</strong>r Kommunikation, ihr Vermitteln<strong>de</strong>s, Ermöglichen<strong>de</strong>s<br />

und als solches selbst Person ist.« 44<br />

Diese Dimension <strong>de</strong>r christlichen Glaubenserfahrung gilt vor allem für die Liturgie, in<br />

ihr wird wie bei keinem an<strong>de</strong>ren Vollzug die Grundstruktur <strong>de</strong>r Kirche als Volk Gottes<br />

sichtbar. Je<strong>de</strong> Erfahrung im Glauben und in <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>r Liturgie gehört nicht <strong>de</strong>m<br />

Individuum in seiner Vereinzeltheit, vielmehr wird sie zur Erfahrung <strong>de</strong>s ganzen »corpus<br />

Christi mysticum« und ist als solche immer gemeinschaftlich, d.h. ekklesial verfaßt.<br />

Insofern kommt das im Glauben Erfahrene nie nur <strong>de</strong>m einzelnen zugute, es wird<br />

nach außen hin universal offen bleiben und in die Sendung führen. Dies heißt für<br />

unsere Fragestellung, daß die Liturgie immer von bei<strong>de</strong>n Erfahrungen christlicher<br />

Existenz bestimmt ist, daß sie nämlich tiefer in <strong>de</strong>n Leib Christi und in die Gemeinschaft<br />

aller Glauben<strong>de</strong>n führt und zugleich in die Sendung und in <strong>de</strong>n Dienst am<br />

Nächsten eintreten läßt.<br />

Die communiale Grundstruktur christlichen Glaubens und <strong>de</strong>s logos-gemäßen Gottesdienstes<br />

grün<strong>de</strong>t in seiner trinitarischen Verfaßtheit, <strong>de</strong>nn die Dreieinigkeit ist das<br />

Urbild aller christlichen »koinonia«: »Die Trinitätstheologie wird darin zum Maß <strong>de</strong>r<br />

Ekklesiologie, als das Leben im Glauben gestaltet und gelebt wird aus <strong>de</strong>m Heiligen<br />

Geist. Ekklesiologie und Christologie kommen darin zusammen, daß Christus in <strong>de</strong>r<br />

Kirche <strong>de</strong>r Abgestiegene und sie Christus als Abgestiegener ist, Fortführung <strong>de</strong>r Men-<br />

45<br />

schheit Jesu Christi.«<br />

44<br />

45<br />

H.U. von Balthasar, Spiritualität, in: Verbum Caro. Skizzen zur Theologie. Bd. I, Einsie<strong>de</strong>ln 1960, 226-244, hier 228. Zum Begriff<br />

»Spiritualität«: J. Sudbrack, Art. »Spiritualität«, in: Her<strong>de</strong>rs theologisches Taschenlexikon VII (1973) 115-136; E.J. Cuskelly, Spiritualität<br />

heute. Würzburg 1968, 197f.; Lucien-Marie <strong>de</strong> Saint-Joseph, Ecole <strong>de</strong> spiritualité, in: DSAM IV (1960) 116-128.<br />

J. Ratzinger, Der Heilige Geist als communio. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Spiritualität bei Augustinus, in: C.<br />

Heitmann/H. Mühlen (Hgg.), Erfahrung und Theologie <strong>de</strong>s Heiligen Geistes. Hamburg-München 1974, 223-238, hier 226.<br />

Ebd., 235.

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